Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschluss, 30. Mai 2023 - 6 N 44/23

ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0530.6N44.23.00
bei uns veröffentlicht am02.05.2024

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Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Zusammenfassung des Autors

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wies den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Februar 2023 ab. In dem Fall ging es um die Aufhebung und Rückforderung einer Förderung im Rahmen des Hilfsprogramms Corona-Soforthilfe II. Das Verwaltungsgericht entschied, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei und wies die Klage daher ab. Die Klägerin legte daraufhin erfolglos Beschwerde ein.

Das Gericht wies die von der Klägerin vorgetragenen Argumente zurück, darunter die Behauptung, dass die Umdeutung des Verwaltungsakts rechtswidrig sei, da sie das Ziel habe, den Prüfungsumfang zu Ungunsten der Empfänger coronabedingter Soforthilfen zu reduzieren. Die Klägerin bezog sich unter anderem auch auf eine Entscheidung des OVG Münster (4 A 1986/22), wonach Vertrauensschutzaspekte erheblichen Aufklärungsaufwand seitens eines Gerichts erfordern. Das OVG Berlin-Brandenburg sah jedoch keine hinreichenden ernstlichen Richtigkeitszweifel an der Umdeutung und wies den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten, deren Klärung die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordert, hat die Klägerin laut dem OVG nicht aufgezeigt; Der bloße Hinweis auf die zitierte Entscheidung des OVG Münster genügte dem Gericht insoweit nicht.

Amtliche Leitsätze

Zur Aufhebung und Rückforderung einer Förderung im Rahmen des Hilfsprogramms Corona-Soforthilfe.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss vom 30. Mai 2023

Az.: 6 N 44/23

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Februar 2023 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung einer Förderung im Rahmen des Hilfsprogramms Corona-Soforthilfe II. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der angegriffene Bescheid in der zulässigerweise durch Umdeutung im Laufe des Verfahrens erlangten Fassung sei rechtmäßig. Die Beklagte hätte den Bewilligungsbescheid widerrufen können. Die Leistung sei nicht für den darin bestimmten Zweck verwendet worden. Eine existenzbedrohende Wirtschaftslage, die hierfür Voraussetzung gewesen sei, habe bei der Klägerin nicht bestanden. Der Widerruf könne auch erfolgen, weil mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden gewesen sei und die Klägerin diese nicht erfüllt habe. Sie habe die betriebswirtschaftlichen Auswertungen des ersten, zweiten und dritten Quartals 2020 nicht vorgelegt. Der Widerruf sei ermessensfehlerfrei im Hinblick auf die Sicherung einer zweckgerichteten Mittelverwendung und damit der haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hat auf der Grundlage der allein maßgeblichen Berufungszulassungsbegründung keinen Erfolg.

1. Die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht dargelegt.

a) Die Klägerin macht geltend, die Umdeutung eines Verwaltungsakts im laufenden gerichtlichen Verfahren sei zwar grundsätzlich zulässig, sie wirke sich hier jedoch rechtsschutzverkürzend und damit rechtswidrig aus, weil sie das alleinige Ziel verfolge, den gerichtlichen Prüfungsumfang zu Ungunsten der Empfänger coronabedingter Soforthilfen zu reduzieren. Die Umdeutung des Rücknahmebescheides in einen Widerrufsbescheid habe im Ergebnis dazu geführt, der von Amts wegen nachzukommenden Aufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezüglich eines etwaigen Vertrauensschutzes der Klägerin in den Bestand der Zuschussbewilligung auszuweichen. Ernstliche Richtigkeitszweifel ergeben sich hieraus nicht.

Die diesem Vortrag zugrunde liegende Auffassung, eine Umdeutung nach § 47 VwVfG sei unzulässig, wenn sie dazu führe, dass Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht (mehr) zu prüfen seien, ist mit diesem Vortrag schon nicht hinreichend dargelegt. Aus welchem Rechtssatz diese Annahme herzuleiten sei, erschließt sich nicht. Die Gründe, die einer Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG entgegenstehen, sind in dessen Absatz 2 und Absatz 3 geregelt. Hierzu verhält sich die Berufungszulassungsbegründung nicht. Soweit eine Verletzung der Pflicht zur Amtsaufklärung geltend gemacht wird, legt sie überdies nicht dar, welche Maßnahmen das Gericht zur Aufklärung welcher Umstände hätte ergreifen sollen. Der pauschale Hinweis auf das Urteil des OVG Münster vom 17. März 2023 - 4 A 1986/22 -, wonach Vertrauensschutzaspekte erheblichen Aufklärungsaufwand seitens eines Gerichts erforderten, genügt hierfür nicht.

b) Der weitere Einwand, das angegriffene Urteil behaupte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG „kommentarlos“, ist nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, es bedürfe einer Umdeutung, weil der angegriffene Rücknahmebescheid nicht auf § 48 VwVfG gestützt werden könne, da er im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses nicht rechtswidrig gewesen sei. Er könne in einen Widerrufsbescheid umgedeutet werden, da er auf das gleiche Ziel gerichtet sei, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt seien. Sowohl Rücknahme als auch Widerruf zielten auf die Aufhebung des Bewilligungsbescheides. Zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 49 Abs. 3 Satz 1 VwVfG führt das Verwaltungsgericht sodann auf mehreren Seiten seiner Entscheidung aus.

