Oberlandesgericht München Urteil, 14. Sept. 2018 - 10 U 629/17
vorgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin vom 22.02.2017 gegen das Endurteil des LG Ingolstadt vom 13.01.2017 (Az. 41 O 2171/14 (richtigerweise: 41 O 2181/14)) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
„Der Verzicht und Erlaß erstreckt sich auch auf etwaige Ansprüche wegen heute noch nicht voraussehbarer und unerwarteter Folgen gleich welcher Art. Ich/Wir erkläre(n) mich/uns für vollständig und vorbehaltlos abgefunden.“
„Vorbehalten bleibt nur der unfallbedingt materielle zukünftige Schaden, soweit nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen, unter Beschränkung auf die Versicherungssumme.“
„Wie heute besprochen, sind wir bereit, hinsichtlich unfallbedingter materieller Schadensersatzansprüche Ihrer Mandantin auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, zeitlich begrenzt bis 30.06.2013, soweit die Ansprüche nach dem 17.09.1996 entstanden sind und Verjährung noch nicht eingetreten ist. Dies ohne Präjudiz und Anerkenntnis sowie unter Vorbehalt sämtlicher Einreden und Einwendungen im Übrigen, unter Beschränkung auf die Deckungssumme und soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.“
das Urteil des LG Ingolstadt, Az.: 41 O 2181/14, verkündet am 13.01.2107, wie folgt abzuändern:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches einen Betrag von € 15.000,00 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche immateriellen am 15.11.1981 für einen Mediziner nach damaligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersehbaren Schäden zu ersetzen, die ursächlich auf das Unfallereignis vom 15.11.1981 auf der Konrad-Adenauer-Brücke in I. zurückzuführen sind.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Verdienstausfallschaden für den Zeitraum 01.01.2008 bis 31.07.2015 in Höhe von € 172.292,36 brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 5.615,13 brutto seit 01.01.2009, € 33.262,23 brutto seit 01.01.2010, € 65.319,19 brutto seit 01.01.2011, € 89.793,83 brutto seit 01.01.2012, € 111.515,45 brutto seit 01.01.2013, € 134.246,56 brutto seit 01.01.2014, € 157.897,31 brutto seit 01.01.2015 und aus € 172.292,36 brutto seit 01.08.2015 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.08.2015 bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze alle weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ursächlich auf das Unfallereignis vom 15.11.1981 auf der Konrad-Adenauer-Brücke in I. zurückzuführen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
„Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, in dem unter anderem die dem Verletzten geschuldete Verdienstausfallrente kapitalisiert wird, dass er in der Regel mehr ist als eine bloße technische Zusammenfassung zukünftig zu erwartender Renten. Wer als Geschädigter eine Kapitalabfindung wählt, nimmt das Risiko in Kauf, dass die für ihre Berechnung maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Seine Entscheidung für die Abfindung wird er in der Regel deswegen treffen, weil es ihm aus welchen Gründen auch immer vorteilhafter erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben. Dafür verzichtet er auf die Berücksichtigung zukünftiger, ungewisser Veränderungen, soweit sie sich zu seinen Gunsten auswirken könnten. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung die Schadensabwicklung für ihn ein für alle Mal erledigt ist. Dafür nimmt er bei der Berechnung des zu zahlenden Kapitals auch für ihn bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung in Kauf. Das so zwischen den Parteien gefundene Ergebnis kann deshalb nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn eine der Vergleichsparteien aufgrund künftiger, nicht voraussehbarer Entwicklungen feststellt, dass ihre Beurteilungen und die Einschätzung der möglichen künftigen Änderungen nicht zutreffend waren (vgl. BGH Urteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; Staudinger/Peter Marburger, aaO, m.w.N.). Diese den Interessen beider Parteien dienende Funktion könnten Abfindungsvergleiche nicht erfüllen, wenn jede Veränderung im Gefüge der Sozialleistungen zu einer Störung der Vergleichsgrundlage führte. Zwar setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage ohnehin eine schwerwiegende Veränderung der zur Vertragsgrundlage gewordenen Umstände voraus (vgl. jetzt § 313 Abs. 1 BGB). Auch auf eine schwerwiegende Veränderung kann sich der Geschädigte - ebenso wie auf der anderen Seite der Schädiger - indes nicht berufen, soweit er das Risiko übernommen hat.“
„In Beantwortung Ihres obigen Schreibens teile ich Ihnen mit, daß sich am Befund gegenüber dem Vorgutachten, insbes. vom 28.2.89, keine Änderung ergeben hat. Eine erneute Röntgenaufnahme der Hüftgelenke hat nicht stattgefunden. Eine zu befürchtende posttraumatische Coxathrose ist bisher nicht feststellbar. Ausgeschlossen werden kann dieser Gelenkverschleiß jedoch nicht, da ja auch 10 Jahre nach Unfall dieser auftreten könnte. Empfehlenswert wäre eine jetzt neue Röntgenkontrolle des Hüftgelenkes.“
f) Der Beklagten ist schließlich auch nach dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Streitfall nicht verwehrt, sich auf die Verjährung der Ansprüche zu berufen. Die Erhebung der Verjährungseinrede kann nur unter strengen Voraussetzungen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2008 - IX ZR 145/06 [juris, Rn. 2]) rechtsmissbräuchlich sein (BGH NJW 1981, 2243: „... tritt der Haftpflichtversicherer ... in Regulierungsverhandlungen ein und gibt ... zu erkennen, dass er den Haftpflichtanspruch nur mit materiellen Einwendungen bekämpfen werde...“), beispielsweise wenn der Ersatzpflichtige durch seine Zahlungen den Geschädigten von Klageerhebung (BGH NJW-RR 1991, 1033) oder sonstiger Antragstellung abgehalten, oder die Kenntnis der Sozialversicherungsträger von ihrer Eintrittspflicht verhindert (BGH NJW 2008, 2776), oder sonst widersprüchliches Verhalten gezeigt hat. Solche Umstände sind nicht ersichtlich, und werden im Übrigen von der Berufung nicht vorgetragen.
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang haften, schwere Verletzungen, die zur Erblindung auf beiden Augen führten. Am 8. Dezember 2000 unterzeichnete der Kläger eine Abfindungserklärung , in der er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM "für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche , seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar, (…) endgültig und vorbehaltlos abgefunden" zu sein. In dem Formular, welches die Erklärung enthält, ist in einer Aufstellung möglicher unfallbedingter Drittleistungen angekreuzt, dass der Kläger Leistungen der Beihilfe und einer privaten Krankenversicherung sowie Landesblindengeld erhalte. Der Kläger bezog aufgrund des Unfallereignis- ses Leistungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Hinblick auf den Wegfall bzw. die Reduzierung des ihm gewährten Landesblindengeldes trotz der Abfindungserklärung weiteren Schadensersatz verlangen kann. Der Kläger ist der Auffassung, durch die Reduzierung des Landesblindengeldes im Jahr 2004 (von 510,00 € auf 409,00 €), dessen vollständige Streichung ab Januar 2005 sowie die erneute Einführung des Landesblindengeldes in Höhe von 220,00 € ab Januar 2007 sei die Geschäftsgrundlage für den Abfindungsvergleich entfallen. Dazu behauptet er, bei den Verhandlungen über die Abfindungssumme sei von der Beklagten zu 2 immer wieder auf den Bezug des Blindengeldes hingewiesen worden, wobei die Parteien davon ausgegangen seien, dass der Kläger das Blindengeld bis zum Tode beziehen werde; dies sei maßgeblicher Faktor für die Bemessung der Abfindungssumme gewesen. Er verlangt mit der Klage für die Jahre 2004 bis 2006 Zahlung der jeweils ausgefallenen (Differenz-) Beträge und für die Zeit ab 2007 Feststellung der entsprechenden Ersatzpflicht der Beklagten.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Entscheidungsgründe:
I.
