Bundesgerichtshof Urteil, 13. Apr. 2000 - IX ZR 144/99

bei uns veröffentlicht am13.04.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 144/99 Verkündet am:
13. April 2000
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
------------------------------------
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4
Ein Schuldner, der vereinzelt noch Zahlungen leistet, kann gleichwohl im Sinne der
Anfechtungsvorschriften seine Zahlungen eingestellt haben.
BGH, Urteil vom 13. April 2000 - IX ZR 144/99 - Brandenburgisches OLG
LG Potsdam
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. April 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die
Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. März 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an den 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Schuldnerin unterhielt zwei Girokonten, eines bei der verklagten Sparkasse und eines bei der Dresdner Bank. Das Konto bei der Beklagten war das "Hauptgeschäftskonto", weil der Schuldnerin darauf ein Kontokorrentkredit in Höhe von 500.000 DM gewährt wurde. Demgegenüber wurde das Konto bei der Dresdner Bank auf Guthabenbasis geführt. Über dieses Konto wurden deshalb weit weniger Umsätze abgewickelt.
Am 20. August 1996 stand das Konto bei der Beklagten mit 626.864,38 DM im Soll. Ab dem 21. August 1996 ließ die Beklagte keine Verfügungen mehr zu. Sie führte keine Überweisungsaufträge der Schuldnerin mehr aus, gab Lastschriften an die Gläubiger zurück und löste keine Schecks mehr ein. Eingehende Zahlungen schrieb sie dem Konto gut. Zwischen dem 20. August und dem 7. November 1996 betrugen die Gutschriften insgesamt 93.831,91 DM. Am 8. November 1996 wurde die Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Am 2. Mai 1997 wurde das Verfahren eröffnet; zum Verwalter wurde der Kläger bestellt.
Dieser verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Auskehr des Betrages von 93.623,99 DM. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.


Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein anfechtungsrechtlicher Rückgewähranspruch entsprechend § 37 KO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO bestehe nicht. Im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung seien nur Rechtshandlungen des Schuldners der Anfechtung unterworfen. Eine solche Rechtshandlung sei hier nicht gegeben.

II.


Dem folgt der Senat nicht. Wie er inzwischen entschieden hat (Urt. v. 20. Januar 2000 - IX ZR 58/99, WM 2000, 434 f, z.V.b. in BGHZ), sind gemäß § 10 Abs. 1 GesO i.V.m. §§ 29 ff KO analog auch Rechtshandlungen eines Gläubigers anfechtbar. Daran hält der Senat fest.

III.


