Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 514/09

bei uns veröffentlicht am02.02.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 514/09
vom
2. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Betrug u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 7. Mai 2009
a) aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in Fall II. 1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Betrug in zehn Fällen und der Beihilfe zum versuchten Betrug schuldig ist;
c) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Betrug in elf Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstra- fe von einem Jahr verurteilt; eine im Zwischenverfahren eingetretene Verfahrensverzögerung hat es dadurch kompensiert, dass vier Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil insoweit Verjährung eingetreten ist. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 28. Februar 2003 war nicht geeignet, eine Unterbrechung der Verjährungsfrist gemäß § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB herbeizuführen, da er nicht die Beteiligung des Angeklagten an Taten des H. A. be traf.
3
Der Senat stellt das Verfahren daher insoweit ein und ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
4
2. Der mit der Teileinstellung verbundene Wegfall der Einzelstrafe von vier Monaten würde zwar für sich genommen angesichts der Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen nicht zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe führen. Die Strafzumessung begegnet aber aus anderen Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden anwaltsrechtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschl. vom 27. August 1987 - 1 StR 412/87, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 46 Rdn. 9 m.w.N.). Der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Freiheitsstrafen verhängt hätte, wenn es dies bedacht hätte.
5
Einer Aufhebung der den Strafausspruch tragenden rechtsfehlerfreien Feststellungen bedarf es hingegen nicht. Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
6
3. Auch über die Kompensation wegen der Justiz anzulastender Verfahrensverzögerungen ist neu zu entscheiden, da der Senat den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufgehoben hat.
7
Die Revision beanstandet insoweit zu Recht, dass es nicht nur im Zwischenverfahren , sondern auch während des Ermittlungsverfahrens zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gekommen ist, weil das Verfahren nach Fertigung des Abschlussberichts der Polizei bis zur Anklageerhebung nicht erkennbar gefördert wurde. Dagegen hält sich die Zeitspanne zwischen dem Eingang der Revisionsbegründung und der Übersendung der Akten an den Generalbundesanwalt, wie dieser in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, trotz der zwischenzeitlichen Herbeiführung einer Beschwerdeentscheidung zur Frage einer ordnungsgemäßen Vertretung des Angeklagten durch einen weiteren Verteidiger innerhalb der üblichen Verfahrensdauer.
8
Der neu entscheidende Tatrichter wird die der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen nach den vom Großen Senat für Strafsachen (BGHSt 52, 124 ff.) aufgestellten Maßstäben zu kompensieren haben. Im Hinblick auf die im angefochtenen Urteil vorgenommene Anrechnung von vier Monaten der erkannten Strafe für eine im Zwischenverfahren eingetretene Verzögerung von sechs Monaten bemerkt der Senat, dass er eine derartige Kompensation für überzogen hält. Zwar lassen sich allgemeingültige Kriterien für die Bemessung der Kompensation nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Verfahrensdauer als solche und die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten - wie auch vorliegend - bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. Die Anrechnung hat sich aber im Regelfall auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken (vgl. BGHSt 52, 124, 146 f.; BGH, Urt. vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08; Senatsbeschl. vom 24. November 2009 - 4 StR 245/09). Im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO darf im vorliegenden Fall der nach Abzug des für vollstreckt zu erklärenden Teils der schuldangemessenen Strafe verbleibende Strafanteil jedenfalls acht Monate nicht übersteigen.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 514/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 514/09

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte
Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 514/09 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 114 Anwaltsgerichtliche Maßnahmen


(1) Anwaltsgerichtliche Maßnahmen sind bei Verfahren gegen Rechtsanwälte 1. Warnung,2. Verweis,3. Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro,4. Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten als Vertreter oder Beistand für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Anwaltsgerichtliche Maßnahmen sind bei Verfahren gegen Rechtsanwälte

1.
Warnung,
2.
Verweis,
3.
Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro,
4.
Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten als Vertreter oder Beistand für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren tätig zu werden,
5.
Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft.

(2) Anwaltsgerichtliche Maßnahmen sind bei Verfahren gegen Berufsausübungsgesellschaften

1.
Warnung,
2.
Verweis,
3.
Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro,
4.
Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren als Vertreter oder Beistand tätig zu werden,
5.
Aberkennung der Rechtsdienstleistungsbefugnis.

