Bundesgerichtshof Urteil, 14. Mai 2013 - 1 StR 573/12

bei uns veröffentlicht am14.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 573/12
vom
14. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Radtke,
Zeng,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -,
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 26. Juli 2012 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen , davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten Revision gegen den gesamten Maßregelausspruch und rügt dabei insbesondere, dass die (vorbehaltene) Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Am 30. November 2011 abends begab sich der „leicht“ angetrunkene und enthemmte Angeklagte zur Wohnung der H. , weil er - irrtümlich - davon ausging, dort wegen einer Geldangelegenheit einen Freund antreffen zu können. Als H. den Angeklagten nicht in die Wohnung ließ und ihm mitteilte, der Freund des Angeklagten wohne nicht mehr bei ihr, geriet der An- geklagte in Zorn. „Um seinem Ärger Luft zu machen, schrie er H. durchdie Wohnungstür zu: ‚Ich brech‘ dir alle Knochen und fick‘ dich!‘ … Von der Haus- tür aus schrie er H. hinter der Wohnungstür noch zu: ‚Ich fick‘ dich, du Schlampe! Ich bring‘ dich um!‘“ (UA S. 15; Fall 1 der Urteilsgründe).
4
b) Ende November 2011 geriet der Angeklagte, der „bereits erhebliche Mengen an alkoholischen Getränken zu sich genommen“ hatte, wodurch er „leicht angetrunken und enthemmt“ war (UAS. 16), mit seiner Lebensgefährtin S. , der Nebenklägerin, in einen Streit. Die seit einigen Monaten bestehende Beziehung zwischen dem Angeklagten und der etwas älteren, anderwei- tig verheirateten Nebenklägerin, war „mehr und mehr von gegenseitiger Eifer- sucht geprägt“ (UA S. 16); die Nebenklägerin zweifelte an seiner Liebe zu ihr. Der Angeklagte schlug sie anlässlich des Streites mit der Faust ins Gesicht, wodurch sie erhebliche Schmerzen erlitt. Außerdem lockerte sich der linke obere Schneidezahn (Fall 2 der Urteilsgründe). Im Anschluss versöhnten sich der Angeklagte und die Nebenklägerin wieder miteinander und führten ihre Beziehung fort.
5
c) In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2012 überkam dem leicht angetrunkenen und enthemmten Angeklagten „ein sexuelles Verlangen. Er ent- kleidete sich und forderte S. auf, ihm ‚einen runterzuholen‘. Daraufhin ergriff sie seinen Penis mit der Hand und massierte ihn. Als der Angeklagte auf diese Weise nicht zum Samenerguss kam, schlug er S. mit der flachen Hand ins Gesicht und forderte sie dazu auf, ihn mit dem Mund zu befriedigen. Dabei war ihm bewusst, dass S. den Oralverkehr grundsätzlich ablehnte“ (UA S. 17).
6
Als S. seiner Aufforderung nicht nachkam und der Angeklagte erkannte , dass sie - wie immer - nicht dazu bereit war, ihn mit dem Mund zu be- friedigen, fasste der Angeklagte die Nebenklägerin „an den Haaren und zog so ihren Kopf wissentlich und willentlich vor seinen erigierten Penis“ (UA S. 17). S. erlitt erhebliche Schmerzen. Außerdem war sie durch das Auftreten des Angeklagten „so nachhaltig beeindruckt, dass sie sich aus Angst vor weiteren Gewaltausbrüchen des Angeklagten“ jeden Gedanken an Gegenwehr auf- gab und mit ihm den ungeschützten Oral- und Analverkehr ausübte; den Analverkehr brach der Angeklagte nach kurzer Zeit ab, ohne zum Samenerguss gekommen zu sein (Fall 3 der Urteilsgründe).
7
d) Nachdem der Angeklagte am folgenden Morgen alkoholische Getränke zu sich genommen hatte, begab er sich zu S. ins Schlafzimmer, „weil ihn erneut ein sexuelles Verlangen ergriffen hatte“ (UA S. 19). Er unterwarf die Nebenklägerin seinem Willen, indem er sich eine Gabel an den eigenen Hals hielt und ihr zu verstehen gab, er werde sie auf diese Weise stechen, wenn sie nicht ruhig wäre. Außerdem hielt er ihr eine 2,5 kg schwere Hantelscheibe vor und bedeutete ihr, er werde ihr damit erhebliche Schmerzen zufügen, wenn sie ihm nicht gehorche. Nachdem die Nebenklägerin erneut jeden Gedanken an Gegenwehr aufgegeben hatte, ließ der Angeklagte seinen Penis von ihr manuell stimulieren und übte mit ihr den ungeschützten Oralverkehr aus, um sich gegen ihren Willen sexuell zu befriedigen. Um die Nebenklägerin „fortwährend in Angst zu halten“ (UA S. 19), schlug der Angeklagte sie während des Sexual- verkehrs mit der flachen Hand ins Gesicht, wodurch sie - wie vom Angeklagten beabsichtigt - erhebliche Schmerzen erlitt. Der Angeklagte brach den Oralverkehr nach kurzer Zeit ab, ohne zum Samenerguss gekommen zu sein (Fall 4 der Urteilsgründe). Der Angeklagte hielt der Nebenklägerin sodann die Gabel erneut vor und forderte sie auf, „keinen falschen Ton“ von sich zu geben, ande- renfalls „sie nie mehr aus dem Schlafzimmer“ herauskommen werde.
8
e) Der Nebenklägerin gelang es im weiteren Verlauf, die Polizei über eine Passantin herbeizurufen. Als der Angeklagte sah, dass drei Beamte der Schutzpolizei mit ihm sprechen wollten, zeigte er sich mit der Nebenklägerin in einem Fenster, hielt eine Hantelscheibe hoch, forderte die Polizei zum Gehen auf und erklärte, anderenfalls werde er S. töten. Als die Polizeibeamten sich nicht entfernten, sondern vor Ort blieben, um den Angeklagten festzunehmen bzw. S. aus der Wohnung zu „entfernen“, fasste der Angeklagte den Entschluss, „die Polizeibeamten mit Gegenständen zu bewerfen, um sie aus Sorge, getroffen zu werden, zur Aufgabe ihres Vorhabens zu bewegen“ (UA S. 20). Der Angeklagte warf eine 2,5 kg schwere Hantelscheibe aus dem Fens- ter in Richtung der Polizeibeamten; die Hantelscheibe verfehlte ihr Ziel „knapp“ und zerbrach auf dem Pflaster. In der Folge warf der Angeklagte noch zwei weitere Hantelscheiben, ein schwarzes Klappmesser sowie ein Mobiltelefon aus verschiedenen Fenstern (Fall 5 der Urteilsgründe).
9
f) Gegen Mittag desselben Tages überkam dem Angeklagten „erneut ein sexuelles Verlangen“ (UA S. 21). Er forderte die Nebenklägerin auf, mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuüben, wobei ihm bewusst war, dass sie hierzu nicht bereit war. Er ging aber davon aus, S. würde ihm angesichts der von ihm erlittenen und der gegenüber der Polizei gezeigten Gewalt vollständig gehorchen. Tatsächlich unterwarf sich S. aus Angst erneut seinem Willen. Der Angeklagte penetrierte sie sodann vaginal, um sich gegen ihren Willen sexuell zu befriedigen. Ohne zum Samenerguss gekommen zu sein, brach er den Geschlechtsverkehr nach kurzer Zeit ab (Fall 6 der Urteilsgründe).
10
2. Eine verminderte Schuldfähigkeit des - in hohem Maße alkoholgewöhnten - Angeklagten hat das Landgericht bei allen Taten geprüft und nach sachverständiger Beratung verneint.
11
3. Die Strafkammer hat - ebenfalls sachverständig beraten - die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB für gegeben erachtet. Insbesondere bestünde die Gefahr, dass der - bereits im Jahr 2001 wegen sexueller Nötigung zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe vorverurteilte - Angeklagte, „auch wenn (er) nicht für die Allgemeinheit gefährlich ist, … überhaupt suchtbedingte und erhebliche rechtswidrige Taten begeht“ (UA S. 31). Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB liege ebenfalls vor: Wenn der Angeklagte die Therapie erfolgreich durchführe, bestehe die „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass suchtbedingte Aggressionstaten nicht mehr aufträten.
12
Die (vorbehaltene) Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht mit der Erwägung abgelehnt, dass „der Zweck dieser Maßregeln, die Gefahr weiterer rechtswidriger Taten durch den Angeklagten abzuwenden, … durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bereits für sich alleine erreicht werden (konnte); diese Maßregel beschwerte den Angeklagten zudem im Vergleich zu den anderen am wenigsten“ (UA S. 33).

II.

13
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf den gesamten Maßregelausspruch ist wirksam.
14
Die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB bzw. § 66a StGB kann nicht getrennt von derjenigen nach § 64 StGB geprüft werden. Nach den Gründen des angefochtenen Urteils stand schon die vom Landgericht angenommene „hohe Wahrscheinlichkeit“ des Therapieerfolges der Unterbringung nach § 64 StGB der (vorbehaltenen) Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten entgegen. Die Revision erfasst deshalb den gesamten Maßregelausspruch (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - 3 StR 569/08, NStZ 2009, 442).
15
Eine Abhängigkeit der Strafhöhe vom Maßregelausspruch ist hier zu verneinen (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 - 3 StR 679/93, BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1; BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 - 2 StR 509/09, NStZ-RR 2010, 238).
16
2. Die Begründung, mit der das Landgericht mit Blick auf die von ihm verhängte Maßregel nach § 64 StGB von der (vorbehaltenen) Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
17
a) Das Landgericht stellt schon nicht ausreichend fest, ob die Voraussetzungen der §§ 66, 66a StGB - mit Blick auf die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) - vorliegen. Insbesondere ist der Tatrichter gehalten , eingehend das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel zu prognostizieren (BGH, Urteil vom 13. März 2013 - 2 StR 392/12 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Februar 2013 - 5 StR 620/12 zu § 66a StGB). Für die Gefährlichkeitsprognose kommt es dabei auf das Ergebnis einer Gesamtwürdi- gung des Täters und seiner Taten an (vgl. nur Fischer, StGB, 60. Aufl., § 66 Rn. 37 m. zahlr. Nachw.). Zu alldem verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
18
b) Die Begründung, von der (vorbehaltenen) Anordnung der Sicherungsverwahrung könne jedenfalls deswegen abgesehen werden, weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bereits ausreichend sei, ist - unbeschadet der unter lit. a) dargelegten Auslassungen - zudem lückenhaft.
19
aa) Allerdings ist der rechtliche Ausgangspunkt der landgerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden. Liegen die Voraussetzungen sowohl des § 66 StGB (bzw. § 66a StGB) als auch des § 64 StGB vor, erfordert das - freilich nur ausnahmsweise (vgl. Senatsurteil vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 5; BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 4 StR 443/05, NStZ-RR 2006, 104, 105) - Absehen von der (vorbehaltenen) Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit in dem Sinne, dass mit der alleinigen Unterbringung gemäß § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. auch Senatsurteil vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 5; BGH, Urteil vom 9. November 2006 - 3 StR 360/06, NStZ 2007, 328; BGH, Urteil vom 31. Juli 2008 - 4 StR 152/08, NStZ-RR 2008, 336 f.; BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - 3 StR 569/08, NStZ 2009, 442 f.; BGH, Urteil vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11). Dabei setzt die gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmende Prognose eine umfassende Gesamtwürdigung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2008 - 4 StR 152/08, NStZ-RR 2008, 336, 337; BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - 3 StR 569/08, NStZ 2009, 442, 443).
20
bb) Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Entscheidung nicht.
21
(1) Der Sachverständige, dem die Strafkammer gefolgt ist, ging von einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ aus, dass bei einer erfolgreich durchgeführten Therapie suchtbedingte Aggressionstaten nicht mehr aufträten. „Entscheidend sei, dass die Geschädigte S. kein zufälliges Opfer darstelle, sondern aufgrund der Liebesbeziehung zum Angeklagten eine hochspezifische TäterOpfer -Beziehung vorliege. Die sexuelle Nötigung im Jahre 2000 sei insofern nicht vergleichbar. … Aus der Biographie des Angeklagten ergebe sich gerade kein Hinweis darauf, dass sexuelle Übergriffe mit regelmäßiger Wahrscheinlich- keit aufträten. … Die vorliegenden Vergewaltigungenseien eher Ausdruck der besonderen Situation in der Beziehung zur Geschädigten S. nach dem Zusammenzug in eine gemeinsame Wohnung und wechselseitigen Eifersuchtsanfällen“ (UA S. 31 f.).
22
(2) Bei dieser Bewertung, wonach neben dem Alkoholismus allein die pathologische Beziehungsgestaltung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin Ursache der Straftaten gewesen sei, lässt das Landgericht schon die zum Fall 1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum Nachteil der Zeugin H. außer Betracht. Ausführungen dazu, wie es mit den von der Strafkammer übernommenen Erwägungen des Sachverständigen zu vereinbaren ist, dass der Angeklagte der Zeugin aus Zorn ankündigte, sie zu vergewaltigen und zu töten, fehlen.
23
Entsprechendes gilt für die zum Tatgeschehen am 23. und 24. Februar 2012 getroffenen weiteren tatsächlichen Feststellungen. Im Rahmen der Prognoseentscheidung bleibt unerörtert, dass der Angeklagte die Nebenklägerin innerhalb von zwölf Stunden insgesamt drei Mal vergewaltigt hat und die allein zur Durchführung der Vergewaltigung erfolgte Gewaltanwendung - anders als die Körperverletzungshandlung im Fall 2 der Urteilsgründe - nicht (auch) Ausdruck von Wut oder Enttäuschung über die Beziehung zu der Nebenklägerin oder deren Verhalten war. Nach den Feststellungen lag den Vergewaltigungen der Nebenklägerin jeweils ein „sexuelles Verlangen“ des Angeklagten zugrunde. Dass die Vergewaltigungen „Ausdruck der besonderen Situation in der Be- ziehung zur Geschädigten S. nach dem Zusammenzug in eine gemein- same Wohnung und wechselseitigen Eifersuchtsanfällen“ seien, belegen die Feststellungen - anders als im Fall 2 der Urteilsgründe - gerade nicht. Schließlich richteten sich die Aggressionen des wegen sexueller Nötigung vorverurteilten Angeklagten nicht allein gegen die Nebenklägerin, sondern auch gegen die eingesetzten Polizeibeamten. Eine „hochspezifische Täter-Opfer-Beziehung“ weisen diese Tathandlungen nicht auf.
24
c) Die Erörterungsmängel entziehen der gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmenden Prognose die Grundlage. Über die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt ist auf der Grundlage neu zu treffender Feststellungen erneut zu entscheiden. Aufgrund der bisherigen Feststellungen erscheint es nicht fernliegend, dass ein neuer Tatrichter die Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt feststellen wird. Der Senat weist darauf hin, dass Unsicherheiten über das Ausreichen allein der milderen Maßregel des § 64 StGB zur kumulativen Anwendung der Maßregeln führen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Mai 2008 - 5 StR 97/08, NStZ 2009, 87; BGH, Urteil vom 31. Juli 2008 - 4 StR 152/08, NStZ-RR 2008, 336, 337; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106, 107; BGH, Urteil vom 10. April 2013 - 2 StR 1/13).
25
Bei einer nach § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB vorzunehmenden Abwägung wird der neue Tatrichter auch die einschlägigen vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen, wie sie in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegt worden sind, in den Blick zu nehmen haben.
26
3. Die für sich genommen revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist wegen ihres hier bestehenden untrennbaren Zusammenhangs mit der erneuten Prüfung der (vorbehaltenen) Sicherungsverwahrung ebenfalls aufzuheben (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - 4 StR 210/10, insoweit in NStZRR 2011, 204 nicht abgedruckt). Wahl Rothfuß Graf Radtke Zeng

