Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2018 - 4 StR 192/18

bei uns veröffentlicht am25.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 192/18
vom
25. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2018:250918B4STR192.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. September 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 9. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensbeschwerde und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Erwägungen des Landgerichts zur Bemessung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe halten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320) in zweifacher Hinsicht einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
3
a) Die Strafkammer hat jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte bei den Taten „unter zweifacher Bewährung wegen anderer Delikte“ stand. Diese Wertung wird von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen. Danach war zum Zeitpunkt der abgeurteilten, im Dezember 2016 und Mai 2017 begangenen Missbrauchstaten lediglich die Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Haldensleben vom 21. September 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Die frühere Bewährungsstrafe von sieben Monaten und zwei Wochen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Burg vom 6. April 2011 war bereits mit Wirkung vom 1. Juni 2013 erlassen worden.
4
b) Darüber hinaus begegnet die Berücksichtigung der sich aus den Taten für das Tatopfer ergebenden psychischen Belastungen zum Nachteil des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei Delikten gemäß § 176 StGB können zwar - entgegen der Ansicht der Revision - solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 1991 - 2 StR 648/90, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 3; vom 17. Januar 1995 - 4 StR 737/94, StV 1995, 470; vom 25. April 2001 - 1 StR 143/01, StV 2002, 75). Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat vom Tatrichter im Einzelfall konkret festgestellt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2001 - 1 StR 143/01 aaO; vom 20. August 2003 - 2 StR 285/03, NStZ-RR 2004, 41; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 176 Rn. 36 mwN). Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 2003 - 2 StR 285/03 aaO; vom 7. Juli 1998 - 4 StR 300/98, StV 1998, 656). Dieser Anforderung ist die Strafkammer, die ausdrücklich keine Feststellungen zum Umfang der psychischen Belastungen des Tatopfers getroffen hat, nicht gerecht geworden.
5
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen zum Nachteil des Angeklagten auf die Bemessung der verhängten Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtstrafe ausgewirkt haben.
6
2. Die Aufhebung des Strafausspruchs entzieht der Maßregelanordnung die Grundlage.
7
3. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
a) Trotz missverständlicher Formulierungen entnimmt der Senat den bisherigen Urteilsausführungen, dass keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass beim Angeklagten die engen Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine mögliche Pädophilie im Einzelfall als schwere andere seelische Abartigkeit gewertet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2016 - 1 StR 526/15, BGHR StGB § 63 Zustand 45; vom 25. März 2015 - 2 StR 409/14, NStZ 2015, 688; Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304).
9
b) Das Merkmal des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - 4 StR 474/09, NStZ-RR 2011, 143, 145). Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster" , bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586), bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484; vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272).
10
Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 aaO).
11
Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung von Hang und Gefährlichkeit auch in den Blick zu nehmen haben, dass der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 13. Juni 2006 bis zu den im Dezember 2016 und Mai 2017 begangenen Anlasstaten nicht mit Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern in Erscheinung getreten ist.
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Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2018 - 4 StR 192/18

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_______________________
Gerät das Opfer einer Sexualstraftat durch das Bestreiten des Täters - eines
Familienangehörigen - in eine familiäre und soziale Isolierung, so dürfen daraus
entstandene psychische Folgen strafschärfend berücksichtigt werden. Damit
wird dem Angeklagten weder sein Verteidigungsverhalten angelastet noch
liegt eine verbotene Doppelverwertung vor.
BGH, Beschl. vom 25. April 2001 - 1 StR 143/01 - LG Heidelberg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 143/01
vom
25. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2001 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 27. November 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1. Die Verfahrensrügen sind unbegründet:
a) Die Behandlung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch eine auf sexuellen Mißbrauch spezialisierte Kindergynäkologin , die feststellen werde, daß vom behaupteten Analverkehr noch heute sichtbare Verletzungen beim Tatopfer M. F. vorhanden sein müßten, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Strafkammer hat mit der Bestellung des
Stationsarztes Dr. S. z um Sachverständigen nicht das Beweisziel des Antrags reduziert. Dieser hatte das Tatopfer bereits drei Monate nach dem Analverkehr untersucht und keine Verletzungen mehr festgestellt. In der Bestellung dieses Sachverständigen lag somit auch keine Teilablehnung eines Beweisantrages, worüber die Strafkammer durch Beschluß nach § 244 Abs. 6 StPO hätte befinden müssen.
b) Die Strafkammer hat auch ohne Rechtsfehler den Hilfsbeweisantrag auf Ladung der Kindergynäkologin als weitere Sachverständige in den Urteilsgründen abgelehnt. Angesichts des begrenzten Beweisthemas war die Kindergynäkologin gegenüber dem sich im vierten Ausbildungsjahr zum Gynäkologen befindlichen Stationsarzt Dr. S. k eine Sachverständige einer anderen Fachrichtung. Auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gebot nicht, die Kindergynäkologin als weitere Sachverständige zu laden. 2. Der Beschwerdeführer hat auch mit der Sachrüge, die in einem nachgereichten Schriftsatz begründet worden ist, keinen Erfolg. Die Revision rügt, die Strafkammer habe zu Lasten des Angeklagten gewertet, es sei zu einer sozialen Isolation der Geschädigten gekommen, weil sich Familie, Freunde und Schulkameraden nach dem Offenbaren der Taten von ihr abgewandt hätten. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergebe sich, die Kammer habe den Ursprung der sozialen Isolation darin gesehen, daß der Angeklagte die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe bestritten habe. Damit werde ihm letztlich sein Verteidigungsverhalten angelastet, obwohl dieses nicht über die Grenzen einer angemessenen Verteidigung hinausgegangen sei. Dies trifft nicht zu.
a) Das Landgericht hat unter anderem dazu ausgeführt:
Nachdem der Vater der Geschädigten von dem inkriminierten Verhalten des Angeklagten Kenntnis erhalten hatte, informierte er verschiedene Familienmitglieder. Bei einem Treffen spielte der Vater die Tonbandcassette mit M. s Bericht über die sexuellen Übergriffe des Angeklagten ab. Da der Angeklagte sich nicht für seine Taten entschuldigte, entschloß sich der Vater zur Anzeige bei der Polizei. Das Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe verschaffte der Geschädigten zunächst zwar Erleichterung. Aufgrund des Offenbarens der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hat sich die Familie von M. abgewandt. Ihr wird von den Verwandten nicht geglaubt, vielmehr wird sie als Lügnerin dargestellt und zum Teil auch beschimpft und von den Schulkameraden als Lügnerin bezichtigt. Hierdurch haben sich die Freunde und Schulkameraden von ihr abgewandt. Mangels anderer Möglichkeiten muß sie ihre Freizeit jetzt in einem Kinderhort für kleinere Kinder verbringen. Außer dem Vater hat sie niemand mehr. Seit acht Monaten befindet sie sich nun schon in psychologischer Behandlung; ein Ende ist derzeit nicht abzusehen. Für das ursprünglich kontaktfreudige und umgängliche Kind ist es ein schwer erträglicher Zustand , der es zusätzlich belastet. All dies hat der Angeklagte verschuldet.
b) Die durch die Tat verursachte familiäre und soziale Isolierung der Geschädigten durfte das Landgericht strafschärfend berücksichtigen. aa) Damit wird nicht auf das Verteidigungsverhalten des Angeklagten abgestellt, denn ihm wird nicht angelastet, er habe durch sein Bestreiten dem Opfer die Aussage vor Gericht nicht erspart (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 15; BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 4). Hier hat die Strafkammer zu Recht nicht nur die aus der Tathandlung unmittelbar entstandenen seelischen Folgen für das Tatopfer zur Schuldbemessung herangezogen, sondern auf die sozialen Folgen für M. abge-
stellt, die sich aus dem Bekanntwerden des Verdachts innerhalb des Familienverbandes ergeben und die sich nach dem Scheitern von Vermittlungsbemühungen ihres Vaters und dessen Anzeigenerstattung bei der Polizei im Verlauf des Strafverfahrens verstärkt haben. Bei Sexualstraftaten treten für das Tatopfer zu den psychischen Folgen regelmäßig Beeinträchtigungen hinzu, die sich aus der verfahrensrechtlichen Behandlung dieser Delikte und dem dadurch bedingten Rollenverhalten von Familienmitgliedern und Freunden ergeben , wenn dies nicht von vornherein durch ein umfassendes Geständnis des Täters vermieden wird. Werden Familienmitglieder oder Freunde zu Zeugen oder Anhörpersonen, die in polizeilichen Vernehmungen oder in der Hauptverhandlung zur Glaubhaftigkeit von Aussagen und damit letztlich zur Person des Opfers oder des Täters Stellung beziehen müssen, so wirkt sich dies in der Regel auch auf deren Verhalten gegenüber den unmittelbar Beteiligten aus. Die Strafkammer hat Feststellungen zu dem vom Vater der Geschädigten unternommenen Versuch einer Aufarbeitung des Geschehens innerhalb der Familie und zur Anzeige bei der Polizei getroffen. Sie hat die Entwicklung der Isolierung M. s im einzelnen dargelegt. Diese Umstände können hier nach § 46 Abs. 2 StGB als dem Angeklagten zurechenbare Folgen straferschwerend herangezogen werden. Denn dann werden ihm nicht das unterlassene Geständnis oder sein Prozeßverhalten vorgeworfen, was unzulässig wäre , sondern die sich aus dem Bekanntwerden der Taten zwangsläufig ergebenden Wirkungen der Durchführung des Strafverfahrens, die letztlich unabhängig davon sind, ob die Beteiligung der Personen aus dem persönlichen Umfeld an Vernehmungen oder an der Hauptverhandlung wegen Bestreitens oder Schweigens des Angeklagten oder sogar trotz seines Geständnisses erforderlich war (offen gelassen in Beschl. vom 4. Oktober 1994 - 5 StR 352/94). Soweit aus dem Urteil vom 18. Januar 1966 - 1 StR 571/65 - (abgedruckt in NJW
1966, 894) eine andere Auffassung hergeleitet werden könnte, hält der Senat jedenfalls diese nicht mehr aufrecht. bb) Derartige Folgen treten beim sexuellen Mißbrauch von Kindern durch Familienangehörige häufig ein und sind deshalb auch vorhersehbar. Die strafschärfende Berücksichtigung derartiger konkret festgestellter Folgen verstößt deshalb auch nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung des § 46 Abs. 3 StGB, denn sie sind nicht Merkmal des gesetzlichen Tatbestands. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur "Beeinflussung der Entwicklung des jungen Menschen im seelischen Bereich" (BGH StV 1998, 656 und 657; Beschl. vom 30. Juli 1998 - 4 StR 364/98) betreffen das geschützte Rechtsgut und sind deshalb nicht einschlägig. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 526/15
vom
15. März 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:150316U1STR526.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 1. Juni 2015 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sichverschaffens von kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitzverschaffen von jugendpornographischen Schriften sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz von jugendpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Zudem ist seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden.
2
Sein auf Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestütztes Rechtsmittel hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen erweist es sich als unbegründet.

