WEG: Widerruf einer abgegebenen Stimme nach Zugang bei Versammlungsleiter

bei uns veröffentlicht am09.10.2012

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für Familien- und Erbrecht

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Zusammenfassung des Autors
die in der Eigentümerversammlung abgegebene Stimme kann nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden-BGH vom 13.07.12-Az:V ZR 254/11
Der BGH hat mit dem Urteil vom 13.07.2012 (Az: V ZR 254/11) folgendes entschieden:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 3. November 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


Tatbestand:

Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 16. Juli 2010 stimmten die Wohnungseigentümer mit Stimmzetteln über den Beschlussantrag ab, der Verwalterin eine Zusatzvergütung für die Aufarbeitung der Verwaltungsunterlagen in Höhe von insgesamt 3.311,18 € zuzubilligen. Die Beiratsvorsitzende öffnete die abgegebenen Stimmzettel, während die Verwalterin die ihr mitgeteilten Ergebnisse in eine Excel-Tabelle eintrug. Zwei Wohnungseigentümer, die auf ihren bereits abgegebenen Stimmzetteln zunächst Nein angekreuzt hatten, änderten dies zu einem zwischen den Parteien strittigen Zeitpunkt unter Rückforderung ihres Stimmzettels in eine Ja-Stimme und eine Enthaltung ab. Unter Berücksichtigung der geänderten Stimmen verkündete die Versammlungsleiterin, eine Angestellte der Verwalterin, den Antrag als angenommen, da mehr als zwei Drittel der Wohnungseigentümer für den Beschlussantrag gestimmt hätten.

Das Amtsgericht hat der dagegen gerichteten Anfechtungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Kläger, mit der sie eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehren. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.


Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung eines Beschlussergebnisses widerrufen werden. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB sei auf die Stimmabgabe nicht anzuwenden. Die Vorschrift schütze das Vertrauen in den Bestand von zugegangenen Willenserklärungen. Ein solcher Schutz sei bei der Stimmabgabe in der Wohnungseigentümerversammlung nicht notwendig, da der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses zustande komme. Dass vor Rückforderung der Stimmzettel bereits ein Beschlussergebnis verkündet gewesen sei, hätten die Kläger nicht beweisen können; denn das Berufungsgericht habe sich keine Überzeugung darüber bilden können, welche der für sich genommen jeweils glaubhaften Aussagen der von dem Amtsgericht vernommenen Zeugen der Wahrheit entspreche.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass die von den Wohnungseigentümern abgegebenen Einzelstimmen empfangsbedürftige Willenserklärungen gegenüber dem Versammlungsleiter sind, auf die die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln Anwendung finden. Die in der Eigentümerversammlung unter Anwesenden abgegebene Stimme wird daher entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam, wenn der Versammlungsleiter sie zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses zur Kenntnis nimmt. Handelt es sich  wie hier  um eine in Form von Stimmzetteln verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden, liegt ein Zugang vor, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Versammlungsleiters als Empfänger gelangt. Damit waren die beiden  später geänderten  Stimmen bereits mit der Abgabe des ausfüllten Stimmzettels bei den von der Versammlungsleiterin mit der Auszählung und Ermittlung des Abstimmungsergebnisses betrauten Personen zugegangen und wirksam geworden. Auf den Zeitpunkt der Verlesung der Stimmzettel und Eintragung des Stimmergebnisses in die Excel-Tabelle kommt es für den Zugang nicht an.

Unzutreffend ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Stimmabgabe auch noch nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter bis zur Verkündung des Abstimmungsergebnisses wirksam widerrufen werden kann.

Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stimmabgabe widerrufen werden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Nach überwiegender Auffassung kommt ein Widerruf der Stimme gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nur bis zu ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter in Betracht. Nach anderer Auffassung ist ein Widerruf der Einzelerklärung jedenfalls bis zur Abgabe der letzten Stimme möglich, da bis dahin der Abstimmungsvorgang noch nicht beendet sei. Nach einer weiteren Meinung kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung des Beschlusses widerrufen werden. Denn ein Beschluss komme erst mit seiner Feststellung und einer an alle Wohnungseigentümer gerichteten Mitteilung des Beschlussergebnisses zustande. Es gebe keinen Anlass, einen Wohnungseigentümer vor dieser Mitteilung an seine Stimmabgabe endgültig zu binden. Diese könne keine selbständige Regelungswirkung entfalten, solange es keinen Beschluss gebe.

