Geschwindigkeitsüberschreitung: Betrunkener Fahrgast rechtfertigt keinen Verkehrsverstoß

published on 05/06/2014 11:23
Geschwindigkeitsüberschreitung: Betrunkener Fahrgast rechtfertigt keinen Verkehrsverstoß
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Befürchtet ein Taxifahrer, dass sich ein Fahrgast im Fahrzeug übergibt, rechtfertigt dies keinen Geschwindigkeitsverstoß, um schnellstmöglich eine Ausfahrt zu erreichen.
So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg im Fall eines Taxifahrers, der einen Bußgeldbescheid über 440 Euro und zwei Monate Fahrverbot erhalten hatte. Er hatte die dem Lärmschutz geschuldete nächtliche Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer Autobahn um 64 km/h überschritten. Als Grund für die Raserei zur Oktoberfestzeit gab er an, er habe schnellstmöglich die nächste Ausfahrt erreichen wollen. Damit habe er verhindern wollen, dass sich ein betrunkener Fahrgast im Taxi übergibt. Der Amtsrichter, der nach Einspruch des Verkehrssünders über den Fall zu befinden hatte, zeigte Verständnis und sprach den Fahrer wegen eines „rechtfertigenden Notstands“ frei.

Zu Unrecht, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg und gab damit einer Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft statt. Dem Urteil des Amtsrichters sei bereits nicht zu entnehmen, ob durch schnelles Fahren überhaupt hätte verhindert werden können, dass der Fahrgast sich übergibt - bekanntlich ein Reflex, der sich einer willentlichen Beeinflussung entziehe und nicht verzögert werden könne. Auch sei nicht ersichtlich, ob nicht andere Mittel vorhanden gewesen seien, um eine Verunreinigung des Taxis abzuwehren, etwa vorhandene Brechtüten, wie sie in Flugzeugen üblich seien. Schließlich sei es fehlerhaft, wenn das Amtsgericht bei der Interessenabwägung der Sicherheit der Fahrgäste den Vorzug vor dem Lärmschutz eingeräumt habe, denn die Sicherheit der Fahrgäste sei gar nicht tangiert gewesen. Vielmehr hätte zwischen einer zu befürchtenden Verunreinigung des Taxis einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln sowie dem Schutz der Anwohner vor nächtlicher Lärmbelästigung andererseits abgewogen werden müssen. Und hier sah das Oberlandesgericht keinen Grund, dem Interesse des Taxifahrers an einem sauberen Fahrzeug ein wesentliches Überwiegen zuzubilligen. Beförderungspflicht hin oder her: Ein Taxifahrer handele gegen seine eigenen Interessen, wenn er zur Oktoberfestzeit erkennbar betrunkene Gäste aufnehme, ohne Vorsorge für den „Notfall“ etwa durch Bereithalten von Brechtüten getroffen zu haben. Ein Verkehrsverstoß sei unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, befanden die Bamberger Richter und hoben das Urteil des Amtsgerichts auf. Dieses muss nun neu entscheiden (OLG Bamberg, 3 Ss OWi 1130/13).


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

OLG Bamberg, Beschluss vom 04.09.2013 (Az.: 3 Ss OWi 1130/13):

Mit Bußgeldbescheid vom 12.11.2012 wurden gegen den Betr. wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h eine Geldbuße von 440 Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten nach Maßgabe des § 25IIa 1 StVG verhängt. Das AG hat den Betr. auf seinen Einspruch am 25.02.2013 freigesprochen. Es hat dabei dessen Einlassung zugrunde gelegt, wonach er als Taxifahrer zwei betrunkene Fahrgäste befördert und deswegen auf der BAB die Geschwindigkeit überschritten habe, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Er habe damit verhindern wollen, dass einer der Fahrgäste sich im Fahrzeug übergeben müsse und sein Fahrzeug mit Erbrochenem verunreinige. Die gegen den Freispruch gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das AG.


Aus den Gründen:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA ist begründet. Das AG hat den Betr. zu Unrecht wegen rechtfertigenden Notstands freigesprochen, indem es die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands i. S. d. § 16 OWiG rechtsfehlerhaft bejaht hat. Die Prämissen dieser Norm sind schon nach den eigenen Feststellungen des AG, die im Übrigen auch lückenhaft sind, nicht erfüllt.

