Rechtsvergleichende Stellungnahme zur englischen Verbraucherinsolvenz und polnischen Novelle über Verbraucherinsolvenz

Rechtsvergleichende Stellungnahme zur englischen Verbraucherinsolvenz und polnischen Novelle über Verbraucherinsolvenz

erstmalig veröffentlicht: 23.08.2010, letzte Fassung: 22.02.2024
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Verbraucherinsolvenz in England und Wales

1. Rechtsgrundlagen

Aufgrund der Landesgeschichte werden in Großbritannien, also in England/Wales, Schottland und Nordirland, unterschiedliche Rechtsnormen angewandt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf die Rechtslage in England und Wales. Die maßgeblichen insolvenzrechtlichen Bestimmungen finden sich vorwiegend in einem Gesetz (Insolvency Act von 1986) und einer Verordnung (Insolvency Rules von 1986).


2. Personenkreis

Nach Art. 3 der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Vertragstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (centre of main interests) hat. Nach § 265 IA 1986 ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz in England und Wales hat und sich entweder zum Zeitpunkt der Antragstellung dort aufhielt oder in den drei Jahren vor Antragstellung in England und Wales wohnhaft oder geschäftlich tätig war, § 265 IA 1986. Der Interessensmittelpunkt eines Selbständigen liegt regelmäßig an dem Ort, wo dieser seine Tätigkeit ausübt (gewerbliche Niederlassung: Büro-, Praxis, Kanzleiräume). Bei abhängig Beschäftigten wird angenommen, dass ihr Lebensmittelpunkt an dem Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes liegt und nicht am Arbeitsort.


3. Formen des Individualinsolvenzverfahrens

Die Rechtsordnung in England und Wales unterscheidet zwischen den Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person und einer Gesellschaft. Für das Individualinsolvenzverfahrens sind grundsätzlich zwei Regelungen vorgesehen.

a) Natürliche Personen, sowie Unternehmen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten, können die Insolvenz durch einen außergerichtlichen Vergleich (individual voluntary arrangement) abwenden. Dieser ist für alle Gläubiger verbindlich, wenn mindestens 75 % der Gläubiger den Vorschlägen des Schuldners zustimmen.
Die Verfahrensvorschriften sind in Part VIII IA 1986 und Part 5 IR 1986 geregelt.

b) Das weitaus häufigere Verfahren ist jedoch das Bankruptcy-Verfahren. Am Ende des Verfahrens erlangt der Schuldner die Restschuldbefreiung. Dieses Verfahren wird in den nachfolgenden Punkten kurz dargestellt.


4. Eröffnung des Bankruptcy-Verfahrens

Das Insolvenzverfahren über eine natürliche Person wird auf Antrag eröffnet, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist. Darunter wird die dauernde Unfähigkeit, bestehende und fällige Forderungen zu erfüllen, verstanden.
Antragsberechtigt sind der Schuldner, die Gläubiger, sowie der Staatsanwalt in Fällen des betrügerischen Konkurses.


5. Vermögen des Schuldners

Der Schuldner verliert bereits mit Antragstellung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Mit der Eröffnung des Verfahrens geht das Eigentum an den zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen auf den Insolvenzverwalter (trustee) über. Dieser ist befugt, über die Gegenstände zu verfügen und die Verwertung zu betreiben, wozu es in Ausnahmefällen der Zustimmung des Gerichts bedarf.
Die Insolvenzmasse umfasst das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung und danach erworbenes Vermögen, nicht jedoch Gegenstände, die nicht in seinem Eigentum stehen und solche, die er zum Lebensunterhalt benötigt.
Die Eröffnung des Verfahrens bewirkt, anders als bei der Unternehmensinsolvenz, keine automatische Unterbrechung von anhängigen Rechtsstreitigkeiten des Schuldners. Das Gericht kann aber das Ruhen des Verfahrens anordnen. Gleiches gilt für laufende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Werden hieraus nach Insolvenzeröffnung Erlöse erzielt, so gehören diese ebenfalls zur Insolvenzmasse.


6. Beendigung des Verfahrens

Das Bankruptcy-Verfahren wird durch die Erteilung einer Schuldbefreiung beendet. Nach dem sog. Enterprise Act 2002 erlangt der Schuldner die Schuldbefreiung automatisch nach Ablauf von zwölf Monaten.
Verurteilten Schuldnern wird Schuldbefreiung nur in Form eines Gerichtsbeschlusses erteilt, wobei die Entscheidung über die Schuldbefreiung im Ermessen des Gerichts liegt.


7. Rechtsfolgen der Schuldbefreiung

Die Schuldbefreiung befreit den Schuldner von seinen Schulden, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind. Der Schuldner wird auch von den nach Eröffnung entstandenen Schulden befreit, falls die rechtliche Verpflichtung vor Eröffnung entstanden ist.
Bestimmte Forderungen, wie zum Beispiel Schadenersatzansprüche oder gesicherte Forderungen, sind von der Rechtschuldbefreiung ausgeschlossen.


