Strafrecht: Zur Zulässigkeit der Berücksichtigung fehlender Wiedergutmachungsbemühungen zum Nachteil des Angeklagten
Das OLG Jena hat mit dem Beschluss vom 29.04.2011 (Az: 1 Ss 15/11) folgendes entschieden:
Zwar ist es nicht generell unzulässig, das Fehlen von Wiedergutmachungsbemühungen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten zu werten. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn dieses Verhalten Ausdruck von Uneinsichtigkeit oder einer mitleidlosen Gesinnung gegenüber dem Tatopfer ist und wenn Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten erwartet werden konnten. Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Angeklagte mit der von ihm vom Tatrichter erwarteten Wiedergutmachung seine Verteidigungsposition nicht gefährdet hätte.
Das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15.12.2010 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Mühlhausen verurteilte den Angeklagten am 14.01.2010 wegen einer am 21.08.2008 in M. zusammen mit einem Mittäter begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Vor dem Amtsgericht hatte sich der Angeklagte nicht zur Sache eingelassen. Das Gericht sah ihn jedoch aufgrund der Aussage des geschädigten Zeugen als überführt an.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein und beschränkte diese im Termin zur Hauptverhandlung vom 15.12.2010 vor der Berufungskammer des Landgerichts Mühlhausen auf den Rechtsfolgenausspruch. Durch Urteil vom 15.12.2010 verwarf die 7. Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen die Berufung des Angeklagten.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 07.03.2011, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die zulässige Revision hat - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Strafzumessungserwägungen der Berufungskammer halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. In dem Urteil heißt es zur Strafzumessung unter anderem:
„Bei der Ausfüllung dieses Strafrahmens gem. § 46 StGB war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er sich geständig zeigte.
Anderseits musste sich zulasten des Angeklagten auswirken, dass der Angeklagte bereits mehrfach wegen Körperverletzung strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und er keinerlei finanzielle Ausgleichszahlungen an das Opfer zahlte.
Zu seinen Gunsten sprach allerdings, dass er sich beim Opfer entschuldigt hat.
Auch die Schwere der Verletzungen des Geschädigten, O, mussten sich zum Nachteil des Angeklagten auswirken.“
Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Unterbleiben finanzieller Ausgleichszahlungen an das Opfer hier strafschärfend berücksichtigt worden ist.
Zwar ist es nicht generell unzulässig, das Fehlen von Wiedergutmachungsbemühungen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten zu werten. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn dieses Verhalten Ausdruck von Uneinsichtigkeit oder einer mitleidlosen Gesinnung gegenüber dem Tatopfer ist und wenn Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten erwartet werden konnten. Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Angeklagte mit der von ihm vom Tatrichter erwarteten Wiedergutmachung seine Verteidigungsposition nicht gefährdet hätte.
An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Wie sich dem angefochtenen Berufungsurteil (UA S. 5 3. Abs.) entnehmen lässt und der Blick in die Akte bestätigt, hat sich der Angeklagte erst in der Berufungshauptverhandlung vom 15.12.2011 geständig gezeigt, und zwar in der Weise, dass er seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. In der ersten Instanz hatte er geschwiegen. Da der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat mithin bis zur Berufungshauptverhandlung, an deren Ende das Urteil erging, nicht eingeräumt hatte, hätte er mit Wiedergutmachungsleistungen an dem Geschädigten seine Verteidigungsposition gefährdet. In der Zeit zwischen der Erklärung der Beschränkung der Berufung im Termin vom 15.12.2010 und der Verkündung des Urteils am Ende dieses Termins dürfte jedoch kaum ausreichend Gelegenheit und finanzielles Vermögen zu einer angemessenen Schmerzensgeldzahlung vorhanden gewesen sein. Jedenfalls stellt das Urteil derartiges nicht fest.
Da es in dem Berufungsurteil ausdrücklich heißt, dass sich das Ausbleiben finanzieller Ausgleichszahlungen „zulasten des Angeklagten auswirken musste“, kann der Senat nicht ausschließen, dass die erkannte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf dem vorgenannten Rechtsfehler beruht.
