Durchsetzung von Gläubigerforderungen trotz Insolvenz des Schuldners

Durchsetzung von Gläubigerforderungen trotz Insolvenz des Schuldners

erstmalig veröffentlicht: 08.09.2010, letzte Fassung: 16.02.2024
beiRechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Die Insolvenzordnung (InsO) beinhaltet zahlreiche Alternativen für den Gläubiger, an dem Insolvenzverfahren seines Schuldners teil- und Einfluss zu nehmen. Bei der richtigen und frühzeitigen Vorgehensweise ermöglicht die InsO sogar Forderungen über die Insolvenz hinaus durchsetzen und erhalten zu können.

Wir unterstützen den Gläubiger bei der Vorgehensweise und bestmöglichen Durchsetzung seiner Interessen vor, im und neben dem eröffneten Insolvenzverfahren seines Schuldners.

Das zentrale Ziel der Insolvenzordnung (InsO) ist die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Viele der Gläubiger, die mit einem Insolvenzverfahren zu tun haben, gelangen dennoch zu dem Eindruck, nur schwerlich eine Haftung des Schuldners realisieren zu können. Ursache dafür ist in einer Vielzahl von Fällen, dass sich sowohl ihre Aktivitäten als auch die ihrer anwaltlichen Berater darin erschöpfen, die beanspruchte Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden und den Vorgang als erledigt zu betrachten. Der Beratungsbedarf des Insolvenzgläubigers und seine Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung seiner Befriedigungschancen werden häufig unterschätzt.

Die Insolvenzordnung unterscheidet nach dem Maß der Zugriffsmöglichkeiten auf Vermögensgegenstände bzw. nach dem Vorrang und der Befriedigungsmöglichkeiten zwischen

1.    Insolvenzgläubigern, § 38 InsO
2.    aussonderungsberechtigten Gläubigern, § 47 InsO
3.    absonderungsberechtigten Gläubigern, §§ 49 ff. InsO
4.    Massegläubigern, §§ 53 ff. InsO
5.    nachrangigen Insolvenzgläubigern, § 39 InsO

Als Insolvenzgläubiger und nachrangiger Insolvenzgläubiger sowie als Gläubiger von Unterhaltsansprüchen können Sie nach Eröffnung des Verfahrens eine quotenmäßige Befriedigung ihrer Forderung erlangen, sofern nach der Befriedigung der aussonderungsberechtigten bzw. absonderungsberechtigten Gläubiger und der Massegläubiger noch ein verteilungsfähiges Vermögen des Schuldners vorhanden ist.

Doch wer ist überhaupt Insolvenzgläubiger laut Insolvenzordnung? Jeder Gläubiger, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat, ist Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO. Die Insolvenzforderung muss jedoch nicht schon bei Insolvenzeröffnung fällig sein (§ 41 InsO). Die Qualifizierung als Insolvenzgläubiger ist wesentlich, denn nach § 87 InsO können Sie als Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften des Insolvenzverfahrens verfolgen. Ist nach Befriedigung der Insolvenzgläubiger noch verteilbares Vermögen vorhanden, sind die nachrangigen Gläubiger nach § 39 InsO im Rahmen der dort aufgeführten Reihenfolge zu befriedigen.

Die Aussonderungsberechtigten Gläubiger im Sinne von § 47 InsO sind keine Insolvenzgläubiger. Grundlage ihres Aussonderungsrechts ist in dem Fall die Nichtzugehörigkeit des Gegenstands zur Insolvenzmasse. Als Aussonderungsberechtigter machen Sie also einen Anspruch auf einen konkreten Gegenstand geltend, nicht den Anspruch auf Befriedigung aus dem Wert eines Gegenstands. Innerhalb der Insolvenzordnung stellen sie die Art von Gläubiger dar, die sich nicht an die Regelungen der Insolvenzordnung halten müssen und ihre Ansprüche nach den Gesetzen außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen können. Für Sie als Gläubiger ist es ausschlaggebend, ob sich der Gegenstand auf den sich die Aussonderung bezieht, zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Vermögen des Schuldners befindet. Die Durchsetzung des Aussonderungsrechts erfolgt über den Insolvenzverwalter, der den Anspruch prüft und darüber entscheidet, ob er den Gegenstand freigibt. (BGH vom 14. 12. 2000 - IX ZB 105/00) Verweigert der Insolvenzverwalter die Herausgabe des Gegenstands, können Sie als Gläubiger im ordentlichen Prozessweg Klage gegen den Insolvenzverwalter erheben. Das Recht auf Aussonderung kann aufgrund von Eigentum, Besitz und Miteigentum oder aufgrund eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Herausgabe begründet sein. So können Sie beispielsweise als Vermieter bei einem beendeten Mitverhältnis nach § 546 BGB Rückgabe der Mietsache oder nach § 667 BGB als Auftraggeber die Herausgabe der bei Durchführung des Auftrags erlangten Gegenstände verlangen.

