Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2013 - 2 StR 392/12

bei uns veröffentlicht am13.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 392/12
vom
13. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Dr. Berger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung und
bei der Verkündung,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. Februar 2012 aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung entfällt. Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der gerichtlichen Auslagen des ersten Revisionsverfahrens und der hier entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last, ebenso die gesamten gerichtlichen Auslagen der Neuverhandlung vor dem Landgericht und des zweiten Revisionsverfahrens sowie die gesamten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten zunächst durch Urteil vom 29. März 2011 wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen (Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012,

212).


2
Das Landgericht hat nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs erneut die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten war der im Tatzeitraum 46jährige Angeklagte, der seit Geburt an einer schweren ConterganSchädigung an Armen, Händen und einem Fuß leidet, seit 2006 Nutzer eines sog. Filesharing-Netzwerks. Über dieses Netzwerk lud er Bild- und Videodateien aus dem Internet herunter, die sexuelle Handlungen an und mit Kindern wiedergaben. Spätestens seit Oktober 2008 verwandte er für das Herunterladen der Dateien und deren Speicherung auf seinem Computer eine Software, durch die von ihrem Nutzer in bestimmten Ordnern gespeicherte Dateien zum Herunterladen durch alle anderen Netzwerknutzer freigegeben wurden. Durch die Verwendung dieses Programms stellte der Angeklagte jeweils mit Zustandekommen der Internetverbindung seines Computers in der Zeit vom 14. Oktober bis zum 3. November 2008 an 21 Tagen allen bei dem Netzwerk angemeldeten Nutzern eine Videodatei zum Herunterladen zur Verfügung, die den sexuellen Missbrauch eines ca. acht- bis zehnjährigen Mädchens durch einen erwachsenen Mann zeigte. Am 20. Januar 2009 stellte er den Netzwerknutzern neben einer Reihe anderer Filmdateien mit kinderpornographischem Inhalt die Datei eines Videofilms zur Verfügung, auf dem ein ca. zehnjähriges Mädchen beim Oralverkehr mit einem erwachsenen Mann zu sehen war. Außerdem besaß der Angeklagte Bildund Filmmaterial mit kinderpornographischem Inhalt im Umfang von mehreren hunderttausend Dateien auf mehreren Speichermedien, die bei einer Durchsuchung am 20. Januar 2009 bei ihm sichergestellt wurden.
4
2. Das Landgericht hat neben den formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB aF auch die materiellen Voraussetzungen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als erfüllt angesehen. Es hat einen auf der Pädophilie des Angeklagten beruhenden Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten angenommen. Von dem Angeklagten sei auch in Zukunft ernsthaft die Begehung von Delikten zu erwarten, die in den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) bzw. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a StGB) fielen. Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht zunächst die vier früheren Verurteilungen des Angeklagten wegen (teilweise auch schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern - erstmals 1979, zuletzt 1999 - und die danach erfolgte Verlagerung strafbaren Verhaltens in den Bereich des Besitzes und des Verbreitens von Kinderpornographie berücksichtigt, die als Abschwächung der Deliktsintensität zu sehen sei. Mit dem Sachverständigen ist das Landgericht hinsichtlich solcher Missbrauchsdelikte bei Tätern, die - wie der Angeklagte - bereits mit "hands-on-Delikten" aufgefallen seien und in der Folge Kinderpornographie konsumiert hätten, von einem mittelgradigen Rückfallrisiko von 40% bis 50% ausgegangen. Dieses Rückfallrisiko erfahre bei dem Angeklagten aufgrund seiner körperlichen Beschwerden eine gewisse Absenkung, die nicht zu beziffern sei. Neben dem Konsum von Kinderpornographie, der mit einer ständigen Konfrontation mit dem Thema Pädophilie verbunden und durch Entbehrung unmittelbaren sexuellen Kontakts gekennzeichnet sei, sei ausschlaggebend als risikoerhöhend zu werten, dass der Angeklagte in den vergangenen Jahren stets den Kontakt zu Kindern gesucht habe, den Kontakt zu Kindern als risikolos empfinde und weder Einsicht in die Notwendigkeit ihm angeratener Vermeidungsstrategien noch in die Schädigung von Kindern auch durch nicht gewaltsame sexuelle Übergriffe zeige.

II.

5
Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
6
1. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) dürfen die - an sich verfassungswidrigen - gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Dies stellt gegenüber der früheren Rechtsanwendung höhere Anforderungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, sondern auch an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 1 StR 57/12; Senat, Beschluss vom26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141; Senat, Urteil vom 18. Juli 2012 – 2 StR 605/11). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 u. vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11).
7
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von einem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. "hands-on-Delikte" ausgeht, ohne mit diesem wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret zu erwartende Sexualdelinquenz näher zu beschreiben. Damit legt das Landgericht nicht dar, welche Straftaten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere Zeit zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige (UA S. 7). Neue Umstände , welche die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
8
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
Becker Fischer Appl Berger Ott

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2013 - 2 StR 392/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2013 - 2 StR 392/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer d

Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen
Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2013 - 2 StR 392/12 zitiert 4 §§.