I.

3
Nach den Feststellungen des Landgerichts nutzte der Angeklagte spätestens seit Juni 2012 unter verschiedenen Benutzernamen das filesharingNetzwerk Gigatribe. Dies ermöglicht u.a. den Austausch von Dateien zwischen den Nutzern des Netzwerks im Wege einer peer-to-peer-Verbindung. Kenntnisnahme der ausgetauschten Dateien sowie das Mitlesen der Inhalte des über das Netzwerk ebenfalls möglichen Chatverkehrs sind für Außenstehende nicht möglich. Die für die Nutzung des Netzwerks erforderliche Software hatte der Angeklagte auf einem von ihm genutzten Laptop installiert.
4
Der Verurteilung liegen folgende Taten zugrunde:
5
1. Am Nachmittag des Tattages stellte der Angeklagte unter einem seiner Benutzernamen des Netzwerks Gigatribe über dieses einem nicht offen ermittelnden Polizeibeamten eine im Urteil näher bezeichnete Videodatei zum Download zur Verfügung. Die Datei hat Oralverkehr zwischen 14 bis 16Jahre alten, unbekleideten Jugendlichen zum Inhalt. Dabei kam es dem Angeklagten darauf an, den Polizeibeamten zur Freigabe kinder- und jugendpornographischer Dateien über das Netzwerk zu bewegen. Der Polizeibeamte begann kurze Zeit später mit dem Download.
6
Im Gegenzug fing der Angeklagte damit an, eine von dem nicht offen ermittelnden Polizeibeamten zum Download bereit gestellte, mit typisch kinder- pornographischen Begrifflichkeiten (etwa „…Kinderficker Rape Little Girls for Daddy …“) versehene Dummydatei herunter zu laden. Nach rund 20 Minuten beendete der Angeklagte die peer-to-peer-Verbindung, weil ihm die Ladevorgänge zu lange dauerten (II.2. Fall 1 der Urteilsgründe).
7
2. Am Tattag der zweiten Tat befanden sich auf dem in seiner Wohnung befindlichen, von ihm genutzten Laptop sowie auf einem USB-Stick insgesamt 727 Bilddateien mit kinderpornographischen Inhalten, 198 jugendpornographische Bilddateien sowie 78 kinderpornographische und 18 jugendpornographische Videodateien. Die Inhalte der fraglichen, dem Angeklagten bekannten Dateien hat das Landgericht näher festgestellt (II.2. Fall 2 der Urteilsgründe).
8
3. Sachverständig beraten hat das Landgericht bei beiden Taten eine aus einer Pädophilie herrührende erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten angenommen.

II.

9
1. Der Schuldspruch wird von den auf einer insoweit rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen getragen.
10
Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit und erst recht eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit kommen von vornherein nach den zur Person des Angeklagten und seinen sexuellen Präferenzen getroffenen Feststellungen nicht in Betracht.
11
2. Die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB hält dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
Die insbesondere auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen gestützte Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bei den Taten sicher jeweils im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) gehandelt, findet in den erhobenen Beweisen keine ausreichende Grundlage. Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung, ob die Annahme sicher verminderter Schuldfähigkeit schon deshalb rechtsfehlerhaft wäre, weil das Landgericht die bei dem Angeklagten vorliegende Pädophilie an einer Stelle des Urteils dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuordnet (UA S. 20), an anderer Stelle – was allein in Betracht käme – dagegen der schweren anderen seelischen Abartigkeit (UA S. 23).
13
a) Ein abweichendes Sexualverhalten, wie es für den Angeklagten in Form einer Pädophilie festgestellt worden ist, kann nicht ohne Weiteres einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichgesetzt und dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB zugeordnet werden (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2000 – 1 StR 420/00, NStZ 2001, 243, 244 und vom 17. Juli 2007 – 4 StR 242/07, NStZ-RR 2007, 337; BGH, Urteil vom 26. Mai 2010 – 2 StR 48/10, RuP 2010, 226 f.; BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304 f.; BGH, Urteil vom 25. März 2015 – 2 StR 409/14, NStZ 2015, 688 f.; BGH, Beschlüsse vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, StraFo 2015, 473, 475 und vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15 Rn. 9). Eine festgestellte Pädophilie kann aber im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen , Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen (BGH jeweils aaO).
14
Ob die sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie einen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet werden kann und dann regelmäßig eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nahelegt (dazu BGH, Urteil vom 25. März 2015 – 2 StR 409/14, NStZ 2015, 688), ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen (BGH, Urteil vom 26. Mai 2010 – 2 StR 48/10, RuP 2010, 226 f.; ebenso bereits BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2000 – 1 StR 420/00, NStZ 2001, 243, 244). Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2010 – 2 StR 48/10, RuP 2010, 226 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2000 – 1 StR 420/00, NStZ 2001, 243, 244 sowie Rosenau/Schreiber in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., S. 106).
15
b) Diesen Anforderungen an die auf eine entsprechende Beweiswürdigung gestützte Feststellung der schweren anderen seelischen Abartigkeit und der dadurch bedingten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit genügt das angefochtene Urteil nicht.
16
Nach den dort wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen habe der Angeklagte seine sexuelle Präferenz durch den Konsum von kinderpornographischen Bildern und Videos befriedigt und „hierbei deutlich suchtartiges Verhalten gezeigt“ (UA S. 19).Das Suchtartige des Verhaltens stützt der Sachverständige ausweislich der Urteilsgründe darauf, dass der Angeklagte in „zunehmenden Maße“ bis zu vierStunden täglich kinderpornographische Medien konsumiert und „zuletzt sein (nahezu) komplettes Freizeitverhalten auf den Konsum kinderpornographischer Medien ausgerichtet“ hat (UA S. 19 und UA S. 23). Anhaltspunkte für den suchtartigen Charakter des Konsums sieht das dem Sachverständigen folgende Landgericht zudem darin, dass auch eine einschlägige Bewährungsstrafe und eine parallel durchgeführte Therapie den Angeklagten nicht von weiterem Konsum hätten abhalten kön- nen. Es zeigten sich bei ihm „eine progrediente Zunahme und Überflutung durch dranghafte pädophile Impulse, die zunehmend das Erleben beherrschen“ und den Angeklagten zur Umsetzung auf der Verhaltensebene (dem Konsum) drängen würden. Die Pädophilie habe an seiner Sexualstruktur einen sehr hohen Anteil, die paraphilen Verhaltensweisen seien in das Persönlichkeitsgefüge integriert; trotz der genannten Bewährungsstrafe und der Therapie sei er nicht zur Kontrolle seiner paraphilen Impulse in der Lage gewesen (UA S. 19 und

23).

