Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2017 - 2 StR 188/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:130917U2STR188.17.0
bei uns veröffentlicht am13.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 188/17
vom
13. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unterlassener Hilfeleistung
ECLI:DE:BGH:2017:130917U2STR188.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. September 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Zeng, Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 19. Dezember 2016 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils aufgrund einer Revision des Angeklagten hat es diesen nunmehr wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen der Angeklagte und der Geschädigte, die beide in ihrer Freizeit der Jagd nachgingen, in den frühen Abendstunden des 23. Oktober 2012 auf einem Feldweg aufeinander. Der Angeklagte, der sich in einer depressiven Phase befand und alkoholisiert war, saß, nachdem er in suizidaler Absicht unter Mitführung einer mit sieben Patronen geladenen halbautomatischen Pistole Kal. 9 mm in den Wald gegangen war, auf einem Feldweg und schlief, was den später getöteten H. , der gerade von der Jagd zurückkam, an der Weiterfahrt hinderte. Dieser weckte den Angeklagten mit einem Tritt und forderte ihn mit unfreundlichen Worten auf, sich zu entfernen. Der darüber verärgerte Angeklagte trat daraufhin dem Geschädigten in das Gesäß und beschimpfte ihn. H. , nun seinerseits erbost, rief „Na warte du mal“ und schickte sich an, seine auf der Rücksitzbank liegende Jagdflinte aus dem Inneren des Fahrzeugs zu holen. Die Flinte war zwar nicht geladen, konnte aber vom Geschädigten durch Einlegen der von ihm in seiner Jackentasche mitgeführten Munition jederzeit in einen schussbereiten Zustand gebracht werden.
3
Der Angeklagte, der Angst vor einem Angriff hatte, folgte H. und sprühte ihm aus einer Entfernung von etwa einem Meter Pfefferspray ins Gesicht. Dieser zeigte sich jedoch unbeeindruckt, ergriff die Jagdflinte und drehte sich – das Gewehr in Hüfthöhe haltend – in Richtung des Angeklagten. Aus Angst vor einem Angriff schoss der Angeklagte nun zwei Mal aus einer Entfernung von etwa vier Metern in Richtung des Geschädigten, wobei er ihn mit einem Schuss am Oberarm traf. H. hantierte gleichwohl weiter an seiner doppelläufigen Flinte, um sie zu laden und schussbereit zu machen. Der Angeklagte gab nunmehr einen Warnschuss in die Luft ab, ohne dass der Geschädigte hierauf eine Reaktion zeigte. Er war nun „kurz vor dem Durchdre- hen“ und wusste nicht mehr, was er noch machen sollte. Da er befürchtete, dass es dem weiter an der Flinte hantierenden H. alsbald gelänge, die Waffe zu laden und schussfertig zu machen, gab er nunmehr einen gezielten Schuss auf den Oberkörper des Geschädigten ab. Obwohl in der Brust getroffen , zeigte sich dieser immer noch unbeeindruckt, weshalb der Angeklagte auch noch in dessen Bein schoss. Nunmehr hielt H. infolge der Trefferwirkung inne und ließ das Gewehr sinken. Der Angeklagte, der erkannte, dass der Geschädigte infolge der Schüsse handlungsunfähig war, nahm diesem das Gewehr ab und entfernte sich, ohne Hilfe zu leisten oder Hilfskräfte zu verständigen. H. verstarb an den Folgen der Rumpfverletzung; bei zeitnaher medizinischer Versorgung hätte er gerettet werden können.
4
Sachverständig beraten ist das Landgericht zum Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt uneingeschränkt schuldfähig war.
5
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als unterlassene Hilfeleistung gewürdigt. Es ist davon ausgegangen, dass die Schussabgabe durch den Angeklagten wegen Notwehr gerechtfertigt, insbesondere die in einer Notwehrlage vorgenommene Notwehrhandlung auch erforderlich gewesen sei. Im Übrigen habe der Angeklagte auch nach § 33 StGB schuldlos gehandelt, da er „vor der Abgabe des letztlich tödlichen Rumpfschusses der Situation nicht mehr psychisch gewachsen“ gewesen sei.

II.