Ebensowenig läßt sich derzeit die Klageabweisung wegen Fehlens der anderen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GesO rechtfertigen.
1. Es ist nicht auszuschließen, daß die Zahlungen, die der Kläger für die Masse in Anspruch nimmt, bei der Beklagten nach der Zahlungseinstellung der Schuldnerin eingegangen sind.
Allerdings hat das Landgericht gemeint, der Kläger habe eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin vor dem 8. November 1996 nicht dargetan. Einer derartigen Annahme stünden erhebliche Geldbewegungen auf dem Konto bei der Dresdner Bank entgegen, die noch nach dem 21. August 1996 stattgefunden hätten. Dem ist aber schon das Berufungsgericht nicht gefolgt. Die Beklagte habe - s o hat es ausgeführt - der Schuldnerin "den Geldhahn zugedreht" , was bei ihr den Verdacht auf Zahlungsunfähigkeit habe begründen müssen. Nähere Darlegungen hierzu hat das Berufungsgericht nicht gemacht, weil es von seinem Standpunkt aus hierauf nicht ankam.
Auszugehen ist von folgendem: Zahlungseinstellung liegt - wie bei § 30 Nr. 1 Fallgruppe 1 KO - vor, sobald nach außen erkennbar geworden ist, daß der Schuldner seine fälligen, ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten nicht mehr zu erfüllen vermag (st. Rspr.; vgl. Senatsurt. v. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95, ZIP 1996, 2080, 2082; v. 9. Januar 1997 - IX ZR 1/96, WM 1997, 432, 435). Nicht gefordert wird Einstellung aller Zahlungen. Daß der Schuldner vereinzelt - auch wenn es sich dabei insgesamt um eine beachtliche Summe handelt - noch Zahlungen leistet, steht der Annahme der nach außen erkennbar gewordenen Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen. Es genügt, daß das Unvermögen zur Zahlung und die darauf beruhende Zahlungsunfähigkeit den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Schuldners betreffen (BGH, Urt. v. 11. Juli 1991 - IX ZR 230/90, NJW 1992, 624).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe kann die Schuldnerin am 21. August 1996 ihre Zahlungen eingestellt haben. Wie das Landgericht festgestellt hat, fanden zwar danach über das zweite Konto der Schuldnerin bei der Dresdner Bank noch Geldbewegungen statt. So hat die Schuldnerin am 21. August 1996 - unmittelbar nach der Sperre des "Hauptkontos" - über das Konto bei der Dresdner Bank die Löhne für den Monat Juni 1996 in Höhe von 70.850,21 DM ausgezahlt. Danach war das Konto im Soll. Bis zum 30. Januar 1997 wurden - entsprechend den sich zwischenzeitlich wieder ergebenden Guthaben - weitere Zahlungen in Höhe von insgesamt ca. 87.000 DM über dieses Konto geleistet. Diese Zahlungen sind jedoch - verglichen mit den zuvor über das Konto bei der Beklagten abgewickelten Umsätzen - geringfügig. Im Durchschnitt hat die Schuldnerin vom 21. August 1996 bis zum 30. Januar 1997 weniger als 30.000 DM im Monat über das Konto bei der Dresdner Bank bezahlt. Nach dem Vortrag des Klägers hatte die Schuldnerin über das Konto bei der Beklagten vor der Kontosperre mindestens 300.000 DM im Monat bewegt. Es kommt hinzu , daß die Schuldnerin bereits Ende Juni 1996, ohne Berücksichtigung der Lohnrückstände, mindestens Schulden in Höhe von 1.428.683,23 DM hatte. Im Verhältnis dazu sind Zahlungen in Höhe von 87.000 DM als unbedeutend anzusehen. Nach der Behauptung des Klägers hatten die Gläubiger ihre Forderungen auch ernsthaft geltend gemacht.
2. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kommt außerdem in Betracht, daß eine Zahlungseinstellung der Beklagten zumindest bekannt gewesen sein muß.
Kennt der Anfechtungsgegner Tatsachen, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen, schadet ihm im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO
bereits einfache Fahrlässigkeit (BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 337/97, WM 1998, 2345, 2347). Nach dem Vortrag des Klägers wußte die Beklagte, daß das bei ihr geführte Konto das "Hauptgeschäftskonto" der Schuldnerin war, dieser nur über dieses Konto ein Kreditrahmen eröffnet war und demgemäß die Geschäftsumsätze weitgehend über dieses Konto abgewickelt wurden. Sie kannte außerdem sämtliche Verbindlichkeiten der Schuldnerin. Wenn die Beklagte unter solchen Umständen das "Hauptgeschäftskonto" sperrte, liegt die Annahme nicht fern, daß sie damit rechnen mußte, die Schuldnerin werde den wesentlichen Teil ihrer Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen können.
3. Durch die Verrechnung der Gutschriften mit dem jeweiligen Debetsaldo wurden die übrigen Gläubiger - wie in § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO vorausgesetzt - benachteiligt. Denn dadurch wurde ihnen ein Zugriff auf die gutgeschriebenen Forderungen unmöglich gemacht.
4. Die zweijährige Frist des § 10 Abs. 2 GesO hat der Kläger eingehalten.

IV.


Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da die Sache noch nicht entscheidungsreif ist - die Beklagte hat bestritten, daß die Verbindlichkeiten der Schuldnerin ernsthaft eingefordert waren, und festgestellt ist hierzu nichts -, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Vorsitzender Richter Dr. Paulusch ist verstorben. Die Richter Kirchhof und Dr. Zugehör sind in Urlaub und können daher nicht unterschreiben. Fischer Fischer Ganter

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 564 Keine Begründung der Entscheidung bei Rügen von Verfahrensmängeln


Die Entscheidung braucht nicht begründet zu werden, soweit das Revisionsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 547.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 565 Anzuwendende Vorschriften des Berufungsverfahrens


Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Z
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Apr. 2000 - IX ZR 144/99 zitiert 3 §§.

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Die Entscheidung braucht nicht begründet zu werden, soweit das Revisionsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 547.

