Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2004 - V ZR 225/03

bei uns veröffentlicht am13.02.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 225/03 Verkündet am:
13. Februar 2004
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Beim Weiterverkauf eines Grundstücks unter Gewährleistungsausschluß ist für eine
Verpflichtung zur Abtretung von Gewährleistungsansprüchen gegen den Erstverkäufer
im Wege ergänzender Vertragsauslegung nur dann Raum, wenn besondere
Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Gewährleistungsausschluß dem Zweitkäufer
Ansprüche gegen den Erstverkäufer nicht vorenthalten sowie den Erstkäufer wegen
etwaiger Mängel nicht abschließend entlasten und vor unvorhersehbaren Rückwirkungen
einer Inanspruchnahme des Erstverkäufers schützen sollte (Abgrenzung
zum Senatsurt. v. 20. Dezember 1996, V ZR 259/95, NJW 1997, 652).
BGH, Urt. v. 13. Februar 2004 - V ZR 225/03 - OLG Frankfurt
LG Wiesbaden
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juni 2003 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 15. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren tragen die Kläger.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Kläger erwarben im Mai 2001 von den Beklagten ein Grundstück unter Ausschluß der Sachmängelgewährleistung. Das darauf befindliche Einfamilienhaus hatten diese von einem Architektenehepaar (nachfolgend: Erstverkäufer ) errichten lassen und 1992 gemeinsam mit dem Grundstück erworben.

Bei Bezug des Hauses im September 2001 stellten die Kläger Feuchtigkeitsschäden im Kellergeschoß fest. Sie behaupten unter Vorlage eines Privatgutachtens , diese beruhten darauf, daß wesentliche Bauteile des Hauses abweichend von den genehmigten Plänen und zudem fehlerhaft ausgeführt worden seien. Die Mängel müßten zwar nicht den Beklagten, wohl aber den Erstverkäufern bekannt gewesen sein. Daher stünden den Beklagten unverjährte Gewährleistungsansprüche gegen die Erstverkäufer zu.
Die auf Abtretung dieser Ansprüche sowie Herausgabe einer Kopie des Kaufvertrags mit den Erstverkäufern gerichtete Klage ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Kläger sind die Beklagten im wesentlichen antragsgemäß verurteilt worden. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht meint, ein Anspruch der Kläger auf Abtretung der den Beklagten gegen die Erstverkäufer zustehenden Ansprüche folge aus einer ergänzenden Auslegung des Kaufvertrags. Die Parteien hätten bei dessen Abschluß nicht bedacht, daß Mängel vorhanden sein könnten, für die die Erstverkäufer noch einstehen müßten. Bei Einbeziehung dieses Aspekts hätten
sich die Beklagten nach Treu und Glauben auf eine Abtretung ihrer Gewährleistungsansprüche einlassen müssen. Ob die behaupteten Mängel tatsächlich vorlägen, könne dahinstehen. Da die vertragliche Regelungslücke lediglich die Möglichkeit betreffe, daß Mängel aufträten, die Ansprüche gegen die Erstverkäufer begründeten, seien die Beklagten schon dann zur Abtretung verpflichtet, wenn diese Möglichkeit ernsthaft bestehe; hiervon sei nach dem Vorbringen der Kläger auszugehen.

II.


Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Zwar gehört die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich in den Bereich tatrichterlicher Feststellungen und ist deshalb revisionsrechtlich nur darauf nachprüfbar, ob das Berufungsgericht Auslegungs- und Ergänzungsregeln oder Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (Senat, BGHZ 111, 110, 115; Urt. v. 12. Dezember 1997, V ZR 250/96, NJW 1998, 1219, 1220; BGH, Urt. v. 17. April 2002, VIII ZR 297/01, WM 2002, 1229, 1230). Ein solcher Rechtsfehler ist dem Berufungsgericht aber unterlaufen.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen, unter denen der Senat mit Urteil vom 20. Dezember 1996 (V ZR 259/95, NJW 1997, 652) eine Verpflichtung zur Abtretung etwaiger Gewährleistungsansprüche des Verkäufers gegen den Erstverkäufer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung angenommen hat, nicht für gegeben hält.
Denn anders als in dem der Senatsentscheidung zugrunde liegenden Fall, geht es hier nicht um ein das „allgemeine Mängelrisiko“ übersteigendes „zusätzliches Risiko“ einer Bodenbelastung durch Schadstoffe, das zu regeln die Parteien nicht bedacht haben. Fehlerfrei geht das Berufungsgericht vielmehr davon aus, daß die Qualität der behaupteten Mängel den Rahmen des von den Parteien erwarteten und geregelten Risikos nicht übersteigt.

