Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2011 - 4 StR 553/10

bei uns veröffentlicht am04.02.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 553/10
vom
4. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2011 beschlossen:
Die Entscheidung über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 28. Juni 2010 wird zurückgestellt.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den auf § 66b Abs. 2 StGB gestützten Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung zurückgewiesen, weil der Anwendung der Vorschrift das konventionsrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04, NStZ 2010, 263) in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB entgegenstehe. Der bis dahin strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Verurteilte hatte die Anlasstat – Totschlag zum Nachteil einer sechzehnjährigen Schülerin – in der Nacht zum 7. August 1996 begangen.
2
2. Die Ansicht der Strafkammer entspricht der Rechtsauffassung des Senats , die auch seine Entscheidung vom 12. Mai 2010 in der Sache 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567) trägt. Auf die Anfrage des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a.; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) hat der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2011 (4 ARs 27/10) an seiner Rechtsauffassung festgehalten, weshalb mit einer Vorlage der die Reichweite des konventionsrechtlichen Rückwirkungsverbots nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK im Recht der Sicherungsverwahrung betreffenden Rechtsfrage an den Großen Senat für Strafsachen zu rechnen ist. Wann eine die aufgezeigte Divergenz ausräumende Entscheidung ergehen wird, ist derzeit nicht absehbar.
3
3. Zwar wäre der Senat durch die Anfrage des 5. Strafsenats von Rechts wegen nicht gehindert, über die Anordnung der Sicherungsverwahrung in dieser Sache nach seiner den Beschluss vom 12. Mai 2010 (aaO) tragenden Rechtsansicht zu befinden (vgl. zu § 132 Abs. 2 GVG BGH, Beschluss vom 24. August 2000 – 1 StR 349/00, BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1; Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03). Er hält es aber für angezeigt, die Entscheidung über die angefochtene Ablehnung der Anordnung der Maßregel bis zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zurückzustellen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010 – 4 StR 577/09). Ernemann Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2011 - 4 StR 553/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2011 - 4 StR 553/10

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidu
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2011 - 4 StR 553/10 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidu

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2010 - 4 StR 577/09

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Referenzen

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 27/10
vom
18. Januar 2011
in den Maßregelvollstreckungssachen
gegen
1.
- 5 StR 394/10 -
2.
- 5 StR 440/10 -
3.
- 5 StR 474/10 -
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 9. November 2010
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 4. Strafsenats, der an dieser fest hält.

Gründe:


