Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15

bei uns veröffentlicht am20.11.2015
vorgehend
Landgericht München I, 17 O 4292/10, 05.03.2015

Gericht

Oberlandesgericht München

Gründe

OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 10 U 1426/15

Im Namen des Volkes

Verkündet am 20.11.2015

17 O 4292/10 LG München I

Die Urkundsbeamtin …

In dem Rechtsstreit

1) …

- Kläger, Widerbeklagter und Berufungsbeklagter -

2) …

- Drittwiderbeklagter und Berufungsbeklagter -

3) …

- Drittwiderbeklagte und Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigter zu 1 - 3: Rechtsanwalt …

gegen

1) …

- Beklagter, Widerkläger und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …

2) …

- Beklagte, im Berufungsverfahren nicht beteiligt -

wegen Schadensersatz

erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … und die Richter am Oberlandesgericht … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2015 folgendes

Endurteil

I.

Die Berufung des Beklagten zu 1) und Widerklägers gegen das Endurteil des LG München I vom 05.03.2015 (Az. 17 O 4292/10) wird verworfen, soweit damit die Feststellung begehrt wird, dass die Widerbeklagten samtverbindlich verpflichtet sind, dem Widerkläger den aus den beim Unfall erlittenen Verletzungen zukünftig erwachsenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen und soweit begehrt wird, die Beklagten zu verurteilen, an den Widerkläger einen Kleiderschaden in Höhe von 53,43 € nebst Zinsen zu zahlen.

II.

Auf die Berufung des Beklagten zu 1) und Widerklägers wird das Endurteil des LG München I vom 05.03.2015 (Az. 17 O 4292/10) in Nr. 2. und 3. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

2. Die Widerbeklagten werden verurteilt, an den Beklagten zu 1) und Widerkläger samtverbindlich 4.721,70 € sowie weitere 513,45 € jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.03.2010 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 59% alleine, der Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten samtverbindlich 26% und der Beklagte zu 1) und Widerkläger 15% alleine.

Die außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz tragen die Parteien wie folgt:

- die des Klägers der Beklagte zu 1) und Widerkläger zu 15%,

- die der Drittwiderbeklagten der Beklagte zu 1) und Widerkläger zu 35%,

- die des Beklagten zu 1) und Widerklägers der Kläger alleine zu 59% sowie der Kläger und die Drittwiderbeklagten samtverbindlich zu weiteren 26%,

- die der Beklagten zu 2) der Kläger.

Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte zu 1) und Widerkläger 57% und der Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten samtverbindlich 43%.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.134,63 festgesetzt.

Gründe

A. Gegenstand des Rechtsstreits sind wechselseitige Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 01.09.2009 gegen 13.35 Uhr in U. auf der Kreuzung der M.-allee mit der G.-straße. Der Drittwiderbeklagte zu 2) kollidierte mit seinem Mercedes Sprinter beim Linksabbiegen mit dem die Kreuzung geradeaus überquerenden VW Crafter des Beklagten zu 1). Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 05.03.2015 (Bl. 249/260 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht München 1) gab nach Beweisaufnahme der Widerklage auf der Grundlage einer alleinigen Haftung des Klägers und der Drittwiderbeklagten teilweise statt. Ausgehend vom Gutachten des Sachverständigen Dr. med. M. ging es davon aus, dass der Beklagte zu 1) u. a. eine schwere Kontusion des rechten Kniegelenks mit Knorpelschädigung erlitt, verneinte aber einen Dauerschaden und wies das Feststellungsbegehren hinsichtlich des Zukunftsschadens ab.

Hinsichtlich der weiteren Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses dem Widerkläger am 20.03.2015 zugestellte Urteil hat der Widerkläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 19.04.2015 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt (Bl. 269/270 d. A.) und diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 11.05.2015 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 275/276 d. A.) begründet. Der Widerkläger rügt, dass angesichts der Dauer der Genesung, der durch den Unfall verursachten Einschränkungen und erlittenen Schmerzen das bestimmte Schmerzensgeld zu gering bemessen sei, während der Krankschreibung Einkommenseinbußen entstanden und auszugleichen und die Kosten für die Erholung der Deckungszusage bei der Rechtschutzversicherung zu erstatten seien.