b) Dem Berufungsgericht ist dagegen nicht auch darin zu folgen, aus dem Umstand, daß keine der Parteien vorgetragen habe, eine mögliche Haftung der Erstverkäufer sei Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen, könne auf eine Regelungslücke des Vertrags geschlossen werden. Fehlender Vortrag indiziert ebenso wenig eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit (vgl. BGHZ 127, 138, 142) wie die Tatsache, daß der Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag aufgrund einer an objektiven Maßstäben orientierten Bewertung des Inhalts der getroffenen Vereinbarung und der daraus abgeleiteten Rechtsfolge (Senatsurt. v. 12. Dezember 1997, V ZR 250/96, NJW 1998, 1219) eine Bestimmung vermissen läßt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen (vgl. BGHZ 90, 69, 74; 77, 301, 304; Staudinger /Roth, BGB [2003], § 157 Rdn. 15). Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Parteien mit der getroffenen Regelung ein bestimmtes Ziel erreichen wollten , dies aber wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten nicht gelungen ist (Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 346/02, zur Veröffentl. vorgesehen). Hingegen darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht herangezogen werden, um einem Vertrag aus Billigkeitsgründen einen zusätzlichen Regelungsgehalt
zu verschaffen, den die Parteien objektiv nicht vereinbaren wollten (BGHZ 77, 301, 304; 40, 91, 103).

c) Bei einem Grundstückskaufvertrag ist das Regelungskonzept der Vertragsschließenden meist auf den Leistungsaustausch und darauf gerichtet, die Haftung des Verkäufers für mögliche Sachmängel zu begrenzen. Bestimmungen zur Haftung Dritter und der Abtretung etwaiger Ansprüche gegen sie sind zur Verwirklichung dieser Ziele in der Regel nicht erforderlich. Haben die Parteien die Gewährleistung für ein bebautes Grundstück - wie hier - ausgeschlossen , so wird damit das „allgemeine Mängelrisiko“ auf den Käufer verlagert. Der Verkäufer soll wegen für möglich gehaltener Mängel nach Gefahrübergang nicht mehr in Anspruch genommen werden können, die Angelegenheit insoweit für ihn „erledigt“ sein. Dieses Regelungskonzept schließt zwar eine Abtretung von Gewährleistungsansprüchen des Verkäufers gegen den Erstverkäufer nicht aus, erfordert es aber auch nicht in dem Sinne, daß das Fehlen der Abtretung die Regelung lückenhaft sein ließe. Von einer Lücke kann nur dann gesprochen werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Verlagerung des allgemeinen Mängelrisikos auf den Käufer diesem Ansprüche gegen den Erstverkäufer nicht vorenthalten und den Verkäufer nicht abschließend wegen etwaiger Mängel entlasten sollte. Einen solchen Anhaltspunkt hat der Senat in der Entscheidung vom 20. Dezember 1996 in dem bei Vertragsabschluß nicht für möglich gehaltenen zusätzlichen Risiko einer Bodenbelastung durch Schadstoffe gesehen. Einen vergleichbaren tatsächlichen Anhaltspunkt gibt es hier jedoch nicht. Allein die rechtliche Überlegung, daß die Rechtsstellung des Käufers nicht schwächer als möglich ausgestaltet und der Erstverkäufer nicht begünstigt werden dürfe, genügt als Billigkeitserwägung nicht zur Begründung einer Regelungslücke. Sie berücksichtigt nicht das be-
rechtigte Interesse des Verkäufers, über eine Verfolgung von Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Erstverkäufer selbst entscheiden zu können , vor unvorhersehbaren Rückwirkungen einer Inanspruchnahme des Erstverkäufers durch den Zweitkäufer verschont zu bleiben und nicht in Rechtsstreitigkeiten zwischen beiden einbezogen zu werden. In diesem Zusammenhang kann hier nicht unberücksichtigt bleiben, daß sich die Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorgerichtlich zu einer Zession nur bereit erklärt haben, sofern sie selbst abschließend von einer Inanspruchnahme freigestellt werden, weil dieses Verhalten Rückschlüsse auf ihren tatsächlichen Willen bei Vertragsschluß zuläßt. Widerstreiten aber in Bezug auf eine mögliche Inanspruchnahme des Erstverkäufers durch den Zweitkäufer die Interessen von Zweitkäufer und Zweitverkäufer, so kann aufgrund einer an objektiven Maßstäben orientierten Bewertung des Inhalts der getroffenen Vereinbarung ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine Lückenhaftigkeit des Vereinbarten geschlossen werden. Damit scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus mit der Folge, daß es bei der gesetzlichen Regelung verbleibt.
2. Nach den hier maßgeblichen, in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anwendbaren gesetzlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind die Beklagten, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, zu einer Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Erstverkäufer nicht verpflichtet. Eine solche Verpflichtung folgt insbesondere nicht aus § 281 BGB a.F. Bei einem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits vorhandenen Mangel der Kaufsache liegt, ungeachtet der Frage, ob behebbare Mängel überhaupt geeignet sind, eine (Teil-)Unmöglichkeit zu begründen (vgl. dazu Staudinger/Honsell, BGB [1995], Vorbem. zu §§ 459 ff Rdn. 19; MünchKomm-BGB/Westermann, 3. Aufl., § 459 Rdn. 3; Erman/Battes,
BGB, 10. Aufl., § 281 Rdn. 6), jedenfalls kein Fall der - von § 281 BGB a.F. al- lein erfaßten - nachträglichen Unmöglichkeit vor (vgl. Staudinger/Honsell, aaO, Rdn. 25). Demgemäß stellt sich - anders als bei einer nachträglichen Verschlechterung der Kaufsache - nach Gefahrübergang auch nicht die Frage, ob ein einmal begründeter, zu den allgemeinen Bestimmungen über Leistungsstörungen zählender Anspruch aus § 281 BGB neben den Regeln über die Sachmängelgewährleistung fortbestehen kann (offengelassen von Senat, BGHZ 114, 34, 37). Vielmehr verbleibt es bei dem vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angewandten Grundsatz, daß die Vorschriften über die Sachmängelgewährleistung beim Kauf nach Gefahrübergang als besondere und abschließende Regelung die allgemeinen Bestimmungen über Leistungsstörungen ausschließen (vgl. Senat, BGHZ 113, 232, 235; BGHZ 60, 319, 320; 10, 242, 248 f.).
Da eine Grundlage für die verlangte Abtretung somit fehlt, war das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil erster Instanz zurückzuweisen.

