Bundesgerichtshof Urteil, 20. Aug. 2013 - 5 StR 248/13

bei uns veröffentlicht am20.08.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 248/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2013, soweit es den Angeklagten J. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Taten 1 a bis 1 d), unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition (Tat 2 a), Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (Tat 2 b) sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Tat 2 c) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Einen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler (§ 301 StPO) hat die Prüfung nicht ergeben.
2
1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Wahl der Strafrahmen, der Bemessung der Einzelstrafen sowie der Bildung der Gesamtstrafe zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser „auf die Rückgabe der Asservate verzichtet hat“ (UA S. 20, 21 und 23). Dem Senat ist die Prüfung verwehrt, ob der genannte Umstand als bestimmender Milderungsgrund angesehen werden durfte. Denn das Urteil teilt nicht mit, welche Gegenstände im Verfahren asserviert worden sind, wem diese zustehen und welchen Wert sie haben. Soweit es sich dabei um das sichergestellte Marihuana sowie den Revolver nebst Munition gehandelt haben sollte, wäre deren Einziehung ohnehin möglich – und unerlässlich – gewesen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG, § 54 Abs. 1 Nr. 1 WaffG).
3
In gleicher Weise hat das Landgericht die erlittene Untersuchungshaft für sich genommen strafmildernd berücksichtigt. Eine solche ist jedoch regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, denn sie wird nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100). Aber auch wenn – wie hier – eine Freiheitsstrafe deshalb zur Bewährung ausgesetzt wird, weil der Angeklagte durch den Vollzug der Untersuchungshaft hinreichend beeindruckt ist und besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB bejaht werden, verbietet sich eine zusätzliche mildernde Berücksichtigung bei der Bemessung der Strafhöhe (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645; Schäfer/Sander/van Gemmeren , Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 742 Fn. 475). Zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände des Haftvollzuges, die zu dessen Gunsten hätten gewertet werden dürfen, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. Oktober 2008 – 5 StR 456/08, StV 2009, 80).
4
2. Der Senat kann nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreiem Vorgehen andere Strafen festgesetzt hätte. Die danach erforderliche Aufhebung der Einzelstrafen zieht diejenige des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt, können die Feststellungen bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
5
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
6
Sollte einem Geständnis des Angeklagten im Fall 1 d bei insgesamt unveränderter Beweissituation „aufgrund der schlechteren Beweislage“ wiederum „ein besonders Gewicht“ (UA S. 20) zugemessen werden, bedürfte dies ausführlicherer Begründung.
7
Sofern sich die Frage der Aussetzung der Gesamtstrafe zur Bewährung erneut stellen sollte, dürfte hierbei die erlittene Untersuchungshaft in die Gesamtabwägung eingestellt werden. Dabei wäre jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zuvor schon einmal zwei Jahre und acht Monate Jugendstrafe hat verbüßen müssen. Zu bedenken wäre auch die Fortsetzung der Tatserie ungeachtet zwischenzeitlicher vorläufiger Festnahme.
Basdorf Sander Schneider Dölp König

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. Aug. 2013 - 5 StR 248/13

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Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 51 Anrechnung


(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann
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Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

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(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 33 Einziehung


Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 32 bezieht, können eingezogen werden. § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

Waffengesetz - WaffG 2002 | § 54 Einziehung


(1) Ist eine Straftat nach den §§ 51, 52 Abs. 1, 2 oder 3 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 5 begangen worden, so werden Gegenstände, 1. auf die sich diese Straftat bezieht oder2. die durch sie hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebrauch

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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 32 bezieht, können eingezogen werden. § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

(1) Ist eine Straftat nach den §§ 51, 52 Abs. 1, 2 oder 3 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 5 begangen worden, so werden Gegenstände,

1.
auf die sich diese Straftat bezieht oder
2.
die durch sie hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind,
eingezogen.

(2) Ist eine sonstige Straftat nach § 52 oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 53 begangen worden, so können in Absatz 1 bezeichnete Gegenstände eingezogen werden.

(3) § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

(4) Als Maßnahme im Sinne des § 74f Absatz 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches kommt auch die Anweisung in Betracht, binnen einer angemessenen Frist eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die Erteilung einer Erlaubnis nach § 10 vorzulegen oder die Gegenstände einem Berechtigten zu überlassen.

