Der Beitritt Venezuelas zum MERCOSUR
Vom „andinen“ Gemeinschaftsrecht zum Gemeinschaftsrecht des MERCOSUR. Steuerliche Auswirkungen und darüber hinausgehende rechtliche Aspekte.
Seit dem Jahre 1973 gehörte Venezuela zur Andengemeinschaft CAN (Comunidad Andina de Naciones) bzw. SAI (Sistema Andino de Integración). Am 22. April diesen Jahres entschloss man sich jedoch dieses Rechts- und Wirtschaftssystem unter Berufung auf Art. 135 des CAN-Gründungsvertrages zu verlassen. Der Austritt Venezuelas aus der CAN brachte für dieses Land gleichzeitig den Verlust eines großen Teils der bis dato übernommenen Rechte und Pflichten mit sich. Eine Ausnahme besteht nur für die bereits umgesetzten Maßnahmen im Rahmen der Freihandelszone, welche noch bis zum 22. April 2011 in Kraft bleiben werden.
Steuerliche Auswirkungen- Änderungen und in Kraft bleibende Maßnahmen
Vom Jahre 2011 an wird es zwischen den Ländern der CAN und Venezuela keinen Nachlass auf Einfuhrzölle bzw. Erlass von auf Einfuhrgüter erhobene Abgaben mehr geben. Folge dürfte ein bedeutender Anstieg der Kaufpreise bzw. Kosten für die zwischen diesen Ländern ausgetauschten Waren und Dienstleistungen sein. Die bis dahin existierende Waren- und Dienstleistungsfreiheit dürfte aufgrund dieser Zusatzkosten gebremst werden, sollten nicht anders geartete Handelsabkommen den Fortbestand dieser Freiheit sichern.
Insbesondere wird es zwischen Venezuela und der CAN dann keine Bevorzugung bei Einfuhrtarifen geben. Was aber den Bereich der Zollabgaben ergibt, so stellt sich die Zukunft nicht ganz so schwarz dar. Gleiches gilt für die Bereiche, die einer Direktbesteuerung unterliegen, wie z.B. die Umsatzsteuer, die dort anfällt wo auch der Umsatz generiert wurde. Im einzelnen:
Besteuerung von Filialen und Stammunternehmen (vor dem Austritt):
Aufgrund der Regelungen im Rahmen der CAN würde die Umsatzsteuer nur dort anfallen, wo auch die Einnahmen generiert wurden. Sollte also z.B. die Filiale eines venezolanischen Unternehmens in Ecuador ihren Umsatz in Höhe von 25% versteuern müssen, so würden diesbezüglich am Ort des Mutterunternehmens in Venezuela keine weiteren Steuern mehr anfallen. Angenommen der Umsatz läge bei 1000, wären insgesamt 250 als Steuern zu entrichten.
Besteuerung von Filialen und Stammunternehmen (nach dem Austritt):
Nach dem Austritt käme Venezuela nicht mehr in den Genuss dieser Gemeinschaftsregelung, welche die Mutterunternehmen von einer Besteuerung der innerhalb der CAN generierten Umsätze befreit. Mit der Folge, dass in unserem obigen Beispiel die venezolanische Firma 340 statt bisher 250 an Steuern abführen müsste.
Um dieses Szenario zu verhindern, müsste Venezuela zukünftig Doppelbesteuerungsabkommen mit der CAN abschließen.
Besteuerung von Tochter- und Mutterunternehmen (vor dem Austritt):
Auch im Falle einer venezolanischen Firma, welche wiederum Anteile an einer Tochter mit Sitz in einem CAN- Staat hat, gilt die Regel, dass die Besteuerung der Dividenden nur in dem Land anfallen, in welchem die Tochter ihren Sitz hat.
