Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2019 - 4 StR 448/19

bei uns veröffentlicht am25.09.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 448/19
vom
25. September 2019
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:250919B4STR448.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. September 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 9. Mai 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Hagen verwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte am 3. Dezember 2018 ab 1.00 Uhr in einer Flüchtlingsunterkunft in M. in erheblichem Umfang Alkohol. Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt danach wurde er von dem Nebenkläger in dessen Zimmer eingeladen. Als der Angeklagte das dort abgelegte Portemonnaie des Nebenklägers – wie er vorgab aus Spaß – heimlich einsteckte, wurde er des Zimmers verwiesen. Nach 15 bis 30 Minuten versuchte der Angeklagte erneut in das Zimmer des Nebenklä- gers zu gelangen. Dabei kam es zwischen beiden zu einer Schubserei. Auf dem Rückweg in sein Zimmer traf der Angeklagte auf den Hausmeister der Flüchtlingsunterkunft , auf den er einen betrunkenen, leicht aggressiven und schlecht gelaunten Eindruck machte. Nach etwa fünf Minuten begab sich der Angeklagte ein drittes Mal zu dem Zimmer des Nebenklägers. Dabei hielt er in seiner rechten Hand ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 20 Zentimetern, das er zunächst , für den Nebenkläger nicht sichtbar, hinter seinem Rücken verborgen hielt. Beim Eintreten in das Zimmer hob der Angeklagte „direkt“ die Hand mit dem Messer über seinen Kopf und stach mit dem Messer abwärts in Richtung des Halses des Nebenklägers. Dabei nahm er dessen Tod zumindest billigend in Kauf. Dem Nebenkläger gelang es, mit seiner linken Hand das rechte Handgelenk des Angeklagten zu umfassen und das Messer von seinem Körper wegzuhalten. Der Angeklagte drückte das Messer nun weiter in Richtung des Halses des Nebenklägers, der aber dessen Spitze von seinem Hals weglenken konnte. Schließlich schlug der Nebenkläger mit der flachen Hand auf den Messergriff, woraufhin dessen Klinge abbrach und zu Boden fiel. Hierbei verletzte er sich an seinem linken Ringfinger. Anschließend kam es zu einer Rangelei , bei der der Angeklagte den Messergriff wegwarf. Schließlich wurden beide von dem Hausmeister getrennt, der auch die Polizei informierte. Eine dem Angeklagten um 14.45 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,79 Promille auf.
3
Die Strafkammer hat ihre Feststellung, der Angeklagte habe den Tod des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen, aus „der objektiven Ge- fährlichkeit der Tat“ hergeleitet. Der Angeklagte habe versucht, mit einem Messer mit einer 20 cm langen Klinge auf den Hals des Nebenklägers einzustechen. Dabei handele es sich um einen besonders empfindlichen Bereich, in dem sich lebensnotwendige Gefäße befänden. Das verwendete Messer sei geeignet gewesen, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.
4
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags kann nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begründet hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
5
a) Einen bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt – Wissenselement – und sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dessen Eintritt abfindet, mag ihm dies auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein – Willenselement. Beide Elemente sind im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 158/17, NStZ 2018, 460, 461 f. mwN). Bei gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt, sodass ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auf beide Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes grundsätzlich möglich ist. Das Wissens – oder das Wollenselement können aber auch hier im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung wie etwa einem Affekt oder alkoholischer Beeinflussung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder wenn er deshalb trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, Rn. 26 mwN). Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 2018 – 4 StR 251/18, NStZ 2018, 332; Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 185/05; NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN).
6
b) Den sich daraus ergebenden Begründungsanforderungen werden die zum bedingten Tötungsvorsatz angestellten Erwägungen der Strafkammer nicht gerecht. Denn sie schöpfen die insoweit relevanten Feststellungen nicht aus und sind deshalb lückenhaft (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – 4 StR 159/13 Rn. 19 mwN).
