Europarecht: Zum Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“
Der EuGH hat mit dem Urteil vom 07.03.1995 (Az: C-68/93) folgendes entschieden:
Die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland geänderten Fassung ist bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, sind nicht im Übereinkommen enthalten, sondern bestimmen sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des auf Grund des Übereinkommens angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt. Der Umstand, dass das auf das Verfahren anwendbare nationale Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, die den Kl. von der Beweislast für dessen Vorliegen und Umfang befreit, kann daher nicht der Anwendung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens entgegenstehen.
Das House of Lords hat mit Beschluss vom 1. 3. 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 15. 3. 1993, gem. dem Protokoll vom 3. 6. 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und ° geänderte Fassung ° S. 77) und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) geänderten Fassung (im folgenden: Übereinkommen) sieben Fragen nach der Auslegung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der britischen Staatsangehörigen Fiona Shevill, die ihren Wohnsitz in North Yorkshire in England hat, der Chequepoint SARL, der Ixora Trading Inc. und der Chequepoint International Limited einerseits und der in Paris niedergelassenen Gesellschaft französischen Rechts Presse Alliance SA andererseits um die Bestimmung der Gerichte, die für die Entscheidung über eine Klage auf Ersatz des aus der Veröffentlichung eines ehrverletzenden Presseartikels entstandenen Schadens zuständig sind.
Aus den Akten geht hervor, dass die Presse Alliance SA, die die Zeitung “France-Soir“ herausgibt, am 23. 9. 1989 einen Artikel über eine Aktion veröffentlichte, die Beamte der Drogenbekämpfungsbrigade der französischen Polizei in einer der in Paris von der Chequepoint SARL betriebenen Wechselstuben durchgeführt hatten. Dieser Artikel, der auf Informationen der Agentur France Presse beruhte, erwähnte die Firma “Chequepoint“ und “eine junge Frau namens Fiona Shevill-Avril“.
Die Chequepoint SARL, eine Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Paris, betreibt in Frankreich seit 1988 Wechselstuben. Es wird nicht behauptet, dass sie sich in England oder in Wales betätige.
Frau Fiona Shevill war im Sommer 1989 für drei Monate bei der Chequepoint SARL in Paris beschäftigt. Am 26. 9. 1989 kehrte sie nach England zurück.
Die Ixora Trading Inc., die keine Gesellschaft englischen Rechts ist, betreibt in England seit 1974 Wechselstuben unter der Bezeichnung “Chequepoint“.
Die Chequepoint International Limited, eine Holdinggesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel, kontrolliert die Chequepoint SARL und die Ixora Trading Inc.
Frau Shevill, die Chequepoint SARL, die Ixora Trading Inc. und die Chequepoint International Limited hielten den erwähnten Zeitungsartikel insofern für ehrverletzend, als er angeblich den Eindruck erweckte, dass sie einem Drogenhändlerring angehörten, für den sie Geldwäsche betrieben; sie erhoben daher am 17. 10. 1989 beim High Court of England and Wales Klage gegen die Presse Alliance SA wegen Ehrverletzung und verlangten Schadensersatz in bezug auf die die in Frankreich und die in den übrigen europäischen Ländern verbreiteten Exemplare einschließlich der in England und Wales verkauften Exemplare des “France-Soir“. Später änderten die Kl. ihre Anträge und erklärten, dass sich die Klage nicht mehr auf die ausserhalb von England und Wales verkauften Exemplare erstrecke. Da das englische Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, brauchten die Kl. keinen Beweis für den aus der Veröffentlichung des fraglichen Artikels entstandenen Schaden zu erbringen.
Es ist unstreitig, dass der “France-Soir“ hauptsächlich in Frankreich verbreitet wird, während die Verbreitung dieser Zeitung im Vereinigten Königreich, wo sie durch unabhängige Vertriebsunternehmen vorgenommen wird, sehr gering ist. Die Zahl der in Frankreich verkauften Exemplare der streitigen Ausgabe des “France-Soir“ wird auf mehr als 237 000 und die Zahl der in den übrigen europäischen Ländern verkauften Exemplare auf 15 500 geschätzt, von denen 230 in England und Wales (5 in Yorkshire) verkauft wurden.
