Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10

bei uns veröffentlicht am11.05.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 01.03.2010 wird zurückgewiesen.

II.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Elterngeld für den 2009 geborenen A..

Mit Antrag vom 23.9.2009 beantragte die Klägerin, Mutter von A., Elterngeld. Die Klägerin ist verwitwet, ihr Mann starb 2008. Nach den Angaben im Antragsformular war die Klägerin über die Justiz krankenversichert und erhielt Justiztaschengeld in Höhe von 96 € monatlich. Mit Bescheid vom 29.9.2009 lehnte der Beklagte die Gewährung von Elterngeld ab. Einen Anspruch auf Elterngeld habe, wer mit seinem Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Dies sei der Fall, wenn das Kind mit dem Elternteil eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft habe, in der es betreut werde. Diese Voraussetzungen seien bei einem Wohnsitz im Bezirkskrankenhaus nicht erfüllt.

Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin vor, dass sie ihr Kind selbst erziehe und sich auch um die Versorgung des Kindes alleinverantwortlich kümmern müsse. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009 zurück. Nach den Richtlinien könne in einer Justizvollzugsanstalt oder auch in einer Erziehungsanstalt ein Haushalt nicht begründet werden.

Hiergegen legte die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) ein. Sie sei in einer Entwöhnungseinrichtung für suchtmittelabhängige Patientinnen mit Kindern untergebracht. Diese Einrichtung nehme in Ausnahmefällen auch Patientinnen im Maßregelvollzug auf. Voraussetzung hierbei sei, dass die Patientinnen eine Lockerungsstufe hätten, die einem offenen Vollzug ähnlich sei. Die Klägerin habe Lockerungsstufe C erreicht und erhalte dementsprechend regelmäßig Ausgänge. Andere Maßregelpatientinnen hätten während des Aufenthalts in der Bezirksklinik Elterngeld bezogen. Da sie ihren Sohn selbst betreuen müsse, müsse sie Bekleidung, Windeln, Pflegeprodukte, aber auch Kinderwagen, Wippe, Krabbeldecke usw. selbst besorgen. Dies sei ohne Elterngeld nicht möglich. Der Beklagte führte demgegenüber aus, dass die Klägerin keine eigene Wohnung habe. Damit fehle das Merkmal „Familienwohnung“, so dass ein Anspruch auf Elterngeld nicht bestehe. Die Bezirksklinik teilte im Fragebogen vom 15.1.2010 mit, dass die Klägerin ab 10.8.2009, mit Beginn ihrer therapeutischen Behandlung, Lockerungsstufe C erhalten habe. Die Klägerin könne täglich Ausgänge machen. Sie müsse sich nur zu den Essens-, Schlafens- und Therapiezeiten in der Station aufhalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 1.3.2010 wies das SG die Klage ab. Ein häusliches Zusammenleben könne nicht deshalb angenommen werden, weil sich die Klägerin in einer so genannten Lockerungsstufe befinde, die einem offenen Vollzug in einer Justizvollzugsanstalt ähnlich sei. Maßgeblich sei letztlich, dass das Bezirksklinikum die Gesamtverantwortung für die Lebensführung der Klägerin mit ihrem Kind übernommen habe. So habe die Klägerin auch im Rahmen des erleichterten Vollzugs und den damit verbundenen Maßnahmeerleichterungen letztlich doch nicht das Gestaltungsinstrumentarium zur Hand, das notwendig sei, um von einem eigenen Haushalt der Klägerin zu sprechen.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Die Klägerin sei sehr wohl für ihr Kind verantwortlich und habe auch sämtliche Aufwendungen für den Sohn zu tragen, etwa Nahrung, Hygiene, Kleidung etc.. Damit handele es sich um ein familienhaftes Zusammenleben. Die Klägerin müsse die Versorgung des Kindes selbst leisten und finanzieren. Auf Frage des Gerichts teilte die Klägerbevollmächtigte mit, dass die Klägerin seit 1.4.2011 eine eigene Wohnung in A-Stadt bezogen habe und seit dem Ende der Therapie (September 2010) Arbeitslosengeld II beziehe.

