Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2006 - X ZR 213/01

bei uns veröffentlicht am07.03.2006
vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 60/00, 01.08.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 213/01 Verkündet am:
7. März 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Vorausbezahlte Telefongespräche
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist eine Rechtsfrage, die mittels wertender
Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen ist, die
- unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für
das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
BGH, Urt. v. 7. März 2006 - X ZR 213/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 1. August 2001 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 572 991 (Streitpatents ). Das Streitpatent wurde am 2. Juni 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität einer israelischen Patentanmeldung vom 2. Juni 1992 angemeldet. Es betrifft "a method of processing prepaid telephone calls" und umfasst sechs Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch: "A method of processing telephone calls, particularly for use in connection with public telephones, comprising the steps of (a) programming a respective Public Automatic Branch exchange (PABX) to become toll-free accessible for incoming calls through dialling any one out of a series of predetermined numbers stored in a data-bank of the PABX; (b) enabling a calling party to complete a connection with a called party; (c) cutting-off the said connection after a prefixed time/counter pulses interval; (d) erasing from the data-bank any number that had once been dialled; (e) marking the said series of numbers, each on a vendible carrier member in an invisible - however readily exposable - manner; and (f) offering the vendible carrier members for sale to the general public, so that purchasers of the carrier members, after exposing the respective number, are enabled to place a call for the duration of the said interval."
2
Wegen der weiteren Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die Lehre des Streitpatents sei nicht patentfähig, denn sie betreffe geschäftliche Tätigkeiten, sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3, 5 und 6 für nichtig erklärt und die Nichtigkeitsklage im Übrigen abgewiesen.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der dieser die vollständige Klageabweisung erreichen will.
6
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. Herbert K. schriftliches ein Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
9
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Verarbeiten von im Voraus bezahlten Telefonanrufen (prepaid telephone calls). Die Beschreibung bezeichnet es als neueste Entwicklung, die mit Münzen zu bedienenden öffentlichen Telefonapparate durch Apparate zu ersetzen, bei denen eine Magnetkarte zum Einsatz kommt. Diese Entwicklung habe sich aus der Erkenntnis der Nachteile der Münztelefone ergeben, die darin bestünden, dass der Benutzer im Besitz von passenden Münzen sein müsse sowie dass die Apparate regelmäßig gewartet werden müssten und Vandalismus und Diebstahl ausgesetzt seien.
10
Bei dem Einsatz von bekannten Magnetkarten, speziellen Telefonkarten oder Kreditkarten, sei, so die Beschreibung, zwar das Problem zum Teil, nämlich insofern gelöst, als eine Karte für eine größere Anzahl von Telefonanrufen eingesetzt werden könne. Nachteilig sei aber die beträchtliche Anfangsinvestition in die Ausstattung, Einrichtung und Instandhaltung für die mit Magnetkarten zu betreibenden Telefonapparate.
11
Die Streitpatentschrift beschreibt sodann das Verfahren nach der USPatentschrift 4 706 275 (D 2). Das dort vorgeschlagene Verfahren und System zur Verarbeitung im Voraus bezahlter Telefonanrufe stütze sich auf spezielle, zertifizierbare Codezahlen. Diese würden den Anrufern gegen Erwerb eines Guthabens zugeteilt. Die Guthaben würden im Computer spezieller zentraler Stationen gespeichert, so dass von jedem beliebigen privaten Telefon angerufen werden könne. An diesem Verfahren kritisiert die Streitpatentschrift als Nachteil, dass derjenige, der interessiert sei, dieses Verfahren zu nutzen, eine ganze Reihe vorbereitender Schritte durchlaufen müsse - meistens über Kreditkartenunternehmen -, um eine entsprechende Berechtigung zur Nutzung des Systems zu erhalten.
12
Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, die Nachteile der öffentlichen Münz- und Magnetkartentelefonanschlüsse zu vermeiden und zugleich jede vorherige Verbindung mit Telefonkarten- und/oder Kreditkartenunternehmen überflüssig zu machen.
13
Patentanspruch 1 des Streitpatents schlägt dazu als Lösung ein Verfahren mit folgenden Schritten vor:
a) Programmieren einer öffentlichen automatischen Nebenstellen (oder TK-) Anlage (Public Automatic Branch exchange - PABX) zum gebührenfreien Zugang für eingehende Anrufe durch Wählen einer Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern , die in einer Datenbank des PABX gespeichert sind;
b) Ermöglichen, eine Verbindung mit einem Angerufenen herzustellen ;
c) Abbrechen der Verbindung nach einer festgesetzten Zeit/Zählimpulszeitraum;
d) Löschen jeder Nummer, die einmal gewählt worden ist, aus der Datenbank;
e) Notieren jeder Nummer aus der Serie auf einem verkäuflichen Trägerelement in unsichtbarer, jedoch leicht freilegbarer Weise; und
f) Anbieten der verkäuflichen Trägerelemente zum Verkauf an das Publikum.
