Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2017 - 2 StR 270/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:150317B2STR270.16.0
bei uns veröffentlicht am15.03.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 270/16
vom
15. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:150317B2STR270.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 29. Januar 2016, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, Nötigung und wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, von denen zwei Monate als vollstreckt gelten. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung führt mit der Sachrüge zum Erfolg, sodass es auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

I.

3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
a) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag Ende des Jahres 2012 schlug der Angeklagte der Nebenklägerin, seiner damaligen Ehefrau, in der Ehewohnung in A. im Rahmen eines zunächst verbal geführten Streitsmit der flachen Hand ins Gesicht und riss an ihren Haaren, wodurch die Geschädigte nicht unerhebliche Schmerzen erlitt (Fall 1).
5
Anschließend zerrte der Angeklagte die Nebenklägerin, die weder eine Jacke trug noch Geld oder Wohnungsschlüssel bei sich hatte, aus der Wohnung. Er ließ sie in diese nicht mehr hinein, sodass sie die Nacht im Freien auf einem Spielplatz verbringen musste (Fall 2).
6
b) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag in den ersten beiden Monaten des Jahres 2013 näherte sich der Angeklagte in der Absicht, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, der Nebenklägerin, als diese auf einem Gebetsteppich in der Ehewohnung betete. Er zog ihr dazu ihr Gewand nach oben und ihre Shorts herunter. Den Versuch der Nebenklägerin, sich von dem Angeklagten zu entfernen, unterband dieser, indem er sie an einer Brust festhielt. Als die Nebenklägerin den Wunsch des Angeklagten zurückwies, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, ergriff er ihre Arme, drehte sie um und zog sie auf die Knie. Als sie versuchte, den Angeklagten wegzustoßen, hielt dieser sie unterhalb der Brust umklammert, um so ihren Widerstand zu brechen und dann mit seinem Penis in den After der Nebenklägerin einzudringen. Während dessen riss er an ihren Haaren, bis die Nebenklägerin schließlich keinen Widerstand mehr leistete. Der Angeklagte vollzog den Analverkehr bis zum Samenerguss. Die Nebenklägerin erlitt durch den Vorfall Verletzungen am Af- ter, die unmittelbar nach dem Vorfall sowie in den folgenden Tagen bluteten und nicht unerhebliche Schmerzen verursachten (Fall 3).
7
c) Als der Angeklagte ein bis drei Tage vor dem 5. April 2013 nachts nach Hause kam, weckte er die Nebenklägerin und forderte sie auf, mit ihm den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem die Nebenklägerin dies abgelehnt hatte, verließ er zunächst das Schlafzimmer, kam jedoch 15 bis 20 Minuten später zurück, zog der Nebenklägerin, die auf dem Bauch lag, Shorts und Slip herunter und legte sich mit seinem Oberkörper über sie, sodass sie nur noch ihre Füße bewegen konnte. Dennoch versuchte sie aufzustehen, was ihr jedoch wegen des Gewichts des Angeklagten nicht gelang. Sodann führte der Angeklagte eine brennende Zigarette jeweils einmal gegen jede Gesäßbacke der Nebenklägerin, wodurch diese Brandverletzungen erlitt. Der Angeklagte fragte sie daraufhin, warum sie nicht mit ihm schlafe, und erklärte, dass es "das nächste Mal im Gesicht" sein werde. Er erkannte dabei, dass die Nebenklägerin nicht unerhebliche Schmerzen hatte und zog sie, nachdem er ihren Widerstand überwunden hatte, auf die Knie, drang anal in sie ein und vollzog den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Sie erlitt dabei insbesondere im Analbereich Schmerzen und blutete noch etwa eine Stunde nach dem Vorfall (Fall 4).
8
d) In Eskalation eines Streites in der Ehewohnung am 5. April 2013 stieß der Angeklagte den Kopf der Nebenklägerin heftig gegen eine Wand, sodass die Geschädigte zu Boden ging. Daraufhin hielt er sie an den Haaren fest und zog ihren Kopf an der Zimmerwand entlang, wobei er sagte "ich mache Dir Dein Gesicht kaputt". Die Nebenklägerin erlitt Schürfwunden in der linken Gesichtshälfte , eine Schädelprellung sowie Prellungen beider Oberschenkel und der linken Schulter. Durch eine Nachbarin alarmierte Polizeibeamte sprachen gegen den Angeklagten daraufhin ein zehntägiges Rückkehrverbot aus (Fall 5).
9
e) Am 7. März 2013 (richtig: 7. Mai 2013) wartete der Angeklagte vor dem Frauenhaus in der G. in A. , in welches die Nebenklägerin am 3. Mai 2013 verzogen war, auf sie und forderte sie auf, als sie das Haus verließ, die Strafanzeige gegen ihn zurückzunehmen. Zugleich kündigte er ihr an, er werde ihr Gesicht und ihr Leben kaputtmachen. Schließlich schlug er ihr, als sie davon lief, mit dem Handrücken ins Gesicht (Fall 6).
10
f) Unter bewusster Missachtung einer ihm am 16. Mai 2013 zugestellten einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, die ihm u.a. untersagte , sich der Nebenklägerin weniger als 20 Meter zu nähern, ihr aufzulauern, oder ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen, fuhr der Angeklagte am 21. Mai 2013, als die Nebenklägerin das Frauenhaus verließ, mit seinem Pkw neben ihr her und rief ihr durch das geöffnete Fenster des Kraftfahrzeuges zu, dass er sie kaputtmachen und umbringen werde (Fall 7).
11
g) Als der Angeklagte am 23. August 2013 im Jobcenter in der V. in A. auf die Nebenklägerin traf, folgte er ihr bis zu einer Bushaltestelle und versuchte, mit ihr ins Gespräch zu kommen, obwohl er wusste, dass ihm dies durch die in den mündlichen Verhandlungen vom 23. Juli 2013 und 30. Juli 2013 aufrechterhaltene Anordnung vom 16. Mai 2013 untersagt war. Nachdem die Nebenklägerin ihn ignorierte, stieg er mit ihr in den Bus und folgte ihr, nachdem sie wieder ausgestiegen war, bis sie in eine Gaststätte flüchten konnte (Fall 8).
12
h) Als die Nebenklägerin einige Zeit nach dem Vorfall vom 23. August 2013 an einer Bushaltestelle in der Nähe eines Einkaufsmarktes in A. auf den Bus wartete, ging der Angeklagte auf sie zu, obwohl ihm weiterhin untersagt war, Kontakt zur Nebenklägerin aufzunehmen. Sie lief davon, der Ange- klagte folgte ihr und erklärte, er könne sie überall finden, "das erste Mal war es eine Zigarette, jetzt mache ich das mit Benzin" (Fall 9).
13
2. Von dem Vorwurf, die Geschädigte im Dezember 2012 ein weiteres Mal körperlich misshandelt und vergewaltigt und zwischen Februar und April 2013 die Nebenklägerin erneut vergewaltigt zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
14
3. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung zu den Tatvorwürfen nicht geäußert hat, maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt. Es ist dabei von deren Aussagetüchtigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage ausgegangen.

II.