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

5 StR 456/08

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. April 2008 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
1. a) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrem auf die Überprüfung des Strafausspruchs beschränkten Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
b) Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer erfuhr der in seinem Selbstwertgefühl gering ausgeprägte, wenig kontaktfreudige und konfliktscheue Angeklagte am 22. September 2006 gegen Mittag, dass sein Bruder im Irak durch eine detonierte Autobombe erheblich verletzt worden war. Diese Nachricht beschäftigte und beunruhigte den Angeklagten. Er lief ziellos in der Gegend umher und trank in der Folgezeit Alkohol, um das Ereignis zu verdrängen. Im weiteren Verlauf des Tages suchte der Angeklagte ein Lokal auf. Dort traf er auf die Zeugin D. , mit der er sich, weiter Alkohol trinkend , angeregt und interessiert unterhielt. Nach Mitternacht kam es zu einem Streit zwischen der Zeugin und dem Angeklagten, in dessen Verlauf sie sich gegenseitig beleidigten. Der verärgerte Angeklagte schlug der Zeugin sodann spontan in Verletzungsabsicht mit der Hand gegen die Schulter, worauf sich die Zeugin eine schmerzhafte und blutende Kopfplatzwunde zuzog, weil sie beim Sturz von ihrem Barhocker mit dem Kopf gegen eine Tischkante gestoßen war. Der schlichtend eingreifende K. wurde seinerseits sofort von dem ansonsten zurückhaltenden Angeklagten aggressiv mit einem Barhocker bedrängt, den er wegstellte, nachdem sein Kontrahent ebenfalls einen Barhocker ergriffen hatte. Nachdem beide – unmittelbar anschließend – in eine Rangelei am Fußboden verwickelt waren, in deren Verlauf der Angeklagte eine stark blutende Kopfplatzwunde erlitt, wandte sich K. von dem Angeklagten ab. Der Angeklagte, der jetzt seine eigene Verletzung wahrnahm, ergriff sogleich und spontan einen auf dem Tresen stehenden 500 g schweren sowie einen Durchmesser von 15 cm aufweisenden Aschenbecher und warf diesen aus ein bis zwei Meter Entfernung in Richtung des Kopfes des K. . Dadurch trug dieser eine Schädelfraktur mit einer Epiduralblutung davon, die eine Hirnstammeinklemmung hervorrief. In der Folgezeit kam es durch diese Verletzung zu einem Versagen mehrfacher Vitalfunktionen, so dass K. am 10. Dezember 2006 verstarb.
3
Das Landgericht geht weiter davon aus, dass der Angeklagte infolge des Alkoholgenusses – die Entnahme einer Blutprobe war mit Rücksicht auf die eigene erhebliche Verletzung des Angeklagten unterblieben – in beiden Fällen mit einer Blutalkoholkonzentration von höchstens 2,35 Promille, errechnet aus Trinkmengenangaben, möglicherweise in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei. Bei der Tat zum Nachteil K. s seien die Tatfolgen trotz der alkoholischen Beeinflussung für den Angeklagten vorhersehbar gewesen.
4
Die Schwurgerichtskammer hat im Übrigen festgestellt, dass der durchschnittlich intelligente Angeklagte wegen Betruges und versuchten Be- truges vorbestraft ist. Unter anderem ist er am 27. Januar 2005 mit einer Geldstrafe belegt worden, weil er „in stark alkoholisiertem Zustand in einem Bistro … aus Verärgerung über ein angeblich gegen ihn ausgesprochenes Hausverbot für sich und andere Gäste alkoholische Getränke im Wert von 234 € bestellt“ hatte (UA S. 6), ohne diese bezahlen zu können bzw. zu wollen.
5
Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen hat die Schwurgerichtskammer bei der Tat zum Nachteil K. das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 227 Abs. 2 StGB verneint, aber in beiden Fällen von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht.
6
Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat das Landgericht u. a. die deutliche Alkoholisierung des Angeklagten, seine erste Inhaftierung 1 ¼ Jahr nach der Tat sowie die selbst erlittene Verletzung strafmildernd berücksichtigt.
7
2. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
8
a) Dass das Landgericht nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen hat, weil der Angeklagte in Folge seiner Alkoholisierung möglicherweise vermindert schuldfähig gewesen ist, ist nicht zu beanstanden.
9
Ob in derartigen Fällen eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen wird, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung der Gesamtumstände zu beurteilen. Dabei unterliegt die pflichtgemäße Einschätzung des Tatrichters nur eingeschränkt revisionsgerichtlicher Überprüfung (BGHSt 49, 239, 242 ff.). Zwar spricht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit aufgrund zu verantwortender Trunkenheit in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung. Allerdings muss sich das Risiko der Begehung von Straftaten für den Täter aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalles vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht haben (BGH aaO). Die Feststellungen des Landgerichts belegen rechtsfehlerfrei, dass dies im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall war. Das Landgericht hat festgestellt, dass