14
Schritt a setzt danach eine Stelle ("Public Automatic Branch exchange - PABX") voraus, bei der die Anrufe eingehen. Deren Computersystem wird so programmiert, dass es für die eingehenden Anrufe Daten überprüfen kann. Der Nutzer wählt eine Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind. Die Beschreibung (Sp. 2 Z. 43) gibt an, dass es sich um eine geheime Zugangsnummer ("secret code number (SCN)") handelt, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird (Sp. 2 Z. 46) und von einem zuverlässigen Druckunternehmen in rechnergesteuerter Weise auf die vom Telefonkunden zu erwerbende Karte aufgedruckt und mit einer undurchsichtigen Schicht überzogen wird, die leicht beseitigt werden kann, z.B. durch Abkratzen mit einer Münze wie bei Lotterielosen (Sp. 2 Z. 52-56). Diese eingegebene Nummer wird in der Datenbank des PABX gesucht, identifiziert und das Gebührenguthaben analysiert. Ist ein solches vorhanden, gibt das PABX für eine dem im Voraus gezahlten Betrag entsprechende begrenzte Zeitdauer oder Anzahl von Zählimpulsen den Weg für das Wählen der Teilnehmernummer frei (Sp. 3 Z. 3-10).
15
Schritt b ermöglicht es sodann dem Anrufer, eine Verbindung mit dem von ihm gewünschten Anschluss herzustellen. Patentanspruch 1 und auch die Beschreibung geben nicht an, wie dies im Einzelnen geschieht. Ist die festgesetzte Zeit oder der Zählimpulszeitraum verstrichen, so wird gemäß Schritt c die Verbindung abgebrochen. Die deutsche Übersetzung des Patentanspruchs spricht von "Unterbrechen", die englische Fassung verwendet jedoch den Begriff "cutting-off" und bringt damit zum Ausdruck, dass die Verbindung abgeschnitten , also beendet wird (Sp. 3 Z. 9, 10).
16
Schritt e gibt an, wie die SCN dem Erwerber der Karte bekannt gegeben wird. Die SCN soll auf dem Trägerelement verdeckt angebracht sein, der Erwerber soll sie jedoch leicht freilegen können. Dies erschwert es, dass die SCN einem anderen als dem Erwerber bekannt wird, falls dieser sie nicht aus der Hand gibt oder verliert. Gemäß Schritt f sollen die Trägerelemente dem Publikum angeboten werden.
17
2. Bei diesem im Patentanspruch 1 beschriebenen Verfahren handelt es sich nicht um ein solches für gedankliche Tätigkeiten, für das gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ Patentschutz nicht in Betracht kommt. Es enthält nämlich nicht nur den Vorschlag, für die Abwicklung eines Geschäfts einen Computer als Mittel zur Verarbeitung verfahrensrelevanter Daten einzusetzen. Das Streitpatent betrifft vielmehr das technische Problem, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, ohne dass dazu öffentliche Fernsprechapparate notwendig wären, die mit Kartenlesern ausgestattet sein müssen. Damit enthält das Streitpatent jedenfalls auch Anweisungen, denen ein konkretes technisches Problem zugrunde liegt, das mit technischen Mitteln gelöst werden soll (vgl. Sen. BGHZ 159, 197 - Elektronischer Zahlungsverkehr).
18
3. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu; er wird durch die hier allein in Betracht kommende US-Patentschrift 4 706 275 (D 2) nicht vorweggenommen.
19
Diese befasst sich mit Telefonsystemen, bei denen der Telefonkunde eine Vorauszahlung leistet und von einem beliebigen Telefon ein Telefongespräch führen kann, solange er den im Voraus gezahlten Betrag nicht verbraucht hat. Nach Patentanspruch 1 soll die dazu vorgeschlagene Methode folgende Schritte umfassen:
a) Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme ;
b) Speicherung der Vorauszahlungssumme im Speicher einer speziellen Vermittlung, zur Verwendung bei der Verifizierung der Anrufergespräche;
c) Anwahl der genannten speziellen Vermittlung, wenn eine Telefonverbindung gewünscht ist;
d) Eingabe des Spezialcodes zur Verifizierung;
e) Eingabe der Nummer des Angerufenen;
f) Verifizierung des Spezialcodes und Vergleich der Vorauszahlungssumme abzüglich der Gebühren für vorangegangene Telefonate im Speicher und der Mindestkosten der eingegebenen Anrufe;
g) Verbindung des Angerufenen mit dem Anrufenden als Antwort auf die Verifizierung;
h) Überwachung der Vorauszahlungssumme abzüglich der laufenden Kosten für den Anruf; und
i) Abbruch des Anrufs, wenn die vorausgezahlte Summe verbraucht wurde.
