Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2010 - V ZB 202/09

bei uns veröffentlicht am29.04.2010
vorgehend
Amtsgericht Darmstadt, 272 XIV 333/09, 01.10.2009
Landgericht Darmstadt, 26 T 87/09, 09.11.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 202/09
vom
29. April 2010
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 durch die Richter
Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 26. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 9. November 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe:


I.

1
Der Beteiligte zu 2 betreibt die Abschiebung des Betroffenen nach Algerien. Der Betroffene reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt, eigenen Angaben zufolge im November 1999, in das Bundesgebiet ein. Seinen Antrag auf Asyl lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 26. Januar 2001 bestandskräftig ab. Der Betroffene wurde unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert und mit bestandskräftiger Verfügung vom 3. Juni 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der Betroffene kam seiner Ausreisepflicht nicht nach. Er legte auch keine Identitätspapiere vor. Im Rahmen des seit 2002 laufenden Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren machte er wiederholt unterschiedliche, falsche Angaben zu seiner Identität , Herkunft und Nationalität. Drei Abschiebungsversuche nach dem deutsch-algerischen Rückübernahmeabkommen scheiterten am Widerstand des Betroffenen beziehungsweise an den algerischen Behörden, nachdem der Betroffene vor Ort angegeben hatte, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein.
2
Der Betroffene befand sich in der Zeit vom 6. Dezember 2008 bis zum 7. Mai 2009 in Haft. Nach Entlassung aus der Haft war er für den Beteiligten zu 2 unbekannten Aufenthalts. Auf Grund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 2009 befindet sich der Betroffene, der erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden ist, in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Einvernehmen mit einer Abschiebung des Betroffenen erteilt.
3
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 1. Oktober 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung im Anschluss an die Untersuchungshaft , längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2009 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde, mit der der Betroffene geltend gemacht hat, eine Abschiebung nach Algerien dürfe nicht erfolgen, weil er dort misshandelt werden würde, hat das Beschwerdegericht nach erneuter Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 9. November 2009 zurückgewiesen. Der Betroffene beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde zu gewähren.

II.

4
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützt und ausgeführt, es bestehe der Verdacht , dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen werde. Dies folge aus den stets wechselnden Angaben zu seiner Identität und Herkunft, wodurch er die Abschiebung bislang gezielt verhindert habe. Zudem verhalte sich der Betroffene allgemein gesetzeswidrig, wie ein Diebstahlsversuch zeige, der zu einer Freiheitsstrafe geführt habe. Die Identität des Betroffenen stehe nach dem Ergebnis des Personenfeststellungsverfahrens nunmehr fest. Es sei davon auszugehen, dass innerhalb der gesetzlichen Drei-Monats-Frist das Passersatzpapier beschafft und die Abschiebung durchgeführt werden könne. Der Beteiligte zu 2 habe eine schnellstmögliche Abschiebung mit Nachdruck betrieben. Die von dem Betroffenen geltend gemachte Gefahr der Misshandlung sei als mögliches Abschiebungshindernis nicht in dem Verfahren über die Anordnung der Sicherungshaft zu prüfen.

III.

5
Die Anträge des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts sind zurückzuweisen, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Satz 1 ZPO, 78 Abs. 1 FamFG).
6
1. a) Die ohne Zulassung (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG) eröffnete Rechtsbeschwerde wäre allerdings trotz zwischenzeitlichen Ablaufs der bis zum 31. Dezember 2009 angeordneten Haft statthaft. Damit hat sich zwar die Hauptsache erledigt (vgl. Senat, BGHZ 109, 108, 109; BayObLGZ 1995, 17, 18). Das Rechtsmittel wäre aber mit dem Antrag nach § 62 Abs. 1 FamFG zulässig, die Verletzung des Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG durch die Anordnung der Haft festzustellen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris Rdn. 9).
7
b) Dem Betroffenen wäre auch Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Beschwerdefrist (§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG) zu gewähren, obwohl er die Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 117 ZPO) erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist eingereicht hat (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 13. Februar 2008, XII ZB 151/07, MDR 2008, 581, 582). Dies war unschädlich, weil die Rechtsbeschwerdefrist mangels wirksamer Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nicht zu laufen begann.
8
Ist für den Betroffenen ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt (§ 10 Abs. 2 FamFG), hat die Zustellung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO an diesen und nicht an den Betroffenen zu erfolgen (Bahrenfuss, FamFG [2009], § 15 Rdn. 6; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 15 Rdn. 23 f.; Schulte-Bunert/ Weinreich/Brinkmann, FamFG [2009], § 15 Rdn. 27). Eine Zustellung an den Bevollmächtigten nach § 174 ZPO ist nicht erfolgt. Die formlose, vom Richter nicht verfügte Mitteilung des Beschlusses per Telefax zur Kenntnisnahme durch die Geschäftsstelle löst nicht die Zustellungsfiktion nach § 189 ZPO aus (BGH, Beschl. v. 26. November 2002, VI ZB 41/02, NJW 2003, 1192, 1193).
9
2. Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
10
a) Der Betroffene, der nach dem für ihn erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens abgeschoben werden soll, ist nach einem bestandskräftigen Bescheid vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. §§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). An die dem Haftantrag zugrunde liegenden Verwaltungsakte ist der Haftrichter grundsätzlich gebunden (vgl. BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112; Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50, 51). Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen der Ausländerbehörde kann der Betroffene nur in einem (verwaltungsgerichtlichen) Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde prüfen lassen.
11
Dasselbe gilt für sein Vorbringen, ihm drohe nach einer Abschiebung eine Misshandlung durch algerische Behörden. Das Vorbringen eines Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG betrifft die Rechtmäßigkeit der Zurückschiebungsverfügung , über die allein die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben (vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, aaO). Für den Haftrichter sind darauf bezogene Einwendungen erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat und sich daraus für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergibt, so dass die Anordnung oder das Fortbestehen der Haft aus dem in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG genannten Grund unzulässig ist (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris Rdn. 24 und 29). Dafür ist hier jedoch nichts vorgetragen oder ersichtlich.
12
b) Die Annahme des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 ZPO in der anzufechtenden Entscheidung ist frei von Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dass der Ausländer beabsichtigt, unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (vgl. Senat, BGHZ 98, 109, 112 f.; OLG München OLGR 2005, 439; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 Rdn. 19 f.). Solche Umstände hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellt, weil der Betroffene durch wechselnde, falsche Angaben Behörden und Gerichte über seine Identität und Nationalität zu täuschen versucht hat, bei der Beschaffung der für seine Ausreise erforderlichen Ersatzpapiere nicht kooperiert und alles daran setzt, seine Abschiebung zu verhindern.
13
Die hierzu getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind für den Senat nach §§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, 559 Abs. 2 ZPO bindend; Rechtsfehler sind nicht ersichtlich (§ 71 Abs. 3 Nr. 2b FamFG).
14
c) Die Anordnung der Haft war auch nicht deshalb unzulässig, weil in diesem Zeitpunkt nicht feststand, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf Grundlage einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Prognose zum Zeitpunkt der möglichen Zurückschiebung zu stellen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). Dass die von dem Beschwerdegericht gestellte Prognose diesen Anforderungen nicht genügte, ist nicht aufgezeigt und ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beschaffung der Rückführungsdokumente bei der algerischen Auslandsvertretung länger als erwartet gedauert hat.
15
Die von dem Beschwerdegericht für seine Prognose festgestellten Tatsachen sind für das Rechtsbeschwerdegericht nach §§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, 559 Abs. 2 ZPO grundsätzlich bindend. Ihre Beurteilung ist nur darauf zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die der Prognose zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe erkannt hat und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt sind (vgl. Senat, Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, juris Rdn. 17). Nach dieser Maßgabe ist die Annahme des Beschwerdegerichts, man habe davon ausgehen können, dass auf Grund der nunmehr festgestellten Identität nach dem normalen Gang des Ver- fahrens eine Passersatzpapierbeschaffung innerhalb einer Frist von drei Monaten möglich ist, aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
16
d) Die Anordnung der Haft ist schließlich nicht wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot (vgl. hierzu Senat, BGHZ 133, 235, 239; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, juris Rdn. 22) unverhältnismäßig. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der Beteiligte zu 2 alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Abschiebung schnellstmöglich zu erreichen. Verzögerungen bei der Abschiebung, die dadurch entstanden sind, dass der Betroffene falsche Angaben zu seinen Personalien gemacht hat und weiterhin macht, so dass es zur Feststellung der Nationalität aufwendiger Recherchen bedurfte und die Beschaffung eines Passersatzpapiers durch Behörden seines Heimatstaates länger gedauert hat, sind dem Betroffenen zuzurechnen (vgl. Senat, BGHZ 133, 235, 238 f.; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, juris Rdn. 22). Klein Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanz:
AG Darmstadt, Entscheidung vom 01.10.2009 - 272 XIV 333/09 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 09.11.2009 - 26 T 87/09 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2010 - V ZB 202/09

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(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 172/09
vom
25. Februar 2010
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5; AsylVfG § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3; Art. 19 der Verordnung (EG)
Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung)

a) Auch in den Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 70 ff. FamFG ist ein § 62
FamFG entsprechender Feststellungsantrag des Betroffenen zulässig. Einer
Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es auch in diesen Fällen nicht.

b) Die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung eines unerlaubt
aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingereisten
Drittstaatsangehörigen (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, §§ 57
Abs. 1 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ist nicht schon dann unzulässig,
wenn der Ausländer bei der Grenzbehörde um Asyl nachgesucht hat (§ 18 Abs.
1 AsylVfG).

c) Bei seiner Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, ob die Abschiebung
innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, muss der Haftrichter
das voraussichtliche Ergebnis eines von dem Ausländer bei dem
Verwaltungsgericht gestellten Antrags nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung
des Vollzugs der Zurückschiebung berücksichtigen.

d) Wird - wie derzeit bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 der
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin IIVerordnung
) - solchen Eilanträgen regelmäßig entsprochen, darf er, wenn die
Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, eine Haft zur
Sicherung der Abschiebung nicht anordnen und hat auf die Beschwerde des
Betroffenen eine bereits angeordnete Haft nach § 426 FamFG aufzuheben.
BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird die Kostenentscheidung in dem Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2009 aufgehoben und festgestellt, dass dieser Beschluss die Beteiligte zu 1 in ihren Rechten verletzt hat.
Der weitergehende Feststellungsantrag wird zurückgewiesen.
Die in den Rechtsmittelverfahren entstandenen gerichtlichen Kosten werden beiden Beteiligten zu gleichen Teilen auferlegt. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Hälfte der der Beteiligten zu 1 entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.