7
Das Landgericht hat seine Bewertung ausschließlich auf die generelle Gefährlichkeit des Angriffs gestützt. Mit der Tatsache, dass der Angeklagte erheblich alkoholisiert war, und der sich daraus ergebenden Möglichkeit, dass er das Risiko falsch eingeschätzt oder sachwidrig auf einen nicht tödlichen Ausgang vertraut haben könnte, setzt es sich nicht auseinander. Hierzu hätte aber unter den hier gegebenen Umständen Anlass bestanden. Denn die Strafkammer hat selbst an anderer Stelle eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,39 Promille für gegeben erachtet (UA 17). Auch hat sie den Angaben des Zeugen S. (Hausmeister) glauben geschenkt, der zu dem Angeklagten kurz vor und kurz nach der Tat Kontakt hatte und ihn dabei als betrunken wahrnahm (UA 6). Dabei gab der Zeuge weiter an, den Angeklagten noch nie in einem derartigen Zustand erlebt zu haben, wie am Tattag (UA 22).
8
3. Die Ausführungen des Landgerichts zu einer möglichen alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB sind widersprüchlich, lückenhaft und unklar.
9
So führt die Strafkammer – in Abgrenzung zu dem angehörten Sachverständigen – zunächst aus, dass bei dem Angeklagten keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe (UA 18 f.). In der rechtlichen Würdigung wird im Gegensatz hierzu dann aber festgestellt, dass sich der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverlet- zung „im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB“ schuldig gemacht habe (UA 20).
10
Soweit die Strafkammer annimmt, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat eine Blutalkoholkonzentration von nicht ausschließbar bis zu 2,39 Promille aufgewiesen habe und sich dies aus einer Rückrechnung von zwei Stunden seit der Blutentnahme unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages ergebe (UA 17), kann diese Berechnung revisionsrechtlich nicht nachvollzogen werden, weil die Feststellungen zur Sache und die sie tragende Beweiswürdigung keine konkrete Tatzeitangabe enthalten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 – 3 StR 60/03; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 20 Rn. 16 mwN).
11
Die für die Annahme einer nur unerheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ins Feld geführte Erwägung, der Angeklagte sei „nach eigenen Angaben Alkohol gewöhnt“ (UA 19), steht in Widerspruch zu der zu seiner Person getroffenen Feststellung, wonach er „in der Regel einmal in der Woche Alkohol“ trinke (UA 4) und den Ausführungen zur Nichtanordnung einer Unter- bringung nach § 64 StGB. Dort hat sich die Strafkammer den Bekundungen des Sachverständigen angeschlossen, der die Annahme eines Hangs unter ande- rem mit der Begründung verneint hat, dass die Konsumfrequenz „lediglich im Bereich von einmal in der Woche bis einmal im Monat und damit im sozial übli- chen Rahmen“ liege (UA 22).
12
Schließlich hätte sich die Strafkammer auch in diesem Zusammenhang mit der Aussage des Hausmeisters auseinandersetzen müssen, wonach der Angeklagte öfter Alkohol trinke, er den Angeklagten aber noch nie in einem derartigen Zustand erlebt habe, wie am Tattag (UA 22).
13
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht – Schwurgericht – Hagen.
Sost-Scheible Roggenbuck Bender
Quentin Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2019 - 4 StR 448/19

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2019 - 4 StR 448/19

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2019 - 4 StR 448/19 zitiert 5 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 158/17
vom
1. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:010318U4STR158.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. März 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Rechtsfolgenausspruch.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von „weiteren“ zwei Jah- ren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen die Annahme einer fahrlässigen Tötung im Fall II. 2 der Urteilsgründe und gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt vertreten. Die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge gestützt. Die Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am 13. Januar 2015 fuhr der Angeklagte auf der Bundesstraße 43 in Frankfurt am Main mit einem Pkw der Marke Audi, Typ A 3, sehr dicht auf das vorausfahrende Fahrzeug der Geschädigten B. auf, nachdem diese zuvor auf die Abbiegespur in Richtung Nied gewechselt war. Während des gesamten sich anschließenden Abbiegevorgangs versuchte er die Geschädigte verkehrswidrig über den Standstreifen zu überholen. Als die Geschädigte danach nach links abbiegen wollte, überholte sie der Angeklagte rechts, setzte sich vor sie, bremste sie aus und hielt an der Lichtzeichenanlage an. Sodann stiegen der Angeklagte und sein Beifahrer aus und begaben sich zu der in ihrem Fahrzeug sitzenden Geschädigten, die aus Angst sofort die Fahrzeugtüren verriegelte. Der Angeklagte beleidigte die Geschädigte mit den Worten „Hure“ und „Ich fick dich“. Anschließend stieg er mit seinem Begleiter wieder in sein Fahrzeug und entfernte sich.