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 569/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
der Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 16. Juni 2008 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, auch soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten H. in der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Jahre Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revision gegen das Urteil, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfältig suchtkranke Angeklagte im November 2007 einen Überfall auf eine Apotheke, um Benzodiazepine zu erlangen. Unter Vorhalt einer geladenen Gaspistole erzwang er die Herausgabe von Medikamenten. Anfang Dezember 2007 überfiel er zusammen mit seiner ebenfalls drogenabhängigen Lebensgefährtin, der Mitangeklagten S. , einen ihnen bekannten Drogenhändler in dessen Wohnung. Sie wollten ihm gewaltsam Heroin wegnehmen. Um den Widerstand des ihnen körperlich überlegenen Opfers auszuschalten, nahmen sie ein Messer mit, mit dem der Angeklagte dem ahnungslosen Opfer unmittelbar nach Betreten der Wohnung unvermittelt in die Brust stach und dabei dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Obwohl durch einen Stich in die Herzgegend lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Überfallenen, dem Angeklagten das Messer zu entwinden, worauf beide Angeklagte flüchteten.
3
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei dem Raub aus Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen sowie bei dem Mordversuch wegen einer akuten Intoxikation erheblich vermindert war. Es hat deshalb einen minder schweren Fall des Raubes angenommen und eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren sowie wegen des Mordversuchs aus dem zweifach gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gebildet.
4
Wegen des Hangs des Angeklagten zum Betäubungsmittelmissbrauch, auf dem die verfahrensgegenständlichen Taten beruhen und der mit allergrößter , nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu weiteren erheblichen Taten des Angeklagten führen wird, hat das Landgericht die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) angeordnet. Deren Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) hat es angesichts der Therapiemotivation des Angeklagten als günstig angesehen.
5
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Hinblick auf § 72 Abs. 1 StGB abgelehnt und dies damit begründet, dass nach den Ausführungen des gehörten Sachverständigen, denen es sich angeschlossen hat, "mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen" sei, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt sei ausreichend, um die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr zu beseitigen. Dass der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Therapien auf der Grundlage von § 35 BtMG abgebrochen habe, stehe dem nicht entgegen, da diese nicht unter Rahmenbedingungen stattfänden, die für eine erfolgreiche Behandlung des Angeklagten erforderlich seien. Die Möglichkeit, eine Therapie leicht und jederzeit abzubrechen, bestehe bei einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht.
6
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung ist unwirksam. Vorliegend kann die Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB nicht getrennt von derjenigen nach § 64 StGB geprüft werden, denn nach den Gründen des angefochtenen Urteils liegt es mehr als nahe, dass allein die vom Landgericht angenommene hohe Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs der Unterbringung nach § 64 StGB der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten entgegenstand. Die Revision erfasst deshalb den Maßregelausspruch insgesamt. Darüber hinaus bestehen gegen die Beschränkung indes keine Rechtsbedenken; denn eine Abhängigkeit der Strafhöhe vom Maßregelausspruch ist hier zu verneinen (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1).
7
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist nur zulässig, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Erfolgsaussicht auf den gehörten Sachverständigen gestützt. Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte sei in der Lage, "eine Therapie mit der Zielsetzung einer dauerhaft abstinenten Lebensführung oder zumindest in Bezug auf Suchtmittelkonsum streng kontrollierten Lebensführung unter Vermeidung eines unkontrollierten und anhaltenden Suchtmittelkonsums zu bewältigen". Er sei "nicht intellektuell beeinträchtigt und weise, abgesehen von seiner Sucht, keine persönlichen Strukturdefizite entsprechend einer Persönlichkeitsveränderung auf" (UA S. 59 f.). Dies widerspricht den Darlegungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt des Mordversuchs. Insoweit hat das Landgericht - ebenfalls den Darlegungen des Sachverständigen folgend - ausgeführt, die Polytoxikomanie des Angeklagten habe zu einer "Persönlichkeitsveränderung" geführt. Der "langjährige Drogenkonsum habe die Lebenssituation des Angeklagten erheblich geprägt und beeinflusst." Dieser befinde sich "seit Jahrzehnten in den Stadien einer Drogenbindung und Drogenkonditionierung." Bei ihm sei aufgrund von "Epilepsieanfällen bei Benzodiazepinentzug … von einer Hirnschädigung auszugehen." Zudem bestehe bei ihm "ein erhebliches persönliches Strukturdefizit" (UA S. 50).
8
Der Widerspruch entzieht der Feststellung einer Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB die Grundlage. Über die Verhängung dieser Maßregel ist neu zu entscheiden. Der Wegfall der Unterbringung nach § 64 StGB führt dazu, dass auch über die Frage einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden muss (s. oben 1.).
9
3. Sollte der neue Tatrichter nach Beratung durch einen - sinnvollerweise anderen - Sachverständigen (vgl. § 246 a StPO) erneut zur Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB kommen, wird er zu prüfen haben, ob auch die Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Diese sind vom Landgericht bislang nicht ausdrücklich festgestellt worden, indes - wie ausgeführt - naheliegend. Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt würde ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzen, dass allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (BGH NStZ 2000, 587 [1 StR 263/00]; 2007, 328 [3 StR 360/06]; NStZ-RR 2008, 336 [4 StR 152/08]). Dabei werden nicht nur die vielfachen Therapieabbrüche in der Vergangenheit (nach den bisherigen Feststellungen mindestens acht), sondern auch der Umstand zu beachten sein, dass der Angeklagte, soweit dies im Urteil mitgeteilt wird, auch mehrfach wegen anderer, mit seiner Polytoxikomanie nicht erkennbar in Zusammenhang stehender Straftaten verurteilt worden und es deswegen als möglich erscheint, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch von Umständen jenseits seiner Sucht ausgeht.
10
Sofern erneut eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB zu treffen sein wird, verweist der Senat insoweit auf die Gründe seines heutigen, auf die Revision des Angeklagten ergangenen Beschlusses.
Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 392/12
vom
13. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Dr. Berger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung und
bei der Verkündung,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. Februar 2012 aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung entfällt. Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der gerichtlichen Auslagen des ersten Revisionsverfahrens und der hier entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last, ebenso die gesamten gerichtlichen Auslagen der Neuverhandlung vor dem Landgericht und des zweiten Revisionsverfahrens sowie die gesamten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten zunächst durch Urteil vom 29. März 2011 wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen (Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012,

212).


2
Das Landgericht hat nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs erneut die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten war der im Tatzeitraum 46jährige Angeklagte, der seit Geburt an einer schweren ConterganSchädigung an Armen, Händen und einem Fuß leidet, seit 2006 Nutzer eines sog. Filesharing-Netzwerks. Über dieses Netzwerk lud er Bild- und Videodateien aus dem Internet herunter, die sexuelle Handlungen an und mit Kindern wiedergaben. Spätestens seit Oktober 2008 verwandte er für das Herunterladen der Dateien und deren Speicherung auf seinem Computer eine Software, durch die von ihrem Nutzer in bestimmten Ordnern gespeicherte Dateien zum Herunterladen durch alle anderen Netzwerknutzer freigegeben wurden. Durch die Verwendung dieses Programms stellte der Angeklagte jeweils mit Zustandekommen der Internetverbindung seines Computers in der Zeit vom 14. Oktober bis zum 3. November 2008 an 21 Tagen allen bei dem Netzwerk angemeldeten Nutzern eine Videodatei zum Herunterladen zur Verfügung, die den sexuellen Missbrauch eines ca. acht- bis zehnjährigen Mädchens durch einen erwachsenen Mann zeigte. Am 20. Januar 2009 stellte er den Netzwerknutzern neben einer Reihe anderer Filmdateien mit kinderpornographischem Inhalt die Datei eines Videofilms zur Verfügung, auf dem ein ca. zehnjähriges Mädchen beim Oralverkehr mit einem erwachsenen Mann zu sehen war. Außerdem besaß der Angeklagte Bildund Filmmaterial mit kinderpornographischem Inhalt im Umfang von mehreren hunderttausend Dateien auf mehreren Speichermedien, die bei einer Durchsuchung am 20. Januar 2009 bei ihm sichergestellt wurden.
4
2. Das Landgericht hat neben den formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB aF auch die materiellen Voraussetzungen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als erfüllt angesehen. Es hat einen auf der Pädophilie des Angeklagten beruhenden Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten angenommen. Von dem Angeklagten sei auch in Zukunft ernsthaft die Begehung von Delikten zu erwarten, die in den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) bzw. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a StGB) fielen. Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht zunächst die vier früheren Verurteilungen des Angeklagten wegen (teilweise auch schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern - erstmals 1979, zuletzt 1999 - und die danach erfolgte Verlagerung strafbaren Verhaltens in den Bereich des Besitzes und des Verbreitens von Kinderpornographie berücksichtigt, die als Abschwächung der Deliktsintensität zu sehen sei. Mit dem Sachverständigen ist das Landgericht hinsichtlich solcher Missbrauchsdelikte bei Tätern, die - wie der Angeklagte - bereits mit "hands-on-Delikten" aufgefallen seien und in der Folge Kinderpornographie konsumiert hätten, von einem mittelgradigen Rückfallrisiko von 40% bis 50% ausgegangen. Dieses Rückfallrisiko erfahre bei dem Angeklagten aufgrund seiner körperlichen Beschwerden eine gewisse Absenkung, die nicht zu beziffern sei. Neben dem Konsum von Kinderpornographie, der mit einer ständigen Konfrontation mit dem Thema Pädophilie verbunden und durch Entbehrung unmittelbaren sexuellen Kontakts gekennzeichnet sei, sei ausschlaggebend als risikoerhöhend zu werten, dass der Angeklagte in den vergangenen Jahren stets den Kontakt zu Kindern gesucht habe, den Kontakt zu Kindern als risikolos empfinde und weder Einsicht in die Notwendigkeit ihm angeratener Vermeidungsstrategien noch in die Schädigung von Kindern auch durch nicht gewaltsame sexuelle Übergriffe zeige.

II.

5
Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
6
1. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) dürfen die - an sich verfassungswidrigen - gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Dies stellt gegenüber der früheren Rechtsanwendung höhere Anforderungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, sondern auch an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 1 StR 57/12; Senat, Beschluss vom26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141; Senat, Urteil vom 18. Juli 2012 – 2 StR 605/11). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 u. vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11).
7
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von einem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. "hands-on-Delikte" ausgeht, ohne mit diesem wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret zu erwartende Sexualdelinquenz näher zu beschreiben. Damit legt das Landgericht nicht dar, welche Straftaten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere Zeit zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige (UA S. 7). Neue Umstände , welche die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
8
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
Becker Fischer Appl Berger Ott
5 StR 620/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 19. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. August 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen – unter Freispruch im Übrigen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen nahm der vielfach, indes nicht wegen Sexualdelikten vorbestrafte Angeklagte seit dem Sommer 1995 bis zum 14. Geburtstag der Geschädigten im Juni 2004 in zahlreichen Fällen vaginalen Geschlechtsverkehr an seiner Stieftochter A. vor. Die Strafkammer vermochte insoweit lediglich vier Taten mit der notwendigen Bestimmtheit festzustellen, unter anderem die erste Tat (Durchführung vaginalen Geschlechtsverkehrs an dem damals fünfjährigen, vor Schmerzen schreienden Mädchen). Nachdem es im Jahr 2005 zur Trennung von seiner – schonzu Beginn der Missbrauchstaten – alkoholkranken Ehefrau gekommen war, lebte der Angeklagte mehrere Jahre ohne feste Partnerschaft. Im September 2010 ging er eine Beziehung mit S. ein, die den Angeklagten häufiger in dessen Wohnung besuchte und mit ihren beiden Kindern dort übernachtete. In der bis zum Einzug in eine gemeinsame Doppelhaushälfte im Juli 2011 währenden Zeit der besuchsweisen Aufenthalte kam es zu drei sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf die damals neunjährige Tochter seiner Partnerin, die Nebenklägerin Sc. (Reiben seines Geschlechtsteils am unbedeckten Geschlechtsteil des Kindes ; Massieren des Geschlechtsteils des Kindes; Masturbieren bis zum Samenerguss vor dem Kind).
3
Das sachverständig beratene Landgericht hat „definitiv festgestellt, dass der Angeklagte zur Zeit als gefährlich für die Allgemeinheit zu gelten hat, da jederzeit bei ähnlichen Fallkonstellationen damit zu rechnen ist, dass er sich sexuell wieder an Kindern vergreift“ (UA S. 26). Es sei nach Auffas- sung des Sachverständigen indes „sehr gut möglich“, dass sich die Sozialprognose nach einer sozialtherapeutischen Behandlung deutlich bessere, so dass „heute noch nicht gesagt werden könne, ob der Angeklagte zum Entlassungszeitpunkt tatsächlich noch gefährlich sein werde“(UA S. 27). Ge- stützt auf diese Erwägungen, hat das Landgericht die Sicherungsverwahrung vorbehalten.
4
2. Der Ausspruch über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Mangels Beschwer des Angeklagten kommt es hierfür zwar nicht darauf an, dass auf der Grundlage der auf den Urteilszeitpunkt bezogenen Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188) anstelle des Vorbehalts der Sicherungsver- wahrung unter Umständen sogar deren Anordnung in Frage kam. Jedoch darf auch der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung wegen deren derzeit noch verfassungswidriger Ausgestaltung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 405 f.) nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angeordnet werden (vgl. auch BVerfG NJW 2012, 3357 Rn. 137). Den danach zu stellenden Anforderungen genügt die sehr knappe Begründung im Urteil nicht.
5
a) Das Landgericht ist – angesichts fehlender näherer zeitlicher Einordnung der Taten zum Nachteil der Nebenklägerin Sc. im Tatzeitraum im Ergebnis rechtsfehlerfrei (vgl. Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB) – bei dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung von der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung des § 66a StGB ausgegangen. Es hat indes nicht das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB geprüft, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Voraussetzung auch des Ausspruchs eines Vorbehalts nach § 66a StGB aF ist (vgl. BGH aaO; zu § 66a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 3 StGB nF, vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 15, 25 ff.). Dies hat angesichts der strengen Bedingungen , die an die Anwendung der Vorschrift derzeit zu stellen sind, grundsätzlich durch das Tatgericht ausdrücklich zu geschehen. Insoweit möglicherweise relevante Ausführungen im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung schaffen keinen Ersatz.
6
b) Das Landgericht hat es zudem unterlassen, eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den Maßstäben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchzuführen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1, und vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11; Urteile vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692, und vom 25. September 2012 – 1 StR 160/12, jeweils mwN).
7
Für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bedarf es dafür einer erheblichen, naheliegenden Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Sexualstraftaten, die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Angeklagten ableitbar sein muss. Dass das Landgericht dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit „definitiv festgestellt“ hat, ersetzt die danach erforderliche Prüfung der konkreten Umstände des Falles nicht. Das Landgericht hätte sich hier insbesondere damit auseinandersetzen müssen , dass zwischen der ersten und der zweiten Tatserie eine erhebliche zeit- liche Lücke klafft. In dieser Zeit hat der Angeklagte „ohne feste Beziehung“ gelebt. Inwieweit er danach strebt, Beziehungskonstellationen zum Zweck des Kindesmissbrauchs aktiv herzustellen, oder ob er lediglich sich ergebende Gelegenheiten nutzt, ist für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Sexualstraftaten jedenfalls nicht ohne Bedeutung. In diesem Zusammenhang fehlt auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Taten zum Nachteil der Nebenklägerin Sc. gegenüber denjenigen zum Nachteil der Nebenklägerin A. von vergleichsweise geringerem Gewicht sind und der Angeklagte – soweit ersichtlich – nach Einzug mit seiner Lebensgefährtin und ihren Kindern in das gemeinsam bewohnte Haus bis zur Aufdeckung der Taten im Januar 2012 keine sexuellen Übergriffe zulasten der Nebenklägerin Sc. mehr begangen hat.
8
3. Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bedarf daher erneuter tatgerichtlicher Prüfung auf der Grundlage insoweit neu zu treffender Feststellungen. An der Anordnung vorbehaltloser Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB ist das neue Tatgericht durch das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) gehindert.
Basdorf Sander Schneider Dölp König

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
______________________

a) Die Erwartung des Tatgerichts, der Angeklagte werde Rauschgift portionsweise
nur an erwachsene und schon betäubungsmittelabhängige Abnehmer veräußern,
steht der Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegen.