1
Die Beteiligte zu 1, eine afghanische Staatsangehörige, traf am 9. September 2009 mit einem Flug aus Athen kommend auf dem Flughafen Düsseldorf ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der Beteiligten zu 2 wies sie sich durch einen gefälschten bulgarischen Reisepass aus. Bei der Vernehmung anlässlich ihrer Ingewahrsamnahme gab sie an, aus ihrem Heimatland über den Iran mithilfe einer Schlepperorganisation mit gefälschten Dokumenten in die Türkei gekommen und von dort mit einem Boot nach Griechenland befördert worden zu sein. Sie stelle in Deutschland einen Asylantrag. Das von dem Asylersuchen unterrichtete Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (im Folgenden: Bundesamt) bat die griechischen Behörden um Übernahme der Beteiligten zu 1.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Düsseldorf am 10. September 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 angeordnet. Die Beteiligte zu 1 hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag, sie umgehend aus der Haft zu entlassen. Der Beschwerdebegründung vom 6. Oktober 2009 hat sie eine Abschrift des an demselben Tage bei dem Verwaltungsgericht eingereichten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Maßnahmen zum Vollzug ihrer Verbringung nach Griechenland beigefügt.
3
Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen; diese ist jedoch auf Grund der am gleichen Tage ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Aussetzung aller Maßnahmen zur Verbringung nach Griechenland mit sofortiger Wirkung aus der Haft entlassen worden. Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Beteiligte zu 1, die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Abschiebungshaft und die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, schon wegen der unerlaubten Einreise ohne Pass und Aufenthaltstitel sei ein Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG zu bejahen. Zudem liege der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor, weil wegen der unerlaubten Einreise der Beteiligten zu 1 mithilfe von Schleusern und ohne gültige Papiere und ihrer Erklärung, nicht nach Griechenland zurückkehren zu wollen, der begründete Verdacht bestehe, dass sie sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen werde.
5
Der gegenüber der Beteiligten zu 2 mündlich gestellte Asylantrag stehe der Haft nicht entgegen, da die Beteiligte zu 1 dadurch noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben habe. Soweit die Beteiligte zu 1 vorgetragen habe, dass eine Zurückschiebung nach Griechenland wegen der dortigen Verhältnisse unzulässig sei, obliege die Prüfung dieses Einwands nicht dem Haftrichter, sondern sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte.
6
Auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (2 BvQ 56/09) und vom 23. September 2009 (2 BvQ 68/09) rechtfertigten keine Aufhebung der Haftanordnung, weil nicht erkennbar sei, welche tatsächlichen Umstände ihnen zugrunde gelegen hätten.
7
Die Haftanordnung sei auch nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, weil das Beschwerdegericht auch auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Beteiligten zu 1 nicht feststellen könne, dass eine Zurückschiebung innerhalb der nächsten drei Monate aus Gründen, die die Beteiligte zu 1 nicht zu vertreten habe, nicht möglich sein werde.

III.

8
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
9
Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung der Beteiligten zu 1 aus der Haft erledigt hat. Angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheits- entziehung durften bereits die vor dem 1. September 2009 gegebenen Rechtsmittel (§ 7 FEVG i.V.m. §§ 19, 22, 27, 29 FGG) nicht wegen einer im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Erledigung als unzulässig verworfen werden (BVerfG NJW 2002, 2456, 2457). Sie blieben wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, worüber auf dessen Antrag zu entscheiden war (BVerfG, a.a.O.; Senat BGHZ 153, 18, 20). Die Neugestaltung der Rechtsmittel in §§ 58 ff. FamFG hat daran nichts geändert. Die Vorschrift des § 62 FamFG, die die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, ist auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 9; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG [2009], § 62 Rdn. 4).
10
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen die freiheitsentziehende Maßnahme ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sich - wie hier - die Hauptsache bereits vor Anhängigkeit des Rechtsmittels erledigt hat und mit diesem allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts durch die Inhaftierung festzustellen.
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist teilweise begründet. Zwar verletzte nicht schon die Inhaftierung, aber die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts die Beteiligte zu 1 in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
12
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings im Ausgangspunkt zutreffend die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht.
13
aa) Die Anordnung der Freiheitsentziehung auf Antrag der Beteiligten zu 2 war nach § 417 Abs. 1 FamFG zulässig. Die Beteiligte zu 2 (Bundespolizei) ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde, der nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG für die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören (HK-AuslR/Hofmann, AufenthG, § 71 Rdn. 13) - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen ist (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 616, 617).
14
bb) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 war im Zeitpunkt der Anordnung der Haft begründet.
15
(1) Es lag der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor. Die Beteiligte zu 1 war auf Grund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Diese Voraussetzung ist bei einer nicht bestandskräftigen, verwaltungsgerichtlich noch nicht überprüften und für sofort vollziehbar erklärten Zurückschiebungsverfügung nach § 57 Abs. 1 AufenthG von dem Haftrichter zu prüfen (vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, Rz. 7 - juris; KG NVwZ 1997, 516).
16
(2) Das Beschwerdegericht hat mit zutreffender Begründung auch den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG wegen des begründeten Verdachts, dass die Beteiligte zu 1 sich der Zurückschiebung nach Griechenland entziehen werde, auf Grund der unerlaubten Einreise und der Erklärung der Beteiligten zu 1, in Deutschland bleiben zu wollen, bejaht. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
17
b) Dass die Beteiligte zu 1 gegenüber der Beteiligten zu 2 bei der Ingewahrsamnahme um Asyl nachgesucht hat, stand nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ihrer Zurückschiebung nicht entgegen.
18
aa) Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist einem Ausländer, der gegenüber der Grenzbehörde um Asyl nachsucht (§ 18 Abs. 1 AsylVfG), die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist eine gesetzliche Anordnung für das Verfahren der Grenzbehörden bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Hintergrund der Regelung ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 S. 1, im Folgenden: Dublin II-Verordnung). Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG soll dem Ausländer bereits die Einreise verweigert werden, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union für die sachliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist (HK-AuslR/Bruns, § 18 AsylVfG Rdn. 14; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 18, Rdn. 58).
19
§ 18 Abs. 3 AsylVfG erweitert die Aufgaben der Grenzbehörden in den Fällen, in denen sie dem Ausländer zwar nicht mehr die Einreise verweigern können, weil dieser bereits die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat und damit eingereist ist (§ 13 Abs. 2 AufenthG), er jedoch noch im grenznahen Raum und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise angetroffen wird. Die Grenzbehörde hat dann dessen Zurückschiebung vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn der Ausländer ihr gegenüber erklärt, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
20
bb) Der Ausländer erwirbt durch das gegenüber der Grenzbehörde geäußerte Asylersuchen noch nicht die unmittelbar auf Gesetz beruhende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Diese schlösse allerdings eine Zurückschiebung auf Grund unerlaubter Einreise grundsätzlich aus, was von dem Haftrichter auch von Amts wegen zu beachten wäre (vgl. zum früheren Recht: BayObLGZ 1993, 154, 155; 1993, 311, 313; OLG Karlsruhe NVwZ 1993, 811, 812). Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat wird die Aufenthaltsgestattung nicht schon mit dem Asylersuchen gegenüber der Grenzoder der Ausländerbehörde, sondern nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erst mit der Stellung eines Asylantrags nach §§ 13, 14, 23 AsylVfG bei dem zuständigen Bundesamt erworben (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 20).
21
Soweit die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf die Bestimmungen über den Asylantrag und über den Zeitpunkt seiner Stellung (Art. 2 Buchstabe c, Art. 4 Abs. 2 Dublin II-Verordnung) meint, dass bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG bereits mit der Protokollierung des Asylersuchens durch die Grenzbehörde entstehe, ist ihr nicht zu folgen. Die Inhaftierung des Asylbewerbers wegen unerlaubter Einreise ist nicht bis zu dem Zeitpunkt ausgeschlossen, in dem ihm die Entscheidung nach Art. 19 Dublin IIVerordnung mitgeteilt wird, dass sein Asylantrag nicht geprüft und er an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Die Ansicht der Rechtsbeschwerde widerspricht nicht nur der bundesgesetzlichen Regelung in § 18 AsylVfG. Sie lässt sich auch nicht mit der europarechtlichen Vorschrift über das sog. Dringlichkeitsverfahren in Art. 17 Abs. 2 Dublin II-Verordnung vereinbaren. Dieses ist dann anzuwenden, wenn der Asylantrag nach einer Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts gestellt, der Betroffene wegen unerlaubten Aufenthalts festgenommen worden ist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen angekündigt oder vollzogen werden oder der Asylbewerber sich in Gewahrsam befindet. Das Dringlichkeitsverfahren setzt somit eine Festnahme und eine Inhaftierung eines sich um Asyl bewerbenden Ausländers wegen unerlaubter Einreise oder illegalen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat voraus; es verpflichtet jedoch den um die Aufnahme des Asylbewerbers ersuchten anderen Mitgliedstaat um beschleunigte Prüfung und Entscheidung, andernfalls seine Zustimmung zur Aufnahme wegen Verfristung nach Art. 18 Abs. 6, 7 Dublin IIVerordnung als erteilt gilt (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Aufl., Art. 17 Anm. K 11 und Art. 18 K 12 ff.).
22
c) Erfolg hat die Rechtsbeschwerde jedoch deshalb, weil das Beschwerdegericht den Umfang seiner Pflichten bei der Prüfung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG verkannt hat.
23
aa) Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass für Entscheidungen, ob Zurückschiebungen von Asylsuchenden durch Grenzbehörden (§ 18 Abs. 3 AsylVfG) oder Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 3 AsylVfG) oder Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes (§ 34a AsylVfG) rechtmäßig sind und ob von den Betroffenen wegen der durch einen sofortigen Vollzug drohenden Nachteile vorläufiger Rechtsschutz beansprucht und nach den Umständen gewährt werden kann, die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Der Haftrichter ist nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112).
24
bb) Das Beschwerdegericht hat jedoch nicht hinreichend beachtet, dass der Haftrichter bei der von ihm nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG abverlangten Prognose hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Abschiebung in den kommenden drei Monaten nicht befugt ist, nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu verweisen. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Rechtsschutzgewährung durch die Verwaltungs- und die Zivilgerichte darf sich nicht zu Lasten des Ausländers auswirken. Die Bedeutung des Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 GG) verlangt vielmehr eine eigene Sachverhaltsermittlung des Haftrichters, der den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei seiner Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer der Haft berücksichtigen und sich dazu bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erkundigen muss (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660).
25
cc) Dem ist das Beschwerdegericht nicht gerecht geworden. Angesichts der ihm von dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 vorgelegten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (NVwZ 2009, 1281) und 23. September 2009 (2 BvQ 68/09 - juris) drängte es sich auf, dass auch das Verwaltungsgericht dem anhängigen Eilantrag der Beteiligten zu 1 stattgeben und deren Zurückschiebung nach Griechenland aussetzen würde. Jedenfalls durfte das Beschwerdegericht nicht ohne eine Nachfrage bei dem Verwaltungsgericht zu dem dort anhängigen Verfahren die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die Haftanordnung zurückweisen.
26
Maßgebend für die Aussetzung der Zurückschiebungen von Asylbewerbern nach Griechenland waren nämlich nicht besonders gelagerte Umstände in den jeweiligen Einzelfällen, sondern - wie das Bundesverfassungsgericht allgemein und das OVG Münster (NVwZ 2009, 1571) detailliert ausgeführt haben - davon unabhängige ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass Griechenland die europarechtlichen Mindestnormen für die Anerkennung und den Status der Bewerber um internationalen Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12) und für das Verfahren nach der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl. L 326/13) nicht einhält. Diese bilden jedoch die Grundlage für die Regelung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art. 5 bis 14 der Dublin II-Verordnung) und die Überstellungen der Asylbewerber nach Art. 19 Dublin II-Verordnung durch den Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt worden ist, in den für die Sachentscheidung über den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat (OVG Münster, aaO, 1572).
27
Vor diesem Hintergrund hätte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen, sondern nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG wegen Wegfalls des die Freiheitsentziehung legitimierenden Haftgrundes aufheben müssen. Die Bestätigung der Haftanordnung eines Ausländers, der um Asyl nachgesucht hat, zum Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-Verordnung wird nach der derzeitigen Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, wenn dieser einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gestellt hat. Solange in solchen Fällen entsprechende Anordnungen zur Aussetzung des Vollzugs nach § 32 Abs. 1 BVerfGG oder nach §§ 80, 123 VwGO ergehen, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.
28
3. Der weitergehende Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit auch der Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 ist dagegen unbegründet.
29
a) Das Hindernis, das einem baldigen Vollzug eines sofort vollziehbaren Zurückschiebungsbescheids entgegensteht, entsteht erst, wenn der Antrag gestellt ist, aufgrund dessen die zuständigen Verwaltungsgerichte den Vollzug der behördlichen Entscheidung aussetzen.
30
Die Behandlung der Asylbegehren unter Anwendung der Dublin II-Verordnung obliegt den nach §§ 2, 3 AsylVfBV zuständigen Behörden, gegen deren Entscheidungen Rechtsschutz allein durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird (HK-AuslR/Bruns, AsylVfG, § 27a Rdn. 14, 18 und 23; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rdn. 18 ff. und Rdn. 59 ff.). Die Aussetzung einer Zurückschiebung setzt daher einen Antrag des Betroffenen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei dem Verwaltungsgericht voraus. Legt der betroffene Ausländer dagegen kein Rechtsmittel ein, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass die zuständige Behörde die Zurückschiebung (an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat) so schnell wie ihr möglich vollziehen wird.
31
b) Der Pflicht des Haftrichters, den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in seine Prognose einzubeziehen (BVerfG NJW 2009, 2569, 2570), fehlt ohne den Antrag des Betroffen um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das zuständige Verwaltungsgericht die Grundlage. Nach Aktenlage hat die Beteiligte zu 1 den Antrag nach § 123 VwGO an das Verwaltungsgericht erst zeitgleich mit der Begründung der Beschwerde gestellt, so dass nicht schon das die Haft anordnende und über die Abhilfe entscheidende erstinstanzliche Gericht, sondern erst das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2009 die Erfolgsaussichten des Antrags auf Aussetzung der Zurückschiebung bei der Prognose über die Durchführbarkeit der Abschiebung in den nächsten drei Monaten berücksichtigen konnte.

