Bundesgerichtshof Urteil, 16. Okt. 2007 - VI ZR 42/07

bei uns veröffentlicht am16.10.2007
vorgehend
Amtsgericht Duisburg, 79 C 5926/05, 20.06.2006
Landgericht Duisburg, 12 S 97/06, 01.02.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 42/07 Verkündet am:
16. Oktober 2007
Blum,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Lässt ein achtjähriges Kind auf dem Bürgersteig sein Fahrrad los, damit es von alleine
weiterrollt, und rollt das führungslose Fahrrad auf die Fahrbahn gegen das zu diesem
Zeitpunkt vorbeifahrende Kraftfahrzeug, so handelt es sich um einen Unfall mit
einem Kraftfahrzeug im Sinne des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F., der zu einer Haftungsprivilegierung
des Kindes führt.
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 42/07 - LG Duisburg
AG Duisburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach
Schriftsatzfrist bis 26. September 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die
Richter Dr. Greiner und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter
Pauge

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 1. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Am 9. September 2005 gegen 18.00 Uhr befuhr der Fahrer Ü. mit dem Fahrzeug des Klägers eine Straße, die in einer 30 km/h-Zone liegt. Dort kam ihm eine Gruppe Kinder entgegen, unter denen sich auch der damals 8-jährige Beklagte mit seinem Fahrrad befand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Gruppe auf dem Bürgersteig oder auf der Straße lief. Jedenfalls kam es zu einem Zusammenstoß zwischen dem führungslos rollenden Fahrrad und dem Fahrzeug des Klägers, das in diesem Augenblick vorbeifuhr. Durch den Zusammenstoß entstand an dem Fahrzeug des Klägers ein Schaden in Höhe von 1.121,88 €. Darüber hinaus entstanden dem Kläger Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Höhe von 341,39 € sowie weitere Unkosten von (pauschal) 20,00 €.
2
Der Kläger hat behauptet, die ihm entgegenkommenden Kinder seien auf dem Bürgersteig gelaufen. Der Beklagte sei vorweg gelaufen und habe dabei sein Fahrrad vor sich her geschoben und es dann in der Absicht losgelassen, es alleine vorweg rollen zu lassen. Das Fahrrad sei daraufhin ein Stück geradeaus gerollt, dann mit dem Lenker nach links eingeknickt und auf die Fahrbahn geraten, wo es mit dem vorbeifahrenden Fahrzeug des Klägers kollidiert sei.
3
Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung von insgesamt 1.483,27 € nebst Zinsen abgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht hat sich der Würdigung des Amtsgerichts angeschlossen , dass Schadensersatzansprüche des Klägers gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Eigentums an seinem Kraftfahrzeug an dem zu Gunsten des Beklagten eingreifenden Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. scheiterten, selbst wenn man von der Unfallschilderung des Klägers ausgehe. Gerade der vom Kläger angeführte Umstand, dass der Beklagte sich überhaupt nicht mit dem Straßenverkehr auseinandergesetzt und sich keine Gedanken darüber gemacht habe, dass das Fahrrad mit dem Fahrzeug des Klägers kollidieren könne, belege das Vorliegen der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung in den Blick genommenen typischen altersbedingten Überforderungssituation. Denn im Gegensatz zu dem 8-jährigen Beklagten hätte ein verantwortlicher Erwachsener bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Möglichkeit, dass das Fahrrad auf die Straße rollen und dort einen Unfall verursachen könne, erkannt und sich dementsprechend verhalten. Soweit der Kläger anführe, es könne keinen Unterschied machen, ob das Fahrrad zufällig nach links (auf die Straße) oder nach rechts (gegen ein parkendes Fahrzeug) rolle, unterstelle er einen hypothetischen Alternativsachverhalt, der sich im konkreten Fall gerade nicht realisiert habe und die Entscheidung deshalb nicht beeinflussen könne. Anderenfalls müsse man das gleiche Argument reziprok auch gegen eine Haftung des Kindes bei Beschädigung eines parkenden Fahrzeugs gelten lassen, was zu offensichtlich widersinnigen Ergebnissen führen würde. Die Gefahr eines Schadenseintritts resultiere vorliegend - zumindest auch - aus der Bewegung des Fahrzeuges des Klägers, welches sich nur aufgrund seiner Bewegung "zur falschen Zeit am falschen Ort" befunden habe und bei deren Hinwegdenken sich die Haftungsfrage mangels Schadenseintritts gar nicht stellen würde.

II.