1
Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:
2
Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB.
3
Er hat daher mit Beschluss vom 9. November 2010 beim 4. Strafsenat angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird.
4
Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09, EuGRZ 2010, 359 = NStZ 2010, 567). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest und bemerkt ergänzend:
5
1. Die Ausführungen im Anfragebeschluss zur Beachtlichkeit des Willens des innerstaatlichen Gesetzgebers vermögen nicht zu überzeugen.
6
Ohne eine entsprechende, ausdrückliche Aussage des Bundesgesetzgebers ist die Annahme, dass sich dieser mit neuem innerstaatlichem Recht über die durch Ratifizierung der MRK übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland hinwegsetzen wollte, nicht gerechtfertigt. Nur wenn feststehen würde, dass insoweit eine eindeutige Abweichung gewollt war, würde einer Konventionsregelung eine abweichende, innerstaatliche Regelung trotz Verstoßes gegen Völkerrecht vorgehen (vgl. dazu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Einf. MRK/IPBPR Rn. 43 m.w.N.). Abgesehen davon, dass eine solche Annahme schon im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerte Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechts- und Verfassungsordnung fern liegt (vgl. dazu Streintz in Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 24 Rn. 6; Art. 25 Rn. 9 sowie Art. 59 Rn. 65a), ergeben die vom anfragenden Senat in Bezug genommenen Gesetzesmaterialien aus den Beratungen zum 2. Strafrechtsreformgesetz dafür keinen Anhalt. Der Gesetzgeber war lediglich der Auffassung, die getroffene Regelung verstoße im Ergebnis nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK; der Wille zur bewussten Missachtung dieser Gewährleistung der Konvention kann den Materialien nicht entnommen werden. Dies widerspräche im Übrigen Art. 27 Satz 1 des Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VtrRKonvG), wonach kein Vertragsstaat völkervertragsrechtlich übernommene Verpflichtungen unter Berufung auf innerstaatliches Recht missachten darf. Ein abweichender Wille des historischen Gesetzgebers wäre außerdem spätestens durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2300) als überholt anzusehen.
7
Abschließend verweist der Senat in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen in der jüngst ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zur Reichweite des konventionsrechtlichen Rückwirkungsverbotes im Recht der Sicherungsverwahrung , in denen auf die Verpflichtung der einzelnen Staaten zur Beseitigung von Konventionsverstößen in Parallelfällen hingewiesen wird (EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011, K. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17792/07, Tz. 78 – 83).
8
2. Eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der eine Rückwirkung enthaltenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung in ihrer hier anzuwendenden Fassung mit dem Grundgesetz bleibt dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 349/00
vom
24. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. August 2000 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Coburg vom 10. April 2000 werden als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten eine
Bande gebildet, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die
Strafkammer ist zutreffend von dem in der Rechtsprechung des
Senats konkretisierten Maßstab zum Bandenbegriff ausgegangen
und hat die besonderen Umstände des Einzelfalles entsprechend
gewürdigt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß
es den Angeklagten ersichtlich nicht nur um ihr Fortkommen
auf ihrer Reise von Rumänien nach Italien ging. Sie haben sich
in Deutschland wenigstens 16 Tage aufgehalten und währenddessen
gemeinschaftlich sechs (Banden-)Straftaten begangen.
Dabei haben sie im Falle zum Nachteil S. erhebliche
Bargeldbeute gemacht, was von vornherein beabsichtigt war.
Dies belegt, daß es ihnen nicht nur um die Befriedigung aktueller
Lebensbedürfnisse ging. In diesem Falle ist nach den
Feststellungen auch die Qualifikation des Bandenraubes
(§ 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB) gegeben, die indessen durch den
Qualifikationstatbestand des Raubes mit schwerer körperlicher
Mißhandlung (§ 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB) verdrängt
wird. Gleichwohl prägt diese Tat die (bandenmäßige) Verbindung
der Angeklagten mit. Ein anderer Zweck des Aufenthaltes
der Angeklagten in Deutschland als der, Straftaten zu begehen
, ist nicht erkennbar. Bei dieser Sachlage ergibt der Zusammenhang
der Urteilsgründe hinreichend den erforderlichen
gefestigten Bandenwillen der Angeklagten und belegt überdies
eine gegenüber der Mittäterschaft gesteigerte, über die jeweils
aktuelle Tat tendenziell hinausreichende deliktische Zusammenarbeit.
2. Der Senat ist durch den Anfragebeschluß des 4. Strafsenats
vom 14. März 2000 - 4 StR 284/99 - und den dazu ergangenen
Antwortbeschluß des 5. Strafsenats vom 4. April 2000 - 5 ARs
20/00 - nicht an der Entscheidung gehindert. Der 4. Strafsenat
beabsichtigt zu entscheiden, daß abweichend von der bisher
übereinstimmenden Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofes
für die Annahme einer Bande mehr als zwei
Bandenmitglieder erforderlich sind. Der 5. Strafsenat hat sich
dieser Rechtsauffassung angeschlossen; hingegen halten der
1. und der 2. Strafsenat an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung
fest. Die Antwort des 3. Strafsenats (vgl. § 132
Abs. 3 GVG) steht noch aus.
Der Anfragebeschluß verpflichtet die angefragten Senate nicht
dazu, ihrerseits den Großen Senat anzurufen, wenn sie an der
bisherigen Rechtsprechung festhalten wollen (BGH, IV. Zivilsenat
, NJW 1994, 2299 f.). Zwar kann die Anfrage den anfragenden
Senat gegenüber dem ihm zustimmenden angefragten
Senat binden (dazu Heußner DRiZ 1972, 119, 121 f.; siehe
auch K. Schäfer/Harms in LR StPO 24. Aufl. § 132 GVG
Rdn. 20; Hannich in KK 4. Aufl. § 132 GVG Rdn. 13). Eine darüber
hinausreichende Sperrwirkung, die alle angefragten, an
der bisherigen Rechtsprechung festhaltenden Senate hindern
würde, auf dieser Grundlage weiterhin zu entscheiden, sieht
aber das Gesetz nicht vor (§ 132 Abs. 2, 3; § 138 Abs. 1 Satz 3
GVG).
Unabhängig davon sieht der Senat keinen Anlaß, mit einer
Entscheidung in der vorliegenden Sache zuzuwarten. Die gegen
die Angeklagten ausgesprochenen Strafen liegen in einem
Bereich, der dem Unwertgehalt der begangenen Taten auch
dann gerecht würde, wenn die Diebstähle nicht als Bandentaten
, sondern lediglich als besonders schwere Fälle des Diebstahls
(im Sinne des § 243 Abs. 1 StGB) abgeurteilt worden
wären.
Granderath Nack Wahl
Schluckebier Kolz