IV.

32
Die Entscheidung über die Verteilung der Kosten beruht auf §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. 1, 430 FamFG; die Festsetzung des Werts auf § 42 Abs. 3 FamGKG. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.09.2009 - 151 XIV 49/09 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.10.2009 - 18 T 51/09 -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 151/07
vom
13. Februar 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels
Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe
wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen
musste. Das ist der Fall, wenn dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine
vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
nebst den erforderlichen Anlagen beigefügt war (im Anschluss an die
Senatsbeschlüsse vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 und
vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548).

b) Enthalten die Angaben in dem Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf
vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe
genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht, wenn diese
Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne weiteres, etwa anhand der beigefügten
Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden können oder wenn sich
aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass Einnahmen oder
Vermögenswerte nicht vorhanden sind (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520 und BGH Beschluss vom
21. September 2005 - IV ZB 21/05 - FamRZ 2005, 2062).

c) Hatte der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht und hat das Gericht ihm
zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt, darf er jedenfalls bis zum
Fristablauf weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen.
BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 - LG Kassel
AG Kassel
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2008 durch die
Richter Sprick, Fuchs und Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter
Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 16. August 2007 aufgehoben. Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Wert: 667 €.

Gründe:


I.

1
Die Parteien streiten um Rückzahlung einer Mietkaution sowie um Verzugsschaden in Form außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
2
Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Zahlung von 607,56 € nebst Zinsen sowie weiterer 59,15 € verurteilt. Das Urteil ist der Beklagten am 1. Februar 2007 zugestellt worden.
3
Mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom 27. Februar 2007 hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Beru- fungsverfahrens beantragt und dem Antrag eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen beigefügt. Mit Schreiben vom 16. März 2007 wurde der Beklagten vom Gericht aufgegeben, die Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu ergänzen. Dazu wurde ihr unter Hinweis auf § 118 Abs. 1 (richtig: Abs. 2) Satz 4 ZPO eine Frist von drei Wochen gesetzt. Die Frist wurde auf Antrag der Beklagten bis zum 9. Mai 2007 verlängert. Mit Schreiben vom 4. Mai 2007, eingegangen am 7. Mai 2007, ergänzte die Beklagte ihre Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Verfügung vom 11. Mai 2007, der Beklagten zugestellt am 16. Mai 2007, wurde der Beklagten aufgegeben, ihre Angaben weiter zu ergänzen. Außerdem hieß es darin: "Das Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedarf des vollständigen Ausfüllens, insbesondere muss die Antragstellerin im Rahmen der "Wohnkosten" und der "sonstigen Zahlungsverpflichtungen" angeben, welche Zahlungen sie selbst auf die Verpflichtungen erbringt."
4
Auch insoweit wurde der Beklagten eine Frist von drei Wochen gesetzt. Mit einem am 8. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 6. Juni 2007 reichte die Beklagte weitere Unterlagen ein und fragte ergänzend an, ob "nochmals ein komplett neu ausgefülltes Formular" über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht werden müsse. Mit Verfügung vom 13. Juni 2007, zugestellt am 15. Juni 2007, wurde der Beklagten Gelegenheit gegeben, "bis zum 27.06.2007 die im Schriftsatz vom 06.06.2007 vorgetragenen Tatsachen glaubhaft zu machen." Es bleibe der Beklagten unbenommen, ein neues Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen oder das bereits ausgefüllte Formular entsprechend zu ergänzen. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass am 28. Juni 2007 über das PKH-Gesuch entschieden werde.
Mit einem am 27. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 26. Juni 2007 reichte die Beklagte eine neu ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie weitere Unterlagen zu Nebenkosten und zwei eidesstattliche Versicherungen ein. Mit Beschluss vom 28. Juni 2007 wurde der Beklagten die begehrte Prozesskostenhilfe versagt, weil sie ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch immer nicht in einem Umfang glaubhaft gemacht habe, der eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe zulasse. Der Beschluss wurde der Beklagten am 4. Juli 2007 zugestellt.
5
Mit einem am 11. Juli 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 10. Juli 2007 beantragte die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, legte zugleich Berufung ein und begründete sie. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16. August 2007 hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufung der Beklagten verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist sei nicht innerhalb der 14-tägigen Frist eingegangen. Diese habe spätestens am 26. Juni 2007 begonnen , als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wegen seiner unzureichenden Antwort auf die verschiedenen Hinweise der Kammer vernünftigerweise nicht mehr mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe rechnen dürfen. Die Wiedereinsetzungsfrist sei deswegen am (Dienstag) 10. Juli 2007 abgelaufen. Der am 11. Juli 2007 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei mithin verfristet. Damit sei auch die Berufung verspätet eingegangen und deswegen ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.
6
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

7
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
8
Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von der Beklagten für eine Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist.
10
a) Eine arme Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, hat grundsätzlich Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie ihr Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte (ständige Rechtsprechung seit BGHZ 16, 1, 3). Das setzt allerdings voraus, dass dem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens innerhalb der Rechtsmittelfrist neben der ausgefüllten Erklärung über die per- sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die insoweit notwendigen Belege beigefügt waren (Senatsbeschluss vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902). Denn für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO 26. Aufl. § 117 Rdn. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Der Antragsteller kann deswegen grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck nebst den erforderlichen Anlagen zu den Akten reicht (Senatsbeschlüsse vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902 und vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548).
11
Enthalten die Angaben im Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht , wenn diese Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne weiteres, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden können (Senatsbeschluss vom 3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520). Gleiches gilt, wenn zwar einzelne Fragen zu den Einnahmen nicht beantwortet sind, sich aber aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt , dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH Beschluss vom 21. September 2005 - IV ZB 21/05 - FamRZ 2005, 2062 und Senatsbeschluss vom 3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520).
12
Auch wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftli- chen Verhältnisse und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte und das Gericht ihm zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt hatte , darf er weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. In solchen Fällen entfällt das schutzwürdige Vertrauen in die Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe erst mit Ablauf der gesetzten Frist. Ist der Antragsteller der Auflage hingegen nachgekommen, endet sein schutzwürdiges Vertrauen erst mit Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses. Das gilt auch dann, wenn die dem Antragsteller gesetzte Frist mehrfach verlängert wurde, weil das schutzwürdige Vertrauen auf Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe auch dann noch bis zur letzten gesetzten Frist fortbesteht. Selbst wenn der Antragsteller innerhalb der gesetzten Frist reagiert, aber zunächst nur einen Teil der offenen Fragen klärt, ist sein Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe weiter geschützt. Denn dies wäre auch ohne die (Teil-)Antwort der Fall, und dem Antragsteller bleibt es unbenommen, die Antwort bis zum Fristablauf weiter zu ergänzen.
13
b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Denn der Vorsitzende und der Berichterstatter hatten der Beklagten wiederholt Fristen zur Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags gesetzt, die von der Beklagten stets beantwortet wurden. Die letzte mit Verfügung vom 13. Juni 2007 gesetzte Frist lief bis zum 27. Juni 2007. Jedenfalls bis zu diesem Tag durfte die Beklagte darauf vertrauen, doch noch Prozesskostenhilfe bewilligt zu bekommen. Daran ändert der Schriftsatz vom 26. Juni 2007 nichts, weil die Beklagte Gelegenheit hatte, weitere Fragen fristgerecht bis zum 27. Juni 2007 zu beantworten. Weil die Wiedereinsetzungsfrist deswegen frühestens am 27. Juni 2007 begann, war sie entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei Eingang des Antrags auf Wiedereinsetzung am 11. Juli 2007 nicht abgelaufen.
14
Solange die vom Berufungsgericht gesetzte Frist lief, war die Beklagte somit schuldlos daran gehindert, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu wahren. Erst mit fruchtlosem Ablauf dieser Frist zur Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags durfte die Beklagte nicht mehr auf eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe vertrauen. Erst in diesem Zeitpunkt begannen mithin die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO.
15
d) Die gleichzeitig ausgesprochene Verwerfung der Berufung steht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen, weil diese Entscheidung durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ihre Grundlage verliert und damit gegenstandslos wird (Senatsbeschlüsse vom 15. August 2007 - XII ZB 101/07 - FamRZ 2007, 1725, 1726, vom 10. Mai 2006 - XII ZB 240/05 - NJW 2006, 2269 und vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/05 - FamRZ 2005, 791, 792).
Sprick Fuchs Ahlt Vézina Dose Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 30.01.2007 - 452 C 2931/06 -
LG Kassel, Entscheidung vom 16.08.2007 - 1 S 59/07 -

(1) Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, können die Beteiligten das Verfahren selbst betreiben.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte, soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen;
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und die Beteiligten, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht;
3.
Notare.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Verfahrenshandlungen, die ein nicht vertretungsbefugter Bevollmächtigter bis zu seiner Zurückweisung vorgenommen hat, und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Verfahren über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Für die Beiordnung eines Notanwaltes gelten die §§ 78b und 78c der Zivilprozessordnung entsprechend.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.

(1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, einer Rüge nach § 321a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ersten Rechtszug.

(2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozessbevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug bestellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat.