6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
7
Die Verurteilung des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Erwägungen des Landgerichts, dass sich der Angeklagte keines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts schuldig gemacht habe, halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
1. Die Annahme der Strafkammer, dass bei sämtlichen Schüssen eine Notwehrlage vorgelegen habe, ist frei von Rechtsfehlern.
9
a) Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn das Verhalten des Angreifers unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben einer Abwehrhandlung entweder deren Erfolg in Frage gestellt wäre oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1; Urteil vom 31. Januar 2007 – 5 StR 404/06, BeckRS 2007, 03210 Rn. 16). Der Angriff beginnt, wenn der Angreifer unmittelbar zu diesem ansetzt, also mit einem Verhalten, das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll; bei einem vorsätzlichen Angriff ist dies die Handlung, die dem Versuchsbeginn unmittelbar vorgelagert ist (Schönke/Schröder/Perron, StGB, 29. Aufl., § 32 Rn. 14 mwN). Entscheidend für die Beurteilung ist dabei die objektive Sachlage, nicht die Befürchtungen des Angegriffenen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2017 – 1 StR 486/16, juris Rn. 28 mwN).
10
b) Nach diesen Grundsätzen steht der Umstand, dass die Flinte des Geschädigten ungeladen war, der Annahme eines gegenwärtigen Angriffs nicht entgegen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen hatte dieser die Waffe ergriffen und hantierte daran, um auf den Angeklagten zu schießen (UA S. 7 f.), wobei die Schussbereitschaft innerhalb weniger Sekunden hätte hergestellt werden können (UA S. 6). Angesichts dieser kurzen Zeitspanne lag trotz der noch notwendigen Zwischenschritte eine schon unmittelbare und akute Bedrohung des Angeklagten vor.
11
2. Auch die Annahme des Landgerichts, die Verteidigungshandlungen des Angeklagten seien erforderlich gewesen, ist frei von Rechtsfehlern.
12
a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16, aaO).
13
Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung für den lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe in Notwehrsituationen dahin konkretisiert, dass ein solcher zwar nicht von vornherein unzulässig ist, aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein kann. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen. Reicht dies nicht aus, so muss er, wenn möglich, vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen. In Frage kommen ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen, also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 3 StR 84/15, juris Rn. 7 mwN). Dabei wird der Rahmen der erforderlichen Verteidigung durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 3 StR 84/15, aaO).
14
b) Daran gemessen ist die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe angesichts der zum Zeitpunkt der ersten beiden Schüsse festgestellten „konkreten Kampflage“ auf den Geschädigten schießen dürfen, ohne Rechts- fehler.
15
Vor den beiden auf die Schulter des Geschädigten zielenden Schüssen hatte der Angeklagte nach den Feststellungen ohne Erfolg aus etwa einem Meter Entfernung Pfefferspray eingesetzt. Danach hatte sich der Geschädigte mit dem in Hüfthöhe gehaltenen Gewehr zum Angeklagten gedreht, der erkannte , dass es sich um eine doppelläufige Flinte handelte. Der Abstand zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten betrug zu diesem Zeitpunkt „allenfalls vier Meter“ (UA S. 7). Angesichts seiner begründeten Befürchtung, der Geschädigte werde auf ihn schießen, blieb dem Angeklagten keine Zeit zur ausreichenden Abschätzung des schwer kalkulierbaren Risikos. Bei dieser zugespitzten Situation der unmittelbar gegen ihn gerichteten Waffe ist nicht ersichtlich, dass die Abgabe eines Warnschusses die Beendigung des Angriffs hätte erwarten lassen (vgl. Senat, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Vielmehr bot nur die sofortige Schussabgabe durch den Angeklagten die sichere Gewähr, einen potenziell tödlichen Schuss des Geschädigten zu unterbinden. Unter diesen Umständen ist es aus Rechtsgrün- den nicht zu beanstanden, dass das Landgericht zu der Auffassung gelangt ist, dem Angeklagten hätten in der konkreten Situation zur Abwehr der drohenden Gefahr weniger gefährliche, aber gleichermaßen zuverlässige Verteidigungsmittel nicht zur Verfügung gestanden.
16
c) Im Hinblick auf das sich in der Folge weiter zuspitzende Geschehen ist auch die Wertung der Strafkammer, der letztlich todesursächliche vierte Schuss auf den Rumpf des Geschädigten sei erforderlich gewesen, rechtlich nicht zu beanstanden. Wie der Umstand zeigt, dass der Geschädigte erst infolge des danach abgegebenen Beinschusses das Gewehr senkte, war selbst der vierte Schuss zunächst noch nicht ausreichend, den Angriff sofort und endgültig zu beenden.
17
Darüber hinaus lässt die zusätzliche Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte sei jedenfalls nach § 33 StGB entschuldigt, keinen Rechtsfehler erkennen. Die sachverständig beratene Strafkammer hat die Annahme einer auf Furcht und Schrecken beruhenden asthenischen Affektlage des Angeklag- ten rechtsfehlerfrei auf dessen Einlassung, er sei vor der Schussabgabe „kurz vor dem Durchdrehen“ gewesen, seine mit der Erfolglosigkeit der vorangegan- genen Abwehrversuche verbundene Ratlosigkeit sowie auf eine ohnehin bestehende psychische Ausnahmesituation zur Tatzeit gestützt (UA S. 37 f.). Da die Anwendung von § 33 StGB nicht voraussetzt, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zugleich im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert ist (SK-StGB/Rogall, 9. Aufl., § 33 Rn. 18), steht diese Wertung des Landgerichts auch nicht in Widerspruch zu dessen Annahme, die Voraussetzungen des § 21 StGB hätten nicht vorgelegen.
18
3. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Aussetzung gemäß § 221 StGB besteht – wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat – nicht. Zwar hat der Angeklagte den Geschädigten durch die Abgabe der Schüsse im Sinne des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB in eine hilflose Lage versetzt; er war insoweit aber gerechtfertigt. Dadurch, dass der Angeklagte den tödlich getroffenen Geschädigten am Tatort zurückließ, hat er sich auch nicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, da keine Obhutspflicht bestand und – wegen der Rechtfertigung der Schüsse – durch die Verursachung der Verlet- zungen keine Garantenstellung begründet worden war. Appl Krehl RiBGH Zeng ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Grube Schmidt

