Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15

bei uns veröffentlicht am21.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 8 4 / 1 5
vom
21. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 4. November 2014 wird verworfen; jedoch wird das Urteil dahin klargestellt, dass neben der Waffe Anschütz Modell 1361, Kaliber 22 long rifle, Seriennummer 668969, die sichergestellte Munition (20 Schuss Munition Kaliber 22 in gelbem Stoffbeutel ) eingezogen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe und von Munition zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Sie führt lediglich zur Präzisierung der Einziehungsentscheidung.
2
Die Nachprüfung des Urteils hat auch unter Berücksichtigung der Revisionsangriffe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur Folgendes:
3
1. Das Landgericht hat für seine Überzeugung vom bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten auf die hochgefährliche Tatbegehung (Abgabe des Schusses aus dem Kleinkalibergewehr in die Brust des Opfers aus einer Entfernung von zwei Metern) vor dem Hintergrund langjähriger Feindschaft zwischen den beiden Männern abgehoben. Die generellen Hemmungen gegenüber der Tötung eines anderen Menschen hat es dabei als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend bedacht. Weitere vorsatzkritische Elemente musste das Landgericht bei dieser Sachlage nicht erörtern. Den Notruf bei der Telefonnummer 112 (zur Bedeutung von Lebensrettungsaktivitäten unmittelbar nach Tatbegehung vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, NStZ 2007, 331) setzte der Angeklagte nach der Tat nur auf Aufforderung des zu Hilfe geeilten Nachbarn ab. Die Tatbegehung trotz Anwesenheit zahlreicher anderer Personen in der Nähe des Tatorts (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604) war hier angesichts der zahlreichen verbalen, körperlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen im Verlauf der letzten Jahre, die in der Kleingartenkolonie bekannt waren und zu einer Lagerbildung für bzw. gegen den Angeklagten und das Opfer geführt hatten (UA S. 9), nicht ausdrücklich zu erörtern. Ohnehin ist der Aussagegehalt dieses Tatumstandes für die Differenzierung zwischen Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz nur gering (vgl. MüKoStGB/Schneider, 2. Aufl., § 212 Rn. 58).
4
2. Der Ausschluss der Notwehrrechtfertigung hält im Ergebnis ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
5
Nach den Feststellungen des Landgerichts drückte das spätere Opfer mit einer zwei Meter langen Holzlatte den Gartenzaun herunter, betrat das Grundstück des Angeklagten, schlug auf zwei Rasenmäher ein und beschädigte dabei einen von ihnen. Dabei zerbrach die Latte in mehrere Stücke. Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass dieser Angriff des Nachbarn auf das Hausrecht und das Eigentum des Angeklagten den unmittelbaren Gebrauch der Schusswaffe unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung nicht hätte rechtfertigen können.
6
Ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Leben oder die Gesundheit des Angeklagten war zur Überzeugung des Landgerichts objektiv nicht gegeben. Danach rief der Nachbar, als er gewahr wurde, dass der Angeklagte mit dem Gewehr im Anschlag auf ihn zugetreten war und zum Verlassen seines Grundstücks aufgefordert hatte, einen anderen Kleingartenbesitzer um Hilfe und erhob den in seiner Hand verbliebenen etwa 46 cm langen Holzstummel lediglich zu dem Zweck, einen Angriff des Angeklagten abzuwehren (UA S. 39).
7
Das Schwurgericht hat allerdings nicht festgestellt, welche Vorstellung der Angeklagte in dieser Situation vom weiteren Verhalten seines Nachbarn hatte, und deshalb nicht ausdrücklich geprüft, ob sich der Angeklagte in der irrtümlichen Annahme einer Notwehrlage (Putativnotwehr) befand. Das gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, da bei der irrigen Annahme eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Täter nicht mehr tun darf als der in wirklicher Notwehr Handelnde (BGH, Urteil vom 12. März 1987 - 4 StR 2/87, BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2), und das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt hat, dass selbst im Falle eines Angriffs der Schuss in die Brust mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Das Schwurgericht ist dabei von den Grundsätzen ausgegangen, die die Recht- sprechung für die Grenzen der Notwehr unter Benutzung einer Schusswaffe aufgestellt hat. Danach darf der Angegriffene grundsätzlich das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt; dem lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe sind gleichwohl Grenzen gesetzt. Er ist zwar nicht von vornherein unzulässig, kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen. Reicht dies nicht aus, so muss er, wenn möglich, vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen. In Frage kommen ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen, also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (vgl. BGH aaO mwN). Dabei wird der Rahmen der erforderlichen Verteidigung durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 - 3 StR 628/93, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 11 mwN). Angesichts der "konkreten Kampflage" - der Nachbar hatte lediglich noch einen Holzstummel in der Hand; der Angeklagte (sieben Jahre jünger und von kräftiger Statur) hatte sein Gewehr in Vorhalte; mit dem Gewehr konnte zwar nur ein Schuss abgegeben werden; der geringe Abstand zwischen den Kontrahenten ermöglichte indes einen sicheren Schuss auf weniger gefährliche Körperregionen - ist die Würdigung des Landgerichts , der Angeklagte habe nicht sofort auf die Brust des Opfers schießen dürfen, ohne Rechtsfehler.
Becker Pfister RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Gericke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Jan. 2007 - 4 StR 489/06