Mithin war das angefochtene Urteil, das infolge der Beschränkung allein den Rechtsfolgen zum Gegenstand hat, insgesamt aufzuheben und war die Sache an das Landgericht Mühlhausen zurückzuverweisen.
Zwar ist es nicht generell unzulässig, das Fehlen von Wiedergutmachungsbemühungen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten zu werten. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn dieses Verhalten Ausdruck von Uneinsichtigkeit oder einer mitleidlosen Gesinnung gegenüber dem Tatopfer ist und wenn Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten erwartet werden konnten. Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Angeklagte mit der von ihm vom Tatrichter erwarteten Wiedergutmachung seine Verteidigungsposition nicht gefährdet hätte.
Das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15.12.2010 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Mühlhausen verurteilte den Angeklagten am 14.01.2010 wegen einer am 21.08.2008 in M. zusammen mit einem Mittäter begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Vor dem Amtsgericht hatte sich der Angeklagte nicht zur Sache eingelassen. Das Gericht sah ihn jedoch aufgrund der Aussage des geschädigten Zeugen als überführt an.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein und beschränkte diese im Termin zur Hauptverhandlung vom 15.12.2010 vor der Berufungskammer des Landgerichts Mühlhausen auf den Rechtsfolgenausspruch. Durch Urteil vom 15.12.2010 verwarf die 7. Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen die Berufung des Angeklagten.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 07.03.2011, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die zulässige Revision hat - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Strafzumessungserwägungen der Berufungskammer halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. In dem Urteil heißt es zur Strafzumessung unter anderem:
„Bei der Ausfüllung dieses Strafrahmens gem. § 46 StGB war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er sich geständig zeigte.
Anderseits musste sich zulasten des Angeklagten auswirken, dass der Angeklagte bereits mehrfach wegen Körperverletzung strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und er keinerlei finanzielle Ausgleichszahlungen an das Opfer zahlte.
Zu seinen Gunsten sprach allerdings, dass er sich beim Opfer entschuldigt hat.
Auch die Schwere der Verletzungen des Geschädigten, O, mussten sich zum Nachteil des Angeklagten auswirken.“
Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Unterbleiben finanzieller Ausgleichszahlungen an das Opfer hier strafschärfend berücksichtigt worden ist.
Zwar ist es nicht generell unzulässig, das Fehlen von Wiedergutmachungsbemühungen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten zu werten. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn dieses Verhalten Ausdruck von Uneinsichtigkeit oder einer mitleidlosen Gesinnung gegenüber dem Tatopfer ist und wenn Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten erwartet werden konnten. Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Angeklagte mit der von ihm vom Tatrichter erwarteten Wiedergutmachung seine Verteidigungsposition nicht gefährdet hätte.
An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Wie sich dem angefochtenen Berufungsurteil (UA S. 5 3. Abs.) entnehmen lässt und der Blick in die Akte bestätigt, hat sich der Angeklagte erst in der Berufungshauptverhandlung vom 15.12.2011 geständig gezeigt, und zwar in der Weise, dass er seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. In der ersten Instanz hatte er geschwiegen. Da der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat mithin bis zur Berufungshauptverhandlung, an deren Ende das Urteil erging, nicht eingeräumt hatte, hätte er mit Wiedergutmachungsleistungen an dem Geschädigten seine Verteidigungsposition gefährdet. In der Zeit zwischen der Erklärung der Beschränkung der Berufung im Termin vom 15.12.2010 und der Verkündung des Urteils am Ende dieses Termins dürfte jedoch kaum ausreichend Gelegenheit und finanzielles Vermögen zu einer angemessenen Schmerzensgeldzahlung vorhanden gewesen sein. Jedenfalls stellt das Urteil derartiges nicht fest.
Da es in dem Berufungsurteil ausdrücklich heißt, dass sich das Ausbleiben finanzieller Ausgleichszahlungen „zulasten des Angeklagten auswirken musste“, kann der Senat nicht ausschließen, dass die erkannte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf dem vorgenannten Rechtsfehler beruht.
Mithin war das angefochtene Urteil, das infolge der Beschränkung allein den Rechtsfolgen zum Gegenstand hat, insgesamt aufzuheben und war die Sache an das Landgericht Mühlhausen zurückzuverweisen.
Gesetze
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Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.