III.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Wenzel Krüger Klein Gaier Stresemann

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2004 - V ZR 225/03

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Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 281 Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung


(1) Soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2004 - V ZR 225/03 zitiert 4 §§.

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 297/01 Verkündet am:
17. April 2002
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur ergänzenden Auslegung einer Erklärung in einem Unternehmenskaufvertrag,
durch die der Erwerber Schulden des Unternehmens übernimmt.
BGH, Urteil vom 17. April 2002 - VIII ZR 297/01 - OLG Schleswig
LG Kiel
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. April 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 8. Mai 2001 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien, die miteinander verheiratet waren, streiten über eine Schuldübernahmeverpflichtung aus einem Unternehmenskaufvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Während der Ehe betrieb der Beklagte als Einzelunternehmer eine Einrichtung für soziale Integration und Rehabilitation ("S. ") mit Betriebsstätten in M. und A. . Die Klägerin war ebenfalls in der Einrichtung tätig und erledigte unter anderem Büroarbeiten. Gemäß schriftlicher Vereinbarung vom 28. Januar 1993 gewährten die Eltern der Klägerin dem Beklagten ein Darle-
hen über 500.000 DM, das am 31. Juli 1993 zur Rückzahlung fällig war. Die Klägerin übernahm in derselben Vereinbarung die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Rückzahlung des Darlehens und für die Zahlung der Zinsen. Der Darlehensbetrag wurde am selben Tag dem bei der Volksbank E. unterhaltenen Geschäftskonto der vom Beklagten betriebenen Einrichtung gutgeschrieben. Die Rückzahlung des Darlehens erfolgte weder zu dem vereinbarten Zeitpunkt noch später. Im Jahre 1996 trennten sich die Parteien. Im Zusammenhang mit der Trennung und der bevorstehenden Scheidung schlossen sie am 3. Dezember 1996 einen notariellen Unternehmenskaufvertrag, mit dem der Beklagte die von ihm betriebene Einrichtung S. an die Klägerin verkaufte. Hinsichtlich der Übernahme der Aktiva und Passiva enthält der Vertrag unter anderem folgende Regelungen: "§ 2 Es werden alle zum Geschäftsbetrieb gehörenden Gegenstände verkauft und übertragen. Das sind insbesondere das vorhandene Inventar sowie sämtliche Forderungen gegen Bewohner des Heimes und/oder öffentliche Stellen... § 3 Die Käuferin übernimmt alle Darlehensverpflichtungen gegenüber der Volksbank E. eG im Betrage von ca. 1.500.000,00 DM..."
Nach § 6 des Vertrages sollte ein Kaufpreis nicht gezahlt werden. In dem Vertragsentwurf, den der Notar den Parteien vor dem Beurkundungstermin zur Überprüfung zugeleitet hatte, war zunächst folgende Fassung des § 3 vorgesehen:
"Die Käuferin übernimmt die mit dem Geschäftsbetrieb in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten, insbesondere
a) die Verbindlichkeiten zur Zahlung der Miete an die Käuferin selber,
b) die Darlehensverpflichtung gegenüber der Volksbank E. eG im Betrag von ca. 1.500.000,00 DM."
In diesem Text hatte die Klägerin die Worte "die mit dem Geschäftsbetrieb..." bis einschließlich "b) die Darlehensverpflichtung" gestrichen und durch den handschriftlichen Zusatz "sämtliche Darlehensverpflichtung" ersetzt. Entsprechend dieser Änderung wurde der Vertrag beurkundet, ohne daß der Beklagte dem widersprach. Mit schriftlicher Vereinbarung vom 26. März 1998 traten die Eltern der Klägerin ihre Forderungen aus dem Darlehensvertrag vom 28. Januar 1993 an die Klägerin ab. Den Hauptsachebetrag in Höhe von 500.000 DM macht sie im vorliegenden Verfahren in voller Höhe geltend, nachdem sie erstinstanzlich nur einen Teilbetrag von 100.000 DM eingeklagt hatte. Der Beklagte hält die Klage für unbegründet. Er behauptet, bei Abschluß des Unternehmenskaufvertrages seien sich alle Beteiligten darüber einig gewesen , daß sämtliche Geschäftsverbindlichkeiten von der Klägerin übernommen werden sollten. Dazu habe auch die Verbindlichkeit aus dem betrieblich bedingten und verwendeten Darlehen der Eheleute W. gehört. Die von der Klägerin veranlaßte Änderung des § 3 sei ihm bei der Beurkundung nicht aufgefallen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten einschlieûlich der Klageerweiterung zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, ausgeführt: Die Klägerin könne vom Beklagten die Rückzahlung des Darlehens nicht verlangen, weil ihrem an sich bestehenden Rückzahlungsanspruch auf Grund des Unternehmenskaufvertrages ein Freihalteanspruch des Beklagten entgegenstehe. Die Schuldübernahmevereinbarung in § 3 des Kaufvertrages sei nämlich ergänzend dahin auszulegen, daû sie auch diese Darlehensverbindlichkeit umfasse. Insoweit enthalte der Vertrag eine Lücke, da die Darlehensschuld unstreitig betriebsbezogen sei und wegen ihrer Gröûenordnung hierüber eine Regelung hätte getroffen werden müssen. Die Parteien hätten diesen Punkt jedoch offenbar übersehen. Nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung sei deshalb anzunehmen, daû die Klägerin - entsprechend der Übernahme aller Aktiva - auch alle Passiva einschlieûlich der Darlehensverbindlichkeit gegenüber ihren Eltern übernommen hätte, wenn die Parteien diesen Punkt bedacht hätten. Im übrigen sei die Klägerin, wie sich unter anderem aus einem Schreiben ihres damaligen Rechtsanwalts vom 21. Februar 1997 ergebe, zunächst selbst davon ausgegangen, daû sie für diese Schuld hafte. Die ergänzende Auslegung führe dazu, daû die Klägerin im Verhältnis
zum Beklagten auch gegenüber ihren Eltern für die Rückzahlung des Darlehens hafte.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar gehört die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich zum Bereich der tatrichterlichen Feststellung; sie ist deshalb revisionsrechtlich nur daraufhin nachprüfbar, ob das Berufungsgericht Auslegungs- und Ergänzungsregeln oder Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (BGHZ 111, 110, 115; BGH, Urteil vom 12. Dezember 1997 - V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 = WM 1998, 626). Solche Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht jedoch unterlaufen. 1. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist zunächst, daû die Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke - eine planwidrige Unvollständigkeit - aufweist (BGHZ 127, 138, 142; Senatsurteil vom 10. Oktober 1990 - VIII ZR 370/89, NJW-RR 1991, 176 unter B II 2 a; BGH, Urteil vom 20. Dezember 1996 - V ZR 259/95, NJW 1997, 652). Die Annahme des Berufungsgerichts , der Vertrag vom 3. Dezember 1996 enthalte eine planwidrige Regelungslücke, wird von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen.
a) Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn bewuût offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Das Berufungsgericht sieht eine derartige Lücke darin, daû der Vertrag keine Aussage über das unstreitig betriebsbezogene Darlehen der Eheleute W. enthält, obwohl im Hinblick auf die Übernahme aller Aktiva des Unternehmens
und wegen der Gröûenordnung dieser Verbindlichkeit darüber eine Vereinbarung hätte getroffen werden müssen. Dadurch ist nach Auffassung des Berufungsgerichts auch die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des Inhalts der Vertragsurkunde entkräftet. Das trifft nicht zu. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, daû - wie das Berufungsgericht offenbar meint - in einem Vertrag sämtliche Punkte, die mit dem vereinbarten Rechtsgeschäft in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen , geregelt werden, gibt es nicht. Auch wichtige Punkte bedürfen keiner Regelung , wenn sie weder zur Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen noch zur Klarstellung geboten ist. Soll ein bestimmter Punkt von der Vereinbarung nicht berührt werden, soll er also unverändert fortbestehen und hat auch dieser Fortbestand einen Sinn, dann kann aus dem Schweigen des Vertrages nicht auf das Vorliegen einer Regelungslücke geschlossen werden. So liegen die Dinge hier: Die Übernahme der Verbindlichkeit aus dem Darlehen der Eheleute

