Landgericht Stade Urteil, 3. Sept. 2020 - 3 O 165/19

bei uns veröffentlicht am09.05.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Landgericht Stade

Richter

Beteiligte Anwälte

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Landgericht Stade

Im Namen des Volkes

Urteil

 

In dem Rechtstsreit

 

Des Herrn A,

Kläger,

 

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. BSP Bierbach Streifler & Partner Rechtsanwälte mbB, Oranienburger Straße 69, 10117 Berlin,

 

gegen

 

Herrn B,

Beklagter,

 

Prozessbevollmächtigter:  Rechtsanw. Dr. Friedrich, Kaiser-Wilhelm-Straße 89, 20355 Hamburg,

 

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 13.08.2020 am 03.09.2020 durch den Richter Behm als Einzelrichter

 

für Recht erkannt:

 

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2019 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zur ersetzen, die aus der am 29.08.2017 gegen den Kläger von ihm verübten Körperverletzung resultieren.

3. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber der Kanzlei BSP Bierbach Streiter & Partner Rechtsanwälte mdB, Oranienburger Straße 69, 10117 Berlin von der Forderung über 887,03 Euro freizustellen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 30 % und der Beklagte zu 70 %.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

7. Der Streitwert wird auf 16.600 Euro festgesetzt

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Vorfall, der sich am 29.08.2017 ereignete. Hierbei kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien auf dem Parkplatz des Grundstückes des Klägers.

Der Kläger behauptet, der Beklagte habe dem Kläger ins Gesicht geschlagen und ihm eine Kopfnuss verpasst, wodurch der Kläger unter anderem eine Nasenbeinfraktur erlitt. Infolgedessen leide er unter einer Kiefergelenkprellung mit Tinnitus und Schwindel. Er sei 1 % Monate aufgrund der Nasenbeinfraktur krankgeschrieben gewesen und habe für 2 Wochen Tag und Nacht eine Nasenbeinschiene tragen müssen. Vom 26.03.2019 bis zum 28.03.2019 sei der Kläger in stationärer Behandlung zur plastischen Korrektur des Nasenseptums mit. Resektion gewesen. Der Tinnitus würde bis heute anhalten. Vermutlich habe der Kläger lebenslang die Folgen der Verletzung zu tragen.

Der Kläger beantragt,

1. der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 15.000 Euro jedoch nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus der am 29.08.2017 gegen den Kläger von ihm verübten Körperverletzung resultieren.

3. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber der Kanzlei BSP Bierbach Streifler & Partner Rechtsanwälte mdB, Oranienburger Straße 69, 10117 Berlin von der Forderung über 1.029,35 Euro freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe in Notwehr gehandelt. Der Kläger habe ihn versucht zu schlagen, daraufhin habe er bloß seine Hände gehoben und geklammert. Dabei sei sein Kopf gegen den des Klägers frontal geraten. Der Kläger habe ihn dann nochmal getreten, da habe der Beklagte den Kläger anschließend mit der Faust geschlagen. Von dem Tritt habe der Beklagte keine Verletzung davongetragen, von dem Stoß habe er ein Kratzer und ein blaues Auge erlitten. Zu einem Arzt sei er aber nicht gegangen. Der Beklagte bestreitet, dass durch eine sogenannte Kopfnuss überhaupt ein Tinnitus entfacht werden kann. Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die behaupteten Beeinträchtigungen (allesamt) auf das behauptete Ereignis zurückzuführen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

I. 

Insbesondere ist der Feststellungsantrag zulässig. Ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines Rechtsguts ist zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten. Lässt sich eine Aussage darüber, ob in der Zukunft noch Spätfolgen der Verletzungen/Beeinträchtigungen auftreten können, nicht treffen, dann ist, solange der Eintritt derartiger Schäden nicht ausgeschlossen werden kann, die Möglichkeit von Spätschäden gegeben. Ein Feststellungsinteresse ist dann nur ausgeschlossen, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW 2001, 3414, 3415, m. w. N., AG München Endurteil v. 26.10.2016 - 132 C 16894/13, BeckRS 2016, 114549, beck-online)

II.

Die Klage ist teilweise begründet.

1.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Der Beklagte hat nach eigenen Angaben in der Verhandlung den Kläger mit seiner linken Gesichtshälfte frontal getroffen. Danach hat der Beklagte den Kläger anschließend noch mit der Faust geschlagen. Dabei hat der Beklagte den Kläger an einem nach § 823 BGB geschützten Rechtsgut - Körper und Gesundheit - verletzt. Der Beklagte behauptet zwar, er habe in Notwehr gehandelt, der Kläger habe versucht ihn zu schlagen.  Auch habe der Kläger den  Beklagten  noch getreten. Der Beklagte behauptete, er habe ein Kratzer und ein blaues Auge erlitten. Die Beweislast dafür, dass eine Verletzungshandlung   eine Verteidigung auf eine Notwehrlage darstellte, trifft denjenigen, der sich darauf beruft (vgl. BGH, NJW 1976, 41 [42]; NJW 1981, 745 = VersR 1981, 376 [377]; NJW 1987, 2509 = NJW-RR 1987, 1433; Baumgärtel/Laumen, Hdb. d. Beweislast im PrivatR, Bd. 1, 2. Aufl., § 227 Rdnr. 1, NJW 2008, 571, beck-online). Der Beklagte konnte jedoch eine Notwehrsituation nicht beweisen. Auch die angegebenen Verletzungen hat der Beklagte nicht nachgewiesen und auch nicht dokumentiert.