(3) Die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen des Verweises und der Geldbuße können nebeneinander verhängt werden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 238/08
vom
9. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 5. November 2007 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die - im Übrigen freigesprochene - Angeklagte wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch und die zugehörigen Feststellungen - soweit es die Angeklagte betrifft - beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Revision beanstandet insbesondere die von der Kammer angenommene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sowie das Maß der darauf beruhenden Kompensation. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.


2
Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vorgenommene Kompensation begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
1. Die Strafkammer hat an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als verwirkt angesehen. Sie hat sodann zum Ausgleich für eine von ihr bejahte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von vier Monaten von der eigentlich als schuldangemessen erachteten Freiheitsstrafe einen bezifferten Strafabschlag von sechs Monaten vorgenommen und gegen die zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierte Angeklagte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt.
4
2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Der Senat kann offenlassen, ob ein sachlich-rechtlicher Fehler schon allein darin liegt, dass das Landgericht bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. Dezember 2006 verwiesen hat, der eine Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. zum Gegenstand hat. Jedenfalls genügt diese bloße Bezugnahme hier nicht, weil das Landgericht bei der Beurteilung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte als das Oberlandesgericht. http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225&I=227 - 5 -
5
a) Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation Art, Ausmaß und Ursachen der Verfahrensverzögerung zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Insofern hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festsetzung der Strafe mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Strafzumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen, § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08). Dabei muss grundsätzlich jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 30, 225, 227; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 22). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen deshalb in der Regel nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, da es ansonsten sachlichrechtlich an der Möglichkeit einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (BGH NStZ-RR 2007, 22 m.w.N.).
6
b) Gemessen an diesen Maßstäben erscheinen die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils nicht unbedenklich. Die Kammer führt lediglich pauschal aus, ohne nähere Einzelheiten zu den jeweiligen Verfahrensschritten festzustellen , die Tat liege vier Jahre zurück, die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft und die Anklage datierten vom 20. Oktober 2005. Am 2. März 2006 habe die Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, die Hauptverhandlung habe am 4. Oktober 2006 begonnen und über ein Jahr gedauert. Weiter legt sie dar, dass „nach den Feststellungen des OLG Bamberg im Beschluss vom 19.12.2006“ (in dem wiederum auf den hinsichtlich des frü- heren Mitangeklagten K. W. ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 2006, StV 2007, 254, verwiesen wird) „es zu einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung von 4 Monaten gekommen“ sei, „da der ursprünglich bestimmte Hauptverhandlungstermin vom 17.05.2006 aufgehoben“ worden sei (UA S. 82/83).
7
aa) Damit beschränkt sich das Landgericht auf die bloße Aneinanderreihung der zeitlichen Abläufe und die Wiedergabe einer wertenden Beurteilung eines anderen Gerichts in einer Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. . Die gebotenen konkreten Feststellungen zum Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in Bezug auf die Angeklagte H. W. hat es damit jedoch nicht getroffen.
8
(1) Insbesondere hat die Strafkammer weder die Gründe für die Neuterminierung mitgeteilt, noch die zur Vorbereitung und Terminierung des neuen, zudem nach einem Wechsel des Kammervorsitzes und des Berichterstatters in neuer Gerichtsbesetzung stattfindenden Hauptverhandlungstermins erforderlichen Zeitspannen erkennbar berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 514/07). Es wäre aber festzustellen gewesen, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen in der vorliegenden umfangreichen Wirtschaftstrafsache, die wegen mehrerer Tatkomplexe gegen zwei Angeklagte geführt wurde, beansprucht werden durfte. Denn dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08; zur Vorbereitung und Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen vgl. BGH NJW 2008, 2451, 2453 f.).
9
(2) Außerdem hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Umstand, dass das Strafverfahren während eines einzelnen Verfahrensabschnitts verzögert betrieben wurde, für sich allein keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (BGH NStZ 2004, 504; NStZ-RR 2007, 150, 151; vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. Juli 2005 - 57019/00). Bei der Prüfung, ob eine Strafsache insgesamt in angemessener Frist (im verbindlichen englischen Originaltext „…within a reasonable time…“) i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhandelt worden ist, sind neben der gesamten Dauer von dem Zeitpunkt an, in dem die Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wurde, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Art und die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten der Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für die Beschuldigte als maßgebende Kriterien festzustellen und zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 504).
10