W.

war für den Erfolg des Unternehmenskaufs nicht erforderlich. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedarf es bei einem Unternehmenskauf keiner Verteilung sämtlicher betriebsbezogenen Verbindlichkeiten. Erklärt sich der Käufer eines Unternehmens nur bereit, einzelne Verpflichtungen zu tilgen, so hat der Verkäufer - unbeschadet einer etwaigen zusätzlichen Haftung des Käufers gegenüber dem Gläubiger aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. § 25 HGB) - im Verhältnis zum Käufer für die anderen Verbindlichkeiten einzustehen. Das Berufungsgericht hat ferner nicht bedacht, daû der eindeutige Wortlaut von § 3 des Vertrages gegen eine Regelungslücke spricht. In dieser Bestimmung ist ausdrücklich nur von den Darlehensverpflichtungen gegenüber
der Volksbank E. die Rede. Damit sind andere mögliche Verbindlichkeiten des Unternehmens gerade nicht erfaût. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts liegt die Annahme nahe, daû diese Regelung bewuût abschlieûend sein sollte (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1990 - V ZR 113/89, NJW 1990, 1723).
b) Gegen die Annahme einer Regelungslücke spricht ferner die Entstehungsgeschichte der beurkundeten Fassung des § 3 des Kaufvertrages, mit der sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht auseinandergesetzt hat. Wenn die Klägerin den in dem notariellen Entwurf vorgesehenen Satzteil über die uneingeschränkte Verpflichtung zur Übernahme der betriebsbezogenen Verbindlichkeiten gestrichen und durch die Formulierung "sämtliche Darlehensverpflichtungen gegenüber der Volksbank E. eG" ersetzt hatte, so hatte die Klausel auch in der geänderten Form einen eindeutigen, nicht ergänzungsbedürftigen Wortlaut, der - im Gegensatz zu der vorherigen Formulierung - die den Eltern gegenüber bestehende Darlehensschuld nicht einbezieht. In dieser reduzierten Fassung, gegen die der Beklagte keine Einwendungen erhoben hatte, wurde § 3 des Kaufvertrages - von dem Notar sprachlich geringfügig abgeändert - beurkundet.
c) Angesichts der gegenüber dem Entwurf vorgenommenen unmiûverständlichen Beschränkung der Schuldübernahme auf die Verbindlichkeiten gegenüber einem namentlich genannten Gläubiger und der daraus folgenden Ausklammerung etwaiger Schulden gegenüber anderen Gläubigern hätte es konkreter Tatsachen bedurft, die eindeutig den Schluû darauf zulassen, daû trotz des Wortlauts der Klausel und ihrer Entstehungsgeschichte eine Regelungslücke vorliegt. Es müûten Umstände auûerhalb der Urkunde gegeben sein, die die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit ihres Inhalts ent-
kräften könnten (BGH, Urteil vom 5. Februar 1999 - V ZR 353/97, NJW 1999, 1702 = WM 1999, 965). Dies gilt in besonderem Maûe deshalb, weil es sich um die Auslegung einer notariellen Urkunde handelt, deren Inhalt üblicherweise mit besonderer Sorgfalt und Sachkunde formuliert wird. Solche Umstände sind bisher nicht festgestellt. Die Revisionserwiderung nimmt zwar auf den Vortrag des Beklagten in den Tatsacheninstanzen Bezug, die Erwähnung des Darlehens sei, wie sich schon aus der tatsächlichen Höhe der Bankschulden von nur ca. 600.000 DM statt der genannten ca. 1.500.000 DM ergebe, nur versehentlich unterblieben. Sie hat auch auf die von dem Beklagten behauptete Äuûerung des Notars verwiesen , er, der Beklagte, könne froh sein, auf diese Weise von allen Verbindlichkeiten freizukommen, sowie auf den weiteren Vortrag des Beklagten, die Parteien seien sich bei Abschluû des Unternehmenskaufvertrages in bezug auf die Übernahme sämtlicher Geschäftsverbindlichkeiten durch die Klägerin einig gewesen. Diesem Vorbringen ist das Berufungsgericht aber, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht nachgegangen. Daher fehlt es an entsprechenden Feststellungen, die für den Tatrichter die Annahme einer Regelungslücke , möglicherweise sogar schon eine einfache Auslegung des § 3 des Vertrages in dem von dem Beklagten geltend gemachten Sinne, rechtfertigen könnte. 2. Darüber hinaus verstöût die vom Berufungsgericht vorgenommene ergänzende Auslegung selbst gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichthofes ist bei der ergänzenden Auslegung darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall
bedacht hätten (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1996 aaO). Dabei ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen; die darin enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Handelt es sich wie hier um einen sogenannten Austauschvertrag, so besteht die Vermutung, daû nach dem Geschäftswillen der Parteien Leistung und Gegenleistung der Parteien in einem ausgewogenen Verhältnis standen (BGH, Urteil vom 18. Februar 2000 - V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894 = WM 2000, 1109; vgl. auch BGHZ 114, 193, 197). Lassen sich nach diesen Kriterien hinreichende Anhaltspunkte für den hypothetischen Parteiwillen nicht finden, etwa weil mehrere gleichwertige Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus. Im übrigen findet die ergänzende Auslegung ihre Grenze an dem im - wenn auch lückenhaften - Vertrag zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen; sie darf daher nicht zu einer Abänderung oder Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1990 aaO).
a) Diese Grundsätze zieht auch das Berufungsgericht heran. Ohne konkrete tatsächliche Anhaltspunkte hierfür zu nennen, meint es aber, die Parteien seien irrtümlich davon ausgegangen, daû weitere Verbindlichkeiten als die in § 3 des Kaufvertrages angegebenen ca. 1.500.000 DM gegenüber der Volksbank E. nicht bestanden hätten, und das Darlehen der Eltern der Klägerin über 500.000 DM sei von ihnen offenbar übersehen worden; sonst hätte die Klägerin die Darlehensverbindlichkeit gegenüber ihren Eltern ebenfalls übernommen. Gestützt wird diese Erwägung vor allem auf die Annahme, bei einem Unternehmenskauf, bei dem die Übernahme aller Aktiva vereinbart werde, würden regelmäûig auch alle Passiva übernommen. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es jedoch nicht. Angesichts der Vielgestaltigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens, der mit der Veräuûerung bzw. dem
Erwerb eines Unternehmens verbundenen Zwecke und der denkbaren Vertragsgestaltungen - insbesondere hinsichtlich der Preisbildung - läût sich eine Regel mit dem vom Berufungsgericht angenommenen Inhalt nicht aufstellen.
b) Die vom Berufungsgericht angeführten Indizien für eine auch von der Klägerin hypothetisch gewollte umfassende Schuldübernahme tragen seine Annahme ebenfalls nicht. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daû die Klägerin bereits in den Tatsacheninstanzen unter Beweisantritt behauptet hat, die in dem Schreiben ihres früheren Rechtsbeistandes Dr. S. vom 21. Februar 1997 enthaltene Formulierung "... mit der von Ihrer Tochter nicht bestrittenen Darlehensverpflichtung..." beruhe auf einem Miûverständnis; sie habe gegenüber Dr. S. zu keinem Zeitpunkt erklärt, die Darlehensforderung werde von ihr nicht bestritten bzw. sie sei Schuldnerin der Forderung. Dieses Vorbringen hätte das Berufungsgericht nicht unberücksichtigt lassen dürfen (§ 286 ZPO). Entsprechendes gilt für die Erwägung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe schon vor der Übernahme des Unternehmens das Darlehen als ihre Einlage in den Betrieb des Beklagten angesehen. Zwar könnte dieser Umstand , wenn er zuträfe, in der Tat dafür sprechen, daû die Klägerin sich selbst und nicht den in der Darlehensurkunde genannten Beklagten als wahren Darlehensnehmer betrachtet hat und deshalb im Rahmen des Unternehmenserwerbs auch formell die Darlehensverpflichtung übernehmen wollte. Auch insoweit rügt die Revision aber zu Recht eine Verletzung des § 286 ZPO. Das vom Berufungsgericht angenommene Indiz beruht auf einer Behauptung des Beklagten ; diese Behauptung hatte die Klägerin in den Tatsacheninstanzen ausdrücklich bestritten und entsprechenden Gegenbeweis angeboten. Darüber durfte sich das Berufungsgericht nicht ohne Beweisaufnahme hinwegsetzen.

