Vertragsrecht: Adressbuchverlag: Täuschendes Angebot kann angefochten werden

bei uns veröffentlicht am28.11.2011

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Das Formular eines Adressbuchverlags ist täuschend, wenn es die Begründung einer Entgeltpflicht und die Laufzeit des Vertrags nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lässt-AG München vom 27.04.11-Az: 213 C 4124/11
Ein Vertrag kann daher wirksam angefochten werden. Hierauf wies das Amtsgericht (AG) München im Fall eines Handelsunternehmens hin. Dieses hatte per Post ein Antragsformular für ein Internetverzeichnis erhalten, in das sich Selbstständige und Gewerbetreibende mit ihren Kontaktdaten eintragen lassen können. Das Formular wurde ausgefüllt und zurückgeschickt. Als das Unternehmen kurz darauf eine Rechnung über 773,50 EUR erhielt, verweigerte es die Zahlung und erklärte die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung. Von einer Kostenpflicht habe es nichts gewusst.

Die Klage des Verzeichnis-Betreibers hatte vor dem AG keinen Erfolg. Der Richter hielt die Anfechtung für berechtigt und wies die Klage daher ab. Eine Täuschung liege hier in Form der Entstellung von Tatsachen vor. Das Formular eines Adressbuchverlags sei täuschend, wenn es die Begründung einer Entgeltpflicht und die Laufzeit des Vertrags nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lasse. Dies träfe hier auf das Antragsformular zu. Das Formblatt werde als gewerbliches Verzeichnis beschrieben. Eine Entgeltlichkeit der Eintragung in das Internetverzeichnis ergebe sich bei einer Lektüre des Formblatts zunächst nicht, insbesondere auch nicht aus der Verwendung des Wortes „gewerblich“. Tatsächlich erwecke die Formulierung in ihrer konkreten Verwendung eher den Eindruck, als ob sich die Bezeichnung „gewerblich“ auf den Charakter des Internetverzeichnisses als Gewerbedatenbank beziehe, also auf den Umstand, dass die dort eingetragenen Firmen und Personen Gewerbetreibende seien. Ein konkreter Hinweis auf die Entgeltpflicht finde sich erstmals innerhalb eines klein gedruckten eingerahmten Fließtextes im Bereich des rechten Seitendrittels. Dieser erwecke den Eindruck, als sei hier durch Verwendung möglichst zahlreicher, sich inhaltlich überschneidender Füllwörter versucht worden, das Wort „Vergütungshinweis“ in dem Fließtext zu verbergen bzw. möglichst weit nach unten zu rücken. Bereits die Überschrift enthalte eine durch Kommata getrennte Aufzählung von Positionen, die sich insgesamt auf sechs Zeilen der Spalte erstreckten. Diese Art der Gestaltung sei objektiv geeignet, das Überlesen des Wortes „Vergütungshinweis“ zu fördern.

Im konkreten Fall gäbe es für die unprofessionelle, für einen Gewerbetreibenden, der ein entgeltliches Produkt anbiete und bewerben wolle, gänzlich untypische Gestaltungsweise des Formblattes letztlich überhaupt keine andere Erklärung, als dass - jedenfalls teilweise - „Kunden“ dadurch gewonnen werden sollen, dass sie infolge Irrtums über die Entgeltlichkeit das Formblatt unterzeichnen und zurücksenden (AG München, 213 C 4124/11).

Hinweis: Es wird davor gewarnt, Angebote und Rechnungen von Unternehmen, die die Veröffentlichung der Firmendaten in sogenannten Gewerberegistern oder Verwaltungsregistern anbieten, ungeprüft zu bezahlen. Neu registrierte Firmen erhalten oft Schreiben, die die Veröffentlichung der Firmendaten in sogenannten Gewerberegistern, Verwaltungsregistern oder Registerzentralen anbieten. Auf den ersten Blick erwecken diese Schreiben, die wie eine Rechnung gestaltet sind, den Anschein, von öffentlichen Stellen zu stammen oder auch die Rechnung des Registergerichts zu sein. Nur wer näher hinschaut, insbesondere ins „Kleingedruckte“, erkennt, dass es sich um ein Angebot zu einer Eintragung in ein privat geführtes Register handelt, das mit dem Gericht nichts zu tun hat. Rechnungen des Gerichts kommen ausschließlich von den Justizkassen.


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

AG München: Entscheidung vom 27.04.2011 - Az: 213 C 4124/11

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Dieses Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.


Tatbestand

Die Klägerin macht eine Werklohnforderung geltend.