Am 23. 11. 1989 veröffentlichte der “France-Soir“ eine Entschuldigung, in der erklärt wurde, dass er nicht die Absicht gehabt habe, zu behaupten, dass einer der Eigentümer der Chequepoint-Wechselstuben oder Frau Shevill an Drogenhandel oder Geldwäsche beteiligt gewesen seien.
Am 7. 12. 1989 rügte die Presse Alliance SA die Unzuständigkeit des High Court of England and Wales für die Entscheidung des Rechtsstreits mit der Begründung, dass in England kein schädigendes Ereignis i.S. von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens eingetreten sei.
Diese Rüge wurde mit Beschluss vom 10. 4. 1990 zurückgewiesen. Das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurde mit Beschluss vom 14. 5. 1990 zurückgewiesen.
Am 12. 3. 1991 wies der Court of Appeal das Rechtsmittel der Presse Alliance SA gegen die zuletzt genannte Entscheidung zurück und setzte das Verfahren über die Klage der Chequepoint International Limited aus.
Die Presse Alliance SA legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel zum House of Lords ein, nachdem dieses das Rechtsmittel zuvor zugelassen hatte.
Die Presse Alliance SA machte im wesentlichen geltend, dass gem. Artikel 2 des Übereinkommens die französischen Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig seien und dass die englischen Gerichte nicht nach Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zuständig seien, denn der “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, i.S. dieser Bestimmung befinde sich in Frankreich; in England sei kein schädigendes Ereignis eingetreten.
Das House of Lords ist der Ansicht, dass der Rechtsstreit Probleme der Auslegung des Übereinkommens aufwirft, und hat daher mit Beschluss vom 1. 3. 1993 das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof eine Vorabentscheidung über folgende Fragen erlassen hat:
Ist im Falle der Ehrverletzung durch einen Zeitungsartikel mit der Formulierung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, i.S. von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens
der Ort, an dem die Zeitung gedruckt und in den Verkehr gebracht worden ist, oder
der Ort oder die Orte, an denen die Zeitung von bestimmten Personen gelesen worden ist, oder
der Ort oder die Orte, an denen der Kl. ein erhebliches Ansehen genießt,
gemeint?
Wenn und soweit auf die erste Frage die Antwort b zutrifft, hängt dann das “schädigende Ereignis“ davon ab, ob es einen oder mehrere Leser gab, die den Kl. kannten (oder von ihm wussten) und den Text so verstanden, dass er sich auf ihn bezog?
Wenn und soweit ein Schaden in mehr als einem Land entstanden ist (weil Exemplare der Zeitung in mindestens einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen vertrieben wurden, in dem sie gedruckt und in den Verkehr gebracht wurden), finden dann ein oder mehrere gesonderte schädigende Ereignisse in jedem Mitgliedstaat, in dem die Zeitung vertrieben wurde, statt, für die der jeweilige Mitgliedstaat nach Artikel 5 Nr. 3 gesondert zuständig ist, und falls ja, wie schädigend muss das Ereignis sein oder welchen Anteil am Gesamtschaden muss es haben?
Umfasst die Formulierung “schädigendes Ereignis“ ein Ereignis, auf das nach nationalem Recht ohne Nachweis eines Schadens eine Klage gestützt werden kann, wenn das Vorliegen eines Schadens nicht erwiesen ist?
Muß das örtlich zuständige Gericht bei der Entscheidung der Frage nach Artikel 5 Nr. 3, ob (oder wo) ein “schädigendes Ereignis“ eingetreten ist, diese Frage anders als nach den für es selbst geltenden Rechtsvorschriften beantworten und, wenn ja, nach welchen anderen Rechtsvorschriften oder nach welchem anderen materiellen, formellen oder Beweisrecht?