c) Bei der Prüfung der Frage, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten, hat das Berufungsgericht den oben dargestellten Gesichtspunkt des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung auûer acht gelassen. Es hat insbesondere nicht untersucht, ob die Ausdehnung der Schuldübernahmeerklärung der Klägerin auf ein weiteres, von § 3 des Vertrages nicht erfaûtes Darlehen über 500.000 DM das im Regelfall zu vermutende wirtschaftliche Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung berührt, beseitigt oder - was unter Zugrundelegung der Behauptungen des Beklagten gleichfalls denkbar ist - überhaupt erst herbeiführt. Dazu hätte es tatrichterlicher Feststellungen über die tatsächliche Höhe der Verbindlichkeiten gegenüber der Volksbank E. bedurft, die von der Klägerin auf 1.900.000 DM, von dem Beklagten auf ca. 600.000 DM beziffert werden. Wenn nach den Vorstellungen der Parteien die Übernahme der Darlehensschulden die Gegenleistung für das Unternehmen darstellen sollte, war die Höhe der Verbindlichkeiten für die Frage bedeutsam , ob durch die von dem Berufungsgericht vorgenommene ergänzende Auslegung ein annäherndes Gleichgewicht mit dem - von den Parteien gemeinsam zugrunde gelegten - Unternehmenswert hergestellt wurde.