- 3
- Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2007, 522 f. veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger sei nicht berechtigt, eine Anpassung des Abfindungsvergleichs nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Durch den mit der Erklärung des Klägers vom 8. Dezember 2000 zustande gekommenen Abfindungsvergleich hätten alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollen. Eine Änderung der Geschäftsgrundlage, welche eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheinen lasse, oder eine Äquivalenzstörung, welche für den Geschädigten nach den Gesamtumständen eine ungewöhnliche Härte bedeuten würde, lägen nicht vor.
- 4
- Wer eine Kapitalabfindung wähle, nehme das Risiko in Kauf, dass maßgebliche Berechnungsfaktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhten. Der Schädiger dürfe sich darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung, die gerade auch zukünftige Entwicklungen einschließen solle, die Sache für ihn ein für allemal erledigt sei. Zu den in Kauf genommenen Risiken, deren Realisierung nicht zu einer Anpassung nach den Prinzipien der Störung der Geschäftsgrundlage führe, gehörten auch Änderungen in Leistungsstrukturen , in die der Geschädigte im Verhältnis zu Dritten (Behörden, Krankenkassen etc.) eingebettet sei. Seien diese Leistungsverhältnisse bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nur als Positionen gesehen worden, komme es nicht darauf an, ob die Parteien mögliche Änderungen in ihre Vorstellungen mit einbezogen hätten oder nicht. Maßgebend sei vielmehr, ob es sich um Änderungen handele, die so überraschend seien, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können.
- 5
- Um derartige Änderungen handele es sich bei Kürzung und Wegfall des Landesblindengeldes nicht. Hierfür spreche vor allem der Charakter des Landesblindengeldes. Es gewähre den Blinden angesichts der mit der Erblindung einhergehenden schweren Belastung unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation und ihrer konkreten krankheitsbedingten Beeinträchtigungen eine pauschale finanzielle Unterstützung. Angesichts der haushaltsrechtlichen Lage des Landes sei es nicht überraschend gewesen, dass der Landesgesetzgeber derartige freiwillige Leistungen überprüfe und deren weitere Gewährung von fiskalischen Erfordernissen abhängig mache. Der mögliche Eintritt solcher fiskalischer Zwänge sei bereits bei Abschluss des Vergleichs im Jahr 2000 voraussehbar gewesen. Deshalb sei es auch aus der damaligen Perspektive nicht als völlig überraschende Entwicklung anzusehen, dass das Landesblindengeld gekürzt bzw. vollständig gestrichen werden würde. Darauf, ob der - bestrittene - Vortrag des Klägers zum Verlauf der Verhandlungen vor Abschluss des Abfindungsvergleichs zutreffe, komme es danach nicht an.
- 6
- Der offenbar auf § 7 Abs. 3 Nds. LandesblindengeldG gestützte Übergang der Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten auf den für die Zahlung des Blindengeldes zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe sei für die Entscheidung nicht relevant. Aufgrund des Forderungsübergangs habe die Beklagte zu 2 an den zuständigen Landkreis die von dort erbrachten Leistungen erstattet. Dass sie im Umfang der Kürzung bzw. Streichung des Blindengeldes von diesen Zahlungen entlastet werde, sei aber nur ein - unbeabsichtigter - Nebeneffekt der finanzpolitisch motivierten Leistungskürzungen.
- 7
- Eine erhebliche Äquivalenzstörung, die für den Kläger eine ungewöhnliche Härte bedeute, sei nicht eingetreten. Zwar bedeuteten die Einschränkungen der Leistungen einen spürbaren Einkommensverlust. Die Grenze zur Unzumutbarkeit sei aber angesichts der sonstigen Einnahmen des Klägers (Pension und unstreitige Einkünfte aus Nebenbeschäftigung) noch nicht überschritten.
II.
- 8
- Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
- 9
- 1. Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger habe eine umfassende Abfindungserklärung abgegeben, indem er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar , endgültig und vorbehaltlos abgefunden zu sein. Will der Geschädigte von einem solchen Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen, muss er dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden (vgl. dazu die Senatsurteile vom 28. Februar 1961 - VI ZR 95/60 - VersR 1961, 382 f.; vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - VersR 1983, 1034, 1035; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - VersR 1990, 984). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Kläger dafür nicht ausreichend vorgetragen habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 10
- a) Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich der Geschädigte nicht mit Erfolg berufen, wenn durch den Abfindungsvergleich seine Schadenersatzansprüche endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollten und wenn sich dies auch auf die der Nachforderung zugrunde liegende Schadensposition bezieht. Soweit der Geschädigte das Risiko in Kauf nimmt, dass die für die Berechnung des Ausgleichsbetrages maßge- benden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen und sie sich demgemäß unvorhersehbar positiv oder negativ verändern können, ist ihm die Berufung auf eine Veränderung der Vergleichsgrundlage verwehrt (vgl. Senatsurteile aaO; Jahnke, Abfindung von Personenschadenansprüchen, 2. Aufl., § 2 Rn. 359 ff. m.w.N.).
- 11
- b) Ob und in welchem Umfang der Geschädigte das Risiko künftiger Veränderungen übernommen hat, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung des Abfindungsvergleichs ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden ist, wobei die Auslegung vom Wortlaut auszugehen hat, aber auch der wirkliche Wille der Vertragschließenden zu erforschen und das Gebot einer für beide Seiten interessengerechten Auslegung zu beachten ist (Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 230/01 - VersR 2002, 474 m.w.N.).
- 12
- c) Das Berufungsgericht geht davon aus, der Kläger habe mit der im Streitfall abgegebenen Erklärung auch das Risiko übernommen, dass die bei Abgabe der Erklärung durch Drittleistungsträger erbrachten Leistungen aufgrund einer Änderung der Gesetzeslage künftig gekürzt werden. Dem ist im Ergebnis für die vorliegende Fallgestaltung zuzustimmen.
