Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 4 StR 580/18

bei uns veröffentlicht am16.01.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 580/18
vom
16. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:160119B4STR580.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 5. September 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Angeklagte hatte ab Anfang 2017 ein Verhältnis mit seiner Arbeitskollegin A. . Nach kurzer Zeit kam es zu Streitigkeiten, insbesondere über finanzielle Dinge. Der Angeklagte ärgerte sich, dass Frau A. andere Personen, darunter ihren früheren Lebensgefährten P. , finanziell unterstützte. Anfang Januar 2018 trennten sich der Angeklagte und Frau A. ; der Angeklagte besuchte sie aber weiterhin. Am Freitag, den 19. Januar 2018 bemerkte der Angeklagte, dass Frau A. ein längeres Telefongespräch in rumänischer Sprache mit einem Mann führte, ohne den Inhalt zu verstehen. Der Angeklagte vermutete, dass sie mit P. telefonierte. Er rief diesen am darauffolgenden Sonntag zweimal an, P. bestritt jedoch, mit Frau A. telefoniert zu haben. Am späten Nachmittag begab sich der Angeklagte zur Wohnung von Frau A. . Es kam zu einem Streit, wobei es auch um die Frage ging, ob sie am Freitag mit P. telefoniert habe. Der Angeklagte rief in Gegenwart von Frau A. erneut den P. an, der wiederum verneinte, mit ihr telefoniert zu haben. Im Anschluss an das Telefonat eskalierte der Streit. Frau A. ergriff ein Küchenmesser mit ca. 14 cm langer Keramikklinge und verletzte damit den Angeklagten mit einer Stichbewegung leicht an der Beugeseite des rechten Unterarms. Der Angeklagte schlug ihr das Messer aus der Hand. Auch durch den Messerangriff nunmehr „rasend vor Wut“ entschloss er sich, sie zu töten. Er ergriff das Messer und stach es Frau A. in den Hals. Dann warf er die Frau rücklings aufs Bett und stach weitere 17 Mal auf sie ein. Der dadurch bewirkte Blutverlust war bereits tödlich. Der Angeklagte ergriff nun aber noch eine metallene Schnur, knotete sie um den Hals von Frau A. und würgte sie kräftig. Auch dieses Vorgehen war für sich genommen tödlich.
3
2. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als Totschlag gewürdigt. Einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 1. Alternative StGB hat es verneint. Der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld zum Zorn gereizt und hierdurch zur Tat hingerissen worden. Die Streitpunkte vor der Tat, von Frau A. verliehenes Geld und das vermeintliche Telefonat mit P. am Freitag, seien vom Angeklagten ausgegangen. Anhaltspunkte dafür, weshalb es letztlich zu dem Messerangriff gekommen sei, habe die Beweisaufnahme nicht ergeben. Auch ein sonstiger minder schwerer Fall im Sinne des § 213 2. Alternative StGB sei nicht gegeben.

II.