Unter der Adresse ... unterhält sie ein Internetverzeichnis, in das sich Selbstständige und Gewerbetreibende mit ihren Kontaktdaten entgeltlich eintragen lassen können. Die Beklagte betreibt ein japanisches Handelsunternehmen. Im September 2010 wurde ihr durch .die Klägerin ein Antragsformular übermittelt, weiches die Eintragung der Kontaktdaten der Beklagten in das Internetverzeichnis der Klägerin für die Dauer von zwei Jahren gegen ein Entgelt von jährlich EUR 650,00 zzgl. Umsatzsteuer zum Gegenstand hatte. Wegen der näheren Einzelheiten, insbesondere auch der äußeren Gestaltung des Formulars, wird auf die als Anlage zur Anspruchsbegründung vorliegende Ablichtung Bezug genommen. Der GF der Beklagten unterzeichnete das Antragsformular für die Beklagte am 30.09.2010 und sendete es per Telefax an die Klägerin zurück.

Die Klägerin erteilte der Beklagten am 30.09.2010 eine Rechnung über EUR 650,00 zzgl. Umsatzsteuer, insgesamt EUR 773,50, die die Beklagte nicht bezahlte.

Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 29.11.2010 - insoweit wird auf die Anlage B 1 zur Klageerwiderung Bezug genommen - ließ die Beklagte die Anfechtung ihrer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung erklären.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 773,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.112010 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Sie sei sich nicht darüber im Klaren gewesen, mit der Unterzeichnung des Formblatts eine Leistung zum Preis von EUR 650,00 netto jährlich zu bestellen. Die Angabe des Entgelts sei so verborgen, dass hier von einer Überraschungsklausel im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB auszugehen sei. Des Weiteren sei der Vertrag wirksam angefochten worden.

Wegen des weiteren tatsächlichen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die auf Abschluss des Insertionsvertrags (Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB) gerichtete Willenserklärung der Beklagten vom 30.09.2010 ist infolge Wirksamer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB nichtig, so dass der Klägerin ein Anspruch aus diesem Vertrag nicht zusteht.

Dahinstehen kann dabei, ob es sich bei der Willenserklärung der Beklagten um eine Annahme eines Angebots der Klägerin oder um ein an diese gerichtetes Angebot handelte, welches anschließend von dieser angenommen wurde.

Des Weiteren kann dahinstehen, dass eine Unwirksamkeit der Entgeltklausel nach § 305 c Abs. 1 BGB nicht vorliegen dürfte, da es sich um eine objektiv ungewöhnliche Klausel handeln müsste, die Entgeltlichkeit einer Leistung, die im Geschäftsverkehr angeboten wird, jedoch der Regelfall ist.

Der Tatbestand der arglistigen Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) ist jedenfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt.

Eine Täuschung liegt hier in Form einer Entstellung von Tatsachen vor. Das Formular eines Adressbuchverlags ist dann täuschend, wenn es die Begründung einer Entgeltpflicht und die Laufzeit des Vertrags nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lässt.

Dies trifft auf das Antragsformular der Klägerin infolge der Abfassung und äußeren Gestaltung zu.

Das Formblatt ist als „gewerbliches Verzeichnis für Handwerk, Industrie und Handel“ überschrieben. Anschließend folgt rechts oben ein - nicht näher bestimmbaren Zwecken, möglicherweise überhaupt keinen Zwecken, dienender - Barcode. Nach dem Adressfeld mit der Beklagtenanschrift folgt dann als Betreff „Eintragungsantrag Gewerbedatenbank (gewerblich)“ und als Bezug „Ihre Firmengründung“. Anschließend folgen die Zeilen „Eintragung soll auf meinen Antrag mit folgenden Daten erfolgen: Bitte ggfs. streichen/korrigieren“. Der Adressat hat sodann die Möglichkeit eine Zeile „Eintragung mit den oben stehenden Daten“ oder eine Zeile „Eintragung abweichend mit folgenden Daten“ anzukreuzen, wobei das Formblatt dann mehrere Zeilen zur Angabe einer Anschrift des Geschäftsführers, der Branche etc. bietet

Eine Entgeltlichkeit der Eintragung in das Internetverzeichnis ergibt sich bei einer Lektüre dieses Bereichs des Formblatts nicht. Der Umstand, dass es sich um eine vertragliche Hauptleistung der Klägerin handeln soll, wird dadurch kaschiert, dass beispielsweise auf die Firmengründung des Adressaten Bezug genommen wird, obwohl das Formblatt mit der Firmengründung gar nichts zu tun hat.