15
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich allein Aufgabe des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nicht eine eigene Würdigung an die Stelle von dessen Bewertungen setzen, wenn diese Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Solche Rechtsfehler liegen aber vor, wenn die in den Urteilsgründen wiedergegebene Beweiswürdigung des Tatrichters lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder mit den Denkgesetzen nicht vereinbar ist (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 11. Februar 2016 - 3 StR 436/15 und vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149 jew. mwN), wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze stützt (Senat, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 2 StR 225/08 - juris Rn. 5) oder sie nicht den an besondere Beweiskonstellationen zu stellenden Anforderungen genügt.
16
Ein solcher Fall ist hier gegeben.
17
1. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin stützt das Landgericht an maßgeblichen Stellen auf zweifelhafte oder unklar bleibende Erfahrungssätze.
18
a) Im Rahmen der Erörterung einer möglichen Motivation für eine Falschaussage sieht es keinen Anlass, der geeignet wäre, die Nullhypothese einer intentionalen Falschaussage zu stützen. Das Ziel, ein eigenes Aufent- haltsrecht zu erlangen, soll „völlig außer Verhältnis zu den massiven Vorwürfen stehen, die aus den Angaben der Nebenklägerin folgen“, und vermag daher aus Sicht der Strafkammer die Falschbelastungshypothese nicht zu unterlegen. Begründet wird dies insbesondere mit der Erwägung, es hätte nicht der Schilderung eines derart vielschichtigen Geschehens, namentlich der Vorwürfe sexueller Gewalt, bedurft, um den Angeklagten gegenüber dem Ausländeramt zu diskreditieren. Vielmehr wäre es, wenn es der Nebenklägerin nur darum gegangen wäre, „zu erwarten gewesen, dass sie ein bis zwei Vorwürfe erhebt, aus denen sich ein wesentlich leichter reproduzierbares Tatgeschehen ergeben hätte“. Diese Überlegungen der Strafkammer gehen von einer Wertung einer möglichen Falschaussage als „völlig außer Verhältnis stehend“ aus, für die es an einem allgemeinen nachvollziehbaren Maßstab fehlt. Sie wird auch nicht durch die Erwägung getragen, es sei zu erwarten gewesen, dass im Falle einer beabsichtigten Aufenthaltserlangung durch Falschangaben lediglich ein oder zwei leichter zu reproduzierende Vorwürfe erhoben worden wären. Das Landgericht beruft sich insoweit auf einen Erfahrungssatz, für dessen Existenz es einen tragfähigen Nachweis schuldig bleibt.
19
b) Einen zweifelhaften Erfahrungssatz legt die Strafkammer auch an anderer Stelle ihrer Beweiswürdigung zugrunde. So legt sie dar, die Nebenklägerin habe im Rahmen ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung hinsichtlich der Vergewaltigung auf dem Gebetsteppich von Vaginalverkehr, in der Hauptver- handlung hingegen von analem Verkehr gesprochen. Aussagekonstanz erachtet das Landgericht ungeachtet dieses Widerspruchs gleichwohl für gegeben, weil es in einer solchen Stresssituation (lang andauernde Vernehmung der emotional stark belasteten Nebenklägerin im Beisein eines männlichen Dolmet- schers, der über die Schilderung des Eindringens „von hinten“ auf dem Gebetsteppich schockiert war) nicht ungewöhnlich sei, „wenn eine Zeugin eine genaue Zuordnung des Eindringens von hinten im Sinne von erzwungenem Vaginal- respektive Analverkehr nicht leisten“ könne.Mit dieser nicht nachvollziehbaren Überlegung kann eine Inkonstanz der Aussagen in einem wesentlichen Punkt nicht dementiert werden.
20
2. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist auch widersprüchlich.
21
Das Landgericht geht davon aus, dass die Aussage der Zeugin „leichtgradig verarmt“ ist und erklärt dies mit dem Inkadenzphänomen, dem allgemei- nen, durch Zeitablauf bedingten Erinnerungsverlust, einem Prozess motivierten Vergessens sowie der Aufregung der Zeugin im Rahmen der Vernehmung in einem Gerichtssaal. Ungeachtet dessen, dass eine verstärkte Heranziehung solch allgemeiner Grundsätze bei der Würdigung einer konkreten Zeugenaussage die Besorgnis begründen kann, der Tatrichter habe die Bedeutung des Prüfungskriteriums der „Aussagekonstanz“ missachtet (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2013 - 2 StR 206/12 - juris Rn. 18), stehen diese Ausführungen im Widerspruch zu der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, die Schilderun- gen der Nebenklägerin seien „überdies logisch konsistent und detailreich“. Wie eine „leichtgradig verarmte“ Aussage zugleich detailreich sein kann, erschließt sich dem Senat ohne nähere Erörterung nicht.
22
3. Die Beweiswürdigung genügt schließlich nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für besonders problematische Beweiskonstellationen aufgestellt hat, in denen Aussage gegen Aussage steht. Die Strafkammer setzt sich im Rahmen der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin nicht mit dem Umstand auseinander, dass sie in der Hauptverhandlung zwei Vorwürfe der sexuellen Nötigung nicht aufrechterhalten hat, so dass der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen insoweit freigesprochen wurde.
23
Insoweit lassen die Urteilsgründe eine Darstellung, warum die Zeugin die Anwendung von Gewalt in der Hauptverhandlung nicht mehr schildert, vermissen.
24
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.
25
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
26
Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Überdies empfiehlt es sich, in der Sachverhaltsdarstellung die Anordnungen des Familiengerichtes konkret darzustellen. Krehl Eschelbach Bartel Wimmer Grube

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Gewaltschutzgesetz - GewSchG | § 1 Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen


(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforde

Gewaltschutzgesetz - GewSchG | § 4 Strafvorschriften


Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer bestimmten vollstreckbaren 1. Anordnung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, zuwiderhandelt oder2. Verpflichtung aus einem
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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 436/15
vom
11. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:110216U3STR436.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Februar 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Hubert, Mayer, Gericke, Dr. Tiemann als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 8. Mai 2015 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und versuchter Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Im Übrigen hat es den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in vier Fällen und der vorsätzlichen Körperverletzung freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den Teilfreispruch sowie gegen die Verurteilung im Fall II. 3 a) der Urteilsgründe (allein) wegen versuchter Nötigung und rügt insoweit die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat zur Verurteilung des Angeklagten das Folgende festgestellt:
3
Der Angeklagte und die Nebenklägerin hatten ab Dezember 2010 eine Beziehung, die zunächst harmonisch verlief, in der es allerdings einige Wochen nach ihrem Beginn zu Spannungen und Streit kam.
4
1. Am Abend des 23. Mai 2011 kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin (wieder einmal) zu Streitigkeiten. Auf dem gemeinsamen Weg zu ihren Wohnungen fasste der Angeklagte auf der Straße vor dem Krankenhaus B. die Nebenklägerin fest am Arm und forderte sie auf, mit in seine Wohnung zu kommen, obwohl er wusste, dass sie damit nicht einverstanden war. Dabei äußerte er: "Du kommst mit zu mir!". Als der Angeklagte wegen eines Telefonanrufes abgelenkt war, flüchtete die Nebenklägerin. Der Angeklagte versuchte noch, sie mit einem Fußtritt zu Fall zu bringen, was indes nicht gelang. Die Nebenklägerin hielt ein sich näherndes Auto an und stieg in dieses ein, bevor der ihr folgende Angeklagte sie erreichen konnte. Den Versuch des Angeklagten, ebenfalls in dieses Auto einzusteigen, verhinderte der Fahrer des Fahrzeugs.
5
2. Nachdem die Nebenklägerin die Beziehung telefonisch beendet hatte, wartete der Angeklagte am 12. Februar 2012 gegen 19:30 Uhr vor ihrer Wohnung , als sie mit ihrem Auto von einem Wochenendbesuch zurückkam. Für die Nebenklägerin unerwartet stieg der Angeklagte auf der Beifahrerseite ein, verriegelte die Fahrertür und forderte sie auf, mit ihm über die Trennung zu sprechen. Nachdem beide sich darauf verständigt hatten, dies bei der Mutter des Angeklagten in A. zu tun, fuhr die Nebenklägerin los. Unterwegs öffnete der Angeklagte seine Hose und forderte die Nebenklägerin auf, ihn mit der Hand zu befriedigen. Nachdem sie dies zunächst abgelehnt hatte und der Angeklagte daraufhin immer aggressiver geworden war, kam die Nebenklägerin seinem Verlangen nach; sie unterbrach ihre Tätigkeit indes mehrfach, worauf der Angeklagte sie an den Haaren zog, um sie zum Weitermachen anzuhalten. Deshalb setzte sie die Manipulationen am Penis des Angeklagten fort.

II.