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2017 - 2 StR 188/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2017 - 2 StR 188/17

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2017 - 2 StR 188/17 zitiert 6 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Strafgesetzbuch - StGB | § 221 Aussetzung


(1) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitss

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Referenzen

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

16
Auch der Schuss auf den Nebenkläger war nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar befand sich A. El-A. mit einem Stock bewaffnet mindestens zehn Meter vom Angeklagten entfernt und nach seiner Körperstellung dem Angeklagten zugewandt. Vom Nebenkläger ist in dieser Lage indes noch kein gegenwärtiger Angriff auf den Angeklagten ausgegangen. Zwar wird dies nicht nur angenommen, wenn der Angriff beginnt, sondern schon dann, wenn er unmittelbar bevorsteht. Zu den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen berechtigt nicht erst die Verletzungshandlung selbst, sondern bereits ein Verhalten des Gegners, das unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet würde oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Solches ist hier aufgrund der festgestellten Kampflage ausgeschlossen. Der lediglich mit einem Stock bewaffnete Nebenkläger war in einer Entfernung von zehn Metern für den Angeklagten noch ein harmloser Gegner und verfügte über keine Möglichkeit, einen Angriff auf den Angeklagten vorzutragen; ein Einsatz des Stockes als Wurfgeschoss schied ersichtlich aus. Der Angeklagte war deshalb ohne drohende Einbuße seiner Gesundheit verpflichtet, in dieser Situation die weitere Entwicklung der Kampflage abzuwarten, anstatt dem Nebenkläger in den Oberkörper zu schießen.
28
aa) Gegenwärtig in diesem Sinne kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung (vgl. BGH, Urteile vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203; vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153 und vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 397/15, JuS 2016, 562).