Der Widerkläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

die Widerbeklagten über den ausgeurteilten Betrag hinaus zu verurteilen, weitere 2.275,13 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2010 sowie weitere 747,80 € an den Widerkläger zu zahlen

sowie festzustellen, dass die Widerbeklagten als Gesamtschuldner auch verpflichtet sind, die dem Widerkläger aus den bei dem Unfall erlittenen Verletzungen zukünftig erwachsenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat nach Erteilung von Hinweisen (Verfügung vom 27.07.2015, Bl. 277/278 d. A. sowie vom 03.09.2015, Bl. 282 d. A.) im Termin vom 30.10.2015 den Sachverständigen Dr. med. M. ergänzend und den Widerkläger informatorisch angehört. Auf die Sitzungsniederschrift vom 30.10.2015 (Bl. 289/292 d. A.) wird verwiesen.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift und die Berufungserwiderung vom 29.08.2015 (Bl. 279/281 d. A.) Bezug genommen.

B. I. Hinsichtlich des abgewiesenen Feststellungsbegehrens sowie des Kleiderschadens (53,43 € nebst Zinsen) ist die Berufung unzulässig, da es insoweit an einer Berufungsbegründung fehlt. Eine Berufung, deren Begründung nicht den Anforderungen des § 520 III ZPO genügt, ist unzulässig und nach § 522 I ZPO zu verwerfen. Der Berufungsführer hat seinen Antrag nicht auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 520 III 2 Nr. 4 ZPO gestützt und auch nicht nach § 520 III 2 Nr. 2 und 3 ZPO konkret angeben, aus welchen Gründen er das angefochtene Urteil in Ziffer I.5. für unrichtig hält. Die pauschale Bezugnahme auf den Sachvortrag oder die Rechtsausführungen I. Instanz stellt keine ausreichende Berufungsbegründung dar (BGH, Urt. v. 29.09.2003 - II ZR 59/02 Rn. 12 = NJW 2004, 66, 67). Der Berufungskläger muss konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb ausnahmsweise eine neue Feststellung gebieten oder, wenn er sich gegen eine ihm nachteilige Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts wendet, deutlich machen, dass und aus welchen Gründen er die Beweiswürdigung für unrichtig hält (BGH Beschl. v. 11.03.2014, Az. VI ZB 22/13 [Juris]). Vorliegend geht das Landgericht erkennbar davon aus, dass es am Knie zu keinem Dauerschaden kam und deshalb auch die bloße Möglichkeit künftiger Folgeschäden nicht besteht. Die Berufungsbegründung setzt sich damit nicht auseinander. Auch zum abgewiesenen Kleiderschaden ermangelt es der Berufung jeglicher Begründung.

II. Die im Übrigen statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und auch begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Widerklägers auf weiteres Schmerzensgeld und Verdienstausfall verneint.

a) Zum Schmerzensgeld: Aufgrund der Anhörung des Widerklägers vor dem Senat ist dieser der Überzeugung, dass der Kläger bei starker Belastung, etwa längerem Stehen auf einer Leiter oder längerer Autofahrt auch heute noch unter leichten Schmerzen im Kniegelenk leidet. Dies hat er bereits bei der Anamnese vor dem medizinischen Sachverständigen so angegeben, was von diesem auch als plausibel erachtet wird, da der Kläger bei dem Unfall einen Knorpelschaden erlitt. Der Sachverständige führte aus, dass bei der klinischen Untersuchung 5 Jahre nach dem Unfall keinerlei funktionelle Einschränkungen bestanden und auch keine arthrotische Entwicklung eingetreten war, die Schmerzen - von deren Vorhandensein der Senat aufgrund der Angaben des Klägers überzeugt ist - aber wahrscheinlich dem Unfall zuzuordnen sind (§ 287 ZPO). Der Senat hält daher ein Schmerzensgeld von insgesamt 4.000 € für angemessen.

