Bundesgerichtshof Urteil, 23. Nov. 2006 - III ZR 65/06

bei uns veröffentlicht am23.11.2006
vorgehend
Amtsgericht Stralsund, 91 C 114/04, 08.08.2005
Landgericht Stralsund, 1 S 237/05, 22.02.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 65/06
Verkündet am:
23. November 2006
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist zwischen einem Telefonanschlussinhaber und seinem Teilnehmernetzbetreiber
strittig, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich ein
auf dem Heimcomputer des Anschlussinhabers vorgefundenes
Schadprogramm auf das Telefonentgeltaufkommen ausgewirkt hat, ist
über die widerstreitenden Behauptungen ein Sachverständigengutachten
einzuholen, es sei denn das Gericht verfügt ausnahmsweise über
eigene besondere Sachkunde und legt diese im Urteil und in einem
vorherigen Hinweis an die Parteien dar.
BGH, Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06 - LG Stralsund
AG Stralsund
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die
Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 22. Februar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Klägerin betreibt ein Telekommunikationsnetz für die Öffentlichkeit und stellt ihren Kunden Telefonanschlüsse zur Verfügung. Der Beklagte schloss 1999 mit der Klägerin einen Vertrag über einen ISDN-Anschluss. Diesen verwendeten der Beklagte und seine Angehörigen auch, um mit ihrem Heimcomputer das Internet zu nutzen. Der Zugang hierzu wurde ihnen durch ein anderes Unternehmen verschafft.
2
Unter dem 28. Mai 2001 berechnete die Klägerin dem Beklagten für von ihr hergestellte Verbindungen im Zeitraum vom 18. Februar bis 16. Mai 2001 sowie für die Bereithaltung des Anschlusses insgesamt 2.886,44 DM (= 1.475,81 €). Darin enthalten waren 2.341,90 DM (= 1.197,39 €) für Verbindungen zu mehreren Mehrwertdienstenummern. Diesen Betrag beglich der Beklagte nicht. Auf seinem Rechner wurde bei einer Überprüfung ein Schadprogramm der Kategorie "Backdoor-Explorer 32-Trojan" festgestellt.
3
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund dieses Programms sei der Anschein der Richtigkeit der von der Klägerin erstellten Rechnung erschüttert worden. Das Schadprogramm habe, so hat er behauptet, einen Dialer installiert und damit das unbemerkte Anwählen der berechneten Mehrwertdienste verursacht. Dies habe er nicht zu vertreten.
4
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der strittigen Verbindungsentgelte verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer von der Vorinstanz zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe


5
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


6
Dieses hat in seiner in MMR 2006, 487 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der Anscheinsbeweis für die Richtigkeit der Rechnung der Klägerin sei erschüttert. Das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Virus könne dazu geführt haben, dass Nutzerdaten ausgespäht worden seien. Diese hätten dazu missbraucht werden können, um mit den Zugangscodes, die der Beklagte und seine Angehörigen zur Einwahl in das Internet verwendeten, ohne das Zutun und den Willen des Berechtigten das Internet auf Kosten des Anschlussinhabers zu nutzen, vergleichbar mit dem unbefugten Aufschalten einer zweiten Leitung. Dies sei von dem berechtigten Nutzer, der zu Vorkehrungen gegen Computerviren nicht ohne besonderen Anlass verpflichtet sei, nicht zu vertreten.

II.