17
Die vorstehend genannten Umstände können zwar grundsätzlich eine aus der Pädophilie abgeleitete schwere andere seelische Abartigkeit und daraus resultierend eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit begründen. Allerdings enthält das angefochtene Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang beweiswürdigend keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen , aus denen die vom Tatgericht geteilte Einschätzung des Sachverständigen des suchtartigen Verhaltens des Angeklagten, des progredienten Verlaufs seiner sexuellen Ausrichtung und der fehlenden Kontrolle der paraphilen Impulse abgleitet werden können.
18
Worauf die Annahme eines nahezu ausschließlich auf das den Konsum kinder- bzw. jugendpornographischer Medien ausgerichteten Freizeitverhaltens beruht, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die familiäre Situation wird über den Umstand einer derzeitigen Trennung und der noch offenen Frage einer Fortführung der Ehe in Bezug auf die Tatzeiträume nicht näher dargestellt. Den auszugsweisen Wiedergaben des vom Angeklagten geführten Chat-Verkehrs lässt sich entnehmen, dass er eine solche in den späten Abendstunden geführte Kommunikation mit dem Hinweis darauf abbrach, er müsse jetzt ins Bett, weil seine „bessere Hälfte“ misstrauisch werde (UA S. 12). Derartige Verhaltenswei- sen können jedenfalls ein suchtartiges Konsumverhalten und einen Verlust der Fähigkeit, sexuelle Impulse zu kontrollieren, nicht tatsachengestützt unterlegen. Nähere Darlegungen über die konkrete Zeitgestaltung des Angeklagten außerhalb seiner in Vollzeit ausgeübten beruflichen Tätigkeit fehlen. Anknüpfungstatsachen für einen progredienten Verlauf des Konsums kinder- und jugendpornographischer Medien enthält das Urteil ebenfalls nicht in einer die erforderlichen Feststellungen belegenden Weise. Auch aus dem Gesamtzusammenhang lassen sich solche nicht entnehmen. Die Wiedergabe der vom Amtsgericht im früheren, gegen den Angeklagten u.a. wegen Sichverschaffens und Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften ergangenen Urteil getroffenen Feststellungen vermag das suchtartige Verhalten nicht zu tragen. Die dort ermittelten zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Downloads (UA S. 4 und 5) ließen rechtfehlerfrei einen solchen Schluss im Rahmen der Beweiswürdigung nicht zu. Mangels näherer Ausführungen im hier angefochtenen Urteil finden sich auch keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen, die als Grundlage für die Feststellung einer „progredienten Zunahme und Überflutung durch dranghafte pädophile Impulse“ herangezogen werden könnten.
19
Die vom Landgericht ohne Rechtsfehler berücksichtigten Umstände, dass der Angeklagte trotz seiner einschlägigen Vorstrafe mit bewährungsweiser Aussetzung der Vollstreckung und laufender Therapie nicht in der Lage gewesen ist, seine paraphilen Impulse zu kontrollieren, allein können die Anforderungen des auf einer Pädophilie beruhenden Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit angesichts der erforderlichen Voraussetzungen (Rn. 13 und 14) nicht tragen.
20
c) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) war daher bereits wegen der beweiswürdigend nicht belegten Annahme sicher erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) aufzuheben. Auf die allein die Voraussetzungen des § 63 StGB betreffenden Verfahrensbeanstandungen, die im Übrigen nicht in § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügender Weise erhoben sind, kommt es wegen des Erfolgs der Sachrüge nicht mehr an.
21
d) Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO) und den Maßregelausspruch entfallen lassen.
22
Nach den bislang getroffenen Feststellungen kommt eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus durchaus in Betracht, sollte sich auf der Grundlage einer umfassenden Beweiswürdigung eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten feststellen lassen. Die weiteren Anforderungen der Unterbringung sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Wie das Landgericht – im rechtlichen Ansatz zutreffend – zugrunde gelegt hat, kommt es für die Gefährlichkeitsprognose im Rahmen von § 63 StGB darauf an, dass die zukünftig zu erwartenden Straftaten eine schwere Störung des Rechtsfriedens befürchten lassen. Die den Anlass der Unterbringung bildenden verfahrensgegenständlichen Taten müssen dabei selbst nicht erheblich sein (BGH, Beschlüsse vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f. und vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, StraFo 2015, 473, 475). Allerdings müssen nach geltendem Recht die zukünftig zu erwartenden Straftaten, um schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen zu lassen, grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (st. Rspr.; siehe BGH jeweils aaO mwN). Das ist bei Taten wie dem Besitz und dem Verbreiten von Kinderpornographie der Fall (BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340; BGH, Beschluss vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, StraFo 2015, 473, 475). Für die vom Landgericht ebenfalls als zukünftig drohend prognosti- zierten „hands-on-Delikte“ (also zumindest§ 176 StGB) zu Lasten von Kindern gilt das erst recht.
23
3. Der auf die Annahme sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bezogene Rechtsfehler führt zur Aufhebung sämtlicher die Voraussetzungen der Maßregel des § 63 StGB insgesamt betreffenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). So werden dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen hinsichtlich aller für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen Umstände ermöglicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, StraFo 2015, 473, 475 f. und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76, 77).
24
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Rechtsfehler bei der Beurteilung der (erheblich eingeschränkten) Schuldfähigkeit trotz deren Doppelrelevanz für den Strafausspruch und den Maßregelausspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, StraFo 2015, 473, 475) nicht nur den Schuldspruch, sondern auch den Strafausspruch unberührt lassen, wenn – wie hier (Rn. 10) – eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit von vornherein ausscheidet (BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 – 4 StR 242/07, NStZ-RR 2007, 337, 338; vom 6. Juli 2010 – 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305 und vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15 Rn. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. April 2006 – 4 StR 60/06, StraFo 2006, 295, 296).
25
b) Ob dem angesichts der Doppelrelevanz der die Voraussetzungen des § 21 StGB betreffenden Feststellungen und der hier vom Tatrichter hergestellten Verknüpfung zwischen der Strafhöhe und der Anordnung der Maßregel (UA S. 21) selbst bei einer allein vom Angeklagten eingelegten Revision uneingeschränkt zu folgen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch bei Aufhebung des Strafausspruchs wegen der rechtsfehlerhaften, aber insoweit ausschließlich zugunsten des Angeklagten wirkenden Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit stünde das Verschlechterungsverbot aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO der Verhängung einer höheren Gesamtstrafe selbst bei Wegfall der Anordnung der Maßregel des § 63 StGB entgegen. § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO erfasst lediglich die Auswechselung einer isoliert – im Fall der Schuldunfähigkeit – verhängten Maßregel gemäß § 63 oder § 64 StGB gegen eine Verurteilung zur Strafe, wenn sich im neuen Verfahren die schuldhafte Begehung der Tat ergibt.
26
4. Der Strafausspruch enthält keinerlei zu Lasten des Angeklagten wirkende Rechtsfehler.
27
a) Die Annahme des § 21 StGB und die deshalb erfolgte Strafrahmenverschiebung beschwert den Angeklagten hinsichtlich der Strafzumessung nicht.
28
Da das Landgericht bei der Bemessung der Strafen innerhalb des jeweils ohnehin gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens die parallele Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus zu dessen Gunsten berücksichtigt hat (UA S. 21), schließt der Senat aus, dass der Tatrichter ohne die rechtsfehlerhafte Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB zu niedrigeren Strafen gelangt wäre. Allerdings war eine solche mildernde Berücksichtigung der neben Freiheitsstrafe(n) angeordneten Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtlich nicht geboten (anders offenbar Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 71). Die Anordnungsvoraussetzungen der vom Maß der Einzeltatschuld abhängigen Strafe (§ 46 Abs. 1 StGB) und der stationären Maßregel unterscheiden sich kategorial. Die Vollstreckung der Strafe dient zudem dem Schuldausgleich, der Vollzug der Maßregel dagegen allein der Abwehr zukünftiger Gefährlichkeit des Täters. Wechselwirkungen zwischen beiden betreffen lediglich die Ebene der Vollstreckung (etwa § 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB).
29
b) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Die vor allem auf den Bewährungsbruch aus einer einschlägigen vorangegangenen Verurteilung und die bewusst unwahren Angaben des Angeklagten gegenüber seinem Therapeuten gestützte negative Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) hält sich nicht nur innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten weiten Wertungsspielraums (siehe nur BGH, Beschluss vom 6. Mai 2015 – 4 StR 89/15, StV 2015, 564), sondern liegt angesichts der insoweit rechtsfeh- lerfrei getroffenen Feststellungen besonders nahe.

III.

30
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
31
Sollte der neue Tatrichter die Voraussetzungen einer eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten wiederum feststellen können, wird er im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose in den Blick nehmen, dass es – wie im angefochtenen Urteil insoweit im rechtlichen Ausgangspunkt zutref- fend erfolgt – auf eine individuelle Prognose auf der Grundlage einer differenzierten Einzelfallanalyse ankommt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 StR 469/15 Rn. 2 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15 Rn. 12 mwN). Dabei ist es bei entsprechenden Anknüpfungstatsachen möglich, individualprognostisch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten anzunehmen, die den Anlasstaten nicht entsprechen, sondern – wie Sexualdelikte zu Lasten von Kindern mit körperlichem Kontakt (hands-on-Delikte) – über diese im Unrechtsschweregrad hinausgehen. Graf Jäger Cirener Radtke Bär

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 0 9 / 1 4
vom
25. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. März
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerinnen O. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin W. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin D. ,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. Februar 2014 1. im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 119 Fällen, davon - in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, - in elf Fällen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger und - in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon - in zwölf Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger, - in sieben Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, des Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften in sieben Fällen und des Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig ist, 2. im Straf- und Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 119 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, in elf Fällen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger und in zwei Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, ferner wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger und in neun Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen , außerdem wegen Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften in sieben Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Außerdem hat es ausgesprochen , dass der Angeklagte allen Nebenklägerinnen jeweils ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro nebst "5 % Zinsen über dem Basiszinssatz" zu zahlen hat, für die Nebenklägerinnen A. und S. O. ab dem 29. Januar 2014, für die Nebenklägerinnen W. und Or. ab dem 14. Februar 2014. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte an einer sexuellen Deviation im Sinne einer Kernpädophilie. Seit Anfang der 1980er Jahre empfindet er sexuelles Interesse an Mädchen im vorpubertären Alter. Im Herbst 1980 kam es zu einem ersten sexuellen Übergriff auf die damals fünf oder sechs Jahre alte Schwester seiner Freundin. Es folgte eine Vielzahl sexueller Übergriffe auf Mädchen aus dem Umfeld des Angeklagten.
3
Im Zeitraum von 1994 bis 1996 beging der Angeklagte mehrfach sexuellen Missbrauch der Nebenklägerin D. dadurch, dass er das Kind an der Scheide streichelte. Ab 1998 missbrauchte er die Nebenklägerin Or. , indem er das Kind an der Scheide streichelte, es dazu veranlasste, an seinem Glied zu reiben oder versuchte, mit seinem Glied einzudringen. Ab 2003 beging er ähnliche Taten zum Nachteil der Nebenklägerin W. , wobei er in einem Teil der Fälle mit seinem Glied oder mit einem Finger in sie eindrang und in einer Reihe von Fällen den Missbrauch beging, während sich das Kind schlafend stellte. Von 2007 bis 2013 missbrauchte der Angeklagte die Nebenklägerin A. O. und von 2009 bis 2013 auch die Nebenklägerin S. O. . Einige der Vorfälle filmte er mit einer Kamera.
4
Vom 5. April 2011 bis zum 31. Juli 2012 machte der Angeklagte kinderpornographische Filmdateien über eine Internettauschbörse anderen Internetnutzern zugänglich. Weil der Angeklagte seinen Computer über ein bis zwei Wochen hinweg durchgängig laufen ließ, hat das Landgericht sieben selbständige Handlungen des Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften angenommen.
5
Der Angeklagte verfügte zurzeit der Durchsuchung seiner Wohnung über mindestens 2.000 kinderpornographische Dateien.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.
7
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Oktober 2014 genannten Gründen ohne Erfolg.
8
2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen den Schuldspruch richtet, führt sie nur zu einer geringfügigen Änderung des Schuldspruchs, weil das Landgericht übersehen hat, dass § 201a StGB erst nach Begehung der Taten in den Fällen 59 bis 61 in Kraft getreten ist. Insoweit muss die tateinheitliche Verurteilung wegen dieses Tatbestands in diesen Fällen entfallen.
9
3. Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.
10
a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei keiner der Taten gemäß § 21 StGB in seiner Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war.
11
Die Strafkammer hat sich bei ihrer Einschätzung auf den gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Dieser ist zunächst davon ausgegangen, eine schwere andere seelische Abartigkeit des Angeklagten sei nicht anzunehmen. Zu den Auswirkungen der festgestellten Pädophilie hat er später angemerkt, es sei nicht auszuschließen, dass die sexuelle Deviation das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht habe; jedoch sei nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auszugehen. Daraus hat das Landgericht entnommen, selbst wenn man die Pädophilie "als schwere andere seelische Abartigkeit einstufe", habe diese "keine Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" des Angeklagten gehabt.
12
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bei der Begehung der jeweiligen Tat erheblich vermindert war, besteht in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Die anschließende Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens ist eine Rechtsfrage, die das Tatgericht selbst zu beantworten hat, nicht der Sachverständige (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 77; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53).
13
Wird im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal im Sinne von § 20 StGB bejaht, so liegt wegen der damit festgestellten Schwere der Abartigkeit auch eine erhebliche Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens gemäß § 21 StGB nahe (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1991 - 4 StR 204/91, BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 20; Beschluss vom 6. Mai 1997 - 1 StR 17/97, BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 21 Rn. 8). Dies hat das Landgericht nicht bedacht , als es die Frage nach dem Vorliegen eines Eingangsmerkmals offen gelassen und die Frage der Erheblichkeit einer hieraus gegebenenfalls resultierenden Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit verneint hat.
14
Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei ordnungsgemäßer Prüfung jedenfalls für einen Teil der abgeurteilten Taten eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten anzunehmen ist. Eine festgestellte Pädophilie kann im Einzelfall die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit und einer hierdurch erheblich beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit rechtfertigen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements beim Vorgehen und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 4 StR 242/07, NStZ-RR 2007, 337; Beschluss vom 20. Mai 2010 - 5 StR 104/10; NStZ-RR 2011, 170; Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305; Beschluss vom 10. September 2013 - 2 StR 321/13, NStZ-RR 2014, 8, 9). Insoweit könnten entgegen der Auffassung des Landgerichts eine gedankliche Einengung des Angeklagten auf sexuelle Handlungen mit Kindern und eine Progredienz der lange andauernden Fehlentwicklung festzustellen sein, die in den letzten Jahren, in denen der Angeklagte zur gleichen Zeit sexuelle Handlungen an mehreren sehr jungen Kindern vornahm und auch nicht mehr mit seiner Ehe- frau sexuell verkehrte, zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB geführt haben. Ob und in welchem zeitlichen Umfang dies der Fall ist, kann der Senat anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, weshalb er den Strafausspruch im Ganzen aufhebt.
15
b) Es ist nicht auszuschließen, dass der Rechtsfehler bei der Prüfung von § 21 StGB auch Auswirkungen auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat, die gemäß § 66 Abs. 2 StGB eine Ermessensentscheidung anhand aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls erfordert. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls zu erwägen haben, ob der Angeklagte bei Eingreifen von § 21 StGB gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 5 StR 104/10; NStZ-RR 2011, 170).
16
4. Der Ausspruch über die Adhäsionsanträge bleibt von der Aufhebung des strafrechtlichen Rechtsfolgenausspruchs unberührt. Über seine Aufhebung ist vom neuen Tatrichter auf der Grundlage der Ergebnisse der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, StV 2015, 292, 293).
17
Der Senat weist darauf hin, dass er mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14 (ZfSch 2015, 203 ff.) bei den anderen Strafsenaten und bei dem Großen Senat des Bundegerichtshofs für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt hat, ob an Rechtsprechung festgehalten wird, die bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Berücksichtigung der Vermö- gensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem fordert. Der Senat beabsichtigt , diese Rechtsprechung, von der das Landgericht ausgegangen ist, aufzugeben. Nach seiner Ansicht kommt es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse von Täter und Opfer für die Bemessung des Schmerzensgeldes nicht an. RiBGH Dr. Appl ist Krehl Eschelbach an der Beifügung seiner Unterschrift gehindert. Krehl Ott RiBGH Zeng ist an der Beifügung seiner Unterschrift gehindert. Krehl