- 13
- aa) Gehen die Vertragspartner einer Abfindungsvereinbarung davon aus, eine bestimmte Drittleistung, wie etwa die dem Kläger aufgrund der unfallbedingten Frühpensionierung zustehende Pension, sei Bestandteil der dem Geschädigten unfallbedingt zufließenden Ausgleichsmittel und muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer diese Leistungen sogar im Regresswege erstatten , so kann eine Risikoübernahme durch den Geschädigten unter Umständen durchaus fern liegen. Doch ist dies bei Abgabe einer umfassenden und vorbehaltlosen Abfindungserklärung ein Ausnahmefall, der konkreter Darlegung durch den Geschädigten bedarf.
- 14
- bb) In der Rechtsprechung ist die Frage, welche Auswirkungen eine Änderung des Umfangs von Sozialleistungen im Hinblick auf eine umfassende Abfindungsvereinbarung hat, bisher nicht einheitlich beantwortet worden. Einerseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht worden, wenn die Vertragspartner eines Abfindungsvergleichs im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Frage des Ersatzes der unfallbedingten Heilbehandlungskosten für nicht regelungsbedürftig, weil durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers abgedeckt halten, und später diese Kosten aufgrund einer Änderung des Sozialversicherungsrechts nur noch zu 90 % ersetzt werden; in diesem Fall sei der Abfindungsvergleich derart anzupassen, dass der Schädiger und seine Haftpflichtversicherung den Geschädigten von allen unfallbedingten Heilbehandlungskosten freistellen müssten, soweit sie aufgrund der Gesundheitsreform vom Sozialversicherungsträger nicht mehr bezahlt werden (OLG München, ZfS 1992, 263 f.; dazu kritisch Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden , 9. Aufl., Rn. 846 Fn. 42). Andererseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint worden, soweit der Geschädigte aufgrund des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesundheitsreformgesetzes unfallbedingte Heilbehandlungskosten tragen musste, die von der Krankenkasse nicht mehr übernommen wurden (OLG Koblenz, VersR 1996, 232; kritisch dazu Gerner, VersR 1996, 1080). Ähnlich ist entschieden worden, dass eine umfassende Abfindungsvereinbarung sich im Zweifel auch auf Lohnfortzahlungsansprüche in unfallbedingten Krankheitsfällen erstreckt (OLG Saarbrücken, VersR 1985, 298 f.). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass im Fall einer umfassenden Abfin- dungserklärung der Wegfall des Landesblindengeldes nicht zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führe, wird auch von anderen Gerichten vertreten (OLG Oldenburg, 6. Zivilsenat, NJW 2006, 3152 und Urteil vom 30. Juni 2006 - 6 U 48/06 - zitiert nach Juris; LG Osnabrück, NdsRpfl 2006, 216 f.). Auch in der Literatur wird angenommen, dass Änderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Leistungsstrukturen, soweit sie nicht völlig überraschend sind, zum Risikokreis der Abfindungsverhandlungen gehören (Jahnke, aaO, § 2 Rn. 394 f.; Staudinger/Peter Marburger, BGB, Bearb. 2002, § 779 Rn. 59, jeweils m.w.N.).
- 15
- d) Die Annahme des Berufungsgerichts, im Streitfall habe der Kläger mit der Abfindungserklärung das Risiko des Wegfalls oder einer Kürzung des Landesblindengeldes übernommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass derjenige, der eine umfassende Abfindungserklärung abgibt, nicht das Risiko des Wegfalls von Sozialleistungen und von bestehenden Renten- bzw. Pensionsansprüchen übernimmt, deren grundsätzliches Fortbestehen auch für die Zukunft im Zeitpunkt des Abfindungsvergleichs nicht in Frage gestanden hat.
- 16
- aa) Indes gehört das Blindengeld demgegenüber zu den staatlichen bzw. sozialrechtlich gewährten Hilfen im Fall einer Erblindung, wie sie gemäß den einschlägigen Gesetzen der Bundesländer (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 BayBlindG, § 1 Abs. 1 BliHiG BW, § 1 Abs. 1 Nds. LandesblindengeldG, § 1 Abs. 1 GHBG, § 1 Abs. 1 sächs. LBlindG, § 1 Abs. 1 Satz 1 ThürBliGG) und subsidiär im Rahmen der Sozialhilfe (jetzt § 72 SGB XII) gewährt werden. Mit den Leistungen der Blindenhilfe soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden; sie dienen vielmehr in erster Linie der Befriedigung laufender blindheitsspezifischer - auch immaterieller - Bedürfnisse, und zwar ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf (vgl. BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1 S. 4; 4-5921 Art. 1 Nr. 1 S. 3; BVerwGE 32, 89, 91 f.; 51, 281, 284; zuletzt LSG Baden-Württemberg FEVS 58, 389 ff.). Von daher ist die Überlegung des Berufungsgerichts, es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, eine solche zusätzliche staatliche Leistung werde unabhängig von fiskalischen Notwendigkeiten auf Dauer in voller Höhe gewährt werden, nicht zu beanstanden.
- 17
- bb) Die mögliche Einschränkung einer solchen Leistung gehört zu den Risiken, die in der Regel mit einer umfassenden Abfindungserklärung übernommen werden. Davon, dass es zu schwerwiegenden Veränderungen im System der öffentlichen Leistungen kommen könnte, ist und war auch im Zeitpunkt der Abgabe der Abfindungserklärung, Ende 2000, auszugehen. Davon, dass ein solcher Vorgang geeignet sein könnte, einen umfassenden, vorbehaltslosen Abfindungsvergleich in Frage zu stellen, darf ein Geschädigter vernünftigerweise nicht ausgehen. Eine dahin gehende Annahme widerspräche auch einer Auslegung, die den Interessen der Parteien in ausreichender Weise gerecht wird.
- 18
- Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, in dem unter anderem die dem Verletzten geschuldete Verdienstausfallrente kapitalisiert wird, dass er in der Regel mehr ist als eine bloße technische Zusammenfassung zukünftig zu erwartender Renten. Wer als Geschädigter eine Kapitalabfindung wählt, nimmt das Risiko in Kauf, dass die für ihre Berechnung maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Seine Entscheidung für die Abfindung wird er in der Regel deswegen treffen, weil es ihm aus welchen Gründen auch immer vorteilhafter erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben. Dafür verzichtet er auf die Berücksichtigung zukünftiger, ungewisser Veränderungen, soweit sie sich zu seinen Gunsten auswirken könnten. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung die Schadensabwicklung für ihn ein für allemal erledigt ist. Dafür nimmt er bei der Berechnung des zu zahlenden Kapitals auch für ihn bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung in Kauf. Das so zwischen den Parteien gefundene Ergebnis kann deshalb nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn eine der Vergleichsparteien aufgrund künftiger, nicht voraussehbarer Entwicklungen feststellt, dass ihre Beurteilungen und die Einschätzung der möglichen künftigen Änderungen nicht zutreffend waren (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; Staudinger /Peter Marburger, aaO, m.w.N.).