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Damit umfasst Patentanspruch 1 der US-Patentschrift 4 706 275 in den Schritten b bis f, was Patentanspruch 1 des Streitpatents in Schritt a zusammenfasst. Allerdings gibt Schritt a des Patentanspruchs 1 des Streitpatents an, dass das Wählen einer beliebigen Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind, erforderlich ist, während in Schritt a des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift 4 706 275 vom Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme die Rede ist. Wie dieser Spezialcode zustande kommt, lässt die USPatentschrift ebenso offen wie die Frage, wie der Kunde den Spezialcode erhält. Die Beschreibung gibt dazu lediglich an, dass der Kunde nach einer Baroder Kreditkartenzahlung einen speziellen Code erhält. Der gutgeschriebene Betrag wird in einem Speicher zusammen mit dem Spezialcode abgelegt. Damit wird in der US-Patentschrift eine Lösung beschrieben, bei der der Kunde - auf welche Weise auch immer - ein Guthaben erwirbt und ihm dann der spezielle Code, der zusammen mit dem Guthaben in der Datenbank gespeichert wird, zugänglich gemacht wird. Soweit ein Erwerb der Karte an "Verkaufs"punkten erwähnt wird, wird nicht dargelegt, wie der Ablauf sich in diesem Falle gestaltet. Nach dem schriftlichen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen besteht eine Möglichkeit darin, dass die Vertriebsstelle sich per Telefon oder Computer in die Datenbank des Diensteanbieters einwählt und ihr dort eine geheime Codenummer vom Computersystem zugewiesen wird. Nach Eingabe des vom Kunden genannten Betrags für das Gesprächsguthaben und der Ver- triebsstellennummer zahlt der Kunde sodann entweder bar oder per Kreditkarte, und es wird schließlich etwa auf einem nur für den Kunden einsehbarem Drucker ein Beleg mit der geheimen Codenummer ausgedruckt.
21
Schritt b des Patentanspruchs 1 des Streitpatents entspricht Schritt g des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift. Nach Abgleichung des Identifikationscodes bzw. der SCN wird eine Verbindung zu dem angerufenen Anschluss hergestellt.
22
Schritt c in Patentanspruch 1 des Streitpatents und Schritt i in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift sind ebenfalls identisch. Ist das Guthaben verbraucht , wird der Anruf abgebrochen.
23
Schritt d in Patentanspruch 1 des Streitpatents geht über den Inhalt des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift hinaus. Dort ist das Löschen der gewählten Nummern nicht vorgesehen.
24
Schritt e in Patentanspruch 1 des Streitpatents ist in der US-Patentschrift nicht enthalten; wie der Kunde den Spezialcode erfährt, wird dort nicht dargestellt.
25
Schritt f in Patentanspruch 1 des Streitpatents schließlich entspricht Schritt a in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift insofern, als auch danach der Spezialcode und das Guthaben durch Zahlung des Guthabenbetrags erworben werden können.
26
4. Die Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Streitpatents und der US-Patentschrift bestehen demnach darin, dass nach der Lehre der USPatentschrift der Kunde durch Einzahlung eines Geldbetrags ein Guthaben erwirbt , dem Guthaben in der Datenbank des Diensteanbieters der Spezialcode zugeordnet und dem Kunden sodann dieser Codemitgeteilt wird. Das setzt eine Mehrzahl von Schritten im Zusammenhang mit dem Erwerb des im Computer gespeicherten Guthabens und der Ausgabe des Codes voraus, die individuell bei dem Geschäft mit dem Kunden abgewickelt werden. Demgegenüber werden nach der Lehre des Streitpatents vorkonfektionierte Nummern aus einer Serie in der Datenbank des PABX gespeichert. Diese Nummern werden in unsichtbarer , jedoch leicht freilegbarer Weise auf einem Trägerelement dem Kunden angeboten. Erwirbt er ein Trägerelement, so kann der Kunde die Nummer freilegen und das der Nummer zugeordnete Guthaben zum Telefonieren nutzen ; weiterer Schritte bedarf es dazu nicht, insbesondere ist ein weiterer Kontakt der Vertriebsstelle zur Datenbank des Diensteanbieters nicht erforderlich. Es wird mithin dem Kunden durch den Anbieter ein Guthaben vorgegeben und dieses sogleich einer bestimmten Nummer zugeordnet, die der Kunde in verdeckter Form erhält und die es ihm ermöglicht, die gewünschte Telefonverbindung herzustellen.
27
Die Beweisaufnahme hat keine Kenntnisse oder Erfahrungen des Fachmanns ergeben, unter deren Berücksichtigung es für ihn aufgrund des Standes der Technik nahelag, diese Lösung aufzufinden.