Die Klägerbevollmächtigte wies darauf hin, dass das Urteil des Bundessozialgerichts vom 4.9.2013 den gelockerten Vollzug nicht betreffe. Es sei ein Fall des geschlossenen Strafvollzugs entschieden worden, nicht Fälle des offenen oder gelockerten Vollzugs. Auf Nachfrage des Senats teilte das Bezirksklinikum A-Stadt mit, dass sich die Klägerin ab 10.8.2009 aufgrund von § 64 StGB mit der Lockerungsstufe C (Stadtausgang und Tagesurlaub) auf der Rehabilitationsstation für drogenabhängige Eltern mit ihren Kindern befunden habe. Ab 25.6.2010 habe sie die Lockerungsstufe D erhalten (Ausgang mit Übernachtung). Die Klägerin habe während des Aufenthalts im Bezirksklinikum kein eigenes Konto gehabt. Sie habe fortlaufend Justiztaschengeld, Kindergeld und Essensgeld für ihren Sohn erhalten sowie einmalig eine Schwangerschaftshilfe. Es wurde ein Kontoblatt für die Klägerin übersandt, aus dem sich ergibt, dass sie lediglich über das Justiztaschengeld in Höhe von 96,93 € monatlich verfügte, außerdem Kindergeld in Höhe von monatlich 184 € und Essensgeld für A.. „Eigengeld“ ist auf dem Kontoblatt erstmals am 24.5.2011 nachgewiesen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Elterngeld für ihren Sohn A..

Nach § 1 Abs. 1 BEEG in der maßgeblichen Fassung des BEEG, zuletzt geändert durch Gesetz vom28.3.2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 634) hat Anspruch auf Elterngeld, wer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr. 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr. 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr. 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr. 4).

Das Tatbestandsmerkmal „Haushalt“ wird vom Bundessozialgericht in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung zum Bundeselterngeld dahingehend ausgelegt, dass eine Familiengemeinschaft erforderlich ist, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Fürsorge und Zuwendung) darstellt, wobei sich diese drei Merkmale überschneiden können, jedoch keines davon gänzlich fehlen darf („sozialrechtlicher Haushaltsbegriff“). Das Bundessozialgericht geht auch in den Fällen, in denen ein Berechtigter mit seinem Kind zusammenlebt und dieses betreut, nur dann von einem „Haushalt“ aus, wenn eine hinreichende eigene Wirtschaftsführung festzustellen ist (BSG Urteil vom 4.9.2013, B 10 EG 4/12 R, Rn. 22). Dabei genügt auch die Versorgung mit Kleidung, Windeln, Hygieneartikeln und Obst aus dem bezogenen Kindergeld nicht, um eine eigene familienhafte Wirtschaftsführung zu begründen. Insoweit handelt es sich lediglich um eine ergänzende Versorgung des Kindes, die für sich genommen die Voraussetzungen einer eigenständigen Wirtschaftsführung (Haushaltsführung) nicht erfüllt, insbesondere wenn die Versorgung des Elterngeldberechtigten vollständig durch die Justiz erfolgt.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist unabhängig vom Lockerungsgrad im Maßregelvollzug davon auszugehen, dass bei der Klägerin eine eigene Wirtschaftsführung fehlt. Auch soweit sie ihren Sohn A. versorgte, standen ihr lediglich das eigene Justiztaschengeld, das Kindergeld und das von der Justizkasse gezahlte Essensgeld für A. zur Verfügung. Eigengeld, das für eine eigene Wirtschaftsführung spräche, stand der Klägerin erst lange nach Ablauf der Bezugsdauer (15.8.2010) ab Mai 2011 zur Verfügung.

Bei dieser Ausgangslage stellt sich die Frage einer Differenzierung zwischen einer Strafhaft und dem Maßregelvollzug mit verschiedenen Lockerungsstufen nicht. Unabhängig davon fehlt es bei der Klägerin jedenfalls an einer eigenen Wirtschaftsführung. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt auch über keine Wohnung außerhalb des Bezirkskrankenhauses verfügte.

Im Ergebnis war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Frage der Haushaltsführung vom Bundessozialgericht bereits entschieden ist.

Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10

Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit


Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG

Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG | § 1 Berechtigte


(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.Bei
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10 zitiert 5 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit


Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG

Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG | § 1 Berechtigte


(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.Bei

Referenzen - Urteile

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2015 - L 12 EG 28/10 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 04. Sept. 2013 - B 10 EG 4/12 R

bei uns veröffentlicht am 04.09.2013

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Referenzen

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1.
einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.
mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.
dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.
keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Bei Mehrlingsgeburten besteht nur ein Anspruch auf Elterngeld.

(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,

1.
nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.
Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V. oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten oder Ehegattinnen.

(3) Anspruch auf Elterngeld hat abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auch, wer

1.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt, das er mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen hat,
2.
ein Kind des Ehegatten oder der Ehegattin in seinen Haushalt aufgenommen hat oder
3.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht entschieden ist.
Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 sind die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass statt des Zeitpunktes der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten Person maßgeblich ist.

(4) Können die Eltern wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Todes der Eltern ihr Kind nicht betreuen, haben Verwandte bis zum dritten Grad und ihre Ehegatten oder Ehegattinnen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen und wenn von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird.

(5) Der Anspruch auf Elterngeld bleibt unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.

(6) Eine Person ist nicht voll erwerbstätig, wenn ihre Arbeitszeit 32 Wochenstunden im Durchschnitt des Lebensmonats nicht übersteigt, sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt oder sie eine geeignete Tagespflegeperson im Sinne des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ist und nicht mehr als fünf Kinder in Tagespflege betreut.

(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
Abweichend von Satz 1 Nummer 3 erste Alternative ist ein minderjähriger nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine minderjährige nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin unabhängig von einer Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt.

(8) Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 300 000 Euro beträgt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf Elterngeld.

2

Die 1979 geborene Klägerin befand sich ab März 2007 in Untersuchungshaft und ab September 2007 im Regelvollzug in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Schwäbisch Gmünd. Dort gebar sie am 16.11.2007 ihren Sohn J., der danach mit ihr in einer sog Mutter-Kind-Einrichtung der JVA lebte. Vom 21.1.2008 bis zu ihrer Haftentlassung im Mai 2009 war die Klägerin in einem Arbeitsbetrieb dieser JVA im Umfang von 34,15 Wochenstunden gegen Entgelt beschäftigt. Die Klägerin selbst wurde vollständig versorgt. Die Versorgung des Kindes erfolgte durch den vom Jugendamt unmittelbar an die JVA entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel.

3

Ihren am 25.1.2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate des Sohnes lehnte die beklagte Landeskreditbank - für das Land Baden-Württemberg - mit Bescheid vom 22.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2008 ab, weil die Klägerin während des Strafvollzuges mit ihrem Kind nicht in einem Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) gelebt habe.

4

Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Ulm - SG - vom 12.4.2010; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - LSG - vom 17.1.2012). Zur Begründung seiner Berufungsentscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt:

5

Zwar habe die Klägerin nach der Geburt des Kindes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und ihr Kind trotz dessen zeitweisen Aufenthalts in einem Hort selbst betreut und erzogen. Sie habe jedoch die gesetzliche Voraussetzung, mit ihrem Kind in einem Haushalt zu leben, nicht erfüllt, denn sie habe in der JVA im sog Regelvollzug keinen Haushalt begründet. Unter Haushalt verstehe man nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die häusliche, wohnungsmäßige, familienhafte Wirtschaftsführung im Rahmen einer auf eine gewissen Dauer und nicht nur vorübergehend angelegten Hausgemeinschaft. Es komme auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstelle. Alle drei Kriterien stünden in enger Beziehung zueinander und könnten sich auch teilweise überschneiden; keines davon dürfe jedoch gänzlich fehlen. Auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse an Wohnung und Hausrat komme es dabei nicht nur an, sondern auch darauf, wer die Kosten der Haushaltsführung trage. Maßgeblich sei, dass der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trage, wobei entscheidend sei, ob dem Berechtigten noch eine eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich sei, er sich wirtschaftlich also selbst versorgen könne.