7
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
8
1. Das angefochtene Urteil beruht, wie die Revision mit Recht rügt, darauf, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen, die seiner Entscheidung zugrunde liegen, verfahrensfehlerhaft getroffen hat.
9
a) Das Berufungsgericht durfte nicht ohne weiteres davon ausgehen, das auf dem Heimcomputer vorgefundene Schadprogramm habe dazu führen können , dass unbefugte Dritte unter Ausspähung und anschließender Verwendung der Zugangsdaten des Beklagten über eine virtuelle "zweite Leitung" auf dessen Kosten Mehrwertdienste nutzten sowie Dialer aktivierten und so die strittigen Verbindungsentgelte verursachten. Der Sachvortrag der Parteien bot für diese Annahme keine hinreichende Grundlage.
10
Der Beklagte hat, wie für die erste Instanz auch aufgrund des Tatbestandes des amtsgerichtlichen Urteils feststeht (§ 314 ZPO), in tatsächlicher Hinsicht lediglich behauptet, durch das Schadprogramm sei heimlich ein Dialer installiert worden, der unbemerkt Verbindungen in das Internet über Mehrwertdienstenummern hergestellt habe. Diesen Sachvortrag hat der Beklagte in der Berufungsinstanz schriftsätzlich wiederholt. Dass er darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung weitere Behauptungen über die Wirkungsweise des "Trojaners" aufgestellt hat, ist weder dem Sitzungsprotokoll noch den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen. Die vom Berufungsgericht angenommene Funktionsweise des Schadprogramms unterscheidet sich wesentlich von derjenigen, die der Beklagte vorgetragen hat. Während ein heimlich installierter Dialer von dem betroffenen Computer aus Internetverbindungen selbsttätig über teure Mehrwertdienstenummern herstellt (vgl. Senatsurteil BGHZ 158, 201), geht das Berufungsgericht, wie es im Einzelnen ausführt, im Gegensatz dazu davon aus, dass der "Trojaner" "nur“ die Internetzugangsdaten des befallenen Rechners ausspäht und es so ermöglicht, auch von anderen Computern aus das Internet auf Kosten des geschädigten Anschlussinhabers zu nutzen. Im ersten Fall wird stets der betroffene Rechner für die Verbindungen verwendet. In der zweiten Fallgestaltung können hingegen andere Computer genutzt werden, wobei ein berechtigter Zugang vorgetäuscht wird.
11
Auch mit dem Vortrag der Klägerin ist die Annahme des Berufungsgerichts nicht in Einklang zu bringen. Diese hat den Behauptungen des Beklagten - insoweit noch in Übereinstimmung mit dem Ausgangspunkt der Vorinstanz - entgegen gehalten, das Schadprogramm habe es lediglich ermöglicht, dass Dritte die auf dem Computer gespeicherten Benutzerdaten ausspähen. Nicht vorgetragen hat die Klägerin hingegen, dass der Missbrauch dieser Daten dazu führen konnte, dass sich die Rechnung für die von der Klägerin hergestellten Verbindungen erhöhte. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang ihrer Ausführungen der Wille der Klägerin, dies zu bestreiten. In der Anspruchsbegründung hat die Klägerin zwar erklärt, über die ausspionierte Zugangsberechtigung hätten auf Kosten des Berechtigten Verbindungen aufgebaut werden können. Dem ist aber - entgegen der Schlussfolgerung der Vorinstanz - nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin eingeräumt hat, diese Verbindungen würden, wie die hier strittigen, als solche, die sie hergestellt hat, auf der Telefonrechnung erscheinen. Soweit die Behauptungen der Klägerin mehrdeutig waren, hätte die Vorinstanz gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO auf die von ihr aus dem Vortrag gezogenen Schlüsse hinweisen und Gelegenheit zu dessen Präzisierung geben müssen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87 - juris Rn. 13, insoweit nicht in NJW-RR 1988, 1373 f abgedruckt).
12
Die Klägerin hätte, wie sie mit der Revision geltend macht, auf einen solchen Hinweis vorgetragen und unter Sachverständigenbeweis gestellt, das Ausspähen der Benutzerdaten hätte allenfalls ermöglicht, dass sich der unberechtigte Nutzer auf Kosten des Anschlussinhabers bei dem Unternehmen, das diesem den Zugang zum Internet verschafft (Access-Provider), einwählt. Dies hätte bewirkt, dass sich die vom Provider abgerechneten, auf der Telefonrechnung der Klägerin gesondert ausgewiesenen Kosten erhöht hätten, nicht aber - wie hier - das Entgelt für die von der Klägerin hergestellten 0190-Verbindungen. Das Berufungsgericht hätte, wenn es diesen Vortrag, wie geboten, berücksichtigt hätte, zu den unterschiedlichen Behauptungen der Parteien Beweis erheben müssen (dazu auch sogleich b). http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 7 -
13
b) Das Berufungsgericht hätte, wie die Revision ebenfalls zutreffend rügt, überdies nicht ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens davon ausgehen dürfen, der auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene "Trojaner" habe, vergleichbar mit einer zweiten Leitung, das strittige erhöhte Entgeltaufkommen verursachen können. Die Annahme der Vorinstanz beruht auf einer technischen Schlussfolgerung aus dem Vortrag der Klägerin. Diesen Schluss durfte das Berufungsgericht nicht aus eigener Sachkompetenz ziehen. Es hätte die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags anregen oder die Beweisanordnung gegebenenfalls von Amts wegen (§ 144 Abs. 1 ZPO) treffen müssen.
14
Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - NJW 2000, 1946, 1947). Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. Die Würdigung eines nicht einfachen technischen Sachverhalts, wie die Beurteilung , in welcher Weise das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Schadprogramm wirkt und ob es das umstrittene Entgeltaufkommen verursachen konnte, setzt besondere computertechnische Kenntnisse voraus und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht (Ernst CR 2006, 590, 594). Der Tatrichter kann, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (z.B.: BGHZ 159, 254, 262; BGH, Urteile vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - NJW-RR 2002, 166, 167 und vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 jew. m.w.N.). Eigenes computer- technisches Fachwissen hat das Berufungsgericht jedoch weder in dem Urteil noch, wie es außerdem geboten gewesen wäre (vgl. MünchKommZPO/Damrau , ZPO, 2. Aufl., § 402 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 402 Rn. 7), in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dargetan.
15
2. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
Schlick Wurm Streck
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
AG Stralsund, Entscheidung vom 08.08.2005 - 91 C 114/04 -
LG Stralsund, Entscheidung vom 22.02.2006 - 1 S 237/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 23. Nov. 2006 - III ZR 65/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 23. Nov. 2006 - III ZR 65/06