bei uns veröffentlicht am 18.01.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES 4 StR 489/06 URTEIL vom 18. Januar 2007 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Januar 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitz

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Apr. 2003 - 2 StR 52/03

bei uns veröffentlicht am 23.04.2003

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2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 3 StR 84/15.

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 370/16 vom 13. September 2016 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
4 StR 489/06 URTEIL
vom
18. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Januar
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Staatsanwalt Dr.
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Januar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; ferner hat es im Adhäsionsverfahren den Erben des Tatopfers dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Angeklagten zuerkannt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
Opfer des Tötungsgeschehens war der zur Tatzeit 20-jährige Maik M., Sohn der Cornelia M., mit der der Angeklagte seit Anfang Mai 2005 eine Beziehung eingegangen war. Am Tattage, den der Angeklagte, Maik M. und dessen Mutter weitgehend gemeinsam verbrachten, kam es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Maik M. und seiner Mutter, in die der Ange- klagte zunächst beschwichtigend eingriff. Im Verlauf eines dieser Streitgespräche zog Maik M. einen metallenen Teleskopstab heraus und drohte damit "wer etwas wolle, könne kommen". Die Streitigkeiten zwischen Maik M. und seiner Mutter setzten sich auch am Abend in deren Wohnung fort. Dabei griff Maik M. seine Mutter nunmehr auch tätlich an, worauf der Angeklagte ihn zur Seite stieß. Darauf begannen sich Maik M. und der ihm körperlich weit unterlegene Angeklagte, die inzwischen am Esstisch im Wohnzimmer Platz genommen hatten , miteinander zu streiten, wobei Maik M. mehrfach aus dem Sitzen heraus mit der Hand oder Faust in Richtung des Angeklagten schlug, der jedoch jedes Mal ausweichen konnte. Nunmehr drohte der Angeklagte, der ein Springmesser mit 8,5 cm langer Klinge bei sich führte, dem späteren Tatopfer damit, er werde ihm "wenn er nicht aufhöre, ein Messer in den Kopf hauen". Aus Zorn über das Verhalten des Maik M. ihm und dessen Mutter gegenüber versetzte der Angeklagte dem Geschädigten mit dem Messer einen wuchtigen Stich in dessen linke obere Brust, wobei er das Messer von oben nach unten führte und es zunächst stecken ließ. Maik M. erlitt infolge des Stichs eine Lungenverletzung und eine Öffnung der Intercostalarterie, was zu einem raschen und erheblichen Blutverlust in die Brusthöhle hinein führte; er wurde "fast unmittelbar aktionsunfähig" und ging zu Boden. Möglicherweise stützte ihn dabei der Angeklagte, den sein Handeln im Zorn sofort reute und der deshalb versuchte, den Blutaustritt durch Aufdrücken eines Handtuchs zu stillen. Die über Notruf benachrichtigte Polizei sowie Rettungsdienst und Notarzt trafen den Angeklagten kniend neben dem Opfer an. Die ihm tatzeitnah entnommene Blutprobe ergab für den Tatzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,10 ‰. Nach Einschätzung der Tatortbeamten als auch des Arztes bei der Blutentnahme erschien der Angeklagte zwar alkoholisiert, wies aber keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen auf.
4
Maik M. wurde alsbald nach der Tat in eine Klinik überführt und dort notfallmäßig versorgt. Trotz zweier Operationen verstarb er am Vormittag des folgenden Tages aufgrund eines durch die Stichverletzung verursachten verblutungsschockbedingten Multiorganversagens.
5