4
Die Verneinung der Voraussetzungen des minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 1. Alternative StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Urteilsgründe nicht hinreichend belegen, dass der Angeklagte den tatauslösenden Messerangriff des Tatopfers vorwerfbar veranlasst hat.
5
1. Eigene Schuld des Täters schließt die Annahme einer strafmildernden Provokation nur aus, wenn sie sich gerade auf die ihm vom Opfer zugefügte tatauslösende Misshandlung oder schwere Beleidigung bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2017 – 1 StR 663/16, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidung 8 mwN). Die Annahme eigener Schuld am Entstehen der tatauslösenden Lage setzt voraus, dass der Täter dem Opfer genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat (BGH, Urteil vom 26. Mai 1992 – 1 StR 212/92, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 2). Das Vorverhalten muss dem Täter vorwerfbar und in qualitativer Hinsicht geeignet sein, die darauf fußende Provokation des Opfers als verständliche Reaktion erscheinen zu lassen (BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 1981 – 3 StR 254/81, NStZ 1981, 479 [Ls]; vom 26. April 1985 – 2 StR 181/85, StV 1985, 367; vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR § 213 Alt. 1 Verschulden 1). Zu prüfen ist daher, ob die dem Täter zugefügte Misshandlung ihrerseits Ausfluss einer angemessenen Reaktion des Opfers auf die ihm zuvor durch den Täter zuteil gewordene Behandlung war. Fehlt es an der Proportionalität zwischen vorangegangenem Fehlverhalten des Täters und der nachfolgenden Opferreaktion, ist die Schuld des Totschlägers an der Provokation mangels genügender Veranlassung zu verneinen (MüKoStGB/ Schneider, 3. Aufl., § 213 Rn. 39; LK/Rissing van Saan/Zimmermann, StGB, 12. Aufl., § 213 Rn. 18 jeweils mwN). Die Prüfung der Angemessenheit des Opferverhaltens ist auf der Grundlage einer Würdigung aller für das Vorgehen des Tatopfers maßgeblichen Umstände vorzunehmen.
6
2. Hiervon ausgehend ist die Begründung des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht ohne eigene Schuld im Sinne des § 213 1. Alternative StGB gehandelt, lückenhaft. Das Landgericht hat sich mit der Frage, ob der Messerangriff des Tatopfers auf den Angeklagten noch eine angemessene Reaktion auf den vorangegangenen Streit war, nicht auseinandergesetzt. Eine Erörterung hat sich hier indes aufgedrängt, da ein zu einer Schnittverletzung führender Angriff mit einem Messer mit 14 cm langer Klinge jedenfalls nicht ohne weiteres als verständliche oder als angemessene Reaktion auf einen verbalen Streit angesehen werden kann.
7
Zwar hat die Strafkammer nähere Umstände, die das Tatopfer zu dieser Reaktion veranlasst haben, nicht festzustellen vermocht. Wenn die Frage des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen einer Misshandlung ohne eigene Schuld aber nicht geklärt werden kann, wäre zu erwägen gewesen, ob unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ eine Provokation durch das Opfer unterstellt werden kann (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 1984 – 1 StR 696/84, StV 1985, 146; MüKoStGB/Schneider, aaO, § 213 Rn. 43; SSW-StGB/ Momsen, 4. Aufl., § 213 Rn. 8 jeweils mwN). Auch dies hat das Landgericht nicht in den Blick genommen.
8
3. Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da die Annahme eines minder schweren Falls nach § 213 1. Alternative StGB zur Anwendung eines Strafrahmens, der Freiheitsstrafe bis lediglich zehn Jahre vorsieht, geführt hätte.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Bartel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 4 StR 580/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 4 StR 580/18

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde
Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 4 StR 580/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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Bundesgerichtshof Urteil, 21. März 2017 - 1 StR 663/16

bei uns veröffentlicht am 21.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 663/16 vom 21. März 2017 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2017:210317U1STR663.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2017, an der tei

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 663/16
vom
21. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:210317U1STR663.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft und die des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 12. Juli 2016 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen. Der Angeklagte erhebt die allgemeine Sachrüge; das auf den Strafausspruch beschränkte – vom Generalbundesanwalt nicht vertretene – zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beanstandet ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Beide Revisionen bleiben erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der 22 Jahre alte Angeklagte wohnte ab Mitte August 2015 bei seinen Großeltern, die in verwahrlosten häuslichen Verhältnissen lebten. Er hatte dort von Sommer 2012 bis Sommer 2014 schon einmal Unterschlupf gefunden, war aber dann zu seiner Mutter zurückgekehrt, bis diese sich in stationäre psychische Behandlung begab. Während die Großmutter des Angeklagten weitgehend antriebslos auf dem Sofa saß, neigte der Großvater K. – das spätere Tatopfer – dem übermäßigen Konsum von Alkohol zu. Im alkoholischen Zustand kam es immer wieder zu verbalen aggressiven Ausfällen, die sich während dessen ersten Aufenthalts vor allem gegen den Angeklagten richteten. So wurde der tatsächlich beschäftigungslose Angeklagte von seinem Großvater unter anderem als „Asozialer“, „Gehirnamputierter“ und „faule Sau“ beschimpft. Der Großvater versuchte gegenüber der Nachbarschaft zudem den unzutreffenden Eindruck zu vermitteln, der Angeklagte schlage ihn. Seit dem erneuten Einzug des Angeklagten waren den Nachbarn keine weiteren Streitigkeiten mehr aufgefallen.
4
Am 30. September 2015 kehrte K. in den Abendstunden betrunken nach Hause zu seiner Frau und dem Angeklagten zurück. Er trank dort weiter. In der Nacht stürzte er auf dem Weg vom Wohnzimmer zur Toilette. Der Angeklagte half ihm auf und führte ihn ins Wohnzimmer zurück. Dabei beschimpfte K. ihn als „F. -Zigeuner“, der „zu faul zum Arbeiten“ und „zu dumm zum Mausen“ sei. Daraufhin geriet der Angeklagte angesichts des durch vielfache ähnliche Tiraden belasteten Verhältnisses zu seinem Großvater in gewaltige Wut. Er empfand diese Beschimpfungen als erneute Zumutung und Demütigung, wobei ihn besonders ärgerte, dass er seinen Großvater nicht gereizt hatte, er ihm vielmehr gerade Hilfe leistete. In seiner Wut stieß er seinen Großvater zu Boden, trat ihm heftig gegen Oberkörper und Kopf und stampfte mehrmals wuchtig mit dem Fuß auf seine Brust. Anschließend hob er den schwer Verletzten auf und legte ihn auf das Sofa, wo K. in der Folge verstarb.
5
2. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 StGB angenommen, da der Angeklagte aufgrund der kurz zuvor erfolgten schweren Kränkungen durch das Tatopfer, die er nicht schuldhaft veranlasst habe, in Zorn geraten sei. Zwar seien die Vorhaltungen zum „parasitären Lebensstil“ insoweit nicht relevant, da diese tatsächlich zugetroffen hätten. Aber bei den übrigen Angriffen, die auf die persönliche Abstammung und die Eignung zum Geschlechtsverkehr bezogen waren, habe es sich um Beleidigungen ge- handelt. Von der „Warte der beiden Kontrahenten untereinander betrachtet“ seien sie für sich genommen nicht als schwer einzustufen, hätten aber den „Schlusspunkt einer mehrere Jahre langen Reihe von immer wieder ähnlichen Kränkungen“ dargestellt und somit quasi den Tropfen gebildet, der das Fass der dem Angeklagten zumutbaren Demütigungen gleichsam zum Überlaufen gebracht habe.