5
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Revision ist die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten nach der Unfallschilderung des Klägers, die revisionsrechtlich als richtig zu unterstellen ist, nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. ausgeschlossen.
6
1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen Schädigers gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674). Danach ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wer das siebte, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat.
7
2. Die Revision geht zwar ebenfalls davon aus, dass § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach seinem Wortlaut im vorliegenden Fall ohne weiteres eingreift. Sie meint jedoch, die Vorschrift finde nach ihrem Sinn und Zweck gleichwohl keine Anwendung. Dieser Auffassung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
8
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist eine teleologische Reduktion des Wortlauts dieser Vorschrift nur in Fällen vorzunehmen, in denen sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hiernach hat der Senat das Haftungsprivileg verneint in Fällen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickbord oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben (vgl. Senatsurteile BGHZ 161, 180 und vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - VersR 2005, 378 m.w.N.).
9
Der Gesetzgeber hat nämlich mit der Einführung der Ausnahmevorschrift des § 828 Abs. 2 BGB dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder bis zur Vollendung ihres 10. Lebensjahres regelmäßig überfordert sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere die Entfernungen und Geschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern richtig einzuschätzen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Dabei hat er sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass Kinder in diesem Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs, ihrer Impulsivität, Affektreaktionen, mangelnden Konzentrationsfähigkeit und ihres gruppendynamischen Verhaltens oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind (vgl. BT-Drs. 14/7752, S. 16 f. und 26 f.). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell und nicht bei sämtlichen Verkehrsunfällen erst mit Vollendung des 10. Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzen, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, zum Tragen kommen, weil sich das Kind durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besonderen Überforderungssituation befindet (vgl. BT-Drs. 14/7752, S. 26 f.).
10
3. Entgegen der Auffassung der Revision kann eine solche typische Überforderungssituation, die nach dem Willen des Gesetzgebers zu einem Haftungsausschluss führt, auch unter Zugrundelegung des vom Kläger vorgetragenen Unfallgeschehens nicht verneint werden. Denn es hat sich auch in diesem Fall eine Gefahr verwirklicht, die daraus herrührt, dass Kinder in dem entsprechenden Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs und ihres gruppendynamischen Verhaltens oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind. Nach dem Vorbringen des Klägers lief der Beklagte entgegen der Fahrtrichtung des herannahenden Kraftfahrzeugs auf dem Bürgersteig einer Gruppe von Kindern vorweg, die ihn anfeuerte, und schob dabei sein Fahrrad so schnell er konnte vor sich her um es dann loszulassen, damit es von alleine weiterrolle. In einer solchen Situation lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen , dass der Beklagte, als er das Fahrrad los ließ, die Geschwindigkeit und die Entfernung des herannahenden Fahrzeuges falsch einschätzte und deshalb nicht damit rechnete, dass das führungslose Fahrrad gerade zu dem Zeitpunkt auf die Fahrbahn geraten könnte, in dem das Fahrzeug des Klägers vorbeifuhr.
11
Entgegen der Auffassung der Revision kommt es nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder der Beklagte lediglich nicht damit gerechnet hat, dass das führungslose Fahrrad auch auf die Straße rollen kann. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - VI ZR 181/04 - VersR 2005, 1154, 1155 und vom 17. April 2007 - VI ZR 109/06 - VersR 2007, 855, 856).

III.

12
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Müller Greiner Wellner Diederichsen Pauge
Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 20.06.2006 - 79 C 5926/05 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 01.02.2007 - 12 S 97/06 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 16. Okt. 2007 - VI ZR 42/07

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Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 828 Minderjährige


(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. (2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

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(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. (2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit

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bei uns veröffentlicht am 11.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 75/07 vom 11. März 2008 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 828 Abs. 2 Fährt ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehend

Referenzen

(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.

(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.

(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.

(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.