4
2. Am Abend des 22. April 2015 gegen 22.25 Uhr befuhr der Angeklagte mit einem gemieteten Pkw der Marke BMW, Typ 530d, die Straße „Schwan- heimer Ufer“ in Frankfurt am Main in Fahrtrichtung Stadtmitte, um sich an einer Tankstelle mit seinen Freunden A. und Q. zu treffen. Den Anschnallgurt hatte er hinter seinem Rücken in das Gurtschloss gesteckt, sodass er unan- geschnallt war. Die Straße „Schwanheimer Ufer“ ist in diesem Bereich in der Fahrtrichtung des Angeklagten zweispurig ausgebaut; die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 70 km/h. In der Gegenrichtung ist die Straße dreispurig ausgebaut, wobei die linke Fahrspur zum Abbiegen auf die Auffahrt zur BAB A 5 dient und die stadteinwärts verlaufenden Fahrspuren an der späteren Unfallstelle kreuzt. Ca. 158 Meter vor der Unfallkreuzung befindet sich aus der Sicht des Angeklagten eine weitere (erste) Kreuzung. Beide sind mit Lichtzeichenanlagen versehen. Auf den jeweiligen Fahrspuren sind Detektoren in die Fahrbahn eingelassen, die sich in der Fahrtrichtung des Angeklagten jeweils 32 Meter vor der Haltelinie befinden.
5
Der Angeklagte befuhr mit seinem Fahrzeug die rechte Fahrspur und überholte kurz vor der Lichtzeichenanlage der ersten Kreuzung den auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Pkw der Marke Audi, Typ A 6, seiner Freunde A. und Q. . Anschließend missachtete er die Lichtzeichenanlage der ersten Kreuzung, die – wie der Angeklagte auch wahrnahm – seit dem Überfahren des zugehörigen Detektors Rotlicht zeigte und zuvor fünf Sekunden Gelblicht gezeigt hatte. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 142 km/h fuhr der Angeklagte sodann auf gerader Strecke auf der rechten Fahrspur weiter in Richtung der Unfallkreuzung. Deren Lichtzeichenanlage zeigte für den Angeklagten bereits seit sieben Sekunden Rotlicht, nachdem sie zuvor fünf Sekunden Gelblicht gezeigt hatte. Der Angeklagte passierte die Lichtzeichenanlage unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Rotlicht, was er auch wahrnahm. Anschließend stieß er mit dem Pkw der Marke Audi, Typ A 4, des Geschädigten H. zusammen, der aus der Gegenrichtung kommend bei Grünlicht in Richtung der Autobahnauffahrt abbiegend losgefahren war und vorfahrtsberechtigt die Fahrbahn des Angeklagten kreuzte. Dabei fuhr der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von ca. 142 km/h ungebremst in die rechte Seite des Fahrzeugs des Geschädigten, der noch an der Unfallstelle seinen dadurch erlittenen Verletzungen erlag. Sein Fahrzeug wurde vollständig zerstört. Der Angeklagte wurde bei dem Unfall nur leicht verletzt.
6
Dem Angeklagten war beim Passieren der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an der Unfallkreuzung und beim Einfahren in den Kreuzungsbereich zwar bewusst, dass möglicherweise vorfahrtsberechtigter Verkehr in die Unfallkreuzung einfahren könnte. Er vertraute aber aufgrund des wenigen Verkehrs sowie seiner hohen Geschwindigkeit fest darauf, dass es ihm gelingen würde, die Kreuzung vor Einfahren eines möglichen Kreuzungsverkehrs bereits geräumt zu haben. Das Herannahen des Fahrzeugs des Geschädigten H. nahm er aufgrund der räumlichen Verhältnisse bis zu dessen unmittelbaren Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht wahr.
7
3. Die Jugendkammer hat die unter II. 1 der Urteilsgründe festgestellte Tat als Nötigung (§ 240 StGB) in Tateinheit mit Beleidigung (§ 185 StGB) gewertet. Wegen der unter II. 2 festgestellten Tat hat sich der Angeklagte nach Meinung des Landgerichts der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) schuldig gemacht.

II.