Wenn bei einer Ehrverletzung das örtlich zuständige Gericht zu der Schlußfolgerung gelangt, dass eine als Grundlage einer Klage geeignete Veröffentlichung (oder Verbreitung) von Angaben stattgefunden hat, auf Grund deren eine Vermutung zumindest für eine gewisse Schädigung des Ansehens gilt, ist es dann für die Annahme der Zuständigkeit von Bedeutung, dass andere Mitgliedstaaten in bezug auf vergleichbare Angaben, die in ihrem Zuständigkeitsbereich veröffentlicht wurden, zu einer anderen Schlußfolgerung gelangen könnten?
Welche Anforderungen muss das Gericht bei der Entscheidung der Frage, ob es nach Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zuständig ist, an den vom Kl. zu erbringenden Beweis, dass die Voraussetzungen des Artikels 5 Nr. 3 erfüllt sind, stellen, und zwar
allgemein und
in bezug auf Gegenstände, die (falls das Gericht seine Zuständigkeit bejaht) in der Verhandlung über die Klage nicht erneut geprüft werden?
Zur ersten, zweiten, dritten und sechsten Frage
Mit der ersten, zweiten, dritten und sechsten Frage, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Kern um Auslegung des Begriffs “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens, um bestimmen zu können, welche Gerichte für die Entscheidung über eine Klage auf Ersatz der Schäden zuständig sind, die dem Geschädigten durch die Verbreitung eines ehrverletzenden Presseartikels in mehreren Vertragsstaaten entstanden sind.
Zur Beantwortung dieser Fragen ist zuerst darauf hinzuweisen, dass Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens abweichend von dem in Artikel 2 I des Übereinkommens verankerten Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem der Bekl. seinen Wohnsitz hat, folgendes bestimmt:
“Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“
Nach ständiger Rechtsprechung beruht diese besondere Zuständigkeit, die nach Wahl des Kl. zur Anwendung kommt, darauf, dass zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des Staates, in dem der Bekl. seinen Wohnsitz hat, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt.
Ferner hat der Gerichtshof in dem zitierten Urteil Mines de potasse d' Alsace für Recht erkannt, dass dann, wenn der Ort, an dem das für die Begründung einer Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung in Betracht kommende Ereignis stattgefunden hat, nicht auch der Ort ist, an dem aus diesem Ereignis ein Schaden entstanden ist, der Begriff “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens so zu verstehen ist, dass er sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint. Der Bekl. kann daher nach Wahl des Kl. bei dem Gericht des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist, oder bei dem Gericht des Ortes des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens verklagt werden.
In diesem Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sowohl der Ort des ursächlichen Geschehens als auch der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges für die gerichtliche Zuständigkeit eine kennzeichnende Verknüpfung begründen kann, da jeder von beiden je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses in eine besonders sachgerechte Richtung weisen kann.
Weiter hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Auswahl allein des Ortes des ursächlichen Geschehens in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen dazu führen würde, dass die in Artikel 2 und in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vorgesehenen Gerichtsstände zusammenfielen und dass die zuletzt genannte Bestimmung damit insoweit ihre praktische Wirksamkeit verlöre.
Diese Feststellungen, die im Zusammenhang mit materiellen Schäden getroffen worden sind, müssen aus den gleichen Gründen auch im Fall von Schäden gelten, die keine Vermögensschäden sind, insbesondere für Schäden, die am Ansehen einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung entstanden sind.
Im Fall einer Ehrverletzung durch einen im Gebiet mehrerer Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel kann der Ort des ursächlichen Geschehens i.S. dieser Rechtsprechung nur der Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung sein, denn er stellt den Ort dar, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm und von dem aus die ehrverletzende Äusserung gemacht und in Umlauf gebracht wurde.
Das Gericht des Ortes, an dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, muss deshalb für die Entscheidung über die Klage auf Ersatz des gesamten durch die unerlaubte Handlung verursachten Schadens zuständig sein.
Dieser Gerichtsstand stimmt jedoch in der Regel mit dem in Artikel 2 I des Übereinkommens vorgesehenen grundsätzlichen Gerichtsstand überein.