(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 276/03 Verkündet am:
21. Dezember 2004
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes
zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I
S. 2674) greift nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur ein, wenn sich bei der
gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch
die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat (im Anschluß an
das Senatsurteil vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03 - zur Veröffentlichung in
BGHZ vorgesehen).
BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - LG Bielefeld
AG Bielefeld
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Dezember 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 20. August 2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Am 28. Oktober 2002 beschädigte der damals neun Jahre alte Beklagte den ordnungsgemäß am Straßenrand geparkten PKW der Klägerin, wobei offengeblieben ist, ob der Beklagte - wie von der Klägerin behauptet - auf den Bürgersteig fuhr oder - nach seiner eigenen Darstellung - auf der Fahrbahn beim Wenden in einer Kehre gestürzt ist. Das Amtsgericht hat die Klage auf Ersatz des an dem PKW entstandenen Schadens abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von 715,74 € verurteilt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat eine Schadensersatzpflicht des Beklagten für die der Klägerin aus der Beschädigung ihres Fahrzeugs entstandenen Schäden nach § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Bei isolierter Betrachtung des Wortlautes des § 828 Abs. 2 BGB (n.F.) sei eine haftungsrechtliche Verantwortung des zum Zeitpunkt des Unfalls neun Jahre alten Beklagten zwar zu verneinen. Aufgrund des Zwecks dieser Vorschrift und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sei es jedoch geboten, diese Norm einschränkend auszulegen. Die Regelung trage dem Umstand Rechnung, daß Kinder im Alter bis zu 10 Jahren aufgrund ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten regelmäßig noch nicht in der Lage seien, die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten. Daher liege im Rahmen einer wertenden Betrachtung ein Unfall mit einem Kraftfahrzeug im Sinne dieser Vorschrift dann nicht vor, wenn sich die Gefahren , die bei dem Unfall von dem Kraftfahrzeug ausgegangen seien, nicht von denjenigen unterschieden, die von einem ordnungsgemäß abgestellten Fahrrad , von einem Baum oder von einer Mauer ausgingen. Der Beklagte habe rechtswidrig und schuldhaft das Eigentum der Klägerin verletzt. Insoweit komme es nicht darauf an, ob er auf dem Bürgersteig oder der Fahrbahn gefahren sei.

II.