8
Die auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs im Fall II. 2 der Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
9
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Verurteilung im Fall II. 2 der Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
10
a) Ob der Rechtsmittelführer nur einzelne abtrennbare Teile eines Urteils angreifen will, ist eine Frage, die im Zweifelsfall im Wege der Auslegung seiner Rechtsmittelerklärungen zu beantworten ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 365 [zu § 318 StPO]). Dabei kann die Auslegung der Revisionsbegründung auch bei einem unbeschränkten Revisionsantrag eindeutig zu dem Ergebnis führen, dass der Beschwerdeführer – im Widerspruch zu seinem Antrag – bestimmte Urteilsteile von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen will. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um die Staatsanwaltschaft handelt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88; vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; vom 7. August 1997 – 1 StR 319/97, NStZ 1998, 210).
11
b) Zwar hat die Staatsanwaltschaft die uneingeschränkte Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt. Die Auslegung ihrer Revisionsbegründung ergibt aber, dass lediglich die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung u.a. im Fall II. 2 der Urteilsgründe und der Rechtsfolgenausspruch angegriffen werden.
Die von der Beschwerdeführerin zum Schuldspruch erhobenen Einzelbeanstandungen betreffen ausschließlich die Annahme einer fahrlässigen Tötung im Fall II. 2 der Urteilsgründe und die damit verbundene Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Außerdem wird beanstandet, dass eine rechtskräftige Vorverurteilung bei der Prüfung schädlicher Neigungen unberücksichtigt geblieben und in Bezug hierauf eine Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 und 3 JGG nicht geprüft worden sei. Gegen den Schuldspruch wegen Nötigung und Beleidigung im Fall II. 1 der Urteilsgründe werden hingegen keine Einwendungen erhoben. Diese Beschränkung der Revision ist auch wirksam; es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung zwischen beiden Schuldsprüchen ergeben könnte. Die Maßregelanordnung ist, obgleich auch sie nicht ausdrücklich beanstandet worden ist, vom Rechtsmittelangriff umfasst, weil sie an die Verurteilung im Fall II. 2 der Urteilsgründe anknüpft.
12
2. Die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer im Fall II. 2 der Urteilsgründe die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint und bewusste Fahrlässigkeit bejaht hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 12. Januar 2017 – 1 StR 360/16, juris Rn. 10; vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 403; vom 20. Juni 2013 – 4 StR 159/13, juris Rn. 19) einer Überprüfung nicht stand.
13
a) In rechtlicher Hinsicht ist ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt – Wissenselement – und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein – Willenselement – (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37, 38; vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277, 279; vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; jeweils mwN). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 215; vom 30. April 2014 – 2 StR 383/13, StV 2015, 300, 301; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63).
14
b) Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26).
15
Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80; vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80; vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Beschluss vom 26. April 2016 – 2 StR 484/14, NStZ 2017, 22, 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1986 – 2 StR 311/86, BGHR StGB § 15 Vorsatz,bedingter 1 – Willenselement; Beschluss vom 7. März 2006 – 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2014 – 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516, 517; Beschluss vom 10. Juli 2007 – 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307; Beschluss vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35).
16
Ein wesentlicher vorsatzkritischer Gesichtspunkt ist in Fällen, in denen dies – wie hier – naheliegt, die Eigengefährdung des Täters. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 4 StR 162/00, NStZ 2000, 583, 584; Urteil vom 20. Dezember 1968 – 4 StR 489/68, VerkMitt 1969, Nr. 44). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (vgl. BayObLG, NJW 1955, 1448, 1449 für den alkoholisierten Autofahrer; Roxin, AT I, 4. Aufl., § 12 Rn. 23 ff.; ders., FS Rudolphi, 2004, 243, 255; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 219; Jäger, JA 2017, 786, 788; Walter, NJW 2017, 1350 f.). Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.
17
c) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht in jeder Hinsicht gerecht.