28
Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage. Der angesprochene Fachmann ist nicht mit einer tatsächlich existierenden Person gleichzusetzen. Eine dem Gebot der Rechtssicherheit genü- gende einheitliche Beurteilung einer Erfindung wäre auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten auch gar nicht möglich. Fachmännisches Denken, Erkennen und Vorstellen wird deshalb bemüht, um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachleute und dem hierdurch geprägten Verständnis vom Inhalt einer technischen Lehre eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Die maßgebliche Sicht selbst ist unmittelbarer Feststellung entzogen (BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Dies gilt nicht nur für das sinnvolle Verständnis einer Lehre zum technischen Handeln, sondern gleichermaßen für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Stand der Technik diese technische Lehre nahegelegt hat. Die Beurteilung, ob die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann nach seinem festgestellten Wissen und Können nahegelegen hat, ist demgemäß auch nicht Aufgabe des Sachverständigen, sondern obliegt als Akt wertender Erkenntnis dem Gericht (BGHZ 128, 270, 275 - elektrische Steckverbindung; Sen.Urt. v. 25.11.2003 - X ZR 162/00, GRUR 2004, 411, 413 - Diabehältnis). Das Gericht hat dabei sämtliche tatsächlichen Umstände zu würdigen, die - unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
29
Mit dem gerichtlichen Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass Personen, die sich zum Prioritätszeitpunkt mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet der vorbezahlten Telefonate befassten, ausgebildete Nachrichtentechniker und/oder Informatiker mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Telekommunikation waren. Soweit der gerichtliche Sachverständige im Termin ausgeführt hat, es seien im Hinblick auf die wirtschaftliche Form der Vermarktung auch Kenntnisse im kaufmännischen Bereich erforderlich gewe- sen, mögen solche Kenntnisse in die Entwicklung eines Verfahrens, wie es Gegenstand des Streitpatents ist, eingeflossen sein, bei der Lösung des technischen Problems, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, stand jedoch die Fachkenntnis des Nachrichtentechnikers oder Informatikers im Vordergrund.
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Der Fachmann, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, eine möglichst einfache und preiswerte Lösung für die Verarbeitung von im Voraus bezahlten Telefonanrufen zu finden, kannte die Möglichkeit, dazu Chip- oder Magnetkarten einzusetzen. Diese werden in der Streitpatentschrift ausdrücklich erwähnt. Sie haben den Nachteil, dass aufwendige Lesegeräte erforderlich sind und dass der Kunde nur ein Telefon benutzen kann, das ein solches Lesegerät aufweist. Die Lösung der US-Patentschrift vermied zwar diese Nachteile, machte aber eine Verbindung zwischen der Verkaufsstelle und der Datenbank des Diensteanbieters und eine individuelle Abwicklung erforderlich; die Möglichkeit einer Vorkonfektionierung eröffnete sie nicht. Im Falle des Erwerbs eines Guthabens durch einen Kunden war es erforderlich, mittels elektrischer oder elektronischer Übermittlung Kontakt zu der Datenbank des Diensteanbieters aufzunehmen , wo das vom Kunden gewünschte Guthaben einem Spezialcode zugeordnet werden musste. Sodann musste diese Identifikationsnummer über die Verbindung mit der Verkaufsstelle dem Kunden zugänglich gemacht werden. Der Fachmann kannte damit zwei Arten der Speicherung der zur Durchführung vorbezahlter Telefonanrufe erforderlichen Daten, nämlich zum einen die Variante , bei der die Daten sämtlich auf einem auf der Karte befindlichen Chip oder Magnetstreifen gespeichert sind, und zum anderen die Variante, dass die Daten in einer Datenbank in der Weise gespeichert sind, dass ein bestimmtes Guthaben einer bestimmten Identifikationsnummer zugeordnet ist. Er kannte außerdem zwei Arten des Vertriebs von vorbezahlten Telefonanrufen, nämlich zum einen den "Verkauf" der Chip- oder Magnetkarte, auf der Guthaben mit standardisierten festen Beträgen gespeichert sind und die deshalb einen Vertrieb an variablen Verkaufsstellen ermöglichen, und zum anderen den Erwerb des Guthabens , die anschließende Zuordnung eines Spezialcodes zu diesem Guthaben und die Übermittlung des Spezialcodes an den Kunden als Legitimation zur Durchführung von vorbezahlten Telefonaten, der durch diesen Aufwand und die damit verbundenen Anforderungen an die Vertriebsstellen dem Vertrieb Grenzen setzte. Der gerichtliche Sachverständige hat es zwar für möglich gehalten, dass der Fachmann, der die verschiedenen Systeme mit ihren spezifischen Nachteilen kennt, in der Lage ist, diese zu kombinieren, er hat dies jedoch für den Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents als "unsicher" bezeichnet. Der Senat hat keine Umstände feststellen können, die den Fachmann hierzu veranlassen konnten.