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 283/10
vom
6. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. März 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3
Das Landgericht hat - den Ausführungen des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Bei dem Angeklagten bestehe eine Störung der Sexualpräferenz mit einer homosexuellen Orientierung auf junge, pubertierende Geschlechtspartner. Diese spezielle Ausrichtung werde von der Diagnose Pädophilie zwar nicht explizit ausgenommen, betreffe jedoch eine besondere sexuelle Neigung, die in der Literatur auch als Hebephilie bzw. als Ephebophilie bezeichnet werde. Die Persönlichkeitsstörung erfülle die Kriterien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zwar unterläge die Alltagskompetenz des Angeklagten durch die Störung generell keiner Beeinträchtigung , im Beziehungsbereich gäbe es aber erkennbare Defizite, die auch durch mehrjährige therapeutische Zuwendung nicht aufgelöst werden konnten und immer wieder in einförmiger Weise zu sexuellen Handlungen an unter 14Jährigen geführt hätten. Insofern sei eine Einengung der Lebensbezüge des Angeklagten auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse unübersehbar. Deshalb sei im Sinne des § 21 StGB von ausgeprägten Steuerungsmängeln hinsichtlich der Triebbefriedigung des Angeklagten auszugehen.
4
Die Ausführungen des Landgerichts zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie belegen nicht, dass die Störung den Angeklagten so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, dass sie den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 337; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 F 65.4; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 343 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 204 f.).
5
Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht, dass beim Angeklagten eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten in Gestalt einer schuldrelevanten süchtigen Entwicklung vorliegt. Eine solche Annahme wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Das Landgericht teilt die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen nicht mit. Nach den sonstigen Urteilsfeststellungen war der Angeklagte zuletzt im August 1997 einschlägig in Erscheinung getreten. Zum Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung im Januar 2000 unterhielt er Sexualkontakte zu einem jungen Mann Anfang 20. Von 1998 bis 2002 ist er von dem Dipl.Psychologen und Psychotherapeuten S. psychotherapeutisch behandelt worden. Der Therapeut hat ihm im Jahre 2002 eine positive Entwicklung bescheinigt , die allerdings einen Rückfall nicht generell ausschließe. Seither ist der Angeklagte offenbar bis zu der hier abgeurteilten Tat am 31. Mai 2009 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese Umstände, die eher zeigen, dass der Angeklagte sein Sexualverhalten über viele Jahre unter Kontrolle hatte , hätten zu der Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen.
6
Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lässt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt, da eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hier von vornherein ausscheidet. Durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck Mutzbauer Bender

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 474/09
vom
10. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
zu 1. wegen Erpressung u.a.
zu 2. u. 3. wegen Beihilfe zur Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juni 2010,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Richter am Amtsgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten F. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 23. Januar 2009, soweit es den Angeklagten F. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision und die Revisionen der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Angeklagten A. und P. sowie die Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
4. Die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Angeklagten A. und P. trägt die Staatskasse, der auch die diesen Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last fallen. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat - unter Freispruch aller Angeklagten im Übrigen - den Angeklagten F. der versuchten Erpressung in zwei Fällen und der Erpressung sowie die Angeklagten A. und P. jeweils der Beihilfe zur Erpressung schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten F. eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verhängt, gegen den Angeklagten A. eine solche von einem Jahr und zehn Monaten sowie gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr und sechs Monaten. Die Vollstreckung der gegen die Angeklagten A. und P. verhängten Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es hinsichtlich des Angeklagten F. festgestellt, dass eine Anordnung von Verfall sichergestellter Geldbeträge sowie von Verfall des Wertersatzes wegen entgegenstehender Ansprüche des Verletzten zu unterbleiben habe.
2
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere gegen die Teilfreisprüche aller drei Angeklagten sowie dagegen, dass hinsichtlich des Angeklagten F. die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Die Angeklagten rügen ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts und beanstanden ferner das Verfahren.
3
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg, desgleichen die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, soweit die Angeklagten A. und P. betroffen sind. Hinsichtlich des Angeklagten F. hat die Revision der Staatsanwaltschaft einen Teilerfolg. Die Begründung des Landgerichts für die Nicht- anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

A.


4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
5
Der Angeklagte F. gelangte im Frühjahr 2005 in den Besitz von etwa 2400 Kontobelegen der Landesbank AG (im Folgenden : L. ), die ein inzwischen rechtskräftig verurteilter ehemaliger Mitarbeiter der L. entwendet hatte. Die Belege betrafen die Anlage von Vermögenswerten nahezu ausschließlich in Deutschland wohnhafter Kunden der L. , die die daraus erzielten Einkünfte, im Wesentlichen Zinserträge und Anlagegewinne, nicht ordnungsgemäß in Deutschland versteuerten und dies auch in Zukunft nicht zu tun beabsichtigten. Zur gewinnbringenden Verwertung der Kontobelege fasste der Angeklagte F. den Plan, dort aufgeführte Kunden der L. anzusprechen und von diesen zur Vermeidung einer Veröffentlichung der auf den Belegen enthaltenen Informationen und einer damit verbundenen strafrechtlichen Verfolgung Geldbeträge in Höhe von mehreren hunderttausend Euro zu fordern.
6
Auf Anweisung des Angeklagten F. , der im Hintergrund bleiben wollte , nahm der gesondert verfolgte Thomas K. im Mai und im Juni 2005 Kontakt zu vier Kunden der L. auf, um den Plan in die Tat umzusetzen. Der Zeuge Pe. erklärte sich nach mehreren Telefonaten bzw. Treffen mit K. am 7. Juni 2005 dazu bereit, einen Betrag in Höhe von 300.000 Euro zu zahlen. Pe. hatte jedoch zuvor die L. von der Kontaktaufnahme durch K. sowie dessen Forderung in Kenntnis gesetzt. Eine Geldübergabe fand nicht statt, weil K. auf Anweisung des Angeklagten F. den Kontakt mit der Begründung abbrach, der Zeuge arbeite mit der L. zusammen. Am 3. Juni 2005 nahm K. Kontakt zu dem Zeugen Ko. auf, der jedoch (wahrheitswidrig) erklärte , kein Konto bei der L. zu unterhalten. K. und der Angeklagte F. gingen daraufhin davon aus, der Zeuge Ko. sei nicht erpressbar und die weitere Ausführung ihres Vorhabens nicht mehr möglich. Am 10. Juni 2005 wurde der Zeuge R. von K. aufgefordert, zur Vermeidung der Weitergabe von Kontobelegen an das Finanzamt einen Geldbetrag zu zahlen. Nachdem der Angeklagte F. in der Zwischenzeit aber direkt mit der L. in Kontakt getreten war, ihr die Rückgabe der Kontounterlagen gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages angeboten und ferner zugesagt hatte, die Kunden der L. nicht weiter zu behelligen, wurde K. angewiesen, auch den Kontakt zum Zeugen R. abzubrechen. Noch einige Tage zuvor hatte K. den Zeugen D. , ebenfalls Kunde der L. , angerufen und diesem einen Tag später in dessen Büro sein Anliegen vorgetragen. Er erzielte jedoch mit seiner Drohung keinen Erfolg; der Zeuge D. kündigte an, die Polizei einzuschalten.
7
Die Angaben des Zeugen Pe. gegenüber der L. veranlassten die Bank zur Einschaltung der Privatdetektei R. Management GmbH; deren Mitarbeitern gelang die Aufdeckung der Identität des Angeklagten F. und des K. . Daraufhin waren die Entscheidungsträger der L. bereit, zur Vermeidung der vom Angeklagten F. angekündigten Weitergabe der Kontounterlagen an die Finanzbehörden eine Summe von insgesamt 13 Millionen Euro zu zahlen. Die Geldübergabe sollte in drei Raten Zug um Zug gegen Rückgabe der Belege erfolgen; ferner sollten keine weiteren Kopien der Kontenbelege den deutschen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden übergeben und keine Kunden der Bank mehr angesprochen werden. In der Folgezeit wurden an den Angeklagten F. am 31. August 2005 7,5 Millionen Schweizer Franken übergeben, am 29. August 2007 weitere vier Millionen Euro, jeweils gegen Rückgabe von Teilen der Kontounterlagen. Die letzte Rate in Höhe von 4 Millionen Euro, die für Ende August 2009 abgesprochen war, zahlte die L. nicht mehr, da der Angeklagte F. Ende 2007 festgenommen wurde.
8
Die Angeklagten A. und P. unterstützten den Angeklagten F. nach Erhalt der ersten Raten unter anderem bei der Beutesicherung, indem sie behilflich waren, einen Teil der durch die L. gezahlten Gelder unter Verschleierung der Herkunft in den Wirtschaftskreislauf einfließen zu lassen, insbesondere durch die Vermittlung eines Darlehensvertrages und durch Herstellung eines Kontakts zu einem Treuhänder.