Der Senat hält die Auffassung der herrschenden Meinung, wonach die Stimmabgabe nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden kann, für zutreffend. Hierfür spricht die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB, die auf die Stimmabgabe als unter Anwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung sinngemäß Anwendung findet. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und bindet den Erklärenden (vgl. § 145 Abs. 1 BGB), weshalb ein Widerruf der Erklärung nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB ab diesem Zeitpunkt ausscheidet. Soweit das Berufungsgericht darauf hinweist, dass Willenserklärungen im Rahmen der §§ 929, 873 Abs. 2 BGB mit Zugang auch noch keine Bindungswirkung entfalteten, vermag hieraus eine Ausnahme für die Stimmabgabe nicht hergeleitet zu werden. Die Bestimmung des § 873 Abs. 2 BGB, die die Unwiderruflichkeit der dinglichen Einigung vor der Eintragung von der Beobachtung gewisser Förmlichkeiten abhängig macht, soll übereilte und leichtfertige Verfügungen über Grundstücksrechte verhindern. Gründe für eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung sind nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses zustande kommt, rechtfertigt nicht die freie Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zu diesem Zeitpunkt; denn dann müssten auch Vertragsangebote nach §§ 145 ff. BGB, die allein keinen Vertrag zustande bringen, jederzeit widerruflich sein. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht auch kein praktisches Bedürfnis, hinsichtlich der Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung von der Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB abzuweichen. Ließe man einen Widerruf der Stimmabgabe bis zur Verkündung des Beschlussergebnisses zu, könnte die Feststellung eines Ergebnisses  insbesondere bei großen Eigentümergemeinschaften  erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Man bedenke nur den Fall, dass der Versammlungsleiter bereits mit der Zählung der Stimmen begonnen hat und, ehe er fertig ist, einige Mitglieder, die er schon gezählt hat, ihre Stimmen widerrufen. Es muss daher einen Zeitpunkt geben, ab dem der Versammlungsleiter damit beginnen kann, das Beschlussergebnis verbindlich festzustellen. Dies ist entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB der Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Stimme bei dem Versammlungsleiter.

Mit dem Zugang konnten die beiden Stimmabgaben daher nicht mehr wirksam widerrufen werden und hätten in ihrer ursprünglichen Fassung bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Eingang finden müssen.

Da der Zeitpunkt der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses für einen wirksamen Widerruf der Stimmabgabe nicht maßgeblich ist, kommt es nicht darauf an, dass die in diesem Zusammenhang von dem Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft ist. Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO die erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht erneut vernommen hat. Das Amtsgericht hat sich zur Glaubwürdigkeit der Zeugen in dem von dem Berufungsgericht als erheblich erachteten Punkt nicht geäußert. Da dem Berufungsgericht objektive Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der einen oder anderen Aussage fehlten, kam es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen an. Deren Beurteilung konnte nur dadurch erfolgen, dass sich das Berufungsgericht durch erneute Vernehmung einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von den Zeugen verschaffte.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Eine Ungültigerklärung des Beschlusses aufgrund des Auszählungsfehlers kommt nur in Betracht, wenn sich bei korrekter Ermittlung des Abstimmungsergebnisses für den zugrunde liegenden Beschlussantrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat. Hierzu hat das Berufungsgericht  von seinem Standpunkt aus folgerichtig  keine Feststellungen getroffen.


Gesetze

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(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 562 Aufhebung des angefochtenen Urteils


(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

Zivilprozessordnung - ZPO | § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 929 Einigung und Übergabe


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(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen. (2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Proze

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URTEIL
V ZR 254/11 Verkündet am:
13. Juli 2012
Mayer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die in der Eigentümerversammlung abgegebene Stimme kann nach ihrem Zugang
bei dem Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden.
BGH, Urteil vom 13. Juli 2012 - V ZR 254/11 - LG Koblenz
AG Sinzig
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und
Weinland