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 58/99 Verkündet am:
20. Januar 2000
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
GesO § 10
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO können auch Rechtshandlungen von Gläubigern
angefochten werden.
BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 - IX ZR 58/99 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch
und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Januar 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der R. GmbH in Senftenberg (fortan: Schuldnerin). Ein Finanzamt des verklagten Landes erließ am 4. Februar 1997 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung , mit der es wegen Steuerschulden von insgesamt 333.317,43 DM unter anderem Guthaben der Schuldnerin bei der Sparkasse N. in Senftenberg pfändete und die Einziehung der gepfändeten Ansprüche anordnete. Die Sparkasse , der die Verfügung am Tage ihres Erlasses zugestellt wurde, überwies
an das Finanzamt am 10. Februar 1997 einen Betrag von 151.317,43 DM. Auf Antrag der Schuldnerin vom 26. Februar 1997 wurde am 25. April 1997 die Gesamtvollstreckung eröffnet.
Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Anfechtung Zahlung in Höhe des geflossenen Geldes. Der Kläger hält die Pfändungs- und Einziehungsverfügung für anfechtbar, weil die Schuldnerin im Februar 1997 die Zahlungen eingestellt habe und dies dem Finanzamt jedenfalls hätte bekannt sein müssen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.


Land- und Oberlandesgericht (das Berufungsurteil ist abgedruckt in NZI 1999, 229) haben die Klage für unbegründet gehalten, weil im Bereich der Gesamtvollstreckungsordnung nur Rechtshandlungen des Schuldners, d.h. nur
solche Handlungen anfechtbar seien, die zumindest auch auf einer Willensentscheidung des Schuldners beruhten. Das treffe für die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Beklagten nicht zu.

II.


Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 vor Nr. 1 und Nr. 4 GesVO und GesO hatten der Gesetzgeber der Gesamtvollstreckungsverordnung vom 6. Juni 1990 (GBl.-DDR I Nr. 32 S. 285) und derjenige der Gesamtvollstrekkungsordnung (Einigungsvertrag vom 31. August 1990 Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. II Nr. 1 i.V.m. Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990, BGBl. II S. 885, 1153; Art. 5 des Hemmnisbeseitigungsgesetzes v. 22. März 1991, BGBl. I S. 766, 783; 1185) bei der Regelung des Anfechtungsrechts lediglich Rechtshandlungen des Schuldners im Blick. Bei einer bloßen Wortauslegung schiede im Streitfall eine Anfechtbarkeit aus, weil die Schuldnerin an der Pfändung des Guthabens, aus dem der Beklagte befriedigt wurde, in keiner Weise mitgewirkt hat. Ein Handeln der Schuldnerin durch Unterlassen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nichts darauf hindeutet, daß ein Rechtsbehelf gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts hätte Erfolg haben können (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, Urt. v. 27. November 1974 - VIII ZR 21/73, WM 1975, 6, 7).
2. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 GesO genügt jedoch nicht, um aus ihm den Willen des Gesetzgebers zu entnehmen, die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Gläubigers solle schlechthin ausgeschlossen sein. Vielmehr handelt es sich bei der Vernachlässigung von Gläubigerhandlungen um eine ungewollte Regelungslücke, die nach dem Vorbild von Konkurs- und Insolvenzordnung auszufüllen ist.

a) Gesetzesmaterialien fehlen. Die Ä ußerungen der an der Fassung der Gesamtvollstreckungsverordnung von 1990 maßgeblich beteiligten Ministerialbeamten geben zu der Frage nichts her (vgl. Lübchen/Landfermann ZIP 1990, 829, 834 f; Landfermann in Festschrift für Franz Merz 1992 S. 367, 378, 382). Die Verordnung der ehemaligen DDR über die Gesamtvollstreckung vom 18. Dezember 1975 (GBl.-DDR I 1976 Nr. 1 S. 5), die durch die Verordnung vom 6. Juni 1990 geändert und fortentwickelt wurde, enthielt keinerlei Anfechtungsvorschriften.

b) Bei der Auslegung der Gesamtvollstreckungsordnung ist deren besonderer Charakter zu berücksichtigen. Sie vereint als "Mittelweg" zwischen der zur Zeit ihrer Schaffung seit langem als reformbedürftig erkannten Konkursordnung und der damals noch nicht ausdiskutierten Insolvenzrechtsreform drei unterschiedliche Normenbereiche. Neben Vorschriften, die auf die Gesamtvollstreckungsverordnung der ehemaligen DDR von 1975 zurückgehen, enthält sie aus der Konkursordnung übernommene Regelungen und ferner Bestimmungen , die auf Vorstellungen der Insolvenzrechtsreform beruhen. Der Text der Gesamtvollstreckungsordnung ist bewußt knapp gefaßt und weist eine Vielzahl von Lücken auf. Diese sind häufig durch einen Rückgriff auf Vorschriften der Konkursordnung oder - soweit diese als reformbedürftig erkannt
wurden - durch die Heranziehung der Insolvenzrechtsreform, gegebenenfalls auch von Rechtsprinzipien, die Konkursordnung und Insolvenzordnung gemeinsam zugrunde liegen, systemgerecht zu schließen (vgl. BGHZ 131, 189, 199; 135, 30, 34 f; 139, 319, 322 f).