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 522/03
vom
21. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. April
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Juli 2003 aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit das Landgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten abgesehen hat. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener unerlaubter Einfuhr von und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seinen Pkw und 21,922 kg Kokain eingezogen sowie 980 € für verfallen erklärt; von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten hat es abgesehen. Die
wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich nach ihrer in der Verhandlung erklärten Beschränkung noch gegen den Strafausspruch und das Unterbleiben der Entziehung der Fahrerlaubnis; sie ist begründet.
Nach den getroffenen Feststellungen transportierte der Angeklagte auf Veranlassung eines gewissen "O." mit seinem Pkw Opel Corsa, versteckt hinter den rückwärtigen Seitenverkleidungen, insgesamt 21,922 kg Kokain von Maastricht (Niederlande) aus nach Italien. Das Rauschgift war von einem Dritten , dem er das Fahrzeug vorübergehend überlassen hatte, im Wagen deponiert worden. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt. Der Angeklagte hat sich unter anderem dahin eingelassen, mit "O." sei lediglich der Transport einer Menge von zwei Kilogramm verabredet gewesen. Die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Angeklagte hinsichtlich der Mehrmenge mit bedingtem Vorsatz oder auch nur fahrlässig gehandelt habe.
I. Die Revision des Angeklagten:
Die Nachprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafrahmenmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG (i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei versagt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nicht dazu beigetragen , daß die Tat über seinen eigenen Beitrag hinaus aufgeklärt werden konnte.
2. Der Senat schließt aus, daß die Strafkammer bei der konkreten Zumessung der Strafe die Wirkungen der ausgesprochenen achtjährigen Frei-
heitsstrafe für das künftige Leben des Angeklagten nicht hinreichend bedacht haben könnte. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft hebt die Kammer ausdrücklich hervor, der Angeklagte sei durch die Trennung von seiner Familie nicht unerheblich beeindruckt (UA S. 22). Sie hat zudem den Lebensweg und die Lebensverhältnisse des Angeklagten ausführlich festgestellt. Daß ihr unter diesen Umständen die Wirkungen der verhängten Freiheitsstrafe aus dem Blick geraten sein könnten, ist ersichtlich nicht zu besorgen. Nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte sind in den Urteilsgründen ausdrücklich anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Angesichts des Gewichts der Tat des Angeklagten konnte den Folgen der Freiheitsentziehung ersichtlich nur geringe Bedeutung zukommen.
3. Der Strafausspruch begegnet auch sonst keinen rechtlichen Bedenken.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unbegründet. Die Verlesung des Protokolls der Vernehmung des Angeklagten durch den Ermittlungsrichter drängte sich nicht auf. Die Beschwerdeführerin hat dies dementsprechend in der Hauptverhandlung auch nicht beantragt, sondern lediglich angeregt.
2. Die Strafkammer hat zu Recht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der ersten Äußerungen des Angeklagten gegenüber de r Polizei zur Menge des von ihm transportierten Kokains angenommen. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt seiner Äußerungen nicht als Beschuldigter beleh rt; die Strafkammer konnte sich auch nicht davon überzeugen, daß ihm die Beschuldigtenrechte aufgrund der in zurückliegender Zeit in Italien erfolgten Verurteilungen geläufig
und aktuell bewußt waren. Die Erwägungen dazu sind tragfähig; gegen sie ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
3. Sachlich-rechtlich halten die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der vom Angeklagten transportierten Kokainmenge der Überprüfung jedoch nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Soweit die Beschwerdeführerin die Verneinung bedingten Vorsatzes des Angeklagten hinsichtlich der Kokainmenge beanstandet, deckt sie indessen keinen Rechtsfehler auf. Zwar wird ein Drogenkurier, der weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluß nehmen noch diese Menge überprüfen kann, in der Regel auch damit rechnen müssen, daß ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Läßt er sich auf ein solches Unternehmen ein, dann liegt auf der Hand, daß er die Einfuhr einer Mehrmenge billigend in Kauf nimmt. Gegen einen derartigen bedingten Vorsatz können aber Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm die Wahrheit gesagt (vgl. nur BGH NStZ 1999, 467).
Die Strafkammer hat hier alle Umstände des Falles ausdrücklich erwogen und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge nicht auszuräumen vermocht (vgl. UA S. 14-17). Diese tatsächliche Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; sie läßt weder Würdigungslücken noch sonst von Rechts wegen zu beanstandende Erwägungen erkennen.