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 328/11
vom
26. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. März 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen des vom Landgericht angewendeten § 66 Abs. 2 StGB aF vor, dessen Änderung durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 zu keiner abweichenden Beurteilung zugunsten des Angeklagten führt (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB). Hingegen bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Annahme der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB insbesondere bei Beachtung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 ua - Rn. 172, NJW 2011, 1931, 1946) erlassenen Weitergeltungsanordnung, welche die Strafkammer bei Erlass der angefochtenen Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte.
3
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwah- rung nur nach Maßgabe einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ ange- wandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11).
4
Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern“(UA S. 52, 55) sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die von der Rechtsprechung an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose gestellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Beschluss vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11).
5
Soweit die Strafkammer vor dem Hintergrund der Anlasstaten auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum ihn eigenen Angaben zufolge von sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der Anlasstaten gemäß § 184b Abs. 1 und 2 StGB belegen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des § 184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenzuwirken (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 184b Rn. 2), sind allerdings nicht als ausreichend schwere (Sexual-)Straftaten anzusehen, auf die sich nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts der kriminelle Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF beziehen muss.
6
Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom Landgericht gewürdigten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB zählten, die grundsätzlich „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bun- desverfassungsgerichts darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11). Die letzten dieser Taten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom Landgericht erkannte, aber ohne Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose erachtete „Abschwächen der Deliktsintensität“ (UA S. 55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebend sind.
7
Bei einer sorgfältigen Gesamtwürdigung hätte es auch der Erörterung jener Gesichtspunkte bedurft, welche die sachverständig beratene Strafkammer insoweit rechtsfehlerfrei zur Begründung ihrer Überzeugung angeführt hat, dass die bei dem Angeklagten festgestellte Pädophilie keine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit bewirkt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 Rn. 6). Hierzu hat das Landgericht etwa die Fähigkeit des Angeklagten gezählt, sich über einen längeren Zeitraum weitgehend normgemäß zu verhalten und sich - in Bezug auf eine früher langjährig bestehende Alkoholproblematik und Nikotinsucht - auch einem starken inneren Verlangen zu widersetzen (UA S. 46 f.). Überdies hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Angeklagte sexuell nicht völlig auf Kinder fixiert sei, sondern sexuelle Kontakte in der Vergangenheit auch mit Erwachsenen gelebt habe. Zudem gehe es dem Angeklagten bei seinen Kontakten zu Kindern nicht ausschließlich um sexuelle Kontakte, vielmehr habe die nichtsexuelle Beschäftigung mit Kindern einen „Eigenwert“ vor dem Hintergrund seiner schwerenkörperlichen Behinde- rung und der damit seit seiner Jugend einhergehenden Schwierigkeiten, Kontakte zu gleichaltrigen Personen herzustellen (UA S. 48). Die Erwähnung dieses Umstands steht allerdings in einem Kontrast zu dem nachfolgend im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose mehrfach als ungünstig angeführten Gesichtspunkt , dass der Angeklagte gegen die früher von ihm selbst erwogene Rückfallvermeidungsstrategie , den Kontakt zu Kindern überhaupt zu meiden, wiederholt verstoßen habe (UA S. 56 f.).
8
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht hinreichend deutlich erkennen , inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige, dessen Ausführungen auch nur vereinzelt gestreift werden, in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten abgewichen und zu einer geänderten Gefährlichkeitsprognose gelangt ist (UA S. 55).
9
Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neue tatrichterliche Verhandlung noch zur Feststellung von Umständen führt, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 175/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 25. Januar 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten und der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete, auf zwei Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung beantragt. Dies steht jedoch mit dem übrigen Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Unrecht abgesehen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln. Nach dem insoweit maßgeblichen und hier eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein die Nichtanordnung der Maßregel angefochten und das Urteil im Übrigen vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat bemerkt jedoch, dass, zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnötig belastet, wenn der Umfang der Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09 mwN).
3
Die Beschränkung der Revision ist indes unwirksam, soweit der Strafausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen wird. Dieser steht hier in einem nicht trennbaren Zusammenhang mit der Maßregelanordnung.
4
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
5
1. Gegenstand der Verurteilung sind vier Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zwang der Angeklagte die Nebenklägerin in der Nacht zum 5. Mai 2009 durch erhebliche, zum Verlust von Zähnen führende Gewalt zuerst zum Oralverkehr und sodann zum Geschlechtsverkehr. Am Abend des Vortages hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, die Beziehung zu ihm beenden zu wollen, und ihn aufgefordert , spätestens am nächsten Tag ihre Wohnung zu verlassen.
7
b) Nachdem es im Dezember 2009 zu einer Versöhnung und erneutem Zusammenleben gekommen war, trennte sich die Nebenklägerin Anfang Mai 2010 ein weiteres Mal vom Angeklagten. Dieser "passte" sie daraufhin Ende Mai / Anfang Juni in den Abendstunden auf einem Spaziergang "ab" und zwang sie unter Todesdrohungen und Einsatz einfacher körperlicher Gewalt in einem Waldstück zum Geschlechtsverkehr.
8
c) Am 24. Juli 2010 überraschte der Angeklagte die Nebenklägerin erneut auf einem Abendspaziergang. Er zwang sie, indem er sie bis zur Luftnot würgte und mit dem Tod bedrohte, zur Herausgabe ihres Mobiltelefons und verbrachte sie auf den Rücksitz ihres Autos.
9
d) Im Anschluss daran fuhr der Angeklagte mit ihr zu seiner Wohnung. Dort schlug er sie mehrfach ins Gesicht, zerrte an ihren Haaren, riss ihren Kopf nach hinten und nötigte sie damit zum Oralverkehr. Sodann zwang er sie mit weiteren Schlägen, sich auszuziehen und sich selbst zu befriedigen, was der Angeklagte mit einer Kamera filmte. Danach nötigte er die Nebenklägerin mit Gewalt insgesamt zweimal zum Geschlechtsverkehr.
10
2. Das Landgericht hat hierfür Einzelstrafen von vier Jahren, drei Jahren und sechs Monaten, neun Monaten sowie von sechs Jahren verhängt und dar- aus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten gebildet. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und dazu ausgeführt: Es bestehe aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zwar eine eher hohe Rückfallgefahr, indes könne bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht festgestellt werden. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung weise keine sadistischen Anteile auf; die Merkmale der "Psychopathy" seien nur im "unteren Bereich" zu bejahen; antisoziale Denkstile seien beim Angeklagten nicht festzustellen ; eine progrediente Entwicklung der Straftaten sei nicht zu erkennen; zwischen den früheren Straftaten lägen teilweise lange Zeitabschnitte; es könne "bei keiner der Vergewaltigungstaten festgestellt werden, dass der Angeklagte nicht lediglich sich ihm bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wahrgenommen" habe.
11
3. Die Begründung, mit der das Landgericht beim Angeklagten einen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie geht in Teilen von falschen Maßstäben aus oder steht im Widerspruch zu den Feststellungen.
12
a) Das Landgericht hat das Fehlen sadistischer Anteile in der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten fehlerhaft bewertet. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN). Ein Hang zur Begehung von erheblichen, gewalttätigen Sexualdelikten kann auch dann vorliegen, wenn der Täter in der Verletzung oder Demütigung seines Opfers nicht die hauptsächliche Quelle der Erregung oder der Befriedigung findet (vgl. zum Sadismus Elsner/Leygraf in Kröber u.a., Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 2, 1. Aufl., S. 472, 485).
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts verläuft die Kriminalitätsentwicklung des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen durchaus progredient. Unzutreffend ist zudem die Einschätzung, es habe sich bei den Straftaten des Angeklagten jeweils um Gelegenheitstaten gehandelt.
14
Die Vergewaltigung, die der Angeklagte im Alter von 23 Jahren zum Nachteil der Ehefrau eines Freundes begangen hatte und wegen der er 1985 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war, war zwar noch eine Spontantat. Dagegen hat der Angeklagte im Jahr 2003 die Vergewaltigung und Körperverletzung seiner damaligen Ehefrau, für die 2004 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gegen ihn verhängt worden ist, begangen , nachdem er sein Opfer mittels einer Finte ins Haus gelockt hatte. Die Tat zog sich zudem über einen längeren Zeitraum hin und war von einer besonderen Erniedrigung geprägt. Die nunmehr abgeurteilten Taten zeigen sowohl in der Intensität der Gewaltausübung als auch der abgenötigten Handlungen eine weitere Steigerung. Zudem verkürzten sich die Abstände zwischen den Übergriffen deutlich. Zwei von ihnen beruhten zuletzt auf planvollem Vorgehen des Angeklagten.
15
4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist, führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruches. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN; Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172).
16
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
17
a) Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
18
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
19
(1) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
20
Nach Ansicht des Senats sind Vergewaltigungen (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) wegen der dafür im Regelfall angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
21
(2) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Das Landgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - zur Gefahrenprognose lediglich ausgeführt, die Rückfallgefahr sei "eher hoch" und die Gefährlichkeit des Angeklagten würde "bejaht". Solche verkürzten Darlegungen würden selbst den hergebrachten Anforderungen nicht genügen. Der neue Tatrichter wird ggf. die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere damit auseinandersetzen müssen , dass die Taten des Angeklagten aus dem situativen Zusammenhang einer Beziehungskrise begangen worden und zwischen den abgeurteilten Taten und den früheren Vergewaltigungen Zeiträume von fünfeinhalb bzw. 19 Jahre verstrichen sind.
22
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung könnte, sofern der neue Tatrichter einen Hang zu erheblichen Straftaten und eine auf ihm beruhende Gefährlichkeit des Angeklagten bejahen sollte, nur auf § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB aF gestützt werden. § 66 Abs. 1 StGB aF kommt als Grundlage dafür nicht in Betracht, da die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung aus dem Jahr 1985 auf Grund der eingetretenen "Rückfallverjährung" (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB aF) als Vorverurteilung ausscheidet und deshalb die formelle Voraussetzung einer zweiten Vorstrafe fehlt.
23
c) Die Anordnung läge sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen. Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen (Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 mwN).
VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister
Mayer Menges
5 StR 189/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 3. Januar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. In der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 nahm der Angeklagte an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die in seinem Haushalt lebten und ihm zur Betreuung anvertraut waren, unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor.
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen. Die formellen Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt, darüber hinaus weise der Angeklagte auch den notwendigen Hang zu erheblichen Straftaten auf, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
a) Das gilt auch für die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendschutzkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO).
6
aa) Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschwerdeführer zwei Anklagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in insgesamt mehr als 100 Fällen zum Nachteil der vier Kinder erhoben. Beide Anklagen wurden durch die Jugendschutzkammer verbunden und unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen; es wurden die reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG angeordnet und zunächst sieben Hauptverhandlungstermine anberaumt. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO wurde nicht erhoben.
7
Weder Anklageschriften noch Eröffnungsbeschluss setzten sich mit einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auseinander. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erging erst am siebten Hauptverhandlungstag, nachdem am vorherigen Verhandlungstag die Schlussvorträge gehalten worden waren, ohne jeweils auf eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzugehen, und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden war. Die Strafkammer beraumte weitere fünf Hauptverhandlungstage an und bestellte einen Sachverständigen zur Exploration des Angeklagten.
8
bb) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
9
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31.
August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss

8).