- 19
- Diese den Interessen beider Parteien dienende Funktion könnten Abfindungsvergleiche nicht erfüllen, wenn jede Veränderung im Gefüge der Sozialleistungen zu einer Störung der Vergleichsgrundlage führte. Zwar setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage ohnehin eine schwerwiegende Veränderung der zur Vertragsgrundlage gewordenen Umstände voraus (vgl. jetzt § 313 Abs. 1 BGB). Auch auf eine schwerwiegende Veränderung kann sich der Geschädigte - ebenso wie auf der anderen Seite der Schädiger - indes nicht berufen , soweit er das Risiko übernommen hat.
- 20
- 2. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass der Kläger im vorliegenden Fall das Risiko eines Wegfalls des Landesblindengeldes in Anbetracht des konkreten Verlaufs der Verhandlungen mit dem beklagten Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht übernommen habe. Aus dem Inhalt der Abfindungserklärung ergibt sich dies nicht; in dem Formular ist lediglich der Bezug des Landesblindengeldes erwähnt. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass mündlich ein Vorbehalt besprochen worden sei. Doch könnte sich eine Ausklammerung dieses Risikos aus dem Inhalt der Verhandlungen ergeben.
- 21
- a) Die Revision macht insoweit geltend: Beide Parteien seien bei den Verhandlungen davon ausgegangen, das Landesblindengeld werde dauerhaft gezahlt, wobei die Beklagte zu 2 ihre direkte Leistungspflicht dadurch als geschmälert angesehen habe, dass sie dem Träger des Landesblindengeldes zur Erstattung verpflichtet gewesen sei. Mit seinerzeit 510 € monatlich habe es sich um einen erheblichen Betrag gehandelt, den die Parteien als festen Mindestbetrag ihren Berechnungen und Verhandlungen zugrunde gelegt hätten. Irgendwelche Zweifel, dass das Landesblindengeld auf Dauer gezahlt werde, hätten die Parteien nicht gehegt.
- 22
- b) Damit ist nicht ausreichend dargetan, dass das Risiko einer Änderung der Vorschriften über den Bezug des Landesblindengeldes von den Vertragsverhandlungen ausgenommen werden sollte. Dem - von der Beklagten zu 2 bestrittenen - Vortrag ist lediglich zu entnehmen, dass die Parteien davon ausgingen , dem Kläger werde die Drittleistung zufließen und der Versicherer habe sie dem Kostenträger zu erstatten, und dass der Versicherer geltend machte, im Hinblick darauf müsse der Abfindungsbetrag niedriger ausfallen. Dies entspricht dem üblichen Ablauf von Abfindungsverhandlungen, bei denen der Bedarf des Geschädigten abgeschätzt, die ihm im Verhandlungszeitpunkt und wohl auch künftig zufließenden Drittleistungen in Rechnung gestellt und der verbleibende Bedarf zur Grundlage des Abfindungsbetrages gemacht werden; ein weiterer ausschlaggebender Faktor ist die Höhe der immateriellen Entschädigung. Für die endgültige Höhe des Abfindungsbetrages spielen dann die von den Parteien geäußerten Betragsvorstellungen eine wesentliche Rolle, wobei man sich durch die Berücksichtigung unsicherer oder streitiger Positionen der zu vereinbarenden Abfindungssumme nähert.
- 23
- Ist dieser Betrag gefunden und vereinbart, spielen die in die Verhandlung eingeflossenen Positionen keine Rolle mehr. Darauf, ob die Parteien ihre künf- tige positive oder negative Veränderung in ihre Vorstellungen einbezogen haben , kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um Änderungen handelt, die so überraschend sind, dass sie bei Vergleichsabschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO). Eine derartige Änderung hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint.
- 24
- c) Der Ansicht der Revision, der Abfindungsvergleich sei ergänzend auszulegen , weil eine unbewusste Regelungslücke vorliege, ist nicht zu folgen. Gegenstand des Vergleichs ist die endgültige Abfindung des Klägers unter dessen Verzicht auf Nachforderungen bei einer Änderung der in sein Risiko fallenden Verhältnisse. Insoweit ist alles geregelt, was die Parteien regeln wollten. Das Fehlen einer Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt, welches für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich ist (BGHZ 84, 1, 7), liegt nicht vor.
- 25
- 3. Ohne Erfolg beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht eine erhebliche Äquivalenzstörung verneint hat. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass die Einschränkungen bei der Leistung der Landesblindenhilfe einen spürbaren Einkommensverlust des Klägers zur Folge haben. Es geht aber zutreffend davon aus, dass die Grenze zur Unzumutbarkeit nicht überschritten und eine Anpassung des Abfindungsvergleichs deshalb nicht angezeigt ist. Soweit die eingetretenen Veränderungen in den Risikobereich fallen, für den der Geschädigte sich als abgefunden erklärt hat, muss dieser grundsätzlich auch bei erheblichen Opfern, die sich später herausstellen, die Folgen tragen (Senatsurteile vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - aaO).
- 26
- Ohne Rechtsfehler stellt das Berufungsgericht insoweit u.a. darauf ab, dass der Kläger eine Pension bezieht, die die Revision mit 1.400 € beziffert. Der Kläger, dem der nicht unerhebliche Kapitalbetrag von 750.000 DM zugeflossen ist, ist also nicht ohne laufendes Einkommen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht insoweit auch darauf verwiesen hat, dass es dem Kläger gelungen ist, wieder beruflich tätig zu werden. Der Vortrag der Revision, diese Einnahmen beliefen sich auf lediglich 613,50 € netto, wovon noch die Kosten eines häuslichen Büros zu zahlen seien, stellt die Wertung des Berufungsgerichts nicht in Frage. Es geht hier lediglich darum, ob eine erhebliche Äquivalenzstörung vorliegt, die eine Anpassung des Vergleichs erfordert. Insoweit muss die weitere berufliche Entwicklung des Geschädigten entgegen der Ansicht der Revision nicht außer Betracht bleiben. Darauf, ob - wie die Revisionserwiderung geltend macht - die neue berufliche Tätigkeit dem Kläger nur aufgrund einer Umschulung möglich ist, für die die Beklagte zu 2 mit 25.000 € in Regress genommen wurde, kommt es dabei nicht an. Für die Gesamtabwägung ist allerdings noch zu berücksichtigen, dass das Landesblindengeld letztlich nicht vollständig weggefallen ist, es vielmehr für ein Jahr von monatlich 510 € auf 409 € reduziert wurde, es dann zwei Jahre nicht bezahlt wurde und seine Zahlung nunmehr in Höhe von 220 € monatlich erfolgt. Bei Berücksichtigung all dieser Umstände ist eine erhebliche Äquivalenzstörung im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu verneinen.
III.