b) Das Absehen von der Anordnung von Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die
angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert ein hohes Maß
an prognostischer Sicherheit. Die hinreichend konkrete Aussicht eines Therapieerfolgs
reicht hierfür nicht ohne weiteres aus.
BGH, Urt. vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00 - LG Freiburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 263/00
vom
27. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Granderath
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Becker,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 11. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Der Angeklagte hat innerhalb von knapp zwei Wochen im Juli 1999 in der Schweiz dreimal je 50 g Heroin erworben. Zweimal führte er das Rauschgift in die Bundesrepublik ein. Hier erhielten je vier Abnehmer, die im Voraus bezahlt hatten, jeweils 5 g, von den jeweils verbliebenen 30 g verkaufte der Angeklagte die Hälfte gewinnbringend in kleinen Portionen an namentlich bekannte Abnehmer, den Rest konsumierte er selbst. Im dritten Fall vernichtete er das Rauschgift, mit dem er wieder in gleicher Weise vorgehen wollte, noch in der Schweiz, da er bemerkt hatte, daß er polizeilich observiert wurde.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen verurteilte die Strafkammer den 46 Jahre alten, rauschgiftabhängigen Angeklagten, der wegen einschlägiger Vorverurteilungen zwischen 1973 und Ende 1998 über 17 Jahre Strafe verbüßt
hat, wegen drei Fällen des (gewerbsmäßigen) unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (Einzelstrafen: zweimal zwei Jahre, einmal ein Jahr und drei Monate) und ordnete gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat die Strafkammer abgesehen. Dabei geht sie zutreffend davon aus, daß sowohl die formalen Voraussetzungen des insoweit vorrangigen § 66 Abs. 1 StGB als auch die von § 66 Abs. 2 und 3 vorliegen. Gleichwohl komme Sicherungsverwahrung schon deshalb nicht in Betracht, weil die vom Angeklagten zu erwartenden künftigen Straftaten nicht erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB seien. Darüber hinaus stehe auch § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer Anordnung von Sicherungsverwahrung im Wege.
Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft , die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt ist, hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Annahme fehlender Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründet die Strafkammer wie folgt:
Bei der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte gebe es keine unmittelbar Geschädigten, geschütztes Rechtsgut sei die Volksgesundheit. Soweit künftige Verkäufe des Angeklagten zu erwarten seien, sei damit zu rechnen, daß sich
der Angeklagte, ebenso wie bisher, an Abnehmer wenden werde, die "erwachsen und betäubungsmittelabhängig" seien. Ob eine Einfuhr von Betäubungsmitteln in ungewöhnlich großen Mengen oder eine wiederholte Abgabe an Kinder oder Jugendliche eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, könne offen bleiben, da damit beim Angeklagten nicht zu rechnen sei.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar hat der Tatrichter bei der Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender künftiger Straftaten einen nur begrenzter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielraum (vgl. BGH JZ 1980, 532; BGH wistra 1988, 22, 23), hier geht die Strafkammer jedoch in mehrfacher Hinsicht von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz aus:
(1) Schon die Annahme, daß geschütztes Rechtsgut bei die Abgabe von Betäubungsmitteln betreffenden Delikten nicht auch die Gesundheit der Empfänger sei, trifft nicht zu. Mag auch der Schutz der Volksgesundheit vorrangig sein, so sollen die einschlägigen Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes jedenfalls auch Leben und Gesundheit individuell Betroffener schützen (vgl. BVerfGE 90, 145, 174; BGHSt 37, 179, 182; Weber BtMG § 1 Rdn. 3, 4).
(2) Im übrigen stünde aber auch die Annahme, geschützt sei allein die Volksgesundheit, unter keinem rechtlichen Aspekt der Anordnung von Sicherungsverwahrung entgegen. Mit dem Hinweis auf dieses Rechtsgut ist gemeint, daß durch die Strafbarkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln Schäden vorgebeugt werden soll, die sich für die Allgemeinheit aus dem Drogenkonsum und den daraus herrührenden physischen und psychischen Schäden einzelner er-
geben (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Allerdings können bei Abgabe von Betäubungsmitteln vielfach weder in jedem einzelnen Fall der Empfänger noch die Auswirkungen, die gerade eine bestimmte Abgabe auf ihn hatte, festgestellt werden. Daß gerade durch diese konkreten (zu erwartenden) Taten schwere Folgen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB eintreten, ist jedoch nicht erforderlich. Die "namentlich-Klausel" dieser Bestimmung schließt die Anordnung von Sicherungsverwahrung in derartigen Fällen nicht aus. Auch die allgemeine und abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage der Anordnung von Sicherungsverwahrung sein (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 143, 103).

b) Daß Delikte der vorliegenden Art, die sowohl Leben und Gesundheit einzelner als auch die Volksgesundheit beeinträchtigen, in aller Regel als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sind, bedarf keiner näheren Begründung. Ob unter ganz besonderen Umständen Ausnahmen hiervon vorstellbar sind, mag offen bleiben, da jedenfalls hier Anhaltspunkte für eine derartige Ausnahme nicht ersichtlich sind:
(1) Schon die Vielzahl und die rasche Abfolge der auf planmäßige Wiederholung angelegten Taten spricht ebenso wie die hohe Rückfallgeschwindigkeit gegen eine solche Ausnahme (vgl. Hanack aaO Rdn. 108 m.w.N.).
(2) Ohne Belang ist demgegenüber, daß nach der Einschätzung der Strafkammer der Angeklagte voraussichtlich nur an erwachsene Abnehmer verkaufen wird. Damit soll offenbar auf den Aspekt der Selbstgefährdung abgestellt sein. Bei der Beurteilung der Abgabe von Rauschgift als gefährlich ist dieser Gesichtspunkt jedoch denknotwendig eingeschlossen. Er kann daher - unbeschadet von Besonderheiten, die sich hinsichtlich einer gleichzeitigen Beja-
hung von Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten ergeben können - weder zur Normeinschränkung herangezogen werden (vgl. hierzu BGHSt aaO; Senatsurteil vom 11. April 2000 -1 StR 638/99-, zur Veröffentlichung bestimmt, jew. m.w.N.), noch kann er zu einer Einschränkung des Erheblichkeitsbegriffs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB führen.
(3) Der von der Strafkammer zusätzlich herangezogene Gesichtspunkt, daß die potentiellen Abnehmer nicht nur erwachsen, sondern ohnehin schon rauschgiftabhängig sind, vermag daran ebenfalls nichts zu ändern. Abgesehen davon, daß sich der physische und psychische Zustand von Rauschgiftabhängigen durch fortschreitenden Konsum erfahrungsgemäß immer weiter verschlechtert , hat die Öffentlichkeit die gerade durch diesen Personenkreis verursachten erheblichen sozialen Folgen der Rauschgiftabhängigkeit wie etwa Beschaffungskriminalität zu tragen (vgl. BGHSt 38, 339, 344).
(4) Auch aus dem von der Strafkammer angesprochenen Gesichtspunkt, daß nicht mit der Abgabe von ungewöhnlich großen Mengen von Rauschgift durch den Angeklagten zu rechnen sei, können sich keine für ihn günstigen Folgen ergeben. Einen Rechtssatz, wonach nur die Abgabe derartiger Mengen als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sei, gibt es nicht. Es gelten hier keine anderen Grundsätze als bei der Beurteilung der Frage, ob wirtschaftliche Schäden im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB erheblich sind. Auch insoweit sind außergewöhnlich hohe Schäden nicht erforderlich (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 1). Ob es Mengen geben kann, die zwar einerseits als "nicht geringe" Mengen im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes anzusehen sind, andererseits aber doch so gering sind, daß schon allein deshalb ihre Abgabe nicht als erheblich im Sinne
des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bewerten ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die vom Angeklagten erworbenen und vorgefaßter Absicht gemäß überwiegend weitergegebenen oder jedenfalls zur Abgabe bestimmten Mengen sind auch unter Berücksichtigung des zum Eigenverbrauch verwendeten oder bestimmten Anteils erheblich zu groß, als daß eine derartige Ausnahme erwogen werden könnte. Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte werde künftig nur noch mit wesentlich geringeren Mengen Handel treiben als bisher, sind nicht ersichtlich.
2. Trotz der nach alledem unzutreffenden Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Taten wäre die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung im Ergebnis gleichwohl nicht zu beanstanden, wenn (aus der Sicht der Strafkammer : auch) wegen der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung kein Raum wäre. Dies war jedoch zu verneinen.

a) Unbeschadet der an sich zulässigen Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung hatte der Senat unter den gegebenen Umständen zunächst zu prüfen, ob die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhält. Dies ist der Fall:
Sachverständig beraten hat die Strafkammer neben den sonstigen Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch die erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht dieser Maßregel (vgl. BVerfGE 91, 1) ohne durchgreifenden Rechtsfehler bejaht. Allerdings hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang auch festgestellt, daß der Angeklagte im November
1992 - ob er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befand, etwa wegen einer "letztlich" insgesamt vollstreckten Verurteilung vom 3. April 1991 (wegen einschlägiger Delikte und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz) zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe, ergeben die Urteilsgründe nicht - "einen Therapieversuch ... nach wenigen Tagen abgebrochen" hat. Eine "weitere Therapiemöglichkeit" - Näheres ist hierzu nicht mitgeteilt - "nahm er gar nicht erst wahr". Die Strafkammer hält dies im Hinblick auf die sich daraus ergebende fehlende Therapieerfahrung des Angeklagten für "günstige Faktoren", ohne sich ausdrücklich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dieses Verhalten des Angeklagten nicht auch gegen die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten spricht. Therapiebereitschaft ist jedoch keine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (BGH NStZ-RR 1997, 34, 35). Ihr Fehlen ist aber offensichtlich auch kein günstiger Faktor, sondern kann im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung ein gegen die Erfolgsaussichten sprechendes Indiz sein (vgl. BGH NStZ 1996, 274; Lackner /Kühl, StGB 23. Aufl. § 64 Rdn. 1 m.w.N.). Mit den genannten, allerdings mißverständlichen Erwägungen wollte die Strafkammer jedoch nur zum Ausdruck bringen, daß bisher längerfristige Therapieversuche noch nicht gescheitert sind, was gegen die Erfolgsaussichten spräche. Zugleich ergibt jedenfalls eine Gesamtschau der eingehenden Erwägungen der Strafkammer mit hinlänglicher Klarheit, daß die genannten Umstände nach der maßgeblichen Überzeugung der Strafkammer die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten letztlich nicht in Frage stellen können.
Gegen eine Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt könnten demgegenüber nach Auffassung der Strafkammer das schon fortgeschrittene Alter des Angeklagten und seine langjährige Drogenabhängigkeit
sprechen. Insgesamt kommt die Strafkammer aber zu dem Ergebnis, "die prognostisch negativen Umstände (seien) nicht von so hohem Gewicht, daß sie das Scheitern einer Therapie von vornherein wahrscheinlich machen würden".
Diese Bewertung, die die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt , liegt insgesamt im Rahmen des - weiten - tatrichterlichen Beurteilungsspielraums bei Prognoseentscheidungen (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9 m.w.N.) und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

b) Auf der Grundlage des von ihr in diesem Sinne prognostizierten Erfolgs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält die Strafkammer die zusätzliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (auch) gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für unzulässig, da sowohl die bisherigen als auch die zu erwartenden Straftaten des Angeklagten ausschließlich mit seiner Rauschgiftsucht zusammenhängen. Würde er durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von seiner Rauschgiftsucht befreit, sei mit weiteren Straftaten nicht mehr zu rechnen. Dieser Ansatz ist an sich rechtlich zutreffend (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 291), legt jedoch keinen zutreffenden Prognosemaßstab an. Liegen die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung an sich vor, so ist ein hohes Maß an Gewißheit erforderlich, um hiervon im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gleichwohl abzusehen. Dies ergibt sich schon aus einer Zusammenschau der einschlägigen vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen :
Einerseits könnte die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vollstreckungsverfahren auch im Falle der Erfolglosigkeit der Anordnung
einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht nachgeholt werden, da § 67a Abs. 2 StGB für diesen Fall weder nach seinem Wortlaut noch analog anwendbar ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 90;Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 67a Rdn. 3). Andererseits könnte, wie die Revisionsführerin zutreffend dargelegt hat, gemäß § 72 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 StGB nach einem Erfolg der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung abgesehen werden.
An die erforderliche Sicherheit einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB, die ein Absehen von einer an sich gebotenen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt, können daher keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an die Sicherheit einer Prognose, wonach im Hinblick auf künftige Entwicklungen vom Wegfall einer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch bestehenden Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen werden kann (vgl. hierzu BGH Urteil vom 7. April 1999 - 2 StR 440/98-, insoweit in BGH NStZ 1999, 423 nicht abgedruckt; BGH NStZ 1985, 261; w. N. b. Lackner/Kühl aaO § 66 Rdn. 15). Allein daraus, daß die Unterbringung in der Entziehungsanstalt entgegen dem Wortlaut von § 64 Abs. 2 StGB nicht nur nicht von vornherein aussichtslos sein darf, sondern, wie es hier der Fall ist, hinreichend konkrete Erfolgsaussichten haben muß (vgl. BVerfGE aaO), ergibt sich dieses Maß an Sicherheit jedenfalls nicht zwingend. Allerdings reichen allein die jeder Prognoseentscheidung - zumal über den Erfolg einer Therapie eines langjährig Drogenabhängigen - immanenten Möglichkeiten einer anderen als der erwarteten Entwicklung nicht aus, das erforderliche Maß an Sicherheit zu verneinen. Hier hat die Strafkammer jedoch konkrete Umstände von Gewicht festgestellt, die gegen den Erfolg einer Unterbringung in einer Entzie-
hungsanstalt sprechen können. Der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehen sie (nur) deshalb nicht im Wege, weil sie das Scheitern einer Therapie gleichwohl nicht "von vornherein wahrscheinlich" machen. Dieses erkennbar verminderte Maß an Sicherheit steht zwar - wie dargelegt - nicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wohl aber einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen.
Bei dieser Sachlage verbleibt es bei dem Grundsatz, daß Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen (vgl. BGH GA 1965, 342; BGH Beschluß vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 464/99; Hanack aaO § 72 Rdn. 18).
Da die Strafkammer demgegenüber davon ausgegangen ist, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehe hier der Anordnung von Sicherungsverwahrung zwingend im Wege, bedarf die Sache insoweit neuer tatrichterlicher Würdigung.
3. Bei einer Urteilsaufhebung wegen einer nicht rechtsfehlerfrei unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung kann im Einzelfall auch der Strafausspruch zugunsten des Angeklagten aufzuheben sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Falle der Anordnung von Sicherungsverwahrung eine geringere Strafe verhängt worden wäre (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1 m.w.N.). Hier hat die Strafkammer die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB ausdrücklich bejaht, nachdem sie die beiden gewichtigeren Straftaten jeweils mit der insoweit erforderlichen Mindeststrafe von zwei Jahren geahndet hat. Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit einer
Auswirkung der unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung auf den Strafausspruch insgesamt zu verneinen.
Granderath Nack Wahl Kolz Becker