6

Gemessen an diesen Kriterien habe die Klägerin mit ihrem Sohn in der JVA keinen Haushalt begründen können. Der Aufenthalt der Klägerin dort sei nicht aufgrund eines frei ausgehandelten und von ihr selbst finanziell getragenen Mietvertrages zustande gekommen, sondern beruhe auf der von ihr zwangsweise zu verbüßenden Haftstrafe. Im Rahmen des Regelvollzuges sei die Klägerin vollständig versorgt worden. Die Versorgung ihres Kindes sei durch den vom Jugendamt entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel erfolgt. Das Zusammenleben in einer JVA sei überwiegend und fast ausschließlich durch die Vorgaben der JVA geprägt. Die Möglichkeit, auf die individuelle Tagesstruktur Einfluss zu nehmen, sei gering. Diese mangelnde Gestaltungsmöglichkeit schließe ein durch familienhaftes Zusammenleben geprägtes Miteinander aus. Insbesondere hätten auch Gefangene, die wie die Klägerin in einer Mutter-Kind-Einrichtung untergebracht seien, keinen Einfluss auf die Regelung des zeitlichen und räumlichen Zusammenlebens mit ihrem Kind. Die von der Klägerin gegen diese rechtliche Beurteilung vorgebrachten Einwände einer Ungleichbehandlung mit anderen Personengruppen überzeugten nicht.

7

Schließlich entspreche die rechtliche Beurteilung des Begriffs "Haushalt" in § 1 Abs 1 BEEG auch dem Sinn und Zweck des Elterngeldes, nämlich dem Ziel, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlagen zu unterstützen, wenn sich die Eltern in der Frühphase der Elternschaft vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmerten. Das Elterngeld solle Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben. Dieses Ziel werde verfehlt, wenn eine solche freie Entscheidung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gar nicht möglich sei, wie etwa bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen mangels entsprechender Aufenthaltserlaubnis die Berechtigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fehle. Dem Strafhäftling sei insoweit ebenfalls die Wahlfreiheit zwischen Kindererziehung und Berufstätigkeit verwehrt.

8

Letztlich sei die Frage, inwieweit sich die von der Klägerin in der JVA ab dem 3. Lebensmonat ihres Kindes ausgeübte Tätigkeit nach § 1 Abs 1 Nr 4 und Abs 6 BEEG auf den Leistungsanspruch auswirke, nicht entscheidungserheblich. Allerdings gehe der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG davon aus, dass es sich bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit um eine Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG gehandelt habe.

9

Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1 Abs 1 BEEG. Entgegen der Auffassung des LSG habe sie nach der Geburt ihres Sohnes mit diesem in einem Haushalt gelebt. Bei einem "Haushalt" handele es sich um einen zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse geschaffenen privaten, räumlichen und gegenständlichen Lebensbereich. Dies sei gleichzusetzen mit der Existenz einer gemeinsamen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zwischen Anspruchsberechtigtem und Kind. Erforderlich sei ein Zusammenleben nicht nur bezogen auf gemeinsame Räume, sondern auch auf die materielle Versorgung und immaterielle Zuwendung. Es müsse sich weder bei der anspruchsberechtigten Person um die letztlich wirtschaftlich verantwortliche Person handeln, sofern der Erziehende zusammen mit anderen Personen die materielle Sicherung des Kindes übernehme, noch komme es darauf an, aus welchen oder wie vielen Mitgliedern der Haushalt bestehe. Haushaltsgemeinschaften könnten auch im Rahmen von Anstalten, Frauenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen gegeben sein. Diese Voraussetzungen lägen hier mit Blick auf die von ihr von ihrer Arbeitsvergütung und dem Kindergeld finanzierte Versorgung ihres Sohnes (Beschaffung von Kleidung, Windeln, Hygieneartikeln und Obst) vor.