- 27
- Die Revision muss danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Müller Greiner Pauge Stöhr Zoll
LG Oldenburg, Entscheidung vom 06.11.2006 - 4 O 1149/06 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 22.05.2007 - 9 U 49/06 -
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang haften, schwere Verletzungen, die zur Erblindung auf beiden Augen führten. Am 8. Dezember 2000 unterzeichnete der Kläger eine Abfindungserklärung , in der er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM "für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche , seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar, (…) endgültig und vorbehaltlos abgefunden" zu sein. In dem Formular, welches die Erklärung enthält, ist in einer Aufstellung möglicher unfallbedingter Drittleistungen angekreuzt, dass der Kläger Leistungen der Beihilfe und einer privaten Krankenversicherung sowie Landesblindengeld erhalte. Der Kläger bezog aufgrund des Unfallereignis- ses Leistungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Hinblick auf den Wegfall bzw. die Reduzierung des ihm gewährten Landesblindengeldes trotz der Abfindungserklärung weiteren Schadensersatz verlangen kann. Der Kläger ist der Auffassung, durch die Reduzierung des Landesblindengeldes im Jahr 2004 (von 510,00 € auf 409,00 €), dessen vollständige Streichung ab Januar 2005 sowie die erneute Einführung des Landesblindengeldes in Höhe von 220,00 € ab Januar 2007 sei die Geschäftsgrundlage für den Abfindungsvergleich entfallen. Dazu behauptet er, bei den Verhandlungen über die Abfindungssumme sei von der Beklagten zu 2 immer wieder auf den Bezug des Blindengeldes hingewiesen worden, wobei die Parteien davon ausgegangen seien, dass der Kläger das Blindengeld bis zum Tode beziehen werde; dies sei maßgeblicher Faktor für die Bemessung der Abfindungssumme gewesen. Er verlangt mit der Klage für die Jahre 2004 bis 2006 Zahlung der jeweils ausgefallenen (Differenz-) Beträge und für die Zeit ab 2007 Feststellung der entsprechenden Ersatzpflicht der Beklagten.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Entscheidungsgründe:
I.
- 3
- Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2007, 522 f. veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger sei nicht berechtigt, eine Anpassung des Abfindungsvergleichs nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Durch den mit der Erklärung des Klägers vom 8. Dezember 2000 zustande gekommenen Abfindungsvergleich hätten alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollen. Eine Änderung der Geschäftsgrundlage, welche eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheinen lasse, oder eine Äquivalenzstörung, welche für den Geschädigten nach den Gesamtumständen eine ungewöhnliche Härte bedeuten würde, lägen nicht vor.
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- Wer eine Kapitalabfindung wähle, nehme das Risiko in Kauf, dass maßgebliche Berechnungsfaktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhten. Der Schädiger dürfe sich darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung, die gerade auch zukünftige Entwicklungen einschließen solle, die Sache für ihn ein für allemal erledigt sei. Zu den in Kauf genommenen Risiken, deren Realisierung nicht zu einer Anpassung nach den Prinzipien der Störung der Geschäftsgrundlage führe, gehörten auch Änderungen in Leistungsstrukturen , in die der Geschädigte im Verhältnis zu Dritten (Behörden, Krankenkassen etc.) eingebettet sei. Seien diese Leistungsverhältnisse bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nur als Positionen gesehen worden, komme es nicht darauf an, ob die Parteien mögliche Änderungen in ihre Vorstellungen mit einbezogen hätten oder nicht. Maßgebend sei vielmehr, ob es sich um Änderungen handele, die so überraschend seien, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können.
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- Um derartige Änderungen handele es sich bei Kürzung und Wegfall des Landesblindengeldes nicht. Hierfür spreche vor allem der Charakter des Landesblindengeldes. Es gewähre den Blinden angesichts der mit der Erblindung einhergehenden schweren Belastung unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation und ihrer konkreten krankheitsbedingten Beeinträchtigungen eine pauschale finanzielle Unterstützung. Angesichts der haushaltsrechtlichen Lage des Landes sei es nicht überraschend gewesen, dass der Landesgesetzgeber derartige freiwillige Leistungen überprüfe und deren weitere Gewährung von fiskalischen Erfordernissen abhängig mache. Der mögliche Eintritt solcher fiskalischer Zwänge sei bereits bei Abschluss des Vergleichs im Jahr 2000 voraussehbar gewesen. Deshalb sei es auch aus der damaligen Perspektive nicht als völlig überraschende Entwicklung anzusehen, dass das Landesblindengeld gekürzt bzw. vollständig gestrichen werden würde. Darauf, ob der - bestrittene - Vortrag des Klägers zum Verlauf der Verhandlungen vor Abschluss des Abfindungsvergleichs zutreffe, komme es danach nicht an.
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- Der offenbar auf § 7 Abs. 3 Nds. LandesblindengeldG gestützte Übergang der Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten auf den für die Zahlung des Blindengeldes zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe sei für die Entscheidung nicht relevant. Aufgrund des Forderungsübergangs habe die Beklagte zu 2 an den zuständigen Landkreis die von dort erbrachten Leistungen erstattet. Dass sie im Umfang der Kürzung bzw. Streichung des Blindengeldes von diesen Zahlungen entlastet werde, sei aber nur ein - unbeabsichtigter - Nebeneffekt der finanzpolitisch motivierten Leistungskürzungen.
- 7
- Eine erhebliche Äquivalenzstörung, die für den Kläger eine ungewöhnliche Härte bedeute, sei nicht eingetreten. Zwar bedeuteten die Einschränkungen der Leistungen einen spürbaren Einkommensverlust. Die Grenze zur Unzumutbarkeit sei aber angesichts der sonstigen Einnahmen des Klägers (Pension und unstreitige Einkünfte aus Nebenbeschäftigung) noch nicht überschritten.
II.
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- Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
- 9
- 1. Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger habe eine umfassende Abfindungserklärung abgegeben, indem er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar , endgültig und vorbehaltlos abgefunden zu sein. Will der Geschädigte von einem solchen Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen, muss er dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden (vgl. dazu die Senatsurteile vom 28. Februar 1961 - VI ZR 95/60 - VersR 1961, 382 f.; vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - VersR 1983, 1034, 1035; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - VersR 1990, 984). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Kläger dafür nicht ausreichend vorgetragen habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 10
- a) Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich der Geschädigte nicht mit Erfolg berufen, wenn durch den Abfindungsvergleich seine Schadenersatzansprüche endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollten und wenn sich dies auch auf die der Nachforderung zugrunde liegende Schadensposition bezieht. Soweit der Geschädigte das Risiko in Kauf nimmt, dass die für die Berechnung des Ausgleichsbetrages maßge- benden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen und sie sich demgemäß unvorhersehbar positiv oder negativ verändern können, ist ihm die Berufung auf eine Veränderung der Vergleichsgrundlage verwehrt (vgl. Senatsurteile aaO; Jahnke, Abfindung von Personenschadenansprüchen, 2. Aufl., § 2 Rn. 359 ff. m.w.N.).
- 11
- b) Ob und in welchem Umfang der Geschädigte das Risiko künftiger Veränderungen übernommen hat, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung des Abfindungsvergleichs ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden ist, wobei die Auslegung vom Wortlaut auszugehen hat, aber auch der wirkliche Wille der Vertragschließenden zu erforschen und das Gebot einer für beide Seiten interessengerechten Auslegung zu beachten ist (Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 230/01 - VersR 2002, 474 m.w.N.).
