Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2003 - 1 StR 531/02

bei uns veröffentlicht am16.01.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 531/02
vom
16. Januar 2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2003 beschlossen:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22. August 2002 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zum Vorbringen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Die Strafkammer geht davon aus, es sei "nicht auszuschließen", daß der Beschuldigte bei der Begehung der Tat schuldunfähig war. Bei der näheren Begründung des Maßregelausspruchs führt sie demgegenüber aus, er sei bei der Tatbegehung schuldunfähig gewesen.
Diese Unklarheit gefährdet hier den Bestand des Urteils jedoch nicht.

a) Eine Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB erfordert, daß die Voraussetzungen des § 20 StGB oder zumindest die des § 21 StGB - diese Bestimmung spricht die Strafkammer nicht an - sicher ("positiv") feststehen. Sind sie lediglich nicht auszuschließen , liegen sie also nur möglicherweise vor, so ist für eine Unterbringungsanordnung kein Raum (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 610; Beschlüsse vom 19. November 2002 - 1 StR 442/02 und 17. Oktober 2000 - 1 StR 428/00).

b) Der Beschuldigte ist an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie erkrankt. Zur Tatzeit lag bei ihm eine akute psychotische Symptomatik mit paranoidem Erleben vor. Er hat versucht, eine ihm bis dahin unbekannte 15 Jahre alte Schülerin in der Straßenbahn gegen den Kopf zu treten, weil er sich von ihr verfolgt fühlte.
Er war bereits früher einmal gemäß § 63 StGB untergebracht worden, als er Stimmen hörte, sich verfolgt fühlte und deshalb eine ihm bis dahin unbekannte Frau auf offener Straße tätlich angriff.

c) Bei akuten Schüben einer Schizophrenie ist erfahrungsgemäß in der Regel davon auszugehen, daß der Betroffene schuldunfähig ist (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 - 1 StR 268/95; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 40 m. zahlr. Nachw. aus der psychiatrischen Fachliteratur in Fn. 68). Dies liegt auch hier sehr nahe. Jedenfalls entnimmt der Senat aber einer Gesamtschau der Urteilsgründe, daß beim Beschuldigten zur Tatzeit zumindest die Voraussetzungen des § 21 StGB zweifelsfrei vorlagen.
Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2003 - 1 StR 531/02

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2003 - 1 StR 531/02

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2003 - 1 StR 531/02 zitiert 5 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2003 - 1 StR 531/02 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2002 - 1 StR 442/02

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 442/02
vom
19. November 2002
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. November 2002 beschlossen
:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landge-
richts Traunstein vom 24. Juni 2002 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Strafkammer führt aus, der Beschuldigte leide "an einer
ausgeprägten, anhaltend wahnhaften Störung ..., sodaß nicht
ausschließbar auf Grund der im Tatzeitraum gegebenen paranoiden
und affektiven Symptomatik die Einsichtsfähigkeit erheblich
vermindert und nicht ausschließbar aufgehoben war".
Eine Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB erfordert,
daß die Voraussetzungen von § 20 StGB oder zumindest die
Voraussetzungen von § 21 StGB sicher ("positiv") feststehen
(st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 610; Beschluß vom
17. Oktober 2000 - 1 StR 428/00 jew. m.w.N.). Wäre eine erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit nur möglich ("nicht
ausschließbar"), so stünde sie dagegen nicht sicher fest, so
daß für eine Unterbringungsanordnung kein Raum wäre. Einer
Gesamtschau der Urteilsgründe (zu deren Bedeutung vgl. auch
BGH, Beschluß vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 428/00), insbesondere
der eingehenden Mitteilung des Inhalts des Sachverständigengutachtens
, kann der Senat jedoch ohne weiteres
entnehmen, daß es sich bei der genannten Formulierung um
ein offenkundiges Fassungsversehen handelt und jedenfalls
eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten
sicher feststeht.
2. Für den - erkennbar versehentlich - in Ergänzung des Urteils
beantragten Freispruch des Beschuldigten ist kein Raum. Ein
Freispruch wäre nur geboten, wenn die Unterbringungsanordnung
im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgt wäre (vgl. BGH
NStZ - RR 1998, 142). Hier erfolgte sie dagegen im Rahmen
eines Sicherungsverfahrens (§§ 413 ff. StPO), also eines Verfahrens
, das nur die Anordnung einer Maßregel der Besserung
und Sicherung oder die Ablehnung des hierauf gerichteten Antrags
(vgl. § 414 Abs. 2 Satz 4 StPO) als Ergebnis haben kann,
nicht aber einen Freispruch (vgl. nur Pfeiffer StPO 4. Aufl.
§ 414 Rdn. 5, Paulus in KMR <8. Erg. Lfg.> § 414 Rdn. 22).
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.