Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 2 ARs 271/18

published on 10.10.2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 2 ARs 271/18
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 ARs 271/18
2 AR 206/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
hier: Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG
Az.: 56 Ds 3311 Js 4380/17 Amtsgericht Hanau
391 Ds 56/18 Jug Amtsgericht Berlin-Tiergarten
70 AR 29/18 Amtsgericht Berlin-Wedding
264 Js 3823/18 Staatsanwaltschaft Berlin
3311 Js 4380/17 AuslG Staatsanwaltschaft Hanau
ECLI:DE:BGH:2018:101018B2ARS271.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 10. Oktober 2018 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG beschlossen:
Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Hanau – Jugendrichter – vom 1. Februar 2018 wird aufgehoben. Dieses Gericht ist für die Untersuchung und Entscheidung der Sache weiter zuständig ist.

Gründe:


1
Mit Anklage an das Amtsgericht – Jugendrichter – Hanau vom 9. Mai 2017 wird der zur Tatzeit heranwachsenden ungarischen Staatsangehörigen B. und dem aus Bangladesch stammenden H. zur Last gelegt, gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt Hanau falsche Angaben zu ihrer angeblichen ehelichen Lebensgemeinschaft gemacht zu haben, um so dem Angeschuldigten H. ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu sichern.
2
Was den weiteren Verfahrensablauf und die daraus folgende gerichtliche Zuständigkeit anbelangt, hat der Generalbundesanwalt ausgeführt: "Das Amtsgericht Hanau hat, nachdem es mit Eröffnungsbeschluss vom 9. November 2017 (Blatt 85 d. SA) die Anklage vom 9. Mai 2017 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hat, das unter anderem gegen die zur Tatzeit heranwachsende Angeklagte gerichtete Verfahren mit Beschluss vom 1. Februar 2018 (Blatt 99 d. SA) an das Amtsgericht – Jugendrichter – Berlin–Wedding abgegeben, da die Angeklagten ihren Wohnsitz am dortigen Bezirk hätten. Das Amtsgericht Berlin-Wedding hat das Verfahren mit Beschluss vom 2. Mai 2018 übernommen (Blatt 106 d. SA). Nachdem festgestellt worden war, dass die Angeklagten in der Zeit vom 12. Oktober 2017 bis 5. Mai 2018 unter wechselnden Berliner Anschriften amtlich gemeldet, jedoch tatsächlich nicht unter einer dieser Anschriften in Berlin aufhältlich waren, hat das Amtsgericht Berlin „unter Ablehnung der Übernahme des Verfahrens“ das Verfahren an das Amtsgericht Hanau zurückgegeben (Blatt 152 d. SA). Das Amtsgericht Hanau hat die Sache nunmehr gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG dem Bundesgerichtshof vorgelegt; es hält die Ablehnung der Übernahme durch das Amtsgericht Berlin Wedding/Tiergarten offensichtlich für unzulässig und unwirksam und sich daher nicht mehr für zuständig.
Die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Berlin–Wedding war gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG nicht zulässig. Danach ist Voraussetzung , dass der jugendliche oder heranwachsende Angeklagte seinen Aufenthaltsort nach Erhebung der Anklage gewechselt hat. Für die Zuständigkeit kommt es lediglich auf den faktischen Aufenthaltsort an, nicht auf den Wohnsitz oder die Meldeanschrift des Jugendlichen oder Heranwachsenden , so dass die Zuständigkeit auch dann begründet werden kann, wenn dieser ohne festen Wohnsitz an einem bestimmten Ort lebt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 2 ARs 545/06, StraFo 2007, 162; Beschluss vom 26. Juni 2014 – 2 ARs 114/14; Beschluss vom 8. September 2015 – 2 ARs 142/15, NStZ–RR 2015, 353, 354).
Die heranwachsende Angeklagte war zwar in Berlin amtlich gemeldet; es liegen aber keine Hinweise dafür vor, dass sie sich tatsächlich auch dort aufgehalten hat. Dass der Mitangeklagte – der Ehemann der Angeklagten – am 25. Mai 2018 einen in Berlin ansässigen Rechtsanwalt bevollmächtigt hat (Blatt 147 d. SA) ist kein zuverlässiger Hinweis für einen tatsächlichen Aufenthalt auch der Angeklagten in Berlin. Mit Blick darauf, dass den Angeklagten mit der Anklageschrift zur Last gelegt wird, wahrheitswidrige Angaben in Bezug auf ihre eheliche Lebensgemeinschaft gemacht zu haben (Blatt 72 d. SA) ist diese Bevollmächtigung des Mitangeklagten kein ausreichendes Indiz dafür, dass sich die Angeklagten nach Anklageerhebung gemeinsam tatsächlich in Berlin aufgehalten haben.
Der Übernahmebeschluss des Amtsgerichts Berlin–Wedding vom 2. Mai 2018 ist ohne Rechtswirkungen, nachdem das Amtsgericht Berlin Tiergarten ihn incidenter wieder aufgehoben und die Akten „unter Ablehnung der Übernahme des Verfahrens“ (Blatt 152 d. SA) an das Amtsgericht Hanau zurückgesandt hat. Eine trotz Fehlens der Voraussetzungen des § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG ergangene Übernahme hat keine bindende Wirkung für das übernehmende Gericht, sondern kann aufgehoben und die Sache dem abgebenden Gericht zurückgegeben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 1993 – 2 ARs 115/93, BGHR JGG § 42 Abs. 3 Abgabe 1; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2012 – 2 ARs 223/12; Eisenberg JGG 20. Auflage § 42 Rn. 24; Diemer/Schatz/Sonnen JGG 7. Auflage § 42 Rn. 34)."
3
Dem schließt sich der Senat an.
Schäfer Appl Zeng
Grube Schmidt
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}


(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig 1. der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,2. der Richter, in dessen
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig 1. der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,2. der Richter, in dessen
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 27.06.2012 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 ARs 223/12 2 AR 139/12 vom 27. Juni 2012 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Az.: 66 Js 394/10 Staatsanwaltschaft Bielefeld Az.: 193 Js 204/12 Staatsanwaltschaft Köln Az.: 191 Ls - 66 Js 3
published on 08.09.2015 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 A R s 1 4 2 / 1 5 2 A R 9 5 / 1 5 vom 8. September 2015 in dem Strafverfahren gegen wegen Betruges Az.: 391 Ds 38/15 jug Amtsgericht Tiergarten Az.: 2 Ds 43 Js 12118/13 jug. (2) Amtsgericht Ulm Der 2. Strafsenat des
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig

1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,
2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält,
3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.