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 314 Beweiskraft des Tatbestandes


Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.
Bundesgerichtshof Urteil, 23. Nov. 2006 - III ZR 65/06 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 314 Beweiskraft des Tatbestandes


Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 144 Augenschein; Sachverständige


(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hi

Referenzen - Urteile

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Referenzen

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 205/00 Verkündet am:
17. Oktober 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AUB 61 § 8 II (1); ZPO §§ 286 F, 287
In der Unfallversicherung (hier: AUB 61) unterliegen die gesundheitliche Beeinträchtigung
als solche und die Frage ihrer Dauerhaftigkeit uneingeschränkt dem Beweismaß
des § 286 ZPO; dagegen kann für die Frage, ob die dauernde Beeinträchtigung
der Arbeitsfähigkeit auf die unfallbedingte Gesundheitsschädigung zurückzuführen
ist, von der Beweiserleichterung des § 287 ZPO Gebrauch gemacht werden.
BGH, Urteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Oktober 2001

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 21. Juli 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Er unterhält bei ihr seit dem 26. Juli 1977 eine Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme von 400.000 DM. Dem

Vertrag liegen Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB) zugrunde , deren Wortlaut den AUB 61 entspricht. Der Kläger erlitt am 22. Juli 1991 aufgrund eines Auffahrunfalls ein HWS-Schleudertrauma. Sein Hausarzt stellte am 10. Juni 1992 aus dem Unfallereignis resultierende Dauerfolgen fest. Am 5. Oktober 1992 machte der Kläger bei der Beklagten Invaliditätsansprüche geltend. Nach Begutachtung des Klägers durch mehrere medizinische Sachverständige lehnte die Beklagte am 7. August 1995 Leistungen ab.
Der Kläger hat 25% der vereinbarten Versicherungssumme verlangt. Seine Arbeitsfähigkeit sei als Folge des Unfalls dauernd beeinträchtigt. Unter anderem sei die Beweglichkeit des Kopfes eingeschränkt. Er verspüre ständig Schmerzen im Bereich von Kopf und Nakken und leide an Schwindelgefühlen. Diese Beschwerden seien typische Folge eines Schleudertraumas, andere Ursachen nicht denkbar. Vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen. Die Beklagte verneint demgegenüber das Vorliegen eines unfallbedingten Dauerschadens.
Das Landgericht hat nach Einholung weiterer medizinischer Gutachen die auf Zahlung von 100.000 DM gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach ergänzender Beweisaufnahme die Beklagte in Höhe von 80.000 DM nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung , soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts liegt beim Kläger ein Dauerschaden vor. Sämtlichen gerichtlichen und außergerichtlichen ärztlichen Stellungnahmen sei eine langjährige, sich nicht verändernde Beschwerdesymptomatik zu entnehmen. Diese sei zwar nach den Gutachten der Sachverständigen S. und I. nicht auf das Unfallereignis vom 22. Juli 1991 zurückzuführen. Dennoch sei der - nach Maßgabe des § 287 ZPO festzustellende - Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Dauerschaden deutlich wahrscheinlicher als eine unfallunabhängige Entwicklung des Beschwerdebildes, selbst wenn der Einschätzung des Sachverständigen M. nicht zu folgen wäre. Die Beurteilung der Sachverständigen S. und I. werde maßgeblich dadurch beeinflußt , daß - anders als nach der Beurteilung des Sachverständigen M. - ein direkter Nachweis knöcherner oder ligamentärer Verletzungen der Halswirbelsäule fehle. Es erscheine aber der Ansatz in der medizinischen Literatur sachgerecht, daß es bei einem HWS-Trauma zu Abweichungen vom Regelverlauf kommen und insbesondere ein röntgenologisch nicht erfaßbarer Entwicklungsprozeß in Gang gesetzt werden könne. Der Kläger sei vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen; ein Zusammenhang mit einem früheren Unfall im Jahre 1982 scheide aus. Die Möglichkeit einer degenerativen, sich erst mit dem Unfall manifestieren-