b) Zum Verdienstausfall: Der Berufungsführer hat unter Vorlage der Gehaltsabrechnungen erläutert, dass im Oktober noch (teilweise) Entgeltfortzahlung erfolgte und im November das zusätzliche Jahresgehalt ausbezahlt wurde und aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich auch die vorgetragene Krankschreibung, auf die der Arbeitnehmer vertrauen darf und vorliegend vertraut hat. Nach Abzug des Krankengeldes verbleibt ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 721,70 €.

2. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergeben sich aus dem berechtigten höheren Streitwert in Höhe von 489,45 €. Hinzu kommen die bereits zugesprochenen 24 € Akteneinsichtskosten.

3. Die Kosten für die Erholung der Deckungszusage sind nur erstattungsfähig, wenn die anwaltliche Einschaltung erforderlich und zweckmäßig war, vgl. BGH NJW 2011, 122; 2011, 296; 2912, 296; OLG Saarbrücken, SP 2015, 49. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Senat ist entgegen seiner in der Hinweisverfügung anlässlich der Terminierung angedeuteten Ansicht der Auffassung, dass es dem Beklagten zu 1) trotz der Geltendmachung seiner Ansprüche im Rahmen einer Widerklage als nach der StVO grundsätzlich gegenüber dem Linksabbieger Bevorrechtigtem zumutbar war, zunächst selbst um Deckungszusage bei seiner Rechtsschutzversicherung nachzufragen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 2, 97 I, 100 II, IV ZPO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.

VI. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e
Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

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Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2014 - VI ZB 22/13

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Sept. 2003 - II ZR 59/02

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1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15.

Oberlandesgericht München Endurteil, 20. Nov. 2015 - 10 U 1426/15

bei uns veröffentlicht am 20.11.2015

Gründe OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN Aktenzeichen: 10 U 1426/15 Im Namen des Volkes Verkündet am 20.11.2015 17 O 4292/10 LG München I Die Urkundsbeamtin … In dem Rechtsstreit 1) … - Kläger,

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 59/02 Verkündet am:
29. September 2003
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein über zwei Jahre hinausgehendes nachvertragliches Wettbewerbsverbot für
einen aus einer Freiberuflersozietät ausgeschiedenen Gesellschafter verstößt in
zeitlicher Hinsicht gegen § 138 BGB, weil sich nach einem Zeitraum von zwei
Jahren die während der Zugehörigkeit zur Gesellschaft geknüpften Mandantenverbindungen
typischerweise so gelöst haben, daß der ausgeschiedene Partner
wie jeder andere Wettbewerber behandelt werden kann (vgl. Sen.Urt. v. 8. Mai
2000 - II ZR 308/98, WM 2000, 1496, 1498).
BGH, Urteil vom 29. September 2003 - II ZR 59/02 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 29. September 2003 durch die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer,
Münke, Dr. Gehrlein und Dr. Strohn