B.


I.


9
Zu den Revisionen der Angeklagten:
10
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
11
1. Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen führen, wie der Generalbundesanwalt in der Begründung seines Terminsantrages vom 10. Dezember 2009 zutreffend ausgeführt hat, nicht zum Erfolg.
12
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der erhobenen Sachrügen hat auch unter Berücksichtigung des jeweiligen Revisionsvorbringens weder hinsichtlich des Schuld- noch hinsichtlich des Strafausspruchs Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
13
a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten F. in den Fällen II. 2 und 4 der Urteilsgründe als versuchte Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, 3 i.V.m. § 22 StGB gewertet.
14
Indem K. auf Anweisung des Angeklagten mit den Zeugen Ko. und D. Kontakt aufnahm und diesen gegenüber ankündigte, die im Besitz des Angeklagten F. befindlichen Kontounterlagen den deutschen Finanzbehörden zuleiten zu wollen, wurde mit einem empfindlichen Übel gedroht und damit zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt. Denn die Geschädigten mussten damit rechnen, nach Auswertung der Unterlagen vom deutschen Fiskus nachveranlagt sowie steuerstrafrechtlich verfolgt zu werden. Nach den Feststellungen nannte K. den Geschädigten nach Absprache mit F. die jeweiligen Kontodaten. So sollten sie nach der Vorstellung des Angeklagten erkennen, dass er über die entsprechenden Unterlagen verfügte und die ihnen drohende Strafverfolgung nach deren Übergabe an die deutschen Behörden tatsächlich in seinem Machtbereich lag. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe von vornherein vorgehabt, ausschließlich „ins Geschäft mit der Landesbank“ zu kommen, und K. habe sich bei seiner Kontaktaufnahme mit den Geschädigten weisungswidrig verhalten, rechtsfehlerfrei als widerlegt angesehen.
15
Der Angeklagte wollte sich auch zu Unrecht bereichern, denn auf die von den Geschädigten eventuell geleisteten Zahlungen hatten er und der gesondert verfolgte K. keinen Anspruch. Die Annahme, der Angeklagte hätte an die Berechtigung seiner Geldforderungen gegenüber Ko. und D. geglaubt, liegt nach den getroffenen Feststellungen fern. Die Vorstellung des Angeklagten , auch auf anderem Wege, nämlich unmittelbar von der L. , mit einer entsprechenden Drohung (noch höhere) Geldbeträge erlangen zu können, ändert nichts daran, dass er, was ihm bewusst war, die Zahlungen von den beiden Bankkunden nur auf der Grundlage der ihnen gegenüber gezielt herbeigeführten Zwangssituation erhalten würde.
16
b) Das Landgericht hat den Tatbestand einer vollendeten Erpressung zum Nachteil der L. im Fall II. 5 der Urteilsgründe ebenfalls zu Recht als erfüllt angesehen.
17
aa) Dass die Zahlungen an den Angeklagten aus dem Vermögen der L. als einer juristischen Person auf Veranlassung des aus mehreren Personen bestehenden Verwaltungsrates erfolgten, stellt dies nicht in Frage. Mit ihren dagegen gerichteten Angriffen verkennt die Revision des Angeklagten F. , dass der Tatbestand der Erpressung nicht nur bei der erzwungenen Preisgabe eigenen Vermögens erfüllt ist, sondern auch bei einer solchen, die fremdes Vermögen betrifft. Genötigter und Geschädigter brauchen nicht identisch zu sein, sofern der Genötigte das fremde Vermögen schützen kann und will (BGH, Urteil vom 20. April 1995 - 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 125; vgl. auch MünchKommStGB /Sander § 253 Rn. 23 m.w.N.; SSW-StGB/Kudlich § 253 Rn. 21). So liegt der Fall hier. Da es sich bei den Genötigten im vorliegenden Fall um die Mitglieder des Aufsichtsgremiums einer juristischen Person des Privatrechts handelte, bedurfte das vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für derartige Fallkonstellationen geforderte Näheverhältnis keiner weiteren Erläuterung.
18
bb) Auch im Übrigen hält der Schuldspruch wegen vollendeter Erpressung zum Nachteil der L. rechtlicher Nachprüfung stand.
19
Da die Rechtsordnung im Bereich der Vermögensdelikte ein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin ungeschütztes Vermögen nicht kennt (BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 1 StR 167/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 3), sind die mit der Zahlung der L. an den Angeklagten verfolgten Zwecke, nämlich eine vom Verwaltungsrat möglicherweise beabsichtigte Verdeckung von Steuerhinterziehungen der Kunden der L. , ohne Belang.
20
Dass der Angeklagte F. auch im Fall 5 der Urteilsgründe mit Bereicherungsabsicht handelte, weil er auf die von der L. gezahlten Geldbeträge keinen Anspruch hatte, liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen auf der Hand. Der Frage, welchen „Marktwert“ die in den Kontobelegen verkörperten Informationen hatten, brauchte die Strafkammer in diesem Zusammenhang nicht nachzugehen. Hierbei kann dahinstehen, ob den Kontounterlagen - ähnlich wie amtlichen Ausweispapieren (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1971 – 4 StR 368/71, VRS 42, 110, 111; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1982 – 4 StR 517/82, MDR 1983, 92; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 – 4 StR 255/09, NStZ 2009, 694), Führerscheinen oder Scheckkarten (Senat, Urteil vom 25. August 1987 – 4 StR 224/87 –) schon generell kein messbarer objektiver Verkehrswert und damit auch kein „Marktwert“ zukommt, weil sich ihr Wert für den Besitzer in den mit der Sachherrschaft verknüpften funktionellen Möglichkeiten (hier: Einsatz als Erpressungsmittel) erschöpft (vgl. hierzu Fischer, StGB, 57. Aufl., § 248 a Rn. 4 m.w.N.). Jedenfalls für die L. waren sie - was dem Angeklagten F. bewusst war - wirtschaftlich wertlos, da ihr als kontoführender Bank die auf den Belegen enthaltenen Daten ohnehin vollstän- dig und in aktualisierter Form zur Verfügung standen. Es kam der L. ersichtlich nicht darauf an, durch Zahlungen in Millionenhöhe in den Besitz von Kopien eigener Unterlagen zu gelangen. Vielmehr erbrachte sie die Zahlungen aufgrund der vom Angeklagten F. ausgesprochenen Drohung, anderenfalls würden die Kontodaten den deutschen Finanzbehörden offenbart mit der Folge erheblicher Nachteile für den eigenen Geschäftsbetrieb. Dass der Angeklagte zunächst versucht hatte, von staatlichen Stellen für die Weitergabe der Daten erhebliche Geldbeträge zu erhalten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, zumal diese den Ankauf zwischenzeitlich abgelehnt hatten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 410/92, NJW 1993, 1484, 1485).
21
c) Die Bejahung der Rechtswidrigkeit der Taten gemäß § 253 Abs. 2 StGB lässt einen Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen.
22
Dabei hat der Senat aus Anlass dieses Falles nicht über die zivilrechtliche Wirksamkeit oder eine etwaige strafrechtliche Relevanz des Verkaufs entwendeter Kontodaten an staatliche Stellen zu entscheiden. Denn unabhängig von der rechtlichen Bewertung einer Weitergabe der Kontobelege ist die Verwerflichkeit im Sinne des § 253 Abs. 2 StGB zu bejahen.
23
aa) Entsprechend ihrem Zweck, nicht strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des § 253 StGB auszunehmen, sind die Voraussetzungen der Verwerflichkeitsklausel erfüllt, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles ein erhöhter Grad der sozialethischen Missbilligung der für den erstrebten Zweck angewandten Mittel festzustellen ist (BGH, Urteile vom 19. November 1953 - 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 256; vom 11. Mai 1962 - 4 StR 81/62, 17, 328, 331 f.; BGH, Beschluss vom 13. Januar 1983 - 1 StR 737/81, 31, 195, 200). Hierbei ist das rechtlich Verwerf- liche nicht einseitig in dem angewandten Mittel oder in dem erstrebten Zweck zu suchen, sondern in der Beziehung beider zueinander (BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194, 196; BGH, Urteil vom 11. Mai 1962 - 4 StR 81/62, 17, 328, 331). Die Abgrenzung einer strafwürdigen Nötigung von einer nicht zu missbilligenden Willensbeeinflussung hat der Bundesgerichtshof etwa im Fall der Drohung mit einer Strafanzeige danach vorgenommen, ob der Sachverhalt, aus dem sich das Recht zur Strafanzeige herleitet, mit dem durch die Drohung verfolgten Zweck in einer inneren Beziehung steht oder beides willkürlich miteinander verknüpft wird (BGH, Urteil vom 19. November 1953 - 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 258). Auch der an sich erlaubte Zweck rechtfertigt nur die Anwendung sozial hinnehmbarer Mittel (BayObLG, wistra 2005, 235; Träger/Altvater in LK, StGB, 11. Aufl., § 240 Rn. 69, 88).
24
bb) Gemessen daran hat die Strafkammer die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 StGB im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen.
25
Dabei kann offen bleiben, ob Verwerflichkeit – auch bei rechtlicher Zulässigkeit der Drohung – regelmäßig schon dann anzunehmen ist, wenn die erstrebte Bereicherung mit dem eingesetzten Nötigungsmittel in keinem Zusammenhang steht und die Entscheidungsfreiheit des Bedrohten durch Forderung eines sog. inkonnexen Vorteils beschnitten wird (so MünchKommStGB/Sander § 253 Rn. 37; SSW-StGB/Kudlich § 253 Rn. 33; Fischer aaO § 253 Rn. 21; Günter in SK-StGB § 253 Rn. 38). Jedenfalls bei einer sachlich nicht gerechtfertigten , willkürlichen Verknüpfung von angewandtem Mittel und erstrebtem Zweck liegt Verwerflichkeit im Sinne des § 253 Abs. 2 StGB vor (BGH, Urteil vom 19. November 1953 - 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 258; ebenso OLG Düsseldorf , NStZ-RR 1996, 5, 6). So verhält es sich hier: Die vom Angeklagten er- strebte Bereicherung stand mit dem eingesetzten Nötigungsmittel, der angedrohten Weitergabe vertraulicher, einer Bank entwendeter Kontodaten einer großen Zahl von Kunden an die deutschen Finanzbehörden, in keinem nachvollziehbaren , sozialethisch zu billigenden Zusammenhang. Weder verfolgte der Angeklagte rechtlich geschützte eigene Interessen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1996, 296), noch handelte er in einem übergeordneten, billigenswerten Interesse (vgl. dazu BayObLG aaO).
26
d) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch auch insoweit, als die Angeklagten A. und P. wegen Beihilfe zur Erpressung verurteilt worden sind. Diese war zum Zeitpunkt der Hilfeleistung noch nicht beendet, so dass eine Teilnahme noch möglich war. Soweit der Angeklagte P. darüber hinaus die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils beanstandet, erschöpfen sich seine Angriffe in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen.