10
cc) Das Revisionsvorbringen muss danach erfolglos bleiben. Zwar wird der mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene besonders tiefe Eingriff in die Grundrechte eines Angeklagten es in der Regel – im Gleichklang mit der gesetzlich zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern und mit § 74f Abs. 3 GVG – angezeigt erscheinen lassen, bei Entscheidungen nach § 66 StGB von der Möglichkeit der Besetzungsreduktion abzusehen und wegen ihrer strukturellen Überlegenheit in einer Dreierbesetzung zu verhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 4; Rieß in Festschrift Schöch [2010], S. 895, 912; Heß/Wenske, DRiZ 2010, 262, 268 und ferner Begründung zu Artikel 1 Ziffer 4 des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.
11
b) Einer Entscheidung über die von der Revision ebenfalls beanstandete Verletzung des § 265 StPO bedarf es bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht.
12
Die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO lagen mangels veränderter Tatsachengrundlage (oben a) nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob für das Landgericht etwa ein zwingender Anlass für eine Verfahrensaussetzung in mindestens entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO bestanden hätte – was anschließend einen Neubeginn der Hauptverhandlung nach Änderung der Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG nahegelegt hätte (nach den Grundsätzen von BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8; vgl. ferner § 76 Abs. 5 Alternative 2 GVG-E in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Dafür mögen das Gewicht und der späte Zeitpunkt des Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO sprechen, dagegen freilich der Umstand, dass auch die Revision keinen konkreten Aufklärungsmangel – etwa im Wege einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – durch die späte Erstreckung der Hauptverhandlung auf die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a StPO oder ein konkretes Verteidigungsdefizit durch unzureichende Vorbereitung vorbringt. Die Frage kann letztlich offen bleiben.
13
Gegenstand der nach Ablehnung des Aussetzungsantrags der Verteidigung fortgesetzten Beweisaufnahme war hier allein noch die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Schuld- und Strafausspruch durch das Ergebnis der fortgeführten Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden wären. Deshalb und mit Blick auf den Schutzzweck des § 265 StPO ist ein über die Aufhebung des Maßregelausspruchs hinausreichender Erfolg der Verfahrensrüge auszuschließen; dieser wird hier indes schon durch die Sachrüge erreicht (vgl. nachfolgend 3).
14
Nichts anderes gilt im Blick auf den Umstand, dass die Verfahrensrüge naheliegend jedenfalls mit der Stoßrichtung hätte Erfolg haben müssen, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise den Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung beschieden. Auch insoweit bleiben die Belange des Angeklagten durch den Erfolg der Sachrüge umfassend gewahrt.
15
3. Die Begründung des Maßregelausspruchs hält – insbesondere unter Berücksichtigung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Das sachverständig beratene Landgericht nimmt – insoweit nachvollziehbar – an, dass sich beim Angeklagten über einen langen Zeitraum hinweg eine pädophile Störung verfestigt habe und an verschiedenen Kindern beiderlei Geschlechts ausgelebt worden sei. Der Angeklagte gehe mit seiner pädophilen Störung „unehrlich“ um, was prognostisch ungünstig einzuschätzen sei. Angesichts des breiten Spektrums der Geschädigten bestehe im Hinblick auf eine ohnehin anzunehmende verhältnismäßig hohe Rückfallrate bei wegen Kindesmissbrauchs verurteilten unbehandelten Tätern bei dem Angeklagten ein noch ungleich höheres Risikopotential und damit eine „nicht unerhebliche Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art“ (UA S. 32). Mit Blick auf das Streben des Angeklagten, „sich mit Kindern zu umgeben und diese zu missbrauchen“, hat die Strafkammer „nach Abwägung aller Umstände die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für notwendig und unumgänglich erachtet“ (UA S.

32).


17
b) Die Ausführungen zur Gefährlichkeit lassen besorgen, dass die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, den unehrlichen Umgang des Angeklagten mit seiner pädophilen Störung aus seinem Bestreiten der Taten geschlossen, damit aber die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hang- oder gefahrbegründend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482 mwN). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet („unehrlicher Umgang“), ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8). Zudem begegnet schon die Formulierung einer – lediglich – „nicht unerheblichen“ Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art Bedenken.
18
c) Die Urteilsgründe lassen überdies nicht hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessensbefugnis nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF Gebrauch gemacht wurde.
19
aa) Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem für den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit soll dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung getragen werden, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung regelmäßig zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN; ferner BGH, Beschlüsse vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, aaO, und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
20
bb) Einer Überprüfung an diesem Maßstab hält die Begründung des angefochtenen Urteils bislang nicht stand. Die möglichen Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den 49 Jahre alten Angeklagten hat die Strafkammer bei ihrer Ermessensausübung unerörtert gelassen. Das Tatgericht hat sich damit nicht nur den Blick auf mögliche, mit dem fortschreitenden Lebensalter einhergehende Verhaltensänderungen beim Angeklagten verstellt, sondern auch darauf, dass sich nunmehr durch den erstmaligen Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer langfristigen Therapie bietet. Auch aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte bereits im Jahre 2003 einem – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt sah und ihn dies nicht von dem „weiteren Vollzug“ gleich gelagerterHandlungen abgehalten hat, kann nicht zwingend auf die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs geschlossen werden.
21
d) Das neue Tatgericht wird – naheliegend nunmehr in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) – bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Maßgaben des vorstehend genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (aaO) zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und als verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung zeitlich bis zum 31. Mai 2013 begrenzt fort. Der Senat entnimmt der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (BVerfG aaO, S. 1946 Rn. 172) in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11) das Erfordernis eines strengen Maßstabs sowohl bei der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten als auch bei der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Ein solcher erfordert jedenfalls, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BGH aaO; ferner Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11 – und Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 57/12
vom
24. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2012 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 15. November 2011 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO). Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
2
Während der 1989 geborene Angeklagte an "Familienplanung" dachte, wollte seine Freundin eher eine "Wochenendbeziehung". Er schied bei der Bundeswehr aus, um mehr Zeit für sie zu haben. Die Freundin hatte ihm im Vorfeld dieser Entscheidung weder zu- noch abgeraten. Er verübelte ihr letztlich den Verlust seines "Traumjobs" und fühlte sich nicht ernst genommen. Der Stand der Beziehung wurde unklar. Einerseits "endete" sie, andererseits hatten seine "Annäherungsversuche" noch "teilweise" Erfolg. Sie sprach von "Nachdenken" , er hoffte. Insgesamt war er sehr unzufrieden, er projizierte "Hass und Wut" immer mehr auf "die Frauen im Allgemeinen".
3
Er wollte sich an jungen, äußerlich seiner Freundin ähnlichen Frauen rächen und sie physisch und psychisch verletzen. Daher fuhr er zwischen Ende Oktober 2010 und Ende März 2011 in insgesamt acht Fällen nachts mit dem Pkw herum, bis er ihm geeignet erscheinende Opfer, die zwischen 14 und 21 Jahre alt waren und z.B. aus der Diskothek kamen, traf. Er griff sie von hinten an, schlug und boxte sie, riss sie zu Boden und trat auf sie ein oder kniete sich auf sie und schlug. Sein Gesicht war dabei durch eine schwarze Sturmhaube mit zwei Sehschlitzen verborgen. Am Ende, oder wenn ein Opfer zu schreien begann, rannte er weg. Ein Zusammenhang mit sexuellen Empfindungen beim Angeklagten war bei alledem nicht feststellbar. Die meist länger anhaltenden psychischen Folgen der unerwarteten nächtlichen Attacken durch einen "Maskenmann" bei den Opfern überwogen deren körperliche Schmerzen (z.B. durch Boxhiebe in den Bauch oder Hämatome) bei weitem.
4
2. Nach Maßgabe der in Details abweichenden Geschehensabläufe (manchmal waren es zwei Opfer gleichzeitig, manchmal hatte er sich gezielt - z.B. im Gebüsch - versteckt; im letzten Fall flüchtete er, als die Frau zu schreien anfing und auf ihn einschlug, als er ihr in das Haus folgen wollte) wurde der Angeklagte wegen
5
- vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen;
6
- gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen (hinterlistiger Überfall wegen Versteckens, vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1968 - 2 StR 54/68, GA 1969, 61, 62), davon zweimal zum Nachteil von zwei Opfern;
7
- versuchter vorsätzlicher Körperverletzung (letzter Fall)
8
verurteilt.
9
Gegen den nicht vorbestraften Angeklagten, bei dem nach sachverständiger Beratung keine Anhaltspunkte für ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB feststellbar waren, wurden differenziert nach dem jeweiligen Tatgeschehen folgende Einzelstrafen verhängt:
10
- einmal ein Jahr und neun Monate (Einsatzstrafe);
11
- zweimal ein Jahr und sechs Monate;
12
- einmal ein Jahr;
13
- dreimal neun Monate;
14
- einmal sechs Monate (Versuch).
15
Hieraus wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gebildet.
16
3. Zugleich hat die Strafkammer Sicherungsverwahrung angeordnet.
17
a) Formal wurden die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht, weil aus den Einzelstrafen von über einem Jahr - insoweit wäre auch die Einzelstrafe von einem Jahr zu berücksichtigen gewesen - (fiktiv) eine Gesamtstrafe von drei Jahren zu bilden gewesen wäre (vgl. schon BGH, Urteil vom 31. August 1995 - 4 StR 295/95, NJW 1995, 3263).
18
b) Hang und Gefährlichkeit als materielle Voraussetzungen von Sicherungsverwahrung lägen vor, was, so die Strafkammer, die Anhörung von zwei Sachverständigen überzeugend ergeben habe. Auch wenn der Angeklagte noch jung und unvorbestraft sei und sozial bisher unauffällig gelebt habe, müsse ihm eine ungünstige Kriminalprognose gestellt werden. Dies ergebe sich, ohne dass hier die Urteilsausführungen in allen Einzelheiten nachzuzeichnen wären, im Wesentlichen aus Folgendem: Die Taten seien persönlichkeitsbe- gründet, er nehme eigene Schwächen oder Insuffizienzen kaum wahr. Negative Emotionen seien für ihn nicht spürbar. Soziale Interaktionen mit negativen Emotionen überforderten ihn. In Krisen könne er nur schwer sein inneres Gleichgewicht halten und er entwickle bei Trauer, Enttäuschung und Wut keine adäquaten Bewältigungsstrategien. Er sei der Meinung, an seiner Lage trügen "die Frauen an sich" die Schuld. Insbesondere könne er nicht über Gefühle reden, sodass damit zu rechnen sei, dass sich ein Gefühlsstau in Gewalttaten kanalisiere. Es fiele auch ins Gewicht, dass die Taten in immer kürzeren zeitlichen Abständen begangen worden seien; zu den ersten vier Taten war es zwischen Oktober 2010 und Januar 2011 gekommen, zu den letzten vier im März 2011. Auch zeige die - als Versuch freilich mit sechs Monaten am niedrigsten von allen Taten geahndete - letzte Tat eine zunehmende Steigerung der Gefährlichkeit , weil der Angeklagte dem Opfer bis zur Haustür gefolgt sei. Insoweit zusammenfassend führt die Strafkammer aus, insgesamt bestehe "eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte in Zukunft erneut gewaltsame Überfälle auf Frauen begehen wird. Es besteht auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft zu einer weiteren Progredienz ... bis ... zu ... Tötungsdelikten kommen wird. Diese Überzeugung hat sich die Kammer aus dem unmittelbaren Eindruck von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie den Ausführungen des Sachverständigen ... gebildet, der eine sehr hohe Rückfallwahrscheinlichkeit annimmt."
19
4. Die Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge gestützt. Sie ist näher ausgeführt hinsichtlich eines Rücktritts vom Versuch und hinsichtlich der Sicherungsverwahrung. Die Revision bleibt zum Schuldspruch und zum Strafausspruch erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO); die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO).