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Januar 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 21. März 2001 hinsichtlich des Hilfsantrags abgewiesen hat.
Auf die Berufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Koblenz unter Abweisung des Hilfsantrags im übrigen dahin geändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger über die ausgeurteilten 2.456,10 DM nebst Zinsen hinaus weitere 79.761,53 156.000,00 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 2000 zu zahlen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 40 % dem Kläger und zu 60 % der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Parteien sind Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Sie waren alleinige Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts "Dr. H. und Partner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater", aus der die Beklagte zum 28. Februar 1998 ausschied. Der Auseinandersetzungsvertrag der Parteien vom 3. April 1998 enthält u.a. die Verpflichtung der Beklagten, "für die Dauer von fünf Jahren nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft weder im Rahmen einer eigenen Praxis noch im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses unmittelbar oder mittelbar für solche Auftraggeber tätig zu werden, die in den letzten zwei Jahren vor ihrem Ausscheiden Auftraggeber der Gesellschaft waren". Die Beklagte erhielt im Hinblick auf das langjährige Wettbewerbsverbot eine Karenzentschädigung von 260.000,00 DM.
Mandantin der Gesellschaft war die Modeboutique C., mit deren Inhaberin die Beklagte befreundet ist und die sie selbst seinerzeit als Mandantin der Gesellschaft gewonnen hatte. Nach ihrem Ausscheiden hat die Beklagte dieses Mandat selbst wahrgenommen. Hierin sieht der Kläger einen Verstoß gegen das vereinbarte Wettbewerbsverbot. Er hat die Beklagte, gestützt auf eine für den Fall der Mandatsübernahme im Auseinandersetzungsvertrag getroffene Regelung, auf Zahlung von 2.456,10 DM in Anspruch genommen und außerdem beantragt, sie zu verurteilen, die steuerliche Beratung der Inhaberin der Modeboutique, insbesondere die Erstellung von Steuererklärungen und Jahresabschlüssen für sie oder ein in ihrem Vermögen befindliches Einzelunternehmen zu unterlassen; hilfsweise hat er beantragt, die Beklagte zur Rückzahlung der Entschädigung von 260.000,00 DM nebst Zinsen zu verurteilen, und sich dabei auf § 5 Nr. 7 der Auseinandersetzungsvereinbarung berufen, die be-
stimmt, daß bei gerichtlich festgestellter gänzlicher oder teilweiser Unwirksamkeit der Wettbewerbsklausel die Entschädigung zurückzuzahlen ist.
Das Landgericht hat dem Antrag auf Zahlung der Vertragsstrafe stattgegeben. Das Unterlassungsbegehren hat es mit der Begründung abgewiesen, das Wettbewerbsverbot sei unwirksam, soweit es den - bei Urteilserlaß bereits verstrichenen - Zeitraum von zwei Jahren übersteige. Über den Hilfsantrag hat das Landgericht nicht entschieden. Es hat nämlich angenommen, der Kläger habe diesen Antrag unter die - nach seinem Urteil nicht eingetretene - Bedingung gestellt, daß das Wettbewerbsverbot insgesamt als unwirksam behandelt werde.
Das Oberlandesgericht hat die gegen die Abweisung von Unterlassungsund Hilfsantrag eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens übereinstimmend für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist hinsichtlich des Hilfsantrags teilweise begründet und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung der Beklagten in Höhe von 79.761,53 156.000,00 DM); im übrigen war sie bis zur Erledigungserklärung unbegründet.
I. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot nur für eine Dauer von zwei Jahren Wirksamkeit beanspruchen konnte.