Wie der Gerichtshof in dem zitierten Urteil Mines de potasse d' Alsace entschieden hat, ist daher dem Kl. die Wahlmöglichkeit einzuräumen, seine Klage auch an dem Ort zu erheben, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht hat, da sonst Artikel 5 Nr. 3 seine praktische Wirksamkeit verlöre.
Der Schadenserfolg ist an dem Ort verwirklicht, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.
Im Fall einer grenzueberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse wird die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht, an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist.
Somit sind die Gerichte jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, für die Entscheidung über die in diesem Staat am Ansehen des Betroffenen entstandenen Schäden zuständig.
Entsprechend dem Erfordernis einer geordneten Rechtspflege, das der besonderen Zuständigkeitsregel des Artikels 5 Nr. 3 zugrunde liegt, ist nämlich das Gericht jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, örtlich am besten geeignet, um die in diesem Staat erfolgte Ehrverletzung zu beurteilen und den Umfang des entsprechenden Schadens zu bestimmen.
Zwar bringt die Beurteilung der verschiedenen Gesichtspunkte ein und desselben Rechtsstreits durch verschiedene Gerichte Nachteile mit sich; der Kl. hat jedoch stets die Möglichkeit, seinen Anspruch insgesamt entweder bei dem für den Wohnsitz des Bekl. zuständigen Gericht oder bei dem Gericht anhängig zu machen, das für den Ort der Niederlassung des Herausgebers der ehrverletzenden Veröffentlichung zuständig ist.
Angesichts der vorausgegangenen Erwägungen ist auf die erste, die zweite, die dritte und die sechste Frage des House of Lords zu antworten, dass die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen ist, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet worden ist und in dem das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Zur vierten, fünften und siebten Frage
Mit seiner vierten, fünften und siebten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob es für die Feststellung seiner Zuständigkeit als Gerichtsstand des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolges gem. Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens in der Auslegung durch den Gerichtshof in bezug auf die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, besondere Rechtsvorschriften zu berücksichtigen hat, die von denjenigen seines nationalen Rechts abweichen.
Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten und die Erleichterung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.
Im übrigen ist es ständige Rechtsprechung, dass hinsichtlich der Verfahrensregeln auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen ist, soweit deren Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Auf dem Gebiet der ausservertraglichen Haftung, zu dem die Vorlagefragen gehören, hat das Übereinkommen nur zum Gegenstand, das Gericht oder die Gerichte, die für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig sind, nach Maßgabe des Ortes oder der Orte zu bestimmen, an denen ein als schädigend geltendes Ereignis eingetreten ist.
Es bestimmt jedoch weder, unter welchen Voraussetzungen das ursächliche Ereignis gegenüber dem Betroffenen als schädigend angesehen werden kann, noch, welche Beweise der Kl. bei dem angerufenen Gericht vorlegen muss, damit dieses über die Begründetheit der Klage entscheiden kann.
Diese Fragen sind daher allein von dem angerufenen nationalen Gericht zu entscheiden, das das nach den Kollisionsnormen seines nationalen Rechts maßgebliche materielle Recht anwenden muss, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Der Umstand, dass das auf das Ausgangsverfahren anwendbare nationale Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, die den Kl. von der Beweislast für dessen Vorliegen und Umfang befreit, kann daher nicht der Anwendung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens bei der Bestimmung der Gerichte entgegenstehen, die für die Entscheidung über die Klage auf Ersatz der aus einer grenzueberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse entstandenen Schäden örtlich zuständig sind.
Unter diesen Umständen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den die von der Ehrverletzung betroffene Person geltend macht, nicht im Übereinkommen enthalten sind, sondern sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht bestimmen, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Kosten
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der deutschen, der spanischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat DER GERICHTSHOF auf die ihm vom House of Lords mit Beschluss vom 1. 3. 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland geänderten Fassung ist bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, sind nicht im Übereinkommen enthalten, sondern bestimmen sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland geänderten Fassung ist bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, sind nicht im Übereinkommen enthalten, sondern bestimmen sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des auf Grund des Übereinkommens angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt. Der Umstand, dass das auf das Verfahren anwendbare nationale Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, die den Kl. von der Beweislast für dessen Vorliegen und Umfang befreit, kann daher nicht der Anwendung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens entgegenstehen.