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Da dem Senat eine abschlieûende Entscheidung nicht möglich ist, ist die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei
werden die Parteien auch Gelegenheit haben, ihr Vorbringen zu den oben erörterten Gesichtspunkten, soweit erforderlich, zu ergänzen. Dr. Deppert Dr. Beyer Dr. Deppert für den wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhinderten Richter am Bundesgerichtshof Wiechers 30. April 2002
Dr. Wolst Dr. Frellesen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
V ZR 346/02 Verkündet am:
14. November 2003
Wilms
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Käufer, der als Rechtsnachfolger in die Rechte des Verkäufers aus einer
Baugenehmigung eingetreten ist, kann die Stellplatzablösesumme, die diesem
wegen Erlöschens der Baugenehmigung erstattet worden ist, nicht herausverlangen.
BGH, Versäumnis-Urteil v. 14. November 2003 - V ZR 346/02 - OLG Frankfurt am Main
LG Kassel
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. SchmidtRäntsch

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 11. April 2001 zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war Eigentümerin des Grundstücks H. Straße 23 in K. . Am 20. Dezember 1991 erhielt sie die Genehmigung zur Errichtung eines Appartment-Hotels. Die Genehmigung war mit einer Stellplatzauflage verbunden, die zum Teil durch Zahlung abgelöst werden konnte. Aufgrund einer Vereinbarung vom 22. Juli 1992 zahlte die Beklagte eine Ablösesumme von 175.950 DM an die Stadt. Mit notariellem Vertrag vom 14. September 1994 verkaufte sie das Grundstück, auf dem die Bauarbeiten aufgenommen worden waren, für 1.802.700,01 DM an den Kläger. Dieser hatte sich mit der Absicht getragen, den Bau als Wohn-, Büro- und Geschäftshaus weiterzuführen, nahm aber im Hinblick auf die Entwicklung des Immobilienmarktes am Ort von der Baumaßnahme Abstand. Die Stadt zahlte die Ablösesumme nach Erlöschen der Baugenehmigung an die Beklagte zurück.
Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung in Höhe der Ablösesumme in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 165.950 DM stattgegeben.
Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht ist der Auffassung, in ergänzender Auslegung des Kaufvertrags der Parteien sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Rechte aus der mit der Stadt getroffenen Ablösevereinbarung an den Kläger abzutreten. Nach Rückerstattung habe sie die Summe an diesen weiterzugeben. Da der Kläger mit Erwerb des Eigentums in die sich aus der Baugenehmigung ergebenden Rechte eingetreten sei, sei ihm die Ablösesumme zugute gekommen. Ein gesonderter Ausgleich hierfür sei im Kaufvertrag nicht vorgesehen gewesen. Dies spreche dafür, daß die Beklagte ihm bei Nichtausführung des Baus den Rückerstattungsanspruch zu überlassen habe. Anderenfalls würde das ausgewogene Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, das zu vermuten sei, durchbrochen.
Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

II.