6
Darüber hinaus lag dem Angeklagten nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage im Wesentlichen das Folgende zur Last:
7
1. Zwischen Februar und April 2011 kamen der Angeklagte und die Nebenklägerin nach einem Abend in der Diskothek "M. " in H. zurück in die Wohnung der Nebenklägerin in B. . Beide legten sich zunächst ins Bett. Als der Angeschuldigte sie zu berühren begann und ihr mitteilte, dass er mit ihr schlafen wolle, lehnte die Nebenklägerin dies ab. Daraufhin begann der Angeschuldigte zu onanieren und forderte die Nebenklägerin auf, weiterzumachen und ihn oral zu befriedigen. Als die Nebenklägerin dies ablehnte, fuhr sie der Angeklagte an und sagte: "Das machst Du jetzt". Die Nebenklägerin gab aus Angst nach. Als der Angeklagte ihr mitteilte, dass die orale Stimulation aus seiner Sicht nicht ausreichend war, entgegnete diese, dass sie hierauf keine Lust habe und er sie in Ruhe lasse solle. Daraufhin packte sie der Angeklagte am Oberkörper und warf sie mit dem Rücken auf das Bett; sein Versuch in die Nebenklägerin einzudringen, misslang aufgrund heftiger Gegenwehr zunächst. Daraufhin setzte sich der Angeklagte auf den Oberkörper der Nebenklägerin, sodass er ihre Arme mit seinen Knien nach unten drückte, hielt ihren Kopf fest und drängte sein Glied in ihren Mund, sodass sie Angst hatte zu ersticken. Zwar konnte sich die Nebenklägerin danach kurzzeitig befreien, der Angeklagte zog sie jedoch zurück und vollzog dann den Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin , die sich nicht mehr wehren konnte.
8
2. Im Frühjahr 2011 gingen der Angeschuldigte und die Nebenklägerin aus der Diskothek "G. " in die Wohnung des Angeklagten in B. . Erneut war es zu einem Streit gekommen, weshalb die Nebenklägerin ihre dort befindlichen Schlafsachen aus der Wohnung nehmen und nach Hause gehen wollte. Hierzu kam es jedoch nicht, da der Angeklagte die Wohnungstür verschloss und die Nebenklägerin dazu aufforderte, mit ihm zu schlafen, was diese jedoch ablehnte. Sie sollte den Angeklagten sodann oral befriedigen, wollte dem aber nicht nachkommen, worauf der Angeklagte ihr Schläge androhte und ihr den Mund zuhielt. Die Nebenklägerin wehrte sich während des gesamten Geschehens, dem Angeklagten gelang es jedoch, sie auf das Sofa zu befördern und dort gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr an ihr auszuüben.
9
3. Nach dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab und öffnete die Wohnungstür, worauf sich die Nebenklägerin auf den Heimweg machte. Nach einiger Zeit folgte ihr der Angeklagte. Er teilte ihr mit, dass die Beziehung nun ja beendet sei und er nur noch seine Sachen abholen wolle. Die Nebenklägerin glaubte ihm. Allerdings verschloss der Angeschuldigte die Wohnung der Nebenklägerin nach der Ankunft und es kam zu einer erneuten Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte sinngemäß mitteilte, nun könne er alles mit der Nebenklägerin machen, es sei ihm egal, ob er ins Gefängnis müsse. Der Angeklagte wollte erneut Geschlechtsverkehr. Es kam zu einem Kampf in der Wohnung der Nebenklägerin, in dessen Verlauf der Angeklagte ihr ganze Haarbüschel ausriss. Letztlich vollzog der Angeschuldigte auch hier an der sich wehrenden, aber körperlich unterlegenen Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr.
10
4. Anfang Dezember 2011 wollte die Nebenklägerin die Beziehung erneut beenden. Der Angeklagte packte sie daraufhin am Arm, worauf diese schrie. Sodann schubste er die Nebenklägerin in ein Gebüsch und trat sie.
11
5. Am 12. Dezember 2011 kam es zu einem Gespräch im Beisein der Zeugen Me. und Ma. R. , in dem sich der Angeklagte reuig zeigte. Die Nebenklägerin fuhr den Angeklagten zurück nach B. ; dort gab er vor, Bekleidung in ihre Wohnung tragen zu wollen. Dort bestand der Angeschuldigte allerdings auf Geschlechtsverkehr als "Abschlussgeschenk". Die Nebenklägerin lehnte dies ab, worauf der Angeklagte die sich wehrende Nebenklägerin zum Geschlechtsverkehr zwang.
12
Von diesen Tatvorwürfen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat sich allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin nicht davon überzeugen können, dass diese zutreffen.

III.


13
Die aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft vorzunehmende Überprüfung des Urteils ergibt im Ergebnis weder zum Vorteil noch - im Fall II. 3 a) der Urteilsgründe - zum Nachteil des Angeklagten (§ 301 StPO) einen durchgreifenden Rechtsfehler.
14
1. Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe den Angeklagten im Fall II. 3 a) der Urteilsgründe auf der Grundlage der Feststellung , dass er die Nebenklägerin durch einen Fußtritt zu Fall bringen wollte, nicht auch wegen - tateinheitlich zur versuchten Nötigung begangener - versuchter Körperverletzung verurteilt, zeigt sie einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf.
15
Der Versuch einer Straftat ist die begonnene, aber nicht vollendeteTat, also die zwischen Vorbereitung und Vollendung einer vorsätzlichen Straftat liegende Handlung, die den subjektiven Tatbestand vollständig, den objektiven Tatbestand aber nur teilweise verwirklicht oder dazu unmittelbar ansetzt. Die Urteilsfeststellungen belegen dies nicht. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte noch "versuchte, die Nebenklägerin mit einem Fußtritt zu Fall zu bringen", was ihm aber nicht gelang. Nicht festgestellt hat das Landgericht jedoch, ob der Angeklagte durch diese Handlung die Nebenklägerin im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB verletzen wollte oder dies für möglich hielt und billigte.
16
2. Ein durchgreifender Verstoß gegen die sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils ist im Ergebnis nicht gegeben.
17
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst grundsätzlich diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13, juris Rn. 6 mwN). Insoweit verbietet sich indes eine schematische Betrachtung; die Entscheidung , ob ein Verstoß gegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO vorliegt, ist aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 2015 - 3 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 180).
18
Danach liegt hier ein durchgreifender Rechtsfehler nicht vor; denn jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich hinreichend, von welchen Feststellungen das Landgericht im Rahmen des Teilfreispruchs ausgegangen ist. Jedenfalls wird der Senat in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht.
19
3. Auch die Beanstandungen der dem Teilfreispruch zugrunde liegenden Beweiswürdigung bleiben ohne Erfolg.