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Wählte der Fachmann die Möglichkeit, die erforderlichen Daten auf einer zentralen Datenbank zu speichern, so fand er dazu in der US-Patentschrift eine Lösung. Wollte er den Nachteil vermeiden, dass der Vertrieb Datenleitungen von der Vertriebsstelle zur Datenbank erforderlich machte, konnte er hierauf nur verzichten, wenn er dem Kunden die Identifikationsnummer auf andere Weise bekannt gab. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies dem Fachmann die insbesondere bei Chipkarten übliche Standardisierung auf bestimmte Beträge nahelegte, die es ihm dann ermöglichte, die Identifikationsnummer schon vor dem Erwerb des Guthabens durch den Kunden diesem Guthaben zuzuordnen. Dieser Schritt brachte nur dann eine Vereinfachung des Vertriebs mit sich, wenn der Fachmann zugleich eine Lösung für das Problem erkannte, wie die Identifikationsnummer dem Kunden bekannt gegeben werden konnte. Hierfür gab es bei der Chipkarte kein Vorbild, weil sich dieses Problem dort nicht stellt. Es genügte also nicht der Übergang von individuell bestimmten Guthaben auf von vornherein standardisierte Guthabenbeträge, vielmehr erforderte dieser Übergang weitere Schritte, nämlich die vorherige Zuordnung von Guthaben und Identifikationsnummer in der Datenbank und die Bekanntgabe dieser Nummer an den Kunden. Aus dem vorgeschilderten Stand der Technik konnte der Fachmann Anregungen für diese Schritte nicht entnehmen. Kann somit nicht festgestellt werden, dass der Gegenstand des Streitpatents sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab, so liegt der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ nicht vor. Die Nichtigkeitsklage ist daher abzuweisen. Dies gilt auch, soweit die übrigen Patentansprüche von der Nichtigkeitsklage betroffen sind. Diese beschreiben zweckmäßige Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 und haben mit diesem Bestand.

32
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 01.08.2001 - 4 Ni 60/00 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2006 - X ZR 213/01

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2006 - X ZR 213/01

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 4


Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese
Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2006 - X ZR 213/01 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

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(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2006 - X ZR 213/01 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 162/00 Verkündet am:
25. November 2003
Mayer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
Diabehältnis
Der gerichtliche Sachverständige hat insbesondere die Aufgabe, dem Gericht
Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns sowie die Arbeitsweise zu vermitteln
, mit der dieser technische Probleme seines Fachgebiets zu bewältigen
trachtet. Ob die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann nach seinem
festgestellten Wissen und Können nahegelegen hat, ist als Akt wertender Erkenntnis
nicht vom Sachverständigen zu beurteilen.
BGH, Urt. v. 25. November 2003 - X ZR 162/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Meier-Beck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 11. April 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 228 536 (Streitpatents). Das Streitpatent , das auf einer Anmeldung vom 5. November 1986 beruht, für die italienische Prioritäten vom 11. November 1985 in Anspruch genommen werden, betrifft ein Diabehältnis und umfaßt in der Fassung, die es im Einspruchsverfahren erhalten hat, fünf Verwendungsansprüche und sechs weitere Ansprüche, die sich mit Verfahren zum automatischen Verpacken von gerahmten Dias in dem Behältnis befassen.
Patentanspruch 1 hat (ohne Bezugszeichen) folgenden Wortlaut:
"Use of a container consisting of a continuous strip of transparent material folded longitudinally and welded together along transverse lines to define a plurality of transverse pockets closed at one end and open at the other end, said strip bearing a plurality of reference marks separated by a distance equal to the distance between the axes of adjacent transverse pockets, as container housing mounted slides, wherein each pocket is adapted to contain a predetermined plural number of mounted slides and is constructed such that the slides are inserted into the pocket through its open end and the insertion of a slide moves a previously inserted slide forward into the pocket."
Seine deutsche Fassung lautet:
"Verwendung eines Behälters, bestehend aus einem kontinuierlichen Streifen aus transparentem Material, welcher längs gefaltet und entlang Querlinien verschweißt ist, um eine Vielzahl von Quertaschen zu bilden, die an einem Ende geschlossen und am anderen Ende offen sind, wobei der Streifen eine Vielzahl von Referenzmarken aufweist, die durch einen Abstand gleich dem Abstand zwischen den Achsen benachbarter Quertaschen voneinander getrennt sind, als Behälter zur Aufnahme montierter Dias, wobei jede Tasche angepaßt ist, um eine vorbestimmte Vielzahl montierter Dias zu enthalten, und so ausgebildet ist, daß die Dias in die Tasche durch deren offenes Ende eingeführt werden
und das Einführen eines Dias das vorher eingeführte Dia in der Tasche vorwärts bewegt."
Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche wird auf die neue europäische Patentschrift (B2-Schrift) verwiesen.
Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin die Patentansprüche 1 bis 5 angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Patents sei insoweit nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Nichtigkeitsklage erstrebt und hilfsweise das Streitpatent mit zwei Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. habil. H. G., Geschäftsführender Direktor des Instituts für Verarbeitungsmaschinen, Landmaschinen und Verarbeitungstechnik der ... Universität ..., ein schriftliches Gutachten erstattet. Der Senat hat ferner Zeugenbeweis erhoben.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent zurecht im Umfang des Klageangriffs für nichtig erklärt, da sein Gegenstand insoweit dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war und daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Art. 52 Abs. 1, 56, 138 Abs. 1 lit. a EPÜ; Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG).
I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung eines Streifens aus transparentem Material als Diabehältnis.
Die Streitpatentschrift schildert es einleitend als bekannt, in Photolabors gerahmte Dias zum Versand entweder in einer steifen Schachtel oder in einer faltbaren, mit Taschen versehenen Sichthülle zu verpacken. Die Verwendung einer Schachtel als Diabehältnis sieht die Streitpatentschrift u.a. wegen deren Größe und Gewicht sowie wegen des notwendigen Arbeitsaufwands als nachteilig an. An der Verwendung von Sichthüllen beanstandet sie die Notwendigkeit , jedes Dia einzeln von Hand in eine Tasche der Hülle einzusetzen.
Durch das Streitpatent soll ein leichtes, kleinvolumiges und kostengünstiges Diabehältnis bereitgestellt werden, das einfach und schnell und gegebenenfalls auch automatisch zu befüllen ist.
Patentanspruch 1 lehrt hierzu die Verwendung eines Behältnisses zur Aufnahme gerahmter Dias, das durch folgende Merkmale umschrieben ist:
1. Das Behältnis besteht aus einem fortlaufenden Streifen aus transparentem Material, der
1.1 längsgefaltet und 1.2 entlang Querlinien geschweißt ist und 1.3 eine Mehrzahl von querverlaufenden Taschen bildet.
2. Die Taschen sind an einem Ende verschlossen und am anderen Ende offen.
3. Jede Tasche ist so ausgebildet, daß 3.1 sie eine vorbestimmte Mehrzahl ("plural number") gerahmter Dias aufnehmen kann, 3.2 die Dias durch ihr offenes Ende eingeführt werden und 3.3 das Einführen eines Dias ein zuvor eingeführtes in die Tasche hineinschiebt.
4. Der transparente Streifen trägt eine Mehrzahl von Referenzmarken , deren Abstand voneinander dem Achsabstand benachbarter Taschen entspricht.
Zur Aufnahme gerahmter Dias wird damit erfindungsgemäß ein einfaches und leichtes Behältnis verwendet, das durch das Einschieben einer vorbestimmten Anzahl von Dias in eine Tasche unschwer zu befüllen ist, wobei die Referenzmarken die exakte Positionierung eines Automaten zur Einführung der Dias erleichtern.
II. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die erfindungsgemäße Verwendung eines Behältnisses
mit den Merkmalen 1 bis 4 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
1. Der hier angesprochene Fachmann ist, wie auch die Parteien an- nehmen, ein erfahrener Meister oder Techniker, der aufgrund mehrjähriger Praxis mit den Problemen der Verpackung und Versendung in einem Photolabor erzeugter oder bearbeiteter Produkte vertraut ist.
2. Dieser Fachmann kannte bereits Hüllen aus transparentem Material , bei denen durch Längsfalten und Querschweißen eines fortlaufenden Materialstreifens eine Mehrzahl querverlaufender, einseitig offener Taschen gebildet wird (Merkmale 1 und 2), die jeweils zur Aufnahme von zwei durch das offene Ende eingeführten gerahmten Dias bestimmt und entsprechend dimensioniert sind (Merkmale 3.1 und 3.2).

a) Solche Diadoppeltaschenhüllen wurden, wie die Vernehmung der Zeugen U. und R. zur Überzeugung des Senats ergeben hat, vor dem Prioritätstag von der G. mbH in S. (im folgenden: G.) an Photolabors vertrieben und damit offenkundig vorbenutzt.