1. Der Rückzahlung der Ablösesumme an die Beklagte durch eine ergänzende Auslegung des Kaufvertrags der Parteien Rechnung zu tragen, ist nicht möglich. Eine ergänzende Auslegung kann das Gericht nicht bereits dann vornehmen, wenn ein Vertrag einen Punkt, der sich im Streitfall als erheblich erweist, offen läßt. Erforderlich ist vielmehr eine planwidrige Lücke des Vereinbarten (BGHZ 77, 301, 304; 127, 138, 142). Sie ist dadurch gekennzeichnet,
daß die Parteien mit der getroffenen Regelung ein bestimmtes Ziel erreichen wollten, dies aber wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten nicht gelungen ist (BGH, Urteil vom 20. März 1985, VIII ZR 64/84, NJW 1985, 2581 f.). Die Lücke tritt in diesen Fällen in einem Bereich auf, den die Parteien als regelungsbedürftig angesehen haben (Senatsurteil vom 14. Januar 2000, V ZR 416/97, BGHR BGB § 157, Ergänzende Auslegung 23); das Ergänzungsbedürfnis entsteht innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1991 - XII ZR 63/90, BGHR aaO, Ergänzende Auslegung 14). Die Lücke muß zwar nicht von Anfang an bestanden haben, sie kann auch, was hier allein in Frage kommen könnte, infolge nachträglicher Umstände eingetreten sein (BGH, Urteil vom 19. Juni 1980, III ZR 182/78, NJW 1981, 219, 220). Im Gegensatz zu den Grundsätzen über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), die einer Anpassung des Gewollten an die Wirklichkeit oder dessen Liquidation bei Scheitern der Anpassung dienen, geht es bei der ergänzenden Vertragsauslegung, auch soweit sie durch nachträgliche Umstände veranlaßt ist, darum, den in dem Vereinbarten zutage tretenden Planvorstellungen zum Durchbruch zu verhelfen. Ihr Ansatzpunkt besteht daher in der Ermittlung dessen, was die Parteien (bei angemessener Abwägung ihrer Interessen und als redliche Vertragspartner) zur Schließung der Lücke selbst unternommen hätten (hypothetischer rechtsgeschäftlicher Wille; BGHZ 90, 69, 77; 127, 138, 142).
Den Feststellungen des Berufungsgerichts läßt sich nicht entnehmen, daß der Kaufvertrag der Parteien rechtlich auf einen über den Leistungsaustausch hinausgehenden Erfolg gerichtet gewesen wäre. Mit Erwerb des Eigentums an dem Grundstück rückte der Kläger allerdings, wovon das Berufungsgericht nach § 61 Abs. 8 HBO ausgeht, der "für Rechtsnachfolgerinnen und
Rechtsnachfolger" die Geltung der Verwaltungsakte anordnet, in die Rechtsstellung der Beklagten als Adressatin der Baugenehmigung ein. Dieses unmittelbar auf gesetzlicher Anordnung, nur mittelbar auf vertraglicher Gestaltung beruhende Ergebnis mag zwar, wozu Feststellungen allerdings fehlen, vom vertraglichen Regelungszweck erfaßt worden sein. Jeder Anhaltspunkt fehlt aber dafür, daß dem Kläger mehr als die rechtliche Möglichkeit, das Bauvorhaben unter Ausnutzung der Stellplatzablösung durchzuführen, geboten werden sollte. Ob er hiervon Gebrauch machte oder nicht, lag allein in seiner durch das Eigentum begründeten Befugnis, mit dem Baugrundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB). Im übrigen konnte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen noch nicht einmal davon ausgegangen werden, daß dem Kläger die rechtlich gesicherte Möglichkeit verschafft werden sollte, die von ihm, abweichend von den genehmigten Plänen (Hotel), beabsichtigte Bebauung (Wohn-, Büro- und Geschäftshaus) unter Ausnutzung der Stellplatzablösung zu verwirklichen. Auch der Kläger ging, wie die vorgelegte Korrespondenz mit der Stadtverwaltung zeigt, davon aus, daß zur Verwirklichung seines Vorhabens eine Änderungsgenehmigung erforderlich war. Aus der Feststellung des Berufungsgerichts , daß für die Parteien bei Kaufabschluß kein Anlaß bestanden habe, "über eine mögliche Rückerstattung des Ablösebetrages bei Nichtbebauung des Grundstücks nachzudenken", kann somit nicht gefolgert werden, ihre Vereinbarung sei lückenhaft.
2. Auch eine Anpassung des Kaufvertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt nicht in Frage. Geschäftsgrundlage, wenn nicht Vertragsinhalt (dazu oben zu 1.), mag die Möglichkeit des Klägers gewesen sein, die Rechte aus der Baugenehmigung vom 20. Dezember 1991 auszuüben. Dafür, daß nach den beiderseitigen oder für die jeweilige Gegenseite erkenn-
baren Vorstellungen der Parteien der gemeinsame Geschäftswille darauf beruht hätte, daß der Kläger von der erworbenen öffentlich-rechtlichen Stellung auch Gebrauch machte und sich so den Vorteil der Stellplatzablösung sicherte (BGHZ 128, 230, 236), sind keine Anhaltspunkte gegeben. Die vom Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung erörterten Umstände geben hierfür nichts her. Bei der Prüfung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung übersieht das Berufungsgericht, daß die Leistung der Beklagten sich darauf beschränkte, dem Kläger mit dem Eigentum die Möglichkeit zu verschaffen, die Baugenehmigung mit Stellplatzablösung zu nutzen. Der Umstand, daß er hiervon aus in seinem Bereich liegenden Gründen absah, führt nicht zu einer Äquivalenzstörung. Schon gar nicht würde dies gelten, wenn die Stellplatzablösung, wovon das Berufungsgericht (möglicherweise) ausgeht, nicht einmal Eingang in die Kaufpreiskalkulation der Beklagten gefunden hätte.
Wenzel Tropf Lemke
Gaier Schmidt-Räntsch

(1) Soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung nur verlangen, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht wie geschuldet bewirkt, so kann der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung nicht verlangen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen.

(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.

(4) Der Anspruch auf die Leistung ist ausgeschlossen, sobald der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangt hat.

(5) Verlangt der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung, so ist der Schuldner zur Rückforderung des Geleisteten nach den §§ 346 bis 348 berechtigt.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)