Das House of Lords hat mit Beschluss vom 1. 3. 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 15. 3. 1993, gem. dem Protokoll vom 3. 6. 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und ° geänderte Fassung ° S. 77) und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) geänderten Fassung (im folgenden: Übereinkommen) sieben Fragen nach der Auslegung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der britischen Staatsangehörigen Fiona Shevill, die ihren Wohnsitz in North Yorkshire in England hat, der Chequepoint SARL, der Ixora Trading Inc. und der Chequepoint International Limited einerseits und der in Paris niedergelassenen Gesellschaft französischen Rechts Presse Alliance SA andererseits um die Bestimmung der Gerichte, die für die Entscheidung über eine Klage auf Ersatz des aus der Veröffentlichung eines ehrverletzenden Presseartikels entstandenen Schadens zuständig sind.
Aus den Akten geht hervor, dass die Presse Alliance SA, die die Zeitung “France-Soir“ herausgibt, am 23. 9. 1989 einen Artikel über eine Aktion veröffentlichte, die Beamte der Drogenbekämpfungsbrigade der französischen Polizei in einer der in Paris von der Chequepoint SARL betriebenen Wechselstuben durchgeführt hatten. Dieser Artikel, der auf Informationen der Agentur France Presse beruhte, erwähnte die Firma “Chequepoint“ und “eine junge Frau namens Fiona Shevill-Avril“.
Die Chequepoint SARL, eine Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Paris, betreibt in Frankreich seit 1988 Wechselstuben. Es wird nicht behauptet, dass sie sich in England oder in Wales betätige.
Frau Fiona Shevill war im Sommer 1989 für drei Monate bei der Chequepoint SARL in Paris beschäftigt. Am 26. 9. 1989 kehrte sie nach England zurück.
Die Ixora Trading Inc., die keine Gesellschaft englischen Rechts ist, betreibt in England seit 1974 Wechselstuben unter der Bezeichnung “Chequepoint“.
Die Chequepoint International Limited, eine Holdinggesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel, kontrolliert die Chequepoint SARL und die Ixora Trading Inc.
Frau Shevill, die Chequepoint SARL, die Ixora Trading Inc. und die Chequepoint International Limited hielten den erwähnten Zeitungsartikel insofern für ehrverletzend, als er angeblich den Eindruck erweckte, dass sie einem Drogenhändlerring angehörten, für den sie Geldwäsche betrieben; sie erhoben daher am 17. 10. 1989 beim High Court of England and Wales Klage gegen die Presse Alliance SA wegen Ehrverletzung und verlangten Schadensersatz in bezug auf die die in Frankreich und die in den übrigen europäischen Ländern verbreiteten Exemplare einschließlich der in England und Wales verkauften Exemplare des “France-Soir“. Später änderten die Kl. ihre Anträge und erklärten, dass sich die Klage nicht mehr auf die ausserhalb von England und Wales verkauften Exemplare erstrecke. Da das englische Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, brauchten die Kl. keinen Beweis für den aus der Veröffentlichung des fraglichen Artikels entstandenen Schaden zu erbringen.
Es ist unstreitig, dass der “France-Soir“ hauptsächlich in Frankreich verbreitet wird, während die Verbreitung dieser Zeitung im Vereinigten Königreich, wo sie durch unabhängige Vertriebsunternehmen vorgenommen wird, sehr gering ist. Die Zahl der in Frankreich verkauften Exemplare der streitigen Ausgabe des “France-Soir“ wird auf mehr als 237 000 und die Zahl der in den übrigen europäischen Ländern verkauften Exemplare auf 15 500 geschätzt, von denen 230 in England und Wales (5 in Yorkshire) verkauft wurden.