II.


6
Die Revision des Angeklagten
7
Das Rechtsmittel bleibt erfolglos. Das Urteil zeigt weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf.
8
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vor allem auf der Grundlage von dessen Einlassungsverhalten – so hat er in zahlreichen Varianten der Schilderung des Geschehens entweder angegeben , sich außer an den Sturz des Opfers an nichts zu erinnern, oder die Tätlichkeiten gegenüber seinem Großvater eingeräumt – und der Angaben der Zeugin J. , der gegenüber die Großmutter des Angeklagten das Geschehen geschildert hat, tragfähig belegt. Auch soweit es aufgrund der Vielzahl der jeweils bereits für sich genommen als äußerst gefährlich gewerteten stampfenden Tritte auf einen bedingten Tötungsvorsatz geschlossen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Soweit das sachverständig beratene Landgericht eine alkoholbedingte relevante Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat ausgeschlossen hat, indem es die Angaben des Angeklagten, er sei deutlich betrunken gewesen, auch aufgrund von deren Widersprüchlichkeit als Schutzbehauptung widerlegt betrachtet und sich auf das Leistungsverhalten bei der Tat gestützt hat, ist dies ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt und begründet. Auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass das Landgericht das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB abgelehnt hat, ergibt sich ausreichend aus den dargelegten Sachverständigenangaben hierzu, die es als richtig ansieht.

III.


