Motorradfahrer: Kein Mitverschulden aus Betriebsgefahr bei korrektem Verhalten
Die Entscheidung im einzelnen lautet:
Das OLG Schleswig hat mit dem Urteil vom 08.12.2010 (Az: 7 U 58/10) entschieden:
Betriebsgefahr bei grobem Vorfahrtverstoß
Die (einfache) Betriebsgefahr eines Motorrades tritt bei einem groben Vorfahrtverstoß regelmäßig vollständig hinter die schuldhaft gesteigerte Betriebsgefahr des vorfahrtverletzenden Fahrzeuges zurück.
Gründe:
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage dem Grunde (und der Höhe) nach nur zu 80% stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Versicherte der Klägerin müsse sich die Betriebsgefahr seines Motorrades mit 20% anrechnen lassen. Der Vorfahrtsverstoß des Beklagten zu 1) sei nicht gravierend gewesen; obwohl dem Versicherten der Klägerin kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, träte die Betriebsgefahr des Motorrades nicht hinter die durch den Vorfahrtsverstoß gesteigerte Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten zu 1), versichert bei der Beklagten zu 2) zurück.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt,
während die Beklagten auf Zurückweisung der Berufung antragen.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO), nämlich die volle Haftung der Beklagten nach Grund und Höhe (§§ 7, 17 StVG, 116 SGB X, 3 PflVG a. F.).
Entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz geht es nicht so sehr darum, ob der Sturz für den Versicherten der Klägerin unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG war; zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass eben dies nicht der Fall war. Vielmehr ergibt sich die alleinige Haftung der Beklagten daraus, dass die aufgrund der Vorfahrtsverletzung des Beklagten zu 1) erheblich gesteigerte Betriebsgefahr des einbiegenden Pkw diejenige des Motorrades des Versicherten der Klägerin soweit überwiegt, dass letztere vollständig zurücktritt.
Auch das Landgericht geht im Ansatz davon aus, dass „an sich“ der Vorfahrtsverletzter - hier also der Beklagte zu 1) - im Ergebnis alleine haftet. Das Abwägungsergebnis des Landgerichts, das dem Versicherten der Klägerin gleichwohl die Betriebsgefahr seines Motorrades mit 20% anrechnet, vermag der Senat nicht zu teilen. Denn in die Abwägung sind nur bewiesene, unstreitige oder zugestandene Tatsachen einzustellen.
Unstreitig ist hier, dass der Beklagte zu 1) die Vorfahrt des Versicherten der Klägerin verletzt hat, wobei er sogar selbst eingeräumt hat, dass er trotz der von ihm erkannten Annäherung des Motorrades in die vorfahrtsberechtigte Straße eingefahren ist. Auf der anderen Seite ist bewiesen, dass den Versicherten der Klägerin kein Verkehrsverstoß trifft, sein gesamtes Verhalten war „nicht zu beanstanden“.
Die Erwägungen des Landgerichts, nach denen ein Motorrad aufgrund seiner Bauart und seiner Beschleunigungsfähigkeit „an sich“ schon eine erhöhte Betriebsgefahr hat, sind sicherlich im Ansatz zutreffend. Das kann aber nicht dazu führen, dass selbst bei Vorfahrtsverstößen ein Motorradfahrer, der sich völlig korrekt verhalten hat, lediglich den Beweis der Unabwendbarkeit nicht führen kann, grundsätzlich mithaftet. Dies wäre nämlich die Konsequenz der Erwägungen des Landgerichts. Vielmehr überwiegt die schuldhaft gesteigerte Betriebsgefahr auf Beklagtenseite soweit, dass diejenige des Motorrades vollständig zurücktritt.
Damit haften die Beklagten nicht nur auf Ersatz der (unstreitigen) unfallbedingten Aufwendungen der Klägerin für ihren Versicherten, sondern es rechtfertigt sich auch der Feststellungsausspruch.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs.1, 708 Nr.10 und 713 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
(1) Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht und sind die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist, gilt Absatz 1 auch für die Haftung der Fahrzeughalter untereinander.
(3) Die Verpflichtung zum Ersatz nach den Absätzen 1 und 2 ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Der Ausschluss gilt auch für die Ersatzpflicht gegenüber dem Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, der nicht Halter ist.
(4) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden, wenn der Schaden durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier oder durch ein Kraftfahrzeug und eine Eisenbahn verursacht wird.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.