Die Durchsetzung des Aussonderungsanspruchs kann neben der klageweisen Durchsetzung des Herausgabeanspruchs auch im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens verfolgt werden. Sie sollten als Gläubiger ihr Recht gegenüber dem Insolvenzverwalter nachvollziehbar darlegen können und dieses auch entsprechend nachweisen. Sollte der Insolvenzverwalter die Herausgabe verweigern, sind ihm in einem nachfolgenden Rechtsstreit die Kosten aufzuerlegen, falls er die Klageforderung sofort anerkennt (§93 ZPO). Problematisch ist es dann, wenn Sie als Gläubiger nicht wissen, ob ihr Aussonderungsrecht tatsächlich noch besteht. Dies ist häufig bei der Insolvenz von weiterverarbeitenden Unternehmen vorzufinden, denen zahlreiche Zulieferer unter Eigentumsvorbehalt Halbfertigprodukte geliefert haben. Weder der Lieferant noch der Insolvenzverwalter können in diesem Fall erkennen, ob ein Aussonderungsrecht besteht oder ob das gelieferte Produkt bereits verarbeitet wurde.

Als Gläubiger können Sie aber auch ein Ersatzaussonderungsanspruch geltend machen. Hat der Schuldner vor Eröffnung des Verfahrens oder der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Verfahrens unberechtigt den Gegenstand veräußert o.ä., so ist nach § 48 InsO ein Ersatzaussonderungsanspruch bezüglich der zur Masse gelangten Gegenleistung gegeben, wenn sich diese Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse befindet. An die Stelle des ursprünglichen Aussonderungsrechts tritt nun der schuldrechtliche Ersatzanspruch. Durch den § 48 InsO wird der schuldrechtliche Anspruch derart verstärkt, dass der Ersatzanspruch mit der Aussonderungskraft ausgestattet wird. Es können also Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche gemäß § 816 BGB im eröffneten Insolvenzverfahren als Insolvenzforderungen angemeldet werden sowie gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen den vorläufigen Verwalter gem. § 60 InsO in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Nr.1 InsO geltend gemacht werden.

Im Gegensatz zu den Aussonderungsrechten machen absonderungsberechtigte Gläubiger keinen Anspruch auf den Gegenstand selbst geltend, sondern verfolgen mit ihrem Recht die Befriedigung aus dem Wert des Gegenstandes. Haftet der Schuldner Ihnen als absonderungsberechtigter Gläubiger gegenüber auch persönlich, so sind Sie gleichzeitig Insolvenzgläubiger im Sinne des § 52 InsO. Absonderungsrechte als solche können sich nach § 49 InsO auch auf Gegenstände beziehen, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen. Hierzu gehören Gegenstände, wie z.B. Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte, Schiffe und Schiffsbauwerke sowie die zum Grundpfandrecht gehörenden beweglichen Sachen und Forderungen (§§ 1120, 1192, 1200 ff BGB, § 865 ZPO), die zusammen mit dem Grundbesitz verwertet werden.

Als Gläubiger sind Sie zudem zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, wenn Sie ein rechtsgeschäftliches oder gesetzliches Pfandrecht oder ein Pfändungspfandrecht erlangt haben. (BGH vom 20.11.03 - IX ZR 259/02). Gemäß § 39 Nr.1 und Nr.2 InsO sind entstandene Zins- und Kostenforderung in dem Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Verwertung in das Insolvenzverfahren einzubeziehen. Soweit Ihr Absonderungsrechts als Gläubiger durch eine Handlung des Schuldners bzw. Insolvenzverwalters vereitelt wurde und sich die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse auffinden lässt, besteht ein Ersatzabsonderungsanspruch analog § 48 InsO. Lässt sich der Gegenstand nicht mehr von der Masse unterscheiden, besteht ein Bereicherungsanspruch, den sie als Massegläubiger verfolgen können.

Als Massegläubiger werden Sie aus der Insolvenzmasse befriedigt, nachdem die Rechte der aussonderungs- und absonderungsberechtigten Gläubiger verwirklicht wurden. Damit haben Sie als Massegläubiger im Verhältnis zu den Insolvenzgläubigern ein Vorwegbefriedigungsrecht und Sie müssen auch nicht am insolvenzrechtlichen Forderungsanmeldungs- und Verteilungsverfahren teilnehmen.
Kommt es zur Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 207 InsO) oder zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO), so wandelt sich auch Ihre Position als Gläubiger und Sie erhalten nichts oder nur eine quotenmäßige Befriedigung. Von diesem Fall abgesehen können Sie als Massegläubiger Ihre Forderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter formlos geltend machen und diesen, sofern erforderlich, auch verklagen.

Hat der Schuldner selbst den Entstehungsgrund für die Masseschulden vor Insolvenzeröffnung gelegt, so trifft ihn nach Einstellung des Verfahrens die volle persönliche Haftung. Hat der vorläufige oder endgültige Verwalter die Masseverbindlichkeiten begründet, so haftet der Schuldner nach Einstellung des Verfahrens nur begrenzt mit der vorhanden Masse.