Als Doppeltaschen ausgebildete Dia-Taschen werden in der Preisliste "Verbrauchsmaterialien für Fotofinishing" der G. vom 4. Oktober 1982 aufgeführt. Der Geschäftsführer der G., der Zeuge U., hat geschildert, daß entsprechend den Merkmalen 1 bis 3.2 ausgebildete und als Rollenware gelieferte Taschen auf Kundenwunsch in das Vertriebsprogramm der G. aufgenommen wurden, um Photolaboren insbesondere für die Rücksendung einer kleineren Anzahl gerahmter Dias nach der Ausführung von Nachbestellungen ein geeig-
netes und kostengünstiges Transportmedium zur Verfügung stellen zu können. Der Zeuge hat hierzu ein an G. gerichtetes Angebot des Herstellers L. & Co. vom 23. September 1981 vorgelegt und erläutert, daß das Produkt tatsächlich durch den Zeugen R. hergestellt worden sei. Der Zeuge R. hat dies bestätigt und geschildert, daß er zunächst als Betriebsleiter des Herstellers H. und sodann, nachdem er sich zum 30. Juni 1984 selbständig gemacht hatte, in seinem eigenen Betrieb Dia-Doppeltaschen hergestellt hat. Die Taschen sind hinsichtlich ihrer technischen Beschaffenheit von den Zeugen sachlich übereinstimmend geschildert worden. Ihre Aussagen sind glaubhaft und Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der eingehend befragten Zeugen nicht hervorgetreten; insbesondere hat der Zeuge R. seine Tätigkeit in den Jahren vor und nach seinem Wechsel in die Selbständigkeit auch außerhalb des eigentlichen Beweisthemas so anschaulich und plausibel geschildert, daß trotz des erheblichen seither verstrichenen Zeitraums seine Aussagen zu den für G. produzierten Diataschen einleuchtend und nachvollziehbar sind.

b) Daß bei der bestimmungsgemäßen Benutzung der vorbenutzten Diataschen das zweite Dia das zunächst eingeführte (weiter) in die Tasche hineinschiebt (Merkmal 3.3), ergibt sich bei unter Berücksichtigung des benötigten Spiels (annähernd) der Größe gerahmter Dias angepaßter Taschen zwangsläufig und wird entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dadurch in Frage gestellt , daß es, wie der Zeuge U. bekundet hat, zu einem Übereinanderschieben von Dias kommen konnte. Es mag auch sein, daß die Nutzer der Diataschen , die nach der Aussage des Zeugen U. nicht maschinell, sondern von Hand befüllt wurden, häufig das erste Dia mit dem Finger bis zum anderen Ende in die Tasche hineingeschoben haben, so daß es eines Einsatzes des zweiten Dias als Werkzeug zum Transport des ersten nicht bedurfte. Nach der Lebenserfahrung kann jedoch ausgeschlossen werden, daß das erste Dia stets
bis zum Anschlag in die Tasche hineingeschoben worden ist. Das Hineinschie- ben wird vielfach mehr oder weniger unvollständig erfolgt sein, und in diesem Fall dient das zweite Dia zwangsläufig als Werkzeug zur weiteren Einführung des ersten in die Tasche.
3. Um zu der erfindungsgemäßen Verwendung zu gelangen, mußte der Fachmann daher den transparenten Streifen nur noch entsprechend Merkmal 4 mit einer Mehrzahl von Referenzmarken versehen. Das lag jedoch ohne weiteres nahe.

a) Denn dem Fachmann war nicht nur bekannt, solche transparenten Streifen zu den vorbenutzten Diadoppeltaschen zu formen. Er kannte vielmehr auch ein Behältnis (eine Hülle) zur Aufnahme entwickelter Filmabschnitte mit mehreren Einzelbildern, wie es in dem als Anlage K 6 (= E 9) zu den Akten gereichten Informationsblatt "Film Sleeves" dargestellt ist.
Dieses Behältnis besteht, wie der Abbildung auf der Vorderseite der Anlage K 6 zu entnehmen ist, aus einem fortlaufenden Streifen aus transparentem Material, der längs gefaltet und entlang von Querlinien verschweißt ist, so daß sich quer über den Streifen verlaufende, auf einer Seite offene Taschen ergeben , in die die Filmabschnitte eingeschoben werden. Jeweils zwischen zwei benachbarten Schweißlinien ist am geschlossenen Ende der Taschen eine als Referenz dienende Markierung angebracht.
Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, daß derartige Filmhüllen vor dem Prioritätstag der Streitpatents in den Verkehr gebracht worden sind. Die Vorbekanntheit derartiger Behältnisse ist bereits im Einspruchsverfahren von der Technischen Beschwerdekammer (Beschl. v.