Nach der Rechtsprechung des Senats zu nachvertraglichen Wettbe- werbsverboten verstoßen derartige Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit nur dann nicht gegen § 138 BGB, wenn sie räumlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten (Sen.Urt. v. 8. Mai 2000 - II ZR 308/98, WM 2000, 1496, 1498; v. 14. Juli 1997 - II ZR 238/96, WM 1997, 1707; v. 29. Januar 1996 - II ZR 286/94, NJW-RR 1996, 741, 742). Wettbewerbsverbote sind nur gerechtfertigt, soweit und solange sie erforderlich sind, um die Partner des aus einer Gesellschaft Ausgeschiedenen vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge der gemeinsamen Arbeit oder vor einem Mißbrauch der Ausübung der Berufsfreiheit zu schützen. Da sich die während der Zugehörigkeit zur Gesellschaft geknüpften Verbindungen typischerweise nach einem Zeitraum von zwei Jahren so gelöst haben, daß der ausgeschiedene Partner wie jeder andere Wettbewerber behandelt werden kann, überschreitet ein über zwei Jahre hinausgehendes Wettbewerbsverbot das in zeitlicher Hinsicht notwendige Maß (vgl. Sen.Urt. v. 8. Mai 2000 aaO).
Für den vorliegenden Fall gilt entgegen der Ansicht der Revision nichts anderes. Er unterscheidet sich von den der zitierten Senatsrechtsprechung zugrundeliegenden Fällen zwar dadurch, daß das Wettbewerbsverbot nicht bei Gründung oder während des Bestehens der Sozietät, sondern erst in dem Vertrag vereinbart wurde, mit dem die Parteien ihre Gesellschaft auseinander setzten. Diesen Unterschied hat das Berufungsgericht jedoch mit Recht für unerheblich gehalten, weil er für die Frage der mit Rücksicht auf Art. 12 GG notwendigen zeitlichen Beschränkung eines - wie hier weiteren rechtlichen Bedenken nicht begegnenden - Wettbewerbsverbots ersichtlich keine Rolle spielen kann. Insoweit ist allein der Zeitraum maßgeblich, in dem sich Bindungen aus der Zeit der Gesellschaftszugehörigkeit nach deren Beendigung so zu lockern
pflegen, daß ein über diesen Zeitraum hinausgehendes Wettbewerbsverbot mit den guten Sitten nicht mehr zu vereinbaren ist.
Auch die von dem verbleibenden Gesellschafter übernommene wettbewerbsbeschränkende Verpflichtung, fünf Jahre lang nicht für Auftraggeber tätig zu werden, die ihren Firmensitz am Wohn- und Tätigkeitsort der Beklagten in B. M. haben (§ 5 Nr. 3 aaO), rechtfertigt es nicht, ein über zwei Jahre hinausgehendes Wettbewerbsverbot für die Beklagte hier ausnahmsweise als wirksam zu erachten. Diese Verpflichtung der Gesellschaft ändert nichts daran, daß das Wettbewerbsverbot nicht über den zur Durchsetzung seines anzuerkennenden Zwecks erforderlichen Zeitrahmen hinaus ausgedehnt werden darf und dieser Zeitrahmen sich allein nach der Dauer der aus der Tätigkeit der Beklagten für die Gesellschaft nachwirkenden Verbindungen bestimmt. Für diese kommt es auf etwaige von der Gesellschaft im Gegenzug für das von der Beklagten übernommene Wettbewerbsverbot eingegangene Verpflichtungen, für die im übrigen ebenfalls die Zwei-Jahres-Grenze gilt, nicht an.
Grundsätzliche Bedenken gegen eine auf höchstens zwei Jahre begrenzte Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit macht die Revision mit Recht nicht geltend, ergibt sich doch gerade aus der in Rede stehenden Wettbewerbsvereinbarung der Parteien, daß auch sie von einer weitgehenden Lockerung der während der Gesellschaftszugehörigkeit geknüpften Verbindungen der Beklagten nach zwei Jahren ausgingen. Die Mandantenschutzklausel betrifft nur die Auftraggeber, die sich in den letzten zwei Jahren vor dem Ausscheiden der Beklagten durch die Gesellschaft in steuerlichen Dingen haben beraten lassen.
II. Das Berufungsgericht hat dem Hilfsantrag des Klägers den Erfolg ver- sagt, weil es insofern an jeglichem Berufungsangriff fehle und die in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz nachgeschobene kurze Begründung hierfür nicht ausreiche. Das hält den Angriffen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die im vorliegenden Fall an die Berufungsbegründung zu stellen sind, überspannt und sich damit den Weg zu der gebotenen Sachentscheidung verstellt.
1. Die pauschale Bezugnahme auf den Sachvortrag oder die Rechtsausführungen erster Instanz stellt zwar grundsätzlich keine ausreichende Berufungsbegründung dar (allgemeine Ansicht, vgl. Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. § 520 Rdn. 40 m.w.N.). Sie ist jedoch ausnahmsweise hinsichtlich solchen Vorbringens zulässig, das in erster Instanz aus Rechtsgründen nicht behandelt wurde, als rechtlich unerheblich oder unsubstantiiert behandelt oder gänzlich übergangen wurde (Zöller/Gummer aaO). Ein solcher Fall liegt hier vor, so daß es ausnahmsweise unschädlich ist, daß der Kläger den Punkt nicht ausdrücklich , sondern nur durch Verweisung auf seinen erstinstanzlichen Vortrag angesprochen hat. Nach dem von dem Landgericht in seiner Entscheidung selbst dargestellten Vorbringen des Klägers konnte für das Berufungsgericht nicht zweifelhaft sein, daß er - wenn er mit seinem näher ausgeführten Berufungsangriff betreffend die angebliche Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots nicht durchdringen sollte - zumindest die für ein fünfjähriges Wettbewerbsverbot gezahlte Karenzentschädigung ganz oder teilweise zurückfordern wollte. Über den Antrag und die Bezugnahme auf den Vortrag aus erster Instanz hinaus mußte der Kläger hier nichts vortragen.
2. Der Hilfsantrag ist teilweise, nämlich in Höhe von 156.000,00 DM = 79.761,53 % Zinsen seit Rechtshängigkeit begründet.