Weshalb es einer persönlichen Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin zur Frage der erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durch die Beklagte erklärten Umdeutung gemäß § 47 Abs. 4 VwVfG in Verbindung mit § 28 VwVfG bedurft haben soll, erschließt sich aus dem ihrem Vorbringen ebenfalls nicht. Die Klägerin war in der mündlichen Verhandlung durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten.

c) Ohne Erfolg macht die Klägerin eine unzureichende Ermessensausübung geltend.

Sie meint, das Verwaltungsgericht habe bei der Überprüfung der Ausübung des Ermessens durch die Beklagte nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass sie (die Klägerin) in der mündlichen Verhandlung dargelegt habe, der empfangene Zuschuss habe die Möglichkeit eröffnet, ihre laufenden Kosten zu bestreiten. Hierzu seien auch Steuern gezählt worden, die das betriebswirtschaftliche Ergebnis eines Unternehmens beeinflussten. Die präsentierten Zahlen legten offen, dass dem Geschäftsführer der Klägerin in den drei Monaten April bis Juni 2020 für den eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie lediglich ein monatlicher Betrag von weniger als 1.000 Euro zur Verfügung gestanden hätte. Ernstliche Richtigkeitszweifel ergeben sich hieraus nicht.

Die Klägerin legt schon nicht dar, auf welche konkreten Angaben sie dieses Vorbringen stützt. Das Verwaltungsgericht hat mit Blick auf den in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht zum 30. Juni 2020 im angefochtenen Urteil ausgeführt, die darin ausgewiesenen Einnahmen hätten ausgereicht, um sämtliche Ausgaben zu decken. Überdies legt die Klägerin nicht dar, weshalb es auf diesen Aspekt im Rahmen der Ermessensausübung mit Blick auf den Zweck der Ermächtigung (vgl. § 40 VwVfG) angekommen sei. Weiter lässt sie unberücksichtigt, dass nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil die von ihr geltend gemachte existenzbedrohende Wirtschaftslage nicht anhand von Berechnungen belegt sei. Außerdem sei ihr entgegenzuhalten, dass Steuern nicht als berücksichtigungsfähige Ausgaben angesehen würden. Im Übrigen habe sie schon nicht substanziiert vorgetragen, dass die Steuern tatsächlich zu einem Liquiditätsengpass geführt hätten, den die ihr gewährte Soforthilfe verhindern wolle. Sie habe nicht dargetan oder belegt, im zweiten Quartal 2020 tatsächlich Steuern gezahlt zu haben. Hiermit setzt sich die Berufungszulassungsbegründung nicht auseinander.

Auch mit ihrem Vortrag, es habe zu Beginn der Corona Pandemie auf Seiten aller Beteiligten große Unsicherheit geherrscht, so sei im Antragszeitpunkt Ende März 2020 schon unklar gewesen, von welcher Dauer die Einschränkungen des öffentlichen Lebens sein würden und wie diese sich auf die unmittelbare Zukunft von Betrieben wie jenem der Klägerin auswirken würden, legt sie keine ernstlichen Richtigkeitszweifel dar. Insofern ist schon unklar, weshalb diese Unsicherheit im Rahmen der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen gewesen sei, zumal die hier streitige Soforthilfe während und für einen bestimmten Zeitraum zu einem bestimmten Zweck gewährt wurde.

Der Hinweis auf das bereits zitierte Urteil des OVG Münster, wonach sich dem dort streitigen Bewilligungsbescheid nicht habe entnehmen lassen, dass er auch bezogen auf die Berechnungsgrundlagen für die Rückzahlung unter dem Vorbehalt einer noch zu entwickelnden Verwaltungspraxis stehen solle (Rn. 186 f.), rechtfertigt keine andere Einschätzung. Die Berufungszulassungsbegründung zeigt schon nicht auf, dass sich auch vorliegend die Verwaltungspraxis, soweit sie für die Frage des Widerrufs überhaupt relevant ist, erst nach Erlass des Bewilligungsbescheides entwickelt habe. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung des Vorliegens der Widerrufsgründe auf die konkreten Angaben der Klägerin im Antragsformular und die in diesem Zusammenhang erteilten Hinweise durch die Beklagte abgestellt und nicht auf eine spätere Verwaltungspraxis.

Auch soweit die Klägerin geltend macht, eine Bestreitung der Rückforderung aus den laufenden Einnahmen ihres Betriebs lasse befürchten, dass der Geschäftsführer der Klägerin seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Transferleistungen sichern könne, gilt nichts anderes. Die behauptete Existenzgefährdung wird schon nicht belegt.

2. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die über das in vergleichbaren Fällen übliche Maß hinausgehen und deren Klärung deshalb die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordert, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Der bloße Hinweis auf die zitierte Entscheidung des OVG Münster genügt insoweit nicht.

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt nicht in Betracht. Sie scheitert bereits daran, dass die Klägerin keine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert, die zu ihrer Klärung der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Der Hinweis auf die zitierte Entscheidung des OVG Münster ersetzt eine solche Rechts- oder Tatsachenfrage nicht. Überdies ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass das angegriffene Urteil inhaltlich von der Entscheidung des OVG Münster abweicht. Hierzu hätte u.a. dargelegt werden müssen, dass die Entscheidung auf einem Sachverhalt beruht, der mit dem hier gegebenen vergleichbar ist. Auch daran fehlt es.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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