Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2018 - 2 StR 283/18

bei uns veröffentlicht am26.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 283/18
vom
26. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:260918B2STR283.18.1

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. September 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. Februar 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Die Revision beanstandet zu Recht die Verletzung des Beweisantragsrechts. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde: In der Hauptverhandlung beantragte der sich nicht einlassende Angeklagte die Einholung eines morphologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass auf dem Video der Überwachungskamera aus dem
Edeka-Markt in K. zum Tatgeschehen am 1. Oktober 2016 eine andere Person als er zu sehen ist. Dieses werde ergeben, dass er bereits aufgrund seiner körperlichen Statur im September/Oktober 2016 die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen habe, da der Täter auf dem Video eine andere (Körper -)Statur aufweise als er selbst. Der Sachverständige werde aufgrund des vorliegenden Bildmaterials die im Beweisantrag genannten Feststellungen treffen können. Das Landgericht hat den Beweisantrag zurückgewiesen, weil das angegebene Beweismittel völlig ungeeignet sei. Es sei nicht möglich, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, die er für sein Gutachten bedürfe. Es könne dahinstehen, ob die von der Verteidigung eingereichten Lichtbilder überhaupt die Körperstatur abbildeten, die der Angeklagte am Tattag gehabt habe. Selbst wenn man dies unterstelle, könne das unter Beweis gestellte Beweisergebnis mit dem angebotenen Beweismittel nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielt werden. Die Videoaufzeichnungen seien von mäßiger Qualität und relativ unscharf. Aus ihnen ließen sich keine individualtypischen Merkmale des größeren und nach den Bekundungen der Zeugen männlichen Täters erkennen. Der Täter sei vollständig vermummt, trage eine langärmelige , nicht eng anliegende Jacke mit einer Kapuze, die einige Zentimeter ins Gesicht rage, und eine nicht eng anliegende Hose. Im Gesicht sei der Täter maskiert, freie Gesichtspartien seien nicht zu erkennen. Welche Schuhe der Täter trage, lasse sich aufgrund der Unschärfe der Aufzeichnung nicht erkennen. Es lasse sich weiterhin überhaupt nicht sagen, ob der Täter seine Körperstatur unter der Hose und Jacke möglicherweise durch straffe Kleidung bzw. Bandagen verengt oder durch weitere Kleidung künstlich verbreitert habe oder ob er seine Körperhöhe durch Einlagen in den Schuhen oder durch das Tragen dick besohlter Schuhe habe größer erscheinen lassen.

In den Urteilsgründen hingegen hat das Landgericht zur Frage der Vereinbarkeit der Körperstatur des Angeklagten mit dem auf der Videoaufzeichnung von der Tat zu sehenden Erscheinungsbild des Täters unter anderem Folgendes ausgeführt: „Aus den Videoaufzeichnungen der Tat … und den Zeugenaussagen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte A. aufgrund seiner Körperstatur nicht der Täter sein kann. Die Körperstatur des Angeklagten ist mit den Zeugenaussagen … zum Aussehen und der Statur des männlichen Täters sowie mit den Aufzeichnungen in Einklang zu bringen. Dabei mag es dahinstehen, ob die von der Verteidigung eingereichten Lichtbilder … überhaupt die Körperstatur abbilden, die der Angeklagte am 1.10.2016 hatte. Diese Körperstatur kann ohne Weiteres mit den Aufzeichnungen und den Bekundungen der Zeugen in Einklang gebracht werden.“ 2. Darin liegt ein Verstoß gegen das Beweisantragsrecht. Dabei kann dahinstehen, ob das Landgericht den Beweisantrag mit der Begründung zurückweisen durfte, der angebotene Sachverständigenbeweis sei ungeeignet, weil die Videoaufzeichnungen von mäßiger Qualität und relativ unscharf seien, oder ob es zuvor – wie die Revision meint – verpflichtet gewesen wäre, im Freibeweisverfahren einen Sachverständigen zu befragen, ob dieser anhand des vorliegenden Bildmaterials Aussagen zur Identität des Angeklagten als Täter hätte machen können (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, BGH NStZ 2012, 345, 346; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116). Denn die Strafkammer setzt sich in den Urteilsgründen , in denen sie im Rahmen der Beweiswürdigung zur Täterschaft
des Angeklagten auch die Videoaufzeichnungen zu der Feststellung heranzieht, die Körperstatur des Angeklagten sei mit dem Aussehen des männlichen Täters der Tat vom 1. Oktober 2016 in Einklang zu bringen, in Widerspruch zur Ablehnung des Beweisantrags, die sie damit begründet, der Aufzeichnung fehle die notwendige Qualität, um Grundlage eines beantragten Sachverständigengutachtens zu sein. Das Landgericht hat die Zurückweisung des Beweisantrags damit begründet , das vorhandene Videomaterial biete keine ausreichende Grundlage für eine sachverständige Beurteilung. Der Angeklagte, der die Einholung des Sachverständigengutachtens zum Ausschluss seiner Täterschaft beantragt hatte , durfte angesichts dieser Begründung davon ausgehen, dass das Landgericht die (insoweit als Grundlage für ein Sachverständigengutachten nicht als tauglich angesehenen) Videoaufzeichnungen im Rahmen seiner Beweiswürdigung seinerseits nicht (zu seinen Lasten) heranziehen würde. Wäre das Landgericht erst später zu der im Urteil dargelegten Überzeugung von der Vereinbarkeit von Angeklagtenstatur und Täteraussehen im Video gekommen, wäre es gehalten gewesen, den Angeklagten darauf hinzuweisen und den Beweisantrag gegebenenfalls neu zu bescheiden. Angesichts des offensichtlichen Widerspruchs der Urteilsbegründung zur Ablehnung des Beweisantrags liegt eine Verletzung des Beweisantragsrechts vor, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwingt. Der Senat
kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ordnungsgemäßer Erhebung des Beweises und einem dem Beweisantrag entsprechenden Ergebnis der Beweiserhebung eine Täterschaft des Angeklagten nicht angenommen und ihn deshalb freigesprochen hätte.
Appl Krehl Zeng Grube Schmidt

