Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 21. Apr. 2006 - 3 Ausl. 147/05
Tenor
Der Verfolgte ist tschechischer Staatsangehöriger und wurde 1985 wegen eines 1975 bei Prag begangenen Raubmordes vom Höchsten Gericht der damaligen CSSR in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. 1992 lehnte der Senat den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls ab, weil das Abwesenheitsurteil nicht den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 2. ZP EuAlÜbk genügte und seinerzeit das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 2. ZP EuAlÜbk nicht hinreichend gewährleistet war. 2000 wurde der Verfolgte auf tschechischem Boden festgenommen und verbüßte seitdem die Freiheitsstrafe, bis ihm 2005 die Flucht in die Bundesrepublik Deutschland gelang. Der Senat hat die Auslieferung zur Strafvollstreckung unter folgenden Vorbehalten für zulässig erklärt:
1. Vorbehalt betreffend Artikel 3 Absatz 1 Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (ETS Nr. 98)
Das Abwesenheitsverfahren, das zu dem Urteil des Höchsten Gerichts geführt hat, entsprach nicht den Anforderungen des Artikels 3 Absatz 1 Satz 1 Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen. Gemäß Absatz 1 Satz 2 dieses Artikels ist dem Verfolgten das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren zu gewähren, in dem die Rechte der Verteidigung gewahrt sind. Die Antragsfrist gemäß § 388 Abs. 3 Buchstabe b) in Verbindung mit § 306 a Absatz 2 Satz 1 der tschechischen Strafprozessordnung beginnt an dem Tag zu laufen, an dem der Verfolgte in Vollzug der Auslieferung in tschechischen Gewahrsam überstellt wird.
2. Vorbehalt betreffend Artikel 6 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ETS Nr. 5)
Das neue Gerichtsverfahren ist in angemessener Frist durchzuführen. In ihm gilt der Verfolgte als unschuldig; es ist ihm nachzuweisen, dass er der Tat schuldig ist, die dem Urteil des Höchsten Gerichts zugrunde liegt, und die Strafe ist unter Berücksichtigung der §§ 306a Abs. 3, 388 Abs. 2 der tschechischen Strafprozessordnung neu zu bemessen. Dem Verlangen des Verfolgten auf erneute Beweiserhebung, insbesondere auf Vernehmung und Befragung von Be- und Entlastungszeugen, ist grundsätzlich nachzukommen.
Gründe
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Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 21. Apr. 2006 - 3 Ausl. 147/05
Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 21. Apr. 2006 - 3 Ausl. 147/05
Referenzen - Gesetze
Bedingungen, die der ausländische Staat an die Rechtshilfe geknüpft hat, sind zu beachten.
Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.
(1) Die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung ist nur zulässig, wenn
- 1.
gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurückzuüberstellen, und - 2.
die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist.
(2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 nicht vor, ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur zulässig, wenn
- 1.
die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 vorliegen und die Tat - 2.
keinen maßgeblichen Bezug zum Inland aufweist und - 3.
auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre, und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt.
(3) Die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafvollstreckung ist nur zulässig, wenn der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll zustimmt. § 41 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
(4) (weggefallen)
Die Auslieferung darf, außer im Fall des § 41, nur bewilligt werden, wenn das Gericht sie für zulässig erklärt hat.
(1) Treten nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung Umstände ein, die eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen geeignet sind, so entscheidet das Oberlandesgericht von Amts wegen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht oder auf Antrag des Verfolgten erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung.
(2) Werden nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Umstände bekannt, die eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen geeignet sind, so kann das Oberlandesgericht erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheiden.
(3) § 30 Abs. 2 und 3, §§ 31, 32 gelten entsprechend.
(4) Das Oberlandesgericht kann den Aufschub der Auslieferung anordnen.