Am 23. 11. 1989 veröffentlichte der “France-Soir“ eine Entschuldigung, in der erklärt wurde, dass er nicht die Absicht gehabt habe, zu behaupten, dass einer der Eigentümer der Chequepoint-Wechselstuben oder Frau Shevill an Drogenhandel oder Geldwäsche beteiligt gewesen seien.
Am 7. 12. 1989 rügte die Presse Alliance SA die Unzuständigkeit des High Court of England and Wales für die Entscheidung des Rechtsstreits mit der Begründung, dass in England kein schädigendes Ereignis i.S. von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens eingetreten sei.
Diese Rüge wurde mit Beschluss vom 10. 4. 1990 zurückgewiesen. Das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurde mit Beschluss vom 14. 5. 1990 zurückgewiesen.
Am 12. 3. 1991 wies der Court of Appeal das Rechtsmittel der Presse Alliance SA gegen die zuletzt genannte Entscheidung zurück und setzte das Verfahren über die Klage der Chequepoint International Limited aus.
Die Presse Alliance SA legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel zum House of Lords ein, nachdem dieses das Rechtsmittel zuvor zugelassen hatte.
Die Presse Alliance SA machte im wesentlichen geltend, dass gem. Artikel 2 des Übereinkommens die französischen Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig seien und dass die englischen Gerichte nicht nach Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zuständig seien, denn der “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, i.S. dieser Bestimmung befinde sich in Frankreich; in England sei kein schädigendes Ereignis eingetreten.
Das House of Lords ist der Ansicht, dass der Rechtsstreit Probleme der Auslegung des Übereinkommens aufwirft, und hat daher mit Beschluss vom 1. 3. 1993 das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof eine Vorabentscheidung über folgende Fragen erlassen hat:
Ist im Falle der Ehrverletzung durch einen Zeitungsartikel mit der Formulierung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, i.S. von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens
der Ort, an dem die Zeitung gedruckt und in den Verkehr gebracht worden ist, oder
der Ort oder die Orte, an denen die Zeitung von bestimmten Personen gelesen worden ist, oder
der Ort oder die Orte, an denen der Kl. ein erhebliches Ansehen genießt,
gemeint?
Wenn und soweit auf die erste Frage die Antwort b zutrifft, hängt dann das “schädigende Ereignis“ davon ab, ob es einen oder mehrere Leser gab, die den Kl. kannten (oder von ihm wussten) und den Text so verstanden, dass er sich auf ihn bezog?
Wenn und soweit ein Schaden in mehr als einem Land entstanden ist (weil Exemplare der Zeitung in mindestens einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen vertrieben wurden, in dem sie gedruckt und in den Verkehr gebracht wurden), finden dann ein oder mehrere gesonderte schädigende Ereignisse in jedem Mitgliedstaat, in dem die Zeitung vertrieben wurde, statt, für die der jeweilige Mitgliedstaat nach Artikel 5 Nr. 3 gesondert zuständig ist, und falls ja, wie schädigend muss das Ereignis sein oder welchen Anteil am Gesamtschaden muss es haben?
Umfasst die Formulierung “schädigendes Ereignis“ ein Ereignis, auf das nach nationalem Recht ohne Nachweis eines Schadens eine Klage gestützt werden kann, wenn das Vorliegen eines Schadens nicht erwiesen ist?
Muß das örtlich zuständige Gericht bei der Entscheidung der Frage nach Artikel 5 Nr. 3, ob (oder wo) ein “schädigendes Ereignis“ eingetreten ist, diese Frage anders als nach den für es selbst geltenden Rechtsvorschriften beantworten und, wenn ja, nach welchen anderen Rechtsvorschriften oder nach welchem anderen materiellen, formellen oder Beweisrecht?
Wenn bei einer Ehrverletzung das örtlich zuständige Gericht zu der Schlußfolgerung gelangt, dass eine als Grundlage einer Klage geeignete Veröffentlichung (oder Verbreitung) von Angaben stattgefunden hat, auf Grund deren eine Vermutung zumindest für eine gewisse Schädigung des Ansehens gilt, ist es dann für die Annahme der Zuständigkeit von Bedeutung, dass andere Mitgliedstaaten in bezug auf vergleichbare Angaben, die in ihrem Zuständigkeitsbereich veröffentlicht wurden, zu einer anderen Schlußfolgerung gelangen könnten?