20
a) Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Die Ausführungen der Revision können die nach ihrer Auffassung übersehene Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts im letzten Fall, als der Angeklagte flüchtete, nachdem die von ihm verfolgte Frau schrie und auf ihn einschlug, nicht nachvollziehbar verdeutlichen. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
21
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann dagegen keinen Bestand haben.
22
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sämtliche die Anordnung von Sicherungsverwahrung betreffenden Bestimmungen als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Zugleich hat es angeordnet, dass diese Bestimmungen nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung noch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens aber bis zum 31. Mai 2013 - unter Beachtung eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuwenden sind. Dieser Grundsatz wird dabei in der Regel nur gewahrt sein, wenn die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO, zusammenfassend BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1048/11).
23
(2) Es ist nicht hinreichend deutlich zu erkennen, dass sich die Strafkammer , die die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erwähnt, in dem gebotenen Umfang damit befasst hat, dass Sicherungsverwahrung nur noch nach einem gegenüber der früheren Rechtslage strengeren Maßstab angeordnet werden kann. Dieser strengere Maßstab betrifft beide Elemente der Gefährlichkeit, also sowohl die Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten, als auch die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 5 StR 535/11 mwN).
24
(a) Freilich wären zu erwartende vorsätzliche Tötungsdelikte unabhängig vom anzulegenden Maßstab auf jeden Fall schwerste Straftaten.
25
(b) Die erforderlichen "konkreten Umstände", die diese Taten künftig erwarten lassen, sind jedoch nicht tragfähig festgestellt. Die Erwägungen hierzu knüpfen im Wesentlichen an die Einschätzung innerpsychischer Vorgänge beim Angeklagten an und kaum an nach außen erkennbar gewordenes Geschehen. Daraus, dass - dies ist nach außen erkennbar geworden - zwischen den Taten zuletzt ein Abstand von ein bis zwei Wochen lag, während er zuvor etwas länger war, lässt sich tragfähig ebenso wenig die Gefahr von künftigem Mord oder Totschlag ableiten wie daraus, dass sich der Angeklagte (erneut) durch Schreien und (hier auch) Schläge in die Flucht schlagen ließ, nachdem er einer jungen Frau ins Haus folgen wollte.
26
(3) Unabhängig davon erscheint der in einer Hauptverhandlung gewonnene persönliche Eindruck schwerlich eine tragfähige Grundlage für die Annahme , von einem Täter seien, anders als bisher, künftig Tötungsdelikte zu erwarten. Bei einer derart ungewöhnlichen Prognose hätte es näherer und konkretisierender Darlegung bedurft, worauf sich dieser Eindruck stützt. Soweit schließlich auf die vom Sachverständigen gesehene hohe "Rückfallwahrscheinlichkeit" verwiesen ist, ist dies insoweit unklar, als es nicht um einen Rückfall in früher aufgetretene Verhaltensweisen geht, sondern um eine Steigerung des bisherigen, von der Strafkammer als "mittlere" Kriminalität bewerteten strafbaren Verhaltens hin zur Schwerstkriminalität.
27
Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung ist daher neu zu befinden.
Nack Wahl Graf Sander Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 594/11
vom
24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Januar 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 8. Juli 2011 im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in vier Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfach vorbestrafte Angeklagte etwa ein Jahr nach Entlassung aus über 10jähriger Strafhaft, der eine Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu Grunde lag, in einem Zeitraum von nur knapp zwei Monaten die hier abgeurteilten Straftaten. In den Fällen der (schweren ) räuberischen Erpressung ging er dabei jeweils in der Weise vor, dass er – vornehmlich zur Nachtzeit – seinen nichts ahnenden Opfern, denen er zufällig auf der Straße begegnete, zur Einschüchterung ein Messer an den Hals bzw. vor das Gesicht hielt und sie auf diese Weise zur Herausgabe von Geld oder Wertsachen veranlasste. In einem Fall verursachte er durch den Einsatz des Messers bei dem Geschädigten einen leichten Kratzer oberhalb der Halsschlagader und versetzte ihn durch sein Handeln in Todesangst. Der Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen liegt zu Grunde, dass der Angeklagte zwei von einem Fußballspiel heimkehrenden Zuschauern in den späten Abendstunden unvermittelt jeweils einen heftigen Schlag mit der Faust ins Gesicht versetzte, wodurch einer der Geschädigten seine Zahnprothese im Wert von 1.000 Euro vollständig einbüßte und auch heute noch unter Problemen bei der Nahrungsaufnahme leidet.
4
Das Landgericht hat wegen der Körperverletzungstaten Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten bzw. sechs Monaten, wegen der Erpressungsta- ten solche von (zweimal) fünf Jahren sechs Monaten, sechs Jahren drei Monaten bzw. sechs Jahren sechs Monaten verhängt.
5
2. Dem Urteil des Landgerichts Rostock vom 18. Juni 1999, durch das der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Festsetzung von Einzelstrafen in Höhe von sechs Jahren sechs Monaten sowie acht Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, liegt im Wesentlichen folgendes Tatgeschehen zu Grunde:
6
Die beiden Taten dienten dem Angeklagten zur gewaltsamen Beschaffung elektronischer Geräte bzw. von Betäubungsmitteln. In beiden Fällen verschaffte er sich maskiert, mit einer Schreckschusswaffe ausgerüstet und von einem bzw. zwei ebenfalls maskierten Mittätern begleitet, die in einem Fall ihrerseits mit einem Schlagring, einem bajonettartigen Messer und einem Baseballschläger bewaffnet waren, gewaltsam Zugang zu den Wohnungen der Tatopfer. Dort bedrohten und beleidigten sie die Anwesenden – jeweils einverständlich – nicht nur in massiver Form, sondern misshandelten sie unter Verwendung der mitgeführten Waffen bzw. Gegenstände äußerst brutal, um ihren Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, und verletzten die Opfer teilweise schwer; in einem Fall führte der – vom gemeinsamen Tatentschluss allerdings nicht umfasste – Einsatz des Messers durch einen der Mittäter zum Tod eines der Tatopfer.
7
3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2, 3 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung bejaht und, insoweit sachverständig beraten, auch die materiellen Voraussetzungen für die Maßregelanordnung als erfüllt angesehen. Von dem Angeklagten seien weiterhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Seine „mehr oder weniger“ progrediente kriminelle Fehlentwicklung als Hangtäter habe in der schweren Raubstraftat im Jahr 1998 ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden; in dieser Tat sei die aggressive und antisoziale Einstellung des Angeklagten bereits deutlich hervorgetreten. Die nachfolgende Verurteilung und die langjährige Strafhaft hätten keine Verhaltensänderung bewirkt; vielmehr habe er sich nach der Haftentlassung nur kurze Zeit rechtstreu verhalten, dann seinen Drogenkonsum fortgesetzt und den Kontakt zu seiner Bewährungshelferin abgebrochen. Sein Verhalten sei von hoher Deliktfrequenz und ebenso hoher Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet: Es sei bei ihm von einem eingeschliffenen kriminellen Verhaltensmuster auszugehen.