21. September 1995 - T 32/93, S. 6) als unbestritten behandelt worden. Für sie sprechen nicht nur die im Einspruchsverfahren zu den Akten des Europäischen Patentamts gereichten Unterlagen (= Anlagen E 2 bis 10), die nach den dort verwendeten Produktkennungen deutliche Indizien dafür liefern, daß das japanische Unternehmen D. International Co. Ltd. 1983 Eintaschmaterial für Filme, wie es in der Anlage K 6 dargestellt ist, u.a. in den "Japan Camera Trade News" von Mai 1983 beworben und in den Jahren 1982 und 1983 beispielsweise in die Schweiz geliefert hat. Vielmehr hat auch der Zeuge R. - ohne daß für ihn die Erheblichkeit dieser Umstände erkennbar war und daher glaubhaft - geschildert , daß er zu Beginn seiner Selbständigkeit mit einer Ende 1984 erworbenen und von ihm wieder instandgesetzten "Schrottmaschine" entsprechende Filmabschnitthüllen mit Ansteuerungsmarken für eine automatische Bestückung als Rollenware hergestellt und vertrieben hat.

b) In Kenntnis der vorbenutzten Diadoppeltaschenhüllen lag es für den Fachmann ebenso auf der Hand, daß er entsprechend aufgebaute Filmhüllen , wie sie etwa in dem Informationsblatt "Film Sleeves" dargestellt sind, bei geeigneter Dimensionierung auch für gerahmte Dias verwenden konnte, wie er umgekehrt ohne weiteres die vorbekannten Diadoppeltaschenhüllen, wenn er deren automatische Befüllung in Erwägung zog, mit Referenzmarken gemäß Merkmal 4 versehen konnte, wie sie ihm von den Filmhüllen bekannt waren.
Für diese Schlußfolgerung bedarf der Senat keiner sachverständigen Beratung , die wegen der Erkrankung des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nicht zur Verfügung gestanden hat. Denn aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehen die Kenntnisse fest, die dem Fachmann am Prioritätstag zur Verfügung standen. Weiterer Überlegungen, für die geklärt werden müßte, ob sie vom Durchschnittsfachmann nach seiner Aus-
bildung, seiner praktischen Erfahrung und seiner hierdurch bestimmten Metho- dik der Lösung technischer Probleme seines Fachgebiets erwartet werden konnten, bedurfte es nicht. Der gerichtliche Sachverständige hat indes in diesem Zusammenhang die Aufgabe, dem Gericht Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns sowie die Arbeitsweise zu vermitteln, mit der dieser technische Probleme seines Fachgebiets zu bewältigen trachtet. Die Beurteilung, ob die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann nach seinem festgestellten Wissen und Können nahegelegen hat, ist nicht Aufgabe des Sachverständigen. Sie ist ein Akt wertender Erkenntnis (Senat, BGHZ 128, 270, 275 - elektrische Steckverbindung), der dem Gericht obliegt.
III. Hilfsweise verteidigt die Beklagte Patentanspruch 1 in einer Fassung , bei der die Worte "as container housing mounted slides" durch die Wendung ersetzt sind "as container for automatic packaging of mounted slides". Auch in dieser - in zulässiger Weise beschränkten Fassung - kann Patentanspruch 1 jedoch keinen Bestand haben. Die Verwendung des Behältnisses zur automatischen Verpackung gerahmter Dias lag für den Fachmann gleichfalls nahe, wenn er die vorbekannten Filmhüllen, die nach der Aussage des Zeugen R. und ausweislich der Werbung in "Japan Camera Trade News" von Mai 1983 (Anl. E 10) bereits automatisch befüllt wurden ("film advance and sleeve feeding are automatically controlled by motor") und hierzu mit den Referenzmarken versehen waren, für Dias verwendete.
Es mag zwar zutreffen, daß die erfindungsgemäße Verwendung, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, gegenüber einer Einführung jedes Dias in eine Einzeltasche eine erhebliche Steigerung der Bestückungsgeschwindigkeit erlaubt. Ob vom Durchschnittsfachmann auch diese Erkenntnis erwartet werden konnte, ist jedoch unerheblich. Es genügt, daß es
für ihn überhaupt nahelag, die vorbekannten Behältnisse maschinell zu bestükken.
Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 in der Fassung des ersten Hilfsantrags der dem erteilten Patentanspruch 5 entsprechende Halbsatz angefügt werden "wherein each weld has a length less than the width of the folded strip and stops before the free edge of its two side portions". Hierfür gilt nichts anderes als für den ersten Hilfsantrag, denn die Filmhüllen, deren Verwendung für den erfindungsgemäßen Zweck für den Fachmann nahelag, weisen bereits Schweißnähte auf, die kürzer sind als die Breite des gefalteten transparenten Streifens und vor dessen freien Enden enden.
IV. Zu den Gegenständen der Unteransprüche 2 bis 4 konnte der Fachmann gleichfalls ohne erfinderische Tätigkeit finden. Sie entsprechen hinsichtlich der Ausgestaltung der Behältnisse ebenfalls dem Stand der Technik nach dem Informationsblatt "Film Sleeves". Auch die Beklagte macht insoweit für eine erfinderische Tätigkeit nichts geltend.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.