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 443/05
vom
6. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung - zu Ziff. 1 a) auf
Antrag - des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 6. Dezember 2005 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 14. Juni 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass in den Fällen II. 1 bis 6 die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen entfällt ,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 1 bis 6) sowie wegen Vergewaltigung (Fall 7) unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung , gestützt auf § 66 Abs. 1 StGB, angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. In den Fällen II. 1 bis 6 der Urteilsgründe unterliegt der Schuldspruch der Änderung dahin, dass der Angeklagte jeweils allein des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig ist. Die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) muss entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist für § 174 Abs. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die Taten im Jahr 1996 (Fall I. 1), beziehungsweise zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten nach dem 17. Mai 1997 und vor dem 17. Mai 2000 (Fälle II. 2 bis 6). Die erste verjährungsunterbrechende Handlung - die Anordnung der Durchsuchung (§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) - erfolgte am 16. November 2004. Da in den Fällen II. 2 bis 6 nach dem Zweifelsgrundsatz von der zeitlich frühest denkbaren Tatbegehung ausgegangen werden muss (18. Mai 1997) waren sämtliche Verstöße gegen § 174 StGB im Zeitpunkt der verjährungsunterbrechenden Handlung verjährt. Durch den mit dem Sexualdelikts-ÄndG vom 27. Dezember 2003 neu gefassten § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB, in welchem nunmehr bestimmt ist, dass auch bei Straftaten nach § 174 StGB die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruht, hat sich an dieser Rechtslage für den vorliegenden Fall nichts geändert, weil zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 1. April 2004 bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten war (vgl. BGH NStZ 2005, 89).
4
2. Die Bemessung der Strafen hält in sämtlichen Fällen sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
5
a) Bereits wegen der Änderung des Schuldspruchs müssen die in den Fällen II. 1 bis 6 ausgeworfenen Einzelstrafen neu bemessen werden. Der Senat kann nicht völlig ausschließen, dass sich der Fehler hier in der Strafzumessung ausgewirkt hat, auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die strafschärfende Berücksichtigung verjährter Taten in eingeschränktem Maße möglich ist.
6
b) Darüber hinaus weisen die Ausführungen zur Strafzumessung in den Fällen II. 2 bis 5 einen weiteren Rechtsfehler auf.
7
Das Landgericht hat in diesen Fällen zu Lasten des Angeklagten entscheidend darauf abgestellt, dass das Tatopfer bei Begehung der Taten "noch sehr jung", nämlich erst elf Jahre alt war (UA 53). Es ist dabei davon ausgegangen , dass sich die Taten nach dem 17. Mai 1997 (dem 11. Geburtstag des geschädigten Mädchens), jedoch vor dem 26. Januar 1998 ereigneten. Die Feststellungen zum Ende des Tatzeitraums hat das Landgericht mit Blick auf die Wahl des Strafrahmens aus § 176 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F. auf Grund einer Wertung zu Gunsten des Angeklagten getroffen (UA 47). Es hat dabei verkannt , dass sich diese Anwendung des Zweifelssatzes bei der Strafzumessung im engeren Sinne, nämlich bei der Berechnung des Alters des Tatopfers, zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Insoweit hätte es deshalb einer erneuten Anwendung des Zweifelssatzes dahin bedurft, dass der Angeklagte, was dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden kann, die Taten (jedenfalls) vor dem 17. Mai 2000 beging, das Tatopfer also bei Begehung der Taten möglicherweise bereits unmittelbar vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres stand. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich in den Fällen II. 2 bis 5 auch dieser Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
8
c) Die im Fall II. 7 wegen Vergewaltigung verhängte (Einsatz-)Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil nicht auszuschließen ist, dass die Bemessung dieser Strafe von den aufzuhebenden Strafen in den Fällen II. 1 bis 6 beeinflusst worden ist. Im Übrigen begegnet die Strafzumessung in diesem Fall auch insoweit rechtlichen Bedenken, als das Landgericht in den Urteilsgründen nicht erörtert hat, ob trotz Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ausnahmsweise der Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zu Grunde zu legen ist. Eine entsprechende Erörterung hätte sich hier aufgedrängt, da nach den Feststellungen zu den Gesamtumständen der Tat das Maß der körperlichen Zwangseinwirkung auf das Opfer im untersten Bereich dessen lag, was das Gesetz in § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Nötigung mit Gewalt unter Strafe stellt.
9
3. Mit der Aufhebung der Einzelstrafen entfällt der Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung.
10
4. Zur Frage der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:
11
Sollte der neue Tatrichter ebenfalls zu der Feststellung gelangen, dass der Angeklagte alkoholabhängig ist und sich seine Alkoholisierung bei Begehung der Taten jedenfalls bei der Intensität der Tatausführung auswirkte (UA 49, 54), wird er unter Berücksichtigung der früheren Straftaten zu erörtern haben, ob die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie- hungsanstalt nach § 64 StGB in Betracht kommt. Der bei § 64 StGB geforderte symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zu übermäßigem Alkoholgenuss und der Tat sowie der zukünftigen Gefährlichkeit kann - entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung - auch dann vorliegen, wenn ein evident gewordener Hang lediglich Einfluss auf die Qualität der bisherigen Straftaten hatte und ihm ein solcher Einfluss auch auf die künftigen zu befürchtenden Straftaten zukommen kann (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang , symptomatischer 1).
12
Sollten sich in der neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen für Unterbringungsanordnungen sowohl nach § 64 StGB als auch nach § 66 StGB ergeben, wird der Tatrichter zu prüfen haben, ob ausnahmsweise ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt (vgl. BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 5).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
______________________

a) Die Erwartung des Tatgerichts, der Angeklagte werde Rauschgift portionsweise
nur an erwachsene und schon betäubungsmittelabhängige Abnehmer veräußern,
steht der Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegen.

b) Das Absehen von der Anordnung von Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die
angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert ein hohes Maß
an prognostischer Sicherheit. Die hinreichend konkrete Aussicht eines Therapieerfolgs
reicht hierfür nicht ohne weiteres aus.
BGH, Urt. vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00 - LG Freiburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 263/00
vom
27. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Granderath
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Becker,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 11. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Der Angeklagte hat innerhalb von knapp zwei Wochen im Juli 1999 in der Schweiz dreimal je 50 g Heroin erworben. Zweimal führte er das Rauschgift in die Bundesrepublik ein. Hier erhielten je vier Abnehmer, die im Voraus bezahlt hatten, jeweils 5 g, von den jeweils verbliebenen 30 g verkaufte der Angeklagte die Hälfte gewinnbringend in kleinen Portionen an namentlich bekannte Abnehmer, den Rest konsumierte er selbst. Im dritten Fall vernichtete er das Rauschgift, mit dem er wieder in gleicher Weise vorgehen wollte, noch in der Schweiz, da er bemerkt hatte, daß er polizeilich observiert wurde.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen verurteilte die Strafkammer den 46 Jahre alten, rauschgiftabhängigen Angeklagten, der wegen einschlägiger Vorverurteilungen zwischen 1973 und Ende 1998 über 17 Jahre Strafe verbüßt
hat, wegen drei Fällen des (gewerbsmäßigen) unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (Einzelstrafen: zweimal zwei Jahre, einmal ein Jahr und drei Monate) und ordnete gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat die Strafkammer abgesehen. Dabei geht sie zutreffend davon aus, daß sowohl die formalen Voraussetzungen des insoweit vorrangigen § 66 Abs. 1 StGB als auch die von § 66 Abs. 2 und 3 vorliegen. Gleichwohl komme Sicherungsverwahrung schon deshalb nicht in Betracht, weil die vom Angeklagten zu erwartenden künftigen Straftaten nicht erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB seien. Darüber hinaus stehe auch § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer Anordnung von Sicherungsverwahrung im Wege.
Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft , die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt ist, hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Annahme fehlender Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründet die Strafkammer wie folgt:
Bei der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte gebe es keine unmittelbar Geschädigten, geschütztes Rechtsgut sei die Volksgesundheit. Soweit künftige Verkäufe des Angeklagten zu erwarten seien, sei damit zu rechnen, daß sich
der Angeklagte, ebenso wie bisher, an Abnehmer wenden werde, die "erwachsen und betäubungsmittelabhängig" seien. Ob eine Einfuhr von Betäubungsmitteln in ungewöhnlich großen Mengen oder eine wiederholte Abgabe an Kinder oder Jugendliche eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, könne offen bleiben, da damit beim Angeklagten nicht zu rechnen sei.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar hat der Tatrichter bei der Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender künftiger Straftaten einen nur begrenzter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielraum (vgl. BGH JZ 1980, 532; BGH wistra 1988, 22, 23), hier geht die Strafkammer jedoch in mehrfacher Hinsicht von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz aus:
(1) Schon die Annahme, daß geschütztes Rechtsgut bei die Abgabe von Betäubungsmitteln betreffenden Delikten nicht auch die Gesundheit der Empfänger sei, trifft nicht zu. Mag auch der Schutz der Volksgesundheit vorrangig sein, so sollen die einschlägigen Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes jedenfalls auch Leben und Gesundheit individuell Betroffener schützen (vgl. BVerfGE 90, 145, 174; BGHSt 37, 179, 182; Weber BtMG § 1 Rdn. 3, 4).
(2) Im übrigen stünde aber auch die Annahme, geschützt sei allein die Volksgesundheit, unter keinem rechtlichen Aspekt der Anordnung von Sicherungsverwahrung entgegen. Mit dem Hinweis auf dieses Rechtsgut ist gemeint, daß durch die Strafbarkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln Schäden vorgebeugt werden soll, die sich für die Allgemeinheit aus dem Drogenkonsum und den daraus herrührenden physischen und psychischen Schäden einzelner er-
geben (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Allerdings können bei Abgabe von Betäubungsmitteln vielfach weder in jedem einzelnen Fall der Empfänger noch die Auswirkungen, die gerade eine bestimmte Abgabe auf ihn hatte, festgestellt werden. Daß gerade durch diese konkreten (zu erwartenden) Taten schwere Folgen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB eintreten, ist jedoch nicht erforderlich. Die "namentlich-Klausel" dieser Bestimmung schließt die Anordnung von Sicherungsverwahrung in derartigen Fällen nicht aus. Auch die allgemeine und abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage der Anordnung von Sicherungsverwahrung sein (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 143, 103).

b) Daß Delikte der vorliegenden Art, die sowohl Leben und Gesundheit einzelner als auch die Volksgesundheit beeinträchtigen, in aller Regel als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sind, bedarf keiner näheren Begründung. Ob unter ganz besonderen Umständen Ausnahmen hiervon vorstellbar sind, mag offen bleiben, da jedenfalls hier Anhaltspunkte für eine derartige Ausnahme nicht ersichtlich sind:
(1) Schon die Vielzahl und die rasche Abfolge der auf planmäßige Wiederholung angelegten Taten spricht ebenso wie die hohe Rückfallgeschwindigkeit gegen eine solche Ausnahme (vgl. Hanack aaO Rdn. 108 m.w.N.).
(2) Ohne Belang ist demgegenüber, daß nach der Einschätzung der Strafkammer der Angeklagte voraussichtlich nur an erwachsene Abnehmer verkaufen wird. Damit soll offenbar auf den Aspekt der Selbstgefährdung abgestellt sein. Bei der Beurteilung der Abgabe von Rauschgift als gefährlich ist dieser Gesichtspunkt jedoch denknotwendig eingeschlossen. Er kann daher - unbeschadet von Besonderheiten, die sich hinsichtlich einer gleichzeitigen Beja-
hung von Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten ergeben können - weder zur Normeinschränkung herangezogen werden (vgl. hierzu BGHSt aaO; Senatsurteil vom 11. April 2000 -1 StR 638/99-, zur Veröffentlichung bestimmt, jew. m.w.N.), noch kann er zu einer Einschränkung des Erheblichkeitsbegriffs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB führen.
(3) Der von der Strafkammer zusätzlich herangezogene Gesichtspunkt, daß die potentiellen Abnehmer nicht nur erwachsen, sondern ohnehin schon rauschgiftabhängig sind, vermag daran ebenfalls nichts zu ändern. Abgesehen davon, daß sich der physische und psychische Zustand von Rauschgiftabhängigen durch fortschreitenden Konsum erfahrungsgemäß immer weiter verschlechtert , hat die Öffentlichkeit die gerade durch diesen Personenkreis verursachten erheblichen sozialen Folgen der Rauschgiftabhängigkeit wie etwa Beschaffungskriminalität zu tragen (vgl. BGHSt 38, 339, 344).
(4) Auch aus dem von der Strafkammer angesprochenen Gesichtspunkt, daß nicht mit der Abgabe von ungewöhnlich großen Mengen von Rauschgift durch den Angeklagten zu rechnen sei, können sich keine für ihn günstigen Folgen ergeben. Einen Rechtssatz, wonach nur die Abgabe derartiger Mengen als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sei, gibt es nicht. Es gelten hier keine anderen Grundsätze als bei der Beurteilung der Frage, ob wirtschaftliche Schäden im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB erheblich sind. Auch insoweit sind außergewöhnlich hohe Schäden nicht erforderlich (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 1). Ob es Mengen geben kann, die zwar einerseits als "nicht geringe" Mengen im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes anzusehen sind, andererseits aber doch so gering sind, daß schon allein deshalb ihre Abgabe nicht als erheblich im Sinne
des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bewerten ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die vom Angeklagten erworbenen und vorgefaßter Absicht gemäß überwiegend weitergegebenen oder jedenfalls zur Abgabe bestimmten Mengen sind auch unter Berücksichtigung des zum Eigenverbrauch verwendeten oder bestimmten Anteils erheblich zu groß, als daß eine derartige Ausnahme erwogen werden könnte. Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte werde künftig nur noch mit wesentlich geringeren Mengen Handel treiben als bisher, sind nicht ersichtlich.
2. Trotz der nach alledem unzutreffenden Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Taten wäre die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung im Ergebnis gleichwohl nicht zu beanstanden, wenn (aus der Sicht der Strafkammer : auch) wegen der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung kein Raum wäre. Dies war jedoch zu verneinen.

a) Unbeschadet der an sich zulässigen Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung hatte der Senat unter den gegebenen Umständen zunächst zu prüfen, ob die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhält. Dies ist der Fall:
Sachverständig beraten hat die Strafkammer neben den sonstigen Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch die erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht dieser Maßregel (vgl. BVerfGE 91, 1) ohne durchgreifenden Rechtsfehler bejaht. Allerdings hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang auch festgestellt, daß der Angeklagte im November
1992 - ob er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befand, etwa wegen einer "letztlich" insgesamt vollstreckten Verurteilung vom 3. April 1991 (wegen einschlägiger Delikte und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz) zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe, ergeben die Urteilsgründe nicht - "einen Therapieversuch ... nach wenigen Tagen abgebrochen" hat. Eine "weitere Therapiemöglichkeit" - Näheres ist hierzu nicht mitgeteilt - "nahm er gar nicht erst wahr". Die Strafkammer hält dies im Hinblick auf die sich daraus ergebende fehlende Therapieerfahrung des Angeklagten für "günstige Faktoren", ohne sich ausdrücklich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dieses Verhalten des Angeklagten nicht auch gegen die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten spricht. Therapiebereitschaft ist jedoch keine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (BGH NStZ-RR 1997, 34, 35). Ihr Fehlen ist aber offensichtlich auch kein günstiger Faktor, sondern kann im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung ein gegen die Erfolgsaussichten sprechendes Indiz sein (vgl. BGH NStZ 1996, 274; Lackner /Kühl, StGB 23. Aufl. § 64 Rdn. 1 m.w.N.). Mit den genannten, allerdings mißverständlichen Erwägungen wollte die Strafkammer jedoch nur zum Ausdruck bringen, daß bisher längerfristige Therapieversuche noch nicht gescheitert sind, was gegen die Erfolgsaussichten spräche. Zugleich ergibt jedenfalls eine Gesamtschau der eingehenden Erwägungen der Strafkammer mit hinlänglicher Klarheit, daß die genannten Umstände nach der maßgeblichen Überzeugung der Strafkammer die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten letztlich nicht in Frage stellen können.
Gegen eine Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt könnten demgegenüber nach Auffassung der Strafkammer das schon fortgeschrittene Alter des Angeklagten und seine langjährige Drogenabhängigkeit
sprechen. Insgesamt kommt die Strafkammer aber zu dem Ergebnis, "die prognostisch negativen Umstände (seien) nicht von so hohem Gewicht, daß sie das Scheitern einer Therapie von vornherein wahrscheinlich machen würden".
Diese Bewertung, die die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt , liegt insgesamt im Rahmen des - weiten - tatrichterlichen Beurteilungsspielraums bei Prognoseentscheidungen (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9 m.w.N.) und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