c) § 10 GesO regelt das gesamte Anfechtungsrecht in einer einzigen Vorschrift. Diese ist auf die Formulierung der Haupttatbestände der Anfechtung beschränkt und notwendig in vielen Punkten ergänzungsbedürftig. Den weitaus größten Teil anfechtbarer Rechtshandlungen machen Handlungen des Schuldners aus. Nach §§ 31, 32 KO, §§ 133, 134 InsO sind allein Schuldnerhandlungen anfechtbar. Für die Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GesO gilt nichts anderes. Die Frage der Anfechtung bloßer Gläubigerhandlungen stellt sich nur im Rahmen der besonderen Konkurs(Insolvenz)anfechtung gemäß § 30 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2 KO, §§ 130, 131 InsO sowie gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO. Auch hier stehen freilich Rechtshandlungen des Schuldners im Vordergrund. Dies spricht dafür, daß sich § 10 Abs. 1 GesO nur deshalb allein mit Rechtshandlungen des Schuldners befaßt, weil die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen , bei denen jede Mitwirkung des Schuldners fehlt, im Vergleich mit der Anfechtbarkeit von Schuldnerhandlungen in ihrer Bedeutung zurücktritt, daß damit aber Rechtshandlungen von Gläubigern und Dritten (vgl. Jaeger /Henckel, KO 9. Aufl. § 29 Rdn. 176 f) nicht von der Anfechtbarkeit ausgenommen werden sollten.
aa) Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß sowohl nach der Konkurs - als auch nach der Insolvenzordnung in der Krise vorgenommene Gläubigerhandlungen anfechtbar sind, mögen die Anfechtungsvoraussetzungen nach beiden Gesetzen auch nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Der diesen
Normen zugrundeliegende Schutzzweck der Gläubigergleichbehandlung - des Kernstücks jedes Insolvenzverfahrens (vgl. BGHZ 118, 151, 160) - gebietet hier eine Anfechtbarkeit ohne Rücksicht darauf, ob der Schuldner die Rechtshandlung vorgenommen oder an ihr durch positives Tun oder Unterlassen mitgewirkt hat oder ob sie allein von Gläubigern vorgenommen wurde. Darauf hat der Bundesgerichtshof in seiner neueren, den Wortlaut des § 30 Nr. 2 KO berichtigenden Rechtsprechung zum Merkmal der Begünstigungsabsicht bereits hingewiesen (BGHZ 128, 196, 200; vgl. auch BGHZ 136, 309, 312).
bb) § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO beruht auf dem gleichen Schutzzweck. Darin , daß die Gesamtvollstreckungsordnung das Gebot der Gläubigergleichbehandlung in der Krise durch § 7 Abs. 3 und § 2 Abs. 4 im Vergleich zu Konkursund Insolvenzordnung verstärkt hat, liegt kein hinreichender Grund, Gläubigerhandlungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz der Anfechtung ganz zu entziehen.
Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 InsO verlieren vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen zugunsten einzelner Gläubiger mit der Verfahrenseröffnung ihre Wirksamkeit. Damit werden - ähnlich wie mit der zeitlich allerdings beschränkten Vorschrift des § 88 InsO - lediglich solche Vollstreckungshandlungen erfaßt, die vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung nicht vollständig durchgeführt wurden, insbesondere nicht zur Befriedigung des Gläubigers geführt haben (vgl. BGHZ 128, 365, 368; 130, 347, 351 f; 140, 253, 257; BGH, Urt. v. 15. Juli 1999 - IX ZR 239/98, ZInsO 1999, 528, z.V.b. in BGHZ). Daß der Gläubiger, der sich durch einen schnellen Zugriff auf das Schuldnervermögen in der Krise über eine Sicherung hinaus sogar Befriedigung verschafft, nicht nur der Rechtsfolge des
§ 7 Abs. 3 Satz 1 GesO, sondern ohne weiteres auch der Anfechtbarkeit seiner Rechtshandlung entgehen sollte, erscheint durch nichts gerechtfertigt.
§ 2 Abs. 4 GesO zufolge sind nach Eingang des Antrags auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Aufrechnungen und Verrechnungen eines Gläubigers mit eigenen Ansprüchen gegen Forderungen des Schuldners, die nach Eingang des Eröffnungsantrags vorgenommen werden, grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 4 GesO i.V.m. § 394 BGB unwirksam (BGHZ 130, 76, 80 ff; 137, 267, 287; BGH, Urt. v. 21. März 1996 - IX ZR 195/95, WM 1996, 834, 835; v. 18. April 1996 - IX ZR 206/95, WM 1996, 1063, 1064; v. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95, WM 1996, 2250, 2251; v. 25. Februar 1999 - IX ZR 353/98, WM 1999, 781, 782). Für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die vor Eingang eines Antrags auf Verfahrenseröffnung beendet sind, gilt § 2 Abs. 4 GesO nicht; auf vor diesem Zeitpunkt vorgenommene Aufrechnungen und Verrechnungen findet die erwähnte Rechtsprechung keine Anwendung (vgl. BGHZ 130, 76, 86; BGH, Urt. v. 14. Januar 1999 - IX ZR 208/97, ZIP 1999, 289, 290, insoweit in BGHZ 140, 270, 271 nicht abgedruckt). Wollte man diese Rechtshandlungen von der Anfechtbarkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO ausnehmen, entstünde eine Schutzlücke, die mit den allgemein anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen , die den vergleichbaren Vorschriften von Konkurs- und Insolvenzordnung zugrunde liegen, nicht zu vereinbaren wäre und auf andere Weise - etwa durch Maßnahmen nach § 2 Abs. 3 GesO - nicht hinlänglich geschlossen werden könnte.