20
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 199/15, juris Rn. 16 mwN). Daran gemessen unterliegt die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
21
b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich nicht daraus, dass das Landgericht die Angaben der Nebenklägerin nur teilweise als überzeugend angesehen hat; denn der Tatrichter ist nicht gehindert, Aussagen eines Zeugen teilweise zu glauben und teilweise nicht. Eine derartige Beweiswürdigung bedarf aber einer besonders eingehenden Begründung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332). Diesen Anforderungen werden die umfangreichen Urteilsgründe zum Teilfreispruch noch gerecht. Es wird insbesondere deutlich, dass das Landgericht den Angaben der Nebenklägerin nicht gefolgt ist, soweit diese nicht durch andere Beweismittel bestätigt worden sind. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
22
c) Soweit die Revision im Einzelnen als rechtsfehlerhaft beanstandet, dass das Landgericht zur Begründung seiner Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin anführt, es seien im Rahmen ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung kaum Emotionen erkennbar gewesen und dies als ungewöhnlich einschätzt, zieht das Tatgericht mögliche Schlüsse, die das Revisionsgericht hinzunehmen hat. Gleiches gilt für den Umstand, dass das Landgericht das Zugeben von Erinnerungslücken durch die Nebenklägerin als (gewichtiges ) Glaubwürdigkeitskriterium ansieht. Die Revision zeigt in diesem Zusammenhang insbesondere keinen revisionsrechtlich erheblichen Widerspruch auf: Die Auffassung des Landgerichts, dass das offene Einräumen von Erinnerungslücken durch die Nebenklägerin ein Indiz für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage sei, widerspricht nicht der Feststellung im Rahmen der Konstanzanalyse, dass - bei im Übrigen wenigen Ansatzpunkten für eine zuverlässige Glaubhaftigkeitsbeurteilung - die Angabe einer konkreten Erinnerungslücke nicht mit früheren Angaben übereinstimmt. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass das Landgericht bei den freigesprochenen Fällen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat. Schäfer Hubert Mayer Gericke Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 501/11
vom
14. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
14. Dezember 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte – bei der Verhandlung –,
Justizangestellte – bei der Verkündung –
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2011 wird verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der verheiratete Angeklagte seit dem Jahr 2005 ein Verhältnis mit F. Ö. . Zu Beginn des Verhältnisses lebte er noch in seiner ehelichen Wohnung. Die Beziehung zum Angeklagten wurde von F. Ö. als gut empfunden. Dies änderte sich jedoch, als der Angeklagte im Jahr 2009 A. K. kennenlernte und mit ihr ein sexuelles Verhältnis einging. F. Ö. beauftragte einen Detektiv, der den Angeklag- ten überwachen sollte. Aufgrund von dessen Erkenntnissen gelang es F. Ö. , den Angeklagten im Bett mit A. K. zu überraschen.
3
Nach einer vorübergehenden Trennung versöhnten sich beide wieder. Sein Versprechen, sich nicht mehr mit A. K. zu treffen, hielt der Angeklagte allerdings nicht ein. Wegen der Vermutung F. Ö. s, dass das Verhältnis zur neuen Freundin andauere, kam es immer wieder zum Streit zwischen beiden. Dabei wurde der Angeklagte auch handgreiflich gegen F. Ö. . Auch diese ergriff bei einer solchen Gelegenheit einmal ein Messer und verletzte den Angeklagten an der Hüfte. Im Januar 2010 kam es dann zu einem Vorfall, bei dem der Angeklagte auf F. Ö. einschlug und dabei sagte, sie solle "verrecken". Um dies zu erreichen, werde er sie "bis morgen früh festhalten". F. Ö. gelang es jedoch zu flüchten und Strafanzeige zu erstatten. Ein behördliches Annäherungsverbot missachtete der Angeklagte mehrfach. Dabei führte er u.a., wenn sie ihm das Gesicht zuwandte, seinen Zeigefinger an seinem Hals vorbei, womit er zum Ausdruck bringen wollte, dass er ihr den Hals abschneiden wolle. Außerdem schlug er mit der Handkante mehrfach schnell auf seine Handfläche, um ihr zu verdeutlichen, dass er sie zerstückeln wolle. Nachdem F. Ö. ihn deswegen angezeigt hatte und er als Beschuldigter vernommen worden war, nahm sie ihn aber auf sein Drängen hin wieder in ihrer Wohnung auf. Den gestellten Strafantrag nahm sie mit der Begründung wieder zurück, sie sei mit dem Angeklagten verlobt.
4
2. Zum Tatgeschen hat das Landgericht Folgendes festgestellt: Der Angeklagte wurde zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 22. und 26. März 2010 auf F. Ö. in deren Wohnung wütend, weil sie verlangt hatte, dass er aus ihrer Wohnung ausziehe. Er vermutete, dass sie eine Beziehung zu einem anderen Mann habe. Dies wollte er sich nicht gefallen lassen. Er bezichtigte F. Ö. der Untreue und packte sie, als sie dies bestritt, mit beiden Händen am Hals. Dann drückte er sie der Länge nach auf das Sofa, so dass sie auf dem Rücken zum liegen kam, kniete sich über sie, fixierte ihre Arme, indem er seine Knie auf ihren Oberarmen aufstützte, und drückte mit beiden Händen mindestens dreimal ihren Hals zu. Dabei legte er die Handflächen seitlich an ihren Hals und die Daumen auf ihre Halsvorderseite an den Kehlkopf. Beim dritten Mal drückte er so heftig und so lange zu, nämlich mindestens 10 bis 15 Sekunden, dass F. Ö. das Bewusstsein verlor. Als sie entgegen seiner Erwartung wieder aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte, sagte er zu ihr: "Bist Du noch immer nicht verreckt", nahm aber von ihm möglichen , weiteren tätlichen Angriffen auf F. Ö. Abstand. Während sie seinem Würgegriff ausgesetzt war, erlebte F. Ö. Schmerzen und Todesangst. Nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit musste sie sich übergeben. Danach hatte sie am Hals Druckstellen sowie zwei Tage lang Hautrötungen und litt mehrere Tage unter Schluckbeschwerden. Seitdem kann sie aus Angst nicht mehr alleine schlafen.
5
Aus Angst vor dem Angeklagten wagte sie zunächst nicht, zum Arzt zu gehen, Anzeige zu erstatten oder jemandem von dem Vorfall zu berichten. Erst am 11. April 2010 vertraute sie sich ihrer Freundin C. an und erstattete dann Strafanzeige gegen den Angeklagten, weil er ihr in der Woche vom 22. bis 26. März 2010 im Streit die Kehle zugedrückt habe, bis sie ohnmächtig geworden sei. Am Tag nach der Strafanzeige flog F. Ö. mit ihren beiden Kindern in die Türkei und kehrte erst im Juni 2010 wieder nach Deutschland zurück.
6
Der Angeklagte nahm in der Folge mit A. K. eine gemeinsame Wohnung. Nach F. Ö. s Rückkehr aus der Türkei traf er auch mit dieser bei wenigen Gelegenheiten nochmals zusammen. U.a. besuchten sie gemeinsam ein Spielkasino. Dabei wusste der Angeklagte noch nicht, dass er von F. Ö. angezeigt worden war; sie ließ sich auch nichts anmerken. Erst am 12. Juli 2010 wurde der Angeklagte angesichts einer Vorladung bei der Polizei mit dem Tatvorwurf konfrontiert.
7
3. Nachdem der Angeklagte zunächst gegenüber den Ermittlungsbehörden keine Angaben zur Sache gemacht hatte, bestritt er in der Hauptverhandlung , seine damalige Freundin F. Ö. gewürgt zu haben. Er habe sich wegen A. K. von F. Ö. getrennt, sei aber dann mit ihr wieder zusammengekommen und habe sich mit ihr verlobt. Am 11. April 2010 habe er sich dann erneut von ihr getrennt, wobei sie geweint und ihn bedroht habe. Nach zwei bis drei Monaten habe er dann Anrufe von F. Ö. erhalten, die sich wieder mit ihm versöhnen wollte, was er aber abgelehnt habe. Dann sei er überraschend von der Polizei festgenommen worden. Die Anschuldigungen von F. Ö. träfen nicht zu. Sie habe diese nur erhoben, weil er eine viel hübschere und viel intelligentere neue Freundin habe.
8
4. Demgegenüber hat F. Ö. in der Hauptverhandlung den Sachverhalt wie vom Landgericht festgestellt geschildert. Als sie den Angeklagten aufgefordert habe, aus ihrer Wohnung auszuziehen, habe er "durchgedreht" und geschrien "Du hast mich betrogen!". Er habe sich dann mit seinenKnien auf ihre Arme gesetzt und sie dreimal gewürgt, bis sie bewusstlos geworden sei. Als sie wieder zu sich gekommen sei, habe er gesagt: "Bist Du noch immer nicht verreckt". Sie habe durch das Würgen rote Druckstellen am Hals gehabt, die zwei Tage sichtbar gewesen seien. Allerdings habe sie einen Schal um den Hals getragen; die Druckstellen habe sie niemandem gezeigt.
9
Nach der Tat habe sie weiter mit dem Angeklagten in der Wohnung gelebt. Sie habe ihn auch chauffiert, da er keinen Führerschein gehabt habe. Am Tag nach der Tat habe sie zwar zum Arzt gehen wollen, der Angeklagte habe ihr dies aber verboten. Aus Angst vor dem Angeklagten sei sie auch nicht zur Polizei gegangen. Erst am 11. April 2010 habe sie den Mut gefunden, den Angeklagten zu verlassen und habe sich drei Freundinnen offenbart. Ihre Freundin C. habe sie dabei aufgefordert Strafanzeige gegen den Angeklagten zu erstatten, was sie dann auch getan habe. Nach der Anzeigeerstattung bei der Polizei sei sie für mehrere Wochen in die Türkei geflogen.
10
5. Das Landgericht hält den Angeklagten aufgrund einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise, insbesondere aufgrund der Angaben der Zeugin F. Ö. , für überführt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind, zumal sie schon in der Vergangenheit vom Angeklagten misshandelt worden war. Auch die Beobachtungen von Zeugen, welche F. Ö. am Tag der Anzeigenerstattung erlebt hatten, sprächen dafür, dass sie das Geschilderte tatsächlich erlebt habe.

II.