10

Entgegen der Auffassung des LSG habe sie - die Klägerin - in der JVA keine Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG ausgeübt. Erwerbstätigkeit sei allgemein eine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit, und zwar unabhängig davon, ob sie selbstständig oder unselbstständig ausgeübt werde. Aus dem Zweck des Elterngeldes, den umfassenden oder teilweisen Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit auszugleichen, habe das BSG im Rahmen einer Entscheidung vom 27.9.1990 geschlossen, es sei erforderlich, dass ein Antragsteller zumindest typischerweise und in aller Regel zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach freiem Willen berechtigt sei. Dieses Merkmal fehle hier, denn sie sei im Rahmen eines Vollzugsplanes nach § 7 StVollzG und entsprechend ihrer Verpflichtung gemäß § "37" StVollzG tätig geworden und habe keine Einwirkungsmöglichkeit auf den Umfang ihres Arbeitseinsatzes gehabt. Ihr Arbeitseinsatz sei einer Tätigkeit in öffentlich geförderten Arbeitsgelegenheiten (sog Eineurojobs) gleich. Eine nicht freiwillige Tätigkeit sei keine Arbeit iS des § 7 SGB IV.

11

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2012, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2008 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihres am 16. November 2007 geborenen Sohnes J. in Höhe von monatlich 300 Euro zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an und tritt der Auffassung der Klägerin zum Bestehen eines Haushalts und zum Nichtvorliegen einer Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 BEEG ausdrücklich entgegen.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.

15

LSG, SG und auch die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihres am 16.11.2007 geborenen Sohnes J., mithin für die Zeit vom 16.11.2007 bis 15.11.2008, hat. Denn die Klägerin erfüllt nicht alle der in § 1 Abs 1 BEEG genannten Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld. Insbesondere lebte sie im Anspruchszeitraum mit J. nicht in einem Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG.

16

Der Begriff des Haushalts ist im BEEG weder in § 1 Abs 1 Nr 2 noch in § 1 Abs 3 S 1 und auch nicht an anderer Stelle näher umschrieben. Er wurde schon in der unmittelbaren Vorläufervorschrift zu § 1 Abs 1 BEEG, nämlich in § 1 Abs 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), seit dem Entwurf der Bundesregierung vom 16.8.1985 (BR-Drucks 350/85 S 4) verwendet. Die Begründung des Gesetzentwurfs befasst sich zu § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG ausdrücklich mit der dort als Anspruchsvoraussetzung vorgesehen Personensorge, nicht jedoch mit dem Begriff des Haushalts(BR-Drucks 350/85 S 14).

17

Der Begriff des Haushalts wird schon im ersten Entwurf des BEEG verwendet, ohne in der dazu gegebenen Begründung erläutert zu werden (vgl BT-Drucks 16/1889 S 18). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist er, anders als andere gesetzliche Merkmale, weder hinterfragt noch verändert worden. In den Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zum BEEG (Stand 7.2013) ist Haushalt als häusliche Gemeinschaft umschrieben, in der das Kind betreut wird. Diese häusliche Gemeinschaft setze nicht voraus, dass der Antragsteller einen eigenen Haushalt habe oder dass der Wohnsitz und der Haushalt, in dem das Kind betreut werde, identisch seien. Die häusliche Gemeinschaft könne zB auch im Haushalt der Großeltern, einer Einrichtung für Mutter und Kind oder in einem Frauenhaus bestehen. In einer JVA oder einer Entziehungsanstalt könne ein Haushalt dagegen nicht begründet werden (Richtlinie 1.1.2.2). Diese vom BMFSFJ für einen einheitlichen Verwaltungsvollzug erlassenen Richtlinien enthalten zwar keine als Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung erlassene, nach außen verbindliche Rechtsnormen und können daher kraft Gesetzes bestehende Ansprüche nicht ausschließen. Die darin enthaltenen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Haushalts in einer JVA treffen indes jedenfalls für den sog geschlossenen Vollzug (Regelvollzug) grundsätzlich zu.