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2018 - 2 StR 283/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2018 - 2 StR 283/18

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric
Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2018 - 2 StR 283/18 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Bundesgerichtshof Urteil, 01. Dez. 2011 - 3 StR 284/11

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 284/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten C. L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 31. Januar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf der gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beanstandet und mit der Sachrüge die Beweiswürdigung angreift, ist begründet.

I.


2
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Last gelegt, am 10. November 2005 gemeinschaftlich mittels Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole eine in einer Tankstelle tätige Verkäufern dazu veranlasst zu haben, ihnen einen Geldbetrag von 420 € zu übergeben.
3
Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen.
4
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, von dem in der Anklageschrift geschilderten Geschehen, nicht aber von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt zu sein. Weder anhand der Aussage der als Zeugin vernommenen Verkäuferin noch anhand des bei der Tat gewonnenen und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Bildmaterials habe es diese Überzeugung gewinnen können.

II.


5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Denn das Landgericht hat den auf Einholung eines anthropologischen Identitätsgutachtens gerichteten Beweisantrag der Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.
6
1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
7
Die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei den zur Tatzeit mittels einer Überwachungskamera im Verkaufsraum der Tankstelle aufgezeichneten männlichen Personen um die Angeklagten handele, ein anthropologisches Identitätsgutachten einzuholen. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein "ungeeignetes Beweismittel" im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, weil es nicht möglich sei, dem Sachverständigen neben dem aus den Aufzeichnungen der Überwachungskamera stammenden "Videomaterial" das für die Begutachtung erforderliche "Vergleichsmaterial" zu verschaffen. Entsprechendes Material könne nur mittels eines Nachstellens der Tat unter Mitwirkung der Angeklagten gewonnen werden. Dazu seien diese nicht bereit.
8
2. Diese Begründung trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht; sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
9
a) Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 - 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 15. März 2007 - 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477; Beschluss vom 7. August 2008 - 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48 f.).
10
Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 - 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 7. August 2008 - 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48, 49 mwN).
11
Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises - etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen - klären (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1994 - 1 StR 86/94, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 14; Beschluss vom 9. März 1999 - 1 StR 693/98, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 20; Beschluss vom 15. März 2007 - 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477).
12
b) Danach vermag die vom Landgericht gegebene Begründung die Ablehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen.
13
Sie stützt sich allein darauf, es fehle an dem notwendigen Vergleichsbildmaterial , das ohne Mitwirkung der Angeklagten auch nicht beschafft werden könne. Damit ist aber nicht belegt, dass ein anthropologischer Sachverständiger nicht in der Lage wäre, aus einem Vergleich des vorhandenen Bildmaterials mit den in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten sowie mit Lichtbil- dern und Messungen, deren Herstellung die Angeklagten gemäß § 81b StPO zu dulden haben, nicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Identität der Angeklagten mit den durch die Überwachungskamera gefilmten Tätern zu treffen. Auch verhält sich der Ablehnungsbeschluss nicht dazu, ob das vorhandene Bildmaterial trotz seiner nur mäßigen Qualität nach den maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 - 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19) nicht doch hinreichende morphologische Merkmale der Täter erkennen lässt, die mit denen der Angeklagten abgeglichen werden könnten. Eine freibeweisliche Klärung dieser Fragen durch Anhörung eines kompetenten Sachverständigen hat das Landgericht nicht vorgenommen.
14
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre. Die Voraussetzungen, unter denen in Fällen der fehlerhaft begründeten Ablehnung eines Beweisantrags ausnahmsweise ein Beruhen ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211, 212 f.), liegen nicht vor.