Ein Schriftstück kann dem Adressaten oder seinem rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter durch Aushändigung an der Amtsstelle zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung ist auf dem Schriftstück und in den Akten zu vermerken, dass es zum Zwecke der Zustellung ausgehändigt wurde und wann das geschehen ist; bei Aushändigung an den Vertreter ist dies mit dem Zusatz zu vermerken, an wen das Schriftstück ausgehändigt wurde und dass die Vollmacht nach § 171 Satz 2 vorgelegt wurde. Der Vermerk ist von dem Bediensteten zu unterschreiben, der die Aushändigung vorgenommen hat.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 41/02
vom
26. November 2002
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GVG § 13; GG § 51
Wendet sich eine Krankenkasse mit einer Presseerklärung gegen ein von ihr beanstandetes
Verhalten einer Kassenärztlichen Vereinigung, ist für die Unterlassungsklage
der Kassenärztlichen Vereinigung der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten
eröffnet.
Eine Zustellung, deren Mängel durch tatsächlichen Zugang des Schriftstücks geheilt
werden könnten, ist nur dann anzunehmen, wenn das Gericht mit Zustellungswillen
gehandelt hat.
BGH, Beschluß vom 26. November 2002 - VI ZB 41/02 - KG Berlin
LG Berlin
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. November 2002 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge
und Stöhr

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsstellerin wird der Beschluß des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 25. Februar 2002 aufgehoben. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 18. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit Ausnahme der durch die unzulässige Rechtsbeschwerde der Antragsstellerin vom 14./19. März 2002 entstandenen Kosten, über welche bereits entschieden ist. Gegenstandswert der Beschwerde: 3.000

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin hat in einer Presseerklärung vom 17. August 2001 im Zusammenhang mit "Bestechungsgeschenken" von Pharmakonzernen, also der Abgabe von Incentives an Ärzte geäußert, "Auch die Kassenärztliche Verei-
nigung Berlin ist aufgefordert,... ihre bisherige stillschweigende Unterstützung ... dieser ärgsten Auswüchse aggressiver Werbung der Pharmaindustrie aufzugeben". Die Antragsstellerin hat eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 28. August 2001 erwirkt, mit welcher der Antragsgegnerin die wortoder sinngemäße Verbreitung dieser Äußerung bei Meidung einer Ordnungsstrafe untersagt wurde. Die Antragsgegnerin hat dagegen Widerspruch eingelegt und u.a. den Rechtsweg beanstandet; es handele sich um eine Streitigkeit nach § 69 SGB V aus den Rechtsbeziehungen zwischen einer Krankenkasse und einem Ärzteverband , für die gemäß § 51 SGG die Sozialgerichte zuständig seien. Mit Beschluß vom 18. Oktober 2001 hat das Landgericht Berlin nach § 17 a Abs. 3 GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bejaht. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Kammergericht in der angefochtenen Entscheidung vom 25. Februar 2002 den Beschluß des Landgerichts aufgehoben, das Verfahren an das Sozialgericht Berlin verwiesen und die weitere Beschwerde gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG zugelassen. Gegen diesen Beschluß hat die Antragsstellerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten II. Instanz am 14. März 2002 Beschwerde beim Kammergericht eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 19. März 2002 begründet. Mit Beschluß vom 16. April 2002 hat das Kammergericht der "sofortigen Beschwerde" der Antragsstellerin nicht abgeholfen und sie dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Der erkennende Senat hat die Rechtsbeschwerde der Antragsstellerin am 4. Juni 2002 als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2002 begehrt die Antragsstellerin Wiederein- setzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Kammergerichts vom 25. Februar 2002, die Aufhebung dieses Beschlusses und die Zurückweisung der Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landgerichts; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückzuverweisen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde der Antragsstellerin ist statthaft und zulässig.
a) Das Kammergericht hat die "weitere Beschwerde" nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassen. Diese "weitere Beschwerde" ist seit dem 1. Januar 2002 als Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu werten. Eine "weitere Beschwerde" (vgl. § 568 ZPO a.F.) ist seit der Änderung der Zivilprozeßordnung durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl I, 1887 ff.) nicht mehr vorgesehen. Zwar hat der Gesetzgeber die Bestimmung des § 17 a Abs. 4 GVG dieser geänderten Rechtslage nicht angepaßt , obwohl die Begründung der Bundesregierung zu § 574 des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses die "weitere Beschwerde" zum Bundesgerichtshof ausdrücklich erwähnt (vgl. BT-Drs. 14/4722 S. 116) und ausführt, die Rechtsbeschwerde trete an die Stelle der bisherigen weiteren Beschwerde. Auf die "weitere Beschwerde" finden deshalb die Regeln über die Rechtsbeschwerde Anwendung, worauf das Kammergericht den Prozeßbevollmächtigten der Antragsstellerin mit Beschluß vom 16. April 2002 zu Recht hingewiesen hat.
Hiernach ist die Zulassung der "weiteren Beschwerde" mit Beschluß vom 25. Februar 2002 als Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verstehen (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG). An diese Zulassung ist der erkennende Senat gebunden (§§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO, 17 a Abs. 4 Satz 6 GVG).
b) Die Rechtsbeschwerde ist jetzt durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht und begründet worden (§ 78 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH, Beschluß vom 21. März 2002 - IX ZB 18/02 - NJW 2002, 2181).
c) Sie ist nicht verspätet eingelegt worden, so daß es einer Wiedereinsetzung nicht bedarf. Eine Zustellung des angefochtenen Beschlusses durch das Kammergericht ist nicht erfolgt. Vielmehr ist der Beschluß des Kammergerichts am 6. März 2002 formlos dem Prozeßbevollmächtigten der Antragsstellerin übersandt worden. Diese formlose Mitteilung hat die Notfrist des § 575 Abs. 1 ZPO nicht in Lauf gesetzt (vgl. § 187 Satz 2 ZPO a.F.). § 189 ZPO in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001 (BGBl. I 1206, 1213) ist erst am 1. Juli 2002 in Kraft getreten und auf den hier vorliegenden, vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Fall nicht anzuwenden. Zwar sieht Art. 4 des Zustellungsreformgesetzes ein Inkrafttreten zum 1. Juli 2002 ohne Überleitungsvorschrift vor. Auch nach der geänderten Bestimmung des § 189 ZPO n.F. wird die unwirksame Zustellung jedoch nur dann als wirksam angesehen, wenn das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt hat (vgl. Zöller/Stöber, ZPO 23. Aufl., § 189 Rdn. 2; Musielak/Wolst, ZPO 3. Aufl., § 189 Rdn. 2; Münchener KommentarZPO/Aktualisierungsband-Wenzel, § 189 Rdn. 3; vgl. zum früheren Recht BGHZ 7, 268, 270; Münchener KommentarZPO-Wenzel, ZPO 2. Aufl., § 187 Rdn. 2). Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Heilung der fehlenden Zustellung hier aus. Das Kammergericht hat - wie sich aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 26. Februar 2002 ergibt - eine Zustellung nicht beabsichtigt , sondern ist (irrig) davon ausgegangen, eine formlose Mitteilung sei ausrei-
chend. Den hiernach fehlenden Zustellungswillen konnte auch § 189 ZPO in der nunmehr geltenden Fassung nicht ersetzen. Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist bedarf es nach allem nicht. 2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Senat ist an einer erneuten Entscheidung durch seinen Beschluß vom 4. Juni 2002 in derselben Sache (VI ZB 19/02) nicht gehindert. Jene Entscheidung beschränkte sich auf eine Abweisung der damaligen Beschwerde als unzulässig wegen fehlender Postulationsfähigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin. Die Entscheidung des Kammergerichts kann im Rahmen der nunmehr zulässigen Rechtsbeschwerde in vollem Umfang nachgeprüft werden. Daran ändert es auch nichts, daß die zu überprüfende Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ergangen ist (vgl. BGH, Beschluß vom 30. September 1999 - V ZB 24/99 - VersR 2001, 1006). Die Entscheidung des Kammergerichts beruht auf einer Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften (§§ 13, 17 GVG), wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht (§ 576 Abs. 1 ZPO). Allerdings kann im Regelfall die Rechtsbeschwerde nicht darauf gestützt werden, daß das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat (§ 576 Abs. 2 ZPO). Das gilt jedoch nicht für eine zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassene Rechtsbeschwerde. Maßgebend ist hier die Zulässigkeit des Rechtswegs am 27. August 2001, dem Zeitpunkt, an dem der vorliegende Antrag rechtshängig geworden ist
(vgl. BGH, Beschluß vom 11. Dezember 2001 - KZB 12/01 - NJW 2002, 1351 m.w.N.). § 51 SGG in der Fassung vom 19. Juni 2001 sah u.a. die Zuständigkeit der Sozialgerichte für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung (§ 51 Abs. 1 SGG) sowie für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände und aufgrund von Entscheidungen der gemeinsamen Gremien von Ärzten und Krankenkassen vor (§ 51 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Es handelt sich weder um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch noch um eine Streitigkeit aufgrund einer Entscheidung der gemeinsamen Gremien von Ärzten und Krankenkassen. Auch eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit der Parteien in einer Angelegenheit der Sozialversicherung ist entgegen der Ansicht des Kammergerichts nicht gegeben. Die Streitigkeit der Parteien ist zivilrechtlicher, nicht öffentlichrechtlicher Natur. Entscheidend ist, ob die Streitigkeit nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich ist. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ergibt sich aus der wirklichen Natur des behaupteten Anspruchs (§§ 13, 17 GVG; vgl. BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1999 - XI ZB 7/99 - NJW 2000, 1042; GemSOGB BGHZ 97, 312, 313 f. und BGHZ 102, 280, 283). Hier handelt es sich um einen äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 824, 1004 BGB. Eine Zuständigkeit der Sozialgerichte wäre auch dann nicht gegeben, wenn § 51 Abs. 2 SGG in der nunmehr seit 2. Januar 2002 geltenden Fassung als Zuständigkeitsregelung für privatrechtliche Streitigkeiten aufzufassen wäre. Wie der Bundesgerichtshof bereits ausgeführt hat (vgl. Beschluß vom
15. September 1999 - I ZB 59/98 - NJW 2000, 874), beschränken sich § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGG in der Fassung vom 20. Dezember 1988 auf die gerichtliche Überprüfung von Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Das gilt in gleicher Weise für § 51 Abs. 2 Nr. 1 SGG in der Fassung des Artikels 12 Nr. 3 des Gesetzes vom 16. Juni 1998 (BGBl. I 1311) wie auch für § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG in der Fassung vom 17. August 2001 (BGBl. I 2144, Art. 1 Nr. 22). Maßgeblich ist, ob das Schwergewicht des Rechtsstreits in einem Aufgabenbereich anzusiedeln ist, dessen Erfüllung den kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen unmittelbar aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch obliegt (vgl. BGH, Beschluß vom 15. September 1999 - I ZB 59/98 - aaO). Grundlage der von der kassenärztlichen Vereinigung hier geltend gemachten Ansprüche ist aber die behauptete Ehrverletzung und damit §§ 823 Abs. 1, 824, 1004 BGB, nicht etwa §§ 63, 64, 69 bis 140 SGB V. Soweit sich die Antragsgegnerin auf § 106 SGB V berufen will, wonach sowohl die Krankenkassen als auch die kassenärztlichen Vereinigungen durch gemeinsame Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse (§ 106 Abs. 4 SGB V) die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung überwachen (vgl. auch § 69 SGB V in der Fassung vom 22. Dezember 1999 - BGBl. I 2626 Art. 1 Nr. 26 i.V.m. §§ 90 bis 94 SGB V), handelte sie mit ihrer Presseerklärung an die Öffentlichkeit nicht in einem gemeinsamen Prüfungsausschuß, insbesondere hat die Krankenkasse hier nicht auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise der Vertragsärzte hingewirkt. Die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung wird von den Prüfungsgremien der Ärzte und Krankenkassen in dem dafür vorgesehenen Verfahren geprüft (§ 106 Abs. 5, 6 SGB V) und nicht mittels Pres-
seerklärungen. Letztere haben mit dem gesetzlich geregelten Verfahren nichts zu tun und dienen allenfalls einer mittelbaren Einflußnahme. Wenn und soweit die Antragsstellerin sich im Prüfungsausschuß anders verhalten sollte als von der Antragsgegnerin erwartet, steht letzterer der Gang zum Sozialgericht offen, um das von ihr beanstandete Verhalten überprüfen zu lassen. Dagegen erscheint der Gang der Antragsgegnerin an die Öffentlichkeit als allenfalls mittelbarer Weg, um ihre Wünsche durchzusetzen, und vermag nicht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten zu eröffnen. 3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 148/09
vom
16. Dezember 2009
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
muss der Haftrichter auch dann eigenverantwortlich prüfen, ob der Ausländer
infolge unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist, wenn die zuständige
Verwaltungsbehörde eine auf diesen Tatbestand gestützte, nicht bestandskräftige
Zurückschiebungsverfügung erlassen hat.
Ist ein Ausländer ohne gültigen Reisepass in die Bundesrepublik eingereist,
kommt ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei
oder aufgrund der in dem dazu vereinbarten Zusatzprotokoll vom 23. November
1970 enthaltenen "Stillhalteklausel" nicht in Betracht.
BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - V ZB 148/09 - LG Dresden
AG Pirna
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Dezember 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 25. September 2009 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, der am Vortag aus der Tschechischen Republik in das Bundesgebiet eingereist war, wurde am 15. September 2009 als Beifahrer eines auf einer Bundesautobahn in Richtung Prag fahrenden Kraftfahrzeugs von einer Streife der gemeinsamen Fahndungsgruppe Pirna überprüft. Der türkische Pass, mit dem er sich auswies, wurde von den Beamten als Fälschung angesehen. Der Betroffene wurde daraufhin festgenommen. Am selben Tag erließ die Bundespolizeidirektion Pirna eine Verfügung über seine Zurückschiebung in die Türkei und beantragte die Anordnung von Sicherungshaft.
2
Eine erste Haftanordnung des Amtsgerichts wurde im Hinblick auf die eingeleitete Zurückschiebung des Betroffenen in die Tschechische Republik wieder aufgehoben. Nachdem die tschechischen Behörden seine Rücküber- nahme abgelehnt hatten, ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Bundespolizeidirektion am 16. September 2009 erneut die Sicherungshaft an.
3
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist, von der Verkürzung der Höchstdauer der Haft abgesehen, ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt er weiterhin die Aufhebung der Haftanordnung.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung der Abschiebehaft sei rechtmäßig, weil die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG vorlägen. Es könne offen bleiben, ob der Betroffene als türkischer Staatsbürger berechtigt gewesen sei, ohne Visum einzureisen. Er sei jedenfalls deshalb vollziehbar ausreisepflichtig, weil er mit einem gefälschten Pass eingereist sei. Es bestehe der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene einer Zurückschiebung in die Türkei nicht stellen werde. Er wolle zwar freiwillig ausreisen, jedoch nicht in die Türkei. Unter weiterer Berücksichtigung des Umstands, dass die Zurückschiebung voraussichtlich bis zum 16. Oktober 2009 durchgeführt werden könne, verstoße die Haftanordnung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