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Der Beklagte ist gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, der Klägerin den aufgrund des Anstoßes seines Fahrrades an deren PKW entstandenen Schaden zu ersetzen. Unter den Umständen des Streitfalles hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, daß die Verantwortung des Beklagten nicht gemäß § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist. 1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen Schädigers gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 20 02 (BGBl. I S. 2674). Danach ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wer das 7., aber nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat. Bei einer isolierten Betrachtung allein nach dem Wortlaut der neugefaßten Vorschrift könnte zwar der hier zu beurteilende Sachverhalt unter das Haftungsprivileg fallen, denn aus seinem Wortlaut geht nicht hervor, daß das Haftungsprivileg davon abhängen soll, ob sich das bei dem Unfall beteiligte Kraftfahrzeug im fließenden oder - wie der hier geschädigte parkende PKW - im ruhenden Verkehr befindet. Da der Wortlaut des § 828 Abs. 2 BGB jedoch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, hat der erkennende Senat in seinen beiden Urteilen vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03 und - VI ZR 365/03 - (beide zur Veröffentlichung bestimmt) den in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers aus den Gesetzesmaterialien ermittelt. Aus ihnen er-
gibt sich mit der erforderlichen Deutlichkeit, daß das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur eingreift, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Mit der Einführung der Ausnahmevorschrift in § 828 Abs. 2 BGB wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, daß Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen, und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16, 26). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell (vgl. dazu Wille/Bettge, VersR 1971, 878, 882; Kuhlen, JZ 1990, 273, 276; Scheffen, 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, Referat Nr. II/3, S. 97; dieselbe in Festschrift Steffen, 1995, S. 387, 388 ff.) und nicht bei sämtlichen Verkehrsunfällen (vgl. Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages 1991, S. 9; Antrag von Abgeordneten und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 18. Juli 1996, BT-Drucks. 13/5302, S. 1 ff.; Antrag von Abgeordneten und der SPD-Fraktion vom 11. Dezember 1996, BT-Drucks. 13/6535, S. 1, 5 ff.) erst mit Vollendung des zehnten Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzen, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum Tragen kommen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 26). Für eine solche Begrenzung sprach, daß sich Kinder im motorisierten Verkehr durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besonderen Überforderungssituation befinden. Gerade in diesem Umfeld wirken sich die Entwicklungsdefizite von Kindern besonders gravierend
aus. Demgegenüber weisen der nicht motorisierte Straßenverkehr und das allgemeine Umfeld von Kindern gewöhnlich keine vergleichbare Gefahrenlage auf (vgl. Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, 2002, Teil 3, § 828 BGB, Rn. 11; BT-Drucks. 14/7752, S. 16 f., 26 f.). Diese Erwägungen zeigen, daß Kinder nach dem Willen des Gesetzgebers auch in dem hier maßgeblichen Alter von sieben bis neun Jahren für einen Schaden haften sollen, wenn sich bei dem Schadensereignis nicht ein typischer Fall der Überforderung des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht hat und das Kind deshalb von der Haftung freigestellt werden soll. Dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber bei diesem Haftungsprivileg zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr unterscheiden wollte, wenn es auch im fließenden Verkehr häufiger als im sog. ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch nicht aus, daß sich in besonders gelagerten Fällen - zu denen der Streitfall aber nicht gehört - auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen kann (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 29, 163, 166 f. und vom 25. Oktober 1994 - VI ZR 107/94 - VersR 1995, 90, 92). Der Gesetzgeber wollte vielmehr lediglich den Fällen einer typischen Überforderung der betroffenen Kinder durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs Rechnung tragen. Zwar wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, der neue § 828 Abs. 2 BGB lehne sich an die Terminologie der Haftungsnormen des Straßenverkehrsgesetzes an (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 26). Die danach folgende Erläuterung, im motorisierten Straßenverkehr sei das deliktsfähige Alter heraufzusetzen, weil bei dort plötzlich eintretenden Schadensereignissen in der Regel die altersbedingten Defizite eines Kindes beim Einschätzen von Geschwindigkeiten und Entfernungen zum Tragen kämen (vgl. BT-Drucks. aaO S. 26 f.), zeigt aber deutlich, daß für den Gesetzgeber bei diesem Aspekt nicht das bloße Vorhandensein eines Motors im Fahrzeug ausschlaggebend war,
sondern vielmehr der Umstand, daß die Motorkraft zu Geschwindigkeiten führt, die zusammen mit der Entfernung eines Kraftfahrzeugs von einem Kind vor Vollendung des zehnten Lebensjahres nur sehr schwer einzuschätzen sind (vgl. Bollweg/Hellmann, aaO). Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Gesetzgeber nur dann, wenn sich bei einem Schadensfall eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht hat, eine Ausnahme von der Deliktsfähigkeit bei Kindern vor Vollendung des zehnten Lebensjahres schaffen wollte. Andere Schwierigkeiten für ein Kind, sich im Straßenverkehr verkehrsgerecht zu verhalten, sollten diese Ausnahme nicht rechtfertigen. Insoweit ging der Gesetzgeber davon aus, daß Kinder in dem hier maßgeblichen Alter mit solchen Situationen nicht generell überfordert sind und die Deliktsfähigkeit daher grundsätzlich anzunehmen ist. Das wird auch deutlich bei der Begründung, weshalb das Haftungsprivileg in Fällen vorsätzlicher Schädigung nicht gilt. Hierzu heißt es, daß in diesen Fällen die Überforderungssituation als schadensursächlich auszuschließen sei und sich jedenfalls nicht ausgewirkt habe (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16, 27; Hentschel, NZV 2002, 433, 442). Allerdings kam es dem Gesetzgeber darauf an, die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr umfassend zu verbessern. Sie sollte insbesondere nicht davon abhängen, ob das betroffene Kind im Einzelfall "Täter" oder "Opfer" eines Unfalls ist, denn welche dieser beiden Möglichkeiten sich verwirklicht, hängt oft vom Zufall ab (vgl. Medicus, Deutscher Verkehrsgerichtstag 2000, Referat Nr. III/4, S. 121; Bamberger/Roth/Spindler, BGB, § 828 Rn. 4). Die Haftungsprivilegierung Minderjähriger erfaßt deshalb nicht nur die Schäden, die Kinder einem anderen zufügen. Da § 828 BGB auch für die Frage des Mitverschuldens nach § 254 BGB maßgeblich ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 34, 355, 366), hat die Haftungsfreistellung Minderjähriger auch zur Folge, daß Kinder dieses Alters sich ihren eigenen Ansprüchen, gleichviel ob sie aus all-
gemeinem Deliktsrecht oder aus den Gefährdungshaftungstatbeständen des Straßenverkehrsgesetzes oder des Haftpflichtgesetzes hergeleitet werden, ein Mitverschulden bei der Schadensverursachung nicht entgegenhalten lassen müssen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16; Bollweg/Hellmann, Das Neue Schadensersatzrecht , § 828 Teil 3, Rn. 5; Heß/Buller ZfS 2003, 218, 219). § 828 Abs. 2 BGB gilt deshalb unabhängig davon, ob das an einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug beteiligte Kind Schädiger oder Geschädigter ist. Diese Grundsätze können - ebenso wie in den Senatsurteilen vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03 - und - VI ZR 365/03 - in dem hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht eingreifen, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Beklagte infolge leichter Unaufmerksamkeit mit dem Fahrrad gegen den ordnungsgemäß geparkten PKW der Klägerin geraten ist. Deshalb beruht das Schadensereignis nicht auf einer typischen Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs, so daß das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht eine Freistellung des Beklagten von der Haftung verneint hat. 2. Auch § 828 Abs. 3 BGB steht einer haftungsrechtlichen Verantwortung des Beklagten nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besitzt derjenige die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewußt zu sein. Auf die individuelle Fähigkeit, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an (vgl. Senatsurteile vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82 - VersR 1984, 641, 642 m.w.N. und vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 - VersR 1997, 834, 835). Die Darlegungs- und
Beweislast für das Fehlen der Einsichtsfähigkeit trägt der in Anspruch genommene Minderjährige; ab dem Alter von 7 Jahren wird deren Vorliegen vom Gesetz widerlegbar vermutet (vgl. Senatsurteile vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 - aaO; Baumgärtel/Strieder, 2. Aufl., § 828 BGB, Rn. 2 m.w.N.). Der Beklagte hat zu einem Mangel, das Gefährliche seines Tuns erkennen und sich der Verantwortung seines Tuns bewußt sein zu können, nichts vorgetragen. Das Vorbringen des Beklagten, er sei infolge leichter Unaufmerksamkeit gestürzt, wobei sein Fahrrad gegen das Fahrzeug der Klägerin geraten sei und die daraus sowie aus der Sachdarstellung der Klägerin, der Beklagte habe im Vorbeifahren das Fahrzeug berührt, abgeleitete Schlußfolgerung, der Unfall sei infolge mangelnder Konzentration bzw. Konzentrationsfähigkeit des Beklagten erfolgt, betreffen nicht die Einsichtsfähigkeit des Beklagten im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB, daß ein zu nahes Heranfahren an parkende Fahrzeuge zu Schäden führen kann. 3. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch ein fahrlässiges Verhalten (§ 276 BGB) des Beklagten bejaht (zu den Voraussetzungen vgl. Senatsurteile vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03 und - VI ZR 365/03 -). Dies durfte das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler der eigenen Sachdarstellung des Beklagten entnehmen, er sei infolge leichter Unaufmerksamkeit gestürzt und mit seinem Fahrrad gegen den PKW der Klägerin geraten. 4. Schließlich ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, daß sich unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen die Betriebsgefahr des parkenden Fahrzeugs ausgewirkt haben könnte, so daß auch nicht eine Mithaftung der Klägerin nach den Grundsätzen des § 254 BGB in Betracht kommt.