Besteuerung von Tochter- und Mutterunternehmen (nach dem Austritt):
Ohne die schützenden Vorschriften der CAN müsst auch in diesem Falle das venezolanische Unternehmen mit einer Doppelbesteuerung der im Ausland ausgeschütteten Dividenden rechnen. Die im Ausland gezahlten Steuern könnten dann aber in Venezuela abgeschrieben werden.
Regelungen zur „Vergemeinschaftung“ der Mehrwertsteuer und zu übrigen besonderen Konsumsteuern im Rahmen der CAN:
Mit den Entscheidungen Nr. 599 und 600 der Kommission der CAN über die Harmonisierung der Konsumsteuern aus dem Jahre 2004 versuchte man innerhalb der CAN wie auch bereits in der EU geschehen, einheitliche Regelungen für die sog. indirekten Steuern zu schaffen. Dafür sollte das Prinzip der Besteuerung am Bestimmungsort eingeführt werden, welches gleichermaßen für Waren und Dienstleistungen gelten sollte. Da diese Regelung nicht in allen CAN- Staaten ratifiziert wurde, fehlt es bislang an einer Umsetzung in die Praxis. Für das austretende Venezuela sind die Entscheidungen 599 und 600 daher belanglos.
Weitere Gemeinschaftsnormen:
Darüber hinaus wird Venezuela den gesamten Besitzstand der Andengemeinschaft wieder verlieren und sogar eine ganze Reihe von Vorschriften aus seinen Gesetzen wieder streichen müssen (das betrifft zum Beispiel das Dekret Nr. 2095 über die Behandlung ausländischen Kapitals, Marken und Patente sowie multinationaler Firmen im Rahmen der CAN, um nur ein paar zu nennen).
Die rechtlichen bzw. steuerrechtlichen Auswirkungen eines Beitritts zum Mercado Común del Sur (MERCOSUR):
Am 8. Dezember 2005 schloss Venezuela ein Rahmenabkommen über den Beitritt zum MERCOSUR, welches wiederum von den übrigen Staatschefs der CAN genehmigt wurde.
Am 4. Juli diesen Jahres wurde dann das Beitrittsprotokoll mit endgültiger Wirkung eines internationalen Abkommens unterzeichnet, auch wenn diesem Vertragwerk bereits die Unterzeichnung des Vertrages von Buenos Aires am 23. Mai diesen Jahres vorausgegangen war.
In diesem Protokoll wurden folgende Leitlinien für den Eintritt in den MERCOSUR festgelegt:
a. Volle Mitgliedschaft:
Aufgrund dieses Protokolls wird Venezuela zum vollen Mitglied des MERCOSUR und tritt damit dem Abkommen von Asunción vom 26. März 1991 ( Gründungsvertrag des MERCOSUR und Nachfolger des Vertrages von Montevideo von 1980), dem Protokoll von Ouro Preto vom Dezember 1994 ( Festsetzung des institutionellen Rahmens des MERCOSUR und Einstufung als juristische Person), sowie dem Protokoll von Olivos über die Lösung von Konflikten aus dem Jahre 2002 bei.
b. Übernahme des Besitzstandes des MERCOSUR, über die gemeinsame Nomenklatur des MERCOSUR und über den gemeinsamen Außenzoll (AEC).
Venezuela wird nicht auf Anhieb in den Genuss aller Vorzüge kommen bzw. alle Verpflichtungen einer Mitgliedschaft im MERCOSUR übernehmen. Erst nach Ablauf von 4 Jahren gerechnet vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beitrittsprotokolls müsste der Besitzstand des MERCOSUR (Entscheidungen des Rates, Resolutionen der Gruppe des gemeinsamen Marktes und Richtlinien der Kommission) übernommen worden sein. Diese Umsetzung wird folglich schrittweise innerhalb der nächsten Jahre erfolgen.