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 3. November 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 16. Juli 2010 stimmten die Wohnungseigentümer mit Stimmzetteln über den Beschlussantrag ab, der Verwalterin eine Zusatzvergütung für die Aufarbeitung der Verwaltungsunterlagen in Höhe von insgesamt 3.311,18 € zuzubilligen. Die Beiratsvorsitzende öffnete die abgegebenen Stimmzettel, während die Verwalterin die ihr mitgeteilten Ergebnisse in eine Excel-Tabelle eintrug. Zwei Wohnungseigentümer, die auf ihren bereits abgegebenen Stimmzetteln zunächst Nein angekreuzt hatten, änderten dies zu einem zwischen den Parteien strittigen Zeitpunkt unter Rückforderung ihres Stimmzettels in eine Ja-Stimme und eine Enthaltung ab. Unter Berücksichtigung der geänderten Stimmen verkündete die Versammlungsleiterin, eine Angestellte der Verwalterin, den Antrag als angenommen, da mehr als zwei Drittel der Wohnungseigentümer für den Beschlussantrag gestimmt hätten.
2
Das Amtsgericht hat der dagegen gerichteten Anfechtungsklage stattgegeben , das Landgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Kläger, mit der sie eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehren. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


3
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung eines Beschlussergebnisses widerrufen werden. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB sei auf die Stimmabgabe nicht anzuwenden. Die Vorschrift schütze das Vertrauen in den Bestand von zugegangenen Willenserklärungen. Ein solcher Schutz sei bei der Stimmabgabe in der Wohnungseigentümerversammlung nicht notwendig, da der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses zustande komme. Dass vor Rückforderung der Stimmzettel bereits ein Beschlussergebnis verkündet gewesen sei, hätten die Kläger nicht beweisen können; denn das Berufungsgericht habe sich keine Überzeugung darüber bilden können, welche der für sich genommen jeweils glaubhaften Aussagen der von dem Amtsgericht vernommenen Zeugen der Wahrheit entspreche.

II.


4
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass die von den Wohnungseigentümern abgegebenen Einzelstimmen empfangsbedürftige Willenserklärungen gegenüber dem Versammlungsleiter sind, auf die die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln Anwendung finden (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 67). Die in der Eigentümerversammlung unter Anwesenden abgegebene Stimme wird daher entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam, wenn der Versammlungsleiter sie zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1989 - IV b ZR 44/88, NJW 1989, 1728, 1729; Wenzel in Immobilienrecht 2002, S. 23, 38). Handelt es sich - wie hier - um eine in Form von Stimmzetteln verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden, liegt ein Zugang vor, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Versammlungsleiters als Empfänger gelangt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1998 - II ZR 40/97, NJW 1998, 3344 m.w.N.). Damit waren die beiden - später geänderten - Stimmen bereits mit der Abgabe des ausfüllten Stimmzettels bei den von der Versammlungsleiterin mit der Auszählung und Ermittlung des Abstimmungsergebnisses betrauten Personen zugegangen und wirksam geworden. Auf den Zeitpunkt der Verlesung der Stimmzettel und Eintragung des Stimmergebnisses in die Excel-Tabelle kommt es für den Zugang nicht an.
6
2. Unzutreffend ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Stimmabgabe auch noch nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter bis zur Verkündung des Abstimmungsergebnisses wirksam widerrufen werden kann.