bb) Der Senat lässt - wie oben dargelegt - offen, ob für die Beurteilung dieser an sich notwendigen eigenen Darlegungen im Urteil der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg, auf den das landgerichtliche Urteil verweist, und der dort enthaltene Hinweis auf die veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG StV 2007, 254) ergänzend herangezogen werden können. Die bloße Bezugnahme auf diese Entscheidungen verbietet sich vorliegend jedenfalls deshalb, weil das Tatgericht bei der Bewertung des Bestehens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte, als dies im Rahmen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Oberlandes- gerichts betreffend die Haftfortdauer des früheren Mitangeklagten K. W. der Fall war.
11
(1) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG garantieren das Recht eines jeden Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Dauer des Strafverfahrens vom Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (BGH StV 2002, 598; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 80 ff. m.w.N.). Unabhängig davon besteht der Anspruch des aus Gründen der Prozesssicherheit inhaftierten Angeklagten „auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung“ aus der Haft, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der für die Beurteilung der insoweit angemessenen Dauer maßgebende Fristbeginn ist hierbei zunächst der tatsächliche Beginn der Freiheitsentziehung, das maßgebliche Fristende der Erlass des erstinstanzlichen Urteils (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 116, 117).
12
(2) Die „angemessene Frist“ für die Untersuchungshaft ist dabei wesentlich kürzer bemessen und unterliegt strengeren Anforderungen als die Frist, binnen der das Strafverfahren durchgeführt sein muss. Während für die Unangemessenheit der Verfahrensdauer als Maßstab der Zeitraum gilt, der für die sachgerechte Erledigung des jeweiligen Verfahrens bei ordnungsgemäßer Bearbeitung im normalen Verfahrensbetrieb notwendig ist, ist bei der Frage der weiteren Haftfortdauer regelmäßig nur die bei größtmöglicher Beschleunigung erreichbare Minimaldauer hinnehmbar (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 114; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. Rdn. 828). Damit können die Fristen für die Verfahrenserledigung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG länger sein als die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gesetzten , in denen über eine Freiheitsentziehung zu entscheiden ist.
13
(3) Hinzukommt, dass - anders als bei der Frage der Angemessenheit der Dauer des gesamten Strafverfahrens - die Angemessenheit der Dauer der Haft nicht rückblickend zu beurteilen ist, sondern ex ante von der jeweils gegebenen , aktuellen Verfahrenslage aus (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 115).
14
(4) Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist demnach nicht zwangsweise zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (so bereits EGMR, Matznetter/Österreich, Urt. vom 10. November 1969 - 2178/64; vgl. auch Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 76; Paeffgen in SK-StPO 57. Lfg. Art. 5 MRK Rdn. 61). Dies gilt erst recht in einem Verfahren , das - wie gegenständlich - gegen mehrere Angeklagte geführt wird: Während ein bestimmter Verfahrensablauf für einen, noch dazu inhaftierten Mitangeklagten einen Verstoß gegen das in Haftsachen gebotene Beschleunigungsgebot darstellen kann, muss dies für die andere, nicht in Haft befindliche Angeklagte keineswegs zwangsläufig eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründen. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt ist vielmehr nach den individuellen Umständen des Einzelfalles - insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen Auswirkungen der Verfahrensdauer für den jeweiligen Betroffenen - für jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Juli 2005 - 1 StR 78/05). Dies hat die Strafkammer verkannt.
15
3. Die verhängte Freiheitsstrafe kann aber auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht für die von ihm angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten einen Strafabschlag von sechs Monaten gewährt hat. Dies überschreitet die Grenzen des dem Tatrichter insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraums und erweist sich daher als rechtsfehlerhaft.
16
a) Allgemeine Kriterien für die Festlegung der für erforderlich erachteten Kompensation lassen sich zwar nicht aufstellen. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen der Angeklagten - wie auch vorliegend - bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. In diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung geht es daher nur mehr um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Verzögerung. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen. Vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben (BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 50/07; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08).
17
b) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegt die vom Landgericht vorgenommene Reduzierung der ohne die angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten als verwirkt erachteten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten um sechs Monate nicht mehr im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Das Landgericht hat damit nicht nur eine Anrechnung entsprechend dem Maßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorgenommen, sondern eine solche in Höhe des eineinhalbfachen der von ihm bejahten Verzögerung und somit einen Abschlag von einem Drittel der eigentlich als tat- und schuld- angemessen angesehenen Freiheitsstrafe gewährt. Damit hat das Landgericht der Angeklagten eine Strafreduzierung zugebilligt, die zu einer Verkürzung der gegebenenfalls noch zu vollstreckenden Strafe in einem Umfang führt, der nicht einmal durch eine viermonatige inländische Untersuchungshaft hätte erreicht werden können (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH StV 2008, 299). Ein derart hohes Maß an Kompensation könnte nur ausnahmsweise durch deutlich gravierendere individuelle Belastungen der zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierten Angeklagten infolge der Verfahrensverzögerung als der hier festgestellten gerechtfertigt sein (vgl. BGH StV 2007, 461, 462).
18
4. Schließlich entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensationsverfahren („Strafabschlagslösung“) nicht der - nach dem angefochtenen Urteil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK („Vollstreckungsmodell“; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860 ff.).