b) Auf der Grundlage des von ihr in diesem Sinne prognostizierten Erfolgs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält die Strafkammer die zusätzliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (auch) gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für unzulässig, da sowohl die bisherigen als auch die zu erwartenden Straftaten des Angeklagten ausschließlich mit seiner Rauschgiftsucht zusammenhängen. Würde er durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von seiner Rauschgiftsucht befreit, sei mit weiteren Straftaten nicht mehr zu rechnen. Dieser Ansatz ist an sich rechtlich zutreffend (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 291), legt jedoch keinen zutreffenden Prognosemaßstab an. Liegen die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung an sich vor, so ist ein hohes Maß an Gewißheit erforderlich, um hiervon im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gleichwohl abzusehen. Dies ergibt sich schon aus einer Zusammenschau der einschlägigen vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen :
Einerseits könnte die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vollstreckungsverfahren auch im Falle der Erfolglosigkeit der Anordnung
einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht nachgeholt werden, da § 67a Abs. 2 StGB für diesen Fall weder nach seinem Wortlaut noch analog anwendbar ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 90;Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 67a Rdn. 3). Andererseits könnte, wie die Revisionsführerin zutreffend dargelegt hat, gemäß § 72 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 StGB nach einem Erfolg der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung abgesehen werden.
An die erforderliche Sicherheit einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB, die ein Absehen von einer an sich gebotenen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt, können daher keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an die Sicherheit einer Prognose, wonach im Hinblick auf künftige Entwicklungen vom Wegfall einer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch bestehenden Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen werden kann (vgl. hierzu BGH Urteil vom 7. April 1999 - 2 StR 440/98-, insoweit in BGH NStZ 1999, 423 nicht abgedruckt; BGH NStZ 1985, 261; w. N. b. Lackner/Kühl aaO § 66 Rdn. 15). Allein daraus, daß die Unterbringung in der Entziehungsanstalt entgegen dem Wortlaut von § 64 Abs. 2 StGB nicht nur nicht von vornherein aussichtslos sein darf, sondern, wie es hier der Fall ist, hinreichend konkrete Erfolgsaussichten haben muß (vgl. BVerfGE aaO), ergibt sich dieses Maß an Sicherheit jedenfalls nicht zwingend. Allerdings reichen allein die jeder Prognoseentscheidung - zumal über den Erfolg einer Therapie eines langjährig Drogenabhängigen - immanenten Möglichkeiten einer anderen als der erwarteten Entwicklung nicht aus, das erforderliche Maß an Sicherheit zu verneinen. Hier hat die Strafkammer jedoch konkrete Umstände von Gewicht festgestellt, die gegen den Erfolg einer Unterbringung in einer Entzie-
hungsanstalt sprechen können. Der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehen sie (nur) deshalb nicht im Wege, weil sie das Scheitern einer Therapie gleichwohl nicht "von vornherein wahrscheinlich" machen. Dieses erkennbar verminderte Maß an Sicherheit steht zwar - wie dargelegt - nicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wohl aber einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen.
Bei dieser Sachlage verbleibt es bei dem Grundsatz, daß Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen (vgl. BGH GA 1965, 342; BGH Beschluß vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 464/99; Hanack aaO § 72 Rdn. 18).
Da die Strafkammer demgegenüber davon ausgegangen ist, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehe hier der Anordnung von Sicherungsverwahrung zwingend im Wege, bedarf die Sache insoweit neuer tatrichterlicher Würdigung.
3. Bei einer Urteilsaufhebung wegen einer nicht rechtsfehlerfrei unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung kann im Einzelfall auch der Strafausspruch zugunsten des Angeklagten aufzuheben sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Falle der Anordnung von Sicherungsverwahrung eine geringere Strafe verhängt worden wäre (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1 m.w.N.). Hier hat die Strafkammer die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB ausdrücklich bejaht, nachdem sie die beiden gewichtigeren Straftaten jeweils mit der insoweit erforderlichen Mindeststrafe von zwei Jahren geahndet hat. Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit einer
Auswirkung der unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung auf den Strafausspruch insgesamt zu verneinen.
Granderath Nack Wahl Kolz Becker

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 569/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
der Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 16. Juni 2008 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, auch soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten H. in der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Jahre Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revision gegen das Urteil, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfältig suchtkranke Angeklagte im November 2007 einen Überfall auf eine Apotheke, um Benzodiazepine zu erlangen. Unter Vorhalt einer geladenen Gaspistole erzwang er die Herausgabe von Medikamenten. Anfang Dezember 2007 überfiel er zusammen mit seiner ebenfalls drogenabhängigen Lebensgefährtin, der Mitangeklagten S. , einen ihnen bekannten Drogenhändler in dessen Wohnung. Sie wollten ihm gewaltsam Heroin wegnehmen. Um den Widerstand des ihnen körperlich überlegenen Opfers auszuschalten, nahmen sie ein Messer mit, mit dem der Angeklagte dem ahnungslosen Opfer unmittelbar nach Betreten der Wohnung unvermittelt in die Brust stach und dabei dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Obwohl durch einen Stich in die Herzgegend lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Überfallenen, dem Angeklagten das Messer zu entwinden, worauf beide Angeklagte flüchteten.
3
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei dem Raub aus Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen sowie bei dem Mordversuch wegen einer akuten Intoxikation erheblich vermindert war. Es hat deshalb einen minder schweren Fall des Raubes angenommen und eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren sowie wegen des Mordversuchs aus dem zweifach gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gebildet.
4
Wegen des Hangs des Angeklagten zum Betäubungsmittelmissbrauch, auf dem die verfahrensgegenständlichen Taten beruhen und der mit allergrößter , nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu weiteren erheblichen Taten des Angeklagten führen wird, hat das Landgericht die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) angeordnet. Deren Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) hat es angesichts der Therapiemotivation des Angeklagten als günstig angesehen.
5
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Hinblick auf § 72 Abs. 1 StGB abgelehnt und dies damit begründet, dass nach den Ausführungen des gehörten Sachverständigen, denen es sich angeschlossen hat, "mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen" sei, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt sei ausreichend, um die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr zu beseitigen. Dass der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Therapien auf der Grundlage von § 35 BtMG abgebrochen habe, stehe dem nicht entgegen, da diese nicht unter Rahmenbedingungen stattfänden, die für eine erfolgreiche Behandlung des Angeklagten erforderlich seien. Die Möglichkeit, eine Therapie leicht und jederzeit abzubrechen, bestehe bei einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht.
6
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung ist unwirksam. Vorliegend kann die Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB nicht getrennt von derjenigen nach § 64 StGB geprüft werden, denn nach den Gründen des angefochtenen Urteils liegt es mehr als nahe, dass allein die vom Landgericht angenommene hohe Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs der Unterbringung nach § 64 StGB der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten entgegenstand. Die Revision erfasst deshalb den Maßregelausspruch insgesamt. Darüber hinaus bestehen gegen die Beschränkung indes keine Rechtsbedenken; denn eine Abhängigkeit der Strafhöhe vom Maßregelausspruch ist hier zu verneinen (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1).
7
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist nur zulässig, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Erfolgsaussicht auf den gehörten Sachverständigen gestützt. Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte sei in der Lage, "eine Therapie mit der Zielsetzung einer dauerhaft abstinenten Lebensführung oder zumindest in Bezug auf Suchtmittelkonsum streng kontrollierten Lebensführung unter Vermeidung eines unkontrollierten und anhaltenden Suchtmittelkonsums zu bewältigen". Er sei "nicht intellektuell beeinträchtigt und weise, abgesehen von seiner Sucht, keine persönlichen Strukturdefizite entsprechend einer Persönlichkeitsveränderung auf" (UA S. 59 f.). Dies widerspricht den Darlegungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt des Mordversuchs. Insoweit hat das Landgericht - ebenfalls den Darlegungen des Sachverständigen folgend - ausgeführt, die Polytoxikomanie des Angeklagten habe zu einer "Persönlichkeitsveränderung" geführt. Der "langjährige Drogenkonsum habe die Lebenssituation des Angeklagten erheblich geprägt und beeinflusst." Dieser befinde sich "seit Jahrzehnten in den Stadien einer Drogenbindung und Drogenkonditionierung." Bei ihm sei aufgrund von "Epilepsieanfällen bei Benzodiazepinentzug … von einer Hirnschädigung auszugehen." Zudem bestehe bei ihm "ein erhebliches persönliches Strukturdefizit" (UA S. 50).
8
Der Widerspruch entzieht der Feststellung einer Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB die Grundlage. Über die Verhängung dieser Maßregel ist neu zu entscheiden. Der Wegfall der Unterbringung nach § 64 StGB führt dazu, dass auch über die Frage einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden muss (s. oben 1.).
9
3. Sollte der neue Tatrichter nach Beratung durch einen - sinnvollerweise anderen - Sachverständigen (vgl. § 246 a StPO) erneut zur Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB kommen, wird er zu prüfen haben, ob auch die Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Diese sind vom Landgericht bislang nicht ausdrücklich festgestellt worden, indes - wie ausgeführt - naheliegend. Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt würde ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzen, dass allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (BGH NStZ 2000, 587 [1 StR 263/00]; 2007, 328 [3 StR 360/06]; NStZ-RR 2008, 336 [4 StR 152/08]). Dabei werden nicht nur die vielfachen Therapieabbrüche in der Vergangenheit (nach den bisherigen Feststellungen mindestens acht), sondern auch der Umstand zu beachten sein, dass der Angeklagte, soweit dies im Urteil mitgeteilt wird, auch mehrfach wegen anderer, mit seiner Polytoxikomanie nicht erkennbar in Zusammenhang stehender Straftaten verurteilt worden und es deswegen als möglich erscheint, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch von Umständen jenseits seiner Sucht ausgeht.
10
Sofern erneut eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB zu treffen sein wird, verweist der Senat insoweit auf die Gründe seines heutigen, auf die Revision des Angeklagten ergangenen Beschlusses.
Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 140/11
vom
15. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Juni
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 25. Oktober 2010, soweit es den Angeklagten K. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist,
b) zu Gunsten des Angeklagten hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den mehrfach und auch einschlägig vorbestraften Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet, hat mit der Sachrüge Erfolg; sie führt zugleich zur Aufhebung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt sowie des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es am frühen Abend des 17. Mai 2010 zu einem Treffen des Nebenklägers mit der Verlobten des Angeklagten K. in deren Wohnung. Hintergrund waren ausstehende Zahlungen in Höhe von 1.500,- € für vorausgegangene Drogenlieferungen des Nebenklägers , der nicht damit rechnete, dort auf andere Personen zu treffen. Tatsächlich waren außerdem der Angeklagte K. und der Zeuge Ke. anwesend , die beide untereinander verabredet hatten, den Nebenkläger durch Gewalt einzuschüchtern.
3
Nachdem die Verlobte des Angeklagten K. die Tür geöffnet und auf Nachfrage bestätigt hatte, dass sie allein in der Wohnung sei, betrat der Nebenkläger die Wohnung und folgte ihr über den Flur in Richtung Wohnzimmer. Auf der Schwelle zur Wohnstube stand plötzlich der Zeuge Ke. , der ohne Ankündigung dem Nebenkläger einen Schlag ins Gesicht versetzte. Sodann trat der Angeklagte K. hinzu, der ein Messer in der Hand hielt. Der Zeuge Ke. schlug auf Aufforderung des Angeklagten weiter auf den Nebenkläger ein, der versuchte, in Richtung Wohnungstür zu entkommen. Beim Versuch der Flucht wurde der Nebenkläger von dem Angeklagten niedergestochen , der ihm mehrere Messerstiche in Arm, Hüfte und Wade versetzte. Der Nebenkläger, der stark blutete, wurde auf Anweisung des Angeklagten vom Zeugen Ke. notdürftig verbunden und durfte sodann die Wohnung verlassen. Er fuhr zur notfallmäßigen Versorgung selbst ins Krankenhaus. Dort wurden u.a. Schädelprellungen und mehrere offene Wunden an Oberarm, Ober- schenkel, Wade und rechter Hand festgestellt. Die Verletzungen sind, abgesehen von der Stichverletzung am Arm, die zu einer Durchtrennung des Nervs und zu einer andauernden Bewegungseinschränkung der linken Hand geführt hat, komplikationslos verheilt.
4
2. Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StPO) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und zur Begründung ausgeführt, es liege bei dem seit mehr als 25 Jahren drogenabhängigen Angeklagten ein Hang vor, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen; insbesondere das von ihm regelmäßig konsumierte Testosteron erhöhe die Aggressivität des Angeklagten enorm. Es bestehe so die Gefahr, dass er infolge seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Der Angeklagte verfüge über Krankheitseinsicht und Therapiemotivation, so dass vorliegend die Unterbringung nach § 64 StGB anzuordnen sei.
5
Von einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat die Kammer abgesehen. Zwar habe der Angeklagte ohne eine erfolgreiche Therapie eine ungünstige Sozialprognose. Es habe bisher jedoch keine Therapieversuche beim krankheitseinsichtigen Angeklagten gegeben, so dass begründete Aussicht bestehe, dass der von ihm ausgehenden Gefahr durch die Anordnung der Maßnahme nach § 64 StGB begegnet werden könne. Gemäß § 72 Abs. 1 StGB sei für eine zusätzliche Anordnung von § 66 StGB kein Raum. Allein die Tatsache, dass zusätzlich auch eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorhanden sei, die ebenfalls eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründe , lasse den Vorrang von § 64 StGB nicht entfallen.

II.

6
Die Nichtanordnung einer Sicherungsverwahrung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand; dies führt zugleich zu Gunsten des Angeklagten zur Aufhebung der Anordnung nach § 64 StGB sowie des Strafausspruchs.
7
1. Eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung sowie den Maßregelausspruch nach § 64 StGB ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht erfolgt. Insbesondere die Unterbringung in der Entziehungsanstalt ist regelmäßig nicht losgelöst vom Strafausspruch überprüfbar. Der Hang, i.S.v. § 64 StGB alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, stellt zugleich eine Betäubungsmittelabhängigkeit dar, die – auch wenn sie nicht zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB führt – einen bestimmenden Strafzumessungsgrund darstellt, der Einfluss auf den Strafausspruch hat. Dieser innere Zusammenhang lässt eine gleichwohl erteilte Rechtsmittelbeschränkung unbeachtlich sein.
8
2. Die Begründung, mit der das Landgericht mit Blick auf die von ihm verhängte Maßregel nach § 64 StGB von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die begründete Aussicht allein, dass der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr schon durch die Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB und eine erfolgreiche Therapie begegnet werden könne, rechtfertigt auch angesichts des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemäß § 72 StGB nicht den Verzicht auf eine zusätzliche Maßnahme nach § 66 StGB.
9
Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in der Entziehungsanstalt verlangt vielmehr ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit, dass allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ 2009, 442, 443 mwN). Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel führen demnach zur kumulativen Anordnung der Maßregeln (BGH NStZ-RR 2008, 336). Die danach für einen Verzicht auf die Anordnung nach § 66 StGB erforderliche Überzeugung lässt sich der landgerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen. Hinreichende, das erforderliche Maß an Überzeugung begründende Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seine vielfältigen Drogenabhängigkeiten mit Hilfe einer Therapie wirksam bekämpfen könne , benennt das Landgericht nicht. Allein der Umstand, dass er sich noch nicht einer Therapie unterzogen hat, reicht hierfür noch nicht aus; hierdurch wird lediglich belegt, dass überhaupt eine Erfolgsaussicht besteht, nicht aber, mit welcher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist.
10
Die zur Entscheidung berufene Kammer wird sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das angesichts der Verfassungswidrigkeit des Rechts der Sicherungsverwahrung deren Anordnung von einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig macht und dabei in der Regel eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten an konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen verlangt (BVerfG NJW 2011, 1931, 1946), mit dieser Frage erneut befassen müssen. Sie hat dabei unter sachverständiger Hilfe auch zu prüfen, welche Gefahren von der festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgehen und ob und in welchem Umfang diese im Rahmen der angestrebten Therapie gegebenenfalls auch reduziert werden können. Im Hinblick auf die Therapiebereitschaft des Angeklagten und den möglichen Grad der Erfolgsaussicht einer solchen Behandlung könnte bei Annahme der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen im Übrigen auch zu prüfen sein, ob eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) in Betracht kommt (vgl. BGH NStZ 2007, 464).
11
3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zu Gunsten des Angeklagten zur Aufhebung der Anordnung nach § 64 StGB und auch des Strafausspruchs.
12
a) Das Landgericht hat bei seinem Maßregelausspruch nicht hinreichend dargetan, dass die Tat, wegen der der Angeklagte verurteilt worden ist, tatsächlich auf den Hang zurückgeht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die Kammer begnügt sich mit dem allgemeinen Hinweis auf eine Äußerung des Sachverständigen, zwischen dem festgestellten Hang, Amphetamine , Crystal und Testosteron zu sich zu nehmen, und "seinen Delikten" sei ein sicherer Zusammenhang anzunehmen. Ob das auch für die jetzt abgeurteilte Tat gilt, stellt das Landgericht nicht ausdrücklich fest. Dies ergibt sich auch nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Kammer davon ausgeht, dass das am Morgen des Tattags konsumierte 1 Gramm Crystal in seiner Wirkung bereits im Laufe des Nachmittags nachgelassen habe. Darüber hinaus fehlen Ausführungen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Testosteron, ein Sexualhormon, das im Bodybuilding und im Kraftsport zum Muskelaufbau eingesetzt wird, überhaupt ein "berauschendes Mittel" sein kann, dessen übermäßige Zusichnahme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB berechtigen könnte.
13
b) Auch der Strafausspruch ist nicht frei von Rechtsfehlern zu Lasten des Angeklagten. Die Kammer ist im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 64 StGB vom Vorliegen einer Suchterkrankung und auch vom Gegebensein einer Symptomtat ausgegangen. Dass sie darin - insoweit dem Sachverständigen folgend - eine schwere seelische Abartigkeit erkannt hat, die allerdings nicht zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt habe, ist zwar nicht zu beanstanden.
14
Wäre die Tat allerdings - wovon das Landgericht ausgegangen ist - Folge einer Betäubungsmittelabhängigkeit, hätte es - auch wenn die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht vorgelegen hätten - nahe gelegen, die Suchterkrankung des Angeklagten als bestimmenden Strafzumessungsgrund bei der Festsetzung der Strafe zu berücksichtigen. Insoweit war auch der Strafausspruch aufzuheben, da nicht zu erkennen ist, ob die Kammer diesen Umstand bei ihrer Strafzumessung berücksichtigt hat, und im Übrigen auch nicht auszuschließen ist, dass die Strafe bei möglicher Anordnung von Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre. Der neue Tatrichter erhält so auf der Grundlage aktueller gutachterlicher Einschätzung Gelegenheit , die Rechtsfolgen insgesamt neu festzusetzen. Fischer Appl Berger Krehl Eschelbach