7
a) Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stimmabgabe widerrufen werden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Nach überwiegender Auffassung kommt ein Widerruf der Stimme gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nur bis zu ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter in Betracht (Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 23 Rn. 31; Staudinger/Bub, BGB [2005], § 23 WEG Rn. 69; Wenzel, in Immobilienrecht (2002) 23, 38; Müller, ZWE 2000, 237, 245; Armbrüster ZWE 2000, 455, 456). Nach anderer Auffassung ist ein Widerruf der Einzelerklärung jedenfalls bis zur Abgabe der letzten Stimme möglich, da bis dahin der Abstimmungsvorgang noch nicht beendet sei (Erman/Grziwotz, BGB, 13. Aufl., § 23 BGB Rn. 2). Nach einer weiteren Meinung kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung des Beschlusses widerrufen werden. Denn ein Beschluss komme erst mit seiner Feststellung und einer an alle Wohnungseigentümer gerichteten Mitteilung des Beschlussergebnisses zustande. Es gebe keinen Anlass, einen Wohnungseigentümer vor dieser Mitteilung an seine Stimmabgabe endgültig zu binden. Diese könne keine selbständige Regelungswirkung entfalten, solange es keinen Beschluss gebe (Elzer in Jennißen , WEG, 3. Aufl., Vor §§ 23 bis 25 Rn. 47).
8
b) Der Senat hält die Auffassung der herrschenden Meinung, wonach die Stimmabgabe nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden kann, für zutreffend. Hierfür spricht die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB, die auf die Stimmabgabe als unter Anwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung sinngemäß Anwendung findet. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und bindet den Erklärenden (vgl. § 145 Abs. 1 BGB), weshalb ein Widerruf der Erklärung nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB ab diesem Zeitpunkt ausscheidet. Soweit das Berufungsgericht darauf hinweist, dass Willenserklärungen im Rahmen der §§ 929, 873 Abs. 2 BGB mit Zugang auch noch keine Bindungswirkung entfalteten, vermag hieraus eine Ausnahme für die Stimmabgabe nicht hergeleitet zu werden. Die Bestimmung des § 873 Abs. 2 BGB, die die Unwiderruflichkeit der dinglichen Einigung vor der Eintragung von der Beobachtung gewisser Förmlichkeiten abhängig macht, soll übereilte und leichtfertige Verfügungen über Grundstücksrechte verhindern (Senat, Urteil vom 25. Januar 1967 - V ZR 172/65, BGHZ 46, 398, 399). Gründe für eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung sind nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses zustande kommt, rechtfertigt nicht die freie Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zu diesem Zeitpunkt ; denn dann müssten auch Vertragsangebote nach §§ 145 ff. BGB, die allein keinen Vertrag zustande bringen, jederzeit widerruflich sein (vgl. Prüfer, Schriftliche Beschlüsse, gespaltene Jahresabrechnungen, S. 140). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht auch kein praktisches Bedürfnis, hinsichtlich der Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung von der Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB abzuweichen. Ließe man einen Widerruf der Stimmabgabe bis zur Verkündung des Beschlussergebnisses zu, könnte die Feststellung eines Ergebnisses - insbesondere bei großen Eigentümergemeinschaften - erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Man bedenke nur den Fall, dass der Versammlungsleiter bereits mit der Zählung der Stimmen begonnen hat und, ehe er fertig ist, einige Mitglieder, die er schon gezählt hat, ihre Stimmen widerrufen. Es muss daher einen Zeitpunkt geben, ab dem der Versammlungsleiter damit beginnen kann, das Beschlussergebnis verbindlich festzustellen (Bartholomeyczik, ZHR 205, 293, 327). Dies ist entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB der Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Stimme bei dem Versammlungsleiter.
9
c) Mit dem Zugang konnten die beiden Stimmabgaben daher nicht mehr wirksam widerrufen werden und hätten in ihrer ursprünglichen Fassung bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Eingang finden müssen.
10
3. Da der Zeitpunkt der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses für einen wirksamen Widerruf der Stimmabgabe nicht maßgeblich ist, kommt es nicht darauf an, dass die in diesem Zusammenhang von dem Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft ist. Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO die erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht erneut vernommen hat. Das Amtsgericht hat sich zur Glaubwürdigkeit der Zeugen in dem von dem Berufungsgericht als erheblich erachteten Punkt nicht geäußert. Da dem Berufungsgericht objektive Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der einen oder anderen Aussage fehlten, kam es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen an. Deren Beurteilung konnte nur dadurch erfolgen, dass sich das Berufungsgericht durch erneute Vernehmung einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von den Zeugen verschaffte (vgl. Senat, Urteil vom 8. Februar 1985 - V ZR 253/83, NJW-RR 1986, 285, 286).
11
4. Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
12
Eine Ungültigerklärung des Beschlusses aufgrund des Auszählungsfehlers kommt nur in Betracht, wenn sich bei korrekter Ermittlung des Abstimmungsergebnisses für den zugrunde liegenden Beschlussantrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat (vgl. Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 23 Rn. 177). Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Sinzig, Entscheidung vom 16.06.2011 - 10a C 17/10 WEG -
LG Koblenz, Entscheidung vom 03.11.2011 - 2 S 40/11 -

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat.

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll. Ist der Erwerber im Besitz der Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des Eigentums.

(1) Zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, zur Belastung eines Grundstücks mit einem Recht sowie zur Übertragung oder Belastung eines solchen Rechts ist die Einigung des Berechtigten und des anderen Teils über den Eintritt der Rechtsänderung und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Vor der Eintragung sind die Beteiligten an die Einigung nur gebunden, wenn die Erklärungen notariell beurkundet oder vor dem Grundbuchamt abgegeben oder bei diesem eingereicht sind oder wenn der Berechtigte dem anderen Teil eine den Vorschriften der Grundbuchordnung entsprechende Eintragungsbewilligung ausgehändigt hat.

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen.

(2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozessgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen.

(3) Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.