18
aa) Die Jugendkammer hat mit Rücksicht auf die äußerst riskante Fahr- weise des Angeklagten das Wissenselement des bedingten Vorsatzes „unproblematisch“ als gegeben erachtet. Vom Vorliegen auch des Willenselementes hat sie sich trotz des „extrem rücksichtslosen“ Verhaltens (Passieren von zwei Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlagen, deutlich überhöhte Geschwindigkeit, sieben Sekunden Rotlicht an der Unfallkreuzung) jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Für ein ernsthaftes Vertrauen des Angeklagten in das Ausbleiben einer Kollision mit tödlichem Ausgang spreche neben anderen Umständen (geringes Verkehrsaufkommen, keine Sicht auf den herannahenden Geschädigten, zur Unterschätzung von Gefahren und zur Überschätzung der eigenen Fähigkeiten neigende „Raserpersönlichkeit“), dass er nicht angeschnallt gewesen sei. Da der genaue Verlauf einer abstrakt für möglich gehaltenen Kollision für ihn nicht abschätzbar gewesen sei, hätte der Angeklagte bei Billigung einer Kollision mit tödlichen Folgen für einen der Unfallbeteiligten „zwangsläufig“ auch seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen, insbesondere da die Gefährlichkeit für ihn selbst aufgrund des Nichtanlegens des Anschnallgurtes gegenüber einem angeschnallten Fahrzeugführer noch einmal deutlich erhöht gewesen sei. Dass der Angeklagte seinen eigenen Tod in Kauf genommen habe, sei aber auszuschließen.
19
bb) Damit hat die Strafkammer zwar die dem Angeklagten drohende Gefahr für seine eigene körperliche Integrität zutreffend als vorsatzkritischen Umstand in ihre Betrachtung einbezogen. Die hierzu angestellten Erwägungen greifen aber zu kurz, weil sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, welche konkreten Unfallszenarien der Angeklagte, der den Tod anderer als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannte (Wissenselement des bedingten Vorsatzes), tatsächlich im Blick hatte. Damit fehlt es für die Annahme , der Angeklagte hätte bei Billigung einer Kollision mit tödlichen Folgen für einen der Unfallbeteiligten „zwangsläufig“ auch seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen – trotz des zu Recht herangezogenen Aspekts des Nichtangeschnalltseins – an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Eine generelle Regel, wonach bei Fahrzeugkollisionen im Straßenverkehr die Risiken unter den Insassen der beteiligten Fahrzeuge nahezu gleichmäßig verteilt sind und deshalb die Inkaufnahme tödlicher Folgen für andere Unfallbeteiligte notwendig die Billigung eines entsprechenden Eigenrisikos einschließt, besteht in dieser Allgemeinheit nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte infolge der Kollision noch an der Unfallstelle verstarb, während der Angeklagte weit gehend unverletzt blieb, spricht dagegen.
20
d) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung betrifft auch die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB und zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich.
21
3. Dessen ungeachtet, erweist sich der Strafausspruch auch für sich genommen als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei der Erörterung schädlicher Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 JGG die nach den verfahrensgegenständlichen Taten ergangene rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – vom 6. Juli 2016 nicht in Betracht gezogen und eine Einbeziehung dieses Urteils gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 JGG nicht geprüft hat.
22
a) Das Landgericht hat die Verhängung der Jugendstrafe nur auf die Schwere der Schuld gestützt, bei dem Angeklagten jedoch keine schädlichen Neigungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 JGG festzustellen vermocht. Dabei hat es neben den verfahrensgegenständlichen Taten lediglich die Vorahndungen aus den Jahren 2010 bis 2013 in seine Erwägung einbezogen. Damit hat die Strafkammer die Feststellungen nicht ausgeschöpft. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 3 StR 78/16, NStZ 2016, 682; Beschluss vom 17. Juli 2012 – 3 StR 238/12, NStZ 2013, 287; Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 5 mwN). Wird der Täter nach der verfahrensgegenständlichen Tat zeitnah erneut straffällig, kann dies sowohl ein Indiz für be- reits im Tatzeitpunkt entwickelte Persönlichkeitsmängel, als auch für deren Fortbestand sein und deshalb für die Annahme schädlicher Neigungen sprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 5 StR 55/09, NStZ 2010, 280, 281; weitere Nachweise bei Radtke in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 17 JGG Rn. 42 ff.). Das Landgericht hätte sich an dieser Stelle daher auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte am 12. Juli 2015 einen Diebstahl „im besonders schweren Fall“ beging, wofür er am 6. Juli 2016 vom Amtsgericht Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – verurteilt wurde.
23
b) Das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – vom 6. Juli 2016 kam zudem auch für eine Einbeziehung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 JGG in Betracht. Die Tatsache, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der dort abgeurteilten Tat das 21. Lebensjahr bereits vollendet hatte, steht dem nicht entgegen.