III.

5
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte, frist- und formgerecht (§ 71 FamFG) eingelegte Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
6
1. Das Beschwerdegericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Betroffene nach den Vorschriften der §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Sicherungshaft genommen werden durfte, weil er aufgrund unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet vollziehbar ausreisepflichtig ist.
7
a) Diese Voraussetzungen ergeben sich, was das Beschwerdegericht auch nicht verkennt, nicht schon bindend aus der - mit der unerlaubten Einreise des Betroffenen und seinem fehlenden Aufenthaltsrecht begründeten - Zurückschiebungsverfügung der gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG zuständigen Beteiligten zu 2. Zwar hat der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, BGHZ 78, 145, 147; 98, 109, 112; BVerfG, Beschl. v. 1. April 1999, 2 BvR 400/99, juris Rdn. 3; BVerwGE 62, 325, 328), denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bei einer auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützten Haftanordnung liegt dies insofern anders, als die sofort vollziehbare Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise den unmittelbaren Haftgrund bildet. Ergibt sich diese weder aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung noch aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prüfung selbst vornehmen (vgl. KG NVwZ 1997, 516; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rdn. 13). Es würde der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98) und den Anforderungen in Bezug auf die tatsächlichen Grundlagen richterlicher Haftentscheidungen (vgl. BVerfGE 70, 297, 308) nicht gerecht, wenn dem Haftrichter im Rahmen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG durch eine noch nicht bestandskräftige Verfügung über die Zurückschiebung nach § 57 AufenthG bereits die wesentlichen Voraussetzungen für die Haftanordnung vorgegeben wären.
8
b) Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht von einer unerlaubten Einreise des Betroffenen aus. Die Einreise eines Ausländers ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dann unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz nach § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach den - von der Rechtsbeschwerde nicht mit einer Rüge im Sinne des § 71 Abs. 3 Nr. 2b FamFG angegriffenen und damit das Rechtsbeschwerdegericht bindenden (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO) - Feststellungen des Beschwerdegerichts war der Betroffene bei seiner Einreise nach Deutschland nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes.
9
c) Im Ergebnis zu Recht nimmt das Beschwerdegericht ferner die - hier gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbare - Ausreisepflicht des Betroffenen an. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet , wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG / Türkei nicht oder nicht mehr besteht. So liegt es hier. Ein - allein in Betracht kommendes - Aufenthaltsrecht des Betroffenen nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II, 509) besteht nicht. Auf ein solches Aufenthaltsrecht kann sich nur berufen, wer rechtmäßig in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates eingereist ist (vgl. EuGH, Rs. C-37/98, EuZW 2000, 569, 572 Tz. 59 [Savas]; Rs. C-317/01 u. C-369/01, InfAuslR 2004, 32, 34 Tz. 65 [Abatay]; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 65. Aktual. 2009, § 4 Rdn. 74). Ist die Einreise , wie hier, unter Verwendung eines falschen Passes und damit unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgt, fehlt es an dieser Ausgangslage.
10
Entsprechendes gilt, soweit sich der Betroffene auf die in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG / Türkei vom 23. No- vember 1970 (BGBl. 1972 II, 385 nachfolgend: ZPAssEWG-TR) enthaltene "Stillhalteklausel" beruft, in der sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen (Art. 41 Abs. 1 ZPAssEWG-TR; vgl. dazu EuGH, Rs. C-228/06, NVwZ 2009, 513 [Soysal]). Der Betroffene gehört schon nicht zu dem dadurch privilegierten Personenkreis. Die damals in der Bundesrepublik Deutschland geltende, sich aus § 2 Abs. 3 AuslG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG 1965 ergebende Befreiung türkischer Staatsangehöriger, die sich nicht länger als drei Monate in der Bundesrepublik aufhalten und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollten, von dem Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis war nämlich von dem Besitz eines (gültigen) Nationalpasses abhängig (vgl. Kanein, Ausländergesetz [1966], § 2 Anm. C.1. i.V.m. § 3 Anm. A., B.1.). Die Einreise ohne gültigen - im Streitfall gar mit einem gefälschten - Pass war schon vor Inkrafttreten von Art. 41 Abs. 1 ZPAssEWG-TR nicht privilegiert.
11
d) Die Anordnung der Sicherungshaft verstößt nicht gegen den im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
12
aa) Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Betroffene keine konkreten Umstände dargelegt hat, aus denen sich entgegen der gesetzlichen Vermutung des § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 65. Aktual. 2009, § 62 Rdn. 39; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 Rdn. 15) ergibt, er werde sich der Zurückschiebung nicht entziehen. Soweit der Betroffene auf seine Bereitschaft verweist, nach Erhalt eines gültigen Passes in die Tschechische Republik, hilfsweise in einen anderen visumsfreien Drittstaat auszureisen, stellt er nicht die Verhältnismäßigkeit der - seine Zurückschiebung in die Türkei sichernden - Haft in Frage. Vielmehr wendet er sich gegen die von der Beteiligten zu 2 vorgenommene Bestimmung des Landes, in das er zurückgeschoben werden soll und damit gegen die - nicht von dem von dem Haftrichter, sondern von den Verwaltungsgerichten zu prüfende - Rechtmäßigkeit der Zurückschiebungsverfügung.
13
bb) Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung auch im Hinblick darauf stand, dass die Haft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf Grundlage einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Prognose zum Zeitpunkt der möglichen Zurückschiebung zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). Dass die von dem Beschwerdegericht getroffene Prognose diesen Anforderungen nicht genügt, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Soweit sie, bezogen auf den Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdebegründung, rügt, die Ausländerbehörde habe bislang keine Maßnahmen zur Beschaffung der notwendigen Papiere ergriffen und damit die gebotene Beschleunigung des Verfahrens unterlassen , handelt es sich um neuen, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag.
14
2. Ob das Beschwerdegericht auch die Voraussetzungen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zu Recht angenommen hat, bedarf keiner Entscheidung.

IV.

15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Pirna, Entscheidung vom 16.09.2009 - 23 XIV B 35/09 -
LG Dresden, Entscheidung vom 25.09.2009 - 2 T 780/09 -

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 148/09
vom
16. Dezember 2009
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
muss der Haftrichter auch dann eigenverantwortlich prüfen, ob der Ausländer
infolge unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist, wenn die zuständige
Verwaltungsbehörde eine auf diesen Tatbestand gestützte, nicht bestandskräftige
Zurückschiebungsverfügung erlassen hat.
Ist ein Ausländer ohne gültigen Reisepass in die Bundesrepublik eingereist,
kommt ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei
oder aufgrund der in dem dazu vereinbarten Zusatzprotokoll vom 23. November
1970 enthaltenen "Stillhalteklausel" nicht in Betracht.
BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - V ZB 148/09 - LG Dresden
AG Pirna
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Dezember 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 25. September 2009 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, der am Vortag aus der Tschechischen Republik in das Bundesgebiet eingereist war, wurde am 15. September 2009 als Beifahrer eines auf einer Bundesautobahn in Richtung Prag fahrenden Kraftfahrzeugs von einer Streife der gemeinsamen Fahndungsgruppe Pirna überprüft. Der türkische Pass, mit dem er sich auswies, wurde von den Beamten als Fälschung angesehen. Der Betroffene wurde daraufhin festgenommen. Am selben Tag erließ die Bundespolizeidirektion Pirna eine Verfügung über seine Zurückschiebung in die Türkei und beantragte die Anordnung von Sicherungshaft.
2
Eine erste Haftanordnung des Amtsgerichts wurde im Hinblick auf die eingeleitete Zurückschiebung des Betroffenen in die Tschechische Republik wieder aufgehoben. Nachdem die tschechischen Behörden seine Rücküber- nahme abgelehnt hatten, ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Bundespolizeidirektion am 16. September 2009 erneut die Sicherungshaft an.
3
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist, von der Verkürzung der Höchstdauer der Haft abgesehen, ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt er weiterhin die Aufhebung der Haftanordnung.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung der Abschiebehaft sei rechtmäßig, weil die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG vorlägen. Es könne offen bleiben, ob der Betroffene als türkischer Staatsbürger berechtigt gewesen sei, ohne Visum einzureisen. Er sei jedenfalls deshalb vollziehbar ausreisepflichtig, weil er mit einem gefälschten Pass eingereist sei. Es bestehe der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene einer Zurückschiebung in die Türkei nicht stellen werde. Er wolle zwar freiwillig ausreisen, jedoch nicht in die Türkei. Unter weiterer Berücksichtigung des Umstands, dass die Zurückschiebung voraussichtlich bis zum 16. Oktober 2009 durchgeführt werden könne, verstoße die Haftanordnung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

III.