den Vorschädigung lasse die haftungsausfüllende Kausalität nicht entfallen. Auch die weiter denkbare Ursache einer psychosomatischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens wäre im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität noch zuzurechnen. Der Invaliditätsgrad, für dessen endgültige Bemessung auf eine Prognose am Ende des dreijährigen Zeitraums gemäû § 13 AUB 61 abzustellen sei, sei aufgrund der vorprozessualen Stellungnahmen der Gutachter v. T. und He. mit 20% anzusetzen. Der weitergehenden Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen M. sei nicht zu folgen, da dieser den angenommenen Invaliditätsgrad von 30% nicht nachvollziehbar begründet habe.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung aus mehreren Gründen nicht stand.
1. Der Kläger hat den Nachweis dafür zu führen, daû die geltend gemachte Teilinvalidität Folge des Unfalls vom 22. Juli 1991 ist, bei dem er unstreitig ein HWS-Trauma erlitten hat. Dabei kann für die Frage, ob die behauptete dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auf die unfallbedingte Gesundheitsschädigung zurückzuführen ist, von der Beweiserleichterung des § 287 ZPO Gebrauch gemacht werden (Senatsurteil vom 12. November 1997 - IV ZR 191/96 - r+s 1998, 80 unter 4). Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reicht dann eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, daû der vom Kläger vorgetragene Dauerschaden in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1999 - IX ZR 332/98 - NJW 2000, 509 unter I 1;

vom 22. September 1992 - VI ZR 293/91 - NJW 1992, 3298 unter II). Das hat das Berufungsgericht nur im Ausgangspunkt richtig gesehen. Die Revision beanstandet zu Recht, daû die notwendige Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts auf nicht hinreichend gesicherter Grundlage beruht, daû mit unrichtigen Maûstäben gearbeitet und wesentlicher Tatsachenvortrag der Beklagten auûer acht gelassen worden ist. Die Ausübung des durch § 287 ZPO eingeräumten, grundsätzlich freien tatrichterlichen Ermessens erweist sich somit als fehlerhaft und ist für diesen Fall einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1992 - VI ZR 264/91 - VersR 1992, 1410 unter 1 b bb; BGHZ 102, 322, 330).

a) Das Berufungsgericht hat sich in unzulässiger Weise über die Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. S. und Dr. I. hinweggesetzt, deren medizinischer Einschätzung es nicht gefolgt ist.
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, vom Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen. Auch im Rahmen der freien Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO kann er, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens aber nur verzichten, wenn er entsprechende eigene Sachkunde auszuweisen vermag (BGH, Urteil vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 unter II). Das gilt ebenso, wenn er fremde Sachkunde durch eigene ersetzen und sich aufgrund dessen über das Ergebnis einer sachverständigen Begutachtung hinwegsetzen möchte.