II.


27
Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft:
28
1. Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerdeführerin zunächst gegen die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte F. bleibe in den Fällen II. 1 und 3 der Urteilsgründe straffrei, weil er freiwillig vom (unbeendeten) Versuch der Erpressung zum Nachteil der Zeugen Pe. und R. zurückgetreten sei.
29
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält. Ist der Erfolgseintritt nicht mehr möglich und erkennt der Täter dies oder hält der ihn auch nur fälschlicherweise nicht mehr für möglich, liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor, von dem der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170; vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, 33, 295; vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, 35, 90). Demgegenüber bleibt ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch in den Fällen möglich, in denen der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 230 ff.).
30
b) Gemessen daran bestehen gegen die rechtliche Würdigung der Strafkammer , die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch seien im vorliegenden Fall erfüllt, hier keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte F. – und auf seine Weisung hin auch sein Mittäter K. – die Tatbestandsverwirklichung aufgaben, als nach einer ersten Kontaktaufnahme mit der L. am 22. Juni 2005 die begründete Aussicht bestand, von dieser einen weit höheren Geldbetrag zu erlangen, was deren Vertreter allerdings von einem sofortigen Abbruch aller Verhandlungen mit Bankkunden abhängig gemacht hatten. Der Angeklagte F. hatte damit sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht. Von diesen Feststellungen wird daher die Annahme getragen , F. sei daraufhin – nach einer Phase gewisser Unsicherheit bis zum Erhalt der ersten Rate seitens der L. – (endgültig) freiwillig von der Tatausfüh- rung gegenüber Pe. und R. zurückgetreten. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist für eine weiter gehende Bewertung der Motive eines Täters für seine Abstandnahme von der weiteren Tatausführung kein Raum (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231).
31
2. Die Strafaussprüche halten rechtlicher Nachprüfung stand.
32
a) Die Feststellungen rechtfertigen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens des § 253 Abs. 4 StGB unter dem Gesichtspunkt bandenmäßiger Begehungsweise. Bandenmäßiges Handeln setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, deren Verbindung darauf gerichtet ist, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten eines bestimmten Deliktstypus zu begehen (BGH, Beschluss vom 22. März 2001 - GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 328 f.). Jedenfalls daran fehlt es hier. Die Wertung der Strafkammer, die Angeklagten A. und P. seien an den Taten zum Nachteil der Bankkunden weder als (Mit-)Täter noch als Gehilfen beteiligt gewesen und hätten zu der Tat zum Nachteil der L. erst nach Vollendung (durch Entgegennahme der ersten Rate), aber vor deren Beendigung, lediglich Gehilfenbeiträge zur Beutesicherung geleistet, beruht auf einer rechtsfehlerfreien , erschöpfenden Beweiswürdigung.
33
b) Auch mit den gegen einzelne Strafzumessungserwägungen gerichteten Angriffen hinsichtlich des Angeklagten F. dringt die Revision der Staatsanwaltschaft nicht durch. Die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung kann das Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüfen, nicht aber einer ins Einzelne gehenden Richtigkeitskontrolle unterziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Januar 1962 - 1 StR 346/61, BGHSt 17, 35, 36 f.; vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, 29, 319, 320). Ein solcher Rechtsfehler wird nicht aufgezeigt; insbesondere wird nicht erkennbar, dass das Landgericht rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen oder Strafen verhängt hat, die sich von der Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nach Auffassung des Senats hat die Strafkammer die mit Blick auf § 51 StGB regelmäßig nicht angezeigte strafmildernde Berücksichtigung von Untersuchungshaft (vgl. nur BGH, Urteile vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NStZ 2006, 620; vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10 Rn. 8) hier – jedenfalls noch vertretbar – auf besondere Umstände gestützt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 3 StR 401/02, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 20). Die lange Dauer des Strafverfahrens kann auch strafmildernd berücksichtigt werden, wenn sachliche, von den Strafverfolgungsorganen nicht zu vertretende Gründe die Ursache waren (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1998 – 3 StR 561/98, BGHR § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).
34
3. Den Revisionen bleibt der Erfolg auch versagt, soweit sie sich gegen die den Angeklagten A. und P. gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wenden. Den dem Tatrichter bei der Gesamtwürdigung nach § 56 Abs. 1 StGB eingeräumten weiten Bewertungsspielraum (vgl. dazu Fischer aaO § 56 Rn. 11 m.w.N.) hat das Landgericht hier nicht überschritten, sondern alle wesentlichen , für die Entscheidung maßgeblichen Umstände erwogen und die jeweils positive Entwicklung der persönlichen Lebenssituation der Angeklagten, insbesondere deren Lösung aus dem Drogenmilieu und die wirtschaftliche Stabilisierung , berücksichtigt.
35
Auch in der Bejahung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sieht der Senat vor dem Hintergrund der insoweit vorgenommenen eingehenden Gesamtwürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
36
4. Hingegen bedarf die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten F. in der Sicherungsverwahrung neuer Verhandlung und Entscheidung.
37
a) Der medizinische Sachverständige, dessen Beurteilung sich die Strafkammer angeschlossen hat, vermochte insbesondere das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 StGB nicht zuverlässig festzustellen. Die Delinquenzentwicklung beim Angeklagten habe spät begonnen und sei untypisch verlaufen, da die verfahrensgegenständlichen Taten nicht als konstante Fortsetzung der vorangegangenen Taten angesehen werden könnten. So sei vor allem die Gefährlichkeit der Tatausführung im Vergleich zu den vorigen Taten der räuberischen Erpressung und Geiselnahme als wesentlich geringer zu beurteilen. Das in den neuen Taten nahezu ausschließlich zum Ausdruck kommende Streben nach finanzieller Bereicherung sei für die Einordnung der Taten als Symptomtaten zu unspezifisch. Die prognostische Einschätzung der Neigung des Angeklagten zur Begehung weiterer Straftaten habe keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Da sich der Angeklagte nicht habe explorieren lassen, könne zudem eine relevante Persönlichkeitsstörung weder festgestellt noch ausgeschlossen werden. Es bestehe die Hoffnung, dass der langjährige Strafvollzug den Angeklagten beeindrucken und von weiteren Straftaten abhalten werde.
38
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Entscheidung der Frage, ob der Angeklagte gemäß § 66 StGB unterzubringen ist, von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.
39
aa) Das Merkmal „Hang“ verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund ei- ner fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (vgl. BGH, Urteile vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 13. September 1989 - 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4).
40
bb) Danach erweist sich schon die vom Landgericht übernommene Ausgangsüberlegung des Sachverständigen, die Deliktsentwicklung beim Angeklagten sei wegen ihres späten Beginns unspezifisch, als nicht tragfähig. Es trifft zwar zu, dass der Angeklagte erst im Alter von 29 Jahren mit der Begehung seiner Straftaten begonnen hat. Indem das Landgericht diesen Gesichtspunkt maßgeblich heranzieht, um einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verneinen, übersieht es indes, dass er erst 14 Monate zuvor aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt war. Hier verübte er sodann schwerste Straftaten, unter anderem zahlreiche Raubüberfälle mit einer Gesamtbeute von weit über einer Million DM sowie einen erpresserischen Menschenraub, bei dem sich das Opfer nur durch glückliche Umstände noch vor der Lösegeldübergabe befreien konnte. Seiner Festnahme widersetzte sich der Angeklagte durch sofortigen Schusswaffengebrauch. Bei einem der Raubüberfälle kam eine Person zu Tode.
41
Auch die vom Sachverständigen übernommene Wertung der verfahrensgegenständlichen Taten als untypisch kann in diesem Zusammenhang für die Frage eines Hangs des Angeklagten zur Begehung von Straftaten nichts Entscheidendes beitragen. Es trifft zwar zu, dass die Gewaltkomponente bei diesen Taten im Unterschied zu den vorangegangenen Straftaten keine entschei- dende Rolle gespielt hat. Dies ergibt sich indes bereits aus der Natur der verwirklichten Straftatbestände, deren Begehung die Ausübung von Gewalt nicht notwendigerweise voraussetzt. Das Landgericht hat zudem nicht ausreichend in den Blick genommen, dass der Angeklagte in der Vergangenheit mit außerordentlich hoher Rückfallgeschwindigkeit massivste Straftaten beging, im Wesentlichen nur unterbrochen von Aufenthalten im Strafvollzug, in dem er darüber hinaus weitere Taten vorbereitete, und dass ihm der Sachverständige eine hohe Zielstrebigkeit bei der Begehung aller Taten attestiert hat. Angesichts der auch vom Sachverständigen hervorgehobenen Komplexität des hier abzuurteilenden Tatgeschehens, in welchem es dem Angeklagten gelang, ein kriminelles Geflecht für sich einzusetzen, drängte es sich im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auf, dem Vorliegen eines eingeschliffenen Verhaltensmusters vor dem Hintergrund der in den Taten zum Ausdruck kommenden außerordentlichen kriminellen Energie stärkere Beachtung zu schenken. Dass der Angeklagte (nur) vom Streben nach Geld zur Begehung der Taten veranlasst wurde, vermag entgegen der Auffassung des Landgerichts ein solches Verhaltensmuster nicht in Frage zu stellen.
42
cc) Die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose begegnen ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar kann der Tatrichter insoweit auch die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters unter Umständen eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1981 – 5 StR 475/81, StV 1982, 114; BGH, Beschluss vom 3. April 1984 – 5 StR 148/84, NStZ 1984, 309). Der Generalbundesanwalt vermisst im vorliegenden Fall jedoch zu Recht eine Darlegung entsprechender konkreter, auf den Zeitpunkt der Urteilsfindung bezogener Tatsachen. Angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte in der Vergangenheit weitere schwere Straftaten bereits aus dem Strafvollzug heraus plante und der Sachverständige ausgeführt hat, ein selbstkritischer Umgang des Angeklagten mit seinen früheren und den hier abgeurteilten Taten sei nur in Ansätzen festzustellen , war insoweit ein strenger Maßstab anzulegen. Auch rechtfertigt die Erwägung des Landgerichts, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung könne beim Angeklagten nicht diagnostiziert werden, die Verneinung einer fortbestehenden Gefährlichkeit für sich genommen nicht. Für die Anordnung der Sicherungsverwahrung sind die Ursachen des Hangs und der sich daraus ergebenden Gefährlichkeit regelmäßig unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2002 – 5 StR 330/02, NStZ 2003, 310, 311; Fischer aaO § 66 Rn. 25 m.w.N.). Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, kann das Vorliegen einer schweren seelischen Abartigkeit, also auch einer dissozialen Persönlichkeit, die Negativprognose mitbegründen, Voraussetzung für die Bejahung der Gefährlichkeit ist sie jedoch nicht (MünchKommStGB/Ullenbruch § 66 Rn. 142).