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 152/08
vom
31. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 115fachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, zum Teil in nicht geringer Menge, und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Ent- ziehungsanstalt angeordnet, wobei ein Jahr und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Außerdem hat es eine Sperre von vier Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, den Verfall von Wertersatz in Höhe von 39.510 Euro und die Einziehung des Pkw des Angeklagten angeordnet.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beanstandet "vor allem" die Strafzumessung des Landgerichts sowie die Verfalls- und Einziehungsentscheidung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil insgesamt im Rechtsfolgenausspruch an und rügt mit der Sachbeschwerde, dass neben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht auch seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.

I.


3
Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der nunmehr 60jährige, seit seinem 15. Lebensjahr straffällig gewordene Angeklagte, der bereits mehr als 18 Jahre an Haft verbüßt hatte, im Zeitraum von Juni 2006 bis Juni 2007 einen umfangreichen Handel mit Heroin betrieben. Als er am 14. Juni 2007 - ohne Fahrerlaubnis - in seinem Pkw ca. 450 g Heroingemisch und knapp 10 g Kokain aus den Niederlanden nach Deutschland verbrachte, wurde er festgenommen.

II.


4
Revision der Staatsanwaltschaft
5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg.
6
Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB bejaht. Daneben hat es festgestellt , dass auch die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB vorliegen. Der Angeklagte sei ein "Hangtäter"; von ihm seien - nach drei Vorverurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Jahren 1978, 2003 und 2005 zu insgesamt fast zehn Jahren Freiheitsstrafe - "prognostisch weitere Straftaten nach dem BtMG zu erwarten" (UA 25). Die Strafkammer meint jedoch, die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erscheine als die im Verhältnis zur Sicherungsverwahrung mildere und noch ausreichende Maßregel, weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" Erfolg haben werde (UA 26).
7
Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie berücksichtigt nicht, dass das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ein hohes Maßan prognostischer Sicherheit voraussetzt, dass mit der Unterbringung die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ 2007, 328; Fischer StGB 55. Aufl. § 72 Rdn. 2a m.w.N.). Das Landgericht hat aber festgestellt, dass die Drogenabhängigkeit des Angeklagten "nur verhältnismäßig schwach ausgeprägt" ist (UA 14) und er mit dem Rauschgifthandel zum großen Teil seinen Lebensunterhalt bestritten hat (UA 17). Da er nach den Feststellungen spätestens nach seiner Entlassung aus einer auf Grund des Urteils aus dem Jahre 2005 erfolgten stationären Therapiemaßnahme nach § 35 Abs. 1 BtMG im Juni 2006 sogleich bereit war, sich in neue umfangreiche Betäubungsmittelgeschäfte einzulassen, und er den Betäubungsmittelhandel auch während der anschließenden ambulanten Therapie fortsetzte, liegt es nicht fern zu folgern, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht allein ausreichen wird, die Allgemeingefährlichkeit des Angeklagten zu beseitigen. Bei einer solchen Sachlage verbleibt es bei dem Grundsatz, dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung der Maßregeln führen muss (vgl. BGH NStZ 2000, 587, 589; StV 2007, 633, 634).

III.


8
Revision des Angeklagten
9
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
10
Der auf dem Geständnis des Angeklagten beruhende Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch für die Rechtsfolgenentscheidung der Strafkammer. Hierzu ist im Hinblick auf das Revisionsvorbringen lediglich zu bemerken:
11
Das Landgericht hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) erörtert. Insbesondere hat es das bereits vorgerückte Alter des Angeklagten und damit seine Haftempfindlichkeit strafmildernd berücksichtigt und gesehen, dass im Fall III 116 das im observierten Pkw des An- geklagten befindliche Rauschgift sichergestellt wurde (UA 13 f., 16 f., 19). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer - entgegen der Auffassung der Revision - durchaus Feststellungen getroffen; denn im Urteil ist u.a. ausgeführt, dass der Angeklagte seinen Finanzbedarf zu einem erheblichen Teil aus dem Handel mit Heroin deckte (UA 18), er den nunmehr eingezogenen Pkw bar bezahlt hat (UA 11) und dass sein Konto bei der Postbank ein Guthaben von über 7.800 Euro aufwies (UA 14 f.). Die Beanstandung des Beschwerdeführers, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sein Gesundheitszustand auf Grund mehrerer Leiden im orthopädischen Bereich "nicht der beste (sei)“, ist zum einen urteilsfremd und daher auf die Sachrüge nicht zu berücksichtigen , zum anderen wäre eine entsprechende Feststellung auch kein gesondert zu erörternder bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt gewesen.
12
Die Verfalls- und die Einziehungsanordnung weisen ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Insbesondere hat das Landgericht die Vorschrift des § 73 c StGB nicht übersehen (UA 20) und bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt, dass die Einziehung des Pkw, der einen Zeitwert von etwa 7.500 Euro hat (UA 15), den Angeklagten belastet (UA 17).

IV.


13
Das Urteil muss daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben werden, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist. Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung nicht berührt, weil auszuschließen ist, dass die Strafen von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB beeinflusst sind (vgl. BGH NStZ 2007, 212, 213 m.w.N.).
14
Der neu entscheidende Tatrichter wird nunmehr - sachverständig beraten - in einer umfassenden Gesamtwürdigung zu prüfen haben, ob durch die bereits angeordnete Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Gewissheit besteht, dass allein hierdurch die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 569/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
der Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 16. Juni 2008 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, auch soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten H. in der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Jahre Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revision gegen das Urteil, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfältig suchtkranke Angeklagte im November 2007 einen Überfall auf eine Apotheke, um Benzodiazepine zu erlangen. Unter Vorhalt einer geladenen Gaspistole erzwang er die Herausgabe von Medikamenten. Anfang Dezember 2007 überfiel er zusammen mit seiner ebenfalls drogenabhängigen Lebensgefährtin, der Mitangeklagten S. , einen ihnen bekannten Drogenhändler in dessen Wohnung. Sie wollten ihm gewaltsam Heroin wegnehmen. Um den Widerstand des ihnen körperlich überlegenen Opfers auszuschalten, nahmen sie ein Messer mit, mit dem der Angeklagte dem ahnungslosen Opfer unmittelbar nach Betreten der Wohnung unvermittelt in die Brust stach und dabei dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Obwohl durch einen Stich in die Herzgegend lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Überfallenen, dem Angeklagten das Messer zu entwinden, worauf beide Angeklagte flüchteten.
3
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei dem Raub aus Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen sowie bei dem Mordversuch wegen einer akuten Intoxikation erheblich vermindert war. Es hat deshalb einen minder schweren Fall des Raubes angenommen und eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren sowie wegen des Mordversuchs aus dem zweifach gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gebildet.
4
Wegen des Hangs des Angeklagten zum Betäubungsmittelmissbrauch, auf dem die verfahrensgegenständlichen Taten beruhen und der mit allergrößter , nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu weiteren erheblichen Taten des Angeklagten führen wird, hat das Landgericht die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) angeordnet. Deren Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) hat es angesichts der Therapiemotivation des Angeklagten als günstig angesehen.
5
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Hinblick auf § 72 Abs. 1 StGB abgelehnt und dies damit begründet, dass nach den Ausführungen des gehörten Sachverständigen, denen es sich angeschlossen hat, "mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen" sei, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt sei ausreichend, um die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr zu beseitigen. Dass der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Therapien auf der Grundlage von § 35 BtMG abgebrochen habe, stehe dem nicht entgegen, da diese nicht unter Rahmenbedingungen stattfänden, die für eine erfolgreiche Behandlung des Angeklagten erforderlich seien. Die Möglichkeit, eine Therapie leicht und jederzeit abzubrechen, bestehe bei einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht.
6
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung ist unwirksam. Vorliegend kann die Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB nicht getrennt von derjenigen nach § 64 StGB geprüft werden, denn nach den Gründen des angefochtenen Urteils liegt es mehr als nahe, dass allein die vom Landgericht angenommene hohe Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs der Unterbringung nach § 64 StGB der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten entgegenstand. Die Revision erfasst deshalb den Maßregelausspruch insgesamt. Darüber hinaus bestehen gegen die Beschränkung indes keine Rechtsbedenken; denn eine Abhängigkeit der Strafhöhe vom Maßregelausspruch ist hier zu verneinen (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1).
7
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist nur zulässig, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Erfolgsaussicht auf den gehörten Sachverständigen gestützt. Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte sei in der Lage, "eine Therapie mit der Zielsetzung einer dauerhaft abstinenten Lebensführung oder zumindest in Bezug auf Suchtmittelkonsum streng kontrollierten Lebensführung unter Vermeidung eines unkontrollierten und anhaltenden Suchtmittelkonsums zu bewältigen". Er sei "nicht intellektuell beeinträchtigt und weise, abgesehen von seiner Sucht, keine persönlichen Strukturdefizite entsprechend einer Persönlichkeitsveränderung auf" (UA S. 59 f.). Dies widerspricht den Darlegungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt des Mordversuchs. Insoweit hat das Landgericht - ebenfalls den Darlegungen des Sachverständigen folgend - ausgeführt, die Polytoxikomanie des Angeklagten habe zu einer "Persönlichkeitsveränderung" geführt. Der "langjährige Drogenkonsum habe die Lebenssituation des Angeklagten erheblich geprägt und beeinflusst." Dieser befinde sich "seit Jahrzehnten in den Stadien einer Drogenbindung und Drogenkonditionierung." Bei ihm sei aufgrund von "Epilepsieanfällen bei Benzodiazepinentzug … von einer Hirnschädigung auszugehen." Zudem bestehe bei ihm "ein erhebliches persönliches Strukturdefizit" (UA S. 50).
8
Der Widerspruch entzieht der Feststellung einer Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB die Grundlage. Über die Verhängung dieser Maßregel ist neu zu entscheiden. Der Wegfall der Unterbringung nach § 64 StGB führt dazu, dass auch über die Frage einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden muss (s. oben 1.).
9
3. Sollte der neue Tatrichter nach Beratung durch einen - sinnvollerweise anderen - Sachverständigen (vgl. § 246 a StPO) erneut zur Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB kommen, wird er zu prüfen haben, ob auch die Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Diese sind vom Landgericht bislang nicht ausdrücklich festgestellt worden, indes - wie ausgeführt - naheliegend. Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt würde ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzen, dass allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (BGH NStZ 2000, 587 [1 StR 263/00]; 2007, 328 [3 StR 360/06]; NStZ-RR 2008, 336 [4 StR 152/08]). Dabei werden nicht nur die vielfachen Therapieabbrüche in der Vergangenheit (nach den bisherigen Feststellungen mindestens acht), sondern auch der Umstand zu beachten sein, dass der Angeklagte, soweit dies im Urteil mitgeteilt wird, auch mehrfach wegen anderer, mit seiner Polytoxikomanie nicht erkennbar in Zusammenhang stehender Straftaten verurteilt worden und es deswegen als möglich erscheint, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch von Umständen jenseits seiner Sucht ausgeht.
10
Sofern erneut eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB zu treffen sein wird, verweist der Senat insoweit auf die Gründe seines heutigen, auf die Revision des Angeklagten ergangenen Beschlusses.
Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 152/08
vom
31. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 115fachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, zum Teil in nicht geringer Menge, und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Ent- ziehungsanstalt angeordnet, wobei ein Jahr und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Außerdem hat es eine Sperre von vier Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, den Verfall von Wertersatz in Höhe von 39.510 Euro und die Einziehung des Pkw des Angeklagten angeordnet.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beanstandet "vor allem" die Strafzumessung des Landgerichts sowie die Verfalls- und Einziehungsentscheidung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil insgesamt im Rechtsfolgenausspruch an und rügt mit der Sachbeschwerde, dass neben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht auch seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.

I.


3
Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der nunmehr 60jährige, seit seinem 15. Lebensjahr straffällig gewordene Angeklagte, der bereits mehr als 18 Jahre an Haft verbüßt hatte, im Zeitraum von Juni 2006 bis Juni 2007 einen umfangreichen Handel mit Heroin betrieben. Als er am 14. Juni 2007 - ohne Fahrerlaubnis - in seinem Pkw ca. 450 g Heroingemisch und knapp 10 g Kokain aus den Niederlanden nach Deutschland verbrachte, wurde er festgenommen.

II.


4
Revision der Staatsanwaltschaft
5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg.
6
Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB bejaht. Daneben hat es festgestellt , dass auch die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB vorliegen. Der Angeklagte sei ein "Hangtäter"; von ihm seien - nach drei Vorverurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Jahren 1978, 2003 und 2005 zu insgesamt fast zehn Jahren Freiheitsstrafe - "prognostisch weitere Straftaten nach dem BtMG zu erwarten" (UA 25). Die Strafkammer meint jedoch, die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erscheine als die im Verhältnis zur Sicherungsverwahrung mildere und noch ausreichende Maßregel, weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" Erfolg haben werde (UA 26).
7
Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie berücksichtigt nicht, dass das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ein hohes Maßan prognostischer Sicherheit voraussetzt, dass mit der Unterbringung die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ 2007, 328; Fischer StGB 55. Aufl. § 72 Rdn. 2a m.w.N.). Das Landgericht hat aber festgestellt, dass die Drogenabhängigkeit des Angeklagten "nur verhältnismäßig schwach ausgeprägt" ist (UA 14) und er mit dem Rauschgifthandel zum großen Teil seinen Lebensunterhalt bestritten hat (UA 17). Da er nach den Feststellungen spätestens nach seiner Entlassung aus einer auf Grund des Urteils aus dem Jahre 2005 erfolgten stationären Therapiemaßnahme nach § 35 Abs. 1 BtMG im Juni 2006 sogleich bereit war, sich in neue umfangreiche Betäubungsmittelgeschäfte einzulassen, und er den Betäubungsmittelhandel auch während der anschließenden ambulanten Therapie fortsetzte, liegt es nicht fern zu folgern, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht allein ausreichen wird, die Allgemeingefährlichkeit des Angeklagten zu beseitigen. Bei einer solchen Sachlage verbleibt es bei dem Grundsatz, dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung der Maßregeln führen muss (vgl. BGH NStZ 2000, 587, 589; StV 2007, 633, 634).

III.