5
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte, frist- und formgerecht (§ 71 FamFG) eingelegte Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
6
1. Das Beschwerdegericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Betroffene nach den Vorschriften der §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Sicherungshaft genommen werden durfte, weil er aufgrund unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet vollziehbar ausreisepflichtig ist.
7
a) Diese Voraussetzungen ergeben sich, was das Beschwerdegericht auch nicht verkennt, nicht schon bindend aus der - mit der unerlaubten Einreise des Betroffenen und seinem fehlenden Aufenthaltsrecht begründeten - Zurückschiebungsverfügung der gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG zuständigen Beteiligten zu 2. Zwar hat der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, BGHZ 78, 145, 147; 98, 109, 112; BVerfG, Beschl. v. 1. April 1999, 2 BvR 400/99, juris Rdn. 3; BVerwGE 62, 325, 328), denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bei einer auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützten Haftanordnung liegt dies insofern anders, als die sofort vollziehbare Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise den unmittelbaren Haftgrund bildet. Ergibt sich diese weder aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung noch aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prüfung selbst vornehmen (vgl. KG NVwZ 1997, 516; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rdn. 13). Es würde der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98) und den Anforderungen in Bezug auf die tatsächlichen Grundlagen richterlicher Haftentscheidungen (vgl. BVerfGE 70, 297, 308) nicht gerecht, wenn dem Haftrichter im Rahmen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG durch eine noch nicht bestandskräftige Verfügung über die Zurückschiebung nach § 57 AufenthG bereits die wesentlichen Voraussetzungen für die Haftanordnung vorgegeben wären.
8
b) Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht von einer unerlaubten Einreise des Betroffenen aus. Die Einreise eines Ausländers ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dann unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz nach § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach den - von der Rechtsbeschwerde nicht mit einer Rüge im Sinne des § 71 Abs. 3 Nr. 2b FamFG angegriffenen und damit das Rechtsbeschwerdegericht bindenden (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO) - Feststellungen des Beschwerdegerichts war der Betroffene bei seiner Einreise nach Deutschland nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes.
9
c) Im Ergebnis zu Recht nimmt das Beschwerdegericht ferner die - hier gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbare - Ausreisepflicht des Betroffenen an. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet , wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG / Türkei nicht oder nicht mehr besteht. So liegt es hier. Ein - allein in Betracht kommendes - Aufenthaltsrecht des Betroffenen nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II, 509) besteht nicht. Auf ein solches Aufenthaltsrecht kann sich nur berufen, wer rechtmäßig in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates eingereist ist (vgl. EuGH, Rs. C-37/98, EuZW 2000, 569, 572 Tz. 59 [Savas]; Rs. C-317/01 u. C-369/01, InfAuslR 2004, 32, 34 Tz. 65 [Abatay]; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 65. Aktual. 2009, § 4 Rdn. 74). Ist die Einreise , wie hier, unter Verwendung eines falschen Passes und damit unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgt, fehlt es an dieser Ausgangslage.
10
Entsprechendes gilt, soweit sich der Betroffene auf die in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG / Türkei vom 23. No- vember 1970 (BGBl. 1972 II, 385 nachfolgend: ZPAssEWG-TR) enthaltene "Stillhalteklausel" beruft, in der sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen (Art. 41 Abs. 1 ZPAssEWG-TR; vgl. dazu EuGH, Rs. C-228/06, NVwZ 2009, 513 [Soysal]). Der Betroffene gehört schon nicht zu dem dadurch privilegierten Personenkreis. Die damals in der Bundesrepublik Deutschland geltende, sich aus § 2 Abs. 3 AuslG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG 1965 ergebende Befreiung türkischer Staatsangehöriger, die sich nicht länger als drei Monate in der Bundesrepublik aufhalten und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollten, von dem Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis war nämlich von dem Besitz eines (gültigen) Nationalpasses abhängig (vgl. Kanein, Ausländergesetz [1966], § 2 Anm. C.1. i.V.m. § 3 Anm. A., B.1.). Die Einreise ohne gültigen - im Streitfall gar mit einem gefälschten - Pass war schon vor Inkrafttreten von Art. 41 Abs. 1 ZPAssEWG-TR nicht privilegiert.
11
d) Die Anordnung der Sicherungshaft verstößt nicht gegen den im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
12
aa) Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Betroffene keine konkreten Umstände dargelegt hat, aus denen sich entgegen der gesetzlichen Vermutung des § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 65. Aktual. 2009, § 62 Rdn. 39; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 Rdn. 15) ergibt, er werde sich der Zurückschiebung nicht entziehen. Soweit der Betroffene auf seine Bereitschaft verweist, nach Erhalt eines gültigen Passes in die Tschechische Republik, hilfsweise in einen anderen visumsfreien Drittstaat auszureisen, stellt er nicht die Verhältnismäßigkeit der - seine Zurückschiebung in die Türkei sichernden - Haft in Frage. Vielmehr wendet er sich gegen die von der Beteiligten zu 2 vorgenommene Bestimmung des Landes, in das er zurückgeschoben werden soll und damit gegen die - nicht von dem von dem Haftrichter, sondern von den Verwaltungsgerichten zu prüfende - Rechtmäßigkeit der Zurückschiebungsverfügung.
13
bb) Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung auch im Hinblick darauf stand, dass die Haft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf Grundlage einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Prognose zum Zeitpunkt der möglichen Zurückschiebung zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). Dass die von dem Beschwerdegericht getroffene Prognose diesen Anforderungen nicht genügt, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Soweit sie, bezogen auf den Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdebegründung, rügt, die Ausländerbehörde habe bislang keine Maßnahmen zur Beschaffung der notwendigen Papiere ergriffen und damit die gebotene Beschleunigung des Verfahrens unterlassen , handelt es sich um neuen, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag.
14
2. Ob das Beschwerdegericht auch die Voraussetzungen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zu Recht angenommen hat, bedarf keiner Entscheidung.

IV.

15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Pirna, Entscheidung vom 16.09.2009 - 23 XIV B 35/09 -
LG Dresden, Entscheidung vom 25.09.2009 - 2 T 780/09 -

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 172/09
vom
25. Februar 2010
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5; AsylVfG § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3; Art. 19 der Verordnung (EG)
Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung)

a) Auch in den Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 70 ff. FamFG ist ein § 62
FamFG entsprechender Feststellungsantrag des Betroffenen zulässig. Einer
Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es auch in diesen Fällen nicht.

b) Die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung eines unerlaubt
aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingereisten
Drittstaatsangehörigen (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, §§ 57
Abs. 1 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ist nicht schon dann unzulässig,
wenn der Ausländer bei der Grenzbehörde um Asyl nachgesucht hat (§ 18 Abs.
1 AsylVfG).

c) Bei seiner Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, ob die Abschiebung
innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, muss der Haftrichter
das voraussichtliche Ergebnis eines von dem Ausländer bei dem
Verwaltungsgericht gestellten Antrags nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung
des Vollzugs der Zurückschiebung berücksichtigen.

d) Wird - wie derzeit bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 der
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin IIVerordnung
) - solchen Eilanträgen regelmäßig entsprochen, darf er, wenn die
Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, eine Haft zur
Sicherung der Abschiebung nicht anordnen und hat auf die Beschwerde des
Betroffenen eine bereits angeordnete Haft nach § 426 FamFG aufzuheben.
BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird die Kostenentscheidung in dem Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2009 aufgehoben und festgestellt, dass dieser Beschluss die Beteiligte zu 1 in ihren Rechten verletzt hat.
Der weitergehende Feststellungsantrag wird zurückgewiesen.
Die in den Rechtsmittelverfahren entstandenen gerichtlichen Kosten werden beiden Beteiligten zu gleichen Teilen auferlegt. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Hälfte der der Beteiligten zu 1 entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.


1
Die Beteiligte zu 1, eine afghanische Staatsangehörige, traf am 9. September 2009 mit einem Flug aus Athen kommend auf dem Flughafen Düsseldorf ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der Beteiligten zu 2 wies sie sich durch einen gefälschten bulgarischen Reisepass aus. Bei der Vernehmung anlässlich ihrer Ingewahrsamnahme gab sie an, aus ihrem Heimatland über den Iran mithilfe einer Schlepperorganisation mit gefälschten Dokumenten in die Türkei gekommen und von dort mit einem Boot nach Griechenland befördert worden zu sein. Sie stelle in Deutschland einen Asylantrag. Das von dem Asylersuchen unterrichtete Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (im Folgenden: Bundesamt) bat die griechischen Behörden um Übernahme der Beteiligten zu 1.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Düsseldorf am 10. September 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 angeordnet. Die Beteiligte zu 1 hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag, sie umgehend aus der Haft zu entlassen. Der Beschwerdebegründung vom 6. Oktober 2009 hat sie eine Abschrift des an demselben Tage bei dem Verwaltungsgericht eingereichten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Maßnahmen zum Vollzug ihrer Verbringung nach Griechenland beigefügt.
3
Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen; diese ist jedoch auf Grund der am gleichen Tage ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Aussetzung aller Maßnahmen zur Verbringung nach Griechenland mit sofortiger Wirkung aus der Haft entlassen worden. Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Beteiligte zu 1, die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Abschiebungshaft und die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, schon wegen der unerlaubten Einreise ohne Pass und Aufenthaltstitel sei ein Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG zu bejahen. Zudem liege der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor, weil wegen der unerlaubten Einreise der Beteiligten zu 1 mithilfe von Schleusern und ohne gültige Papiere und ihrer Erklärung, nicht nach Griechenland zurückkehren zu wollen, der begründete Verdacht bestehe, dass sie sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen werde.
5
Der gegenüber der Beteiligten zu 2 mündlich gestellte Asylantrag stehe der Haft nicht entgegen, da die Beteiligte zu 1 dadurch noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben habe. Soweit die Beteiligte zu 1 vorgetragen habe, dass eine Zurückschiebung nach Griechenland wegen der dortigen Verhältnisse unzulässig sei, obliege die Prüfung dieses Einwands nicht dem Haftrichter, sondern sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte.
6
Auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (2 BvQ 56/09) und vom 23. September 2009 (2 BvQ 68/09) rechtfertigten keine Aufhebung der Haftanordnung, weil nicht erkennbar sei, welche tatsächlichen Umstände ihnen zugrunde gelegen hätten.
7
Die Haftanordnung sei auch nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, weil das Beschwerdegericht auch auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Beteiligten zu 1 nicht feststellen könne, dass eine Zurückschiebung innerhalb der nächsten drei Monate aus Gründen, die die Beteiligte zu 1 nicht zu vertreten habe, nicht möglich sein werde.

III.

