Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 207/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR207.16.0
bei uns veröffentlicht am07.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 207/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR207.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 20. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision, mit der der Beschuldigte allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat in vollem Umfang Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der therapieresistente Beschuldigte seit 2008 an einer krankhaften seelischen Störung in Gestalt einer chronisch überdauernden, paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Diese Psychose bewirkt formale und inhaltliche Denkstörungen , verbunden mit einem ausgedehnten Wahnerleben, Panikattacken und Fehlwahrnehmungen. Der Beschuldigte hört imperative Stimmen und fühlt sich durch die „Bundeswehr“ bedroht und gelenkt, die ihm bei seiner Musterung Chips in Kopf und Ohr implantiert habe, über die er fremdgesteuert werde.
3
Der Beschuldigte hatte bereits im Februar 2012 – diese Tat ist nicht Gegenstand der Antragsschrift im vorliegenden Verfahren – der ihm auf dem Bürgersteig entgegenkommenden Zeugin L. ohne ersichtlichen Grund heftig gegen die linke Hüfte getreten. Auch dabei hatte er in der Vorstellung gehandelt, sein Bein werde über in seinem Körper implantierte Chips fremdgesteuert. Die zu diesem Zeitpunkt hochschwangere Zeugin hatte im Anschluss an die Tat wegen der Gefahr einer Fehlgeburt im Krankenhaus behandelt werden müssen. Wegen dieser Tat wurde der Beschuldigte durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 27. September 2013 wegen Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB freigesprochen.
4
2. Im Zustand krankheitsbedingter Schuldunfähigkeit kam es zu folgenden Anlasstaten des zwischen 2007 und 2010 mehrfach wegen Diebstahls, Unterschlagung und Erschleichens von Leistungen vorbestraften Beschuldigten:
5
a) Am Morgen des 20. November 2013 war er – wegen einer Knieverletzung mit Gehstützen – in W. unterwegs. Als die 77-jährige Zeugin S. , die sich dem Beschuldigten aus der entgegengesetzten Richtung mit dem Fahrrad näherte, etwa in seiner Höhe angehalten hatte, um ihre beschlagene Brille zu reinigen, hob dieser unvermittelt eine Gehstütze und versetzte der Zeugin damit einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Der in diesem Augenblick latent psychotische Beschuldigte handelte in der Vorstellung, sein Arm werde über vermeintlich in seinem Körper implantierte Chips ferngesteuert. Der Fahrradhelm der Zeugin platzte durch den Schlag auf, sie selbst erlittam Kopf eine blutende Platzwunde, ging infolge des Schlags in die Knie und fiel dann kurzzeitig bewusstlos zur Seite um. Währenddessen klemmte sich der Beschuldigte die Krücke unter den Arm und entfernte sich zügig. Kurze Zeit darauf konnte er von herbeigerufenen Polizeibeamten festgenommen werden. Die Zeugin leidet seit dem Vorfall häufig an Kopfschmerzen und erhält Beruhigungstabletten , weil sie an Angstgefühlen leidet.
6
Der Beschuldigte benutzte ferner in der Zeit vom 15. Juni bis zum 16. September 2012 in 13 Fällen öffentliche Verkehrsmittel, ohne im Besitz eines gültigen Fahrausweises zu sein. Zudem beging er im April 2013 vier Ladendiebstähle.