b) Die Urteilsgründe leiden indessen an einem Erörterungsmangel insoweit , als das Landgericht auch einen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der gesamten Rauschgiftmenge verneint. Es begründet dies nicht weiter, sondern
verweist lediglich auf die Ausführungen zur Verneinung bedingten Vorsatzes. Das ist hier nicht tragfähig. Angesichts der geringeren Anforderungen an die Annahme etwa bewußter Fahrlässigkeit (vgl. dazu nur Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 1437 ff., insbesondere 1440-1442) und der übrigen zum Geschehensrahmen festgestellten Umstände hätte das besonderer Begründung bedurft. Da der Angeklagte die Größe der Hohlräume in seinem Pkw kannte und diese seinem Auftraggeber "O." gar vor Antritt der Fahrt durch Abschrauben einer Seitenverkleidung gezeigt hatte, liegt die Annahme von Fahrlässigkeit nicht fern.

c) Die abgeurteilten Straftatbestände setzen wenigstens Vorsatz voraus. Führt der Täter aber eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sie sich vorgestellt hat, so darf die von seinem Vorsatz nicht umfaßte Mehrmenge dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. auch § 29 Abs. 4 BtMG; BGH StV 1996, 90; BGH, Urt. v. 20. Dezember 1995 - 2 StR 460/95). Die Strafkammer indessen hat hier die strafschärfende Berücksichtigung der die Vorstellung des Angeklagten übersteigenden Rauschgiftmenge ausdrücklich abgelehnt (UA S. 24).
Danach kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß die hohe Strafe ohne den rechtlichen Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge: 2 kg; tatsächlich transportierte Menge: fast 22 kg Kokain) noch höher ausgefallen wäre.
4. Schließlich hält auch die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat lediglich ausgeführt, der versteckte Transport des Rauschgifts im Fahrzeug rechtfertige nicht die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das genügte hier nicht.
Der Angeklagte war im Begriff, eine außergewöhnlich große Menge von Betäubungsmitteln im Auftrag einer kriminellen Organisation - auch aus persönlichem Gewinnstreben - unter Einsatz seines Pkw's von Maastricht nach Italien zu transportieren. Er hat sein Fahrzeug gezielt als Transport- und damit als Tatmittel eingesetzt sowie seine Fahrerlaubnis - sollte er über eine solche verfügen - für eine schwerwiegende Straftat mißbraucht. Vor dem Hintergrund seiner Vorverurteilungen auch wegen Betäubungsmitteldelikten und angesichts der Ergebnisse der Haaranalyse, der Urinprobe sowie des positiven "DrugWhipe -Tests" lag deshalb die Annahme nahe, er sei charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 69 Abs. 1, §§ 69a, 69b StGB; vgl. zur Maßregel weiter: Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 69b Rdn. 3).
Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Maßregel auf die neuerdings vom 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Rechtsauffassung zur Auslegung des § 69 Abs. 1 StGB berufen, die von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht. Der erkennende Senat folgt dem jedoch nicht (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 - NStZ 2003, 658 m.w.N.). Er ist durch das vom 4. Strafsenat eingeleitete Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht gehindert, wie geschehen zu entscheiden (vgl. BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1).
5. Der Strafausspruch sowie die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis bedürfen danach neuer Verhandlung und Entscheidung. Die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Boetticher Schluckebier Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
11. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat beschlossen:
Die Entscheidung über die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009, mit dem gem. § 66b Abs. 3 StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen angeordnet worden ist, wird zurückgestellt.
Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB nach vorläufiger Einschätzung des Senats zu Recht als erfüllt angesehen. Die Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat aber in der Rechtssache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) am 17. Dezember 2009 entschieden, die Sicherungsverwahrung sei - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als “Maßregel der Besserung und Sicherung“ - als Strafe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MRK anzusehen. Dann aber verstieße die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall gegen das Rückwirkungsverbot der Menschenrechtskonvention. Denn die Anlasstat ist eine gefährliche Körperverletzung, die der Betroffene am 23. Februar 1990 nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat und deretwegen er durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 nach § 63 StGB im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden ist. Weder nach dem Tatzeitrecht noch nach dem Recht zum Zeitpunkt der Anlassunterbringung kam die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen in Betracht. § 66b Abs. 3 StGB wurde erst durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838), in Kraft getreten am 29. Juli 2004, in das Strafgesetzbuch eingefügt. Angesichts des Gebots der konventionskonformen Auslegung des nationalen Rechts - hier § 2 Abs. 6 StGB - sieht sich der Senat daher zur Zeit gehalten, von einer Entscheidung über die Bestandskraft der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung jedenfalls solange abzusehen, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Frage des Strafcharakters von Sicherungsverwahrung in der genannten Rechtssache endgültig i.S.d. Art. 44 MRK entschieden hat.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović Ernemann Franke