11
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg; sie ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch und die Nachprüfung des Urteils aufgrund der näher ausgeführten Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
12
1. Die erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. September 2011 genannten Gründen jedenfalls unbegründet. Einer Erörterung bedarf Folgendes:
13
Soweit die Revision im Rahmen einer Aufklärungsrüge die Behauptung aufstellt, das Landgericht habe die von der Zeugin F. Ö. im Ermitt- lungsverfahren gemachten Angaben in wesentlichen Teilen nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht und dadurch gegen § 244 Abs. 2 StPO verstoßen (zu den Voraussetzungen einer solchen Rüge vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 - 1 StR 506/01), trifft dies nicht zu. Vielmehr hat das Landgericht in den Urteilsgründen nach der Schilderung der Angaben der Zeugin Ö. in der Hauptverhandlung (UA S. 19 - 23) die "Aussagequalität" einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dabei hat es auch die Aussagen der Zeugin in der Hauptverhandlung mit denen bei der Anzeigeerstattung am 11. April 2010 und mit denen bei einer weiteren polizeilichen Vernehmung am 29. Juni 2010 verglichen. Hierzu hat es ausweislich der Urteilsgründe die jeweiligen Vernehmungsbeamten als Zeugen vernommen und deren Angaben in den Urteilsgründen wiedergegeben (UA S. 23 - 25). Die auf der Basis des Vergleichs der Angaben der Zeugin F. Ö. vorgenommene Wertung des Landgerichts, deren Aussage sei "von Anfang an logisch, konsistent und detailliert gewesen, (habe) Einzelheiten und psychische Vorgänge enthalten und (sei) konstant gewesen", ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision stellt es keinen "Wechsel in der Beschreibung, wie es zur Tat gekommen" ist, dar, wenn F. Ö. bei der ersten Vernehmung als Grund für die Tat lediglich angegeben hat, der Angeklagte habe ihr "im Streit" die Kehle zugedrückt, und die Eifersucht des Angeklagten als Tatmotiv erst bei späteren Vernehmungen erwähnt hat.
14
2. Auch die Sachrüge, mit der im Wesentlichen die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet wird, deckt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es ge- nügt, dass sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 - 3 StR 225/94, StV 1994, 580). Derartige Rechtsfehler werden durch die Revision nicht aufgedeckt.
16
b) Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung auch in den Blick genommen, dass für das eigentliche Tatgeschehen außer der Belastungszeugin F. Ö. keine weiteren Tatzeugen vorhanden waren und die von ihr geschilderten (UA S. 20) Druckstellen am Hals von Dritten nicht wahrgenommen worden waren (UA S. 37).
17
In einem solchen Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 - 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dies hat das Landgericht hier rechtsfehlerfrei getan.
18
aa) Das Landgericht hat die Aussage der Belastungszeugin F. Ö. "auf aussageimmanente Qualitätsmerkmale wie logische Konsistenz, quantitativen Detailreichtum, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, deliktsspezifische Aussageelemente, auf Konstanz und Motivation unter Berücksichtigung der Persönlichkeit" überprüft und hat dabei die Überzeugung gewonnen, dass ihre Angaben einem persönlichen Erleben entsprechen und deshalb glaubhaft sind.
19
Zur Überprüfung der Qualität der Aussage der F. Ö. hat das Landgericht deren Aussagen im Ermittlungsverfahren mit den Angaben in der Hauptverhandlung verglichen. Es hat dabei festgestellt, dass die Angaben von Anfang an detailreich und konstant gewesen waren. Zu keinem Zeitpunkt habe F. Ö. Angaben, die sie gegenüber dritten Personen oder gegenüber den Ermittlungsbehörden gemacht habe, korrigiert oder auch nur korrigieren wollen (UA S. 58). Den erkennbar fehlenden Belastungseifer von F. Ö. hat das Landgericht ebenso in die Gesamtwürdigung einbezogen wie die "rechtsmedizinische Plausibilität" der von ihr geschilderten Verletzungen und den Umstand, dass der Angeklagte F. Ö. bereits mehrfach verletzt und - unter Zeugen - auch mit Gesten bedroht hatte.
20
bb) Den bedeutsamen Umstand, dass objektive Spuren für das Würgen nicht gesichert werden konnten, hat das Landgericht eingehend erörtert. Es hat dabei berücksichtigt, dass F. Ö. angeben hatte, die durch das Würgen entstandenen Hautrötungen seien zwei Tage sichtbar gewesen. Um diese zu verbergen, habe sie ein Halstuch getragen. Die Tatsache, dass F. Ö. tatsächlich einen Schal getragen habe, hat deren Mutter als Zeugin bestätigt.
21
cc) Mit dem Umstand, dass F. Ö. auch anhand eines Kalenders den Zeitpunkt der Tatbegehung nicht genauer eingrenzen konnte als durch Angabe der Woche vom 22. bis 26. März 2010, hat das Landgericht ebenfalls eingehend erörtert (UA S. 43 ff.). Es hat dabei ebenso berücksichtigt, dass die Tage der F. Ö. als Hausfrau eintönig verlaufen waren, wie, dass die Vernehmungsbeamtin bei der Anzeigeerstattung nicht den Versuch unternommen hatte, sie zu einer näheren Festlegung zu veranlassen. Samstag und Sonntag konnte F. Ö. als Tattag ausschließen, weil ihre Kinder in der Schule gewesen seien.
22
dd) Die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durchF. Ö. hat das Landgericht ebenfalls erörtert und im Rahmen der Gesamtwürdigung rechtsfehlerfrei verneint. Es hat dabei nicht nur Eifersucht, sondern auch finanzielle Gründe als mögliches Falschbelastungsmotiv in den Blick genommen. Dabei hat das Landgericht auch berücksichtigt, dass F. Ö. den Angeklagten nicht nur be-, sondern auch entlastet habe, indem sie insbesondere darauf hingewiesen habe, dass der Angeklagte sie nicht habe umbringen wollen, weil er sie "doch so geliebt habe". Auch habe sie geschildert, dass der Angeklagte, "nachdem sie wieder zu sich gekommen sei, nicht mehr tätlich geworden sei, obwohl er ohne weiteres die Gelegenheit dazu gehabt hätte".
23
ee) Schließlich hat das Landgericht in die Gesamtwürdigung der für und gegen eine Tatbegehung des Angeklagten sprechenden Umstände auch einbezogen , dass der Angeklagte F. Ö. bereits im Januar 2010 geschlagen , getreten und später auch noch bedroht hatte und von F. Ö. wegen dieser Vorgänge zu Recht angezeigt worden war.
24
ff) Den Grund für den "auffälligen" (UA S. 45) Umstand, dass F. Ö. mit dem Angeklagten nach dessen "Würgeangriff" weiter in einer Wohnung zusammengelebt und ihn - weil er im Jahr 2009 seinen Führerschein verloren hatte - abends und nachts zu den Gaststätten gefahren hat, in denen der Angeklagte als Automatenaufsteller Geldspielautomaten aufgestellt hatte, hat das Landgericht ebenso wie den Grund für die späte Anzeigerstattung in ihrer Einschüchterung durch den Angeklagten gesehen (UA S. 45). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal sich die Angabe der F. Ö. , sie habe erst am 11. April 2010 den Mut gefunden, den Angeklagten anzuzei- gen, weil ihr an diesem Tag die Hilfe und Unterstützung der Familie und ihrer Freundinnen zuteil geworden sei, mit den Wahrnehmungen der Zeuginnen C. sowie F. und Ka. K. deckte (UA S. 41).
25
c) Die von der Revision behaupteten Lücken in der Beweiswürdigung liegen nicht vor.
26
aa) Den Umstand, dass F. Ö. nach der Tat und auch noch nach ihrer im unmittelbaren Anschluss an die Anzeigeerstattung am 11. April 2010 angetretenen Reise in die Türkei Angst vor dem Angeklagten hatte, hat das Landgericht gesehen (UA S. 16) und auch mit Blick auf die Frage der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben erörtert. Es hat dabei insbesondere berücksichtigt, dass F. Ö. in den Tagen nach der Tat die Möglichkeit hatte, Zeiten der Abwesenheit des Angeklagten zum Arztbesuch auszunutzen oder um eine Strafanzeige zu erstatten. Das Landgericht hat sich dabei rechtsfehlerfrei die Überzeugung gebildet, dass das zögerliche Verhalten der Zeugin auf deren Angst vor dem Angeklagten zurückzuführen war (UA S. 45). Insbesondere angesichts der vom Landgericht in den Blick genommenen Erfahrungen der ZeuginF. Ö. nach der Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen des Vorfalls im Januar 2010 (UA S. 46), ist diese Überzeugung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte F. Ö. nach jener Strafanzeige bedroht und bedrängt , bis sie ihn schließlich wieder in ihre Wohnung aufnahm und den Strafantrag zurücknahm (UA S. 12).
27
bb) Das Landgericht hat auch erörtert, dass sich F. Ö. noch nach ihrer Rückkehr aus der Türkei mit dem Angeklagten traf, obwohl sie bereits Anzeige gegen ihn erstattet hatte (UA S. 15, 56). Es musste diese Treffen auch nicht als gegen die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der Zeugin Ö. sprechenden Umstand werten. Denn nach den Feststellungen des Landgerichtswusste der Angeklagte bei diesen Treffen noch nicht, dass F. Ö. Anzeige gegen ihn erstattet hatte; sie hat ihn davon auch nicht unterrichtet. Dass die Initiative zu diesen Treffen von der Zeugin ausgegangen sei, hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr hat ihr das Landgericht geglaubt , dass sie keine Versuche unternommen hat, den Angeklagten wieder für sich zu gewinnen (UA S. 56). Diese - rechtsfehlerfreien - Erwägungen belegen auch, dass das Landgericht entgegen der Annahme der Revision bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben F. Ö. s im Blick hatte, dass diese auch nach ihrer Rückkehr aus der Türkei noch Angst vor dem Angeklagten hatte.
28
cc) Auch den Umstand, dass F. Ö. die von ihr beschriebenen und nur kurze Zeit sichtbaren (UA S. 28) Druckstellen am Hals niemandem - und damit auch nicht ihren Kindern - zeigte und im Übrigen ein Halstuch trug, hat das Landgericht ausdrücklich erörtert. Eine Aufklärungsrüge zu den Wahrnehmungen ihrer Kinder ist nicht erhoben. Mit den Angaben der Schwester der F. Ö. , sie habe keine Verletzungen am Hals ihrer Schwester gesehen, hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei auseinandergesetzt (UA S. 38).
Nack Rothfuß Hebenstreit Elf Jäger
18
Die Beweiswürdigung entspricht den Anforderungen, die in der vorliegenden Beweiskonstellation, in der der Einlassung des Angeklagten allein die Aussage der Nebenklägerin gegenübersteht, zu erfüllen sind. Das Landgericht hat ihre Angaben einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen und dabei erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung be- einflussen können, gesehen und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es genügt mit seiner hypothesengestützten Glaubhaftigkeitsprüfung den methodischen Qualitätsanforderungen, die der Bundesgerichtshof insoweit den Tatgerichten abverlangt. Dass die Strafkammer dabei vor allem im Rahmen der Prü- fung der Aussagekonstanz immer wieder (allgemein) auf „natürliche Verges- sens-, Vermengungs- und Verschmelzungsprozesse“ sowie (irreführend) auf das „Inkadenzphänomen“ abgestellthat, lässt vorliegend noch nicht besorgen, das ihr dabei die Bedeutung des Prüfungskriteriums „Aussagekonstanz“ in rechtlich bedenklicher Weise aus dem Blick geraten sein könnte.

Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer bestimmten vollstreckbaren

1.
Anordnung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, zuwiderhandelt oder
2.
Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3 dieses Gesetzes, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Satz 1 dieses Gesetzes, bestätigt worden ist.
Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt,

1.
die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2.
sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten,
3.
zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
4.
Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5.
Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen,
soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung widerrechtlich gedroht hat oder
2.
eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a)
in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder
b)
eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 40/13
vom
28. November 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen
eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das
Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei
deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung
des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden.
BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13 - OLG Oldenburg
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz
hier: Vorlegungsbeschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 21. Januar 2013
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Angeklagten am 28. November 2013 beschlossen:
Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden.

Gründe:


1
Die Vorlegungssache betrifft die Frage, ob eine nach § 1 GewSchG durch das Familiengericht erlassene Schutzanordnung das Strafgericht im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG wegen eines Verstoßes gegen diese Schutzanordnung bindet oder ob das Strafgericht die Schutzanordnung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und ihre tatbestandlichen Voraussetzungen selbst festzustellen hat.

I.


2
1. Das Amtsgericht Westerstede hatte den Angeklagten am 23. April 2012 wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je elf Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 8. August 2012 als unbegründet verworfen und dabei - soweit für vorliegende Entscheidung von Bedeutung - folgende Feststellungen getroffen:
3
Dem Angeklagten war durch einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Westerstede vom 17. August 2011, ihm zugestellt am 23. August 2011, untersagt worden, sich bis 16. August 2012 innerhalb eines Umkreises von 200 Metern um die Wohnung seiner früheren Partnerin aufzuhalten. In Kenntnis dieses Näherungsverbots begab er sich am 15. November 2011 kurzzeitig zu dem PKW seiner früheren Partnerin, der etwa zehn Meter von deren Wohnung entfernt abgestellt war.
4
2. Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hält das Rechtsmittel für begründet, weil das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zur "rechtlichen Wirksamkeit" der einstweiligen Anordnung getroffen und den dieser Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht in den Entscheidungsgründen dargestellt habe. Das Oberlandesgericht Oldenburg beabsichtigt demgegenüber, die Revision zu verwerfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Landgericht getroffenen Feststellungen reichten aus, um zu einem Schuldspruch gemäß § 4 GewSchG zu gelangen. Die Strafkammer sei zu einer inhaltlichen Überprüfung der getroffenen Anordnung nicht verpflichtet gewesen; denn § 4 GewSchG knüpfe die strafrechtliche Verfolgung allein an das Bestehen und die Vollstreckbarkeit einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Die Gründe, die im Gesetzgebungsverfahren für die Annahme einer materiellen Überprüfungspflicht der nach § 1 GewSchG getroffenen Anordnung durch die Strafgerichte geltend gemacht worden seien, überzeugten nicht mehr, nachdem derartige Anordnungen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FamFG) am 1. September 2009 nach der dortigen Verfahrensordnung ergingen, die insbesondere ein Versäumnisurteil nicht zulasse.
5
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Oldenburg durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 2. März 2006 - 3 Ss 35/06, NStZ 2007, 486), des Oberlandesgerichts Celle (Urteil vom 13. Februar 2007 - 32 Ss 2/07, NStZ 2007, 485) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Beschluss vom 29. April 2010 - 2-30/09 (REV) - 1 Ss 77/09) gehindert. Diese Gerichte hätten jeweils dahin erkannt, dass die Bestrafung gemäß § 4 GewSchG auch die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Gewaltschutzanordnung erfordere, und dementsprechend verlangt, dass der der Anordnung zugrundeliegende Sachverhalt vom Strafgericht eigenständig festzustellen sowie in den Entscheidungen darzulegen sei.
6
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: "Setzt eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG die Feststellung voraus , dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Gewaltschutzanordnung zu Recht ergangen ist?"
7
3. Der Generalbundesanwalt hat sich dem vorlegenden Oberlandesgericht Oldenburg in der Sache angeschlossen und beantragt, wie folgt zu beschließen : "Eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG setzt nicht voraus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Gewaltschutzanordnung rechtmäßig ist."

II.


8
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sind erfüllt, denn das Oberlandesgericht Oldenburg kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von den tragenden Gründen jedenfalls der Entscheidungen der Oberlandesgerichte Celle und Hamburg abzuweichen. Diese haben in jeweils entscheidungserheblicher Weise ausgesprochen, dass das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG erlassenen Anordnung selbstständig zu überprüfen sowie das Vorliegen der dortigen Tatbestandsmerkmale selbst festzustellen und diese in den Urteilsgründen darzustellen habe. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese Rechtsauffassung auch tragende Grundlage der genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gewesen ist.
9
2. Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu weit gefasst und bedarf der Präzisierung. Um die Frage, ob auch die formelle Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG ergangenen Anordnung durch das Strafgericht zu überprüfen ist, geht es dem vorlegenden Oberlandesgericht Oldenburg ersichtlich nicht; insoweit läge auch keine Abweichung zu den genannten Entscheidungen der anderen Oberlandesgerichte vor. Vielmehr kommt es hier in der Sache lediglich darauf an, ob eine Überprüfungspflicht des Strafgerichts bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung besteht und es den Sachverhalt, auf den die Anordnung nach § 1 GewSchG gestützt ist, selbst (erneut) festzustellen sowie in den Entscheidungsgründen darzulegen hat. Dies berücksichtigt, ist über folgende Rechtsfrage zu befinden: Setzt die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen ohne Bindung an die Entscheidung des Familiengerichts selbst feststellt?

III.


