Amtsgericht Mitte Urteil, 28. Dez. 2019 - 116 C 65/19

bei uns veröffentlicht am01.06.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Amtsgericht Mitte

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Amtsgericht MItte

Im Namen des Volkes

Anerkenntnisurteil

 

In dem Rechtsstreit

 

A,

- Klägerin -

 

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte BSP - Bierbach, Streifler & Partner, Oranienburger Straße 69, 10117 Berlin,

 

gegen

 

B,

- Beklagte -

 

ProzessbeyolImächtigter:

Rechtsanwalt Oliver Schafeid, Mommsenstraße 58, 10629 Berlin,

 

hat das Amtsgericht Mitte durch die Richterin Reisser am 28.12.2019 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 307 Satz 2 ZPO für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, das in der Wohnung C-Straße, 4. Obergeschoss, von ihr genutzte Zimmer, gelegen gegenüber dem Badezimmer an der an­ deren Seite des Flures, der Klägerin inklusive Wohnungsschlüssel, Hausschlüssel sowie Briefkastenschlüssel herauszugeben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.03.2020 gewährt.

5. Der Streitwert wird auf 3.600,00 € festgesetzt.

Gemäß § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO bedarf es keines Tatbestandes (vgl. auch AG Brandenburg, Anerkenntnis- und Endurteil vom 10.09.2018 - 31 C 34/18, BeckRS 2018, 20906).

Entscheidungsgründe

Die Beklagte ist gemäß ihrem Anerkenntnis vom 12. November 2019 nach § 307 ZPO zur Herausgabe der Wohnung zu verurteilen.

I.

Nach § 721 ZPO ist der Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31.03.2020 zu bewilligen. Zweck des § 721 ZPO ist es, den Schuldner vor Obdachlosigkeit zu bewahren und ihm eine Möglichkeit zugeben, eine Ersatzwohnung zu finden (vgl. AG Brandenburg BeckRS 2018, 20906; Götz, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 721 Rn. 1). Jedoch richtet sich die Bewilligung einer Räumungsfrist nicht nur nach dem Härtegrad der Räumung für den Mieter, sondern das Gericht hat die Interessen beider Parteien gegeneinander abzuwägen (vgl. Lackmann, in: MusielakNoit, ZPO, § 721 Rn. 4). Ausnahmsweise kann die Gewährung einer Räumungsfrist deshalb sogar gänzlich ausscheiden, selbst wenn dem Mieter durch die Räumungsvollstreckung eine Obdachlosigkeit droht (LG Berlin NJ 2019, 383).

Bei der erforderlichen Interessenabwägung hat das Gericht zugunsten der Beklagten neben der gerichtsbekannten angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt vor allem den Umstand mit erheblichem Gewicht berücksichtigt, dass die Beklagte unter beträchtlichen gesundheitlichen Problemen leidet. Ausweislich der Befunde des St. Hedwig Krankenhauses befand sich die Beklagte mehrfach aufgrund multipler Erkrankungen in stationärer Behandlung. Auch leidet die Beklagte ausweislich des unbestrittenen Klägervortrags und der Angaben der Tochter der Beklagten im Krankenhaus an einer Alkoholerkrankung.  Diese erheblichen gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen erschweren die Suche nach einem anderen Obdach zusätzlich. Es ist daher zu befürchten, dass ein sofortiger Verlust der Wohnung zur Obdachlosigkeit führen könnte, was den Gesundheitszustand der Beklagten weiter verschlechtern würde. Zugleich hat das Bezirksamt Mitte am 28.11.2019 eine Eilbetreuung für die Beklagte angeregt. Dies dürfte die Chancen der Beklagten, nunmehr mit Hilfe eines Betreuers eine Ersatzunterkunft zu finden, erhöhen. Für die Gewährung einer Räumungsfrist spricht ferner, dass die Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung während der Räumungsfrist gewährleistet ist und keine Mietrückstände der Beklagten vorliegen, d.h. der Klägerin insoweit kein finanzieller Schaden entsteht.