Die Zeile „Eintragung mit den oben stehenden Daten“, obwohl auf dem Formblatt oben - abgesehen von der Anschrift im Anschriftsfeld - überhaupt keine Daten angegeben sind, erweckt nicht den Eindruck, als ob der Inhalt der Eintragung für den Kunden besonders wichtig oder wissenswert wäre. Der Adressat kann den Eindruck gewinnen, als ob hier seinerseits hinsichtlich der Lektüre des Formblatts und der Konkretisierung der Eintragungsdaten nicht die bei einem Vertragsschluss übliche Sorgfalt erforderlich seien. Dass ihm die Eintragung der Anschriftsdaten aus dem Anschriftsfeld in ein Verzeichnis als entgeltliche vertragliche Leistung angeboten werden, drängt sich ihm nicht auf.

Nachdem die Beklagte hier auch tatsächlich die Zeile „Eintragung mit den oben stehenden Daten“ angekreuzt hat, der als Anlage A3 vorliegende Ausdruck aus der Datenbank der Klägerin jedoch deutlich mehr Daten enthält als die bloße Firmenbezeichnung und Anschrift, ist davon auszugehen, dass die Klägerin sich die Daten scheinbar selbst beschafft und den Inhalt des Datenbankeintrags frei bestimmt. Die vertragliche Leistung wird also nicht so angeboten, wie sie erbracht wird. -Die Art und Weise des Angebots ist irreführend.

Die Gestaltung der Formblatts ist hier objektiv geeignet den Adressaten zur der unzutreffenden Auffassung zu verleiten, er könne das Formblatt nach Setzen eines Kreuzchens ohne nachteilhafte Folgen unterzeichnen und zurücksenden.

Nichts anderes ergibt sich aus der wiederholten Verwendung des Wortes „gewerblich“, sowohl in der Überschrift als auch im Betreff. An der objektiven Geeignetheit zur Irreführung ändert dies nichts. Der Adressat des Formulars muss diese Formulierung nicht dahingehend verstehen, dass der Versand des Formblatts im Rahmen der Ausübung eines Gewerbes, somit in Gewinnerzielungsabsicht erfolgt. Tatsächlich erweckt die Formulierung in ihrer konkreten Verwendung eher den Eindruck, als ob sich die Bezeichnung „gewerblich“ auf den Charakter des Internetverzeichnisses als Gewerbedatenbank beziehe, also auf den Umstand, dass die dort eingetragenen Firmen und Personen Gewerbetreibende seien.

Ein konkreter Hinweis auf die Entgeltpflicht findet sich erstmals innerhalb eines klein gedruckten eingerahmten Fließtextes im Bereich des rechten Seitendrittels. So enthält die Überschrift dieses Textes das Wort „Vergütungshinweis“. Des Weiteren findet sich inmitten des Fliestextes der Satz „Wir bieten Ihnen die Veröffentlichung Ihrer nebenstehenden Daten in unserem Branchenverzeichnis ... im Internet gem. umseitiger Nr. 4 AGB gegen Entgelt an. Vertragslaufzeit 2 Jahre, die Kosten betragen EUR 650,00 netto pro Jahr“.

Bereits die Überschrift enthält eine durch Kommata getrennte Aufzählung von Positionen, die sich insgesamt auf sechs Zeilen der Spalte erstrecken. Die. Positionen „Hinweis zum Ersteintragungsantrag“, „Leistungsbeschreibung“ und „Vertragsbedingungen“ erwecken dabei den Eindruck, als sei hier durch Verwendung möglichst zahlreicher, sich inhaltlich überschneidender Füllwörter versucht worden, das Wort „Vergütungshinweis“ in dem Fließtext zu verbergen bzw. möglichst weit nach unten zu rücken. Jedenfalls ist diese Art der Gestaltung objektiv geeignet, das Überlesen des Wortes „Vergütungshinweis“ zu fördern. Auch ist die Wortwahl in Bezug auf das Wort „Vergütungshinweis“ (statt „Preise“ o. ä.) unüblich.

Gleiches gilt für den Satz, in welchem erstmals die Kosten von EUR 650,00 netto pro Jahr bezeichnet werden. Voran- und nachgestellt werden überflüssige Füllsätze wie „Die Aufnahme in unser gewerblich geführtes Verzeichnis erfolgt erst nach Rücksendung des Formulars“ und „Die gesetzlichen Veröffentlichungspflichten Ihrer Daten sind von diesem Angebot nicht berührt“.

Nachdem der Besteller einer gewerblichen Leistung wohl kaum zu erwarten haben dürfte, dass diese Leistung auch ohne Bestellung erbracht wird;


Gesetze

Gesetze

3 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung


(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. (2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 631 Vertragstypische Pflichten beim Werkvertrag


(1) Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sac

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Allgemeines

Referenzen

(1) Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.