Das Rückzahlungsverlangen des Klägers steht nicht unter der Bedingung , daß das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot insgesamt unwirksam ist. Die gegenteilige Annahme des Landgerichts beruht auf einer schon vom Wortlaut des Vertrages nicht nahegelegten, im übrigen die Regelung des § 5 Nr. 7 der Auseinandersetzungsvereinbarung übergehenden und die Interessen des Klägers gänzlich außer acht lassenden Auslegung seines Vorbringens. Nach ihr könnte der Kläger mit dem ausdrücklich im Vertrag bedungenen Recht zur Rückforderung der Karenzentschädigung gerade dann nicht, auch nicht teilweise, durchdringen, wenn das Wettbewerbsverbot - nur - teilunwirksam sein sollte, die Beklagte also nur für kürzere Zeit als vorgesehen wettbewerbsrechtlich gebunden war.
Der Kläger kann Rückzahlung von drei Fünfteln der an die Beklagte für das vereinbarte Wettbewerbsverbot gezahlten Entschädigung verlangen. Die vorstehend erwähnte Bestimmung der Auseinandersetzungsvereinbarung rechtfertigt die Rückforderung der gesamten Entschädigung trotz nur teilweiser Unwirksamkeit des Verbots nicht. Die der Beklagten gezahlte Entschädigung war zur Abgeltung des für die Dauer von fünf Jahren vereinbarten Wettbewerbsverbots bestimmt. Da das Verbot für eine Dauer von zwei Jahren Wirksamkeit beanspruchen konnte, kann der Beklagten für diesen Zeitraum eine Entschädigung nicht abgesprochen werden. Der Kläger hat daher nur Anspruch auf Rückzahlung desjenigen Teils der Entschädigung, der auf die drei Jahre entfällt, in denen das Verbot nach zutreffender Auffassung der Vorinstanzen nicht mehr wirksam war, also auf drei Fünftel des Gesamtbetrages der Entschädigung , mithin 156.000,00 DM.
Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe das Wettbewerbsverbot während der gesamten Zeitspanne von fünf Jahren beachtet. Dies ist nicht nur in der Revisionsinstanz unzulässiger neuer Vortrag, sondern steht auch in Widerspruch dazu, daß die Beklagte, wie u.a. aus ihrem Klagabweisungsantrag ersichtlich ist, die Gültigkeit des Wettbewerbsverbots in erster Linie in Abrede genommen, allenfalls dessen Gültigkeit für zwei Jahre als denkbar hingestellt hat.
Goette Kraemer Münke
Gehrlein Strohn

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 22/13
vom
11. März 2014
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zu den Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung.
BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13 - OLG Frankfurt am Main
LG Gießen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, den Richter Pauge, die
Richterin von Pentz und den Richter Offenloch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juni 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 12.000 €

Gründe:

I.