Im angefochtenen Urteil fehlt es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, das vom Betr. verfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeug übergebe und deshalb das Wageninnere verunreinige, zu erreichen. Es entspricht gefestigter Ansicht in Judikatur und Schrifttum, dass das ausgewählte Abwehrmittel geeignet sein muss, die Gefahr zu beseitigen. Insbesondere dann, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zu erwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund des § 16 OWiG nicht eingreifen. Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil aber nicht. Es teilt insbesondere nicht mit, wieweit das Taxi von der nächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb kann nicht nachvollzogen werden, ob der Betr. - bei der gebotenen ex-ante-Sicht - berechtigter Weise annehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehende Verunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Übergeben um einen Reflex handelt, der sich einer willentlichen Beeinflussung entzieht, und deshalb eine Verzögerung letztlich nicht möglich ist.

Ungeachtet dieser Erwägungen sind die Urteilsgründe aber auch deshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, inwiefern - abgesehen von einem Anhalten auf dem Seitenstreifen - andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Es liegt in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis sog. Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden. Dazu, ob dies hier der Fall war, verhält sich das angefochtene Urteil ebenfalls nicht.

Aber selbst unter Zugrundelegung der nur sehr knappen tatsächlichen Feststellungen durch das AG kann ein rechtfertigender Notstand nicht angenommen werden. Denn die vom AG durchgeführte Interessenabwägung weist grundlegende Rechtsfehler auf.

Soweit das AG meint, der Lärmschutz habe hinter die „Sicherheit der Fahrgäste“ zurückzutreten, wählt es bereits einen falschen Ansatz. Denn die „Sicherheit“ der Fahrgäste war durch das mögliche Erbrechen im Fahrzeuginneren überhaupt nicht berührt. Dies wäre eventuell nur dann der Fall gewesen, falls der Betr. auf dem Seitenstreifen der Autobahn angehalten hätte, was aber gerade nicht die einzige Alternative war. Deshalb war es geboten, die mögliche Verunreinigung des Fahrzeuginneren, um deren Verhinderung es nach den Urteilsfeststellungen dem Betr. ging, in die Abwägung einzustellen.

Unter Zugrundelegung der Feststellungen des AG standen sich mithin die potentielle Verunreinigung des Fahrzeuginneren einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln im Allgemeinen sowie der Schutz der anwohnenden Bevölkerung vor nächtlicher Lärmbeeinträchtigung im Besonderen andererseits gegenüber. Im Rahmen der gebotenen Bewertung kann indessen von einem Überwiegen des Interesses des Betr. nicht ausgegangen werden. Es handelt sich hierbei um das Einzelinteresse des Betr. daran, dass das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht verunreinigt wird. Dies überwiegt schon von vornherein nicht - wie es der eindeutige Wortlaut des § 16 OWiG fordert - „wesentlich“ die Interessen der Anwohner an der Einhaltung des Lärmschutzes. Ungeachtet dessen ist in diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Betr. es war, der die erkennbar Betrunkenen in seinem Taxi aufnahm. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall auch überhaupt nicht der Beantwortung der von der Verteidigung aufgeworfenen Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Beförderungspflicht bestand. Denn entweder hatte der Betr. entsprechende Vorsorge getroffen und erforderliche Utensilien in Form von Brechtüten oder dergleichen mitgeführt, so dass - wie bereits angesprochen - sich eine Notstandssituation schon deswegen nicht stellte, oder er hat dies unterlassen, obwohl ihm klar sein musste, dass dringender Bedarf hierfür bestand. Wenn dem aber so war, so hätte er - insbesondere weil er in der Oktoberfestzeit erkennbar betrunkene Fahrgäste aufnehmen wollte - ganz massiv gegen die eigenen Interessen gehandelt und eine maßgebliche Ursache gesetzt, so dass auch deswegen seine Interessen hintanzustellen sind. [...]

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Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Handlung begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung
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(1) Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger, die auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde (Zulassungsbehörde) zum Verkehr zugelassen sein. Die Zulassung erfolgt auf Antrag des Verfügungsberechtigten des Fahrzeugs bei Vorliegen einer Betriebserlaubnis, Einzelgenehmigung oder EG-Typgenehmigung durch Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens.

(2) Als Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.

(3) Keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes sind Landfahrzeuge, die durch Muskelkraft fortbewegt werden und mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nenndauerleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind, dessen Unterstützung sich mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit progressiv verringert und

1.
beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25 km/h oder früher,
2.
wenn der Fahrer im Treten einhält,
unterbrochen wird. Satz 1 gilt auch dann, soweit die in Satz 1 bezeichneten Fahrzeuge zusätzlich über eine elektromotorische Anfahr- oder Schiebehilfe verfügen, die eine Beschleunigung des Fahrzeuges auf eine Geschwindigkeit von bis zu 6 km/h, auch ohne gleichzeitiges Treten des Fahrers, ermöglicht. Für Fahrzeuge im Sinne der Sätze 1 und 2 sind die Vorschriften über Fahrräder anzuwenden.

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Handlung begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Handlung ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.