III.

Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll

(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.

(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.

(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 181/04 Verkündet am:
14. Juni 2005
H o l m e s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes
zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I
2674) führt nicht zu einer Änderung der Darlegungs- un d Beweislast für Schadensfälle,
die sich vor dem 1. August 2002 ereignet haben.
BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - VI ZR 181/04 - OLG Köln
LG Köln
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 7. Mai 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller
und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Mai 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, ein überörtlicher Sozialhilfeträger, nimmt die Beklagte aus gem. § 116 SGB X übergegangenem Recht auf Erstattung von Aufwendungen und Feststellung der zukünftigen Haftung aus Anlaß eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Am 5. Juni 1993 lief der damals 8-jährige Jens G., der zuvor mit drei anderen Kindern in einer breiten Parklücke gestanden hatte, gegen einen mit einer Geschwindigkeit zwischen 25 und 40 km/h vorbeifahrenden PKW, der bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Jens wurde schwer verletzt und ist seitdem zu 100 % behindert. Auf seine Klage wurde durch Urteil des Landgerichts K. vom 22. November 1995 rechtskräftig festgestellt, daß die Beklagte als Gesamtschuldnerin mit der Führerin des Fahrzeuges verpflichtet ist, dem Geschädigten 2/3 aller ihm zukünftig erwachsenden Schäden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit nicht der Anspruch auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Der Kläger begehrt vollumfänglichen Ersatz der von ihm übernommenen Kosten für die Heil- und Rehabilitationsbehandlung sowie die fortdauernde Unterbringung des Geschädigten. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2/3 der geltend gemachten Aufwendungen verurteilt und dem Feststellungsbegehren mit einer entsprechenden Quote entsprochen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger müsse sich gemäß § 254 BGB i.V.m. § 828 Abs. 2 BGB a.F. ein mit 1/3 zu bemessendes Mitverschulden des Geschädigten anrechnen lassen. Dessen mangelnde Zurechnungsfähigkeit sei weder dargelegt noch bewiesen. Allein die Berufung auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse und das Alter des Kindes zum Unfallzeitpunkt reiche dafür nicht aus. Die der Neuregelung von § 828 Abs. 2 BGB zugrunde liegenden Erkenntnisse führten nicht zu einer Än derung der Beweislage für die vor dem Inkrafttreten dieser Norm eingetretenen Schadensfälle. Soweit der Kläger Ersatz für die zeitlich nach der Entscheidung des Vorprozesses erbrachten Aufwendungen verlange, stehe seiner Mehrforderung die Rechtskraft des seinerzeit ergangenen Urteils entgegen.

II.

Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. 1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht ein Mitverschulden des Verletzten bejaht und dieses mit einem Drittel bemessen hat.
a) Da das schädigende Ereignis vor dem 1. August 2002 eingetreten ist, bestimmt sich die Mitverantwortung des geschädigten Kindes (§ 254 BGB) gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach der Vorschrift des § 828 BGB in der vor
Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrecht licher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, 2674) geltenden Fassung. Nach § 828 Abs. 2 BGB a.F. ist, wer das siebente, aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, für einen Schaden nicht verantwortlich, wenn er zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Die Einsichtsfähigkeit wird danach vom Gesetz vermutet. Ihr Fehlen ist eine Ausnahme, deren Vorliegen der Minderjährige im konkreten Fall darlegen und beweisen muß (Senatsurteile vom 23. Dezember 1953 - VI ZR 166/52 - JZ 1954, 297, 298; vom 27. Januar 1970 - VI ZR 157/68 - VersR 1970, 374; vom 10. März 1970 - VI ZR 182/68 - VersR 1970, 467, 468; vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82 - VersR 1984, 641, 642 und vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 - VersR 1997, 834, 835).
b) An dieser Rechtslage hat sich für die Beurteilung der vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung erfolgten Schadensfälle nichts geändert. Das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschrift en sieht keine rückwirkende Geltung für „Altfälle“ vor (vgl. OLG Celle, Urteil vom 17. Juli 2003, mit NZB-Beschluß des Senats vom 20. Januar 2004 - VI ZR 248/03 -, r + s 2004, 475). Das wird von der Revision auch nicht verkannt. Sie meint jedoch, die Neufassung der Vorschrift des § 828 Abs. 2 BGB habe nur klarstellende Funktion. Der Gesetzgeber habe damit lediglich nachvollzogen, daß nach neuen wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie einer Haftung von Kindern bis zum zehnten Lebensjahr kindliche Eigenheiten entgegenstünden. Deswegen sei bei Verkehrsunfällen im Straßenverkehr von einer mangelnden Einsichtsfähigkeit auszugehen. Im Streitfall hätte mithin die Beklagte Anhaltspunkte für das Vorhandensein der Einsichtsfähigkeit vortragen und unter Beweis stellen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Richtig ist, daß der Gesetzgeber mit der Einführung der Ausnahmevorschrift des § 828 Abs. 2 BGB dem Umstand Rechnung getragen hat, daß Kinder bis zur Vollendung ihres zehnten Lebensjahres regelmäßig überfordert sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen , insbesondere die Entfernungen und Geschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern richtig einzuschätzen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Dabei hat er sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß Kinder in diesem Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs, ihrer Impulsivität, Affektreaktionen , mangelnden Konzentrationsfähigkeit und ihrem gruppendynamischen Verhalten oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16 und 26). Der Gesetzgeber hat damit Gesichtpunkte aufgegriffen, mit denen in den vorangegangenen rechts- und verkehrspolitischen Diskussionen die Forderung begründet wurde, den Beginn der Deliktsfähigkeit generell, zumindest aber bei sämtlichen Verkehrsunfällen auf das Alter von zehn Jahren heraufzusetzen (vgl. Senatsurteile vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03 - VersR 2005, 376 f., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und - VI ZR 365/03 - VersR 2005, 380 sowie vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - VersR 2005, 378). Der gesetzlichen Neuregelung kann jedoch nicht entnommen werden, daß Kindern bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres bei Unfällen im motorisierten Straßenverkehr regelmäßig die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von § 828 Abs. 2 BGB a.F. fehlt. Das mag zwar der Fall sein, soweit Kinder dieser Altersgruppe etwa im Hinblick auf ihre psychomotorischen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, sich verkehrsgerecht zu verhalten. Es trifft aber nicht zu, wenn sieben - bis zehnjährige Kinder sich deshalb nicht verkehrsgerecht verhalten, weil sie nicht in der Lage sind, ihre Impulsivität zu bändigen. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallges-
taltungen einheitlich in der Weise geregelt, daß er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat, ohne hierfür jedoch eine Rückwirkung anzuordnen. Für „Altfälle“ bedeutet dies, daß die anerkannten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs - und Beweislast auch nach der gesetzlichen Neuregelung unverändert fortgelten.
c) Die Beurteilung des Berufungsgerichts, daß der Kläger das Fehlen der Einsichtsfähigkeit des geschädigten Kindes nicht dargelegt habe, wird von der Revision nicht angegriffen. Sie wendet sich auch nicht näher gegen die tatrichterlichen Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht im Anschluß an das Landgericht ein Verschulden des Kindes bejaht und dessen Mitverursachungsanteil mit einem Drittel bewertet hat. 2. Da die Revision aus den aufgezeigten Gründen keinen Erfolg hat, ist nicht zu prüfen, ob die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts zutrifft, der Mehrforderung des Klägers stehe auch die Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils entgegen.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 109/06 Verkündet am:
17. April 2007
H o l m e s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Stößt ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad aufgrund überhöhter, nicht angepasster
Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein
verkehrsbedingt haltendes Kraftfahrzeug, das es nicht herankommen sehen konnte
und mit dem es deshalb möglicherweise nicht rechnete, so handelt es sich um
eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit
, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten
Straßenverkehr.

b) Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das
Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten
, kommt es im Hinblick auf die generelle Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit von
Kindern durch § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur
Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I S. 2674)
nicht an.
BGH, Urteil vom 17. April 2007 - VI ZR 109/06 - LG Bayreuth
AGBayreuth
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. April 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bayreuth vom 19. April 2006 aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth - Zweigstelle Pegnitz - wird insgesamt zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 16. Juli 2005 geltend. An dem Verkehrsunfall waren die Klägerin mit ihrem PKW und der zum Unfallzeitpunkt achtjährige Beklagte mit seinem Fahrrad beteiligt.
2
Die Klägerin hielt ihren PKW im Bereich einer Straßeneinmündung auf ihrer Fahrbahnhälfte vor der gedachten Sichtlinie an, um sich vor dem beabsichtigten Linksabbiegen zu vergewissern, ob sie bevorrechtigtem Verkehr eventuell Vorfahrt gewähren musste. Zur selben Zeit näherte sich der Beklagte mit seinem Fahrrad aus Sicht der Klägerin von links kommend dem Einmündungsbereich , um nach rechts in die Straße einzubiegen, in der die Klägerin mit ihrem PKW stand. Dem Beklagten war zunächst der Blick auf die Einmündung und den dort seit wenigen Sekunden haltenden PKW der Klägerin durch eine am Fahrbahnrand stehende, ca. 2 m hohe Hecke versperrt, bei weiterer Annäherung aber war dieser zumindest aus einer Entfernung von ca. 20 m deutlich erkennbar. Er übersah ihn jedoch aufgrund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit und fuhr frontal auf den stehenden PKW der Klägerin auf.
3
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Ersatz des an ihrem PKW entstandenen Schadens in Höhe von 1.415,57 € nebst einer Unkostenpauschale von 30 €. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und der Klage zu einer Quote von 4/5 stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht meint im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil, dem Beklagten komme das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. nicht zugute. Zwar sei der Beklagte zum Unfallzeitpunkt erst acht Jahre alt gewesen und habe der Klägerin den Schaden auch bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug entsprechend dem Wortlaut dieser gesetzlichen Regelung zugefügt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs greife die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck jedoch nur ein, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert habe. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Das ordnungsgemäß haltende Fahrzeug der Klägerin habe allenfalls ein stehendes Objekt dargestellt, von dem keine Gefahr ausgegangen sei, die auf die Geschwindigkeit des Fahrzeuges zurückgeführt werden könne. Eine hier gegebene Überforderungssituation des Beklagten sei auf dessen eigene , gegebenenfalls überhöhte Geschwindigkeit, jedenfalls aber auf dessen vollkommene Sorglosigkeit bei der Teilnahme im Straßenverkehr zurückzuführen. Von einer solchen voll umfänglichen Sorglosigkeit sei der Gesetzgeber bei der Haftungsprivilegierung nach § 828 Abs. 2 Satz 1 nicht ausgegangen. Diese Schwierigkeiten, sich im Straßenverkehr verkehrsgerecht zu verhalten, die ausschließlich in der Person des Kindes, nicht jedoch in den Gefahren des motorisierten Verkehrs ihre Grundlage hätten, rechtfertigten keine Haftungsfreistellung. Die Klägerin habe sich mithin lediglich eine Mithaftung wegen der von ihrem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr in Höhe von 20% anrechnen zu lassen.

II.