II.


19
Der Strafausspruch sowie die zugehörigen Feststellungen waren deshalb - soweit es die Angeklagte betrifft - aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Damit entfällt auch die Grundlage der Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur Bewährung.

III.


20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
21
1. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die für eine mögliche Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung maßgeblichen Umstände als gerichtskundige Tatsachen zu behandeln haben und sich diese Kundigkeit im Freibeweisverfahren verschaffen können (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 11).
22
2. Es wird zu bedenken haben, dass nicht jede geringfügige Verzögerung - zumal in einer komplexen Wirtschaftsstrafsache mit nicht nur einer Angeklagten - bereits unangemessen und rechtsstaatswidrig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 283/08). Insbesondere führt ein lediglich vorübergehender Engpass in der Arbeits- und Verhandlungskapazität der Strafverfolgungsbehörden nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGH StraFo 2005, 24).
23
3. Für den Fall, dass auch das neue Tatgericht nach den neu zu treffenden Feststellungen zu der Überzeugung gelangt, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, so erscheint eine durch die Neuterminierung eingetretene Verfahrensverzögerung von - wie bisher festgestellt - vier Monaten jedoch denkbar gering. Insofern wird auch der Umstand Bedeutung erlangen, dass nach dem Vortrag der Revision als (Mit-)Ursache für die lange Dauer der Hauptverhandlung das Prozessverhalten der Angeklagten (vgl. RB S. 11) ebenfalls in Betracht kommt. Bei diesen Gegebenheiten ist zu berücksichtigen, dass zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung die bloße ausdrückliche Feststellung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausreichen kann und ein darüber hinaus gehender Ausgleich nach der „Vollstreckungslösung“ nicht in jedem Fall geboten ist (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 21. Februar 2008 - 4 StR 666/07). Dies gilt umso mehr, als dem Abstand zwischen Tat und Aburteilung sowie dem wegen der Verfah- rensdauer vom Landgericht angenommenen - an sich aber fern liegenden und jedenfalls konkret nicht belegten - psychischen Druck auf die nicht inhaftierte Angeklagte bereits im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen ist.
Nack Wahl Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 54/08
vom
11. März 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
zu 2. und 3.: bandenmäßiger Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringerMenge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 11. März 2008 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2007 in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten L. und A. B. wegen bandenmäßiger unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und den Angeklagten K. wegen bandenmäßiger Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Nachprüfung der Schuldsprüche aufgrund der Revisionsrecht- fertigungen hat keinen Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen haben die Revisionen zu den Strafaussprüchen Erfolg.
2
Das Landgericht hat für die 15 festgestellten Taten Einzelstrafen zwischen drei Jahren zehn Monaten und sechs Jahren (Angeklagte L. und A. B. ) und zwischen vier Jahren zwei Monaten und sechs Jahren vier Monaten (Angeklagter K. ) als eigentlich verwirkt angesehen. Es hat bei allen Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung pauschal die lange Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt. Sodann hat es als "Verzögerungen im Verfahrensgang , die dem Beschleunigungsgebot widersprechen", Zeiträume zwischen einzelnen Verfahrensabschnitten (zwischen der ersten polizeilichen Vernehmung und dem Urteil insgesamt knapp mehr als zwei Jahre) aufgezählt, ohne kenntlich zu machen, welcher konkrete Zeitabschnitt davon jeweils unter Anrechnung einer sachgerechten Verfahrensbehandlung einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK darstellt. Schließlich hat es auf dieser Grundlage bei allen Angeklagten jede Einzelstrafe um ein Jahr reduziert und daraus die genannten Gesamtfreiheitsstrafen gebildet.
3