7
b) Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten, so die sachverständig beratene Strafkammer, sei bei allen Taten vollständig aufgehoben gewesen, während die Einsichtsfähigkeit angesichts der eigenen Reflexion der Taten noch vorhanden gewesen sei. Sein exzessiver Drogenkonsum habe die psychotische Symptomatik im Tatzeitraum graduell verstärkt und aufrechterhalten. Der Angriff auf die Zeugin S. sei eindeutig Ausfluss der psychotischen Symptomatik und ganz dem Wahnerleben der Fremdsteuerung durch die „Bundeswehr“ untergeordnet. Dies habe auch schon für die Tat zum Nachteil der Zeugin L. gegolten.
8
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert den hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden , wenn vom Täter infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten mindestens aus dem Bereich der mittleren Kriminalität zu erwarten sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301 mwN). Das Gesetz fordert dem Tatrichter damit eine Gefähr- lichkeitsprognose ab, die eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat voraussetzt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 2 StR 582/05, StV 2006, 579). In diese Prüfung ist eine länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten einzubeziehen (BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367).
10
b) An einer solchen umfassenden Gesamtwürdigung fehlt es hier.
11
Das Landgericht stützt seine Gefährlichkeitsprognose auf das dauerhafte Krankheitsbild beim Beschuldigten. Auf Grund seiner chronischen Psychose seien weitere Delikte „sehr wahrscheinlich“; die Abhängigkeit von psychose- bzw. aggressionsfördernden Drogen führe insoweit zu einer erheblichen Steigerung des Risikos weiterer Straftaten in Form von Aggressionsdelikten.
12
Die tatrichterliche Prognoseentscheidung setzt sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass der Beschuldigte bereits seit dem Jahr 2008 an der psychischen Erkrankung leidet, dennoch seither lediglich zweimal krankheitsbedingt im Februar 2012 und im November 2013 wegen Aggressionsdelikten, im Übrigen lediglich wegen Bagatelltaten in Erscheinung getreten ist. Dieser Umstand war schon deshalb erörterungsbedürftig, weil auch zwischen der Tat zum Nachteil der Zeugin S. am 20. November 2013 und seiner vorläufigen Unterbringung am 22. Juli 2015 auf Grund eines Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Witten ein Zeitraum von annähernd zwanzig Monaten liegt, in dem sich der Beschuldigte nicht in staatlichem Gewahrsam befand, und trotz seines krankhaften Zustandes keine weiteren Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität mehr beging. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung des Tatrichters ist derjenige der Hauptverhandlung, nicht derjenige der Tat (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2006 aaO). Die Gefährlichkeitsprognose bedarf daher der erneuten tatrichterlichen Prüfung.
13
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
a) Bei der für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderlichen Prognose wird genauer als bisher geschehen zu prüfen und zu konkretisieren sein, welche Taten von dem Beschuldigten zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 5 StR 555/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit

31).


15
b) Von der Aufhebung ist das Urteil insgesamt betroffen. Wegen der Unzulässigkeit der Verfolgung der unter Ziff. II. 1 bis II. 16 der Urteilsgründe genannten Anlasstaten im Sicherungsverfahren nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2016 Bezug.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 207/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 207/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 207/16 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Aug. 2012 - 5 StR 295/12

bei uns veröffentlicht am 28.08.2012

5 StR 295/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 28. August 2012 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August 2012, an der teilgenommen hab

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07

bei uns veröffentlicht am 26.06.2007

5 StR 215/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 26. Juni 2007 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2007 beschlossen: Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil d

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

5 StR 215/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2007

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zur rechtswidrigen Tat; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die jetzt 29-jährige Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen den Maßregelausspruch gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge, wie aus dem Tenor ersichtlich, weitgehend Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich die Angeklagte am 14. Juni 2004 am Backstand auf dem Bürgersteig vor einem Spar-Markt auf, obwohl ihr drei Monate zuvor ein Hausverbot für diese Filiale einschließlich der Stehtische vor dem Backstand erteilt worden war. Sie bedrängte die dort anwe- senden Kunden, ihr Geld oder Alkohol zu schenken. Da sie wiederholte Aufforderungen , sich zu entfernen, nicht befolgte, wurde schließlich die Polizei eingeschaltet, die sie des Backstands verwies. Gleichwohl kehrte die Angeklagte zurück und setzte ihr störendes Verhalten fort. Sie wurde deshalb wiederholt von einer Mitarbeiterin des Spar-Marktes, der Zeugin K. , aufgefordert , den Backstand zu verlassen. Diesen Aufforderungen kam die Angeklagte jeweils nur kurzfristig nach, um sodann erneut an den Stehtischen zu betteln. Die Zeugin ergriff nunmehr einen Eimer und begoss die Angeklagte mit Wasser. Daraufhin schlug die Angeklagte eine mitgeführte gefüllte Bierflasche gegen den Hinterkopf der Zeugin. Diese erlitt ein Schädelhirntrauma und eine blutende Platzwunde am Hinterkopf; sie war sechs Monate arbeitsunfähig krank.
3
Die Angeklagte war zuvor im Jahre 2003 wegen Vollrauschs und im Januar 2004 unter anderem wegen Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden. Bei der im Januar 2004 abgeurteilten Tat ging es um mehrere Faustschläge, welche die Angeklagte einer Passantin in das Gesicht versetzt hatte. Das Verfahren wegen einer im Januar 2005 begangenen Tat hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die vorliegende Sache vorläufig eingestellt. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte anlässlich einer vorläufigen Festnahme eine Polizeibeamtin in der Weise misshandelte, dass sie mehrfach heftig an deren Haaren zog, bis die Frau zu Boden fiel. In dem anschließenden Handgemenge erlitt die Beamtin Verletzungen im Gesicht, an der Schulter und an den Knien.
4
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass die Angeklagte an einer chronischen paranoid -halluzinatorischen Psychose leidet und die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Aufgrund ihres Zustands sei zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss eines weiteren Schubs ihrer seelischen Erkrankung erneut eine aggressive Handlung begehe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
5
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 58 ff., § 63 Rdn. 82 ff.).
7
Dass die hier vorliegende Körperverletzung erheblich ist, steht außer Frage, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese etwa zweieinhalb Jahre vor der Aburteilung begangene Tat eine Reaktion auf einen überraschenden und zumindest aus Sicht der Angeklagten unberechtigten Angriff war. Die vor und nach der Anlasstat bis Anfang 2005 begangenen rechtswidrigen Handlungen bewegen sich dagegen eher im unteren bis mittleren Bereich der denkbaren Begehungsformen. Im Rahmen der Prognoseprüfung hätte weiter berücksichtigt werden müssen, dass sich die Angeklagte trotz des seit 2001 andauernden Krankheitsprozesses immer wieder für längere Zeiten beanstandungsfrei gehalten hat. Für die Frage der Prognose ist insoweit auch von Bedeutung, in welchen Rahmenbedingungen die Angeklagte in diesen straf- freien Zeiten lebte. Namentlich im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Gefährlichkeit der Beschuldigten durch andere Maßnahmen vertretbar abgemildert werden kann. Hier wäre die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob in einer anderweitigen Einbindung der Beschwerdeführerin, insbesondere der Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB, eine Chance liegt, die Gefährlichkeit erheblich zu verringern.
8
Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Dabei wird insbesondere auch zu beachten sein, wie sich die Angeklagte in der einstweiligen Unterbringung bisher verhalten hat. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wird er auch prüfen müssen, ob die Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger
5 StR 295/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 28. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 30. November 2011 mit den Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zu den Anlasstaten ; insoweit wird seine Revision als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung , der gefährlichen Körperverletzung sowie der Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB. Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit langen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie mit schweren inhaltlichen und formalen Denkstörungen, Beeinträchtigung der Realitätswahrnehmung und hirnorganischen Leistungsminderungen. Bereits im Jahre 2003 diagnostizierte ein aus Anlass eines Ermittlungsverfahrens erstelltes foren- sisch-psychiatrisches Gutachten bei ihm eine „chronifiziert paranoide Psy- chose aus dem schizophrenen Formenkreis“.Seit jenem Jahr steht der An- geklagte aufgrund seiner Erkrankung unter Betreuung, die „zwischenzeitlich für alle Lebensbereiche bestimmt und zudem mit einem generellen Einwilli- gungsvorbehalt versehen“ ist (UA S. 4).
3
2. Im Zustand der krankheitsbedingten Schuldunfähigkeit beging der Angeklagte folgende Taten:
4
Am 26. Mai 2009 kam es an einem bekannten Randständigentreff in St. Ingbert zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen H. . Als der Zeuge die Auseinandersetzung mit schlichtenden Worten beenden wollte, nahm der Angeklagte zwei volle Bierflaschen und schlug damit in Richtung des Kopfes des Zeugen. Eine der Flaschen traf den Zeugen am Hinterkopf und zerbrach. Der Zeuge erlitt eine blutende Kopfverletzung (Tat 1). Die im Anschluss an diesen Vorfall erschienenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte mit beleidigenden Worten (Tat 2).
5
Am 7. Dezember 2009 geriet der Angeklagte an einem anderen Randständigentreff in St. Ingbert mit dem Zeugen W. in Streit. Der Angeklagte schubste den stark alkoholisierten W. zunächst gegen ein Geländer, so dass dieser zu Boden fiel. Danach trat er den am Boden Liegenden noch mindestens einmal in den Bauch und zweimal ins Gesicht. Der Geschädigte erlitt einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung (Tat 3).
6
3. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Be- troffenen darstellt und daher nur unter sorgfältiger Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Dies gilt auch für die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73). Deshalb ist es grundsätzlich erforderlich, dass in die Prüfung länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen ist (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107).
8
Das Landgericht stellt hier nur die Anlasstaten dar, verhält sich im Übrigen aber nicht zum delinquenten Vorleben des Angeklagten. Weder werden die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren näher benannt noch deren Ausgang mitgeteilt. Es wird lediglich ausgeführt, dass gegen den Angeklagten im Jahre 2004 ein Verfahren wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ohne aber auch hier die Umstände der Tat zu schildern. Ebenso wird nicht dargelegt, wie sich der Angeklagte, der bis zu seiner Aburteilung nicht nach § 126a StPO vorläufig untergebracht war, im Nachgang zu den Anlasstaten verhalten und ob er gegebenenfalls strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.
9
Im Hinblick darauf, dass der nicht vorbestrafte 53-jährige Angeklagte hier nur wegen zweier im Bereich der mittleren Kriminalität angesiedelter Taten in Erscheinung getreten ist, ist die Begründung der Strafkammer für die Prognoseentscheidung zu seiner Gefährlichkeit unzulänglich. Sie hätte die Zeiträume nicht unerörtert lassen dürfen, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10 Rn. 11, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dies liegt aber für den zweijährigen Zwischenraum zwischen Tatbegehung und der Hauptverhandlung nahe, dem für die Gefährlichkeitsprognose naturgemäß ein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107). Allein der zeitlich nicht näher eingegrenzte Hinweis, der Angeklagte sei Mitglied der Randständigenszene in St. Ingbert und es komme dort öfters zu polizeilichen Einsätzen unter anderem wegen Körperverletzungen, an denen der Angeklagte beteiligt war, belegt in diesem Zusammenhang nicht das Gegenteil. Es bleibt nämlich offen, ob der Angeklagte überhaupt von sich aus aggressiv geworden und gegebenenfalls in welchem Umfang dies geschehen ist.
10
3. Die von dem Rechtsfehler unberührt gebliebenen Feststellungen zu den Anlasstaten können aufrechterhalten bleiben. Dagegen bedarf die Frage seiner Gefährlichkeit nochmals umfassender Prüfung. Soweit der neue Tatrichter erneut die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird unter Würdigung des Verhaltens des Angeklagten in der seit Ende November 2011 vollzogenen vorläufigen Unterbringung zu prüfen sein, ob die Maßregel nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Raum Schneider Dölp König Bellay

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.