1
Die 1997 geborene Klägerin litt seit ihrer Geburt an einer Fibulaaplasie des rechten Beins. Die im Jahr 2003 im Gelenkzentrum W. versuchte operative Behebung der Beinlängendifferenz hatte letztlich keinen Erfolg. Nach zunehmender Verbiegung des rechten Unterschenkels suchte die Klägerin im Oktober 2004 die Notfallambulanz der A. Klinik W. auf. Dort wurde eine Grünholzfraktur diagnostiziert und mittels einer Plattenosteosynthese versorgt. Die Weiterbe- handlung erfolgte durch den Beklagten zu 1 im Klinikum S., dessen Trägerin die Beklagte zu 2 ist. Bei der Erstvorstellung wurden neben einer Beinlängendifferenz eine Valgusfehlstellung und eine X-Beinfehlstellung des rechten Unterschenkels von 40° diagnostiziert. Der Beklagte zu 1 stimmte mit den Eltern der Klägerin eine Behandlung in zwei Schritten ab. Eine zunächst vorzunehmende Achskorrektur sollte die Belastungsfähigkeit des Beins gewährleisten; anschließend sollte in einem zweiten Schritt die Beinlängenverlängerung wieder aufgenommen werden. Mit der Verlängerung des rechten Unterschenkels wurde im Oktober 2004 begonnen. Am 28. Januar 2005 wurde sie bei einer radiologisch gemessenen Verlängerung um 1,5 cm eingestellt. Die weitere Behandlung dauerte bis Mai 2007. Am 5. Oktober 2007 unterzog sich die Klägerin im Universitätsklinikum F. einer neuerlichen achskorrigierenden Operation des Unterschenkels , bei der u.a. der bis dahin noch nicht durchtrennte Fibulastrang des rechten Beins durchtrennt wurde.
2
Die Klägerin macht geltend, die Behandlung durch den Beklagten zu 1 sei in mehrerlei Hinsicht fehlerhaft gewesen. Nach Einholung eines gerichtlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. hat sie unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten von Dr. C. u.a. geltend gemacht, ohne eine Durchtrennung des Fibulastrangs hätten die Korrekturmaßnahmen keinen Erfolg haben können. Angesichts der problembehafteten Vorgeschichte sei es ferner behandlungsfehlerhaft gewesen, nur die Fehlstellung des Unterschenkels zu therapieren , statt eine Gesamtkorrektur der Beinachse vorzunehmen. Bei der anschließenden Behandlung und Versorgung seien dem Beklagten zu 1 weitere Behandlungsfehler unterlaufen.
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Die Klägerin begehrt im Wege der Leistungs- und Feststellungsklage Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, das Landge- richt sei unkritisch den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gefolgt , ohne sich mit dem Privatgutachten von Dr. C. auseinanderzusetzen. Das Landgericht habe es versäumt, trotz der Widersprüche zwischen dem Privatund dem Gerichtsgutachten auch den Privatgutachter anzuhören oder ein weiteres , von ihr beantragtes Sachverständigengutachten einzuholen, hilfsweise den gerichtlichen Sachverständigen mit einer Ergänzung seines Gutachtens zu beauftragen.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden sei. Die Berufungsbegründung zeige nicht auf, dass die Entscheidung des Landgerichts auf einer unzureichenden Würdigung und Auseinandersetzung mit dem Privatgutachten beruhe. Es seien auch keine konkreten Anhaltspunkte dargelegt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung des Landgerichts begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten. Nicht ersichtlich sei, welche Feststellungen angegriffen würden und welche Folgerungen daraus zu ziehen seien. Das Landgericht habe sich erkennbar mit dem Gutachten von Dr. C. auseinandergesetzt. Es habe den gerichtlichen Sachverständigen beauftragt, in einem Ergänzungsgutachten zu dem Privatgutachten Stellung zu nehmen. In der mündlichen Verhandlung sei der gerichtliche Sachverständige detailliert zu dem Privatgutachten befragt worden. Er habe nachvollziehbar erklärt, warum er keine Abweichung von dem fachärztlichen Standard sehe. Selbst der Privatgutachter beschreibe in seiner Zusammenfassung im Ergänzungsgutachten lediglich eine Vielzahl von kleinen Problemen, auf die seiner Ansicht nach keine adäquate Antwort gefunden worden sei. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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a) Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.