8
Revision des Angeklagten
9
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
10
Der auf dem Geständnis des Angeklagten beruhende Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch für die Rechtsfolgenentscheidung der Strafkammer. Hierzu ist im Hinblick auf das Revisionsvorbringen lediglich zu bemerken:
11
Das Landgericht hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) erörtert. Insbesondere hat es das bereits vorgerückte Alter des Angeklagten und damit seine Haftempfindlichkeit strafmildernd berücksichtigt und gesehen, dass im Fall III 116 das im observierten Pkw des An- geklagten befindliche Rauschgift sichergestellt wurde (UA 13 f., 16 f., 19). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer - entgegen der Auffassung der Revision - durchaus Feststellungen getroffen; denn im Urteil ist u.a. ausgeführt, dass der Angeklagte seinen Finanzbedarf zu einem erheblichen Teil aus dem Handel mit Heroin deckte (UA 18), er den nunmehr eingezogenen Pkw bar bezahlt hat (UA 11) und dass sein Konto bei der Postbank ein Guthaben von über 7.800 Euro aufwies (UA 14 f.). Die Beanstandung des Beschwerdeführers, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sein Gesundheitszustand auf Grund mehrerer Leiden im orthopädischen Bereich "nicht der beste (sei)“, ist zum einen urteilsfremd und daher auf die Sachrüge nicht zu berücksichtigen , zum anderen wäre eine entsprechende Feststellung auch kein gesondert zu erörternder bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt gewesen.
12
Die Verfalls- und die Einziehungsanordnung weisen ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Insbesondere hat das Landgericht die Vorschrift des § 73 c StGB nicht übersehen (UA 20) und bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt, dass die Einziehung des Pkw, der einen Zeitwert von etwa 7.500 Euro hat (UA 15), den Angeklagten belastet (UA 17).

IV.


13
Das Urteil muss daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben werden, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist. Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung nicht berührt, weil auszuschließen ist, dass die Strafen von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB beeinflusst sind (vgl. BGH NStZ 2007, 212, 213 m.w.N.).
14
Der neu entscheidende Tatrichter wird nunmehr - sachverständig beraten - in einer umfassenden Gesamtwürdigung zu prüfen haben, ob durch die bereits angeordnete Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Gewissheit besteht, dass allein hierdurch die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 374/11
vom
20. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
20. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 21. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit
a) die Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist,
b) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte gegen den Angeklagten am 23. April 2010 wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt und ihn unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2006 verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hatte es bestimmt, dass wegen der überlangen Verfahrensdauer sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 oder § 66 StGB hatte es abgesehen. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat dieses Urteil im Strafausspruch und soweit die Strafkammer von der Anordnung einer Maßregel abgesehen hatte auf (Senatsbeschluss vom 25. November 2010 - 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78). Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen der verfahrensgegenständlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen weitgehenden Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die Begründung, mit welcher das Landgericht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat für die am 7. Mai 2003 begangene verfahrensgegenständliche Tat eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für tat- und schuldangemessen erachtet. An einer Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2006 hat es sich mit der Begründung, gehindert gesehen, diese Strafe sei seit dem 10. Mai 2010 vollständig vollstreckt und deshalb erledigt. Es hat sodann im Wege eines Härteausgleichs von der aus seiner Sicht schuldangemessen Freiheitsstrafe von acht Jahren einen Abschlag von zwei Jahren und drei Monaten vorgenommen und auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten erkannt.
5
Die Strafkammer hat dabei verkannt, dass bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafe nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. November 2009 - 3 StR 427/09 mwN; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 55 Rn. 37). Danach hätte das Landgericht seiner Prüfung die Vollstreckungssituation am 23. April 2010 zugrunde legen müssen. Zu diesem Zeitpunkt war die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2006 aber noch nicht vollständig erledigt und deshalb gemäß § 55 StGB gesamtstrafenfähig.
6
Der Rechtsfehler hat sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Das Landgericht hat ersichtlich übersehen, dass der Senat den Strafausspruch des Urteils vom 23. April 2010 gemäß § 301 StPO ausschließlich zugunsten des Angeklagten aufgehoben hat. Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) war das Landgericht deshalb gehindert, die Höhe der Rechtsfolgen der Tat zum Nachteil des Angeklagten zu ändern (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 358 Rn. 11). Dies ist hier jedoch trotz des vorgenommenen Härteausgleichs geschehen. Denn die für die verfahrensgegenständliche Tat festgesetzte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und die gesamtstrafenfähige Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil vom 16. Juni 2006 übersteigen zusammengenommen die Höhe der im ersten Durchgang verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten.
7
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sich die Grundlagen für die Bemessung der neuen Gesamtstrafe geändert haben. Der neue Tatrichter wird der Gesamtstrafenbildung neben der Strafe aus dem Urteil vom 16. Juni 2006 die für die verfahrensgegenständliche Tat nunmehr verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten zugrunde zu legen haben. Zwar ist die Berücksichtigung eines Härteausgleichs bei Bemessung dieser Strafe rechtsfehlerhaft vorgenommen worden. Dieser Rechtsfehler hat sich aber ausschließlich zugunsten des Angeklagten ausgewirkt und ist daher auf seine Revision nicht zu beanstanden. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass aus den oben genannten Gründen auch die vom Landgericht als schuld- und tatangemessen angesehene Freiheitsstrafe von acht Jahren gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO verstieße, da im ersten Durchgang für die verfahrensgegenständliche Tat lediglich eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren festgesetzt worden war.
8
Bei Bildung der Gesamtstrafe wird der neue Tatrichter als Obergrenze die im Urteil vom 23. April 2011 gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zu beachten haben.
9
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB hat ebenfalls keinen Bestand.
10
a) Das Landgericht hat bei der vorrangig anzustellenden Prüfung, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht allein durch eine andere Maßregel begegnet werden kann (§ 72 Abs. 1 StGB), dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB mit rechtlich unzureichender Begründung abgelehnt.
11
Die Delinquenz des mittlerweile 66-jährigen, seit 1972 u.a. mehrfach wegen Sexual- und Gewaltdelikten vorbestraften Angeklagten ging nach den Feststellungen des Landgerichts in den hier relevanten Fällen stets mit Alkoholkonsum bzw. Alkoholmissbrauch einher. Auch bei der verfahrensgegenständlichen Tat stand er unter erheblichem Alkoholeinfluss.
12
Das sachverständig beratene Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB infolge eines Zusammenwirkens der Alkoholbeeinflussung bei Tatbegehung und einer diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung auszuschließen vermocht. Die Voraussetzungen des § 64 StGB hat es abgelehnt. Es ist, dem Sachverständigen folgend, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Alkoholmissbrauch des Angeklagten nicht den Grad einer manifesten psychischen oder gar körperlichen Abhängigkeit erreicht habe, da der Angeklagte in den letzten eineinhalb Jahren vor seiner letzten Inhaftierung während seines Zusammenlebens mit seiner Verlobten in der Lage gewesen sei, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren und es in jener Zeit zu keinem schwerwiegenden Alkoholmissbrauch gekommen sei. Allein unter Hinweis auf diesen Umstand hat das Landgericht auch eine intensive Neigung des Angeklagten, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ausgeschlossen.
13
Diese Begründung trägt die Ablehnung eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht. Das Landgericht hat zwar seinen Ausführungen zu den Anforderungen an einen Hang im Ansatz einen zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Feststellung eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht das Vorliegen eines manifesten Abhängigkeitssyndroms erfordert, sondern hierfür bereits eine intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ausreichend ist (Fischer aaO, § 64 Rn. 7 mwN). Die Strafkammer hat sich jedoch nicht dazu verhalten, weshalb der vorübergehend kontrollierte Alkoholkonsum des Angeklagten in der Zeit vor seiner Inhaftierung nicht nur den Ausschluss eines Abhängigkeitssyndroms rechtfertigt, sondern auch gegen eine intensive Neigung des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, spricht. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage war geboten, weil der Sachverständige, dem die Strafkammer im Übrigen uneingeschränkt gefolgt ist, die kontrollierte Alkoholaufnahme des Angeklagten in der Zeit des Zusammenlebens mit seiner Verlobten lediglich als ausreichendes Indiz für eine fehlende körperliche oder psychische Abhängigkeit angese- hen hat. Nach den Urteilsgründen hat sich der Sachverständige hingegen nicht zu der Intensität eines missbräuchlichen Alkoholkonsums des Angeklagten unterhalb der Schwelle einer Abhängigkeit geäußert. Hinzu kommt, dass im angefochtenen Urteil mehrfach auf den vom Angeklagten betriebenen "Alkoholmissbrauch" bzw. auf dessen "Alkoholproblematik", deren Bearbeitung angezeigt sei, abgestellt wird. Vor diesem Hintergrund erschließt sich ohne weitere Begründung die Annahme der Strafkammer nicht, beim Angeklagten liege auch keine "intensive Neigung" zum übermäßigen Alkoholkonsum vor.
14
b) Erweist sich danach die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§ 72 Abs. 1 StGB). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer, wäre sie vom Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen und hätte sie der Anlasstat Symptomwert für den Hang zugeschrieben, nicht nur die Gefährlichkeitsprognose , sondern auch eine hinreichend konkrete Aussicht auf eine erfolgreiche Suchtbehandlung und eine damit einhergehende deutliche Verringerung der Tätergefährlichkeit bejaht hätte.
15
c) Danach muss die Frage der Maßregelanordnung nach § 66 und § 64 StGB ebenfalls neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird dabei zum einen zu beachten haben, dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßnahme zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, NStZ 2010, 83). Zum anderen wird er der Prüfung einer Maßregelanordnung nach § 66 StGB den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) geforderten strengen Maßstab einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" zugrunde zu legen haben. Dabei wird er insbesondere die Frage der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Gewalt- oder Sexualtaten eingehender als bisher geschehen zu erörtern (Senatsbeschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11, StV 2011, 672) und sich hierbei vor allem auch mit dem fortgeschrittenen Alter des Angeklagten und einer etwa damit einhergehenden geringeren Gefährlichkeit auseinanderzusetzen haben.
16
3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 1/13
vom
10. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 29. August 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Strafausspruch,
b) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung hat es nicht angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist; im Übrigen hat es keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte am 1. Februar 2001 vom Landgericht Trier wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, die sich aus Einzelstrafen von fünf Jahren und sechs Monaten sowie von vier Jahren und sechs Monaten zusammensetzte. Der Angeklagte hatte am 10. November 2000 einen Spielsalon in T. überfallen, die Spielhallenaufsicht mit einer Schreckschusspistole, aus welcher 8 mm Schreckschusspatronen bzw. Gasmunition verschossen werden konnten, bedroht und mindestens 500 DM erbeutet. Bei einem weiteren Überfall am 18. November 2000 auf ein Kino in T. bedrohte er die Kassiererin mit der beschriebenen Schreckschusspistole und erbeutete knapp 100 DM. Darüber hinaus weist der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten weitere 19 Voreintragungen, vor allem wegen Diebstahls und Betrugs, auf.
3
Nachdem er zuletzt am 8. Oktober 2011 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden war, gelang es dem Angeklagten weder privat noch im Berufsleben Fuß zu fassen. Am 5. März 2012 entschloss er sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und seiner perspektivlosen Situation eine Filiale der D. Bank in T. zu überfallen. Der Angeklagte war mit einer Sonnenbrille und einer Schirmmütze unauffällig maskiert und führte eine mit vier Schuss Knallmunition geladene Schreckschusspistole mit sich. Er begab sich zu einem der offen gehaltenen Schalterbereiche und äußerte dem Bankmitarbeiter W. gegenüber, dass er gerne 10.000 Euro hätte. Der Zeuge erwiderte, von welchem Konto er, der Angeklagte, das Geld denn abheben wolle. Hierauf sagte der Angeklagte, dass er das Geld vom Konto des Zeugen abheben wolle. Der Zeuge fasste dieses Ansinnen zunächst als Scherz auf und antwortete dem Angeklagten, dass auf seinem Konto dafür nicht genügend Geld vorhanden sei. Nunmehr erwiderte der Angeklagte, dass dies kein Spaß sei. Währenddessen nahm er - um seinem Verlangen nach Geld den nötigen Nachdruck zu verleihen - die in seiner rechten Handinnenfläche verborgene Pistole aus seiner Jackentasche und legte seine rechte Hand - ohne die Waffe auf den Zeugen W. gerichtet zu haben - vor seine linke Körperhälfte auf die Theke, so dass der Zeuge etwa zwei Zentimeter des Laufs der Gaspistole sehen konnte. Der Zeuge übergab dem Angeklagten daraufhin 16.100 Euro, mit denen dieser die Bank verließ. Der Überfall wurde weder von einem hinter dem Angeklagten an der Wartelinie stehenden Zeugen noch von weiteren Kunden bemerkt, die im vorderen Bereich des Raumes an den Automaten Geschäfte tätigten.

II.

4
Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vor; auch ergebe die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten, dass bei ihm ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten bestehe, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und dass er infolge dieses Hangs für die Allgemeinheit gefährlich sei (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Jedoch führe die Ausübung des gerichtlichen Ermessens mit Blick auf die derzeit von Verfassungs- wegen gebotene strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Ablehnung der Sicherungsverwahrung. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das Landgericht nicht erwogen.

III.

5
Das Urteil war aufzuheben, soweit die Strafkammer von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat.
6
1. Dem steht die aus der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zu entnehmende Beschränkung der Revision auf die Frage der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung nicht entgegen. Eine solche Beschränkung ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. BGH NStZ 1994, 280; 2007, 212). Sie ist aber nicht zulässig, wenn wie hier nach den Feststellungen auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB nahe liegt. In einem solchen Fall sind die in Betracht kommenden Maßregeln durch die gesetzliche Regelung des § 72 StGB rechtlich so eng miteinander verknüpft, dass nur eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts möglich ist. Nach § 72 Abs. 1 StGB wird nur die den Täter am wenigsten beschwerende Maßregel angeordnet, wenn bei Vorliegen der Voraussetzungen mehrerer Maßregeln der erstrebte Zweck bereits durch sie erreicht werden kann. Sind in diesem Sinne die Voraussetzungen sowohl von § 64 StGB als auch von § 66 StGB in Betracht zu ziehen, so liegt, wenn die Symptomtaten letztlich der Befriedigung des Alkoholbedarfs des Täters dienen, die Annahme nahe, dass der von ihm ausgehenden Gefahr schon durch die Anordnung nach § 64 StGB begegnet werden kann (BGH StV 2008, 517); in diesem Fall ist für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kein Raum (BGH StV 2007, 633; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 72 Rn. 5a). Wenn sich dagegen nicht sicher feststellen lässt, dass der Maßregelzweck bereits durch die Anordnung einer der beiden Maßregeln erreicht werden kann, so sind sie nach § 72 Abs. 2 StGB grundsätzlich nebeneinander anzuordnen. Insofern erfordert das Absehen von der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit , dass hierdurch die vom Täter ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (BGH NStZ 2012, 106; Fischer aaO, Rn. 7).
7
Mit Rücksicht auf diese rechtliche Verbindung und Wechselwirkung der beiden Maßregeln ist die Maßregelentscheidung als einheitliches Ganzes anzusehen , weshalb der von der Revision der Staatsanwaltschaft angegriffene Teil des Urteils - die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - hier nicht losgelöst von der Frage der Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (vgl. auch BGHR StGB, § 72 Sicherungszweck 5).
8
2. Die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB durch das Landgericht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen legen nahe, dass der Angeklagte den Hang hat, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Zum Tatzeitpunkt lag bei dem Angeklagten, der sich selbst als "Quartalssäufer" bezeichnet, eine Alkoholabhängigkeitserkrankung vor. Er konsumiert seit vielen Jahren in erheblichem Umfang Alkohol. Als Folge des langjährigen Alkoholmissbrauchs ist er an Diabetes erkrankt. Nach seiner letzten Haftentlassung am 6. Oktober 2011 trank er täglich große Mengen an Alkoholika. Das ihm ausbezahlte Arbeitslosengeld I reichte nicht aus, um diesen Konsum in Gaststätten bezahlen zu können.
9
Aus den Urteilsgründen ergeben sich ferner deutliche Hinweise auf einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der abgeurteilten Straftat. Vor der Tat konnte der Angeklagte seinen Alkoholkonsum nicht mehr aus eigenen finanziellen Mitteln bestreiten, weshalb er in sämtlichen besuchten Kneipen "anschreiben" ließ. Kurz nach der Tat suchte der Angeklagte Gaststätten auf, um Alkohol zu trinken. Außerdem verwendete er einen großen Teil der Beute dazu, die ausstehenden Schulden bei T. r Gastronomen zumindest zum Teil abzulösen. Bereits die Straftaten im November 2000 hatten ihre Ursache u.a. darin, dass der Angeklagte sich Geld durch Raubüberfälle verschaffen wollte, weil er seinen Alkoholkonsum gesteigert hatte und nicht überall "einen Deckel machen" konnte. Insofern liegt nahe, dass die vorliegende Tat, was ausreicht, zumindest auch als Beschaffungskriminalität zu werten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 2 StR 37/08).
10
Die dargelegten Umstände sprechen ferner dafür, dass der Angeklagte infolge seines Hangs zu übermäßigem Alkoholkonsum auch künftig erhebliche rechtswidrige Straftaten begehen wird. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich schließlich nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB).
11
3. Auch der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Jedenfalls dann, wenn wie in der vorliegenden Konstellation neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, bedarf es für eine insgesamt gesetzmäßige Entscheidung einer einheitlichen Rechtsfolgenbetrachtung, bei der Maßregelentscheidung und Strafausspruch aufeinander abgestimmt werden. Die Beschränkung der Revision auf die Frage der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung ist daher auch insoweit unwirksam, als sie den Strafausspruch betrifft.
12
Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts erweisen sich, was der Senat auf Revision der Staatsanwaltschaft auch zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen hat (§ 301 StPO), als nicht frei von Rechtsfehlern. Die Strafkammer hat bei der Strafbemessung weder die Alkoholerkrankung des Angeklagten und ihren Einfluss auf seinen Tatentschluss bedacht noch erwogen, dass er während der Tatausführung erheblich alkoholisiert war, wenngleich dies - wie das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt hat - nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat. Da es sich insoweit um zugunsten des Angeklagten wirkende, bestimmende Strafzumessungsfaktoren handelt, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Tatrichter, hätte er sie in seine Erwägungen einbezogen, auf eine geringere Strafe erkannt hätte.