der „selten im Übermaß Alkohol“ zu sich nehmende, „konfliktscheue“ , „äußerst anpassungsfähige“ und „schwierigen Situationen regelmäßig aus dem Weg“ gehende Angeklagte grundsätzlich seinen Alkoholkonsum „ohne Schwierigkeiten steuern und kontrollieren“ könne (UA S. 5). Den Feststellungen ist weiter zu entnehmen, dass die Alkoholaufnahme des Angeklagten am Tattag einen besonderen, höchst nachvollziehbaren Grund gehabt hat, nämlich die Nachricht von der Verletzung seines Bruders im Irak durch die Explosion einer Autobombe. Unter diesen Umständen und angesichts dessen, dass die eine geringe mit alkoholischer Beeinflussung einhergehende Vorstrafe kein Gewaltdelikt zum Gegenstand hatte, konnte das Landgericht davon ausgehen, dass das Risiko der Begehung von Straftaten infolge des vorangegangenen Alkoholgenusses nicht signifikant erhöht war, als die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Zeugin D. entbrannte. Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs der Geschehnisse in der sich für den Angeklagten weiter aufheizenden Situation führt auch der Umstand, dass es nunmehr zu einer Auseinandersetzung des verärgerten Angeklagten mit dem sich schlichtend einschaltenden K. kam, in deren Folge, wie das Landgericht festgestellt hat, der Angeklagte „sogleich“ und „spontan“ (UA S. 10) einen auf dem Tresen stehenden Aschenbecher ergriff und diesen gegen K. warf, zu keiner anderen Bewertung.
10
Die Revision kann auch nicht mit der Erwägung des Generalbundesanwalts durchdringen, dass sich der Angeklagte im Verlauf der körperlichen Auseinandersetzungen seiner alkoholbedingten Aggressivität bewusst geworden sei, die damit einhergehende Gefahr der Begehung weiterer Gewaltdelikte erkannt habe und deshalb Veranlassung gehabt hätte, sich zurückzuziehen. Eine solche Aufspaltung des in engem zeitlichen Zusammenhang abgelaufenen Gesamtgeschehens einschließlich der inneren Vorgänge bei dem Angeklagten findet in den Urteilsgründen keine Stütze. Vielmehr ist bei lebensnaher Betrachtung von einem einheitlichen Geschehen auszugehen.
11
b) Auch die übrigen engeren Strafzumessungserwägungen begegnen keinen durchgreifenden Bedenken.
12
Soweit die Revision beanstandet, die Schwurgerichtskammer habe die zur Strafrahmenverschiebung führende Alkoholbeeinflussung gewissermaßen deckungsgleich auch als strafmildernde Umstände berücksichtigt, hat sie keinen Erfolg. Dadurch, dass der Tatrichter die „deutliche“ (UA S. 26) Alkoholisierung des Angeklagten anführt, hat er hier dem besonderen Umstand des Grades der Alkoholisierung – nach dem Kontext auch der besonderen Ursache – Rechnung getragen (vgl. BGH NStZ 1984, 548; 1992, 538) und damit bereits mehr als die nochmalige Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit als solcher angeführt.
13
Auch die strafmildernden Erwägungen des Landgerichts in Bezug auf die von dem Angeklagten verbüßte Untersuchungshaft sind frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat im Gegensatz zur Revision nicht den Vollzug der Untersuchungshaft an sich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, sondern zulässigerweise (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 434) zusätzliche, den Angeklagten beschwerende Umstände gewürdigt, indem es hervorgehoben hat, dass der Angeklagte „erst mehr als 1 ¼ Jahr nach der Tat in Haft genommen wurde und er mit der Inhaftierung erst im Alter von 45 Jahren seine erste Hafterfahrung gemacht hat“ (UA S. 26, 27).
14
Desgleichen ist es von dem Senat hinzunehmen, dass die Schwurgerichtskammer die Verletzung des Angeklagten, die dieser im Rahmen des Gesamtgeschehens erlitten hat, als strafmilderndes Kriterium herangezogen hat, zumal letztlich erst jene Verletzung ausschlaggebend für den Spontanentschluss zur Tatbegehung war.
15
Darüber hinaus vermisst die Revision zu Unrecht die Berücksichtigung der Tathandlung in der Nähe eines mit dolus eventualis begangenen Totschlags. Das Landgericht führt bei der Prüfung der Anwendung eines minder schweren Falles nach § 227 Abs. 2 StGB und im Rahmen der Erwägungen zu strafschärfenden Gesichtspunkten die „hohe Pflichtwidrigkeit des Fahrlässigkeitsverstoßes“ (UA S. 26, 27) und die „Rücksichtslosigkeit“ (UA S. 27) an. Damit ist der Grenzbereich zum bedingten Vorsatz beschrieben.
16
Schließlich löst sich die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe von der Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nicht soweit nach unten, dass gesagt werden müsste, sie lägen nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten und von der Revision hinzunehmenden Bemessungsspielraums (Fischer, StGB 55. Aufl. § 46 Rdn. 115a m.w.N.). Angesichts der von der Schwurgerichtskammer aufgeführten Zumessungserwägungen sind die festgesetzten Einzelstrafen bei dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB reduzierten Strafrahmen und die danach gefundene Gesamtfreiheitsstrafe auch mit Blick auf den Tod des K. zwar außerordentlich milde, aber im Ergebnis noch nicht unvertretbar niedrig.
Basdorf Raum Brause Schaal Dölp

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.