III.


15
Auf die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge kommt es mithin nicht mehr an. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bezüglich der vom Angeklagten C. L. bei der Polizei gemachten Aussage die sichere Feststellung voraussetzt, dieser habe die ihm vor seiner Vernehmung erteilte Belehrung nach § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wegen einer akuten psychotischen Störung nicht verstanden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 - 1 StR 475/93, BGHSt 39, 349, 351 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 224; Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, NStZ 1997, 609, 610). Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. November 2006 (1 StR 454/06, BGHR StPO § 136 Belehrung 14) liegt entgegen Stimmen in der Literatur (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 136 Rn. 20; LR/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136a Rn. 78) kein anderer rechtlicher Maßstab zugrunde. Vielmehr gelangte der Bundesgerichtshof dort zu einem Beweisverwertungsverbot , weil der Verstoß gegen § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO mangels jeglicher Anhaltspunkte für eine Belehrung feststand.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 270/13
vom
31. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1. Bestimmens einer Person unter 18 Jahren, als Person über
21 Jahren, zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln u.a.
zu 2. Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 31. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 16. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte K. wegen Raubes verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten K. wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten G. gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 16. Januar 2013 wird verworfen.
Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Raubes und wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, den Angeklagten G. hat es wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit "Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit der Sachrüge, der Angeklagte K. zudem mit Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel des Angeklagten K. hat hinsichtlich der Verurteilung wegen Raubes Erfolg; dies führt zur Aufhebung auch der Gesamtstrafe. Im Übrigen ist es, wie die Revision des Angeklagten G. insgesamt, unbegründet.
2
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten K. hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit es sich gegen die Verurteilung wegen Raubes (Überfall vom 17. September 2010) richtet.
3
a) Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 296 f.; vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326). Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das Gutachten zu stellen hat, nicht mit den sachlichrechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92, aaO, 297 f.; zum Ganzen: BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12).
4
In den Fällen einer DNA-Untersuchung reicht es für das Revisionsgericht zur Überprüfung, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, im Regelfall aus, wenn das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination zu erwarten ist; sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist zudem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12 mwN; zu ggf. geringeren Anforderungen bei einer Vielzahl weiterer gewichtiger Indizien BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 1 StR 377/12, NStZ 2013, 179, 180).
5
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügen die Darlegungen in dem landgerichtlichen Urteil nicht.
6
Denn die Strafkammer stützt die Überzeugung von der (Mit-)Täterschaft des Angeklagten K. wesentlich auf das Ergebnis der Untersuchung von DNA in einer Mischspur, die an dem bei der Tat von einem der Täter getragenen Einmal-Overall gesichert worden war. Hierzu teilt das Landgericht (lediglich ) mit, dass "beim Vergleich der in der Analysedatei erfassten Vergleichswer- te …die Spur der Person A mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 53 Mrd. bei der in der Bundesrepublik lebenden Bevölkerung als Vergleichspopulation vom Angeklagten" stamme (UA S. 16).
7
c) Die Aufhebung der Verurteilung wegen Raubes hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
8
2. Im Übrigen hat das Rechtsmittel des Angeklagten K. , wie auch die Revision des Angeklagten G. insgesamt, aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 20. Juni 2013 dargelegten Gründen keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend bemerkt der Senat zur Revision des Angeklagten K. lediglich:
9
a) Hängt die Frage, ob der Tatrichter zur Prüfung der Täterschaft des Angeklagten ein anthropologisches Identitätsgutachten zu erholen hat, von der Qualität vorhandener Lichtbilder (hier: einer Überwachungskamera) ab, so hat er zunächst selbst zu beurteilen, ob die Tataufnahmen als Anknüpfungstatsachen für ein solches Gutachten geeignet sind (BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 - 1 StR 91/04 [Rn. 31], NStZ 2005, 458, 460). Hat er Zweifel, muss er im Wege des Freibeweises - etwa durch Befragung eines Sachverständigen - klären , ob die Qualität der Lichtbilder für eine sachverständige Beurteilung ausreicht. Dabei ist Maßstab nicht, ob der Sachverständige sichere oder eindeutige Schlüsse ziehen kann, vielmehr ist die Erholung des Gutachtens schon dann geboten, wenn seine Folgerungen die (Nicht-)Täterschaft des Angeklagten mehr oder weniger wahrscheinlich machen und das Gutachten hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 284/11, StV 2013, 481, 482).
10
b) Zur Fassung des Schuldspruchs (hier der Kennzeichnung der Mittäterschaft im Urteilstenor als "gemeinschaftlich") verweist der Senat auf die Kommentierung bei Meyer-Goßer, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 24.
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin