Oberlandesgericht München Endurteil, 28. Okt. 2015 - 7 U 4228/14
Gründe
Oberlandesgericht München
Az.: 7 U 4228/14
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am
12 HK O 3734/14 LG München I
... Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
…
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
gegen
…
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
Streithelferin: …
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
Nebenintervenientin: …
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …
wegen Schadensersatz
erlässt das Oberlandesgericht München - 7. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2015 folgendes
Endurteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe:
2. Anhänger und Wechselanhänger mit Ware von ... (Auftraggeber) dürfen niemals an unbeaufsichtigten Orten abgehängt oder abgestellt werden. Dies gilt jederzeit und überall während des Abholens, Transports und der Anlieferung der Ware, beispielsweise an LKW-Abstellplätzen an Autobahnen oder in Gewerbegebieten am Lieferort. Dies gilt auch für den Fall, dass der Fahrer im Anhänger bleibt. Ausnahmen sind nur bei Begegnungsverkehr oder unvermeidlichen technischen, zeitlichen oder gesetzlichen Zwängen zulässig, wenn beaufsichtigte Plätze nur begrenzt verfügbar sind und die Nutzung derartiger Plätze aus anderen angemessenen Gründen nicht möglich ist. Die ... [= Beklagte, Anm. des Senats] wird alle Fahrer und Auftragnehmer anweisen, lediglich beaufsichtigte Plätze zu nutzen und alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Bestimmung einzuhalten. Die Definition von „beaufsichtigter Platz“ wird durch ... und ... separat vereinbart.
3. An Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen dürfen beladene Anhänger nicht für längere Zeit abgestellt werden, außer in einer Einrichtung des ... oder in einer Einrichtung eines Netzpartners des .... Die betreffenden Einrichtungen müssen eingezäunt und regelmäßig durch Sicherheitspersonal kontrolliert werden. ...
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht München Endurteil, 28. Okt. 2015 - 7 U 4228/14
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin, Transportversicherer der T. Europe GmbH (im Weiteren : Versenderin), macht gegen das beklagte Transportunternehmen wegen des Verlusts von Transportgut aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versenderin Schadensersatz geltend.
- 2
- Die Versenderin beauftragte die Beklagte im November 2006 zu festen Kosten mit dem Transport von 3.384 Notebooks, die ein Gewicht von 7.979 kg hatten, von ihrer Niederlassung in Regensburg zu einer in Cambiago bei Mailand /Italien ansässigen Empfängerin. Gegenstand des Beförderungsvertrags waren die von der Versenderin aufgestellten "Sicherheitsrichtlinien für den Straßentransport", die unter anderem folgende Regelungen enthielten: 2. Fahrtroute 2.1 Pausen dürfen nur auf gesicherten, beleuchteten und bewachten Parkplätzen durchgeführt werden. Es ist nicht erlaubt, auf "einfachen" Autobahnparkplätzen anzuhalten. 2.3 Das Fahrzeug darf zu keiner Zeit unbeaufsichtigt bleiben. 2.6 Im Falle eines Unfalls oder eines Diebstahls während des Transports ist unverzüglich die nächste Polizeidienststelle zu unterrichten. Der Spediteur informiert in diesen Fällen umgehend T. .
- 3
- Darüber hinaus sagte die Beklagte der Versenderin folgende Sicherheitsmaßnahme zu: Um Ihren Sicherheitsanforderungen … zu entsprechen, fährt der Lkw-Fahrer von Ihrem Werk direkt bis zu uns nach Bozen, wo er auf einem bewachten Parkplatz die vorgeschriebenen Ruhepausen einhält und sodann ohne Unterbrechungen die Abladestelle anfährt.
- 4
- Ein Fahrer der Beklagten übernahm das Gut am 17. November 2006 bei der Versenderin und fuhr zunächst bis zur Zentrale der Beklagten in Bozen. Der Weitertransport erfolgte am 20. November 2006 gegen 4.00 Uhr. Gegen 7.30 Uhr erreichte der Fahrer bei dichtem und daher erheblich verlangsamtem Verkehr die noch etwa zwölf Kilometer vom Zielort entfernte unbewachte Autobahnraststätte "Brembo-Nord", auf der er den beladenen Lkw abstellte. Nach dem Versperren des Führerhauses suchte der Fahrer zunächst die Toilette und anschließend die Bar auf, um dort Kaffee zu trinken. Als er gegen 8.30 Uhr die Fahrt fortsetzen wollte, bemerkte er, dass der Lkw samt Ladung entwendet worden war. Der Diebstahl wurde anschließend - der genaue Zeitpunkt ist streitig - bei der Polizei angezeigt.
- 5
- Nach Ansicht der Klägerin schuldet die Beklagte ihr vollen Schadensersatz , da während der Beförderung des Gutes in mehrfacher Weise gegen die vereinbarten Sicherheitsrichtlinien verstoßen worden sei und der Beklagten zudem im Zusammenhang mit der Durchführung des Transports von ihrer Zentrale in Bozen zur Empfängerin schwerwiegende Organisationsmängel anzulasten seien.
- 6
- Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von 990.929,56 € in Anspruch genommen.
- 7
- Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, der Fahrer habe wegen plötzlich aufgetretener Magen- und Darmprobleme anhalten und eine Toilette aufsuchen müssen. Anschließend habe er noch kurz einen Kaffee zu sich genommen. Der beladene Lkw sei ordnungsgemäß versperrt und mit einer elektronischen Wegfahrsperre gesichert gewesen. Ein qualifiziertes Verschulden könne ihr nicht vorgeworfen werden.
- 8
- Das Landgericht hat der Klage im beantragten Umfang stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist nach Rücknahme der Klage in Höhe von 8.550 € erfolglos geblieben (OLG Nürnberg TranspR 2009, 256).
- 9
- Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage, soweit über die Höchstbetragshaftung nach Art. 23 Abs. 3 CMR hinaus zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Entscheidungsgründe:
- 10
- I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht angenommen , dass die Beklagte für den Verlust des Transportgutes gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 i.V. mit Art. 3 CMR vollen Schadensersatz schulde. Dazu hat es ausgeführt:
- 11
- Nach Art. 17 Abs. 1 CMR hafte der Frachtführer für den Verlust des Gutes zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme und der Ablieferung. Auf die Haftungsbeschränkung gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR könne er sich nach Art. 29 Abs. 1 CMR nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein Verschulden verursacht habe, das nach deutschem Recht dem Vorsatz gleichstehe. Die Voraussetzungen für einen Wegfall der Haftungsbegrenzung seien im Streitfall erfüllt.
- 12
- Der Fahrer der Beklagten, dessen Handeln sich die Beklagte gemäß Art. 3 i.V. mit Art. 29 Abs. 2 Satz 1 CMR zurechnen lassen müsse, habe mehrfach gegen die vereinbarten Sicherheitsrichtlinien der Versenderin verstoßen.
- 13
- Da der Beklagten ein vorsatzgleiches Verschulden anzulasten sei, könne sie sich gemäß Art. 29 Abs. 1 CMR nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens bestimme sich dann grundsätzlich nach den Vorschriften des anzuwendenden nationalen Rechts. Allerdings verliere nur der Frachtführer bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR das Recht, sich auf Haftungsbeschränkungen berufen zu können. Dem Geschädigten stehe bei einem qualifizierten Verschulden des Schädigers die Schadensberechnung nach Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR offen. Die Haftungsbeschränkungen nach Art. 23 Abs. 3 und 7 CMR fänden dann keine Anwendung, da der in Art. 29 Abs. 1 CMR angeordnete Wegfall von Haftungsbegrenzungen und -befreiungen gerade eine Verbesserung der Position des Geschädigten bezwecke.
- 14
- Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR habe der Klägerin ursprünglich ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 990.929,56 € zugestanden. Allerdings seien 78 der entwendeten Notebooks wieder aufgefunden und an die Versenderin auf deren Verlangen abgeliefert worden. Dadurch habe sich der Schaden um 8.550 € verringert. Dem habe die Klägerin durch Rücknahme der Klage in Höhe des genannten Betrags Rechnung getragen mit der Folge, dass ihr noch ein Ersatzanspruch in Höhe von 982.379,56 € zustehe.
- 15
- II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit über einen Betrag von 77.563,40 € nebst Zinsen hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
- 16
- Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte schulde für den Verlust des Gutes vollen Schadensersatz, weil ihr ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden (Art. 29 Abs. 1 CMR) anzulasten sei, wird von der Revision ohne Erfolg angegriffen. Die Angriffe der Revision gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Berechnung des der Versenderin entstandenen Schadens sind dagegen begründet.
- 17
- 1. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, ohne im Tenor des angegriffenen Urteils eine Einschränkung hinsichtlich des Umfangs der Zulassung vorzunehmen. In den Gründen hat es dazu ausgeführt, die Frage, ob bei qualifiziertem Verschulden des Frachtführers der Umfang des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten auch allein nach den Regelungen in Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR - ohne die Haftungsbeschränkung nach Art. 23 Abs. 3 CMR und ohne Rückgriff auf die Regelungen des im Einzelfall ergänzend anzuwendenden nationalen Rechts - bestimmt werden könne, sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung zwar bereits erörtert, höchstrichterlich jedoch nicht explizit geklärt.
- 18
- Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , dass sich auch bei uneingeschränkter Zulassung des Rechtsmittels im Entscheidungssatz eine wirksame Beschränkung aus den Entscheidungsgründen ergeben kann (BGHZ 153, 358, 360 f.; BGH, Beschl. v. 14.5.2008 - XII ZB 78/07, NJW 2008, 2351 Tz. 15). Eine Zulassungsbeschränkung kann in solchen Fällen jedoch nur dann angenommen werden, wenn aus den Gründen mit hinreichender Klarheit hervorgeht, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisionsverfahren nur wegen eines abtrennbaren Teils seiner Entscheidung eröffnen wollte (BGH NJW 2008, 2351 Tz. 16; BGH, Urt. v. 26.3.2009 - I ZR 44/06, NJW-RR 2009, 1053 Tz. 21 - Resellervertrag, m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat in den Gründen seines Urteils lediglich das Motiv für seine Zulassungsentscheidung bezeichnet (vgl. BGHZ 90, 318, 320).
- 19
- 2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte , die zu festen Kosten mit einem grenzüberschreitenden Straßengütertransport beauftragt war, als Frachtführerin der Haftung nach der CMR unterliegt. Danach hat sie für den Verlust von Transportgut während ihrer Obhutszeit gemäß Art. 17 Abs. 1 i.V. mit Art. 3 CMR grundsätzlich Schadensersatz zu leisten. Vollen Schadensersatz - über die Beschränkungen des Art. 23 CMR hinaus - schuldet die Beklagte aber nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung kann sich der Frachtführer nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht. Entspre- chendes gilt, wenn der Schaden durch seine Bediensteten oder Verrichtungsgehilfen verursacht worden ist und diesen ein qualifiziertes Verschulden zur Last fällt (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 CMR).
- 20
- Ist der Gütertransportschaden - wie hier - nach dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 eingetreten, so ist bei Anwendbarkeit deutschen Rechts als ein Verschulden, das zur Durchbrechung der Haftungsbegrenzungen der CMR führt, neben dem Vorsatz nicht mehr die grobe Fahrlässigkeit anzusehen, sondern ein leichtfertiges Verhalten erforderlich, zu dem das Bewusstsein hinzukommen muss, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 95/01, TranspR 2005, 311, 313 = VersR 2006, 814; Urt. v. 6.6.2007 - I ZR 121/04, TranspR 2007, 423 Tz. 15 = VersR 2008, 1134). Hiervon ist auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.
- 21
- 3. Die Beklagte wendet sich nicht mehr gegen ihre grundsätzliche Schadensersatzverpflichtung nach Art. 17 Abs. 1 CMR in Höhe der Haftungsgrenze des Art. 23 Abs. 3 CMR. Danach schuldet die Beklagte für den streitgegenständlichen Verlust Schadensersatz in Höhe von 77.563,40 €.
- 22
- Das abhanden gekommene Transportgut hatte unstreitig ein Rohgewicht von 7.979 kg. Nach Art. 23 Abs. 3 CMR darf die Entschädigung für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts 8,33 Rechnungseinheiten nicht übersteigen. Gemäß Art. 23 Abs. 7 Satz 1 CMR ist die Rechnungseinheit das Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds. Der geschuldete Schadensersatzbetrag ist nach Art. 23 Abs. 7 Satz 2 CMR in die Landeswährung des Staates des angerufenen Gerichts umzurechnen, wobei der Umrechnung der Wert der betreffenden Währung am Tag des Urteils - hier des Berufungsurteils - zugrunde zu legen ist. Dieses wurde am 4. Februar 2009 verkündet. An diesem Tag betrug der Wert eines Sonderziehungsrechts 1,16698 €. Somit beläuft sich die Höchsthaftung der Beklagten gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR auf einen Betrag von 77.563,40 €.
- 23
- 4. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht im Streitfall die Voraussetzungen für das Vorliegen einer bewussten Leichtfertigkeit und damit für eine unbeschränkte Haftung der Beklagten bejaht hat. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht jedenfalls mit Recht dem Fahrer, dessen Verhalten sich die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V. mit Art. 3 CMR zurechnen lassen muss, ein bewusst leichtfertiges Handeln angelastet. Auf die zwischen den Parteien umstrittene - und vom Berufungsgericht bejahte - Frage, ob auch der Beklagten selbst ein qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen ist, kommt es danach nicht an.
- 24
- a) Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine "Leute" in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist dann anzunehmen , wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen , unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGHZ 158, 322, 328 f.; BGH TranspR 2007, 423 Tz. 17 m.w.N.).
- 25
- b) Die tatrichterliche Beurteilung der Frage, ob eine bewusste Leichtfertigkeit vorliegt, kann das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Maße nachprüfen. Die Prüfung muss sich darauf beschränken, ob der Tatrichter den Rechtsgriff der bewussten Leichtfertigkeit verkannt hat oder ob Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze vorliegen (BGHZ 158, 322, 327; BGH TranspR 2007, 423 Tz. 18). Solche Rechtsfehler sind hier nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts rechtsfehlerfrei einen besonders schweren Pflichtenverstoß des Fahrers der Beklagten angenommen, der den Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden i.S. von Art. 29 Abs. 1 CMR i.V. mit § 435 HGB zulässt.
- 26
- aa) Die Revision rügt, das Berufungsgericht hätte berücksichtigen müssen , dass das Gut auf dem stark frequentierten und durch Kameras überwachten Gelände tagsüber allenfalls durch Entwendung des gesamten Lkws habe gestohlen werden können. Ein Fahrer, der eine sichere und ohne den Schlüsselcode nicht zu entriegelnde Wegfahrsperre aktiviere, handele zudem nicht in dem Bewusstsein, dass der Schaden wahrscheinlich eintreten werde, wenn er eine Pause von einer Stunde mache und hierbei die Toilette aufsuche und anschließend einen Kaffee trinke. Gerade die große Sicherheit, die das Sicherheitssystem des eingesetzten Lkw biete, spreche gegen ein bewusst leichtfertiges Verhalten des Fahrers. Ein bewusster Verstoß gegen eine der Sicherung des Transportgutes dienende vertragliche Verpflichtung rechtfertige für sich allein nicht die Annahme eines qualifizierten Verschuldens i.S. von Art. 29 Abs. 1 CMR i.V. mit § 435 HGB. Nur dann, wenn die Gefahr eines Diebstahls derart groß gewesen sein sollte, dass selbst angesichts der Erkrankung des Fahrers eine Unterbrechung der Fahrt von einer Stunde völlig unvernünftig erschienen wäre, hätte das Berufungsgericht ein bewusst leichtfertiges Handeln des Fahrers annehmen dürfen.
- 27
- bb) Dieses Vorbringen verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht den Begriff der bewussten Leichtfertigkeit nicht verkannt und auch nicht zu geringe Anforderungen an das Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens gestellt.
- 28
- Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Fahrer der Beklagten in mehrfacher Weise gegen die vertraglich vereinbarten und der Sicherung des Transportgutes dienenden Sicherheitsrichtlinien der Versenderin verstoßen. Unstreitig wurde die Fahrt nicht auf einem "gesicherten und bewachten" Parkplatz unterbrochen (Verstoß gegen Nummer 2.1 der Sicherheitsrichtlinien). Das Fahrzeug wurde zudem für etwa eine Stunde unbeaufsichtigt gelassen, was einen Verstoß gegen Nummer 2.3 der Sicherheitsrichtlinien darstellt. Schließlich hat der Fahrer den Diebstahl entgegen der Verpflichtung gemäß Nummer 2.6 der Richtlinien nicht unverzüglich nach dessen Wahrnehmung, sondern erst mehr als drei Stunden nach der Entdeckung bei der nächsten Polizeidienststelle angezeigt.
- 29
- Dieses der Beklagten zuzurechnende Verhalten des Fahrers hat das Berufungsgericht mit Recht für die Annahme eines qualifizierten Verschuldens ausreichen lassen. Es hat dabei entgegen der Ansicht der Revision den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, dass der Fahrer die Fahrt wegen plötzlich aufgetretener Magen- und Darmbeschwerden habe unterbrechen müssen, dass er das Führerhaus ordnungsgemäß verschlossen und die elektronische Wegfahrsperre aktiviert habe.
- 30
- cc) Die vertragliche Vereinbarung der von der Versenderin aufgestellten "Sicherheitsrichtlinien für den Straßentransport" diente ersichtlich der Sicherung des besonders diebstahlgefährdeten Transportgutes (Notebooks), das zudem einen hohen Wert hatte. Dies war auch für die Beklagte und den von ihr eingesetzten Fahrer ohne weiteres erkennbar.
- 31
- Unter diesen Umständen rechtfertigt bereits der vorsätzliche Verstoß des Fahrers gegen die Nummern 2.1 und 2.3 der Sicherheitsrichtlinien für sich allein die Haftung aus Art. 29 Abs. 1 i.V. mit Art. 3 CMR (vgl. BGH TranspR 2005, 311, 314). Eine andere Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn der Fahrer nach dem Besuch der Toilette unverzüglich zu dem beladenen Lkw zurückgekehrt wäre und die Fahrt fortgesetzt hätte. Das Transportfahrzeug wäre dann wesentlich kürzer als eine Stunde unbeaufsichtigt geblieben. Die für das Aufsuchen der Toilette benötigte Zeit hätte kaum genügt, ein ordnungsgemäß verschlossenes und mit einer elektronischen Wegfahrsperre gesichertes Transportfahrzeug zu entwenden. Jedenfalls, hat sich die Gefahr eines Diebstahls dadurch, dass der Fahrer den beladenen Lkw entgegen der Nummer 2.3 der Sicherheitsrichtlinien ohne rechtfertigenden Grund etwa eine Stunde unbeaufsichtigt gelassen hat, wesentlich erhöht.
- 32
- dd) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Art. 29 Abs. 1 CMR ein qualifiziertes Verschulden nur hinsichtlich des die Haftung begründenden Tatbestands voraussetzt (BGH TranspR 2005, 311, 314). Ist danach von einem qualifizierten Verschulden i.S. von Art. 29 Abs. 1 CMR auszugehen , das seiner Art nach als Schadensursache ernsthaft in Betracht kommt, so obliegt es dem beklagten Frachtführer, im Prozess solche Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die gegen die Kausalität des festgestellten Sorgfaltsverstoßes sprechen (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, TranspR 1999, 19, 22 f.; BGH TranspR 2005, 311, 314; Thume in Fremuth/Thume, Frachtrecht, Art. 29 CMR Rdn. 29; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 29 CMR Rdn. 7 a.E.). Durch diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird der Frachtführer aufgrund seiner besonderen Sachnähe zum eingetretenen Schaden nicht in unzumutbarer Weise belastet (BGH TranspR 1999, 19, 23; TranspR 2005, 311, 314).
- 33
- Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Streitfall rechtsfehlerfrei angewandt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die aus- drückliche Vereinbarung der von der Versenderin aufgestellten "Sicherheitsrichtlinien für den Straßentransport" den auch für die Beklagte erkennbaren Sinn, den gerade im Italiengeschäft häufiger vorkommenden Ladungsverlusten infolge eines Diebstahls entgegenzuwirken. Mit Recht hat das Berufungsgericht in der etwa einstündigen Abwesenheit des Fahrers, die sich mit der Notwendigkeit , die Toilette aufzusuchen, nicht rechtfertigen lässt, einen Umstand gesehen , der als Ursache für den Diebstahl des Lkw und damit für den Transportgutverlust ernsthaft in Betracht kommt. Bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen die ausdrückliche Vereinbarung, das Transportfahrzeug zu keiner Zeit unbeaufsichtigt zu lassen, spricht eine Vermutung dafür, dass diese Vertragsverletzung gefahrerhöhend und damit kausal für den eingetretenen Verlust gewesen ist und dass dem Frachtführer und dem eingesetzten Fahrer dies auch bewusst war. In einem solchen Fall obliegt es dem Frachtführer, Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die gegen die Kausalität des festgestellten Fehlverhaltens sprechen (BGH TranspR 1999, 19, 22 f.; TranspR 2005, 311, 314). Nach den ebenfalls unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte derartige Umstände nicht vorgetragen.
- 34
- c) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es die von der Beklagten benannten Zeugen V. (Fahrer des entwendeten Lkws) und R. (Mitarbeiter der Beklagten) nicht vernommen habe.
- 35
- Nach dem Vorbringen der Revision hätte der Zeuge V. bestätigt, dass die Fahrtunterbrechung wegen einer plötzlich aufgetretenen Magen- und Darmerkrankung notwendig gewesen sei, dass er das Fahrzeug verschlossen, die Schlüssel abgezogen und die elektronische Wegfahrsperre eingeschaltet habe. Zu diesem Vortrag der Beklagten brauchte der Zeuge nicht vernommen zu werden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht die unter Be- weis gestellten Behauptungen der Beklagten seiner Entscheidung als wahr zugrunde gelegt. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe unter B I 3 im angefochtenen Urteil.
- 36
- Der Vernehmung des Zeugen R. bedurfte es ebenfalls nicht, weil die in sein Wissen gestellten Tatsachen - der Fahrer V. sei seit dem 1. September 2003 bei der Beklagten beschäftigt gewesen, während der gesamten Tätigkeit habe es keinerlei Anzeichen für seine Unzuverlässigkeit gegeben - aus der Sicht des Berufungsgerichts für die Entscheidung nicht erheblich waren. Der von der Revision gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt danach nicht vor.
- 37
- 5. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts , die Klägerin könne den der Versenderin entstandenen Schaden auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR berechnen, ohne dabei auf die Haftungshöchstsumme gemäß Art. 23 Abs. 3 und 7 CMR begrenzt zu sein.
- 38
- a) Der Umfang des zu ersetzenden Schadens bestimmt sich im Fall des Art. 29 Abs. 1 CMR grundsätzlich nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht (BGH, Urt. v. 15.10.1998 - I ZR 111/96, TranspR 1999, 102, 105 = VersR 1999, 646; BGH TranspR 2005, 311, 314). Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der Frage getroffen, welchem nationalen Recht der streitgegenständliche Beförderungsvertrag unterliegt. Nach Ansicht der Revision kommt auf das Vertragsverhältnis zwischen der Versenderin und der Beklagten italienisches Recht zur Anwendung. Hierfür könnte - sofern die Versenderin und die Beklagte keine Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB a.F. getroffen haben - die Vorschrift des Art. 28 Abs. 4 EGBGB a.F. sprechen, wonach bei Güterbeförderungsverträgen vermutet wird, dass sie mit dem Staat die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Entladeort befindet. Die Hauptniederlassung der Beklagten befindet sich in Bozen /Italien. Das Gut sollte auch in Italien (Cambiago) entladen werden. Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 4 EGBGB a.F. sind danach grundsätzlich erfüllt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Vertragsverhältnis zu einem anderen Staat eine engere Verbindung aufweist (Art. 28 Abs. 5 EGBGB a.F.).
- 39
- Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR ist es dem Geschädigten allerdings unbenommen, seinen Schaden auch auf der Grundlage der Art. 17 bis 28 CMR zu berechnen, da in einem solchen Fall allein der Frachtführer das Recht verliert, sich auf Bestimmungen zu berufen, die seine Haftung ausschließen oder begrenzen oder die Beweislast zu seinen Gunsten umkehren. Die Ansprüche des Geschädigten bleiben von der Regelung des Art. 29 Abs. 1 CMR unberührt. Er kann Schadensersatz immer auch in der Höhe verlangen, in der er ihn ohne ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers beanspruchen könnte (BGH, Urt. v. 3.3.2005 - I ZR 134/02, TranspR 2005, 253, 254 = VersR 2005, 1577).
- 40
- b) Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat jedoch angenommen, der Geschädigte könne unter den Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR auch auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR Ersatz verlangen. Eine Beschränkung des Ersatzanspruchs durch Art. 23 Abs. 3 und 7 CMR hat das Berufungsgericht verneint, weil dies dem mit Art. 29 Abs. 1 CMR verfolgten Zweck, die Position des Geschädigten zu verbessern, widerspräche. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 41
- c) Die Frage, ob der Geschädigte seinen Ersatzanspruch wegen Verlustes von Transportgut bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 CMR auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR berechnen kann, ohne dabei der Haftungsbegrenzung gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR zu unterliegen, wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.
- 42
- aa) Die Ansicht, die eine Beschränkung des Wertersatzanspruchs gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR durch Art. 23 Abs. 3 und 7 CMR verneint, führt zur Begründung im Wesentlichen an, dass der in Art. 29 Abs. 1 CMR angeordnete Wegfall von Haftungsbeschränkungen und -befreiungen gerade eine Verbesserung der Position des Geschädigten bezwecke. Dieser Zielsetzung widerspräche es, wenn der Geschädigte gezwungen wäre, seinen Schaden auch dann nach den §§ 249 ff. BGB zu berechnen, wenn die Berechnung gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR zu einem für ihn günstigeren Ergebnis führte (OLG Stuttgart TranspR 2002, 23, zu der dem Art. 23 Abs. 1 CMR nachgebildeten Vorschrift des § 429 Abs. 1 HGB; OLG Düsseldorf TranspR 2003, 343, 347; Koller aaO Art. 29 CMR Rdn. 10 a.E.; Harms in Thume, Kommentar zur CMR, 2. Aufl., Art. 29 Rdn. 71; wohl auch Bahnsen in Ebenroth/Boujong/Jost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 29 CMR Rdn. 51 i.V. mit Fn. 147; MünchKomm.HGB/Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 29 CMR Rdn. 35 i.V. mit Fn. 240).
- 43
- bb) Die eine Beschränkung des Wertersatzanspruchs durch Art. 23 Abs. 3 und 7 CMR befürwortende Auffassung verweist demgegenüber hauptsächlich darauf, dass die CMR ein einheitliches, in sich geschlossenes Haftungsgefüge enthalte, das zwischen einer Haftung wegen qualifizierten Verschuldens und einer reinen Obhutshaftung unterscheide. Der Anspruchsberechtigte müsse, wenn er seinen Ersatzanspruch auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR berechne, auch die Haftungsbegrenzung des Art. 23 Abs. 3 CMR akzeptieren, die nicht durch Art. 29 Abs. 1 CMR überwunden werden könne (vgl. Thume, TranspR 2008, 78 ff.; P. Schmidt, TranspR 2009, 1, 2; MünchKomm.HGB/Herber aaO § 435 Rdn. 27, zu den Art. 23 Abs. 1 und 3 CMR nachgebildeten Vorschriften § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 HGB; Oetker/ Paschke, HGB, § 435 Rdn. 12, ebenfalls zu § 429 Abs. 1 und § 431 Abs. 1 HGB; siehe auch MünchKomm.HGB/Freise aaO Art. 36 CIM Rdn. 6).
- 44
- cc) Der Senat schließt sich der letzten Auffassung an.
- 45
- (1) Nach Art. 29 Abs. 1 CMR kann sich der Frachtführer auf die Bestimmungen des Kapitels IV der CMR, "die seine Haftung ausschließen oder begrenzen oder die Beweislast umkehren", nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ihm ein zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht. Damit sind alle Bestimmungen der Art. 17 bis 28 CMR, die einen Haftungsausschluss, eine Haftungsbegrenzung oder eine Umkehr der Beweislast anordnen, insbesondere Art. 17 Abs. 2 bis 5, Art. 18, 23 und 25 CMR, gemeint (Koller aaO Art. 29 CMR Rdn. 8; MünchKomm.HGB/Jesser-Huß aaO Art. 29 CMR Rdn. 32,
34).
- 46
- (2) Die Bestimmung des Art. 23 CMR enthält nicht nur in ihrem Absatz 3, sondern - mittelbar - auch in Absatz 1 und 2 eine Haftungsbegrenzung. Nach Art. 23 Abs. 1 CMR wird die zu leistende Entschädigung nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung berechnet. Gemäß Art. 23 Abs. 2 CMR bestimmt sich der Wert des Gutes nach dem Börsenpreis, mangels eines solchen nach dem Marktpreis oder mangels beider nach dem gemeinen Wert von Gütern gleicher Art und Beschaffenheit. Der nach Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR geschuldete Wertersatz hat eine abstrakte und pauschalierte Entschädigung für den eingetretenen Sachschaden zum Gegenstand. Er dient der vereinfachten Schadensabwicklung (Boesche in Ebenroth/Boujong/Jost/ Strohn aaO Art. 23 CMR Rdn. 3; Thume, TranspR 2008, 78, 80). Zwar kann der Anspruchsberechtigte den Schaden auf der einen Seite nach dem Börsen- oder Marktpreis oder nach dem gemeinen Wert des Gutes berechnen, der in der Regel über dem Preis liegen wird, den er für die Wiederbeschaffung der Ware aufwenden müsste. Auf der anderen Seite gewährt Art. 23 Abs. 1 CMR keinen Ersatz weiterer Vermögensschäden, insbesondere wegen entgangenen Gewinns oder weiterer Güterfolgeschäden. Die in Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR enthaltenen Regelungen sind daher als - jedenfalls mittelbare - Haftungsbeschränkungen anzusehen (Koller aaO Art. 29 CMR Rdn. 8; MünchKomm.HGB/JesseHuß aaO Art. 29 CMR Rdn. 35).
- 47
- Eine direkte Haftungsbegrenzung ist darüber hinaus in Art. 23 Abs. 3 CMR vorgesehen. Nach dieser Vorschrift darf die Entschädigung 8,33 Sonderziehungsrechte für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts nicht überschreiten. Diese Haftungshöchstgrenze dient im Rahmen der Regelhaftung dem Schutz des Frachtführers vor wirtschaftlich unzumutbarer Inanspruchnahme (BGHZ 79, 302, 304).
- 48
- (3) Macht der Anspruchsberechtigte von seinem Wahlrecht in der Weise Gebrauch, dass er nicht Schadensersatz wegen qualifizierten Verschuldens des Frachtführers nach Art. 29 Abs. 1 CMR i.V. mit den §§ 249 ff. BGB verlangt, sondern Wertersatz gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR beansprucht, so muss er alle in Art. 23 CMR vorgesehenen Haftungsbegrenzungen gegen sich gelten lassen. Er kann sich nicht allein die Wertbestimmung zunutze machen und die zweite Haftungsbegrenzung wegfallen lassen. Denn der Wertersatz gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR und die Haftungshöchstsumme nach Art. 23 Abs. 3 CMR bilden ein einheitliches Haftungsbegrenzungssystem (Thume, TranspR 2008, 78, 81; P. Schmidt, TranspR 2009, 1, 2).
- 49
- 6. Das Berufungsgericht kann danach keinen Bestand haben, soweit die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines über 77.563,40 € zuzüglich Zinsen hinausgehenden Betrages bestätigt worden ist.
- 50
- III. Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Höhe der Klägerin nach dem im Fall des Art. 29 Abs. 1 CMR ergänzend anwendbaren nationalen Recht wegen des streitgegenständlichen Verlusts von Transportgut ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bergmann Koch
Vorinstanzen:
LG Regensburg, Entscheidung vom 30.06.2008 - 1 HKO 2449/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 04.02.2009 - 12 U 1445/08 -
(1) § 305 Absatz 2 und 3, § 308 Nummer 1, 2 bis 9 und § 309 finden keine Anwendung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden. § 307 Abs. 1 und 2 findet in den Fällen des Satzes 1 auch insoweit Anwendung, als dies zur Unwirksamkeit von in § 308 Nummer 1, 2 bis 9 und § 309 genannten Vertragsbestimmungen führt; auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche ist angemessen Rücksicht zu nehmen. In den Fällen des Satzes 1 finden § 307 Absatz 1 und 2 sowie § 308 Nummer 1a und 1b auf Verträge, in die die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist, in Bezug auf eine Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen keine Anwendung.
(2) Die §§ 308 und 309 finden keine Anwendung auf Verträge der Elektrizitäts-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorgungsunternehmen über die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser aus dem Versorgungsnetz, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser abweichen. Satz 1 gilt entsprechend für Verträge über die Entsorgung von Abwasser.
(3) Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbraucherverträge) finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit folgenden Maßgaben Anwendung:
- 1.
Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten als vom Unternehmer gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden; - 2.
§ 305c Abs. 2 und die §§ 306 und 307 bis 309 dieses Gesetzes sowie Artikel 46b des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche finden auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte; - 3.
bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 sind auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.
(4) Dieser Abschnitt findet keine Anwendung bei Verträgen auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts sowie auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Bei der Anwendung auf Arbeitsverträge sind die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen; § 305 Abs. 2 und 3 ist nicht anzuwenden. Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen stehen Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 gleich.
(1) Solange nicht die Parteien sich über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll, ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen. Die Verständigung über einzelne Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Aufzeichnung stattgefunden hat.
(2) Ist eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, bis die Beurkundung erfolgt ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin ist Transportversicherungsassekuradeur der S. N. GmbH in Bremen, die Tabakwaren vertreibt (im Weiteren: Versicherungsnehmerin ). Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte Anfang April 2008 zu festen Kosten mit der Versendung von auf einer Palette verpackten Tabakwaren von Bremen nach Hartmannsdorf/Sachsen. Die Beklagte gab den Auftrag an ihre Streithelferin zu 1 weiter, die ihrerseits ihren Streithelfer zu 2 mit der Durchführung des Transports beauftragte. Ein Fahrer des Streithelfers zu 2 übernahm das Gut am 5. April 2008 (einem Freitag) in Bremen und beförderte es im Wege eines Sammelladungstransports zunächst bis Chemnitz. Dort stellte er das Fahrzeug nebst beladenem Kastenauflieger gegen 23.45 Uhr in einem unbewachten Gewerbegebiet ab. Die Fortsetzung der Fahrt zu einem Umschlagslager der Beklagten in Großschirma/Sachsen erfolgte am 8. April 2008 gegen 2.00 Uhr. Nach der Ankunft im Umschlagslager wurde festgestellt, dass der Kastenauflieger während der Standzeit in Chemnitz geöffnet und ein Teil des Gutes der Versicherungsnehmerin entwendet worden war.
- 3
- Die Klägerin hat den der Versicherungsnehmerin entstandenen Schaden auf 25.344,22 € beziffert. Sie ist der Ansicht, die Beklagte müsse als Frachtführerin für den aufgrund des Diebstahls entstandenen Schaden unbegrenzt haften , weil das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs für zwei Tage in einem unbewachten Gewerbebetrieb besonders leichtfertig gewesen sei.
- 4
- Die Klägerin hat die Beklagte daher auf Zahlung von 25.344,22 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
- 5
- Die Beklagte und ihre Streithelfer sind dem entgegengetreten. Sie haben insbesondere geltend gemacht, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs in einem Gewerbebetrieb von Chemnitz sei nicht grob pflichtwidrig gewesen , zumal den Streithelfern nicht bekannt gewesen sei, dass die Sammelgutsendung auch eine Palette mit Tabakwaren umfasst habe. Der Streithelfer zu 2 habe daher nicht von einer besonderen Gefahrenlage für das Transportgut ausgehen müssen. Die Fahrzeuge des Streithelfers zu 2 würden seit 2006 in der betreffenden Gegend abgestellt. Bis zu dem Diebstahl im April 2008 sei es zu keinen besonderen Vorkommnissen gekommen. Darüber hinaus haben die Beklagte und ihre Streithelfer die Höhe des behaupteten Schadens bestritten und die Einrede der Verjährung erhoben.
- 6
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Streithelfer der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Streithelfer zu 2 seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
- 7
- I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Tabakwaren gemäß §§ 459, 425 Abs. 1, §§ 435, 428 HGB bejaht. Dazu hat es ausgeführt:
- 8
- Die Beklagte schulde vollen Schadensersatz, da im Streitfall die Voraussetzungen des § 435 HGB erfüllt seien. Diese Beurteilung rechtfertige sich schon aus dem Umstand, dass das beladene Transportfahrzeug über das Wochenende an einem unbewachten Ort in einem Gewerbegebiet abgestellt worden sei.
- 9
- Der durch den Diebstahl der Tabakwaren entstandene Schaden belaufe sich auf 25.344,22 €. Die Schadenshöhe habe das Landgericht aufgrund einer nicht zu beanstandenden Würdigung der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen R. zutreffend festgestellt.
- 10
- II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Streithelfers zu 2 der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 11
- 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten nach § 425 Abs. 1 HGB für den aufgrund des Diebstahls der Tabakwaren entstandenen Schaden bejaht. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Versicherungsnehmerin als Fixkostenspediteurin im Sinne von § 459 HGB beauftragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (§§ 425 ff. HGB) richtet. Der Diebstahl des Gutes hat sich während der Obhutszeit des mit der Durchführung des Transports von Bremen nach Großschirma beauftragten Streithelfers zu 2 der Beklagten ereignet. Hierfür hat die Beklagte nach § 428 HGB einzustehen.
- 12
- 2. Der Umfang des von der Beklagten gemäß § 425 Abs. 1, § 428 HGB zu leistenden Schadensersatzes bestimmt sich nach § 429 Abs. 1 HGB. Danach hat der Frachtführer für gänzlichen oder teilweisen Verlust Schadensersatz zu leisten, der sich nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung bemisst. Der gemäß § 429 Abs. 1 HGB zu berechnende Schadensersatz wird allerdings - wenn kein qualifiziertes Verschulden nach § 435 HGB vorliegt (dazu nachfolgend unter II 3) - durch die Regelungen in § 431 Abs. 1 und 2 HGB begrenzt. Gemäß § 431 Abs. 1 HGB haftet der Frachtführer wegen Verlustes der gesamten Sendung höchstens bis zu einem Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts der Sendung. Sind nur einzelne Frachtstücke der Sendung abhandengekommen , so ist die Haftung des Frachtführers nach § 431 Abs. 2 HGB auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts der gesamten Sendung begrenzt, wenn die gesamte Sendung entwertet ist (Fall 1). Ist - wie im vorliegenden Fall - nur ein Teil der Sendung abhandengekommen, haftet der Frachtführer höchstens auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts des in Verlust geratenen Teils der Sendung (Fall 2).
- 13
- 3. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts , der Beklagten sei es im Streitfall nach § 435 HGB verwehrt, sich auf die Haftungsbegrenzungen gemäß § 431 Abs. 1 und 2 HGB zu berufen, weil der durch den Verlust des Transportguts eingetretene Schaden auf ein qualifiziertes Verschulden des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers zurückzuführen sei, das sich die Beklagte gemäß § 428 HGB zurechnen lassen müsse.
- 14
- a) Gemäß § 435 HGB gelten die gesetzlichen und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine der in § 428 HGB genannten Personen leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Nach der Rechtsprechung des Senats hat grundsätzlich der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BGH, Urteil vom 22. November 2007 - I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 25; Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 188/08, TranspR 2011, 218 Rn. 15 = VersR 2011, 1161; Urteil vom 13. Juni 2012 - I ZR 87/11, TranspR 2012, 463 Rn. 16). Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann jedoch - wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist - dadurch gemildert werden , dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners setzt allerdings voraus, dass der Klagevortrag ein qualifiziertes Verschulden des Anspruchsgegners mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich An- haltspunkte für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben (BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 15; TranspR 2012, 463 Rn. 17).
- 15
- b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers schließen lässt. Es hat angenommen, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs über ein Wochenende an einem unbewachten Ort in einem Gewerbegebiet sei besonders leichtfertig gewesen, weil die Beklagte, auf deren Kenntnis es ankomme, den Gegenstand der Fracht gekannt und daher gewusst habe, dass das Gut leicht verwertbar und deshalb besonders diebstahlsgefährdet gewesen sei. Unter den gegebenen Umständen sei nicht nur das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit zu bejahen, sondern auch das Bewusstsein einer Schadenswahrscheinlichkeit anzunehmen. Es müsse zudem davon ausgegangen werden, dass es dem Fahrer des Streithelfers zu 2 möglich gewesen wäre, das beladene Transportfahrzeug an einem anderen, nicht derart menschenleeren Ort abzustellen.
- 16
- c) Die Revision rügt mit Erfolg, dass die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen für die Annahme eines bewusst leichtfertigen Handelns (§ 435 HGB) der Beklagten oder ihres Unterfrachtführers nicht ausreichen.
- 17
- aa) Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute im Sinne von § 428 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestands- merkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH, Urteil vom 30. September 2010 - I ZR 39/09, BGHZ 187, 141 Rn. 24; BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 19 mwN).
- 18
- bb) Die tatrichterliche Beurteilung der Frage, ob eine bewusste Leichtfertigkeit vorliegt, kann das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Maße nachprüfen. Die Prüfung muss sich darauf beschränken, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der bewussten Leichtfertigkeit verkannt hat oder ob ihm Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 25. März 2004 - I ZR 205/01, BGHZ 158, 322, 327; BGHZ 187, 141 Rn. 25). Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht zu geringe Anforderungen an das Vorliegen einer bewussten Leichtfertigkeit gestellt hat.
- 19
- cc) Die Klägerin hat den von ihr erhobenen Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens im Sinne von § 435 HGB allein darauf gestützt, dass der Fahrer des Streithelfers zu 2 das mit Sammelgut beladene Transportfahrzeug über ein Wochenende in einem unbewachten Gewerbegebiet von Chemnitz abgestellt hat und der Beklagten bekannt war, dass sich unter dem Sammelgut auch eine Palette mit Tabakwaren befand. Die Revision macht mit Recht geltend, dass dieser Sachverhalt den Schluss auf ein bewusst leichtfertiges Verhalten der Beklagten oder des von der Streithelferin zu 1 beauftragten Unterfrachtführers nicht zulässt.
- 20
- Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es dem Fahrer des Streithelfers zu 2 hätte bewusst sein müssen, es könnte zu einem Diebstahl des Transportgutes kommen, wenn er das beladene Transportfahrzeug in dem nicht bewachten Gewerbegebiet abstellt, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es in diesem Gebiet zuvor bereits zu Diebstählen von Transportgut gekommen ist. Die Versicherungsnehmerin hatte der Beklagten - unstreitig - keine konkreten Weisungen für die Durchführung des Transports erteilt. Ebenso wenig hatte die Beklagte der Versicherungsnehmerin besondere Sicherungsvorkehrungen bei der Durchführung des Transports zugesagt. Das Gut befand sich in einem verschlossenen Kastenauflieger, der im Vergleich zu einem Planenwagen im Allgemeinen eine wesentlich größere Sicherheit gegen eine Entwendung der transportierten Güter bietet. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, dass das äußere Erscheinungsbild des Transportfahrzeugs Anlass zu der Annahme gab, es könnten sich darin besonders wertvolle Güter befinden. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass es dem Streithelfer zu 2 möglich und zumutbar war, das beladene Transportfahrzeug über das Wochenende auf einem bewachten Parkplatz oder einem zumindest sichereren Platz - beispielsweise auf einem umzäunten und abgeschlossenen Gelände - abzustellen. Unter den gegebenen Umständen brauchte der Streithelfer zu 2 der Beklagten nicht das Bewusstsein zu haben, es werde mit Wahrscheinlichkeit zu einem Diebstahl des im Kastenauflieger befindlichen Transportguts kommen, wenn das Transportfahrzeug in einem unbewachten Gewerbegebiet von Chemnitz abgestellt wird.
- 21
- Da die Feststellungen des Berufungsgerichts schon nicht den Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers rechtfertigen, kommt es nicht darauf an, ob das Berufungsgericht - wie die Revision rügt - den Vortrag des Streithelfers zu 2 in seinem Schriftsatz vom 1. März 2011, den das Berufungsgericht zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast der Beklagten für ausreichend erachtet hat, hätte berücksichtigen müssen.