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- c) Das Berufungsgericht geht davon aus, der Kläger habe mit der im Streitfall abgegebenen Erklärung auch das Risiko übernommen, dass die bei Abgabe der Erklärung durch Drittleistungsträger erbrachten Leistungen aufgrund einer Änderung der Gesetzeslage künftig gekürzt werden. Dem ist im Ergebnis für die vorliegende Fallgestaltung zuzustimmen.
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- aa) Gehen die Vertragspartner einer Abfindungsvereinbarung davon aus, eine bestimmte Drittleistung, wie etwa die dem Kläger aufgrund der unfallbedingten Frühpensionierung zustehende Pension, sei Bestandteil der dem Geschädigten unfallbedingt zufließenden Ausgleichsmittel und muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer diese Leistungen sogar im Regresswege erstatten , so kann eine Risikoübernahme durch den Geschädigten unter Umständen durchaus fern liegen. Doch ist dies bei Abgabe einer umfassenden und vorbehaltlosen Abfindungserklärung ein Ausnahmefall, der konkreter Darlegung durch den Geschädigten bedarf.
- 14
- bb) In der Rechtsprechung ist die Frage, welche Auswirkungen eine Änderung des Umfangs von Sozialleistungen im Hinblick auf eine umfassende Abfindungsvereinbarung hat, bisher nicht einheitlich beantwortet worden. Einerseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht worden, wenn die Vertragspartner eines Abfindungsvergleichs im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Frage des Ersatzes der unfallbedingten Heilbehandlungskosten für nicht regelungsbedürftig, weil durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers abgedeckt halten, und später diese Kosten aufgrund einer Änderung des Sozialversicherungsrechts nur noch zu 90 % ersetzt werden; in diesem Fall sei der Abfindungsvergleich derart anzupassen, dass der Schädiger und seine Haftpflichtversicherung den Geschädigten von allen unfallbedingten Heilbehandlungskosten freistellen müssten, soweit sie aufgrund der Gesundheitsreform vom Sozialversicherungsträger nicht mehr bezahlt werden (OLG München, ZfS 1992, 263 f.; dazu kritisch Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden , 9. Aufl., Rn. 846 Fn. 42). Andererseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint worden, soweit der Geschädigte aufgrund des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesundheitsreformgesetzes unfallbedingte Heilbehandlungskosten tragen musste, die von der Krankenkasse nicht mehr übernommen wurden (OLG Koblenz, VersR 1996, 232; kritisch dazu Gerner, VersR 1996, 1080). Ähnlich ist entschieden worden, dass eine umfassende Abfindungsvereinbarung sich im Zweifel auch auf Lohnfortzahlungsansprüche in unfallbedingten Krankheitsfällen erstreckt (OLG Saarbrücken, VersR 1985, 298 f.). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass im Fall einer umfassenden Abfin- dungserklärung der Wegfall des Landesblindengeldes nicht zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führe, wird auch von anderen Gerichten vertreten (OLG Oldenburg, 6. Zivilsenat, NJW 2006, 3152 und Urteil vom 30. Juni 2006 - 6 U 48/06 - zitiert nach Juris; LG Osnabrück, NdsRpfl 2006, 216 f.). Auch in der Literatur wird angenommen, dass Änderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Leistungsstrukturen, soweit sie nicht völlig überraschend sind, zum Risikokreis der Abfindungsverhandlungen gehören (Jahnke, aaO, § 2 Rn. 394 f.; Staudinger/Peter Marburger, BGB, Bearb. 2002, § 779 Rn. 59, jeweils m.w.N.).
- 15
- d) Die Annahme des Berufungsgerichts, im Streitfall habe der Kläger mit der Abfindungserklärung das Risiko des Wegfalls oder einer Kürzung des Landesblindengeldes übernommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass derjenige, der eine umfassende Abfindungserklärung abgibt, nicht das Risiko des Wegfalls von Sozialleistungen und von bestehenden Renten- bzw. Pensionsansprüchen übernimmt, deren grundsätzliches Fortbestehen auch für die Zukunft im Zeitpunkt des Abfindungsvergleichs nicht in Frage gestanden hat.
- 16
- aa) Indes gehört das Blindengeld demgegenüber zu den staatlichen bzw. sozialrechtlich gewährten Hilfen im Fall einer Erblindung, wie sie gemäß den einschlägigen Gesetzen der Bundesländer (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 BayBlindG, § 1 Abs. 1 BliHiG BW, § 1 Abs. 1 Nds. LandesblindengeldG, § 1 Abs. 1 GHBG, § 1 Abs. 1 sächs. LBlindG, § 1 Abs. 1 Satz 1 ThürBliGG) und subsidiär im Rahmen der Sozialhilfe (jetzt § 72 SGB XII) gewährt werden. Mit den Leistungen der Blindenhilfe soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden; sie dienen vielmehr in erster Linie der Befriedigung laufender blindheitsspezifischer - auch immaterieller - Bedürfnisse, und zwar ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf (vgl. BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1 S. 4; 4-5921 Art. 1 Nr. 1 S. 3; BVerwGE 32, 89, 91 f.; 51, 281, 284; zuletzt LSG Baden-Württemberg FEVS 58, 389 ff.). Von daher ist die Überlegung des Berufungsgerichts, es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, eine solche zusätzliche staatliche Leistung werde unabhängig von fiskalischen Notwendigkeiten auf Dauer in voller Höhe gewährt werden, nicht zu beanstanden.
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- bb) Die mögliche Einschränkung einer solchen Leistung gehört zu den Risiken, die in der Regel mit einer umfassenden Abfindungserklärung übernommen werden. Davon, dass es zu schwerwiegenden Veränderungen im System der öffentlichen Leistungen kommen könnte, ist und war auch im Zeitpunkt der Abgabe der Abfindungserklärung, Ende 2000, auszugehen. Davon, dass ein solcher Vorgang geeignet sein könnte, einen umfassenden, vorbehaltslosen Abfindungsvergleich in Frage zu stellen, darf ein Geschädigter vernünftigerweise nicht ausgehen. Eine dahin gehende Annahme widerspräche auch einer Auslegung, die den Interessen der Parteien in ausreichender Weise gerecht wird.
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- Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, in dem unter anderem die dem Verletzten geschuldete Verdienstausfallrente kapitalisiert wird, dass er in der Regel mehr ist als eine bloße technische Zusammenfassung zukünftig zu erwartender Renten. Wer als Geschädigter eine Kapitalabfindung wählt, nimmt das Risiko in Kauf, dass die für ihre Berechnung maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Seine Entscheidung für die Abfindung wird er in der Regel deswegen treffen, weil es ihm aus welchen Gründen auch immer vorteilhafter erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben. Dafür verzichtet er auf die Berücksichtigung zukünftiger, ungewisser Veränderungen, soweit sie sich zu seinen Gunsten auswirken könnten. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung die Schadensabwicklung für ihn ein für allemal erledigt ist. Dafür nimmt er bei der Berechnung des zu zahlenden Kapitals auch für ihn bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung in Kauf. Das so zwischen den Parteien gefundene Ergebnis kann deshalb nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn eine der Vergleichsparteien aufgrund künftiger, nicht voraussehbarer Entwicklungen feststellt, dass ihre Beurteilungen und die Einschätzung der möglichen künftigen Änderungen nicht zutreffend waren (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; Staudinger /Peter Marburger, aaO, m.w.N.).