Die gemeinsame Nomenklatur des MERCOSUR und der gemeinsame Außenzoll müssen in den nächsten 4 Jahren umgesetzt werden. Venezuela hat dabei das Recht bezüglich der Zollbestimmungen einige Ausnahmeregelungen im Einklang mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe zu erlassen. Diese Gruppe muss innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung des Protokolls bestimmt werden, um dann ihre Arbeit zur Festsetzung des Zeitplans für die Aufhebung der Handelshemmnisse bzw. der Maßnahmen gleicher Wirkung aufzunehmen.
c. Richtlinien für die Aufhebung der Handelshemmnisse:
Die Aufhebung von Einfuhrsteuern wird sich nicht sofort, sondern schrittweise vollziehen. Tatsächlich ist die vollständige Aufhebung von Einfuhrabgaben zwischen Brasilien, Argentinien und Venezuela erst für das Jahre 2010 (zugunsten von Brasilien und Argentinien) bzw. für das Jahr 2012 (zugunsten von Venezuela) vorgesehen. Was Produkte aus besonders sensiblen Wirtschaftszweigen angeht, ist eine vollständige Befreiung erst für das Jahr 2014 vorgesehen. Mit Hinblick auf die Hauptwirtschaftsgüter kommt es zu einer sofortigen Aufhebung der Einfuhrabgaben. Zusammenfassend ergibt sich hinsichtlich der Abschaffung der Handelshemmnisse folgendes Szenario:
- Argentinien nach Venezuela: 1. Januar 2010
- Brasilien nach Venezuela: 1. Januar 2010
- Paraguay nach Venezuela: 1. Januar 2013
- Uruguay nach Venezuela: 1. Januar 2013
- Venezuela nach Argentinien: 1. Januar 2012
- Venezuela nach Brasilien: 1. Januar 2012
- Venezuela nach Paraguay: 1. Januar 2012
- Venezuela nach Uruguay: 1. Januar 2012
Art. 5 des Protokolls sieht aber auch die Möglichkeit vor, das Uruguay und Paraguay als Ausnahme bereits jetzt in den Genuss einer vollständigen Befreiung von den Einfuhrsteuern auf Importgüter nach Venezuela kommen können, sobald das Protokoll in kraft tritt (voraussichtlich wird dies ab August 2006 der Fall sein).
Auf diese Weise dürften die Fleisch- und Lederwaren sowie die pharmazeutischen und landwirtschaftlichen Produkte aus Paraguay und Uruguay, die u.a. im Annex zum Protokoll aufgelistet sind schon sehr bald in den Genuss des Freihandels kommen. Dies könnte dann aber auf der anderen Seite einen Rückgang der Produktion dieser Güter in Venezuela provozieren. Bis zur Umsetzung der Vorschriften des MERCOSUR ist auf diese Produkte der ACE Nr. 59 (Acuerdo de Complementación Económica- Freihandelsvereinbarung zwischen dem MERCOSUR und der CAN) anzuwenden.
d. Mechanismen zur Beilegung von Konflikten:
Im Gegensatz zur CAN, wo der Grad an Supranationalität – zumindest in der Theorie- vor allem aufgrund der Existenz eines dauerhaft eingerichteten Gerichts weiter ausgeprägt ist als im MERCOSUR, ist das System zur Beilegung von Konflikten eher im intergubernamentalen Bereich und auf der Basis von Konsens angelegt. Dennoch verfügt der MERCOSUR mit Inkrafttreten des Protokolls von Olivos im Jahre 2004 und der Existenz von dauerhaft eingerichteten Schiedsgerichten über eine gewisse Stabilität. Vor diesen Schiedsorganen können die Verletzungen des Gemeinschaftsrechts geltend gemacht werden.