8
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
9
Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung der Beteiligten zu 1 aus der Haft erledigt hat. Angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheits- entziehung durften bereits die vor dem 1. September 2009 gegebenen Rechtsmittel (§ 7 FEVG i.V.m. §§ 19, 22, 27, 29 FGG) nicht wegen einer im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Erledigung als unzulässig verworfen werden (BVerfG NJW 2002, 2456, 2457). Sie blieben wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, worüber auf dessen Antrag zu entscheiden war (BVerfG, a.a.O.; Senat BGHZ 153, 18, 20). Die Neugestaltung der Rechtsmittel in §§ 58 ff. FamFG hat daran nichts geändert. Die Vorschrift des § 62 FamFG, die die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, ist auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 9; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG [2009], § 62 Rdn. 4).
10
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen die freiheitsentziehende Maßnahme ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sich - wie hier - die Hauptsache bereits vor Anhängigkeit des Rechtsmittels erledigt hat und mit diesem allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts durch die Inhaftierung festzustellen.
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist teilweise begründet. Zwar verletzte nicht schon die Inhaftierung, aber die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts die Beteiligte zu 1 in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
12
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings im Ausgangspunkt zutreffend die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht.
13
aa) Die Anordnung der Freiheitsentziehung auf Antrag der Beteiligten zu 2 war nach § 417 Abs. 1 FamFG zulässig. Die Beteiligte zu 2 (Bundespolizei) ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde, der nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG für die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören (HK-AuslR/Hofmann, AufenthG, § 71 Rdn. 13) - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen ist (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 616, 617).
14
bb) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 war im Zeitpunkt der Anordnung der Haft begründet.
15
(1) Es lag der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor. Die Beteiligte zu 1 war auf Grund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Diese Voraussetzung ist bei einer nicht bestandskräftigen, verwaltungsgerichtlich noch nicht überprüften und für sofort vollziehbar erklärten Zurückschiebungsverfügung nach § 57 Abs. 1 AufenthG von dem Haftrichter zu prüfen (vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, Rz. 7 - juris; KG NVwZ 1997, 516).
16
(2) Das Beschwerdegericht hat mit zutreffender Begründung auch den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG wegen des begründeten Verdachts, dass die Beteiligte zu 1 sich der Zurückschiebung nach Griechenland entziehen werde, auf Grund der unerlaubten Einreise und der Erklärung der Beteiligten zu 1, in Deutschland bleiben zu wollen, bejaht. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
17
b) Dass die Beteiligte zu 1 gegenüber der Beteiligten zu 2 bei der Ingewahrsamnahme um Asyl nachgesucht hat, stand nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ihrer Zurückschiebung nicht entgegen.
18
aa) Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist einem Ausländer, der gegenüber der Grenzbehörde um Asyl nachsucht (§ 18 Abs. 1 AsylVfG), die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist eine gesetzliche Anordnung für das Verfahren der Grenzbehörden bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Hintergrund der Regelung ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 S. 1, im Folgenden: Dublin II-Verordnung). Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG soll dem Ausländer bereits die Einreise verweigert werden, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union für die sachliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist (HK-AuslR/Bruns, § 18 AsylVfG Rdn. 14; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 18, Rdn. 58).
19
§ 18 Abs. 3 AsylVfG erweitert die Aufgaben der Grenzbehörden in den Fällen, in denen sie dem Ausländer zwar nicht mehr die Einreise verweigern können, weil dieser bereits die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat und damit eingereist ist (§ 13 Abs. 2 AufenthG), er jedoch noch im grenznahen Raum und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise angetroffen wird. Die Grenzbehörde hat dann dessen Zurückschiebung vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn der Ausländer ihr gegenüber erklärt, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
20
bb) Der Ausländer erwirbt durch das gegenüber der Grenzbehörde geäußerte Asylersuchen noch nicht die unmittelbar auf Gesetz beruhende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Diese schlösse allerdings eine Zurückschiebung auf Grund unerlaubter Einreise grundsätzlich aus, was von dem Haftrichter auch von Amts wegen zu beachten wäre (vgl. zum früheren Recht: BayObLGZ 1993, 154, 155; 1993, 311, 313; OLG Karlsruhe NVwZ 1993, 811, 812). Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat wird die Aufenthaltsgestattung nicht schon mit dem Asylersuchen gegenüber der Grenzoder der Ausländerbehörde, sondern nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erst mit der Stellung eines Asylantrags nach §§ 13, 14, 23 AsylVfG bei dem zuständigen Bundesamt erworben (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 20).
21
Soweit die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf die Bestimmungen über den Asylantrag und über den Zeitpunkt seiner Stellung (Art. 2 Buchstabe c, Art. 4 Abs. 2 Dublin II-Verordnung) meint, dass bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG bereits mit der Protokollierung des Asylersuchens durch die Grenzbehörde entstehe, ist ihr nicht zu folgen. Die Inhaftierung des Asylbewerbers wegen unerlaubter Einreise ist nicht bis zu dem Zeitpunkt ausgeschlossen, in dem ihm die Entscheidung nach Art. 19 Dublin IIVerordnung mitgeteilt wird, dass sein Asylantrag nicht geprüft und er an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Die Ansicht der Rechtsbeschwerde widerspricht nicht nur der bundesgesetzlichen Regelung in § 18 AsylVfG. Sie lässt sich auch nicht mit der europarechtlichen Vorschrift über das sog. Dringlichkeitsverfahren in Art. 17 Abs. 2 Dublin II-Verordnung vereinbaren. Dieses ist dann anzuwenden, wenn der Asylantrag nach einer Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts gestellt, der Betroffene wegen unerlaubten Aufenthalts festgenommen worden ist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen angekündigt oder vollzogen werden oder der Asylbewerber sich in Gewahrsam befindet. Das Dringlichkeitsverfahren setzt somit eine Festnahme und eine Inhaftierung eines sich um Asyl bewerbenden Ausländers wegen unerlaubter Einreise oder illegalen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat voraus; es verpflichtet jedoch den um die Aufnahme des Asylbewerbers ersuchten anderen Mitgliedstaat um beschleunigte Prüfung und Entscheidung, andernfalls seine Zustimmung zur Aufnahme wegen Verfristung nach Art. 18 Abs. 6, 7 Dublin IIVerordnung als erteilt gilt (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Aufl., Art. 17 Anm. K 11 und Art. 18 K 12 ff.).
22
c) Erfolg hat die Rechtsbeschwerde jedoch deshalb, weil das Beschwerdegericht den Umfang seiner Pflichten bei der Prüfung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG verkannt hat.
23
aa) Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass für Entscheidungen, ob Zurückschiebungen von Asylsuchenden durch Grenzbehörden (§ 18 Abs. 3 AsylVfG) oder Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 3 AsylVfG) oder Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes (§ 34a AsylVfG) rechtmäßig sind und ob von den Betroffenen wegen der durch einen sofortigen Vollzug drohenden Nachteile vorläufiger Rechtsschutz beansprucht und nach den Umständen gewährt werden kann, die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Der Haftrichter ist nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112).
24
bb) Das Beschwerdegericht hat jedoch nicht hinreichend beachtet, dass der Haftrichter bei der von ihm nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG abverlangten Prognose hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Abschiebung in den kommenden drei Monaten nicht befugt ist, nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu verweisen. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Rechtsschutzgewährung durch die Verwaltungs- und die Zivilgerichte darf sich nicht zu Lasten des Ausländers auswirken. Die Bedeutung des Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 GG) verlangt vielmehr eine eigene Sachverhaltsermittlung des Haftrichters, der den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei seiner Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer der Haft berücksichtigen und sich dazu bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erkundigen muss (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660).
25
cc) Dem ist das Beschwerdegericht nicht gerecht geworden. Angesichts der ihm von dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 vorgelegten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (NVwZ 2009, 1281) und 23. September 2009 (2 BvQ 68/09 - juris) drängte es sich auf, dass auch das Verwaltungsgericht dem anhängigen Eilantrag der Beteiligten zu 1 stattgeben und deren Zurückschiebung nach Griechenland aussetzen würde. Jedenfalls durfte das Beschwerdegericht nicht ohne eine Nachfrage bei dem Verwaltungsgericht zu dem dort anhängigen Verfahren die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die Haftanordnung zurückweisen.
26
Maßgebend für die Aussetzung der Zurückschiebungen von Asylbewerbern nach Griechenland waren nämlich nicht besonders gelagerte Umstände in den jeweiligen Einzelfällen, sondern - wie das Bundesverfassungsgericht allgemein und das OVG Münster (NVwZ 2009, 1571) detailliert ausgeführt haben - davon unabhängige ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass Griechenland die europarechtlichen Mindestnormen für die Anerkennung und den Status der Bewerber um internationalen Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12) und für das Verfahren nach der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl. L 326/13) nicht einhält. Diese bilden jedoch die Grundlage für die Regelung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art. 5 bis 14 der Dublin II-Verordnung) und die Überstellungen der Asylbewerber nach Art. 19 Dublin II-Verordnung durch den Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt worden ist, in den für die Sachentscheidung über den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat (OVG Münster, aaO, 1572).
27
Vor diesem Hintergrund hätte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen, sondern nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG wegen Wegfalls des die Freiheitsentziehung legitimierenden Haftgrundes aufheben müssen. Die Bestätigung der Haftanordnung eines Ausländers, der um Asyl nachgesucht hat, zum Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-Verordnung wird nach der derzeitigen Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, wenn dieser einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gestellt hat. Solange in solchen Fällen entsprechende Anordnungen zur Aussetzung des Vollzugs nach § 32 Abs. 1 BVerfGG oder nach §§ 80, 123 VwGO ergehen, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.
28
3. Der weitergehende Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit auch der Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 ist dagegen unbegründet.
29
a) Das Hindernis, das einem baldigen Vollzug eines sofort vollziehbaren Zurückschiebungsbescheids entgegensteht, entsteht erst, wenn der Antrag gestellt ist, aufgrund dessen die zuständigen Verwaltungsgerichte den Vollzug der behördlichen Entscheidung aussetzen.
30
Die Behandlung der Asylbegehren unter Anwendung der Dublin II-Verordnung obliegt den nach §§ 2, 3 AsylVfBV zuständigen Behörden, gegen deren Entscheidungen Rechtsschutz allein durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird (HK-AuslR/Bruns, AsylVfG, § 27a Rdn. 14, 18 und 23; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rdn. 18 ff. und Rdn. 59 ff.). Die Aussetzung einer Zurückschiebung setzt daher einen Antrag des Betroffenen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei dem Verwaltungsgericht voraus. Legt der betroffene Ausländer dagegen kein Rechtsmittel ein, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass die zuständige Behörde die Zurückschiebung (an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat) so schnell wie ihr möglich vollziehen wird.
31
b) Der Pflicht des Haftrichters, den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in seine Prognose einzubeziehen (BVerfG NJW 2009, 2569, 2570), fehlt ohne den Antrag des Betroffen um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das zuständige Verwaltungsgericht die Grundlage. Nach Aktenlage hat die Beteiligte zu 1 den Antrag nach § 123 VwGO an das Verwaltungsgericht erst zeitgleich mit der Begründung der Beschwerde gestellt, so dass nicht schon das die Haft anordnende und über die Abhilfe entscheidende erstinstanzliche Gericht, sondern erst das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2009 die Erfolgsaussichten des Antrags auf Aussetzung der Zurückschiebung bei der Prognose über die Durchführbarkeit der Abschiebung in den nächsten drei Monaten berücksichtigen konnte.

IV.

32
Die Entscheidung über die Verteilung der Kosten beruht auf §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. 1, 430 FamFG; die Festsetzung des Werts auf § 42 Abs. 3 FamGKG. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.09.2009 - 151 XIV 49/09 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.10.2009 - 18 T 51/09 -

(1) Kann das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden oder ist die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grund eine notwendige, so werden, wenn ein Termin oder eine Frist nur von einzelnen Streitgenossen versäumt wird, die säumigen Streitgenossen als durch die nicht säumigen vertreten angesehen.

(2) Die säumigen Streitgenossen sind auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZA 9/10
vom
25. März 2010
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. März 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen, ihm Verfahrenskostenhilfe für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 17. Februar 2010 zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, dessen Asylantrag mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. Dezember 2002 abgelehnt worden war, reiste ohne gültigen Reisepass und Aufenthaltstitel am 6. Oktober 2009 aus Italien kommend erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde in M. festgenommen. Zunächst wurde gegen ihn vom 6. bis zum 15. Oktober 2009 eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Auf den Antrag der Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 9. Oktober 2009 die Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen längstens für die Dauer von drei Monaten an, zu vollstrecken im Anschluss an die Ersatzfreiheitsstrafe. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
2
Am 20. November 2009 stellte der Betroffene einen Asylfolgeantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
3
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 verlängerte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. Januar 2010 die Sicherungshaft über den 16. Januar 2010 hinaus bis zum 16. April 2010 und ordnete die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Mit der dagegen gerichteten sofortige Beschwerde hat der Betroffene die fehlende Beteiligung seines Verfahrensbevollmächtigten gerügt, ferner eingewandt, dass er keine unvollständigen oder unzutreffenden Angaben im Rahmen des Verfahrens zur Beschaffung der Passersatzpapiere gemacht habe, und schließlich die Möglichkeit der Durchführung der Abschiebung innerhalb der vorgesehenen Frist in Zweifel gezogen. Das Beschwerdegericht hat das Rechtsmittel nach mündlicher Anhörung des Betroffenen durch Beschluss vom 17. Februar 2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Sicherungshaft nur bis zum 15. April 2010 angeordnet wird. Für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss beantragt der Betroffene die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, der von dem Betroffenen gestellte Asylfolgeantrag stehe nach § 71 Abs. 8 AsylVfG der Sicherungshaft nicht entgegen. Die Haftverlängerung sei auch zulässig, weil nach den Stellungnahmen der mit der Passersatzpapierbeschaffung befassten Stelle derzeit nicht feststehe, dass die Abschiebung innerhalb der angeordneten Haftdauer nicht durchgeführt werden könne. Der Betroffene habe zudem die Dauer des Verfahrens verschuldet. Eine Übersendung des in den indischen Amtssprachen abgefassten Formulars auf dem Postweg an ihn sei ausreichend gewesen. Dieses Formular habe der Betroffene jedoch erst am 24. November 2009 vervollständigt. Die Angaben zu seiner Herkunft seien nach wie vor widersprüchlich und müssten in Indien überprüft werden. Bei vollständigen und richtigen Angaben könne ein Heimreisedokument nach den Erkenntnissen der Ausländerbehörde innerhalb weniger Wochen ausgestellt werden. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei der Beteiligten zu 2 nicht anzulasten; unmittelbar nach Stellung des Haftantrags sei das Dokumentenbeschaffungsverfahren eingeleitet worden.