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 138/16
vom
22. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2016:220616B5STR138.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. November 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und das spätere Tatopfer I. in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht. Beide stammten aus Eritrea und teilten sich mit weiteren Landsleuten eine Wohnung. Am Abend des 12. Januar 2015 erschien I. im Zimmer des Angeklagten und forderte ihn auf, mit ihm zu kommen. I. hatte zuvor mit einem Mitbewohner und dessen Freund das Abendessen zubereitet und sich beiden gegenüber mit der Äußerung verabschiedet, kurz noch Zigaretten einkaufen zu gehen.
3
Ohne genau zu wissen, was I. von ihm wollte, folgte ihm der Angeklagte aus der Wohnung in einen Hinterhof des Gebäudekomplexes. Dort trat I. unvermittelt an ihn heran und schlug ihm dreimal ins Gesicht, sodass der Angeklagte kurzzeitig zu Boden ging. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem es I. gelang, den Kopf des Angeklagten unter seinen Arm in einen „Schwitzkasten“ zu drücken. In dieser Position rangen beide weiter miteinander, wobei I. den Angeklagten mit seinen Knien attackierte.
4
Der von dem Angriff völlig überraschte Angeklagte bekam Luftnot. Er ertastete ein bei I. im Hosenbund steckendes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm und ergriff es. Damit stach er ihm aus der andauernden Position des „Schwitzkastens“ heraus viermal mit bedingtem Tötungsvorsatz in die Hals- und Oberkörperregion. Nachdem I. die Umklammerung aufgrund der Stiche, von denen zwei tödlich wirkten, gelöst hatte, konnte sich der Angeklagte befreien. Er versetzte ihm abermals mit bedingtem Tötungsvorsatz noch einen weiteren Stich, der den Kopf traf und nicht todesursächlich war.
5
Infolge der gegen die Hals- und Oberkörperregion gerichteten Stiche, die bis in die Brusthöhle reichten und insbesondere zu einer Verletzung der Aorta mit einem massiven Blutverlust führten, sackte I. zusammen. Der Angeklagte ließ das tödlich getroffene Opfer am Tatort zurück und entsorgte das Tatmesser in einem nahgelegenen Bach. Anschließend kehrte er in die Unterkunft zurück, wo er mit seinem Mitbewohner und dessen Freund zu Abend aß, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
6
2. Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Messerstiche eine objektive Notwehrlage angenommen, ohne zwischen der Serie der ersten vier Stiche gegen die Hals- und Oberkörperregion und dem nachfolgend gegen den Kopf geführten Stich zu unterscheiden. Jedoch fehle es an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung. Der Angeklagte habe die Möglichkeit gehabt, in weniger sensible Körperteile des Opfers wie etwa dessen Bein zu stechen und den Angriff auch schon durch einen einzigen Stich endgültig zu beenden (UA S. 6, 22).

II.