d) Ein Wille des Gesetzgebers der Gesamtvollstreckungsordnung, sich ohne zureichende Sachgründe derart von der Systemgerechtigkeit des überkommenen und künftigen Insolvenzanfechtungsrechts zu entfernen, hätte deutlicher zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das wäre etwa der Fall gewesen , wenn es im Text des § 10 GesO hieße, daß der Verwalter "nur" Rechtshandlungen des Schuldners anfechten kann. Allein aus dem Wortlaut von § 10 Abs. 1 vor Nr. 1 und Nr. 4 GesO und daraus, daß der Gesetzgeber ungeachtet mehrerer Ä nderungen des § 10 GesO und der langjährigen Diskussion einer Anfechtung von Gläubigerhandlungen nach dieser Vorschrift von einer Ä nderung des Wortlauts insoweit abgesehen hat, läßt sich ein solcher Wille nicht ableiten. Vielmehr ist der Wortlaut nach dem Sinn und Zweck der Norm im Wege richterlicher Rechtsfortbildung dahin zu ergänzen, daß unter den weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO auch Gläubigerhandlungen anfechtbar sind.
3. Dieses Verständnis von § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO wird im Anschluß an Fischer (Festschrift für Karlheinz Fuchs 1996 S. 57 ff = ZIP 1997, 717 ff) unterdessen auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur zunehmend vertreten (vgl. neben den Nachweisen in BGHZ 135, 30, 36 f OLG Dresden ZIP 1998, 1646, 1649 f; LG Halle ZIP 1997, 1849, 1850; LG Rostock ZIP 1999, 1852 f; Paulus ZIP 1997, 569, 575; Pape VIZ 1998, 297, 305; Haarmeyer /Wutzke/Förster, GesO 4. Aufl. § 10 Rdn. 16 ff; auch Striewe/Günther ZIP 1998, 1431, 1432, 1434).
4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts werden mit dieser Auslegung die Grenzen, die der richterlichen Rechtserkenntnis durch die Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gezogen sind (vgl.
BVerfGE 88, 145, 166 f), nicht überschritten. Anders als die Regelung des § 61 KO, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 65, 182 zugrunde lag (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGHZ 116, 319, 326), ist die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO keine nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließende Bestimmung, sondern steht der Rechtsfortbildung offen. Daran hat die Aufhebung der Gesamtvollstreckungsordnung durch Art. 2 Nr. 7 EG InsO nichts geändert. Soweit sie - wie hier nach Art. 103 EG InsO - weiter gültig bleibt, sind auf sie die anerkannten Methoden der Rechtsfindung auch fernerhin anzuwenden.

III.


Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die zwischen den Parteien streitigen Fragen zu prüfen, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Zahlungen eingestellt hatte und ob dem Beklagten die Zahlungsunfähigkeit bekannt war oder den Umständen nach bekannt sein mußte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 337/97, ZIP 1998, 2008, 2010 f; v. 14. Oktober 1999 - IX ZR 142/98, ZIP 1999, 1977, 1978). Paulusch Kreft Stodolkowitz Zugehör Ganter

Die Entscheidung braucht nicht begründet zu werden, soweit das Revisionsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 547.

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.