Gleichwohl schied die Gewährung einer längeren Räumungsfrist als bis zum 31.03.2020 aus. Angesichts der unstreitigen Schwierigkeiten der Parteien beim gemeinsamen Zusammenleben liegt ein besonders dringliches Räumungsinteresse vor, das bereits für sich zu gewichten ist. Zusätzlich ist zu berücksichtigten, dass die Beklagte aufgrund ihrer Alkoholerkrankung Störungen des Wohnungsfriedens verursacht. Unstreitig ist die Beklagte auf besondere Hilfe angewiesen, die die Klägerin nicht leisten kann. Die Situation der Beklagten erforderten in der Vergangenheit mehrere Einsätze des Rettungsdienstes bzw. ein Zuhilfeholen der Tochter der Beklagten. Der recht vage bleibende Vortrag der Klägerin rechtfertigt es allerdings nicht, der Beklagten eine Räumungsfrist gänzlich zu versagen und ihr eine letzte Chance auf eine Ersatzunterkunft zu nehmen.

Ebenfalls ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Kündigung bereits zum 31.05.2019 ausgesprochen wurde, mithin bereits über ein halbes Jahr ohne Räumung des Zimmers verstrichen ist. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass sie sich in dieser Zeit um eine Ersatzwohnung oder eine anderweitige Unterkunft bemühte. Für die Frage, ob eine (ggf. weitere) Räumungsfrist zu gewähren ist, kommt es aber im Wesentlichen darauf an, ob der Räumungsschuldner sich bisher hinreichend um eine Ersatzwohnung bemüht hat (vgl. KG, Beschluss vom 4.7.2008 - 11 W 9/08, BeckRS 2008, 16179). Dass die Beklagte ggf. gesundheitsbedingt nicht imstande war, nach einer Ersatzwohnung zu suchen, wurde zu ihren Gunsten berücksichtigt, kann aber nicht dazu führen, dass die Räumungsfrist über drei Monate hinaus verlängert wird. Denn aufgrund des Zusammenlebens der Parteien führen gerade die Gründe, die es der Beklagten erschweren, eine Ersatzunterkunft zu finden, zu einem gesteigerten Interesse der Klägerin an einer alsbaldigen Räumung. Aus diesem Grund erscheint es nicht angemessen, der Klägerin alleine das aus der Sphäre der Beklagten stammende Risiko aufzuerlegen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine andere Wohnung findet.

Aufgrund der gewichtigen Interessen beider Parteien ist eine (etwa) dreimonatige Räumungsfrist angemessen. Diese gibt einerseits der Beklagten eine letzte, aber reale Möglichkeit, mit Unterstützung eines Betreuers eine ihren gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechende Unterkunft finden, und berücksichtigt andererseits das begründete Interesse der Klägerin an einem schnellstmöglichen Auszug der Beklagten.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Kosten sind nicht nach § 93b Abs. 3 ZPO der Klägerin aufzuerlegen. Nach § 93b Abs. 3 ZPO kann das Gericht bei einem sofortigen Anerkenntnis des Beklagten die Kosten dem Kläger aufer­ legen, wenn der Beklagte bereits vor Erhebung der Klage unter Angabe von Gründen die Fortset­ zung des Mietverhältnisses oder eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist vom Kläger vergeblich begehrt hatte. Die Beklagte erkannte den Räumungsanspruch der Klägerin zwar sofort an, allerdings ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten kein ausdrückliches, sub­ stantiiert begründetes Verlangen der Beklagten vor Klageerhebung, ihr eine angemessene Räu­ mungsfrist zu gewähren. Das Verlangen einer angemessenen Räumungsfrist ergibt sich nicht konkludent aus dem Verhalten der Beklagten, die das Zimmer bislang nicht räumte. Denn das Verlangen des Mieters nach einer Räumungsfrist muss zeitlich bestimmt oder zumindest be­ stimmbar sein muss, woran es fehlt, wenn der Mieter den Vermieter gänzlich im Unklaren lässt, bis wann dieser mit einem Auszug rechnen kann (Schulz, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 93b ZPO Rn. 21 mwN). Das schlichte Wohnenbleiben ohne jegliche Nennung eines Zeitraums kann allenfalls als Begehren des Mieters ausgelegt werden, das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, und genügt somit nicht.

Die Kosten sind der Klägerin auch nicht nach § 93 ZPO aufzuerlegen. Die Beklagte hat Anlass zur Klage gegeben, indem sie das Zimmer bislang nicht herausgab.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 1 ZPO.

 

Reisser

Richterin

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