Eigene medizinische Sachkunde hat das Berufungsgericht nicht dargetan. Es stützt sich, soweit es den genannten Sachverständigen nicht folgen will, lediglich auf eine Veröffentlichung in der Literatur, ohne zu begründen, inwieweit dadurch medizinisches Fachwissen vermittelt wird, das sich gegenüber demjenigen der gerichtlichen Sachverständigen durchzusetzen vermag, oder auch nur zu verdeutlichen, die für die Auswertung medizinischer Literatur erforderliche Sachkunde zu besitzen, die eine Abweichung von der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen rechtfertigen könnte (BGH, Urteil vom 2. März 1993 - VI ZR 104/92 - NJW 1993, 2378 unter II 1 a). Seine Ausführungen, infolge der engen anatomischen Nachbarschaft des HWS-Bereiches zum zentralen Nervensystem könne es – wie in der medizinischen Literatur vertreten - bei einem HWS-Trauma zu Abweichungen vom Regelverlauf und zu einem Ingangsetzen röntgenologisch nicht erfaûbarer Entwicklungsprozesse kommen, setzen eine solche, vom Berufungsgericht nicht ausgewiesene Sachkunde voraus. Sie beruhen zudem auf einer generalisierenden Betrachtungsweise, die den gebotenen Bezug zum Einzelfall vermissen läût.

b) Das Berufungsgericht läût weiter nicht erkennen, aus welchen Gründen und inwieweit es sich dem Gutachten des Neurootologen Dr. M. anschlieûen möchte. Während es sich zunächst auf eine Auseinandersetzung mit den Gutachten S. und I. beschränkt und offengelassen hat, ob den Feststellungen des Sachverständigen M. gefolgt werden kann, bezieht es im weiteren anscheinend die Ergebnisse dieses Sachverständigengutachtens in seine Erwägungen ein. Dann aber hätte es der Dar-

legung bedurft, weshalb dieses Gutachten gegenüber den Ergebnissen des Orthopäden und der Neurologin den Vorzug verdient. Der Sachverständige S. hat in Abweichung von den Erkenntnissen des Sachverständigen M. jeglichen Dauerschaden beim Kläger verneint, die Sachverständige I. jedenfalls einen solchen, der als unfallbedingt zu betrachten wäre.
Bei widersprechenden Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger darf das Gericht nicht ohne eine einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorrang geben (vgl. Senatsurteil vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a). Gemäû § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt der Tatrichter Art und Umfang der Beweisaufnahme zwar weitgehend selbst. Geht es jedoch um die Würdigung des Ergebnisses einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme, muû diese plausibel und erschöpfend sein. Es steht dem Tatrichter nicht frei, einmal erhobene Beweise bei der abschlieûenden Entscheidungsfindung auûer acht zu lassen. Das widerspricht dem Grundsatz, daû sich der Tatrichter auch bei § 287 ZPO um die Sachverhaltsfeststellung bemühen und die Berücksichtigung aller für die Beurteilung maûgeblichen Umstände erkennen lassen muû (BGH, Urteil vom 16. Juni 1992 - VI ZR 264/91 - VersR 1992, 1410 unter II 1 b bb). Das hat das Berufungsgericht versäumt. Auûerdem sind die Grundsätze der §§ 398, 402 ZPO miûachtet worden. Nachdem das Landgericht dem Gutachten des neurootologischen Sachverständigen M. nicht zu folgen vermochte und in seinem Urteil die aus seiner Sicht bestehenden Mängel der sachverständigen Ausführungen aufgezeigt hatte, wäre eine mündliche Anhörung auch dieses Sachverständigen angezeigt gewesen (vgl.

BGH, Urteil vom 8. Juni 1993 - VI ZR 192/92 - NJW 1993, 2380 unter II 2 a zu § 286 ZPO). Statt dessen hat sich das Berufungsgericht, das von der landgerichtlichen Beurteilung abweichen wollte, auf eine Anhörung der Sachverständigen S. und I. beschränkt.
Aus den Erwägungen des Berufungsgerichts geht ferner nicht hervor , ob die Ergebnisse der Sachverständigen S. und I. für sich gesehen oder erst in Gegenüberstellung mit dem Gutachten M. als nicht überzeugend erscheinen. Ein offenkundiger Widerspruch liegt überdies darin, daû das Berufungsgericht an anderer Stelle, nämlich bei Feststellung des Invaliditätsgrades, das Gutachten des Sachverständigen M. für nicht nachvollziehbar begründet hält. Dieser Mangel wäre geeignet, sich auch auf die weiteren Teile des Gutachtens auszuwirken. Das Berufungsgericht legt nicht dar, weshalb das Gutachten trotz seiner aufgezeigten inhaltlichen Schwächen mehr Überzeugungskraft als die Stellungnahmen der Sachverständigen S. und I. besitzen soll.