II.


8
Diese Begründung hält unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfas- sungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ , wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, Tz. 172). Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Straftaten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „er- heblichen Straftaten“, durch welche die Opfer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Anord- nung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, Tz. 12).
10
2. a) Gemessen daran erweist sich die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung als nicht hinreichend begründet.
11
Der Senat entnimmt der vom Bundesverfassungsgericht geforderten strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit allerdings nicht, dass hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen vom Anwendungsbereich des § 66 StGB schlechthin ausgenommen sind. Jedenfalls sind schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend „schwere Straftaten“ im vorstehenden Sinne anzusehen (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, StV 2011, 673, Tz. 6 m.w.N.; einschränkend BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, Tz. 13 ff.). Das muss erst recht für Taten wie die im angefochtenen Urteil abgeurteilten Fälle der besonders schweren räuberischen Erpressung gelten, insbesondere dann, wenn der Täter sein Opfer durch den Einsatz einer Waffe in Todesangst versetzt.
12
b) Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt indes vom Tatrichter eine auf die Umstände des Einzelfalles zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
13
Die Urteilsgründe enthalten zwar eine Wiedergabe der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen und eine Darlegung des Lebensweges des Angeklagten unter Berücksichtigung seiner Delinquenzentwicklung. Bei der Gesamtwürdigung beschränkt sich das Landgericht jedoch auf die Formulierung, vom Angeklagten seien auf Grund eines eingeschliffenen Verhaltensmusters, das ihn „immer wieder neue Straftaten begehen“ lasse, „erheblicheStraftaten“ zu erwarten, namentlich solche, „durch welche die Opfer seelisch oder körper- lich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden ange- richtet wird“. Diese bloße Wiedergabe des – im Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits überholten – Gesetzestextes vermag die erforderliche einzelfallbezogene Darlegung der vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht zu ersetzen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 605/11
vom
18. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2012,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von drei Jahren und sechs Monaten der verhängten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, Totschlags, Unterschlagung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Außerdem hat es angeordnet, dass drei Jahre und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt vollstreckt werden sollen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der nach zunächst unbeschränkter Einlegung und Begründung des Rechtsmittels durch Schriftsatz vom 4. November 2011 erklärt hat, er beschränke die Revision auf die Verurteilung wegen Totschlags (Fall II.1. der Urteilsgründe) und nehme die beiden Maßregeln vom Rechtsmittelangriff aus. Die teilweise Zurücknahme der Revision ist unwirksam, soweit sie den Maßregelausspruch betrifft. Jedoch hat das Rechtsmittel nur in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzuges der Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Erfolg.

A.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte schon in der Schulzeit durch leichte Erregbarkeit aufgefallen. Seit dem 12. oder 13. Lebensjahr konsumierte er Haschisch und Alkohol. Im Jahre 1995 wurde er wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und begann in der Haft den Konsum von Kokain und Heroin. Nach weiteren leichten Straftaten versuchte er im Jahre 1999 einen schweren Raub zur Beschaffung von Geld für den Drogenerwerb, weshalb er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Eine Drogentherapie unter Zurückstellung der Vollstreckung eines Strafrests blieb ohne dauerhaften Erfolg. Im Jahre 2003 wurde der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und es wurde wegen seiner Drogensucht, die eine Persönlichkeitsänderung zur Folge hatte, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Maßregel wurde alsbald für erledigt erklärt, weil ihr Vollzug nicht das erhoffte Ergebnis erzielte. Nach der Entlassung aus der Strafhaft beging der Angeklagte eine Reihe von Diebstählen zur Beschaffung von Geldmitteln zum Drogenerwerb. Ende des Jahres 2009 wurde der Angeklagte in das Methadonprogramm aufgenommen und es gelang ihm zunächst eine Stabilisierung seiner Lage. Jedoch wurde er im März 2010 mit dem Konsum von Heroin und Kokain rückfällig.
3
Zu dieser Zeit hielt sich der Angeklagte zeitweise bei dem Drogenkonsumenten F. in Z. auf und übernachtete in dessen Sozialwohnung. Er tötete F. am 27. oder 28. Mai 2010 aus einem unbekannten Beweggrund , wobei er ihm einen Bruch des Kehlkopfhorns, einen Rippenbruch und mindestens 14 Stichverletzungen in Brust und Rücken beibrachte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Am 3. Juni 2010 hielt der Angeklagte sich in F. auf und drang in eine Gartenhütte ein, um dort Drogen konsumieren und übernachten zu können. Am Folgetag wurde er in der Mittagszeit von der Inhaberin Fa. angetroffen, die um Hilfe rief. Um nicht entdeckt und verfolgt zu werden, erwürgte der Angeklagte Fa. . Danach nahm er ihr Bargeld und eine Bankkarte weg (Fall II.2. der Urteilsgründe). Am 29. Juni 2010 hielt der Angeklagte sich in B. auf, wo er der Geschädigten M. die Handtasche wegnahm, um Geld für den Drogenerwerb zu erbeuten (Fall II.3. der Urteilsgründe).

B.

4
Die Revision ist hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs durch teilweise Zurücknahme vom Beschwerdeführer auf den Totschlag zum Nachteil von F. (Fall II.1. der Urteilsgründe) - sowie davon untrennbar - auf die Gesamtstrafe beschränkt worden. Das Rechtsmittel konnte aber nicht wirksam durch Teilrücknahme weiterhin so beschränkt werden, dass der Maßregelausspruch von dem Rechtsmittelangriff ausgenommen ist.
5
Eine Beschränkung der Revision nach § 344 Abs. 1 StPO ist nur zulässig , soweit die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - tatsächlich und rechtlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen; für eine teilweise Zurücknahme des Rechtsmittels gilt nichts anderes. Weiter muss gewährleistet sein, dass die nach Teilanfechtung stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 365 f.; Urteil vom 2. März 1995 – 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59). Die Revisionsbeschränkung unter Ausklammerung eines Maßregelausspruchs ist deshalb unwirksam, wenn zugleich der Schuldspruch angegriffen wird, der von der Maßregelfrage nicht getrennt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 – 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171 f.; Senat, Beschluss vom 22. Juni 2011 – 2 StR 139/11, StV 2012, 72). Auch der Angriff auf einen Teil des Schuldspruchs führt zur Unwirksamkeit der Beschränkung hinsichtlich des Maßregelausspruchs, wenn diese Rechtsfolgenentscheidung auch an den Schuldspruch hinsichtlich des angefochtenen Teil der Verurteilung anknüpft.
6
So liegt es hier. Das Landgericht hat die Anordnung der Maßregeln auch auf das Tötungsdelikt zum Nachteil des Geschädigten F. gestützt. Der Revisionsangriff gegen den wegen dieser Tat ergangenen Schuldspruch erfaßt daher auch den Maßregelausspruch; denn es ist nicht auszuschließen, dass dieser ohne Berücksichtigung der Symptomtat vom 27./28. Mai 2010 anders ausgefallen wäre.