Welche Anforderungen muss das Gericht bei der Entscheidung der Frage, ob es nach Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens zuständig ist, an den vom Kl. zu erbringenden Beweis, dass die Voraussetzungen des Artikels 5 Nr. 3 erfüllt sind, stellen, und zwar
allgemein und
in bezug auf Gegenstände, die (falls das Gericht seine Zuständigkeit bejaht) in der Verhandlung über die Klage nicht erneut geprüft werden?
Zur ersten, zweiten, dritten und sechsten Frage
Mit der ersten, zweiten, dritten und sechsten Frage, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Kern um Auslegung des Begriffs “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens, um bestimmen zu können, welche Gerichte für die Entscheidung über eine Klage auf Ersatz der Schäden zuständig sind, die dem Geschädigten durch die Verbreitung eines ehrverletzenden Presseartikels in mehreren Vertragsstaaten entstanden sind.
Zur Beantwortung dieser Fragen ist zuerst darauf hinzuweisen, dass Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens abweichend von dem in Artikel 2 I des Übereinkommens verankerten Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem der Bekl. seinen Wohnsitz hat, folgendes bestimmt:
“Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“
Nach ständiger Rechtsprechung beruht diese besondere Zuständigkeit, die nach Wahl des Kl. zur Anwendung kommt, darauf, dass zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des Staates, in dem der Bekl. seinen Wohnsitz hat, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt.
Ferner hat der Gerichtshof in dem zitierten Urteil Mines de potasse d' Alsace für Recht erkannt, dass dann, wenn der Ort, an dem das für die Begründung einer Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung in Betracht kommende Ereignis stattgefunden hat, nicht auch der Ort ist, an dem aus diesem Ereignis ein Schaden entstanden ist, der Begriff “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens so zu verstehen ist, dass er sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint. Der Bekl. kann daher nach Wahl des Kl. bei dem Gericht des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist, oder bei dem Gericht des Ortes des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens verklagt werden.
In diesem Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sowohl der Ort des ursächlichen Geschehens als auch der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges für die gerichtliche Zuständigkeit eine kennzeichnende Verknüpfung begründen kann, da jeder von beiden je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses in eine besonders sachgerechte Richtung weisen kann.
Weiter hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Auswahl allein des Ortes des ursächlichen Geschehens in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen dazu führen würde, dass die in Artikel 2 und in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vorgesehenen Gerichtsstände zusammenfielen und dass die zuletzt genannte Bestimmung damit insoweit ihre praktische Wirksamkeit verlöre.
Diese Feststellungen, die im Zusammenhang mit materiellen Schäden getroffen worden sind, müssen aus den gleichen Gründen auch im Fall von Schäden gelten, die keine Vermögensschäden sind, insbesondere für Schäden, die am Ansehen einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung entstanden sind.
Im Fall einer Ehrverletzung durch einen im Gebiet mehrerer Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel kann der Ort des ursächlichen Geschehens i.S. dieser Rechtsprechung nur der Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung sein, denn er stellt den Ort dar, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm und von dem aus die ehrverletzende Äusserung gemacht und in Umlauf gebracht wurde.
Das Gericht des Ortes, an dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, muss deshalb für die Entscheidung über die Klage auf Ersatz des gesamten durch die unerlaubte Handlung verursachten Schadens zuständig sein.
Dieser Gerichtsstand stimmt jedoch in der Regel mit dem in Artikel 2 I des Übereinkommens vorgesehenen grundsätzlichen Gerichtsstand überein.
Wie der Gerichtshof in dem zitierten Urteil Mines de potasse d' Alsace entschieden hat, ist daher dem Kl. die Wahlmöglichkeit einzuräumen, seine Klage auch an dem Ort zu erheben, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht hat, da sonst Artikel 5 Nr. 3 seine praktische Wirksamkeit verlöre.