24
aa) Nach der Rechtsprechung kann in entsprechender Anwendung von § 31 Abs. 2 Satz 1, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG in eine einheitliche Jugendstrafe auch eine rechtskräftige und noch nicht erledigte Verurteilung zu Freiheitsstrafe einbezogen werden, die wegen einer Tat verhängt worden ist, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 – 4 StR 139/12 [insoweit in NStZ 2013, 36 nicht abgedruckt]; vom 21. Dezember 2011 – 4 StR 596/11, juris Rn. 2; vom 12. Dezember2001 – 4 StR 474/01; vom 23. November 1993 – 5 StR 573/93, BGHSt 40, 1; Urteil vom 2. Mai 1990 – 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34, 35 ff.; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 105 Rn. 39; Eisenberg, JGG, 19. Aufl., § 105 Rn. 44 mwN; krit. Laue in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 105 JGG Rn. 47). Voraussetzung dafür ist, dass eine oder mehrere noch im Heranwachsendenalter begangene Tat(en) zur Aburteilung anstehen, auf die gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden wäre und eine zusammenfassende, die Erwachsenenstraftat einbeziehende Bewertung ergibt, dass das Schwergewicht im Sinne des § 32 Satz 1 JGG bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat(en) liegt und deshalb einheitlich Jugendstrafrecht gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 5 StR 573/93, BGHSt 40, 1 = NStZ 1994, 132 f. mit Ausführungen zur Prüfungsreihenfolge [insoweit in BGHSt 40, 1 nicht abgedruckt ]; Urteil vom 2. Mai 1990 – 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34, 35 ff.). Liegt das Schwergewicht dagegen bei der Erwachsenenstraftat, ist entsprechend § 32 Satz 2 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 5 StR 573/93, BGHSt 40, 1, 2). Schließlich kann die Jugendkammer aber auch nach § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG von einer Einbeziehung absehen, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 5 StR 573/93, BGHSt 40, 1, 2).
25
bb) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auf die von dem Angeklagten im Heranwachsendenalter begangenen abzuurteilenden Straftaten gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Es hat sich jedoch zu der Frage einer möglichen Einbeziehung des rechtskräftigen und ersichtlich noch nicht erledigten Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – vom 6. Juli 2016 nicht verhalten. Der Strafausspruch muss daher auch aus diesem Grunde aufgehoben werden.

III.


26
Die Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Strafausspruch nur insoweit Erfolg, als die Jugendkammer – wie dargelegt – eine Einbeziehung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – vom 6. Juli 2016 nicht geprüft hat. Dadurch kann der Angeklagte auch beschwert sein. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 251/18
vom
14. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:140818B4STR251.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. August 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. Januar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und angeordnet, dass ihm für die Dauer von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an.
2
1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
Der Angeklagte trank am Abend des 6. Mai 2017 zusammen mit zwei Bekannten Alkohol (Bier und Wodka) in einer nicht näher feststellbaren Menge. Am frühen Morgen des 7. Mai 2017 fuhr er mit seinem Pkw durch das Stadtgebiet von E. , um zusammen mit seinen Bekannten ein Bordell aufzusuchen. Während der Fahrt nahmen er und seine Begleiter nicht ausschließbar weiteren Alkohol zu sich. Dadurch wurde dem Angeklagten so schlecht, dass er am Straßenrand anhalten und sichübergeben musste. Im Übrigen kam es bei ihm nicht zu Schwierigkeiten. Seine Fahrweise war unauffällig. Als der Angeklagte nach 01.20 Uhr mit seinem Pkw die H. -Straße befuhr, kamen ihm auf dem linksseitigen Gehweg die Nebenkläger D. S. , A. S. und P. R. entgegen. A. S. saß dabei in einem Einkaufswagen, der von seinen Begleitern gezogen bzw. geschoben wurde. Der Angeklagte hielt sein Fahrzeug an und fragte die Nebenkläger durch das geöffnete Fenster der Fahrertür in gebrochenem Deutsch nach dem Weg zum Bordell. Die Nebenkläger realisierten zwar, dass sie angesprochen wurden , konnten aber nicht verstehen, was gesagt wurde. Da sie den Tonfall als aggressiv empfanden, setzten sie ihren Weg fort. Der Angeklagte entschloss sich