18

Mangels einer speziell elterngeldrechtlichen Umschreibung des Haushaltsbegriffs ist bei der Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG auf ein allgemeines sozialrechtliches Begriffsverständnis zurückzugreifen. Nach der teilweise älteren Rechtsprechung des BSG ist unter Haushalt eine durch familienhaftes Zusammenleben geprägte Gemeinschaft zu verstehen. Diese verlangt eine häusliche, wohnungsmäßige und familienhafte Lebens- und Wirtschaftsführung im Rahmen einer auf eine gewisse Dauer und nicht vorübergehend angelegten Hausgemeinschaft. Nicht erforderlich ist, dass nur der Anspruchsteller und das Kind die Hausgemeinschaft bilden. Möglich ist auch, dass Anspruchsteller und Kind in fremder Wohnung, zB der der Großeltern, zusammenleben. Nicht erforderlich ist ferner, dass der Anspruchsteller die Kosten der Haushaltsführung selbst erwirtschaftet, so dass auch ein Empfänger von Sozialhilfe einen Haushalt führen kann. Wesentlich ist dagegen, dass eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung vorliegt. Zusammenfassend ist Haushalt eine Familiengemeinschaft, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Fürsorge und Zuwendung) darstellt, wobei sich diese drei Merkmale überschneiden können, keines davon jedoch gänzlich fehlen darf (s BSGE 45, 67, 69 ff = SozR 2200 § 1262 RVO Nr 11 S 28 ff; BSG SozR 2200 § 1262 RVO Nr 14 S 40; BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 6 S 33 f; zuletzt BSGE 110, 204 = SozR 4-4200 § 9 Nr 10, RdNr 26; vgl dazu Irmen in Hambüchen, Elterngeld/Elternzeit/Kindergeld, Stand 12/09, § 1 BEEG RdNr 73 und 74 mwN; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, 8. Aufl 2008, § 1 BEEG RdNr 58 mwN; Wiegand, BEEG, § 1 BEEG RdNr 18 mwN; Lenz in Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, 2. Aufl 2010, § 1 BEEG RdNr 6 mwN; Othmer in Roos/Bieresborn, Mutterschutzgesetz, Stand 7/13, BEEG § 1 RdNr 20 mwN; zur erforderlichen Wirtschaftsführung s besonders BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 5 RdNr 11 mwN).

19

Nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes ist eine spezielle Ausprägung des Haushaltsbegriffs im BEEG nicht geboten. Allgemeiner Zweck ist es, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung der Kinder kümmern (so die Gesetzesbegründung vgl BT-Drucks 16/1889 S 2, 15; BT-Drucks 16/2454 S 2; BSG Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 9/08 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 3 RdNr 28). Die besondere Zielrichtung des Elterngeldes erschließt sich aus § 1 Abs 1 BEEG, der in seiner Nr 2 das Leben mit dem Kind in einem Haushalt und in seiner Nr 3 dessen Betreuung und Erziehung als gesonderte Anspruchsvoraussetzungen nennt. Das Gesetz sieht es damit als bedeutsam an, dass die Betreuung und Erziehung des Kindes durch den Anspruchsteller in einem häuslichen, familiären Bereich stattfindet. Diese Zielsetzung ist ersichtlich von der Annahme getragen, dass eine derartige Betreuung der Entwicklung des Kindes besonders förderlich ist. Eine wegen des allgemeinen und besonderen Zwecks des Elterngeldes abweichende Definition des Begriffs des Haushalts ist mithin nicht geboten.

20

Ebenso wenig ist eine Modifizierung des Haushaltsbegriffs für den Fall geboten, dass sich ein Anspruchsteller außerhalb eines privaten Wohnhauses oder einer privaten Wohnung in Einrichtungen aufhält, in denen sich auch familienfremde Personen befinden. So hat das BSG in einer zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergangenen Entscheidung, in der es um Leistungen der häuslichen Krankenpflege ging und der dortige Kläger sich in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen aufhielt, keinen Grund gesehen, den allgemeinen sozialrechtlichen Begriff des Haushalts zu modifizieren (BSG Urteil vom 1.9.2005 - B 3 KR 19/04 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 5). Auch im vorliegenden Fall des Aufenthalts in einer JVA besteht insbesondere angesichts der in Rede stehenden besonderen familienpolitischen Leistung des Elterngeldes keine Veranlassung, von dem oben dargestellten Begriff des Haushalts abzuweichen.

21

Nach den danach maßgebenden Kriterien kann die JVA selbst nicht als - für die Klägerin und ihren Sohn fremder - Haushalt angesehen werden, da ein familienhaftes Zusammenleben der dort lebenden und arbeitenden Menschen (Insassen, Wachpersonal) keineswegs stattfindet.