- 19
- Diese den Interessen beider Parteien dienende Funktion könnten Abfindungsvergleiche nicht erfüllen, wenn jede Veränderung im Gefüge der Sozialleistungen zu einer Störung der Vergleichsgrundlage führte. Zwar setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage ohnehin eine schwerwiegende Veränderung der zur Vertragsgrundlage gewordenen Umstände voraus (vgl. jetzt § 313 Abs. 1 BGB). Auch auf eine schwerwiegende Veränderung kann sich der Geschädigte - ebenso wie auf der anderen Seite der Schädiger - indes nicht berufen , soweit er das Risiko übernommen hat.
- 20
- 2. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass der Kläger im vorliegenden Fall das Risiko eines Wegfalls des Landesblindengeldes in Anbetracht des konkreten Verlaufs der Verhandlungen mit dem beklagten Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht übernommen habe. Aus dem Inhalt der Abfindungserklärung ergibt sich dies nicht; in dem Formular ist lediglich der Bezug des Landesblindengeldes erwähnt. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass mündlich ein Vorbehalt besprochen worden sei. Doch könnte sich eine Ausklammerung dieses Risikos aus dem Inhalt der Verhandlungen ergeben.
- 21
- a) Die Revision macht insoweit geltend: Beide Parteien seien bei den Verhandlungen davon ausgegangen, das Landesblindengeld werde dauerhaft gezahlt, wobei die Beklagte zu 2 ihre direkte Leistungspflicht dadurch als geschmälert angesehen habe, dass sie dem Träger des Landesblindengeldes zur Erstattung verpflichtet gewesen sei. Mit seinerzeit 510 € monatlich habe es sich um einen erheblichen Betrag gehandelt, den die Parteien als festen Mindestbetrag ihren Berechnungen und Verhandlungen zugrunde gelegt hätten. Irgendwelche Zweifel, dass das Landesblindengeld auf Dauer gezahlt werde, hätten die Parteien nicht gehegt.
- 22
- b) Damit ist nicht ausreichend dargetan, dass das Risiko einer Änderung der Vorschriften über den Bezug des Landesblindengeldes von den Vertragsverhandlungen ausgenommen werden sollte. Dem - von der Beklagten zu 2 bestrittenen - Vortrag ist lediglich zu entnehmen, dass die Parteien davon ausgingen , dem Kläger werde die Drittleistung zufließen und der Versicherer habe sie dem Kostenträger zu erstatten, und dass der Versicherer geltend machte, im Hinblick darauf müsse der Abfindungsbetrag niedriger ausfallen. Dies entspricht dem üblichen Ablauf von Abfindungsverhandlungen, bei denen der Bedarf des Geschädigten abgeschätzt, die ihm im Verhandlungszeitpunkt und wohl auch künftig zufließenden Drittleistungen in Rechnung gestellt und der verbleibende Bedarf zur Grundlage des Abfindungsbetrages gemacht werden; ein weiterer ausschlaggebender Faktor ist die Höhe der immateriellen Entschädigung. Für die endgültige Höhe des Abfindungsbetrages spielen dann die von den Parteien geäußerten Betragsvorstellungen eine wesentliche Rolle, wobei man sich durch die Berücksichtigung unsicherer oder streitiger Positionen der zu vereinbarenden Abfindungssumme nähert.
- 23
- Ist dieser Betrag gefunden und vereinbart, spielen die in die Verhandlung eingeflossenen Positionen keine Rolle mehr. Darauf, ob die Parteien ihre künf- tige positive oder negative Veränderung in ihre Vorstellungen einbezogen haben , kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um Änderungen handelt, die so überraschend sind, dass sie bei Vergleichsabschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO). Eine derartige Änderung hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint.
- 24
- c) Der Ansicht der Revision, der Abfindungsvergleich sei ergänzend auszulegen , weil eine unbewusste Regelungslücke vorliege, ist nicht zu folgen. Gegenstand des Vergleichs ist die endgültige Abfindung des Klägers unter dessen Verzicht auf Nachforderungen bei einer Änderung der in sein Risiko fallenden Verhältnisse. Insoweit ist alles geregelt, was die Parteien regeln wollten. Das Fehlen einer Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt, welches für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich ist (BGHZ 84, 1, 7), liegt nicht vor.
- 25
- 3. Ohne Erfolg beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht eine erhebliche Äquivalenzstörung verneint hat. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass die Einschränkungen bei der Leistung der Landesblindenhilfe einen spürbaren Einkommensverlust des Klägers zur Folge haben. Es geht aber zutreffend davon aus, dass die Grenze zur Unzumutbarkeit nicht überschritten und eine Anpassung des Abfindungsvergleichs deshalb nicht angezeigt ist. Soweit die eingetretenen Veränderungen in den Risikobereich fallen, für den der Geschädigte sich als abgefunden erklärt hat, muss dieser grundsätzlich auch bei erheblichen Opfern, die sich später herausstellen, die Folgen tragen (Senatsurteile vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - aaO).
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- Ohne Rechtsfehler stellt das Berufungsgericht insoweit u.a. darauf ab, dass der Kläger eine Pension bezieht, die die Revision mit 1.400 € beziffert. Der Kläger, dem der nicht unerhebliche Kapitalbetrag von 750.000 DM zugeflossen ist, ist also nicht ohne laufendes Einkommen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht insoweit auch darauf verwiesen hat, dass es dem Kläger gelungen ist, wieder beruflich tätig zu werden. Der Vortrag der Revision, diese Einnahmen beliefen sich auf lediglich 613,50 € netto, wovon noch die Kosten eines häuslichen Büros zu zahlen seien, stellt die Wertung des Berufungsgerichts nicht in Frage. Es geht hier lediglich darum, ob eine erhebliche Äquivalenzstörung vorliegt, die eine Anpassung des Vergleichs erfordert. Insoweit muss die weitere berufliche Entwicklung des Geschädigten entgegen der Ansicht der Revision nicht außer Betracht bleiben. Darauf, ob - wie die Revisionserwiderung geltend macht - die neue berufliche Tätigkeit dem Kläger nur aufgrund einer Umschulung möglich ist, für die die Beklagte zu 2 mit 25.000 € in Regress genommen wurde, kommt es dabei nicht an. Für die Gesamtabwägung ist allerdings noch zu berücksichtigen, dass das Landesblindengeld letztlich nicht vollständig weggefallen ist, es vielmehr für ein Jahr von monatlich 510 € auf 409 € reduziert wurde, es dann zwei Jahre nicht bezahlt wurde und seine Zahlung nunmehr in Höhe von 220 € monatlich erfolgt. Bei Berücksichtigung all dieser Umstände ist eine erhebliche Äquivalenzstörung im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu verneinen.