nun, den Nebenklägern mit seinem Pkw den Weg abzuschneiden, um sie erneut nach dem Weg zum Bordell fragen zu können. Zu diesem Zweck setzte er seinen Pkw zügig in einem Linksbogen in Richtung der weiterhin auf dem Gehweg befindlichen Nebenkläger zurück und überfuhr mit den Hinterrädern die Bordsteinkante. Dabei erfasste er bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 15 km/h mit seinem Fahrzeug den Einkaufswagen und den Nebenkläger D. S. . A. S. wurde dadurch aus dem Einkaufswagen auf den Gehweg geschleudert. Auch P. R. wurde noch vom Fahrzeugheck berührt. Sowohl der Einkaufswagen als auch D. S. wurden zwischen dem Pkw und einem Metallgeländer eingeklemmt. Nachdem der Pkw für kurze Zeit zum Stehen gekommen war, bemerkte der Angeklagte, dass er mit den Nebenklägern kollidiert war und fuhr vorwärts davon. D. S. erlitt durch die Kollision und das anschließende Einklemmen schwere Verletzungen (u.a. eine mehrfache Beckenfraktur) und einen lebensgefährlichen Blutverlust. Er musste zweimal aufwendig operiert werden und war mehrere Monate rollstuhlpflichtig. A. S. trug eine Schnittwunde und eine Oberschenkelquetschung davon. P. R. wurde nur leicht verletzt.
4
Das Landgericht hat angenommen, dass dem Angeklagten beim Zurücksetzen des Fahrzeugs bewusst gewesen sei, dass er die Nebenkläger treffen und „hierdurch verletzen konnte“. Auch habe er erkannt, dass es sich bei einem etwaigen Anfahren der Fußgänger um einen höchstgefährlichen Vorgang gehandelt habe, der geeignet gewesen sei, lebensgefährliche Verletzungen und eine schwere Gesundheitsbeschädigung zu verursachen. Beides habe er billigend in Kauf genommen. Seine Steuerungsfähigkeit sei aufgrund des vorherigen Alkoholkonsums nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB).
5
2. Der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite auf einer lückenhaften Beweiswürdigung beruhen.
6
a) Die Strafkammer hat ihre Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten aus dem objektiven Tatgeschehen abgeleitet. Sie ist der Auffas- sung, dass aufgrund der Gefährlichkeit („höchstgefährliche Handlung“) des Fahrmanövers des Angeklagten (schnelle bogenförmige Rückwärtsfahrt bei eingeschränkter Sicht) nicht angenommen werden könne, dass er das hohe Risiko („naheliegend“) eines Zusammenstoßes mit den Nebenklägern und des Eintritts schwerer Gesundheitsschäden verkannt habe. Da er bewusst so gefahren sei, sei auf eine billigende Inkaufnahme der Folgen zu schließen.
7
b) Damit schöpft die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht aus. Denn es wäre an dieser Stelle nach § 261 StPO geboten gewesen, auch die Alkoholisierung des Angeklagten und deren mögliche Auswirkung auf sein Risikobewusstsein in den Blick zu nehmen. In der Rechtsprechung ist anerkannt , dass auch bei hochgefährlichen Taten im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen kann, wenn dem Täter das Risiko der Erfolgsherbeiführung – trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände – infolge einer alkoholischen Beeinflussung oder einer anderen psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder er deshalb ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 26 mwN). Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN [zum bedingten Tötungsvorsatz]). Danach hätte es hier auch mit Blick auf die Tatsache, dass die – insoweit nicht sachverständig beratene – Strafkammer dem Angeklagten mit Rücksicht auf seinen Alkoholkonsum eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB zugebilligt hat, weiterer Ausführungen bedurft.
8
3. Der Senat hebt auch die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf, um dem neuen Tatrichter einheitliche Feststellungen zu ermöglichen. Dadurch verliert der gesamte Rechtsfolgenausspruch seine Grundlage.
9
Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, konkrete Feststellungen zur Fahrerlaubnis des Angeklagten zu treffen. Eine gegebenenfalls in Betracht kommende Einziehung des Führerscheins nach § 69 Abs. 3 Satz 2, § 69b Abs. 2 Satz 1 StGB kann im zweiten Rechtsgang noch nachgeholt werden. Das Verbot der reformatio in peius steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 4 StR 262/14, mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke
19
1. Die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11, Rn. 9; vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180).

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.