22

Auch das Zusammenleben der Klägerin mit ihrem Sohn innerhalb der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA ist nicht als Haushalt zu qualifizieren. Zwar wohnte die Klägerin dort mit ihrem Kind zusammen und betreute dieses. Es lässt sich jedoch keine hinreichende eigene Wirtschaftsführung der Klägerin feststellen.

23

Grundlage des Strafvollzuges in Deutschland ist das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16.3.1976 (BGBl I 581 ber 2088 und 1977 I 436). Es war als im Rahmen der sog konkurrierenden Gesetzgebung nach Art 74 Abs 1 Nr 1 GG aF erlassenes Bundesgesetz in allen Bundesländern verbindlich. Nachdem im Rahmen der sog Föderalismusreform im Jahre 2006 durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 (BGBl I 2034) der Gegenstand des Strafvollzuges aus Art 74 Abs 1 Nr 1 GG gestrichen worden ist, obliegt die Gesetzgebung zum Strafvollzug nach Art 30 und 70 Abs 1 GG den Ländern. Soweit diese von dieser ihnen ab 1.9.2006 zustehenden Gesetzgebungs-kompetenz noch keinen Gebrauch gemacht haben, gilt das StVollzG gemäß Art 125a Abs 1 S 1 GG als Bundesrecht fort. Es kann nach Art 125a Abs 1 S 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden, wobei eine vollständige Ersetzung nicht erforderlich ist. Sinnvolle Teile des StVollzG können in dem Bundesland, das - durch Gesetz - ersetzende Regelungen schafft, als Bundesrecht gültig bleiben (s Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 125a RdNr 8 mwN).

24

Das Land Baden-Württemberg hat am 10.11.2009 das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg - Justizvollzugsgesetzbuch (JVollzGB) - GBl 2009, 545 - erlassen. Nach § 1 Abs 1 Nr 2 dieses Gesetzes regelt es den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrestes. Nach § 3 Abs 1 JVollzGB werden die Freiheitsstrafe und der Strafarrest in JVAen des Landes vollzogen. § 4 Abs 1 JVollzGB schreibt die Trennung von Männern und Frauen in besonderen JVAen vor. Wie schon § 80 StVollzG bestimmt § 10 JVollzGB, dass eine Gefangene mit ihrem Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben soll bzw noch nicht schulpflichtig sein soll, in eine Mutter-Kind-Abteilung in einer JVA für weibliche Gefangene aufgenommen werden kann, wenn beide für die Unterbringung dort geeignet sind, ein Platz für Mutter und Kind zur Verfügung steht, dies dem Wohl des Kindes entspricht und die oder der Aufenthaltsbestimmungsberechtigte zustimmt. Nähere gesetzliche Bestimmungen über die Ausgestaltung von Mutter-Kind-Einrichtungen in der JVA finden sich nicht, so dass letztlich die konkrete Ausgestaltung der Mutter-Kind-Einrichtung dem zuständigen Land obliegt.