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Der Senat beantwortet diese Rechtsfrage im Einklang mit der dargestellten bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. etwa Freytag in MüKoErbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 GewSchG Rn. 12 [Stand: Januar 2003]; BGB/Krüger, 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1; Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1; Bergmann/Kroke, ZIS 2013, 234, 243 f.; Heghmanns in Festschrift Achenbach, 2011, S. 117, 122; Müller, FF 2002, 43, 46; Breidenstein in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 8; nicht eindeutig Heinke, GewSchG, 2012, § 4 Rn. 3; für eine vermittelnde Lösung Pollähne in Barton, Beziehungsgewalt und Verfahren, 2004, S. 133 ff.; ders., StV 2008, 143; aA Lampe jurisPR-StrafR 5/2011 Anm. 2; Woitkewitsch, StraFo 2008, 401, 402 f.; Meyer, ZStW 2003, 249, 273) wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
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1. Tathandlung nach § 4 GewSchG ist die Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte und vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Bei dieser Strafnorm handelt es sich um eine Blankettvorschrift, deren Verbotsgehalt sich aus der zugrunde liegenden Entscheidung des Familiengerichts ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 5 StR 536/06, BGHSt 51, 257, 259). Die Beantwortung der Vorlegungsfrage richtet sich deshalb nicht nach § 262 StPO. Der Blankettcharakter des § 4 GewSchG allein besagt ebenfalls noch nicht, ob der Tatbestand materiell akzessorisch zur Schutzanordnung des Familiengerichts ausgestaltet ist. Diese Frage muss vielmehr aus der Norm selbst beantwortet werden, denn es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung, die von einer Verwaltungsbehörde oder einem anderen als dem über die Strafbarkeit befindenden Gericht getroffen wurde, von der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung abhängen soll oder nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Juni 1988 - 2 BvR 1154/86 und 234/87, BVerfGE 78, 374, 381 f.; vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244, 256; vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91 und 576/91, BVerfGE 87, 399, 408 jeweils für Zuwiderhandlungen gegen eine Verwaltungsanordnung; Lampe, jurisPR-StrafR 5/2011 Anm. 2).
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2. Die historische Auslegung des § 4 GewSchG führt zu einem eindeutigen Ergebnis. Danach ist das über die Strafbarkeit befindende Gericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden. Es hat vielmehr selbst die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG festzustellen und die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung zu bewerten. Hieran hat sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts im Ergebnis nichts dadurch geändert, dass für die Anordnung nach § 1 GewSchG nunmehr die Regelungen des FamFG maßgebend sind. Die Interpretation des § 4 GewSchG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie seiner systematischen Stellung führt ebenfalls zu keinem anderen Resultat. Im Einzelnen:
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a) Der Wille des Gesetzgebers geht dahin, dass das Strafgericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden ist. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 14/5429) wird zu § 4 GewSchG ausgeführt, der Verstoß gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG solle strafbewehrt sein. Stelle sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Strafgericht heraus, dass sie nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die der Anordnung zugrunde gelegte Tat nicht begangen habe, sei der Tatbestand nicht erfüllt (BT-Drucks. 14/5429 S. 32). Hieraus folgt eindeutig, dass nicht lediglich der in dem formalen Verstoß gegen § 1 GewSchG liegende Ungehorsam gegenüber staatlichen Entscheidungen strafrechtlich geahndet werden soll. Vielmehr soll eine strafrechtliche Sanktion lediglich dann in Betracht kommen, wenn das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung einschließlich des Verhaltens, auf dem die Anordnung beruht, selbst überprüft und festgestellt hat.
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Gegen diese Konzeption hat der Bundesrat in seiner im weiteren Gesetzgebungsverfahren abgegebenen Stellungnahme Bedenken angemeldet. Er hat um Klarstellung gebeten, dass im Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nicht zu prüfen sei, ob diese rechtmäßig ergangen seien. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung begegne Bedenken im Hinblick auf die Praktikabilität der Vorschrift. Dem Anordnungsgegner , der der Auffassung sei, eine derartige Anordnung sei nicht rechtmäßig ergangen , sei es zuzumuten, gegen diese Entscheidung vor den Zivilgerichten vorzugehen. Auch werde ein Einschreiten der Polizei erschwert, wenn im Strafverfahren regelmäßig die Rechtmäßigkeit der zivilgerichtlichen Anordnung überprüft werden müsse. Es solle deshalb klar gestellt werden, dass das Strafgericht bei der Anwendung des § 4 GewSchG nicht überprüfen könne, ob die vollstreckbare gerichtliche Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG rechtmäßig ergangen sei, sondern lediglich, ob sie wirksam ergangen sei (BTDrucks. 14/5429 S. 39).
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Diese gewünschte Klarstellung hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu den Vorschlägen des Bundesrates ausdrücklich verweigert. Sie hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, Entscheidungen, die auf der Grundlage eines nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführenden Verfahrens ergangen seien, böten insbesondere in den Fällen möglicher Versäumnisurteile keine Gewähr für ihre materielle Richtigkeit. Die Auffassung, das Eingreifen der Polizei werde erschwert , greife vor dem Hintergrund der Grundsätze zur so genannten Anscheinsgefahr nicht durch.
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Dieser eindeutige Wille des Gesetzgebers ist bei der Gesetzesanwendung grundsätzlich zu respektieren, ohne dass der Senat zu beurteilen hat, ob eine andere Konzeption in der Sache vorzugswürdig gewesen wäre, insbesondere den Intentionen des Gewaltschutzgesetzes eher entsprochen hätte. Er verliert nicht deshalb wesentlich an Gewicht, weil sich das zum Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG führende Verfahren nunmehr nach dem FamFG richtet.
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aa) Zur Zeit des Inkrafttretens des Gewaltschutzgesetzes bestand eine Zweigleisigkeit des maßgeblichen Verfahrensrechts. Für Parteien, die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führten oder innerhalb von sechs Monaten vor der Antragstellung geführt hatten, war gemäß § 23a Nr. 7, § 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 8a GVG, § 621 Nr. 13 ZPO ausschließlich das Familiengericht zuständig. Insoweit verwies § 621a Abs. 1 ZPO grundsätzlich auf die Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FGG). Daher galt insoweit auch schon nach früherem Recht insbesondere der Amtsermittlungsgrundsatz , § 12 FGG. Neben der Hauptsacheentscheidung kam der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 64b Abs. 3 Satz 1 FGG in Be- tracht (Bassenge/Roth, FGG, 11. Aufl., § 64b Rn. 14). In den sonstigen Fällen handelte es sich um allgemeine Zivilsachen, die je nach Streitwert vor dem Amts- oder Landgericht zu verhandeln waren und den Bestimmungen der Zivilprozessordnung unterlagen.
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bb) Seit dem Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 sind alle Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG - unabhängig von der Wohnsituation der Beteiligten - Familiensachen (§ 111 Nr. 6, § 210 FamFG), für die das FamFG gilt. §§ 210 bis 216a FamFG enthalten besondere Vorschriften für die Verfahren in Gewaltschutzsachen, die neben den bzw. anstelle der allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 110 FamFG) Anwendung finden. Danach unterliegt das Verfahren der Amtsermittlung, § 26 FamFG. Die Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme steht im pflichtgemäßen, durch § 30 Abs. 3 FamFG gelenkten Ermessen des Gerichts, § 30 Abs. 1 FamFG; dasselbe gilt für die Durchführung einer mündlichen Erörterung, § 32 FamFG. Die Beteiligten sind jedoch, soweit dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs erforderlich ist, persönlich, d.h. mündlich (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 34 Rn. 20) anzuhören, § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG.
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Anders als nach früherem Recht ist das für Anordnungen nach § 1 GewSchG besonders bedeutsame Verfahren der einstweiligen Anordnung selbstständig und nicht von der gleichzeitigen Einleitung eines Hauptsacheverfahrens abhängig, § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Nach § 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll in Gewaltschutzsachen ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG in der Regel vorliegen, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder auf Grund konkreter Umstände mit ihrer Begehung zu rechnen ist. Es gelten die für die entsprechende Hauptsache maßgeblichen Verfahrensvorschriften, wenn nicht die Besonderhei- ten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergeben, § 51 Abs. 2 Satz 1 FamFG. So genügt die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für die Anordnung , § 51 Abs. 1 Satz 2, § 31 FamFG. Ein Rechtsmittel gegen eine einstweilige Anordnung ist gemäß § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG nur gegeben, wenn die Entscheidung aufgrund mündlicher Erörterung (§ 32 FamFG) ergangen ist. Im Übrigen stehen lediglich die Rechtsbehelfe der §§ 52 (Antrag auf Einleitung des Hauptsacheverfahrens), 54 Abs. 1 (Antrag auf Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung) oder Abs. 2 (Antrag auf Neubescheidung nach mündlicher Verhandlung , richtig: mündlicher Erörterung) zur Verfügung.