2. Ohne Rechtsfehler hat die Schwurgerichtskammer eine Notwehrrechtfertigung (§ 32 StGB) ebenso wie die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage durch den Angeklagten (Putativnotwehr) ausgeschlossen. Gleichwohl hat die Verurteilung wegen Totschlags keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz bejaht hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält.
6
Der Angeklagte hat einen Tötungsvorsatz bestritten; er habe gar nicht stechen wollen, vielmehr sei „das passiert“, als sich Maik M. am Tisch zu ihm vorgebeugt habe (UA 21). Diese Einlassung hält das Schwurgericht zur inneren Tatseite für widerlegt. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht nur in dem Bewusstsein gehandelt, Maik M. könne sterben, sondern ihm sei dies "mindestens gleichgültig" gewesen (UA 28), setzt sich indes nur unzureichend mit den Besonderheiten dieses Falles auseinander. Zwar liegt es bei besonders gefährlichen Verhaltensweisen wie einem - zumal mit erheblicher Wucht - geführten Stich in die Brustgegend, nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dies, wenn er gleichwohl von der Tat nicht Abstand nimmt, auch billigend in Kauf nimmt. Anders liegt es aber dann, wenn sich aus dem Tatablauf und der Person des Täters besondere Umstände ergeben, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob der Angeklagte tatsächlich die Gefahr des Todeseintritts erkannt und den Tod des Opfers im Sinne billigender Inkaufnahme hingenommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2003, 603; 2006, 169). Solche Besonderheiten, die näherer Erörterung bedurften, liegen hier vor.
7
Insbesondere stellt es einen durchgreifenden Rechtsmangel dar, dass das Landgericht dem Angeklagten zwar im Rahmen der Strafzumessung zugute hält, dass ihn die Tat unmittelbar reute und er sich darum bemüht hat, seinem Opfer durch Stillung der Blutung zu helfen, es dieses Nachtatverhalten aber nicht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes erörtert. Dieses Nachtatverhalten , durch das sich der Angeklagte im unmittelbaren Anschluss an den Messerstich bemühte, Maik M. zu retten, konnte schon für sich Zweifel daran begründen , dass der Angeklagte bei der Tat dessen Tod erkannt und billigend hingenommen hat (BGH NStZ 2006, 169; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11). Gegen die Annahme des Schwurgerichts, dem Angeklagten sei der Tod des Maik M. „mindestens gleichgültig“ gewesen, kann zudem auch die Reaktion des Angeklagten bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung am Tag nach der Tat deuten; auf die Mitteilung, Maik M. sei verstorben, stammelte er, er sei kein Mörder, und brach in Tränen aus, worauf die Vernehmung abgebrochen werden musste. Zwar kann ein solches Nachtatverhalten immer auch bloßer Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will. Abgesehen davon, dass das Schwurgericht darauf bei der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite aber nicht abgestellt hat, bedürfte eine solche Annahme sorgfältiger Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes, an der es hier gerade fehlt.
8
Hinzu kommt, dass der Angeklagte infolge seiner hochgradigen Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB „sicher“ erheblich vermindert war und er in diesem Zustand durch das Verhalten des Maik M. zum Zorn gereizt im Sinne des § 213 1. Alt. StGB auf der Stelle zu der Tat hingerissen wurde (UA 33). Schon die damit vom Schwurgericht selbst angenommene tatauslösende affektive Erregung des Angeklagten konnte auch Einfluss auf dessen Vorstellungsbild über die möglichen Folgen seines Tuns, zumindest a- ber auf das Billigungselement des Vorsatzes gewinnen (vgl. BGH NStZ 2006, 169). Auch damit setzt sich das Landgericht nicht auseinander.
9
Jedenfalls in ihrer Gesamtheit können die aufgezeigten Umstände dafür sprechen, dass der Angeklagte zwar eine Gefährdung des Maik M. in sein Bewußtsein aufgenommen, nicht aber eine mögliche Todesfolge erkannt und in seinen Willen aufgenommen hatte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter

11).

10
3. Die Verurteilung wegen Totschlags kann nach alledem keinen Bestand haben. Über die Sache ist deshalb insgesamt – auch hinsichtlich des Adhäsionsanspruchs – neu zu verhandeln und entscheiden. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 52/03
vom
23. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. April 2003 beschlossen:
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. November 2002 wird dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist – Erfolg. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Zeuge R. verkaufte für den Angeklagten auf dem W. Platz in T. dem späteren Tatopfer I. ein Heroin-Bobble für 10 Euro. I. konsumierte das Bobble und rekla-
mierte, daß es zu klein gewesen sei. Der Angeklagte lehnte eine Geldrückzahlung ab. Zwischen dem Angeklagten und I. begann ein gegenseitiges Geschubse, das durch einen Faustschlag I. zu einer Schlägerei eskalierte. Der körperlich unterlegene Angeklagte ging zweimal zu Boden und blutete aufgrund eines herausgerissenen Ohrrings. Als I. auf den am Boden liegenden Angeklagten eintrat, schubste ihn R. weg und drängte ihn in Richtung eines Blumenkübels, in den beide hineinfielen. Nachdem ein anderer R. und I. aus dem Blumenkübel herausgezogen hatte, schlug I. auf R. ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 9,5 cm und einer Klingenbreite von 2,5 cm aus der Hosentasche gezogen, es aufgeklappt und stach I. in den linken oberen Brustkorb, wobei er den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm. I. brach wenige Meter vom Blumenkübel entfernt zusammen und starb infolge inneren Verblutens. 2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Ausführungen des Landgerichts genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewußte Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Ob dies im Einzelfall zutrifft, bedarf jedoch im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten , in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, daß auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Die Würdigung hierzu muß sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Angeklagten auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
b) Hier enthält das Urteil schon keine tragfähig belegten Angaben dazu, ob der Angeklagte die Gefährlichkeit des Messerstichs in den linken oberen Brustkorb erkannt und den Tötungserfolg als möglich vorausgesehen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht auch die billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts nicht begründet und sich nicht mit den festgestellten Tatumständen auseinandergesetzt, die möglicherweise dagegen sprechen könnten. Nach den Urteilsgründen (UA S. 22) hat der Angeklagte aus Wut über die ihm zugefügten Mißhandlungen zum Messer gegriffen und I. den tödlichen Stich versetzt, also spontan und in affektiver Erregung gehandelt. Was er sich in dem Moment vorgestellt hat, ist nicht festgestellt, das Urteil enthält lediglich die
Angabe, daß der Angeklagte bei der Tathandlung den – später eingetretenen – Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm (UA S. 10). Hinzukommt, daß das Geschehen vor zahlreichen Zeugen stattfand; der Angeklagte mußte danach mit seiner Überführung als Täter rechnen. Dies könnte dafür sprechen, daß der Angeklagte zwar die Gefährdung I. , nicht aber auch dessen Tod in sein Bewußtsein und seinen Willen aufgenommen hatte. Möglicherweise war für die innere Tatseite beim Angeklagten auch von Bedeutung, daß objektiv eine Nothilfelage zugunsten des Zeugen R. bestand. Auch hiermit setzt sich das Urteil in Bezug auf die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tatausführung nicht auseinander. VRiinBGH Dr. Rissing-van Saan, Bode RiBGH Dr. h.c. Detter und RiBGH Prof. Dr. Fischer sind durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode Roggenbuck

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.