5
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Verantwortlichkeit des Beklagten nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB unter den Umständen des Streitfalles ausgeschlossen.
6
1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen Schädigers gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I S. 2674). Danach ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wer das 7., aber nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat.
7
Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach seinem Wortlaut im vorliegenden Fall ohne weiteres eingreift. Soweit es gleichwohl seine Anwendbarkeit unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats verneint, kann dem nicht gefolgt werden.
8
2. Der erkennende Senat hat zwar eine teleologische Reduktion des Wortlauts dieser Vorschrift in Fällen vorgenommen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickboard oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben. Er hat hierzu ausgeführt, die Vorschrift greife nach ihrem Sinn und Zweck nur ein, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert habe (vgl. Senatsurteile BGHZ 161, 180 und vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - VersR 2005, 378 m.w.N.).
9
Der Gesetzgeber hat nämlich mit der Einführung der Ausnahmevorschrift des § 828 Abs. 2 BGB dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder bis zur Vollendung ihres zehnten Lebensjahres regelmäßig überfordert sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere die Entfernungen und Geschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern richtig einzuschätzen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Dabei hat er sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass Kinder in diesem Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs, ihrer Impulsivität, Affektreaktionen, mangelnden Konzentrationsfähigkeit und ihrem gruppendynamischen Verhalten oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind (vgl. BTDrucks. 14/7752, S. 16 f. und 26 f.). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell und nicht bei sämtlichen Verkehrsunfällen erst mit Vollendung des zehnten Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzen, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, zum Tragen kommen, weil sich das Kind durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Verkehr in einer besonderen Überforderungssituation befindet (vgl. BTDrucks. 14/7752, S. 26 f.).
10
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine solche typische Überforderungssituation, die nach dem Willen des Gesetzgebers zu einem Haftungsausschluss führt, unter den Umständen des Streitfalles nicht verneint werden. Eine typische Gefahr des motorisierten Verkehrs kann auch von einem Kraftfahrzeug ausgehen, das im fließenden Verkehr anhält (d.h. seine Geschwindigkeit auf Null reduziert) und auf der Fahrbahn für das Kind ein plötzliches Hindernis bildet, mit dem es möglicherweise nicht gerechnet hat. Auch in einer solchen Fallkonstellation können altersbedingte Defizite eines Kindes im motorisierten Straßenverkehr, von denen die Fähigkeit zur richtigen Einschätzung von Entfernungen und Geschwindigkeiten nur beispielhaft genannt sind, zum Tragen kommen. Insoweit ist der Streitfall nicht - wie das Berufungsgericht meint - mit den Fällen einer Kollision mit einem ordnungsgemäß parkenden Kraftfahrzeug vergleichbar, an dessen Stelle ebenso gut ein anderer Gegenstand stehen könnte, mit dem aber im fließenden Verkehr so nicht zu rechnen ist.
11
Die Klägerin nahm im Streitfall, obwohl sie anhielt, mit ihrem PKW zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes am fließenden Straßenverkehr teil. Der einheitliche Vorgang der Fahrt wird nicht dadurch beendet, dass das Fahrzeug durch verkehrsbedingte Umstände vorübergehend angehalten wird (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 411/99 - VersR 2001, 524). Die Klägerin hatte nach den insgesamt unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Einmündungsbereich einer Straße, in welche der Beklagte einbiegen wollte, lediglich kurz auf ihrer Fahrbahnseite angehalten, um ihrerseits nach links abzubiegen. Sie war für den Beklagten wegen der sich am Fahrbahnrand befindlichen ca. 2 m hohen Hecke während ihrer Annäherung an die Straßeneinmündung nicht erkennbar gewesen. Dem Beklagten war durch die Hecke zunächst auch der Blick auf die Einmündung und den bereits dort seit wenigen Sekunden haltenden PKW der Klägerin versperrt. Stößt ein achtjähriges Kind in einer solchen Situation mit seinem Fahrrad aufgrund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein verkehrsbedingt haltendes Kraftfahrzeug, das es nicht herankommen sehen konnte und mit dem es deshalb möglicherweise nicht rechnete, so handelt es sich damit um eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der La- ge war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es nicht an. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni 2005 - VI ZR 181/04 - VersR 2005, 1154, 1155).

III.

12
Da keine weiteren Feststellungen mehr erforderlich sind, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Wiederherstellung des die Klage insgesamt abweisenden erstinstanzlichen Urteils.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Müller Greiner Wellner Stöhr Zoll Vorinstanzen:
AG Bayreuth, Entscheidung vom 16.11.2005 - 7 C 306/05 -
LG Bayreuth, Entscheidung vom 19.04.2006 - 12 S 122/05 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)