Neugläubiger sind Sie dann, wenn Sie erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner erworben haben. Die Realisierung solcher Forderungen ist nahezu aussichtslos. Als Neugläubiger können Sie nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen und die Insolvenzmasse ist Ihnen haftungsrechtlich während des Verfahrens entzogen. Sie können beim Insolvenzverwalter auch keine Auskunft darüber verlangen, zu welchem Zeitpunkt die Insolvenzreife des Schuldners eingetreten ist. Während des laufenden Insolvenzverfahrens kann man als Neugläubiger auch kein weiteres Insolvenzverfahren beantragen.

Auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens werden sich die Forderungen nicht realisieren lassen, da das Vermögen des Schuldners verteilt worden ist. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person, so wird sich in der Regel deren Liquidation anschließen. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person, so wird meist ein Restschuldbefreiungsverfahren folgen. Im Rahmen dieses Restschuldbefreiungsverfahrens sind die pfändbaren Lohn- und Gehaltsforderungen des Schuldners an einen Treuhänder abgetreten, so dass auch hier kein Zugriff für Sie als Neugläubiger möglich ist.
Somit lässt sich hier festhalten, dass Sie als Neugläubiger die Forderungen meist nicht durchsetzen können werden.

Wenn Sie als Gläubiger regelmäßig Vorleistungen erbringen, wie beispielsweise im Internethandel, bei Versandhäusern oder sonstigen Dienstleistungen, können diese Folgen nur vermieden werden, indem Sie bereits im Vorfeld prüfen, ob über das Vermögen des möglichen Vertragspartners bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Durch die öffentlichen Bekanntmachungen zu den Insolvenzverfahren im Internet lässt sich dies leicht feststellen.

Grundsätzlich bestehen jedoch eine Vielzahl von Möglichkeiten im Rahmen einer Insolvenzsituation, den Interessen des Gläubigers zur Durchsetzung zu verhelfen. Die Chancen für eine Forderungsdurchsetzung werden, wie die Praxis zeigt, im eröffneten Insolvenzverfahren häufig jedoch nur eingeschränkt genutzt. Der Schlüssel zur Realisierung einer Forderung im Insolvenzverfahren besteht in einer pragmatischen Herangehensweise, bei der die Kommunikation mit dem Insolvenzverwalter unter Abwägung der gegenseitigen rechtlichen Positionen eine Schlüsselrolle zukommt.


Exkurs: Schadensersatzansprüche gegen Organe und Gesellschafter

Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihre Organe und Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter fallen in die Insolvenzmasse, wenn die Insolvenzmasse und nicht nur Sie als einzelner Insolvenzgläubiger geschädigt sind. Häufig bestehen sowohl Schadensersatzansprüche der Gesellschaft als auch Schadensersatzansprüche von Gläubigern der Gesellschaft, die im Wege der Duschgriffshaftung auf Organe und Gesellschafter der schuldnerischen Gesellschaft zugreifen können. In diesem Fall stellt sich dann die Frage, ob allein der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung der Ansprüche gegenüber den Organen und Gesellschaftern befugt ist oder ob auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft einzelne Gläubiger gegen die Organe der Gesellschaft vorgehen können. Hierzu trifft § 92 S. 1 InsO eine ausdrückliche Regelung, indem er anordnet, dass der Verwalter zur Geltendmachung allein derjenigen Ansprüche berechtigt ist, die sich auf eine Masseschmälerung gründen und deshalb allen Gläubigern zustehen.

Von § 92 InsO werden Sie als Gläubiger nicht erfasst, wenn Sie einen Individualschaden geltend machen. Dabei kann es sich um solche Forderungen handeln, welche erst nach dem Zeitpunkt des schadensstiftenden Verhaltens entstanden sind, also beispielsweise nach dem Zeitpunkt, zu dem der Geschäftsführer einer GmbH den Insolvenzantrag hätte stellen müssen. Sie erhalten dann als Neugläubiger den vollen Schadensersatz und können diesen Anspruch im Verfahren selbständig geltend machen. Den Insolvenzgläubigern muss der Schaden ersetzt werden, um den Ihre Insolvenzquote infolge der Vermögensverfügungen des Geschäftsführers verringert worden ist. Der Insolvenzverwalter kann den Anspruch auf Ersatz dieses einheitlichen Quotenschadens für die Altgläubiger geltend machen. Solche Ansprüche werden der Masse zugewiesen.

Es handelt sich bei diesen Ansprüchen um massenfremde Masse. Das bedeutet, das Insolvenzverfahren erstreckt sich auf Ansprüche von Insolvenz- und Massegläubigern gegen verschiedene Personen, die z.B. dafür verantwortlich sind, dass sie als Insolvenzgläubiger Gesamtschäden (Masseschmälerung) erlitten haben.

 

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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