C.

7
I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1. der Urteilsgründe des Landgerichts betrifft.
8
1. Insoweit ist der Schuldspruch wegen Totschlags rechtsfehlerfrei begründet worden, weil sich das Landgericht ohne Lücken, Denkfehler oder Widersprüche aufgrund einer Gesamtschau von Indizien, unter anderem dem Auffinden des Rucksacks mit Reisepass und Methadonbezugskarte des Getöteten im Gepäck des Angeklagten, den vom Angeklagten am Tatort hinterlassenen Blutspuren sowie der aufgezeichneten Telekommunikationsverbindungsdaten, von seiner Täterschaft überzeugt hat.
9
2. Auch der Strafausspruch wegen dieser Tat begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Obwohl das Landgericht den Anlass der Tat und das Motiv des Angeklagten für ihre Begehung nicht feststellen konnte, ist die Annahme, es habe kein Fall des § 213 (1. Alternative) StGB vorgelegen, mit Blick auf die Persönlichkeiten von Täter und Opfer sowie deren Lebenssituation rechtlich unbedenklich begründet worden.
10
II. Der Maßregelausspruch hält der Nachprüfung durch das Revisionsgericht im Wesentlichen stand.
11
1. a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist rechtsfehlerfrei.
12
aa) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte einen Hang zum Rauschmittelkonsum im Übermaß aufweist.
13
bb) Es hat den weiterhin für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum im Übermaß und der Begehung der Anlasstaten für die Maßregelanordnung nur knapp begründet. Jedoch ergibt sich dieser Symptomzusammenhang zumindest aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe mit hinreichender Deutlichkeit.
14
Eine Tatbegehung durch den Angeklagten im akuten Rausch ist nicht festgestellt worden. Außer dem akuten Rausch während der Tatbegehung nennt das Gesetz aber auch die Alternative, dass die Tat in sonstiger Weise auf den Hang zum Rauschmittelkonsum im Übermaß zurückgeht. Dabei muss ein Ursachenzusammenhang festgestellt werden, der etwa bei Geldbeschaffungsdelikten mit dem Folgeziel des Drogenerwerbs oder aber im sozialen Verfall des Täters infolge des Rauschmittelkonsums bestehen kann. Der Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum muss zudem nicht die alleinige Ursache der Begehung von Straftaten sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4StR 27/11). Eine dissoziale Persönlichkeitsstruktur des Täters schließt die Mitursächlichkeit des Hangs zum Rauschmittelkonsum für die Tatbegehung nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 StR 543/01, NStZ-RR 2002, 107). Allerdings muss die hangbedingte Tat zugleich wiederum Symptomcharakter für künftige weitere Straftaten besitzen, deren Prognose den materiellen Maßregelgrund bildet. Die Vor- und Anlasstaten der Maßregelentscheidung sind wichtige Indizien für die Prognosebeweiswürdigung. Sie lassen hier in der Gesamtschau einen Symptomzusammenhang zwischen dem Hang zum Drogenkonsum und der Kriminalität des Angeklagten erkennen. Die Tötung von F. erfolgte im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Drogenkonsum in der Wohnung des Opfers. Auch der Verdeckungsmord des Angeklagten zum Nachteil von Fa. wegen seiner Entdeckung in deren Gartenhütte, die er für seinen Drogenkonsum aufgesucht hatte, steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum. Früher bereits abgeurteilte Gewaltdelikte lassen in ähnli- cher Weise einen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Kriminalität des Angeklagten erkennen.
15
cc) Rechtlich fehlerfrei hat das Landgericht zudem aus der von sozialem Verfall und zunehmend schwerer werdender Kriminalität bis hin zu den Tötungsverbrechen geprägten Biographie des Angeklagten auf die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten infolge seines Hanges zum Drogenkonsum geschlossen.
16
dd) Schließlich ist auch die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten der Maßregel im Sinne von § 64 Satz 2 StGB durch das Revisionsgericht nicht zu beanstanden.
17
Das Landgericht hat konkrete Erfolgsaussichten rechtsfehlerfrei aus der Therapiebereitschaft des Angeklagten und seinen früheren Versuchen, sich eigenständig von der Drogensucht zu lösen, begründet. Dass einzelne Therapieversuche im Zusammenhang mit früherer Straf- oder Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB erfolglos geblieben sind, schließt einen künftigen Erfolg dann nicht aus.
18
b) Die Anordnung des Vorwegvollzuges von drei Jahren und sechs Monaten der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beruht aber auf rechtsfehlerhaften Überlegungen.
19
Das Landgericht hat angenommen, es könne im Fall des Angeklagten ausnahmsweise nicht von einer Strafrestaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe unter Anrechnung des Maßregelvollzuges ausgegangen werden. Eine solche Annahme lässt das Gesetz in § 67 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Satz 1 StGB jedoch nicht zu. Die dortige Anknüpfung an den Halbstrafenzeitpunkt ist zwingend (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - 5 StR 327/09, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 17; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 67 Rn. 11a). Nur die Frage, ob das Gericht von der Möglichkeit der Anordnung des Vorwegvollzuges eines Teils der Strafe Gebrauch macht, liegt in seinem Ermessen.
20
Diese Ermessensentscheidung kann der Senat nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzen; daher ist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
21
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ist wiederum ohne Rechtsfehler getroffen worden.
22
Die formellen Maßregelvoraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 und 3 StGB liegen im Hinblick auf die Vorverurteilungen wegen Vergewaltigung , versuchten schweren Raubes und Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie im Hinblick auf die wiederholte Strafvollstreckung von mehr als einem Jahr Dauer vor. Gegen die weitere Annahme des sachverständig beratenen Landgerichts, dass der Angeklagte bei Gesamtwürdigung von Täter und Taten infolge eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit selbst bei besonders strenger Prüfung angesichts der Mehrzahl der bisherigen schweren Straftaten des Angeklagten, die gegen Leib und Leben der Geschädigten oder ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gerichtet waren und die das Gefahrenpotenzial für künftige Straftaten andeuten, gewahrt.
23
Zwar ist gemäß der nach § 31 BVerfGG bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts § 66 Abs. 1 StGB verfassungswidrig. Er gilt aber bis zur Neugestaltung des Maßregelrechts, längstens bis zum 31. Mai 2013, weiter (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2010 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.). Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Si- cherungsverwahrung nur aufgrund einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt werden. Dies setzt eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel voraus (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106, 107). Auch nach diesem Maßstab ist die Anordnung der Maßregel durch das Landgericht indes nicht zu beanstanden. Becker Fischer Appl Berger Eschelbach
5 StR 535/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Juli 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Am Tatnachmittag begab sich der vielfach – auch einschlägig – vorbestrafte, alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration ca. 2,5 ‰) aufgrund eines spontanen Tatentschlusses in eine Drogeriefiliale, um sich dort unter Einsatz eines mitgeführten Küchenmessers Geld zu verschaffen. Er trat von hinten dicht an die einzige im Laden befindliche, mit der Auffüllung der Warenregale beschäftigte Verkäuferin heran, fasste sie um die Taille und hielt ihr mit der anderen Hand das Küchenmesser vor das Gesicht. Auf seine Aufforderung öffnete die Zeugin die Kasse, der der Angeklagte Geldscheine und -münzen im Wert von insgesamt 74 € entnahm. Von Passanten, die auf das Geschehen aufmerksam geworden waren, wurde er am Verlassen des Geschäfts gehindert und wenig später festgenommen.
4
b) Sachverständig beraten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass der 47-jährige Angeklagte, der seit 30 Jahren erheblichen Alkoholmissbrauch betreibt, unter einer Polytoxikomanie leidet und zur Tatzeit aufgrund seiner Alkoholisierung vermindert schuldfähig war (§ 21 StGB). Die dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB entnommene Strafe hat sie deshalb gemildert. Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat sie mangels hinreichend konkreter Erfolgsaussicht abgelehnt; seine Alkohol- und Drogensucht ist in der Vergangenheit bereits mehrfach, unter anderem auch im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB erfolglos behandelt worden. Die Anordnung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer auf § 66 Abs. 1 StGB (idF vom 22. Dezember 2010) gestützt, dessen formelle Voraussetzungen sie – rechtsfehlerfrei – bejaht hat. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB und deren Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 Rn. 172) hat sie angenommen.