Verbraucherinsolvenz in Polen

Am 31.03.2009 tritt ein Änderungsgesetz zum polnischen Insolvenzrecht in Kraft. Die Novelle regelt die Rechinstitution der Verbraucherinsolvenz. Sie ist an natürliche Personen gerichtet, die nicht Unternehmer sind. Infolgedessen können die Personen, die im Gewerberegister (pol.: Ewidencja Dzia³alnoœci Gospodarczej) eingetragen sind, die neuen Vorschriften nicht in Anspruch nehmen.
Nach den Neuregelungen kann der Antrag auf die Verbraucherinsolvenz nur vom insolventen Schuldner gestellt werden.
Nach der Auffassung der Verfasser der neuen Vorschriften soll der Schuldner von der Verbraucherinsolvenz nur ausnahmsweise profitieren. So muss der Schuldner dem Insolvenzgericht glaubhaft machen können, dass seine Überschuldung in Zusammenhang mit außergewöhnlichen und von ihm unabhängigen Umständen entstanden ist, wie beispielsweise Krankheit, schicksalhaftes Ereignis, unverschuldeter Arbeitsverlust. Anderenfalls weist das Gericht den Antrag ab. Die Verbraucherinsolvenz ist insbesondere dann ausgeschlossen, falls sich der Schuldner verpflichtet hat, als er sich schon in der Insolvenz befunden hat.
Immobilien des Schuldners müssen zwecks Gläubigerbefriedigung veräußert werden. Der Betrag, der zwölf Monatsmieten entspricht, ist dem Schuldner aus dem Verkaufserlös zu überlassen.
Das Gericht legt einen Abzahlungsplan in Form eines Beschlusses fest. Im Abzahlungsplan wird geregelt, in welchem Zeitraum (max. 5 Jahre) der Schuldner die Schulden, die nach dem Verteilungsplan nicht befriedigt wurden, abzahlen muss. Darüber hinaus bestimmt der Abzahlungsplan, inwiefern der Schuldner von seiner Überschuldung befreit wird (vorausgesetzt, dass er den Abzahlungsplan eingehalten hat).
Während der Abzahlung der Schulden hat der Schuldner das Gericht jährlich über die Einhaltung des Abzahlungsplans, Einkommen, Vermögenszuwachs zu berichten. Das Gericht stellt das Insolvenzverfahren ein, falls der Schuldner diesen Pflichten nicht nachkommt bzw. nicht nach dem Plan abzahlt.
Nachdem der Schuldner den Abzahlungsplan ausgeführt hat, erlässt das Gericht den Beschluss über die Schuldfreiung. Der Antrag auf die Verbraucherinsolvenz darf nur einmal in 10 Jahren gestellt werden.


Zusammenfassung

Die polnischen Vorschriften über die Verbraucherinsolvenz treten am 31.03.2009 in Kraft. Ab diesem Moment werden die polnischen Staatsbürger die Privatinsolvenz in anderen EU-Ländern, beispielsweise in England und Wales, in Anspruch nehmen können. Die Privatinsolvenz in England und Wales erscheint gegenüber den polnischen Neuregelungen wesentlich vorteilhafter. Die Verbraucherinsolvenz in Polen wird nur von Schuldnern beantragt werden, deren Überschuldung in Zusammenhang mit außergewöhnlichen und von ihnen unabhängigen Umständen entstanden ist. Die Privatinsolvenz in England und Wales enthält solche Einschränkungen nicht und kann grundsätzlich von jedem Schuldner beantragt werden. Darüber hinaus ermöglicht sie dem Schuldner, schon nach 12 Monaten entschuldet zu werden. Zu beachten ist aber, dass es bei böswilligen oder schuldhaften Verhalten eine Anzahl von Beschränkungen gibt, wodurch sich das Verfahren bis zu 15 Jahre hinziehen kann. Die Wirkungen des englischen Insolvenzverfahrens, insbesondere die Restschuldbefreiung, werden nach der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren anerkannt. Voraussetzung dafür, dass ein Verfahren in England eröffnet werden kann, ist, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung seinen Wohnsitz in England hat und sich dort auch aufhielt. Bedacht werden sollte dabei, dass eine, wenn auch nur zeitweise Wohnsitzverlagerung, mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Anwaltliche Beratung sollte dort beginnen, wo die Wahl des Gerichtsstandes (Polen, England) und des damit anwendbaren Rechts  - forum shopping - Vorteile für die Mandanten eröffnet. Dafür ist die Kenntnis der unterschiedlichen Rechtsordnungen Voraussetzung.
Wenn z.B. die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der jeweils günstigeren Rechtsordnung nur vorgetäuscht werden, dann wäre dies strafrechtlich relevant. Der entsprechende Restschuldbefreiungstitel wäre dann erschlichen und müsste in Polen nicht anerkannt werden. Wir raten unbedingt davon ab, von etwaigen Pauschalangeboten Gebrauch zu machen.
Wir beraten jeden redlichen Schuldner. Der Weg zur Restschuldbefreiung ist steinig. Wir helfen Ihnen so gut es geht dorthin. Das ist nicht einfach.

Rechtsanwalt Dirk Streifler
Artur Nowodworski, LL.M.

Autor:in

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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