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cc) Der Vergleich dieser jeweiligen Regelungsgefüge ergibt, dass in den Fällen, in denen aufgrund des gemeinsamen Hausstandes der Antragsgegner zunächst das FGG anwendbar war, mit Blick auf die hiesige Fragestellung eine substantielle Änderung des Verfahrensrechts nicht eingetreten ist. Insbesondere galt insoweit auch bereits vor Inkrafttreten des FamFG der Amtsermittlungs-, nicht aber der Beibringungsgrundsatz.
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Nach dieser Prozessmaxime richtete sich allerdings, soweit die Parteien keinen gemeinsamen Hausstand hatten, das in diesen Fällen geltende Verfahren nach der Zivilprozessordnung. Insoweit waren auch echte Säumnisentscheidungen möglich, d.h. solche, die gegen eine säumige Partei aufgrund deren Säumnis ergingen. Dies bedeutete allerdings nicht, dass in diesen Fällen in der Sache keine richterliche Prüfung geboten war. Vielmehr setzte der Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG die vom Gericht zu bewertende Schlüssigkeit des Vorbringens des Antragstellers voraus. Das Gericht war demnach auch in den Fällen der Säumnis des Antragsgegners verpflichtet zu prüfen, ob das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers, seine Richtigkeit unterstellt , die rechtlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG erfüllt. Aufgrund des nunmehr geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes ist insoweit eine Änderung eingetreten, als das Familiengericht nunmehr über den Vortrag des Antragstellers hinaus eigene Sachverhaltsermittlungen anstellen kann; eine reine Säumnisentscheidung ist damit - auch im Verfahren über eine einstweilige Anordnung - ausgeschlossen (§ 51 Abs. 2 Satz 3 FamFG). Nach wie vor kommt jedoch dem Sachvortrag des Antragstellers eine herausragende Bedeutung zu. Auch sind immer noch Entscheidungen möglich, die ergehen, ohne dassdas Vorbringen des Antragsgegners Berücksichtigung findet. Dies gilt insbesondere im einstweiligen Anordnungsverfahren, bei dem allein auf der Grundlage der Antragsbegründung und Glaubhaftmachung durch den Antragsteller in vom Gericht als besonders eilbedürftig bewerteten Fällen eine Entscheidung ohne jedes rechtliche Gehör des Antragsgegners in Betracht kommt, wenn andernfalls der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könnte (Keidel/Giers, FamFG, 17. Aufl., § 51 Rn. 14, 16). Derartige Fallkonstellationen liegen gerade in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz nicht fern, insbesondere wenn schon aufgrund der Benachrichtigung des Antragsgegners von dem Antrag weitere Handlungen gegenüber dem Antragsteller zu besorgen sind.
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b) Der Wortlaut des § 4 GewSchG steht dem dargelegten Willen des Gesetzgebers nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit nicht genutzt , durch Verwendung des Attributs "rechtmäßig" im Gesetzestext von vorneherein jeden Zweifel auszuräumen, und stattdessen dort lediglich die Zusätze "bestimmt" und "vollstreckbar" aufgenommen. Die ausdrückliche Erwähnung der notwendigen Bestimmtheit der Anordnung schließt eine darüber hinausgehende Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch das Strafgericht allerdings nicht aus. Dies zeigt etwa der Vergleich zu dem nach § 145a StGB strafbaren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Auch dort spricht der Gesetzestext nur von einer "bestimmten" Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeich- neten Art. Es entspricht indes einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 - 3 StR 486/12, BGHSt 58, 136) und Literatur (vgl. etwa Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 145a Rn. 2; MüKoStGB/Groß, 2. Aufl., § 145a Rn. 10), dass auch eine aus anderen Gründen rechtsfehlerhafte Weisung - wenn sie etwa unzulässig oder ihre Erfüllung für den Verurteilten unzumutbar (§ 68b Abs. 3 StGB) ist, - die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen kann. Auch dort ist demnach eine über die Bestimmtheit hinausgehende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Weisung durch das erkennende Strafgericht erforderlich, obwohl die der Strafbarkeit zugrunde liegende Weisung von einem Richter erlassen worden ist. Soweit in § 4 GewSchG die Vollstreckbarkeit der Anordnung ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen ist, bleibt dies ebenfalls ohne signifikante Aussagekraft. So wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einerseits das Erfordernis der Vollziehbarkeit in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG (BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244, 256) oder § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1987 - 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329, 346) zwar als Einschränkung der Überprüfungspflicht verstanden. Demgegenüber wird andererseits im Rahmen der Strafbarkeit wegen Teilnahme an einer Versammlung trotz vollziehbaren Verbots nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung der Verwaltungsentscheidung durch die Strafgerichte verlangt (BVerfG, Beschlüsse vom 12. März 1998 - 1 BvR 2165/96 und 2168/96, juris Rn. 13; vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91 und 576/91, NStZ 1993, 190, 191). Danach kann den hier verwendeten Begriffen der Bestimmtheit und Vollziehbarkeit keine letztlich maßgebende Relevanz zugemessen werden.
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c) Auch eine Orientierung an Sinn und Zweck der Norm lässt eine eindeutige Antwort nicht zu. Die Strafbewehrung eines Verstoßes gegen eine An- ordnung nach § 1 GewSchG in § 4 GewSchG soll einerseits dazu dienen, im Interesse der Opfer die Effektivität der gerichtlichen Schutzanordnung zu verbessern (BT-Drucks. 14/5429 S. 21). Diese Effektivität wird beeinträchtigt, wenn über denselben Sachverhalt in verschiedenen gerichtlichen Verfahren mehrfach Beweis zu erheben ist. Indes belegen die Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber diesen Gesichtspunkt im Blick hatte. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sowohl eine Anordnung nach § 1 GewSchG als auch eine Verurteilung nach § 4 GewSchG in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen nach Art. 2 Abs. 1 GG und damit eines Grundrechts von hohem Rang eingreifen. Ist die Anordnung nach § 1 GewSchG materiell rechtswidrig , weil beispielsweise die ihr zugrunde gelegte Anlasstat gar nicht stattgefunden hatte oder weil die Anordnung über das zur Gefahrenabwehr Erforderliche hinaus geht, so ist schon dieser Eingriff nicht zum Rechtsgüterschutz des Antragstellers geboten (vgl. Heghmanns, in Festschrift Achenbach, 2011, S. 117, 122). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass eine hierüber noch hinausgehende Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion als der schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Reaktion auf menschliches Fehlverhalten nach rechtsstaatlichen Maßstäben möglichst nur dann verhängt werden sollte, wenn so weit wie möglich sichergestellt ist, dass der Täter das durch die Strafnorm letztlich geschützte Rechtsgut tatsächlich und nicht nur formal beeinträchtigt hat.
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d) Die systematische Auslegung der Norm führt ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Soweit in diesem Zusammenhang auf die Vergleichbarkeit zu den Fällen der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände abgestellt und daraus eine Bindungswirkung abgeleitet wird (vgl. Lampe, jurisPR-StrafR Anm. 2, 5/2011 C. 4.), gerät aus dem Blick, dass nach den Vorgaben des Bun- desverfassungsgerichts die Frage der Akzessorietät in jedem Einzelfall anhand der jeweiligen konkreten Strafnorm zu bestimmen ist. Aus systematischer Sicht spricht eher für eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung, dass es sich bei den Sachverhalten , die als Voraussetzung für den Erlass einer Schutzanordnung in Betracht kommen, überwiegend umStraftaten (§§ 123, 223, 239, 240, 241 StGB) handelt, auch wenn die materiellrechtliche Grundlage der Anordnung in § 823 Abs. 1, § 1004 BGB liegt. Wird ein solcher Sachverhalt, auf den der Erlass einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1 GewSchG gestützt wurde, zugleich Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, so erscheint es widersprüchlich , dass das Strafgericht bei der Beurteilung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG an die bloße Existenz der Schutzanordnung gebunden sein soll, wenn das Ermittlungsverfahren wegen der Anlasstat selbst - etwa aus tatsächlichen Gründen - nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen worden ist (vgl. Pollähne, in Barton Beziehungsgewalt und Verfahren 2004, S. 133, 149). Andererseits ist zwar nicht zu verkennen, dass bei einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung nach § 1 GewSchG durch das Strafgericht dieses de facto - auch - als Kontrollorgan für Entscheidungen der Familiengerichte fungiert (kritisch deshalb etwa Lampe, aaO; Müller , FF 2002, 43, 46 Fn 24). Allerdings belegt etwa die Regelung des § 262 StPO, dass es nicht generell als systemfremd zu bewerten ist, wenn Strafgerichte Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten eigenständig bewerten.
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e) Nach alldem bleibt die historische Auslegung des § 4 GewSchG für die Entscheidung der Vorlegungsfrage ausschlaggebend.
Becker RiBGH Pfister befindet Schäfer sich in Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Gericke