7
Der Schuldspruch hat keinen Bestand, da das Landgericht bei seiner Prüfung der Notwehr den anzulegenden rechtlichen Maßstab nicht rechtsfehlerfrei auf die Feststellungen angewendet hat.
8
1. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100; vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 148, und vom 1. Juli 2014 – 5 StR 134/14, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 22 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung ex ante der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Urteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140, und vom 8. Juni 2016 – 5 StR 564/15 mwN; Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 449/13, NJW 2014, 1121, 1122). Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616, und vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO; Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
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2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet nach diesen Grundsätzen die Annahme der Schwurgerichtskammer, die Messerstiche, die der Angeklagte seinem Kontrahenten in der Position des „Schwitzkastens“ ver- setzte, in der er Luftnot verspürte und mit den Knien gestoßen wurde, seien nicht erforderlich gewesen. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift unter anderem ausgeführt: „Stiche in die Beine hätten nicht zwingend dazu führen müssen, dass das Tatopfer den Griff um den Hals des Angeklagten gelockert hätte. Eine Verletzung am Bein hätte grundsätzlich einer weiteren Umklammerung des Angeklagten mit dem rechten Arm nicht entgegengestanden. Da die Beine des Geschädigten zudem in Bewegung waren, erscheint es eher fernliegend, dass der Angeklagte darauf vertrauen konnte, den Angreifer in einer Weise in ein Bein zu stechen, die diesen zur Lockerung des Griffs veranlasst hätte.
Weiter ist unklar, ob dem Angeklagten in seiner Position ein koordinierter Stich in die Extremitäten überhaupt möglich gewesen wäre und er dies in der Hektik und Dynamik des affektiv aufgeladenen Geschehens erkannt hat. Eine erfolgversprechende Verteidigung mit einem Messer setzt dagegen typischerweise die Ausnutzung des Überraschungsmoments und den sofortigen Einsatz gegen zentrale Körperregionen des Angreifers voraus. Anderenfalls muss zumindest ein mit dem Messer ungeübter Angreifer damit rechnen, dass zurückhaltend geführte Stiche den Angreifer in Ermangelung ausreichender (Sofort-)Wirkung unbeeindruckt lassen. Der ultimative Charakter des lebensgefährlichen Waffeneinsatzes verpflichtet den Verteidiger nicht dazu, mit seiner Zurückhaltung entgegen den allgemeinen Prinzipien des Notwehrrechts bis zur Selbstgefährdung zu gehen (vgl. Erb in Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 32 Rn. 167 mwN, 168). Rechtlich gleichermaßen fragwürdig erscheint die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe auch dadurch die Grenze der erforderlichen Verteidigung überschritten, dass er nicht nur einmal, sondern mehrfach auf Hals und Oberkörper eingestochen habe. Die damit implizierte These, der Angeklagte hätte zunächst die Wirkung eines ersten lebensgefährlichen Stiches abwarten müssen, bevor er mit dem Messer weiter gegen den Angreifer vorging, teilt die Bundesanwaltschaft nicht. Unter Berücksichtigung der situativen Hektik und seiner durch akute Atemnot gekennzeichneten Lage durfte der Angeklagte durchaus mehrfach auf seinen aggressiven Kontrahenten in Oberkörper- und Halsbereich einstechen, und zwar so lange, bis dieser den Griff um den Hals lockerte. Gerade in zugespitzten Situationen ist eine schnelle Wiederholung der Abwehrmaßnahme zur Verteidigung vielfach erforderlich. Bei Messer- stichen ist es (…) kein seltenes Phänomen, dass der Angreifer selbst nach Eintritt schwerer Verletzungen noch mehrere Sekunden voll aktionsfähig bleibt, in denen er dem Verteidiger seinerseits gravierende Verletzungen zufügen kann. Um dieses naheliegende und nicht hinnehmbare Risiko auszuschalten und eine insgesamt ausreichende Effektivität der Verteidigung sicherzustellen , muss man dem in unmittelbarer Bedrängnis befindlichen Verteidiger jedenfalls bei Angriffen gegen den Hals regelmäßig gestatten, ohne zwischenzeitliches Innehalten meh- rere schnell aufeinanderfolgende Stiche anzubringen.“
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Dem folgt der Senat.
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3. Der fünfte Stich des Angeklagten gegen den Kopf seines Opfers war hingegen nach den allerdings knappen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen , die das Landgericht im Wesentlichen auf eine unwiderlegte Einlassung des Angeklagten gestützt hat, nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass noch eine Notwehrlage vorgelegen haben könnte. Der Angeklagte hatte sich aus der Bedrängnis des „Schwitzkastens“ befreien können und weitere Gewalthandlungen gingen von seinem be- reits tödlich getroffenen Kontrahenten nicht mehr aus.
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4. Über die Sache ist daher neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Sander Dölp König
Berger Bellay
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Das Schwurgericht hat allerdings nicht festgestellt, welche Vorstellung der Angeklagte in dieser Situation vom weiteren Verhalten seines Nachbarn hatte, und deshalb nicht ausdrücklich geprüft, ob sich der Angeklagte in der irrtümlichen Annahme einer Notwehrlage (Putativnotwehr) befand. Das gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, da bei der irrigen Annahme eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Täter nicht mehr tun darf als der in wirklicher Notwehr Handelnde (BGH, Urteil vom 12. März 1987 - 4 StR 2/87, BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2), und das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt hat, dass selbst im Falle eines Angriffs der Schuss in die Brust mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Das Schwurgericht ist dabei von den Grundsätzen ausgegangen, die die Recht- sprechung für die Grenzen der Notwehr unter Benutzung einer Schusswaffe aufgestellt hat. Danach darf der Angegriffene grundsätzlich das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt; dem lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe sind gleichwohl Grenzen gesetzt. Er ist zwar nicht von vornherein unzulässig, kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen. Reicht dies nicht aus, so muss er, wenn möglich, vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen. In Frage kommen ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen, also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (vgl. BGH aaO mwN). Dabei wird der Rahmen der erforderlichen Verteidigung durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 - 3 StR 628/93, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 11 mwN). Angesichts der "konkreten Kampflage" - der Nachbar hatte lediglich noch einen Holzstummel in der Hand; der Angeklagte (sieben Jahre jünger und von kräftiger Statur) hatte sein Gewehr in Vorhalte; mit dem Gewehr konnte zwar nur ein Schuss abgegeben werden; der geringe Abstand zwischen den Kontrahenten ermöglichte indes einen sicheren Schuss auf weniger gefährliche Körperregionen - ist die Würdigung des Landgerichts , der Angeklagte habe nicht sofort auf die Brust des Opfers schießen dürfen, ohne Rechtsfehler.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer einen Menschen

1.
in eine hilflose Lage versetzt oder
2.
in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,
und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder
2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.