9
Die Revision der Staatsanwaltschaft
10
1. Das zulässig beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen die Annahme der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB. Die Revisionsführerin macht zum einen geltend, es liege schon keine schwere Beleidigung vor. Denn die festgestellten Beschimpfungen gehörten unter den Beteilig- ten zum alltäglichen Umgangston. Der Annahme, dass es sich um den Tropfen gehandelt habe, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, fehle eine Grundlage in den Feststellungen. Zum anderen habe der Angeklagte auch nicht ohne eigene Schuld gehandelt, da er durch die Fortsetzung seines „parasitären Lebensstils“ trotz Kenntnis der ablehnenden Haltung seinesGroßvaters hierzu die Beleidigung vorwerfbar veranlasst habe.
11
2. Mit diesen Einwänden zeigt die Revision allein eine abweichende Wertung der vom Landgericht berücksichtigten Umstände, aber keinen Rechtsfehler bei der Anwendung des § 213 Alt. 1 StGB auf. Das Rechtsmittel kann daher keinen Erfolg haben. Im Einzelnen gilt:
12
Die Frage, ob von der Strafzumessungsregel des § 213 Alt. 1 StGB Gebrauch zu machen ist, ist revisionsrechtlich nur auf Rechtsfehler überprüfbar. Denn die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falles unterliegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatgericht insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582 mwN). Solche Rechtsfehler weist das Urteil nicht auf.
13
a) Das Landgericht hat seine Annahme, dass die der Tat unmittelbar vorausgehenden Beleidigungen den Angeklagten als Schlusspunkt einer Vielzahl ähnlicher Tiraden zum Zorn gereizt und er hierdurch zur Tat hingerissen wurde, tragfähig belegt. Dies stützt es auf die vom Angeklagten in verschiedenen geständigen Varianten zum Tathergang angegebene Provokation und die hierdurch ausgelöste Wut durch die unmittelbar zuvor erfolgten Beleidigungen und dessen Schilderung der bei seinem früheren Aufenthalt erfolgten Demüti- gungen. Diese Einlassung findet in den Angaben der Großmutter gegenüber der Zeugin J. Bestätigung. Diese schildert die Tritte als Reaktion darauf, dass das Tatopfer den Angeklagten trotz der Hilfeleistung „dauernd weiter beschimpft“ habe. Die früheren Beleidigungen und Auseinandersetzungen werden durch die Angaben der Großmutter und der Nachbarn bestätigt. Auf dieser Grundlage durfte das Landgericht darauf schließen, dass der dem Tatopfer eigentlich wohlgesonnene Angeklagte, der keinen anderen Anlass hatte, zu die- ser „Jähtat“ durch die Beschimpfungen in der Tatsituation, die denzeitlich vorgelagerten Beleidigungen ähnlich waren und hieran anknüpften, zur Tat hingerissen worden ist. Dass der lernbehinderte Angeklagte sich nicht ausdrücklich selbst darauf berufen hat, dass die Beleidigungen unmittelbar vor der Tat nur ein letzter Tropfen waren, der das Fass zum Überlaufen brachte, steht dem nicht entgegen. Diese Verknüpfung kommt angesichts der festgestellten intellektuellen Leistungsfähigkeit ausreichend in seinen Schilderungen der früheren und der der Tat unmittelbar vorgelagerten Demütigungen zum Ausdruck.
14
b) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, hat das Landgericht auch den für die Beurteilung des Vorliegens eines minder schweren Falles nach § 213 Alt. 1 StGB rechtlich zutreffenden Maßstab gewählt.
15
aa) Ob eine „schwere Beleidigung“ vorliegt, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab. Die Handlung muss auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der subjektiven Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sein (BGH, Urteil vom 13. Mai 1981 – 3 StR 42/81, NStZ 1981, 300; Beschluss vom 8. September 2016 – 1 StR 372/16, NStZ-RR 2017, 11), wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen sind (BGH, Urteile vom 1. September 2011 – 5 StR 266/11 und vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582 mwN; Beschluss vom 8. Juli 2014 – 3 StR 228/14, NStZ 2015, 218). Maßgebend ist dafür der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten, der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer sowie der tatauslösenden Situation (vgl. BGH, Urteile vom 30. Oktober 1984 – 1 StR 597/84, NStZ 1985, 216 und vom 12. Mai 1987 – 1 StR 43/87, NStZ 1987, 555; Beschluss vom 21. Mai 2004 – 1 StR 170/04, NStZ 2004, 631; Urteile vom 1. September 2011 – 5 StR 266/11 und vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582). Die Schwere kann sich auch erst aus fortlau- fenden, für sich allein noch nicht schweren Kränkungen ergeben, wenn die Beleidigung nach einer Reihe von Kränkungen gleichsam „der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340 und vom 8. Juli 2014 – 3 StR 228/14, NStZ 2015, 218; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 213 Rn. 5 mwN). Deswegen ist es geboten, in die erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergangenheit liegende Vorgänge als mitwirkendeUrsachen miteinzubeziehen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 – 3 StR 228/14, NStZ 2015, 218; Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582; Beschluss vom 8. September 2016 – 1 StR 372/16, NStZ-RR 2017, 11).