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aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleiten. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung , ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2012 - III ZB 24/12, NJW 2012, 3581 Rn. 8 mit zahlreichen Nachweisen).
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bb) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2003 - XII ZB 165/02, VersR 2004, 1064, 1065 und vom 26. Februar 2009 - III ZB 67/08, juris Rn. 11). Konkrete Anhaltspunkte , welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 272).
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b) Die Berufungsbegründung der Klägerin genügt sowohl den Erfordernissen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO als auch denen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO.
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aa) Die Klägerin hat geltend gemacht, das Landgericht sei unkritisch den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen gefolgt, ohne sich mit den Einwendungen aus den vorgelegten Privatgutachten von Dr. C. auseinanderzusetzen , der die Behandlung durch den Beklagten zu 1 in mehrerlei Hinsicht als fehlerhaft bewertet habe. Darin liegt die Rüge des Verfahrensfeh- lers einer unvollständigen Beweiswürdigung (Verstoß gegen § 286 ZPO).
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bb) Mit dieser Rüge hat die Klägerin hinreichend konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten können. Das Gericht hat in Arzthaftungsprozessen die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93, VersR 1994, 480, 482; vom 10. Mai 1994 - VI ZR 192/93, VersR 1994, 984, 986; vom 9. Januar 1996 - VI ZR 70/95, VersR 1996, 647, 648; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95, VersR 1996, 1535, 1536; vom 28. April 1998 - VI ZR 403/96, VersR 1998, 853, 854; vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00, VersR 2001, 525, 526; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 408/99, VersR 2001, 783, 784 und vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 791; Senatsbeschluss vom 21. Januar 2009 - VI ZR 170/08, VersR 2009, 499 Rn. 7). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden , dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH, Urteile vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03, VersR 2005, 676, 677 f. und vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06, VersR 2008, 1676 Rn. 11, jeweils mwN).
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cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren nähere Darlegungen zu Zweifeln an den getroffenen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) auch nicht deshalb geboten, weil das Landgericht den gerichtlichen Sachverständigen beauftragt gehabt habe, in einem Ergänzungsgutachten zu dem Privatgutachten Stellung zu nehmen, und der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung detailliert zu dem Privatgutachten befragt worden sei. Das Ergänzungsgutachten und das Ergebnis der mündlichen Erörterung mögen für das Gericht überzeugend gewesen sein. In den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils wird dazu jedoch nichts ausgeführt. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb das Gericht hinsichtlich der entscheidenden medizinischen Fragen dem gerichtlichen Gutachten den Vorzug gegenüber dem Privatgutachten gegeben hat. Diesen Mangel hat die Klägerin mit der Berufungsbegründung gerügt. Die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben, sind mit dieser Rüge hinreichend bezeichnet. Damit genügte die Berufungsbegründung den Anforderungen für die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO). Für die Zulässigkeit der Berufung ist dagegen nicht erforderlich , dass die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung ) gibt (BGH, Beschluss vom 13. September 2012 - III ZB 24/12, aaO Rn. 11).

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3. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Galke Diederichsen Pauge von Pentz Offenloch
Vorinstanzen:
LG Gießen, Entscheidung vom 30.11.2012 - 3 O 261/09 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 03.06.2013 - 8 U 1/13 -

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.