III.
- 27
- Die Revision muss danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Müller Greiner Pauge Stöhr Zoll
LG Oldenburg, Entscheidung vom 06.11.2006 - 4 O 1149/06 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 22.05.2007 - 9 U 49/06 -
Ist der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht zur Leistung verpflichtet, weil das Fahrzeug den Bau- und Betriebsvorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht entsprach oder von einem unberechtigten Fahrer oder von einem Fahrer ohne die vorgeschriebene Fahrerlaubnis geführt wurde, kann der Versicherer den Dritten abweichend von § 117 Abs. 3 Satz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes nicht auf die Möglichkeit verweisen, Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem Sozialversicherungsträger zu erlangen. Soweit der Dritte jedoch von einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 von der Versicherungspflicht befreiten Fahrzeughalter Ersatz seines Schadens erlangen kann, entfällt die Leistungspflicht des Versicherers.
(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen,
- 1.
wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder - 2.
wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder - 3.
wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
(2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.
Ist der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht zur Leistung verpflichtet, weil das Fahrzeug den Bau- und Betriebsvorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht entsprach oder von einem unberechtigten Fahrer oder von einem Fahrer ohne die vorgeschriebene Fahrerlaubnis geführt wurde, kann der Versicherer den Dritten abweichend von § 117 Abs. 3 Satz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes nicht auf die Möglichkeit verweisen, Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem Sozialversicherungsträger zu erlangen. Soweit der Dritte jedoch von einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 von der Versicherungspflicht befreiten Fahrzeughalter Ersatz seines Schadens erlangen kann, entfällt die Leistungspflicht des Versicherers.
Auf die Verjährung finden die für unerlaubte Handlungen geltenden Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
- 1.
der Anspruch entstanden ist und - 2.
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
(2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren
- 1.
ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und - 2.
ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.
(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.
(5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.
Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
- 1.
der Anspruch entstanden ist und - 2.
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
(2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren
- 1.
ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und - 2.
ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.
(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.
(5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
Die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers gehemmt. Lebt der Gläubiger von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bei Beginn der Verjährung mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft, so ist die Verjährung auch bis zur Beendigung der häuslichen Gemeinschaft gehemmt.
Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet.
Die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers gehemmt. Lebt der Gläubiger von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bei Beginn der Verjährung mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft, so ist die Verjährung auch bis zur Beendigung der häuslichen Gemeinschaft gehemmt.
Die Verjährung ist gehemmt, solange der Schuldner auf Grund einer Vereinbarung mit dem Gläubiger vorübergehend zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist.
Mit dem Hauptanspruch verjährt der Anspruch auf die von ihm abhängenden Nebenleistungen, auch wenn die für diesen Anspruch geltende besondere Verjährung noch nicht eingetreten ist.
(1) Die Verjährung wird gehemmt durch
- 1.
die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils, - 1a.
die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, - 2.
die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger, - 3.
die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren oder des Europäischen Zahlungsbefehls im Europäischen Mahnverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. EU Nr. L 399 S. 1), - 4.
die Veranlassung der Bekanntgabe eines Antrags, mit dem der Anspruch geltend gemacht wird, bei einer - a)
staatlichen oder staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle oder - b)
anderen Streitbeilegungsstelle, wenn das Verfahren im Einvernehmen mit dem Antragsgegner betrieben wird;
- 5.
die Geltendmachung der Aufrechnung des Anspruchs im Prozess, - 6.
die Zustellung der Streitverkündung, - 6a.
die Zustellung der Anmeldung zu einem Musterverfahren für darin bezeichnete Ansprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens und wenn innerhalb von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Ende des Musterverfahrens die Klage auf Leistung oder Feststellung der in der Anmeldung bezeichneten Ansprüche erhoben wird, - 7.
die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, - 8.
den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens, - 9.
die Zustellung des Antrags auf Erlass eines Arrests, einer einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung, oder, wenn der Antrag nicht zugestellt wird, dessen Einreichung, wenn der Arrestbefehl, die einstweilige Verfügung oder die einstweilige Anordnung innerhalb eines Monats seit Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger dem Schuldner zugestellt wird, - 10.
die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren oder im Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren, - 10a.
die Anordnung einer Vollstreckungssperre nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, durch die der Gläubiger an der Einleitung der Zwangsvollstreckung wegen des Anspruchs gehindert ist, - 11.
den Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens, - 12.
die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; dies gilt entsprechend für bei einem Gericht oder bei einer in Nummer 4 bezeichneten Streitbeilegungsstelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt, - 13.
die Einreichung des Antrags bei dem höheren Gericht, wenn dieses das zuständige Gericht zu bestimmen hat und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben oder der Antrag, für den die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, gestellt wird, und - 14.
die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe; wird die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein.
(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Die Hemmung beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt.
(3) Auf die Frist nach Absatz 1 Nr. 6a, 9, 12 und 13 finden die §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.
(1) In 30 Jahren verjähren, soweit nicht ein anderes bestimmt ist,
- 1.
Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, - 2.
Herausgabeansprüche aus Eigentum, anderen dinglichen Rechten, den §§ 2018, 2130 und 2362 sowie die Ansprüche, die der Geltendmachung der Herausgabeansprüche dienen, - 3.
rechtskräftig festgestellte Ansprüche, - 4.
Ansprüche aus vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden, - 5.
Ansprüche, die durch die im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden sind, und - 6.
Ansprüche auf Erstattung der Kosten der Zwangsvollstreckung.
(2) Soweit Ansprüche nach Absatz 1 Nr. 3 bis 5 künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben, tritt an die Stelle der Verjährungsfrist von 30 Jahren die regelmäßige Verjährungsfrist.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.
(1) Nach Eintritt der Verjährung ist der Schuldner berechtigt, die Leistung zu verweigern.
(2) Das zur Befriedigung eines verjährten Anspruchs Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, auch wenn in Unkenntnis der Verjährung geleistet worden ist. Das Gleiche gilt von einem vertragsmäßigen Anerkenntnis sowie einer Sicherheitsleistung des Schuldners.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 45.578,45 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
- 2
- Der Senat hat bereits entschieden, dass an den Einwand, die Berufung auf die Verjährungseinrede stelle eine unzulässige mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Rechtsausübung dar, strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH, Urteil vom 3. November 1988 - IX ZR 203/87, WM 1988, 1855, 1858; Urteil vom 29. Februar 1996 - IX ZR 180/95, WM 1996, 1106, 1108; Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl.
Ganter Vill Lohmann Fischer Pape
Vorinstanzen:
LG Heidelberg, Entscheidung vom 23.12.2004 - 7 O 63/02 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 14.06.2006 - 6 U 13/05 -
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.