43
c) Die Frage der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung muss daher – zweckmäßigerweise unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – neu geprüft werden. Angesichts der Ausführungen im angefochtenen Urteil bemerkt der Senat ergänzend, dass es sich bei dem Begriff des Hangs um einen Rechtsbegriff handelt, den das Gericht – auf der Grundlage der Stellungnahme des Sachverständigen – im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten sowie seiner Taten unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände eigenständig festzustellen hat (Rissingvan Saan/Peglau in LK, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 117 m.w.N.).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
RiBGH Dr. Franke ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 436/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
12. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 22. Juni 2009 wird das Verfahren eingestellt , soweit der Angeklagte wegen exhibitionistischer Handlungen (Fall II. 1. der Urteilsgründe) verurteilt worden ist.
Im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von 13 Sexualdelikten sowie wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt, die Sicherungsverwahrung angeordnet und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Die auf eine Beanstandung des Verfahrens und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Die Verurteilung wegen exhibitionistischer Handlungen im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Tat ist am 5. Juli 2004 begangen worden. Sie ist mit einer Strafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht (§ 183 Abs. 1 StGB), die Verjährungsfrist beträgt damit drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Der Angeklagte ist erst nach seiner Festnahme Mitte Dezember 2008 als Täter ermittelt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat bereits verjährt.
3
2. Die Einstellung des Verfahrens führt zum Wegfall der Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen. Davon sind weder die Einzelstrafen für die anderen, überwiegend gravierenden Taten noch die Gesamtstrafe berührt.
4
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf allein die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung eines Beweisantrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen beanstandet wird. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
5
Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, hat die Verteidigung beantragt, "hilfsweise für den Fall, dass die erkennende Kammer entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. zu dem Ergebnis kommt, dass bei dem Angeklagten ein Hang zu Begehung von Straftaten i. S. d. § 66 StGB vorliegt und auch die übrigen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung gegeben sind, ein weiteres Sach- verständigengutachten zur Frage eines Hanges des Angeklagten zu weiteren erheblichen Straftaten einzuholen." Mit dem Gutachten solle einer von zwei namentlich benannten Psychiatern beauftragt werden, die als "anerkannte Kapazitäten auf dem Gebiet der Feststellung eines ‚Hanges’" überlegene Forschungs - und Erkenntnismittel erworben hätten. Durch das Gutachten seien deshalb "weitergehende und intensive Erkenntnisse" zu erwarten.
6
Die Strafkammer hat den Antrag abgelehnt und dies damit begründet, sie habe durch die Anhörung des Sachverständigen ausreichende eigene Sachkunde erlangt. Dass der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen sei, die Sicherungsverwahrung "könne nicht empfohlen werden", beruhe lediglich darauf , dass er der unzutreffenden Auffassung sei, ein Hang sei deshalb nicht anzunehmen , weil der Angeklagte nur einen Teil der von Habermeyer und Saß aus der Literatur (ersichtlich: Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) zusammengestellten Kriterien erfülle und weil der Sachverständige den rechtlich verfehlten Schluss gezogen habe, die Gefährlichkeit könne deshalb nicht festgestellt werden, weil nicht sicher vorherzusagen sei, dass der Angeklagte auch nach einer Therapie rückfällig werde.
7
Der Beschwerdeführer ist unter Berufung auf die Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7 (3 StR 240/04) der Ansicht , der Antrag hätte "nur dann" abgelehnt werden können, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei. Da der frühere Gutachter einen Hang des Angeklagten indes ausdrücklich verneint habe, hätte der Beweis erhoben werden müssen.
8
Die Rüge zeigt einen Rechtsfehler nicht auf.
9
a) Es erscheint bereits in zweifacher Weise zweifelhaft, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Beweisantrag handelt. Zum einen könnte es schon deshalb an einer bestimmten Beweisbehauptung fehlen, weil die Anhörung eines weiteren Sachverständigen nur "zur Frage eines Hanges des Angeklagten" beantragt worden ist. Zum anderen handelt es sich bei dem Hang im Sinne des § 66 StGB um einen Rechtsbegriff, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 2). Dass bei dem Angeklagten kein Hang vorliegt, kann allenfalls das Beweisziel sein, also die Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus dem beantragten Sachverständigengutachten ziehen soll (vgl. Becker in Löwe /Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 98 - für die Behauptung, bei der Tat hätten "die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB" vorgelegen). Insofern hätte das Bestehen oder das Fehlen bestimmter tatsächlicher Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten oder in den Taten behauptet werden müssen.
10
b) In jedem Fall hat das Landgericht den Antrag ohne Rechtsfehler abgelehnt. Die Revision verkennt im Ansatz, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Erwiesenheit des Gegenteils der behaupteten Tatsache (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO) nur ein weiterer, allein für den Sonderfall eines Antrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen geltender Zurückweisungsgrund ist, der die übrigen Gründe des § 244 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 StPO nicht ausschließt. Die Ablehnung des Antrags unter Berufung auf die eigene Sachkunde ist dem Tatrichter deshalb möglich, auch wenn ihm diese erst durch den zunächst vernommenen Sachverständigen vermittelt worden ist und selbst dann, wenn er diesem Gutachter nicht folgen will (vgl. Becker aaO Rdn. 326 m. w. N.).
11
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7. In dem dort zugrunde liegenden Fall hatte sich der Tatrichter bei der Ablehnung des Antrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen auf den Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützt, obwohl der erste Gutachter gerade keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hangs gefunden hatte. Eigene Sachkunde hatte die Strafkammer erkennbar nicht für sich in Anspruch genommen, so dass auch ein - bei Hilfsbeweisanträgen für das Revisionsgericht mögliches - Austauschen des Ablehnungsgrunds nicht in Betracht kam.
12
Vorliegend hat das Landgericht eigene Sachkunde, erworben aus dem ausführlichen Gutachten des gehörten Sachverständigen, in Anspruch genommen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) und diese in den Urteilsgründen ausreichend dargelegt. Es hat zutreffend sowohl die Delinquenzentwicklung beim Angeklagten als progredient eingeschätzt als auch für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellt und dabei den Mutmaßungen des Sachverständigen zum Erfolg einer notwendigen Therapie keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 69/10
vom
30. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 30. März
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Oktober 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Nach den Feststellungen missbrauchte der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte zwei Mädchen im Alter von zehn oder elf bzw. von zwölf Jahren, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennengelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien 2008 waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Die Taten beging der Angeklagte "in dem Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August 2008". Eine nähere Eingrenzung war der Kammer - von zwei Taten abgesehen, die am 15. und 16. August 2008 stattfanden - nicht möglich.
3
Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafzumessung - insbesondere die Annahme eines besonders schweren Falles des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 Abs. 3 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie die Verhängung von drei Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, denen jeweils ein Zungenkuss des Angeklagten mit der zehn- oder elfjährigen M. zugrunde liegt - ist angesichts der Gesamtumstände zwar eher streng, verlässt aber den Bereich des Schuldangemessenen noch nicht.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben, da das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine auf ihm beruhende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet hat.
5
1. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Urt. vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 - Rdn. 4).
6
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es führt - unter pauschaler Bezugnahme auf "gutachterliche Feststellungen" des Sachverständigen - lediglich aus, dass "bei dem Angeklagten die aus psychologischpsychiatrischer Sicht für einen Hangtäter sprechenden Risikofaktoren für die Begehung weiterer sexueller Missbrauchstaten von Kindern nach Anzahl und Gewicht (überwiegen). Dieses ließe erwarten, dass der Angeklagte auch weitere im mittleren bis schweren Bereich anzusiedelnde sexuelle Missbrauchstaten begehen wird." Damit ist nicht nur zu besorgen, das Landgericht habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen, es fehlt auch an der notwendigen Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1). In die Würdigung wäre hier u. a. einzustellen gewesen , dass der nicht vorbestrafte Angeklagte bislang ein unauffälliges Leben führte und aus mehreren, zum Teil langjährigen Beziehungen mit Frauen insge- samt vier erwachsene Kinder hatte. Zudem handelte es sich um einen äußerst kurzen Tatzeitraum.
7
Sollte das Landgericht angenommen haben, eine positive Gefährlichkeitsprognose könne die Feststellung eines Hangs ersetzen, wäre auch dies rechtsfehlerhaft. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGHSt 50, 188, 196; vgl. auch BGH StV 2008, 301, 320).
8
2. Auch die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten ist rechtlich zu beanstanden. Hier referiert das Landgericht, der Sachverständige habe "zum einen eine statistische Bewertung des von dem Angeklagten ausgehenden Risikos nach dem Verfahren 'Static 99' durchgeführt. … Auf einer bis 10 reichenden Skala habe der Angeklagte einen Skalenwert von 7 erreicht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Angeklagte damit in den Bereich 'hohes Risiko' einzustufen, der bei dem Skalenwert 6 beginne."
9