III.

5
Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist zurückzuweisen , weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Denn die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte Rechtsbeschwerde hätte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Verlängerung der Sicherungshaft bis zum 15. April 2010 hielte rechtlicher Nachprüfung stand.
6
1. Das Beschwerdegericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Betroffene in Sicherungshaft genommen werden durfte, weil er aufgrund unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet vollziehbar ausreisepflichtig ist (§§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und die Beteiligte zu 2 beabsichtigt , die Ausreisepflicht zwangsweise durchzusetzen.
7
a) Die Beteiligte zu 2 ist die für den Haftantrag zuständige Verwaltungsbehörde (§ 417 Abs. 1 FamFG).
8
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht den in § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrund bejaht. Ergibt sich bei einer auf diese Vorschrift gestützten Haftanordnung die Ausreisepflicht weder aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung noch aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prüfung der Voraussetzungen des Haftgrundes selbst vornehmen (Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50). Das hat er getan; Rechtsfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen.
9
aa) Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Zurückschiebungs- bzw. Abschiebungsverfügung. Die Beteiligte zu 2 ist allerdings entschlossen, die gesetzliche Ausreisepflicht des Betroffenen zwangsweise durchzusetzen. Einer förmlichen Androhung der Durchsetzung oder eines Verwaltungsakts, durch den der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebiets aufgefordert wird, bedarf es für die Anordnung der Abschiebungshaft indes nicht (OLG Hamm NVwZ 2003, Beilage Nr. I 4, 27; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 66. Aktual. November 2009, § 62 AufenthG Rdn. 39; Renner, aaO, § 62 AufenthG Rdn. 13).
10
bb) Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht von einer unerlaubten Einreise des Betroffenen aus. Die Einreise eines Ausländers ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dann unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz nach § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt. Diese Voraussetzung liegt vor. Der Asylfolgeantrag ändert nichts an der unerlaubten Einreise, weil der Betroffene ihn erst während der Inhaftierung gestellt hat.
11
cc) Ebenfalls zu Recht nimmt das Beschwerdegericht die - nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbare - Ausreisepflicht des Betroffenen an.
12
(1) Im Fall der unerlaubten Einreise hängt, wie sich aus § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergibt, die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht von einem Verwaltungsakt ab, durch den der Ausländer ausreisepflichtig wird (vgl. OLG Hamm NVwZ 2003, Beilage Nr. I 4, 27). Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer bereits u.a. dann zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt.
13
(2) Der Asylfolgeantrag steht nach § 71 Abs. 8 AsylVfG der Haftanordnung nicht entgegen (vgl. BayObLG OLGR 2004, 238, 239; OLG München OLGR 2009, 601 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 66. Aktual. November 2009, § 62 AufenthG Rdn. 28, § 71 AsylVfG Rdn. 122; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rdn. 14; § 71 AsylVfG Rdn. 51). Ob der Asylfolgeantrag eine Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und damit Aufenthaltsrecht zur Folge hat (ablehnend die h.M. VGH Mannheim VBlBW 1995, 327, 328; Hailbronner, aaO, § 71 AsylVfG Rdn. 97 f.; Marx, Asylverfahrensgesetz, 7. Aufl., § 71 Rdn. 425 f.; Bell/Henning, ZAR 1993, 37 f.; a.A. VG Schleswig EZAR 224 Nr. 24, S. 3; wohl auch VGH Mannheim InfAuslR 1993, 200, 201), kann deshalb offenbleiben.
14
2. Das Beschwerdegericht hat auch den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG aus zutreffenden Gründen bejaht. Einwendungen dagegen sind von dem Betroffenen auch nicht angekündigt.
15
3. Die Verlängerung der Sicherungshaft bis zum Ablauf der Sechsmonatsfrist (§ 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) hält schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtlicher Nachprüfung stand.
16
a) Die Anordnung der Haft ist nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, denn es steht nicht fest, dass aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.
17
aa) Der Haftrichter hat auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage die für die Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG erforderliche Prognose grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können , zu erstrecken (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). Hierzu sind konkrete An- gaben zum Ablauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, erforderlich. Die Entscheidung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die der Prognose zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 10. Mai 1994, XI ZR 212/93, NJW 1994, 2093, 2094; OLG München OLGR 2009, 714; Keidel/ Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 72 Rdn. 18).
18
bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Die für die Beurteilung durch den Senat maßgebliche tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts (vgl. OLG München OLGR 2009, 714), es stehe nicht fest, dass die Abschiebung nicht binnen drei Monaten erfolgen könne, hält der auf Rechtsfehler beschränkten Prüfung stand. Das Beschwerdegericht hat zu der voraussichtlichen Dauer der Passersatzpapierbeschaffung den Verfahrensablauf dargestellt und die zeitnahen Angaben der mit der Beschaffung der Rückführungsdokumente in Indien befassten Ausländerbehörde berücksichtigt, wonach jedenfalls derzeit die Ausstellung der Heimreisepapiere bei vollständigen und zutreffenden Angaben des Betroffenen innerhalb weniger Wochen erfolgen könne (vgl. hierzu auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 15. November 2007, 11 Wx 55/07, juris Rdn. 35), gerechnet ab dem für die Prognose maßgeblichen Zeitpunkt der Haftanordnung (vgl. OLG München OLGR 2005, 439, 440; OLG Düsseldorf InfAuslR 2008, 38, 39). Die Prognose hat auch noch angesichts des im Nachhinein gestellten Asylfolgeantrags Bestand, weil vorläufiger Rechtsschutz in jenem Verfahren nicht beantragt worden ist (vgl. hierzu BVerfG NVwZ 1996, Beilage Nr. 3, S. 17, 18).
19
b) Die Haft durfte über die Dreimonatsfrist (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG) hinaus verlängert werden. Die Regelung in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG lässt allerdings erkennen, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten Haft nicht überschritten werden soll und eine Haftdauer von sechs Monaten (§ 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf. Daraus folgt, dass die Verlängerung einer zunächst in zulässiger Weise auf drei Monate befristeten Haftanordnung unzulässig ist, wenn die Abschiebung aus Gründen unterblieben ist, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (Senat, BGHZ 133, 235, 237 f., zu § 57 AuslG). Diese Voraussetzung liegt hier jedoch nicht vor.
20
aa) Zu vertreten hat der Ausländer auch Gründe, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst entstanden ist (Senat, aaO, S. 238). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt , muss Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (OLG München OLGR 2009, 714, 715). So liegt es hier. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts verfügt der Betroffene über keine Identitätspapiere; er hat das Formular zur Beschaffung der Rückführungspapiere zunächst unvollständig ausgefüllt. Die Vervollständigung im Rahmen der Anhörung am 24. November 2009 hat sich als bedingt tauglich erwiesen, weil die Angaben zu seinem Nationalpass, wie sich erst anlässlich der Vorführung bei dem indischen Generalkonsulat ergeben hat, unzutreffend waren. Zudem hat der Betroffene fortwährend unterschiedliche Angaben zu seiner Herkunft gemacht. Damit ist eine Überprüfung durch die Behörden in Indien erforderlich. Hätte der Betroffene von vornherein vollständige und zutreffende Angaben gemacht, wären die Heimreisedokumente innerhalb weniger Wochen ausgestellt worden.
21
bb) Gegen diese Feststellungen des Beschwerdegerichts wendet sich der Betroffene nicht, sondern macht zur Begründung seines Verfahrenskostenhilfeantrags lediglich geltend, dass ihm ein Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht nicht anzulasten sei, weil die Ausländerbehörde unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für das Ausfüllen des Formulars habe sorgen müssen. Das würde der Rechtsbeschwerde indessen nicht zum Erfolg verhelfen. Der Ausländer hat an der Beschaffung der Passersatzpapiere mitzuwirken. Insbesondere ist es nach § 3 AufenthG eine Obliegenheit des Ausländers, im Besitz eines gültigen Passes zu sein; grundsätzlich muss er sich daher eigenständig um die Beschaffung von Identitätspapieren aus seinem Heimatland bemühen (OVG Münster InfAuslR 2006, 322). Daher ist die bloße Übersendung von Formularen entgegen der Auffassung des Betroffenen nicht verfahrensfehlerhaft, wenn sie - wie hier - in der Sprache des Betroffenen verfasst sind. Es ist nicht zu beanstanden , dass die Ausländerbehörde zunächst auf eine persönliche Befragung unter Hinzuziehung eines Dolmetschers verzichtet, solange kein Anlass zu Zweifeln an der Fähigkeit des Ausländers besteht, das Formular ordnungsgemäß auszufüllen.
22
cc) Ein Verstoß der Beteiligten zu 2 gegen das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (vgl. BVerfGE 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195) liegt nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht vor. Schon wenn vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde allerdings alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Papiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, BGHZ 133, 235, 239; OLG Celle InfAuslR 2004, 118; OLG Düsseldorf InfAuslR 2008, 38, 39; OLG Schleswig InfAuslR 2004, 167; Hailbronner, aaO, § 62 AufenthG Rdn. 33). Hier hat die Beteiligte zu 2 unmittelbar nach dem Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft, der noch während der Vollstreckung der Er- satzfreiheitstrafe gestellt worden ist, das Passersatzpapierbeschaffungsverfahren eingeleitet und dem Betroffenen das Formular für die Beschaffung der zur Rückführung notwendigen Papiere übermittelt. Da die Ausländerbehörde grundsätzlich keine Möglichkeit hat, auf die Terminplanung der ausländischen Vertretung Einfluss zu nehmen, ist ihr nicht anzulasten, dass der Vorführungstermin dort erst am 15. Dezember 2009 stattgefunden hat (vgl. OLG Schleswig, NVwZ-RR 2005, 858, 859).
23
4. Dass der Verfahrensbevollmächtigte in dem erstinstanzlichen Verfahren über die Verlängerung der Abschiebungshaft nicht beteiligt worden ist, führte ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit der angefochtenen Entscheidung. Denn der Betroffene muss eine - hier erfolgte - im Beschwerdeverfahren herbeigeführte Heilung von Verfahrensmängeln hinnehmen (vgl. Senat, Beschl. v. 8. März 2007, V ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569, 1570; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 22). Das Verfahrensergebnis ist für ihn kein anderes, als wenn be- reits das Amtsgericht das Verfahren fehlerfrei durchgeführt hätte (vgl. Keidel/ Budde, aaO, § 62 Rdn. 23). Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 13.01.2010 - 872 XIV B 347/09 -
LG München I, Entscheidung vom 17.02.2010 - 13 T 1494/10 -