5
2. Während Schuld- und Strafausspruch frei von Rechtsfehlern sind, hält der Maßregelausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsbegründung genügt nicht den Anforderungen an die strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung , die im Hinblick auf die durch das Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfassungswidrigkeit des Rechts der Sicherungsverwahrung für die Übergangszeit geboten ist. Danach muss in der Regel eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sein (BVerfG aaO).
6
a) Das Landgericht orientiert seine Verhältnismäßigkeitsprüfung (in Anlehnung an Mosbacher, HRRS 2011, 229, 231) alleine an der gesetzgeberisch vorgenommenen Abstufung der Anlassdelikte nach §§ 66 ff. StGB. Danach seien unter schweren Gewaltstraftaten „nach der Wertung des § 66 Abs. 3 StGB zumindest alle Verbrechen zu verstehen, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und in schwerwiegender Weise gegen die persönliche Freiheit richteten“. Hierzu zählt das Landgericht insbesondere auch „Raub- und Erpressungsdelikte nach § 249, 250, 253, 255 StGB“, die von dem Angeklagten nach dessen bisheriger delinquenter Vorgeschichte weiterhin zu erwarten seien (UA S. 42).
7
b) Ob es sich bei prognostizierten Taten um schwere Gewalttaten im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Maßstäbe handelt, ist nicht alleine anhand der gesetzgeberischen Abstufung der Anlassdelikte der Sicherungsverwahrung (vgl. die Kataloge in § 66 Abs. 1 Nr. 1, § 66 Abs. 3 Satz 1 und § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB nF) zu entscheiden. Diese bietet allenfalls eine erste Orientierung. Während vorsätzliche Tötungsdelikte und Vorsatzdelikte mit qualifizierender Todesfolge grundsätzlich als schwere Gewaltstraftaten anzusehen sind, gilt dies für die von der Strafkammer erwarteten Raubdelikte ungeachtet der in den Fällen der §§ 249, 250, 255 StGB hohen Strafdrohungen und der für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen nicht ohne Weiteres (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober2011 – 2 StR 305/11). Sie können nur in Abhängigkeit vonihren – auf der Grund- lage konkreter Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen – vorhersehbaren individuellen Umständen als schwere Gewalttaten gewertet werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9 Rn. 8). Dabei spielt naturgemäß vor allem das Ausmaß der eingesetzten oder angedrohten Gewalt bei den zu prognostizierenden Straftaten eine mitbestimmende Rolle.
8
c) Die Strafkammer hat ferner nicht berücksichtigt, dass die vom Bundesverfassungsgericht geforderte strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung dahin zu verstehen ist, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit, das heißt, nicht nur der Erheblichkeit weiterer Straftaten, sondern auch der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung, ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschlüsse vom 13. September 2011 – 5StR 189/11, Rn. 21 und vom 26. Oktober 2011, aaO, Rn. 7). Die – gegenüber bisherigen Maßstäben – erhöhte Gefährlichkeit muss im Übrigen „aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen“ abzuleiten sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen an die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose ge- forderte „Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten“ (BGH, Urteil vom 4. August 2011, aaO). Diese konkreten Umstände (wie etwa Anzahl und Frequenz der Vorstrafen, Tatbilder der Vor- und Anlasstaten, psychische Störungen des Angeklagten) sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu benennen.
9
d) Der Senat hebt die Maßregelanordnung mit den Feststellungen auf, um eine umfassende Prüfung der materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB durch das neue Tatgericht zu ermöglichen.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 93/11
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
hier: Verfahren gemäß § 275a StPO
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
Deggendorf vom 18. November 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Entscheidung liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
2
1. Die Jugendkammer verurteilte den Angeklagten am 22. Februar 2008 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, versuchter Vergewaltigung in drei Fällen und Verstoßes gegen ein Berufsverbot in drei Fällen zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten. Seine Revision hat der Senat am 9. September 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 449/08). Durch Urteil vom 18. November 2010 hat die Jugendkammer die (ursprünglich vorbehaltene) Sicherungsverwahrung des Verurteilten angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat der Senat am 29. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen (1 StR 93/11).
3
2. Auf die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. Juni 2012 festgestellt, die Entscheidungen des Landgerichts vom 18. November 2010 und des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 verletzten ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (2 BvR 1048/11). Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wurde aufgehoben; die Sache wurde an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
4
a) Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, § 66a StGB i.d.F. des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) verletze nur aus den Gründen seines Urteils vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 ff.) das Grundgesetz. (Auch) § 66a StGB sei daher nach Maßgabe des genannten Urteils bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - weiterhin anwendbar, jedoch nur unter Beachtung eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser sei, wie bereits im Urteil vom 4. Mai 2011 ausgeführt, regelmäßig nur gewahrt, wenn aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen die Gefahr „schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte“ abzuleiten sei. Diese nur noch eingeschränkte Anwendbarkeit von § 66a StGB berücksichtigten die Entscheidungen vom 18. November 2010 und 29. März 2011 nicht. Es sei unerheblich, dass sie vor dem Urteil vom 4. Mai 2011 ergangen seien.
5
b) Das Urteil des Landgerichts vom 18. November 2010 hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben. Der Bundesgerichtshof habe in einer erneuten Revisionsentscheidung zu prüfen, ob die Feststellungen des Landgerichts unter Anwendung der Maßgaben des Urteils vom 4. Mai 2011 (Nr. III 1 des Tenors i.V.m. den Urteilsgründen) eine abschließende Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung ermöglichen oder ob ergänzende Feststellungen erforderlich seien.
6
II. Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
7
1. Nach der Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2011 war nicht nur über die Sachrüge - also über die Anordnung der Sicherungsverwahrung - neu zu befinden, sondern auch über die ursprünglich angebrachten Verfahrensrügen. Gründe, aus denen jetzt, anders als bei der Entscheidung vom 29. März 2011, eine Verfahrensrüge Erfolg hätte, sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die Rüge, die Jugendkammer hätte hier nicht in reduzierter Besetzung (§ 33b Abs. 2 JGG, in der zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung) entscheiden dürfen. Die Auffassung, durch die Mitwirkung von nur zwei Berufsrichtern sei das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden, hat das Bundesverfassungsgericht (B III der Gründe des Beschlusses vom 20. Juni 2012) zurückgewiesen. Allerdings sollen nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I 2011 S. 2554) diese (unter anderem) dann „zwingend mit drei Berufsrichtern besetzt sein, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Siche- rungsverwahrung … zu erwarten ist“ (so zusammenfassend BT-Drucks. 17/6905 S. 9), jedoch gilt für vor dem 1. Januar 2012 beim Landgericht anhängig gewordene Verfahren die frühere Rechtslage fort (§ 121 Abs. 2 JGG für große Jugendkammern, ebenso § 41 Abs. 1 EGGVG für große Strafkammern). Diese sah auch bei möglicher Sicherungsverwahrung nicht zwingend drei Berufsrichter vor.
8
2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos.
9
Die Maßstäbe, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ergeben, betreffen die Erheblichkeit der künftig zu erwarten- den Straftaten und die Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12; Beschluss vom 24. Juli 2012 - 1 StR 57/12; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11 jew. mwN).