- 22
- 4. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Zwar lässt sich aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers verneinen; die Revisionserwiderung hat auch nicht gerügt, dass das Berufungsgericht insofern erheblichen Vortrag der Klägerin übergangen hätte. Das Berufungsgericht hat aber noch keine Feststellungen zur Regelhaftung der Beklagten nach § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 und 2 HGB getroffen. Hier stellt sich zunächst die Frage der Verjährung; gegebenenfalls müssen auch noch Feststellungen zur Höhe des Wertersatzes getroffen werden.
- 23
- Die Beklagte und der Streithelfer zu 2 haben die Einrede der Verjährung erhoben. Da die Voraussetzungen für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht erfüllt sind, beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB lediglich ein Jahr. Sofern der Lauf der Verjährungsfrist nicht gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB oder § 203 BGB gehemmt wurde, wäre der aus § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 und 2 HGB abzuleitende Anspruch auf Wertersatz bei Einreichung der Klage am 2. September 2010 bereits verjährt gewesen. Den bislang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Lauf der Verjährung gehemmt worden ist. Das Telefaxschreiben der Versicherungsnehmerin an die Beklagte vom 10. April 2008 (Anlage K 5), mit dem der Beklagten mitgeteilt wurde, dass sie für haftbar gehalten werde, konnte eine Hemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB jedenfalls nicht bewirken, weil es insofern an der erforderlichen Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2012 - I ZR 75/11, TranspR 2013, 156 Rn. 13 ff.).
- 24
- Ist keine Verjährung eingetreten, stellt sich die weitere Frage nach der Höhe des Ersatzanspruchs. In Ermangelung eines besonders schweren Pflichtenverstoßes der Beklagten ist die geschuldete Entschädigung auf 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts begrenzt (§ 431 Abs. 1 und 2 HGB). Hierzu hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang ebenfalls noch keine Feststellungen getroffen.
- 25
- III. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben (§ 562 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Schaffert Koch
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 08.03.2011 - 14 O 441/10 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 01.12.2011 - 8 U 60/11 -
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Landshut
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Streithelferin trägt die durch die Nebenintervention verursachten Kosten.
III.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesen Urteilen jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine „Leute“ in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus einem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH, Transportrecht 2004, 399, 401).
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin ist Transportversicherungsassekuradeur der S. N. GmbH in Bremen, die Tabakwaren vertreibt (im Weiteren: Versicherungsnehmerin ). Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte Anfang April 2008 zu festen Kosten mit der Versendung von auf einer Palette verpackten Tabakwaren von Bremen nach Hartmannsdorf/Sachsen. Die Beklagte gab den Auftrag an ihre Streithelferin zu 1 weiter, die ihrerseits ihren Streithelfer zu 2 mit der Durchführung des Transports beauftragte. Ein Fahrer des Streithelfers zu 2 übernahm das Gut am 5. April 2008 (einem Freitag) in Bremen und beförderte es im Wege eines Sammelladungstransports zunächst bis Chemnitz. Dort stellte er das Fahrzeug nebst beladenem Kastenauflieger gegen 23.45 Uhr in einem unbewachten Gewerbegebiet ab. Die Fortsetzung der Fahrt zu einem Umschlagslager der Beklagten in Großschirma/Sachsen erfolgte am 8. April 2008 gegen 2.00 Uhr. Nach der Ankunft im Umschlagslager wurde festgestellt, dass der Kastenauflieger während der Standzeit in Chemnitz geöffnet und ein Teil des Gutes der Versicherungsnehmerin entwendet worden war.
- 3
- Die Klägerin hat den der Versicherungsnehmerin entstandenen Schaden auf 25.344,22 € beziffert. Sie ist der Ansicht, die Beklagte müsse als Frachtführerin für den aufgrund des Diebstahls entstandenen Schaden unbegrenzt haften , weil das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs für zwei Tage in einem unbewachten Gewerbebetrieb besonders leichtfertig gewesen sei.
- 4
- Die Klägerin hat die Beklagte daher auf Zahlung von 25.344,22 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
- 5
- Die Beklagte und ihre Streithelfer sind dem entgegengetreten. Sie haben insbesondere geltend gemacht, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs in einem Gewerbebetrieb von Chemnitz sei nicht grob pflichtwidrig gewesen , zumal den Streithelfern nicht bekannt gewesen sei, dass die Sammelgutsendung auch eine Palette mit Tabakwaren umfasst habe. Der Streithelfer zu 2 habe daher nicht von einer besonderen Gefahrenlage für das Transportgut ausgehen müssen. Die Fahrzeuge des Streithelfers zu 2 würden seit 2006 in der betreffenden Gegend abgestellt. Bis zu dem Diebstahl im April 2008 sei es zu keinen besonderen Vorkommnissen gekommen. Darüber hinaus haben die Beklagte und ihre Streithelfer die Höhe des behaupteten Schadens bestritten und die Einrede der Verjährung erhoben.
- 6
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Streithelfer der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Streithelfer zu 2 seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
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- I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Tabakwaren gemäß §§ 459, 425 Abs. 1, §§ 435, 428 HGB bejaht. Dazu hat es ausgeführt:
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- Die Beklagte schulde vollen Schadensersatz, da im Streitfall die Voraussetzungen des § 435 HGB erfüllt seien. Diese Beurteilung rechtfertige sich schon aus dem Umstand, dass das beladene Transportfahrzeug über das Wochenende an einem unbewachten Ort in einem Gewerbegebiet abgestellt worden sei.
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- Der durch den Diebstahl der Tabakwaren entstandene Schaden belaufe sich auf 25.344,22 €. Die Schadenshöhe habe das Landgericht aufgrund einer nicht zu beanstandenden Würdigung der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen R. zutreffend festgestellt.
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- II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Streithelfers zu 2 der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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- 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten nach § 425 Abs. 1 HGB für den aufgrund des Diebstahls der Tabakwaren entstandenen Schaden bejaht. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Versicherungsnehmerin als Fixkostenspediteurin im Sinne von § 459 HGB beauftragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (§§ 425 ff. HGB) richtet. Der Diebstahl des Gutes hat sich während der Obhutszeit des mit der Durchführung des Transports von Bremen nach Großschirma beauftragten Streithelfers zu 2 der Beklagten ereignet. Hierfür hat die Beklagte nach § 428 HGB einzustehen.
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- 2. Der Umfang des von der Beklagten gemäß § 425 Abs. 1, § 428 HGB zu leistenden Schadensersatzes bestimmt sich nach § 429 Abs. 1 HGB. Danach hat der Frachtführer für gänzlichen oder teilweisen Verlust Schadensersatz zu leisten, der sich nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung bemisst. Der gemäß § 429 Abs. 1 HGB zu berechnende Schadensersatz wird allerdings - wenn kein qualifiziertes Verschulden nach § 435 HGB vorliegt (dazu nachfolgend unter II 3) - durch die Regelungen in § 431 Abs. 1 und 2 HGB begrenzt. Gemäß § 431 Abs. 1 HGB haftet der Frachtführer wegen Verlustes der gesamten Sendung höchstens bis zu einem Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts der Sendung. Sind nur einzelne Frachtstücke der Sendung abhandengekommen , so ist die Haftung des Frachtführers nach § 431 Abs. 2 HGB auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts der gesamten Sendung begrenzt, wenn die gesamte Sendung entwertet ist (Fall 1). Ist - wie im vorliegenden Fall - nur ein Teil der Sendung abhandengekommen, haftet der Frachtführer höchstens auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts des in Verlust geratenen Teils der Sendung (Fall 2).
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- 3. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts , der Beklagten sei es im Streitfall nach § 435 HGB verwehrt, sich auf die Haftungsbegrenzungen gemäß § 431 Abs. 1 und 2 HGB zu berufen, weil der durch den Verlust des Transportguts eingetretene Schaden auf ein qualifiziertes Verschulden des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers zurückzuführen sei, das sich die Beklagte gemäß § 428 HGB zurechnen lassen müsse.
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- a) Gemäß § 435 HGB gelten die gesetzlichen und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine der in § 428 HGB genannten Personen leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Nach der Rechtsprechung des Senats hat grundsätzlich der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BGH, Urteil vom 22. November 2007 - I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 25; Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 188/08, TranspR 2011, 218 Rn. 15 = VersR 2011, 1161; Urteil vom 13. Juni 2012 - I ZR 87/11, TranspR 2012, 463 Rn. 16). Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann jedoch - wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist - dadurch gemildert werden , dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners setzt allerdings voraus, dass der Klagevortrag ein qualifiziertes Verschulden des Anspruchsgegners mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich An- haltspunkte für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben (BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 15; TranspR 2012, 463 Rn. 17).
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- b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers schließen lässt. Es hat angenommen, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs über ein Wochenende an einem unbewachten Ort in einem Gewerbegebiet sei besonders leichtfertig gewesen, weil die Beklagte, auf deren Kenntnis es ankomme, den Gegenstand der Fracht gekannt und daher gewusst habe, dass das Gut leicht verwertbar und deshalb besonders diebstahlsgefährdet gewesen sei. Unter den gegebenen Umständen sei nicht nur das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit zu bejahen, sondern auch das Bewusstsein einer Schadenswahrscheinlichkeit anzunehmen. Es müsse zudem davon ausgegangen werden, dass es dem Fahrer des Streithelfers zu 2 möglich gewesen wäre, das beladene Transportfahrzeug an einem anderen, nicht derart menschenleeren Ort abzustellen.
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- c) Die Revision rügt mit Erfolg, dass die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen für die Annahme eines bewusst leichtfertigen Handelns (§ 435 HGB) der Beklagten oder ihres Unterfrachtführers nicht ausreichen.
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- aa) Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute im Sinne von § 428 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestands- merkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH, Urteil vom 30. September 2010 - I ZR 39/09, BGHZ 187, 141 Rn. 24; BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 19 mwN).
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- bb) Die tatrichterliche Beurteilung der Frage, ob eine bewusste Leichtfertigkeit vorliegt, kann das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Maße nachprüfen. Die Prüfung muss sich darauf beschränken, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der bewussten Leichtfertigkeit verkannt hat oder ob ihm Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 25. März 2004 - I ZR 205/01, BGHZ 158, 322, 327; BGHZ 187, 141 Rn. 25). Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht zu geringe Anforderungen an das Vorliegen einer bewussten Leichtfertigkeit gestellt hat.
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- cc) Die Klägerin hat den von ihr erhobenen Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens im Sinne von § 435 HGB allein darauf gestützt, dass der Fahrer des Streithelfers zu 2 das mit Sammelgut beladene Transportfahrzeug über ein Wochenende in einem unbewachten Gewerbegebiet von Chemnitz abgestellt hat und der Beklagten bekannt war, dass sich unter dem Sammelgut auch eine Palette mit Tabakwaren befand. Die Revision macht mit Recht geltend, dass dieser Sachverhalt den Schluss auf ein bewusst leichtfertiges Verhalten der Beklagten oder des von der Streithelferin zu 1 beauftragten Unterfrachtführers nicht zulässt.
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- Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es dem Fahrer des Streithelfers zu 2 hätte bewusst sein müssen, es könnte zu einem Diebstahl des Transportgutes kommen, wenn er das beladene Transportfahrzeug in dem nicht bewachten Gewerbegebiet abstellt, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es in diesem Gebiet zuvor bereits zu Diebstählen von Transportgut gekommen ist. Die Versicherungsnehmerin hatte der Beklagten - unstreitig - keine konkreten Weisungen für die Durchführung des Transports erteilt. Ebenso wenig hatte die Beklagte der Versicherungsnehmerin besondere Sicherungsvorkehrungen bei der Durchführung des Transports zugesagt. Das Gut befand sich in einem verschlossenen Kastenauflieger, der im Vergleich zu einem Planenwagen im Allgemeinen eine wesentlich größere Sicherheit gegen eine Entwendung der transportierten Güter bietet. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, dass das äußere Erscheinungsbild des Transportfahrzeugs Anlass zu der Annahme gab, es könnten sich darin besonders wertvolle Güter befinden. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass es dem Streithelfer zu 2 möglich und zumutbar war, das beladene Transportfahrzeug über das Wochenende auf einem bewachten Parkplatz oder einem zumindest sichereren Platz - beispielsweise auf einem umzäunten und abgeschlossenen Gelände - abzustellen. Unter den gegebenen Umständen brauchte der Streithelfer zu 2 der Beklagten nicht das Bewusstsein zu haben, es werde mit Wahrscheinlichkeit zu einem Diebstahl des im Kastenauflieger befindlichen Transportguts kommen, wenn das Transportfahrzeug in einem unbewachten Gewerbegebiet von Chemnitz abgestellt wird.
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- Da die Feststellungen des Berufungsgerichts schon nicht den Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers rechtfertigen, kommt es nicht darauf an, ob das Berufungsgericht - wie die Revision rügt - den Vortrag des Streithelfers zu 2 in seinem Schriftsatz vom 1. März 2011, den das Berufungsgericht zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast der Beklagten für ausreichend erachtet hat, hätte berücksichtigen müssen.
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- 4. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Zwar lässt sich aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers verneinen; die Revisionserwiderung hat auch nicht gerügt, dass das Berufungsgericht insofern erheblichen Vortrag der Klägerin übergangen hätte. Das Berufungsgericht hat aber noch keine Feststellungen zur Regelhaftung der Beklagten nach § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 und 2 HGB getroffen. Hier stellt sich zunächst die Frage der Verjährung; gegebenenfalls müssen auch noch Feststellungen zur Höhe des Wertersatzes getroffen werden.
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- Die Beklagte und der Streithelfer zu 2 haben die Einrede der Verjährung erhoben. Da die Voraussetzungen für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht erfüllt sind, beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB lediglich ein Jahr. Sofern der Lauf der Verjährungsfrist nicht gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB oder § 203 BGB gehemmt wurde, wäre der aus § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 und 2 HGB abzuleitende Anspruch auf Wertersatz bei Einreichung der Klage am 2. September 2010 bereits verjährt gewesen. Den bislang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Lauf der Verjährung gehemmt worden ist. Das Telefaxschreiben der Versicherungsnehmerin an die Beklagte vom 10. April 2008 (Anlage K 5), mit dem der Beklagten mitgeteilt wurde, dass sie für haftbar gehalten werde, konnte eine Hemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB jedenfalls nicht bewirken, weil es insofern an der erforderlichen Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2012 - I ZR 75/11, TranspR 2013, 156 Rn. 13 ff.).
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- Ist keine Verjährung eingetreten, stellt sich die weitere Frage nach der Höhe des Ersatzanspruchs. In Ermangelung eines besonders schweren Pflichtenverstoßes der Beklagten ist die geschuldete Entschädigung auf 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts begrenzt (§ 431 Abs. 1 und 2 HGB). Hierzu hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang ebenfalls noch keine Feststellungen getroffen.
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- III. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben (§ 562 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Schaffert Koch
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 08.03.2011 - 14 O 441/10 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 01.12.2011 - 8 U 60/11 -