Bezüglich der Verletzungen hat der Kläger verschiedene Arztberichte vorgelegt. Die ersten beiden Berichte stammen dabei vom 30.08.2017, somit einen Tag nach dem Geschehen. Dabei heißt es im Befund (BI. 9 d. A., Anlage K2) „Nase: äußere Nase mit Schwellung am Nasenrücken („., Schiefnase nach rechts. Reposition in LA, anschließend steht die knöcherne Nase median, keine frische Blutung äußerlich, endonasal: SD nach rechts, altblutige Krusten; links: Schleimborken". Unter Berücksichtigung der Blutverkrustung geht das Gericht davon aus, dass die Verletzung der Nase in dieser Form vom vorherigen Tage stammt.

Gemäß der Diagnose vom 30.08.2017 (BI. 9 d. A.) hatte der Kläger unter Anamnese „kein Schwindel, kein Tinnitus" angegeben. Allerdings wurde bereits am 30.08.2017 vermerkt, dass der Kläger eine „subj. Hörminderung rechts mit Druckgefühl" wahrgenommen hat. Am 1.9.2019 (BI. 10 d. A., Anlage 3) wurde von einem Tinnitus rechts gesprochen („jetzt Tinnitus rechts"). Auch im Arztbericht vom 13.09.2017 wird sodann der Tinnitus erwähnt. Insgesamt ist also eine entsprechende Entwicklung anhand der Arztberichte vom 30.08.2017 über den 1.9.2017 bis zum 13.9.2017 zu einem entsprechenden Tinnitus auszugehen, welcher nach dem Vorfall entstanden ist. Aufgrund der geschilderten Umstände hat das Gericht keinen Zweifel, dass sowohl der Tinnitus als auch die Nasenbeinfraktur auf die Schädigungshandlung des Beklagten zurückzuführen ist, da dieser nach eigenen Angaben zunächst mit seinem Kopf und dann mit seiner Faust den Kopf des Klägers traktierte.

Das Gericht bestimmt die Wiedergutmachung unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung und billigem Ermessen (§ 287 1 1 ZPO; § 253 II BGB). Die Höhe des Schmerzensgeldes wird vor allem durch das Ausmaß, die Schwere und die Dauer der Verletzungen und erlittenen Schmerzen und die hiermit verbundene Beeinträchtigung der Lebensqualität bestimmt (OLG Nauburg NJW-RR   2008, 407 [408]). Eine angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Folgen lässt sich nur unter erschöpfender Berücksichtigung aller für die  Bemessung  maßgeblichen  Umstände in ganzheitlicher Betrachtung ermitteln (BGH, NJW 2004, 1243). Dazu gehören auch die Art und die Dauer der zur Wiederherstellung der Gesundheit oder zur Linderung der davon getragenen physischen und psychischen Folgen notwendigen Behandlungen (NJW-RR 2014, 461, beck-online). Angesichts der vielen ärztlichen Äußerungen zum physischen Befinden des Klägers ist eine weitergehende Sachaufklärung nicht nötig. Die haftungsbegründende Verletzung von Körper und Gesundheit des Klägers durch die Verletzungshandlung des Beklagten ist bereits dargelegt.

Unter Berücksichtigung der Umstände erscheint ein Betrag von 10.000 Euro angemessen. Dabei hat das Gericht insbesondere beachtet, dass die Verletzungshandlung des Beklagten vorsätzlich erfolgte und dass der Kläger aufgrund der Nasenverletzung insgesamt über einen Monat krankgeschrieben und arbeitsunfähig war. Ergänzend dazu bedurfte es für die Korrektur einer Fehlstellung weiterer stationärer Maßnahmen, nämlich vom 26.03.2019 bis zum 28.03.2019. Darüber hinaus wurde insbesondere auch der Tinnitus 3. Grades berücksichtigt. Mit Arztbericht vom 24.07.2019 befindet sich der Kläger diesbezüglich auch 2 Jahre nach dem Vorfall noch in ärztlicher Behandlung und berichtet von entsprechenden Einschränkungen. Die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Naumburg (Az. 1 U 97/12) hat das Gericht insofern als vergleichend herangezogen. Jedoch erlitt der Kläger im dortigen Fall erhebliche weitere Verletzungen, aufgrund derer der Geschädigte über mehrere Monate arbeitsunfähig war. Auch wurde eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von 10 % festgestellt, die im hiesigen Fall nicht nachgewiesen ist.

1. Der Feststellungsantrag ist begründet. Es ist insbesondere noch nicht abzusehen, wie sich der festgestellte Tinnitus entwickeln wird. Für den Kläger ist daher nicht abzusehen, ob es noch zu weiteren Schäden kommen wird.

2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers in Höhe von 887,03 Euro bezüglich des Streitwertes von 10.000 Euro zu tragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708, 709 und 711 ZPO.

 

Behm

 

Urteilsbesprechung zu Landgericht Stade Urteil, 3. Sept. 2020 - 3 O 165/19

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