16
Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Das Landgericht hat ausdrücklich eine objektive Bewertung der seitens des Großvaters geäußerten Beleidigungen vorgenommen und dabei berücksichtigt, dass sie im Kontext der in der Vergangenheit vielfach wiederholten, immer wieder ähnlichen Kränkungen standen. Indem es „die Warte der beiden Kontrahenten untereinander betrachtet“ , hat es für die Wertung der Schwere auf den Lebenskreisder Beteiligten abgestellt, was zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Beleidigungen unmittelbar vor der Tat für sich genommen nicht als hinreichend schwer gewertet wor- den sind. Es hat dann im Rahmen der erforderlichen „Ganzheitsbetrachtung“ (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582) die Entwicklung des Verhältnisses des Angeklagten zu seinem Großvater, die Demütigungen und die damit verbundene Motivationsgenese ausführlich und sorgfältig erörtert, indem es das „Spannungsverhältnis“ zwischen ihnen, die „Auslösebedingungen ihrer Streitigkeiten“ und die „Art und Weise, wie sie ihre Streitigkeiten ausgetragen haben“ beschrieben und in die Wertung miteinbezo- gen hat. Dabei hat es sowohl den Wiedereinzug des Angeklagten berücksichtigt als auch den Umstand, dass der Angeklagte angegeben hat, mit seinem Großvater gut ausgekommen zu sein, unterbrochen nur von den wiederholten Streitigkeiten. Den ausführlich dokumentierten Inhalt der früheren Kränkungen hat das Landgericht in die ihm obliegende Bewertung des Schweregrades der der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangenen Beleidigung einbezogen. Dass in den wenigen Wochen vor dem abermaligen Einzug des Angeklagten bei seinen Großeltern bis zur Tat keine weiteren Auseinandersetzungen festgestellt sind, steht dem nicht entgegen. Das Landgericht hat sich damit auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass der Umstand, dass die Reihe der Demütigungen über etliche Monate vor dem Wiedereinzug unterbrochen war, den Beleidigungen nichts von der Schärfe ihrer Wirkungen auf den Angeklagten genommen habe. Dies hält sich im Rahmen der dem Tatgericht obliegenden Wertung und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
17
Dass das Landgericht dabei die Anforderungen an das der Tat vorausgehende Opferverhalten und an die auf die tatauslösende Situation zulaufende Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung zu niedrig angesetzt haben könnte, ist nicht zu besorgen. Dagegen spricht bereits die sorgfältige Auseinandersetzung mit der Erheblichkeit der Demütigungen unter deutlich relativierender Berücksichtigung des Lebenskreises der Beteiligten, aber auch mit dem Umstand, dass die Beleidigungen immer wieder auch vor den Nachbarn erfolgten. Dabei hat es auch den Wiedereinzug des Angeklagten trotz der zu erwartenden weiteren Demütigungen im Blick gehabt. Soweit es dem angesichts der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten keine die Schwere der Beleidigungen weiter abmildernde Wirkung zuerkannt hat, stellt dies eine rechtsfehlerfreie Wertung dar.
18
bb) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dargetan, dass der Angeklagte ohne eigene Schuld gereizt worden ist.
19
Eigene Schuld des Täters schließt die Annahme einer strafmildernden Provokation nur aus, wenn sie sich gerade auf die ihm vom Opfer zugefügte tatauslösende Kränkung bezieht. Ohne eigene Schuld handelt also der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht vorwerfbar veranlasst hat (BGH, Urteile vom 7. Juli 1983 – 4 StR 218/83, NStZ 1983, 554; vom 11. Januar 1984 – 3 StR 443/83, NStZ 1984, 216; vom 12. Mai 1987 – 1 StR 43/87, NStZ 1987, 555 und vom 22. Oktober 1997 – 3 StR 394/97, NStZ 1998, 191; Schönke/Schröder/ Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 213 Rn. 7 mwN). Nach diesen Maßgaben hat das Landgericht für die auf die Abstammung des Angeklagten und seine Fähigkeiten zum Geschlechtsverkehr abzielenden Beleidigungen, auf die es allein abstellt, keine vorwerfbare Verursachung festgestellt. Dabei hat es gewertet, dass der Angeklagte zwar wieder bei seinen Großeltern eingezogen ist und dadurch eine Situation geschaffen hat, die die späteren Beleidigungen ermöglicht hat, aber insoweit jedenfalls im Hinblick auf die konkreten Umstände einen schuldhaften Bezug verneint. Soweit es sich hierbei maßgeblich aufdas auch positive Verhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Großvater sowie auf die konkrete tatauslösende Situation der Hilfeleistung durch den Angeklagten bezieht, ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Raum RiBGH Prof. Dr. Jäger befindet Bellay sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Cirener Radtke

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.