c) Weiter hat das Berufungsgericht, wie die Revision zutreffend rügt, die von der Beklagten beigebrachten Privatgutachten nicht berücksichtigt. Der Sachverständige Prof. H. hat in seinem von Anfang 1994 stammenden orthopädischen Gutachten eine als unfallabhängig zu wertende dauernde Beeinträchtigung beim Kläger ebenso verneint wie der Sachverständige Dr. He. in seinem orthopädischen Gutachten vom 24. Juli 1995, ohne daû das Berufungsgericht auf die Erkenntnisse dieser beiden Privatgutachten eingegangen wäre.

Privatgutachten sind substantiierter Parteivortrag (Senatsurteil vom 15. Juni 1998 - IV ZR 206/97 - NVersZ 1999, 84 unter 2 b; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00 - NJW 2001, 77 unter II 1). Sie dürfen bei der Bewertung anderer (gerichtlicher) Sachverständigengutachten nicht übergangen werden, sondern verpflichten den Tatrichter, sich mit ihnen sorgfältig zu befassen (Senatsurteil vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a; BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - X ZR 121/96 - NJW-RR 2000, 44 unter 6 b; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 aaO unter II 2). Dem ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen.

d) Die tatrichterliche Würdigung nach § 287 ZPO erweist sich nach alledem als fehlerhaft und unvollständig. Schon deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzugeben.
2. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:

a) Die Beklagte hat bestritten, daû beim Kläger ein (unfallbedingter ) Dauerschaden vorliegt. Die Revision greift dies auf, indem sie auf den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen Prof. S. verweist, der einen Dauerschaden verneint hat. Die gesundheitliche Beeinträchtigung als solche und die Frage ihrer Dauerhaftigkeit unterliegen uneingeschränkt dem Beweismaû des § 286 ZPO (Senatsurteil vom 12. November 1997 - IV ZR 191/96 - r+s 1998, 80 unter 4). Das Berufungsgericht sieht einen Dauerschaden als erwiesen an, ohne daû sich aus dem angefochtenen Urteil seine konkrete Ausgestaltung ergäbe. Es

befaût sich nicht damit, ob die vom Kläger vorgetragene "Beschwerdesymptomatik" tatsächlich besteht, wie sie sich im einzelnen äuûert und wodurch sie im Sinne des § 286 ZPO belegt ist. Im übrigen müûte die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten sein (vgl. BGHZ 137, 247, 252).

b) Bei der Bemessung der Invalidität ist, wie das Berufungsgericht selbst hervorhebt, nur der Gesundheitszustand zu berücksichtigen, der bis zum Ablauf der 3-Jahres-Frist des § 13 Abs. 3 a AUB 61 zu prognostizieren ist; später gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden (Senatsurteil aaO unter 3 a; Senatsurteil vom 23. September 1992 - IV ZR 157/91 - NJW 1993, 201 unter 2). Das Berufungsgericht konnte sich daher nicht auf die Gutachten Dr. v. T. und Prof. Dr. He. stützen. Der Sachverständige He., der im übrigen einen durch den Unfall vom 22. Juli 1991 bedingten Dauerschaden gleichfalls verneint hat, hat seine Untersuchungen am 18. Juli 1995 vorgenommen und in das Gutachten die Ergebnisse einer Röntgenaufnahme vom 8. März 1995 und einer Tomographie vom selben Tage einflieûen lassen. Alle diese Untersuchungen fallen in die Zeit nach Ablauf der dreijährigen Frist. Das Gutachten des Sachverständigen v. T. ist zwar vor dem 22. Juli 1994 erstellt , nimmt aber lediglich eine Teilinvalidität von "ca. 20%" an, so daû das Berufungsgericht hier hätte begründen müssen, weshalb es dadurch den Beweis der vom Kläger behaupteten Teilinvalidität in Höhe von wenigstens 20% als geführt angesehen hat.
Terno Dr. Schlichting Seiffert

Dr. Kessal-Wulf Felsch

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.