Der Schadenserfolg ist an dem Ort verwirklicht, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.
Im Fall einer grenzueberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse wird die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht, an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist.
Somit sind die Gerichte jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, für die Entscheidung über die in diesem Staat am Ansehen des Betroffenen entstandenen Schäden zuständig.
Entsprechend dem Erfordernis einer geordneten Rechtspflege, das der besonderen Zuständigkeitsregel des Artikels 5 Nr. 3 zugrunde liegt, ist nämlich das Gericht jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, örtlich am besten geeignet, um die in diesem Staat erfolgte Ehrverletzung zu beurteilen und den Umfang des entsprechenden Schadens zu bestimmen.
Zwar bringt die Beurteilung der verschiedenen Gesichtspunkte ein und desselben Rechtsstreits durch verschiedene Gerichte Nachteile mit sich; der Kl. hat jedoch stets die Möglichkeit, seinen Anspruch insgesamt entweder bei dem für den Wohnsitz des Bekl. zuständigen Gericht oder bei dem Gericht anhängig zu machen, das für den Ort der Niederlassung des Herausgebers der ehrverletzenden Veröffentlichung zuständig ist.
Angesichts der vorausgegangenen Erwägungen ist auf die erste, die zweite, die dritte und die sechste Frage des House of Lords zu antworten, dass die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen ist, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet worden ist und in dem das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Zur vierten, fünften und siebten Frage
Mit seiner vierten, fünften und siebten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob es für die Feststellung seiner Zuständigkeit als Gerichtsstand des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolges gem. Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens in der Auslegung durch den Gerichtshof in bezug auf die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, besondere Rechtsvorschriften zu berücksichtigen hat, die von denjenigen seines nationalen Rechts abweichen.
Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten und die Erleichterung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.
Im übrigen ist es ständige Rechtsprechung, dass hinsichtlich der Verfahrensregeln auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen ist, soweit deren Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Auf dem Gebiet der ausservertraglichen Haftung, zu dem die Vorlagefragen gehören, hat das Übereinkommen nur zum Gegenstand, das Gericht oder die Gerichte, die für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig sind, nach Maßgabe des Ortes oder der Orte zu bestimmen, an denen ein als schädigend geltendes Ereignis eingetreten ist.
Es bestimmt jedoch weder, unter welchen Voraussetzungen das ursächliche Ereignis gegenüber dem Betroffenen als schädigend angesehen werden kann, noch, welche Beweise der Kl. bei dem angerufenen Gericht vorlegen muss, damit dieses über die Begründetheit der Klage entscheiden kann.
Diese Fragen sind daher allein von dem angerufenen nationalen Gericht zu entscheiden, das das nach den Kollisionsnormen seines nationalen Rechts maßgebliche materielle Recht anwenden muss, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Der Umstand, dass das auf das Ausgangsverfahren anwendbare nationale Recht bei Ehrverletzungen eine Schadensvermutung vorsieht, die den Kl. von der Beweislast für dessen Vorliegen und Umfang befreit, kann daher nicht der Anwendung von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens bei der Bestimmung der Gerichte entgegenstehen, die für die Entscheidung über die Klage auf Ersatz der aus einer grenzueberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse entstandenen Schäden örtlich zuständig sind.
Unter diesen Umständen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den die von der Ehrverletzung betroffene Person geltend macht, nicht im Übereinkommen enthalten sind, sondern sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht bestimmen, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
Kosten
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der deutschen, der spanischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat DER GERICHTSHOF auf die ihm vom House of Lords mit Beschluss vom 1. 3. 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Wendung “Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. 10. 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und durch das Übereinkommen vom 25. 10. 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland geänderten Fassung ist bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel so auszulegen, dass der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind.
Die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, den der von der Ehrverletzung Betroffene geltend macht, sind nicht im Übereinkommen enthalten, sondern bestimmen sich nach dem gem. den Kollisionsnormen des nationalen Rechts des angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt.
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