10
a) Im Ausgangsverfahren wurden schwere Sexualstraftaten abgeurteilt. Ihnen liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
11
(1) In drei Fällen hat der Angeklagte versucht, gewaltsam mit seinem erigierten Penis in den After eines 16 Jahre alten Jungen einzudringen.
12
(2) In zwei Fällen waren der Angeklagte und ein Mittäter gemeinsam mit einem Mädchen, das mindestens neun und keinesfalls älter als zwölf Jahre alt war und deren etwa drei Jahre jüngeren Bruder in der Kapelle eines Schlosses. Auf Aufforderung entkleideten sich die Kinder völlig, der Angeklagte und sein Mittäter waren am Unterleib entblößt. Während das Mädchen an dem Mittäter unter anderem Oralverkehr vornahm, musste der Junge mit seiner Hand am Glied des Angeklagten manipulieren. Einmal manipulierte auch das Mädchen auf Aufforderung mit der Hand am Glied des Angeklagten bis zum Samenerguss.
13
Die zusätzliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen ein Berufsverbot (der Angeklagte hatte sich wiederholt über das im Rahmen eines Urteils wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen rechtskräftig ausgesprochene Verbot der Ausbildung, Betreuung und Beaufsichtigung von Jugendlichen unter 15 Jahren hinweggesetzt) kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.
14
b) Bei den hier abgeurteilten Sexualstraftaten handelt es sich um schwerwiegende Sexualstraftaten.
15
(1) Ob Gewalttaten schwerwiegend sind, wird sich - unbeschadet der letztlich stets entscheidenden Umstände des Einzelfalls - regelmäßig aus einer Gesamtschau ergeben, die insbesondere das Motiv der Gewaltanwendung, ihre Art und ihr Maß sowie die durch sie verursachten oder zumindest konkret drohenden physischen und/oder psychischen Folgen beim Opfer umfasst. Wendet der Täter Gewalt an, um den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen des Opfers zu brechen, insbesondere auch, um in dessen Körper einzudringen (Vergewaltigung), wird in aller Regel eine Tat vorliegen, die so schwer wiegt, dass sie nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 Grundlage einer Sicherungsverwahrung sein kann (BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Für die hier abgeurteilten wiederholten Versuche, einen Jugendlichen zu vergewaltigen, gilt nichts anderes.
16
(2) Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern lassen regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung von deren sexueller Entwicklung besorgen. Auch wenn sie - wie häufig - statt mit Gewalt durch den Missbrauch von - etwa erzieherischen - Einwirkungsmöglichkeiten (zu Sexualstraftaten zum Nachteil von Jugendlichen vgl. insoweit § 174 StGB), letztlich meist unter Ausnutzung altersbedingt noch unzureichender Verstandes- bzw. Widerstandskräfte begangen werden, weisen sie einen erheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt auf (BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 mwN). Dementsprechend wäre es rechtsfehlerhaft, von Sicherungsverwahrung trotz eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern maßgeblich deswegen abzusehen, weil gewaltsamer Missbrauch nicht zu befürchten sei (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10; Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 jew. mwN). Dieser Ansatz gilt trotz der nur noch eingeschränkten Anwendbarkeit der Bestimmungen über Sicherungsverwahrung unverändert fort. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 können Grundlage von Sicherungsverwahrung schwerwiegende Gewalt- o d e r Sexualdelikte sein, nicht nur (etwa als beispielhafte Erläuterung schwerwiegender Gewaltdelikte) gewaltsam begangene Sexualdelikte.
17
Seelische Schäden bei kindlichen Opfern sexuellen Missbrauchs liegen zwar meist nahe, sie sind aber nicht immer ohne weiteres leicht festzustellen. Überhaupt nicht möglich ist eine prognostisch zuverlässige Bestimmung des Maßes seelischer Schäden bei nicht individualisierbaren Opfern zu erwartender Sexualstraftaten (BGH aaO). Ob eine Sexualstraftat zum Nachteil eines Kindes im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 schwer wiegt, ist daher jedenfalls regelmäßig im Wesentlichen nach dem Tatbild zu beurteilen.
18
Daran, dass es sich danach bei den hier festgestellten, gleichzeitig von mehreren Tätern zum Nachteil mehrerer Kinder begangenen Taten um schwerwiegende Sexualstraftaten handelt, können insgesamt keine Zweifel bestehen, auch wenn der Angeklagte weder Gewalt anwendete, noch in den Körper der Kinder eindrang. Diese Bewertung ist vom Alter der Kinder unabhängig , sie wird aber noch weiter dadurch verstärkt, dass der vom Angeklagten selbst öfter noch als das Mädchen missbrauchte Junge noch keine zehn Jahre alt war.
19
c) Entsprechende, jedenfalls in ihrem kriminellen Gewicht mit den abgeurteilten Taten vergleichbare Taten sind im Ergebnis ausweislich der Feststellungen der Jugendkammer aus konkreten, in der Person des Angeklagten und seinem Verhalten liegenden Gründen mit dem für eine solche Prognoseentscheidung erforderlichen Maß an hochgradiger Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2012 - 1 StR 160/12 mwN) zu erwarten.
20
(1) Die hierfür erforderlichen konkreten Umstände aus dem Verhalten des Verurteilten ergeben sich - von dem hier nicht einschlägigen Fall des erstmals bestraften Mehrfachtäters abgesehen - regelmäßig aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 5 StR 535/11). Hierzu ist von der Jugendkammer detailliert und rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte seit Jahrzehnten im In- und Ausland wegen immer wieder gleichartiger oder ähnlicher Taten in Erscheinung getreten und mehrfach bestraft worden ist. So wurde er etwa vom Appellationsgericht Trient zu über fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er, wiederholt gemeinsam mit Mittätern, männliche Kinder und Jugendliche immer wieder sexuell missbraucht und diese dabei häufig zum Oralverkehr veranlasst hatte; zumindest ein Teil der Taten hing mit seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer zusammen ; damit vergleichbar war er sowohl zuvor als auch danach in Deutschland wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verurteilt worden, die ihm in einem Internat oder in Jugendgruppen anvertraut waren.
21
(2) Ebenfalls rechtsfehlerfrei geht die Jugendkammer davon aus, dass mit derartigem Verhalten des Verurteilten, wie es sich seit langer Zeit verfestigt hat, auch künftig mit höchster Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Dies schließt sie, ebenfalls rechtsfehlerfrei, aus der von ihr eingeholten sachverstän- digen Beratung, die auf der Grundlage sämtlicher Erkenntnisse erfolgte, die über den Angeklagten vorhanden waren, wobei dieser - wozu er berechtigt war - ebenso wie schon im Verfahren, das zur Anlassverurteilung führte, keinerlei Angaben gegenüber dem Sachverständigen machte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2008 - 1 StR 449/08). Sie hat dabei festgestellt, dass beim Angeklagten eine Präferenzstörung im Sinne einer Pädophilie vom ausschließlichen Typus (Kern-Pädophilie: ICD-10: F65.4) vorliegt, die auch den Bereich der Ephebophilie (sexuelle Reizbarkeit nicht nur durch vorpubertäre Kinder, sondern auch durch pubertierende Jugendliche) umfasst. Freilich könnte eine Prognose höchster Wahrscheinlichkeit gleichartiger Taten nicht allein auf nur abstrakte, (wenngleich hier hohe) statistische Wahrscheinlichkeiten gestützt werden, die sich aus diesen Feststellungen ergeben (vgl. BVerfGE 109, 190, 242; BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05). Die Strafkammer hat der genannten Prognose vielmehr zutreffend sämtliche Erkenntnisse über den Lebensweg des Verurteilten zu Grunde gelegt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Verurteilte schon seit sehr langer Zeit systematisch die Nähe von dann häufig missbrauchten Kindern und Jugendlichen sucht.
22
d) Ebenso hat sie sämtliche hierbei zu beachtende Gesichtspunkte (z.B. das inzwischen fortgeschrittene Alter des [1944 geborenen] Verurteilten, seine familiären Verhältnisse, die im Rahmen bisherigen Strafvollzugs angefallenen Erkenntnisse und die von künftigem Strafvollzug zu erwartenden Auswirkungen ) rechtsfehlerfrei sowohl bei der Bewertung der Gefährlichkeit des Verurteilten als auch innerhalb des von ihr gemäß § 66a StGB auszuübenden Ermessens gegeneinander abgewogen.
23
e) Nach alledem ist nicht erkennbar, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung von zusätzlichen Feststellungen abhinge, die erst nach der Klärung bisher nicht behandelter Fragen getroffen werden könnten. Die Entscheidung der Jugendkammer entspricht (auch) den Maßstäben, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 für die Anordnung von Sicherungsverwahrung ergeben. Nack Wahl Jäger Cirener Sander

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.