Dieses Schiedsgerichtssystem zur Beilegung von Konflikten tritt auch mit Hinblick auf Entscheidungen vor dem Beitritt Venezuelas in dem Maße in Kraft, wie Venezuela das Recht des MERCOSUR in sein eigenes Rechtssystem inkorporiert.
e. Herkunftsregeln und der ACE Nr. 59
Bis zur vollständigen Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes wird der ACE Nr. 59 zur Bestimmung der Gemeinschaftseigenschaft eines Produktes dienen. Dieses einfache Freihandelsabkommen zwischen der CAN und dem MERCOSUR aus dem Jahre 2004 hat die Schaffung einer Freihandelszone zwischen den beiden Integrationssystemen zum Ziel. Dazu soll es einmal zu einer 100 % igen Befreiung von Einfuhrzöllen der zwischen diesen Blöcken zirkulierenden Waren kommen. Dieses Ziel soll gemäß der Vorgabe im Programm zur Umsetzung dieses Ziels bis zum Jahre 2018 erreicht werden. So ließ der ACE Nr. 59 noch im Jahre 2005 eine Abschreibung von bis zu 36 % für von Argentinien nach Venezuela eingeführte Produkte zu. Im Jahre 2006 war bereits eine Abschreibung von 52 % möglich. Beträgt somit der Einfuhrzoll auf das von Argentinien importierte Produkt an für sich 5%, so reduziert sich dieser aufgrund der obigen Darstellung auf 2,4 %.
Nach dem Austritt Venezuelas aus der CAN verliert auch der ACE Nr. 59 bis auf den oben beschriebenen Fall seine rechtliche Verbindlichkeit für diesen Staat.
Deshalb sieht das Beitrittsprotokoll die Möglichkeit einer Fortwirkung dieses Abkommens bis zum 1. Januar 2014 (Zeitpunkt des endgültigen Fallens alle Schranken im gemeinsamen Markt, auch für die sog. sensiblen Güter) vor.
f. Auswirkungen des ACE 59 zwischen Venezuela und den Mitgliedsstaaten der CAN ( gilt nur für Venezuela Kolumbien und Ecuador).
Das selbe Vertragswerk, welches zwischen Venezuela und den Staaten MERCOSUR bis zum Jahre 2014 in Kraft bleiben wird, könnte später (ab dem Zeitpunkt der vollständigen Aufnahme Venezuelas im MERCOSUR) diesem Land auch weiterhin eine Vorzugsbehandlung bei der Erhebung von Einfuhrzöllen garantieren (zumindest hinsichtlich Kolumbien und Ecuador).
Jedenfalls wird zwischen dem MERCOSUR und den CAN- Staaten Kolumbien und Ecuador bis zum Jahre 2018 eine Freihandelszone mit 100 % Befreiung der Waren von Einfuhrzöllen entstehen. Auf diese Weise dürften auch die zollrechtlichen Vorzüge, die Venezuela im Verhältnis zu den beiden CAN- Staaten erworben hat, erhalten bleiben.
g. Inkrafttreten des Beitrittsprotokolls
30 Tage nach Ratifizierung des Beitrittsprotokolls durch den letzten Mitgliedsstaat des MERCOSUR tritt dasselbe in Kraft. Aller Voraussicht nach ist somit bereits im Monat August mit der vollen Wirksamkeit des Protokolls und damit auch mit der Aufnahme Venezuelas zu diesem Integrationssystem zu rechnen.
In Venezuela ist das Protokoll bereits am 13. Juli von der Nationalversammlung ratifiziert worden.
Die verkürzte Darstellung bedingt, dass eine vollständige Beschreibung der relevanten Rechtslage hier nicht möglich ist und daher eine professionelle Beratung nicht ersetzt. Trotz sorgfältiger Bearbeitung bleibt eine Haftung ausgeschlossen.
Der Beitrag stammt von unserem Kooperationspartner Abogado Roquefélix Arvelo. Herr Arvelo betreut vornehmlich mittelständische und größere Unternehmen im internationalen und venezolanischen Steuer- und Wirtschaftsrecht. Er ist überdies als Dozent für Steuerrecht an der Universidad Católica Andres Bello in Caracas tätig und kann zahlreiche Publikationen im Bereich des internationalen und nationalen Steuerrechts vorweisen.
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