Zutreffend an diesen Ausführungen ist allein, dass es sich bei dem "Static 99" um eines von mehreren Prognoseinstrumenten zur Vorhersage von Rückfällen bei Sexualdelinquenz handelt (vgl. hierzu Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in: Kröber u. a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 1, 32 ff., 41 ff.; Dahle FPPK 2007, 15, 17), dessen Qualität inzwischen auch durch Studien in Europa getestet worden ist (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 248; Rettenberger/Eher MschrKrim 2006, 352, 358; Noll u. a MschrKrim 2006, 24, 29; Endrass u. a. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2009, 284; Dahle u. a. FPPK 2009, 210, 216, 219). Es ist aber bereits nicht ersichtlich, wie der Sachverständige bei dem unbestraften, nahezu 60jährigen Angeklagten, der mehrere langjährige Beziehungen zu Frauen hatte, seine durchweg weiblichen Opfer und deren Familien im nachbarschaftlichen Umfeld seit längerem kannte und bei seinen Taten ohne Gewalt vorging, zur Vergabe von sieben Risikopunkten kommen konnte. Die Feststellungen des Landgerichts belegen jedenfalls nur einen Risikopunkt (ItemNummer 8: Opfer und Täter sind nicht verwandt). Hinzu kommt, dass sich das Landgericht darauf beschränkt, ein "hohes Risiko" festzustellen, ohne darzulegen , welche Straftaten in welchem Zeitraum mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind. Nur so könnte nachprüfbar belegt werden, ob der Angeklagte gefährlich ist.
10
Zuletzt lässt das Landgericht außer Acht, dass mit der Feststellung, der Angeklagte weise bei Anwendung irgendeines statistischen Prognoseinstruments eine bestimmte Anzahl von Risikopunkten auf, nichts Entscheidendes gewonnen ist. Solche Instrumente können für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, sind indes nicht in der Lage, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (Dahle FPPK 2007, 15, 24). Zur individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus zusätzlich einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen. Denn jedes Instrument kann nur ein Hilfsmittel sein, eines von mehreren Werkzeugen, mit denen sich der Gutachter die Prognosebeurteilung erarbeitet (vgl. auch Boetticher u. a. NStZ 2009, 478, 481).
11
Die weiteren, im Urteil wiedergegebenen Erwägungen des Sachverständigen vermögen diese Mängel nicht auszugleichen.
12
3. Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neuerliche Verhandlung doch noch zur Feststellung von Umständen führt, die die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Dabei wird sich die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen empfehlen.
Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 87/11
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. Oktober 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, Vergewaltigung und versuchter Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Nebenklägerin sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin beanstandet wird, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zur Begründung seines Beweisbegehrens hat sich der Verteidiger des Angeklagten in dem in der Hauptverhandlung am 25. August 2010 gestellten Beweisantrag auf die von der Zeugin F. übergebenen Krankenunterlagen und in dem Wiederholungsantrag vom 12. Oktober 2010 u.a. auf den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen der Nebenklägerin am 27. Januar und 9. Februar 2010 bezogen. Die Revision versäumt es, den Inhalt der Krankenunterlagen sowie der Protokolle der beiden polizeilichen Vernehmungen vollständig mitzuteilen.
3
2. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil die Urteilsgründe eine Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nicht erkennen lassen.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, dessen Entscheidung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich ist. Um eine Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe sowohl erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, als auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43; vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12; Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473; vgl. auch Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10 Rn 13 zu § 66 Abs. 2 StGB aF). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die Urteilsausführungen beschränken sich allein darauf, die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF festzustellen. Ihnen ist weder zu entnehmen, dass die Strafkammer ihr Ermessen überhaupt betä- tigt hat, noch legen sie die für eine möglicherweise getroffene Ermessensentscheidung maßgeblich gewesenen Erwägungen näher dar.
5
3. Für die neuerliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung weist der Senat auf Folgendes hin:
6
a) Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - 4 StR 474/09, NStZ-RR 2011, 143, 145). Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster", bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586), bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484; Urteile vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 5; vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09).
7
b) Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) als auch in § 67d Abs. 3 StGB aF. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prog- nose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 aaO; Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 7).
8
c) Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Anforderungen zu beachten haben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 - für die befristete weitere Anwendung dieser Norm aufgestellt hat (vgl. Rn. 172 der Entscheidung). Ernemann RiBGH Dr. Franke ist Mutzbauer erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 69/10
vom
30. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 30. März
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Oktober 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Nach den Feststellungen missbrauchte der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte zwei Mädchen im Alter von zehn oder elf bzw. von zwölf Jahren, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennengelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien 2008 waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Die Taten beging der Angeklagte "in dem Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August 2008". Eine nähere Eingrenzung war der Kammer - von zwei Taten abgesehen, die am 15. und 16. August 2008 stattfanden - nicht möglich.
3
Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafzumessung - insbesondere die Annahme eines besonders schweren Falles des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 Abs. 3 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie die Verhängung von drei Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, denen jeweils ein Zungenkuss des Angeklagten mit der zehn- oder elfjährigen M. zugrunde liegt - ist angesichts der Gesamtumstände zwar eher streng, verlässt aber den Bereich des Schuldangemessenen noch nicht.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben, da das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine auf ihm beruhende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet hat.
5
1. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Urt. vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 - Rdn. 4).
6
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es führt - unter pauschaler Bezugnahme auf "gutachterliche Feststellungen" des Sachverständigen - lediglich aus, dass "bei dem Angeklagten die aus psychologischpsychiatrischer Sicht für einen Hangtäter sprechenden Risikofaktoren für die Begehung weiterer sexueller Missbrauchstaten von Kindern nach Anzahl und Gewicht (überwiegen). Dieses ließe erwarten, dass der Angeklagte auch weitere im mittleren bis schweren Bereich anzusiedelnde sexuelle Missbrauchstaten begehen wird." Damit ist nicht nur zu besorgen, das Landgericht habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen, es fehlt auch an der notwendigen Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1). In die Würdigung wäre hier u. a. einzustellen gewesen , dass der nicht vorbestrafte Angeklagte bislang ein unauffälliges Leben führte und aus mehreren, zum Teil langjährigen Beziehungen mit Frauen insge- samt vier erwachsene Kinder hatte. Zudem handelte es sich um einen äußerst kurzen Tatzeitraum.
7
Sollte das Landgericht angenommen haben, eine positive Gefährlichkeitsprognose könne die Feststellung eines Hangs ersetzen, wäre auch dies rechtsfehlerhaft. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGHSt 50, 188, 196; vgl. auch BGH StV 2008, 301, 320).
8
2. Auch die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten ist rechtlich zu beanstanden. Hier referiert das Landgericht, der Sachverständige habe "zum einen eine statistische Bewertung des von dem Angeklagten ausgehenden Risikos nach dem Verfahren 'Static 99' durchgeführt. … Auf einer bis 10 reichenden Skala habe der Angeklagte einen Skalenwert von 7 erreicht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Angeklagte damit in den Bereich 'hohes Risiko' einzustufen, der bei dem Skalenwert 6 beginne."
9
Zutreffend an diesen Ausführungen ist allein, dass es sich bei dem "Static 99" um eines von mehreren Prognoseinstrumenten zur Vorhersage von Rückfällen bei Sexualdelinquenz handelt (vgl. hierzu Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in: Kröber u. a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 1, 32 ff., 41 ff.; Dahle FPPK 2007, 15, 17), dessen Qualität inzwischen auch durch Studien in Europa getestet worden ist (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 248; Rettenberger/Eher MschrKrim 2006, 352, 358; Noll u. a MschrKrim 2006, 24, 29; Endrass u. a. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2009, 284; Dahle u. a. FPPK 2009, 210, 216, 219). Es ist aber bereits nicht ersichtlich, wie der Sachverständige bei dem unbestraften, nahezu 60jährigen Angeklagten, der mehrere langjährige Beziehungen zu Frauen hatte, seine durchweg weiblichen Opfer und deren Familien im nachbarschaftlichen Umfeld seit längerem kannte und bei seinen Taten ohne Gewalt vorging, zur Vergabe von sieben Risikopunkten kommen konnte. Die Feststellungen des Landgerichts belegen jedenfalls nur einen Risikopunkt (ItemNummer 8: Opfer und Täter sind nicht verwandt). Hinzu kommt, dass sich das Landgericht darauf beschränkt, ein "hohes Risiko" festzustellen, ohne darzulegen , welche Straftaten in welchem Zeitraum mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind. Nur so könnte nachprüfbar belegt werden, ob der Angeklagte gefährlich ist.
10
Zuletzt lässt das Landgericht außer Acht, dass mit der Feststellung, der Angeklagte weise bei Anwendung irgendeines statistischen Prognoseinstruments eine bestimmte Anzahl von Risikopunkten auf, nichts Entscheidendes gewonnen ist. Solche Instrumente können für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, sind indes nicht in der Lage, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (Dahle FPPK 2007, 15, 24). Zur individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus zusätzlich einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen. Denn jedes Instrument kann nur ein Hilfsmittel sein, eines von mehreren Werkzeugen, mit denen sich der Gutachter die Prognosebeurteilung erarbeitet (vgl. auch Boetticher u. a. NStZ 2009, 478, 481).
11
Die weiteren, im Urteil wiedergegebenen Erwägungen des Sachverständigen vermögen diese Mängel nicht auszugleichen.
12
3. Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neuerliche Verhandlung doch noch zur Feststellung von Umständen führt, die die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Dabei wird sich die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen empfehlen.
Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer