Strafprozessrecht: Laut BGH kann Abhören privater Gespräch in der U-Haft gegen den fair trial-Grundsatz verstoßen

bei uns veröffentlicht am20.09.2009

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Zwar verstoße die

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2009 (1 StR 701/08 ) kann die akustische Überwachung von in der Untersuchungshaft geführten privaten Gesprächen den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzen. In diesem Fall darf der Inhalt des abgehörten Gesprächs nicht als Beweismittel im Strafverfahren verwertet werden.

Der Angeklagte war aufgrund Mordverdachts festgenommen und in die Untersuchungshaft gebracht worden. Die ihm vorgeworfene Tat bestritt er; die Leiche des Opfers war bis zu diesem Zeitpunkt nicht gefunden worden.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das zuständige Amtsgericht Kempten an, die Besuche der Ehefrau des Angeklagten in der Untersuchungshaft sollten in einem separaten Raum und ohne personelle Überwachung stattfinden; dabei sollten die geführten Gespräche mittels in dem betreffenden Raum installierter Mikrophone heimlich aufgezeichnet werden. Die Anordnung begründete das Amtsgericht damit, nach den bisherigen Ermittlungen sei sowohl davon auszugehen, dass der Angeklagte der Täter sei, als auch davon, dass er mit seiner Ehefrau über die Einzelheiten der Tat sprechen werde.
In einem der aufgezeichneten Gespräche gab der Angeklagte gegenüber seiner Ehefrau zu, dass das Opfer tot sei, und bat seine Frau, sie solle die Tat gegenüber der Staatsanwaltschaft per Videobotschaft gestehen und sich danach aus Deutschland absetzen.

Neben anderen Beweisanzeichen wertete das Landgericht Kempten den Inhalt dieses Gesprächs als deutliches Indiz für die Schuld des Angeklagten und verurteilte ihn unter anderem wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Der Revision des Angeklagten hat der BGH mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens stattgegeben.

Zwar verstoße die Anordnung der Abhörmaßnahme weder gegen die gesetzliche Regelung über die akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen aus § 100f StPO noch verletze sie den grundrechtlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung, da der Besuchsraum einer Haftanstalt keine Wohnung sei, und Gespräche über Straftaten nicht zum Kernbereich des Privatlebens zählten.
Die Ermittlungsbehörden hätten aber dadurch, dass die Gespräche in einem gesonderten Raum und ohne eine - sonst übliche, auf § 119 Abs. 3 StPO und Nr 27 UvollzO gestützte - personelle Überwachung stattfanden, bei dem Angeklagten den Eindruck entstehen lassen, er befinde sich mit seiner Frau in einer unüberwachten Atmosphäre und könne frei und offen sprechen. Dass die Ermittlungsbehörden genau diesen Eindruck bei dem Angeklagten hervorrufen wollten, um ihm auf diesem Wege das bi dahin nicht erlangte Geständnis zu „entlocken“, sei zum einen mit Blick auf das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung (nemo tenetur-Grundsatz) jedenfalls bedenklich. Zum anderen grenze es an eine - rechtswidrige - Täuschung des Angeklagten, bewusst eine von den normalen Abläufen der Untersuchungshaft abweichende Besuchssituation zu schaffen, in der sich der Angeklagte unbeobachtet fühlen sollte und musste.

Im Gesamtergebnis verstoße die Abhörmaßnahme damit gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, so dass der Inhalt der abgehörten Gespräch nicht hätte verwertet werden dürfen.
 
Pressemitteilung des BGH Nr. 90/2009

 

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2 Gesetze werden in diesem Text zitiert

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(1) Auch ohne Wissen der betroffenen Personen darf außerhalb von Wohnungen das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete, auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Die Maßnahme darf sich nur gegen einen Beschuldigten richten. Gegen andere Personen darf die Maßnahme nur angeordnet werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit einem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(3) Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(4) § 100d Absatz 1 und 2 sowie § 100e Absatz 1, 3, 5 Satz 1 gelten entsprechend.

(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

1.
der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.

(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit

1.
der für ihn zuständigen Bewährungshilfe,
2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle,
3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe,
4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder,
5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht,
6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes,
8.
dem Europäischen Parlament,
9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
10.
dem Europäischen Gerichtshof,
11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten,
12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten,
13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau,
17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen,
18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte,
19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet,
a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und
b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 festzustellen, trifft die nach Absatz 2 zuständige Stelle.

(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.