25

Trotz der Vorschriften des § 80 StVollzG, die, sofern keine landesgesetzlichen Regelungen erlassen sind, in allen Bundesländern weitergelten, sind offenbar nur in einigen Bundesländern Mutter-Kind-Einrichtungen vorhanden, nämlich in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen(s Junker, Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug, Eine bundesweite empirische Untersuchung zu den Rahmenbedingungen, Diss, Hannover 2010, S 288 ff); nach der Übersicht von Weßels (in Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl 2012, § 142 RdNr 3) existieren auch in Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern Mutter-Kind-Einrichtungen, wobei die Einrichtungen teilweise nur in geschlossenen, teilweise nur im offenen Strafvollzug und teilweise in beiden Vollzugsformen vorgehalten werden (Weßels, aaO). In der JVA S. wird die Mutter-Kind-Einrichtung ausschließlich im geschlossenen Vollzug betrieben (Weßels, aaO). Zudem ist der Strafvollzug in den vorhandenen Mutter-Kind-Einrichtungen unterschiedlich ausgestaltet (Junker, aaO, S 164 ff). Das gilt hinsichtlich einer mehr oder weniger strikten Anwendung der die Mütter gemäß § 41 StVollzG(s Art 12 Abs 3 GG) treffenden Arbeitspflicht bis hin zu einer unterschiedlichen Handhabung der tatsächlichen Versorgung der Kleinstkinder mit Nahrung (Junker, aaO). Hinzu kommt, dass nach einer zu § 80 StVollzG vertretenen Auffassung strafgefangene Mütter keinen Rechtsanspruch auf eine gemeinsame Unterbringung mit ihrem Kind haben(Weßels, aaO, § 80 RdNr 8 mwN; Arloth, StVollzG, 3. Aufl 2011, § 142). Schließlich ist festzustellen, dass nur in Hessen kraft Landesgesetzes die Möglichkeit der Einrichtung einer Vater-Kind-Einrichtung besteht und tatsächlich nur in Sachsen in einer JVA im offenen Vollzug drei Haftplätze für männliche Inhaftierte zur Unterbringung mit jeweils bis zu zwei Kindern zur Verfügung stehen (Junker, aaO, S 169; Weßels, aaO, § 80 RdNr 9) .

26

Der Tagesablauf von Strafgefangenen in der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA S. (geschlossener Vollzug) ist streng reglementiert. Das LSG hat hierzu festgestellt, dass das Zusammenleben in der JVA fast ausschließlich durch deren Vorgaben geprägt ist. Die Möglichkeit, auf die individuelle Tagesstruktur Einfluss zu nehmen, ist für die Gefangenen gering. Die Klägerin selbst wurde in der JVA vollständig versorgt. Die Versorgung ihres Kindes erfolgte durch den vom Jugendamt entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel, der vom Jugendamt unmittelbar an die JVA entrichtet wurde.

27

Diese von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG sind für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend. Sie sind im Übrigen bezüglich der Umstände der finanziellen Versorgung des Kindes durch das Jugendamt von der Klägerin gegenüber dem Senat bestätigt worden. Darüber hinaus stimmen sie insgesamt überein mit den Schilderungen in der Diplomarbeit von Hagmeier (Die Mutter-Kind-Einrichtung in der JVA Schwäbisch-Gmünd Möglichkeiten und Grenzen frühkindlicher Erziehung, Bildung und Betreuung, Freiburg, Januar 2006, S 133, 134).

28

Die Wirtschaftsführung war der Klägerin demnach im wesentlichen Umfang aus der Hand genommen. Demgegenüber kommt der von ihr in den Vordergrund gerückten Antragstellung gegenüber dem Jugendamt auf Leistungen der Jugendhilfe als einmaliger Handlung keine Bedeutung zu, zumal der Tagessatz von dort zur Deckung der dieser entstandenen Kosten unmittelbar an die JVA entrichtet worden ist. Ebenso wenig vermag der von der Klägerin im Revisionsverfahren erneut betonte Umstand, dass sie ihren Sohn aus ihren geringen Arbeitseinkünften sowie dem ihr gezahlten Kindergeld mit Kleidung, Windeln, Hygieneartikeln und Obst versorgt hat, eine eigene familienhafte Wirtschaftsführung durch die Klägerin zu belegen. Es handelt sich lediglich um eine ergänzende Versorgung des Kindes, die für sich genommen die Voraussetzungen einer eigenständigen Wirtschaftsführung (Haushaltsführung) der Klägerin nicht erfüllt, zumal deren eigene Versorgung vollständig durch die JVA erfolgt ist.

29

Ob in einem wie dem vom SG Berlin entschiedenen Fall (Urteil vom 21.10.2011 - S 2 EG 139/08 -) der Unterbringung der Mutter im offenen Strafvollzug nach § 10 Abs 1 StVollzG oder im gelockerten Vollzug nach § 11 StVollzG unter Berücksichtigung der dort herrschenden Bedingungen ein Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG anzunehmen wäre, ist hier nicht zu erörtern, weil sich die Klägerin im gesamten Anspruchszeitraum bei anderen Lebensverhältnissen im geschlossenen Strafvollzug befunden hat.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.