IV.

13
Die Ablehnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hält dagegen rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat zunächst rechtsfehlerfrei die sich aus den § 66 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 4 StGB ergebenden formellen und materiellen Anforderungen der Maßregel bejaht.
14
Auch die Ausübung des nach § 66 Abs. 3 Satz 1 eingeräumten Ermessens hält eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12 mwN) sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Es ist vor allem nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auch bei seiner Ermessensentscheidung die Maßstäbe der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 berücksichtigt hat. Danach dürfen die an sich verfassungswidrigen gesetzlichen Regelungen der Sicherungsverwahrung während einer bis zum 31. Mai 2013 befristeten Übergangszeit nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewendet werden (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326 ff.). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in der Regel nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO S. 406). Dabei kommt es prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestandes an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht letztentscheidend auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang,sondern - neben dem Grad der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsgutsverletzung - vor allem auf die mögliche Verletzungsintensität (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2011 - 2 StR 305/11, StV 2012, 213; BGH, Urteil vom 28. März 2012 - 5 StR 525/11, NStZ-RR 2012, 205).
15
Durch den Verweis auf die spezifischen Besonderheiten in der jeweiligen Person des Angeklagten und seinen Taten bleibt die geforderte besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung im Grundsatz ein Akt der tatgerichtlichen Wertung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 431/12, NJW 2013, 707). Insofern wirkt sie sich nicht nur auf die Beurteilung der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung im Rahmen der Prüfung des Hangs im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB aus (siehe dazu Senat aaO; BGH, Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11, StV 2011, 673 mwN), sondern fließt auch in die Ermessensentscheidung ein, die durch das Vorliegen der formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung eröffnet wird.
16
Danach erweist sich die Entscheidung des Landgerichts als frei von Ermessensfehlern. Die Strafkammer hat die Ablehnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eingehend und nachvollziehbar begründet und dabei eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Sie hat insbesondere aus der Art der Tatausführung geschlossen, dass bei dem Angeklagten die Intensität der angedrohten Gewaltanwendung rückläufig ist. Auch habe er bei seinen zahlreichen Vorstrafen nie physische Gewalt angewendet. Angesichts seines Verhaltens bei der abgeurteilten und bei früheren Taten sowie der weiteren Umstände gebe es deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bereit sei, oder in der Zukunft bereit sein werde, bei solchen oder gleichgelagerten Taten Menschen zur Verwirklichung seines Tatzieles zu verletzen.
17
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Revision beanstandet zu Unrecht , dass die Strafkammer sich nicht mit der Verwendung einer gefährlichen Tatwaffe durch den Angeklagten und der damit verbundenen Möglichkeit einer Gewalteskalation auseinandergesetzt habe. Das Landgericht hat nicht abstrakt die Eignung einer besonders schweren räuberischen Erpressung als schwere Gewalttat im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts verneint, sondern bei der Ausübung seines Ermessens konkret auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt und aus diesen gefolgert, sie wiesen "nicht auf einen kaltblütigen, aggressiven und unkontrollierten Täter" hin. Zudem hat es ausdrücklich die potentielle Gefährlichkeit der von dem Angeklagten verwendeten Waffe in seine Überlegungen zu den von ihm zu erwartenden Rückfalltaten einbezogen. Insofern schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei seiner Ermessensentscheidung die objektive Gefährlichkeit des Tatmittels aus dem Blick verloren haben könnte.
18
Dies gilt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts gleichermaßen für gegebenenfalls zu erwartende psychische Beeinträchtigungen künftiger Tatopfer. Das Landgericht hat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens auch die Vortat vom 10. November 2000 gewürdigt, die bei einer Zeugin erhebliche psychische Nachwirkungen auslöste (UA 30 f.). Es hat jedoch insbesondere aus der konkreten Ausführung der Anlasstat sowie daraus, dass das Tatopfer in diesem Fall keine körperlichen oder psychischen Schäden davongetragen hat, geschlossen, dass die Intensität der von dem Angeklagten angedrohten Gewaltanwendung rückläufig ist. Diese Wertung hält sich unter Berücksichtigung der Grundsätze der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des richterlichen Ermessensspielraumes. Becker Fischer Appl Schmitt Krehl

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 210/10
vom
8. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Juli 2010,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 6. Januar 2010 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig ist.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Beisichführung eines sonstigen Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen ge- eignet und bestimmt ist, in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit unerlaubtem Sichverschaffen von Betäubungsmitteln" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass vier Monate der erkannten Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, dass das Landgericht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat; außerdem hält sie eine Änderung des Schuldspruchs für geboten.
3
Die Rechtsmittel haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet.
4
1. Der Schuldspruch bedarf der Berichtigung.
5
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wurden bei der Durchsuchung des betäubungsmittelabhängigen Angeklagten, der sich auf einer Drogenverkaufsfahrt befand, und des von ihm genutzten Fahrzeugs Betäubungsmittel aufgefunden. Dabei handelte es sich um 1,9 g Heroin mit einer Wirkstoffkonzentration von 44,3 % und 0,422 g Kokain mit einer Wirkstoffkonzentration von 50,2 % sowie sieben Bubbles Heroin mit einem Gesamtgewicht von 34,4 g, einer Wirkstoffkonzentration von 18 % und einem Wirkstoffgehalt von 6,81 g. Außerdem führte der Angeklagte bei dieser Fahrt an seinem Gürtel ein Springmesser mit einer einseitig geschliffenen, ca. sieben Zentimeter langen, nach vorne spitz zulaufenden Klinge mit sich, das auf Grund seiner Beschaffenheit geeignet und bestimmt war, andere Menschen zu verletzen. Bei einer anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden weitere 20,8 g Heroin mit einer Wirkstoffkonzentration von 46 %, zwei digitale Feinwaagen und ein Mixer, die jeweils Betäubungsmittelanhaftungen aufwiesen, Streckmittel, Verpackungstüten und 1.100 Euro Bargeld gefunden.
6
Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass ein die Grenze zur nicht geringen Menge nicht übersteigender Teil der Drogen zum Eigenkonsum und der Rest - darunter das in dem Fahrzeug aufgefundene, in verkaufsfertige Bubbles verpackte Heroin - zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Es ist außerdem zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass dieser sämtliche sichergestellten Drogen in einem Ankauf erworben hat.
7
b) Das Verhalten des Angeklagten erfüllt hinsichtlich der gesamten zum Weiterverkauf bestimmten Heroinmenge den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das in § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannte Qualifikationsmerkmal prägt, auch wenn es nur bei einem einzelnen auf Umsatz gerichteten Teilakt verwirklicht ist, das gesamte einheitliche Geschehen, so dass eine Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 1996 - 1 StR 609/96, BGHR BtMG § 30 a Abs. 2 Mitsichführen 2; vgl. auch Weber BtMG 3. Aufl. § 30 a Rdn. 196). Für eine tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist daneben kein Raum. Der bis zu der Verkaufsfahrt allein erfüllte Tatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird durch den Qualifikationstatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch dann verdrängt, wenn dieser nur beim letzten Teilakt des Gesamtgeschehens verwirklicht wurde (vgl. BGH aaO).
8
Soweit der Angeklagte die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erworben hat, erfüllt dies - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht die Alternative des unerlaubten Sichverschaffens, sondern die des unerlaubten Erwerbs im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Der Tatbestand des Erwerbs ist dann erfüllt, wenn der Täter - wie hier - die Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer erlangt hat (vgl. Weber aaO § 29 Rdn. 1046 m.w.N.); nur wenn ein solches Zusammenwirken nicht vorliegt oder nicht nachweisbar ist, liegt der Auffangtatbestand des Sichverschaffens vor (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 1993 - 4 StR 318/93, StV 1993, 570 f.; vgl. auch Weber aaO § 29 Rdn. 1110).
9
Der Senat ändert den Schuldspruch daher wie aus der Urteilsformel ersichtlich ab.
10
2. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
Nach den Urteilsfeststellungen liegen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB vor. Der 1961 geborene Angeklagte, der seit 1998 regelmäßig Heroin konsumiert , ist vor der hier abgeurteilten Tat bereits zweimal wegen einschlägiger, in den Jahren 1999, 2002 und 2003 begangener Delikte verurteilt worden, wobei mehrfach Einzelstrafen von mehr als einem Jahr verhängt worden sind; er hat wegen dieser Taten insgesamt acht Jahre Freiheitsstrafe verbüßt. Eine Rückfallverjährung nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB ist wegen der Vollstreckungszeiten (§ 66 Abs. 4 Satz 4 StGB) nicht eingetreten.
12
Das Landgericht geht, in Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen davon aus, dass bei dem Angeklagten auf Grund charakterlicher Veranlagungen eine eingewurzelte, intensive Neigung zu Rechtsbrüchen in Form von Eigentumsdelikten bestehe. Eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es jedoch abgelehnt, weil nicht festzustellen sei, ob die vorliegende Betäubungsmittelstraftat im Zusammenhang mit dieser charakterlichen Veranlagung stehe oder allein auf die Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten zurückzuführen sei.
13
Gegen diese Begründung bestehen in zweifacher Hinsicht durchgreifende rechtliche Bedenken:
14
a) Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht seiner Entscheidung ein unzutreffendes Verständnis des Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu Grunde gelegt hat dahingehend, dass der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten ausscheide, wenn die wiederholte Straffälligkeit eines Täters allein auf dessen Hang zu übermäßigem Konsum berauschender Mittel beruht.
15
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 2002 - 2 StR 193/02, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 11; BGH, Urteil vom 11. März 2010 - 3 StR 538/09; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 66 Rdn. 25 m.w.N.). Deshalb scheidet, selbst wenn sich eine Monokausalität der Suchterkrankung eines Täters für dessen Kriminalität ausnahmsweise feststellen ließe, die Annahme eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB neben der eines Hanges im Sinne von § 64 StGB nicht aus. Der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang hätte seine Ursache in einem solchen Fall ausschließlich in der Suchterkrankung.
16
b) Zudem belegen die Urteilsgründe nicht, dass bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, der sich ausschließlich auf Eigentumsdelikte bezieht, besteht. Sie geben lediglich die Schlussfolgerungen der Sachverständigen wieder, die insoweit offensichtlich allein an die lange zurückliegenden Eigentumsdelikte des Angeklagten, die dieser seit seinem 17. Lebensjahr in Russland begangen hat und wegen der er er dort dreimal zu Freiheitsstrafen verurteilt worden ist, sowie seine allgemeine Einstellung zum Stehlen angeknüpft hat. Nähere Angaben zu Art und Umfang dieser Straftaten enthalten die Urteilsgründe nicht, so dass nicht geprüft werden kann, ob aus diesen Taten auf eine eingewurzelte intensive Neigung zu Rechtsbrüchen geschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass dem Urteil nicht zu entnehmen ist, inwieweit die Sachverständige die Tatsache, dass der Angeklagte seit seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahre 1991 wegen Diebstahlstaten nur zweimal - und zwar in den Jahren 1992 und 1993 jeweils wegen Diebstahls geringwertiger Sachen - in Erscheinung getreten ist, bei ihrer Beurteilung berücksichtigt hat.
17
c) Über die Frage der Sicherungsverwahrung ist daher neu zu entscheiden.
18
Sollte der neue Tatrichter zu der Überzeugung gelangen, dass die Voraussetzungen sowohl für eine Unterbringung nach § 64 StGB als auch nach § 66 Abs. 1 StGB vorliegen, wird er zu prüfen haben, ob die Unterbringung des Angeklagten in beiden Maßregelformen oder nur in einer von ihnen anzuordnen ist. Dies beurteilt sich nach der Regelung des § 72 Abs. 1 StGB. Ist der Zweck der Maßregel bereits durch eine von mehreren geeigneten Maßregeln zu erreichen , so ist derjenigen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschwert , hier der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Allerdings setzt nach ständiger Rechtsprechung ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraus, dass die vom Angeklagten ausgehende Gefahr auf diese Weise beseitigt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 5; Urteil vom 31. Juli 2008 - 4 StR 152/08, NStZ-RR 2008, 326 f.; vgl. auch Fischer aaO § 72 Rdn. 7 m.w.N.). Angesichts der Tatsache, dass der regelmäßige Heroinkonsum des Angeklagten und das Einsetzen seiner Betäubungsmittelstraftaten in engem zeitlichem Zusammenhang stehen und dass der Angeklagte auf die Einkünfte aus dem Drogenhandel zur Finanzierung seines Eigenkonsums angewiesen war, liegt eine solche Folgerung allerdings nicht fern. Für sie könnte auch sprechen, dass der regelmäßige Betäubungsmittelmissbrauch beim Angeklagten erst in dessen 37. Lebensjahr eingesetzt und der therapiebereite Angeklagte noch keine Entwöhnungsbehandlung erfahren hat.
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3. Im Hinblick auf die nicht rechtsfehlerfrei abgelehnte Sicherungsverwahrung hebt der Senat zu Gunsten des Angeklagten auch den Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf, da - zumal angesichts der Höhe der verhängten Strafe - nicht auszuschließen ist, dass diese im Falle einer Anordnung der Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 - 3 StR 679/93, BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1 m.w.N.; Urteil vom 21. Oktober 2004 - 4 StR 325/04, NStZ-RR 2005, 39, 40).
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Die für sich genommen revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist wegen ihres hier bestehenden untrennbaren Zusammenhangs mit der erneuten Prüfung der Sicherungsverwahrung ebenfalls aufzuheben.
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4. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bei der Bestimmung des teilweisen Vorwegvollzugs der Strafe nach § 67 Abs. 2 StGB dieser nicht um die Dauer der bisherigen Untersuchungshaft zu kürzen ist, weil die auf die Strafe anzurechnende Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) ohne Weiteres in die Dauer eines angeordneten Vorwegvollzugs einzurechnen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2009 - 5 StR 22/09 - und vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09; vgl. auch Fischer aaO § 67 Rdn. 9 a m.w.N.).
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Mutzbauer Bender