Nötigung

erstmalig veröffentlicht: 30.06.2010, letzte Fassung: 05.03.2024
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Eine strafbare Nötigung im Sinne des § 240 StGB begeht, wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

Eine strafbare Nötigung tritt häufig im Straßenverkehr in Erscheinung. So wurde von der Rechtsprechung z.B. dann eine Nötigung angenommen, wenn ein anderes Fahrzeug beim Überholen geschnitten wurde, sowie bei absichtlichem Ausbremsen. Ein dichtes Auffahren kann ebenfalls eine Nötigung darstellen; bei der Beurteilung des konkreten Falles sind insbesondere die gefahrenen Geschwindigkeiten, die Abstände der Fahrzeuge zueinander, sowie die Dauer bzw. die Streckenlänge des bedrängenden Auffahrens zu berücksichtigen. Keine strafbare Nötigung liegt dagegen vor, wenn der Nachfolgende den Vorausfahrenden mit andauerndem Hupen bzw. Zeichengeben z.B. zur Räumung der linken Fahrbahn bewegen will. (OLG Hamm vom 11. 8. 2005 - 4 Ss 308/05, BVerfG vom 29.03.07 - 2 BvR 932/06, BayObLG vom 16.01.1990 - RReg. 2 St 319/89).

I.    Geschütztes Rechtsgut

Das Schutzgut des Nötigungstatbestands, geregelt in § 240 StGB, ist die durch Art.2 Abs.1 GG gewährleistete Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Einzelnen.

II.    Tatobjekt

Tatobjekt der Nötigung muss ein anderer Mensch sein. Juristische Personen sind somit als Opfer einer Nötigung ausgeschlossen. Richtet sich die Nötigung gegen eine Mehrheit von Personen, so ist es ausreichend, wenn sich innerhalb eines bestimmten Kreises verschiedene Personen durch die Drohung getroffen fühlen.

III.    Nötigungsmittel

Mittel der Nötigung sind „Gewalt“ oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. List hingegen kommt als Nötigungsmittel nicht in Betracht.


1. Gewaltanwendung

„Gewaltanwendung“ liegt z.B. vor, wenn ein Autofahrer auf Menschen zufährt, um diese zu veranlassen, ihm Platz zu machen. Auch die Abgabe von Schreckschüssen kann Anwendung von Gewalt sein. Dagegen ist im Versperren eines Weges – entgegen der früheren Rechtsprechung (BayObLG vom 24. 3. 1970 - RReg. 2 St 18/70) - nach den Einschränkungskriterien des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 10.01.1995 - 1 BvR 718/89) nicht mehr ohne weiteres Gewalt zu erblicken. Ebenso wenig ist dies bei rein passiven Sitzstreiks oder psychischem, wohl aber sich körperlich auswirkendem Verbalterror der Fall. Auch durch telefonische Störanrufe wird noch kein Zwang (zum Abheben) mittels Gewalt erzeugt.

Die Gewalt gegen dritte Personen, z.B. die Nötigung des Arbeitgebers dadurch, dass seine Arbeitnehmer zur Niederlegung der Arbeit gezwungen werden, kann eine mittelbare Gewaltanwendung gegen den Genötigten sein.

Auch eine gegen Sachen gerichtete Gewalt kann als Nötigungsmittel in Betracht kommen.

2. Drohung mit empfindlichen Übel

Weiteres Nötigungsmittel ist die „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Unter Übel ist jede, über bloße Unannehmlichkeiten hinausgehende, Einbuße an Werten oder Zufügen von Nachteilen zu verstehen. Als empfindlich ist es zu betrachten, wenn der drohende Verlust oder der zu befürchtende Nachteil geeignet ist, einen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen. Eine Drohung kann auch dann vorliegen, wenn nur Dummheit, nicht aber wenn nur Aberglaube das Angedrohte als Übel erscheinen lässt. Bedrohung mit Entziehung der Dienst- oder Arbeitsstelle kann ebenfalls eine Drohung mit einem empfindlichen Übel sein(BGH vom 25.02.1993 - 1 StR 652/92), sowie die Bedrohung mit erheblichem Lärmterror ( OLG Koblenz vom 02.03.1993 - 3 Ss 13/93). Das Gleiche gilt für die Information des Ehemannes über ein intimes Drittverhältnis seiner Ehefrau., nicht dagegen schon die Ankündigung einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Das angedrohte Übel muss jedoch nicht unbedingt in einem Tun, sondern kann auch in einem Unterlassen bestehen, sofern es den bereits erwähnten Grad an Empfindlichkeit erreicht. Ferner genügt es, wenn die Fortsetzung eines schon begonnen Übels angedroht wird.

Auch das angedrohte Übel kann sich gegen den Bedrohten oder gegen einen Dritten richten. Die Verwirklichung der angedrohten Tat muss sich jedoch für den Bedrohten als ein Übel darstellen.


IV.    Nötigungshandlung

Die Nötigungshandlung muss auf der Opferseite zu einem Nötigungserfolg führen, der in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung bestehen kann. Zu beachten ist hier, dass die Nötigungshandlung vom Nötigungserfolg zu trennen ist.

V.    Vollendung der Tat

Die Tat ist vollendet, sobald das Opfer unter der Einwirkung des Nötigungsmittels mit der vom Täter geforderten Handlung begonnen hat. Die Anwendung des Nötigungsmittels muss im kausalen Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen (BGH vom 01.12.2005 - 4 StR 506/05)

Das Kernproblem des § 240 StGB ist die Rechtswidrigkeit der Nötigungshandlung in Absatz 2. Während die frühere Rechtsprechung die Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen forderte, reicht nach heutiger Ansicht die Drohung mit einem empfindlichen Übel aus. Die Tat ist rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Somit ergibt sich die Widerrechtlichkeit aus dem Verhältnis von Nötigungsmittel und Nötigungszweck.

Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, auch bedingter Vorsatz reicht hier aus, jedoch ist ein zielgerichtetes Handeln erforderlich. (OLG Düsseldorf vom 09.08.2007 - III-5 Ss 130/07, OLG Hamm vom 25.06.2008 - 4 Ss 234/08)

Auch der Versuch der Nötigung ist gemäß § 240 Abs.3 StGB strafbar. Der Versuch beginnt mit Einsatz des Nötigungsmittels.

 

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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