Dies hält rechtlicher Überprüfung schon deswegen nicht stand, weil das Landgericht die Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 17. Januar 2008 (GSSt 1/07 = BGH NJW 2008, 860; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) entschieden, dass in derartigen Fällen die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen ist; vielmehr ist diese in der Urteilsformel auszusprechen und gleichzeitig zu bestimmen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil dieser Strafe als vollstreckt gilt. Diese Änderung der Rechtsprechung führt hier zur Aufhebung der Strafaussprüche; denn bei den bisher unbestraften bzw. nur geringfügig vorbestraften Angeklagten liegt es nahe, dass sie in Anwendung des Vollstre- ckungsmodells früher in den Genuss einer Aussetzung der Vollstreckung einer Reststrafe zur Bewährung kommen können, als dies bei der vom Landgericht noch angewendeten Strafabschlagslösung der Fall wäre (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866).
4
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird Folgendes zu beachten haben:
5
1. Bereits nach der früheren Rechtsprechung waren als Grundlage der Kompensation Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil festzustellen. Hieran hat sich auch nach dem Vollstreckungsmodell nichts geändert (BGH aaO). Die entsprechenden Feststellungen sind neu zu treffen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht jeweils die gesamten Zeiten zwischen verschiedenen verfahrensfördernden Maßnahmen als rechtsstaatswidrige Verzögerungen angesehen werden können; vielmehr durfte auch bei zügiger Verfahrensgestaltung die Erledigung dieser Maßnahmen jeweils eine angemessene Zeitdauer in Anspruch nehmen.
6
Die so getroffenen Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden , ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagten wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt waren, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht. Hierauf aufbauend sind die schuldangemessenen Einzel- und Gesamtstrafen festzustellen; letztere sind im Urteilstenor auszusprechen.
7
2. Da allein die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hier als Kompensation nicht ausreichen wird (vgl. dazu BGH aaO S. 864, 866), ist daran anschließend im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafen zur Kompensation der Verzögerung jeweils als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen ; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
8
3. Der neue Tatrichter wird bei der Begründung der Strafzumessung Wendungen zu vermeiden haben, die die Besorgnis nahe legen, dass ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vorliegen könnte. Denn es ist rechtlich bedenklich , wenn - bei bandenmäßigem Betäubungsmittelhandel der Erhalt recht hoher Einnahmen und Vergütungen - beim Gehilfen das Erbringen einer Unterstützungsleistung zugunsten des Haupttäters oder die helfende Beteiligung an den Taten der Mitangeklagten - die Entscheidung, strafbare Handlungen zu begehen, obwohl die Angeklagten nicht oder nur sehr geringfügig vorbestraft waren und keine Berührung zur Drogenszene hatten strafschärfend berücksichtigt werden. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 245/09
vom
24. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. November 2009
gemäß §§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 25. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass zwei Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen , der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung ist ein angemessener Teil der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt anzuordnen (vgl. BGHSt - GS - 52, 124). Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 18. Juli 2008 ist seitens der Justizbehörden das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt worden, weil die Akten erst am 16. Juni 2009 beim Generalbundesanwalt eingegangen sind. Mit der Übersendung der Akten wurde gewartet, bis das dieselbe Tat betreffende Verfahren bezüglich weiterer sieben der ursprünglich zehn früheren Mitangeklagten abgeschlossen war. Zwar mag ein kurzes Abwarten sachgerecht sein, um denselben Sachverhalt betreffende Urteile dem Revisionsgericht vorzulegen. Hier war aber bei Ablauf der Revisionsbegründungsfrist im vorliegenden Verfahren noch keines der sieben weiteren Urteile ergangen und es war auch nicht abzusehen, dass dies zeitnah geschehen würde.
3
Durch diese Sachbehandlung ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von etwa neun Monaten eingetreten. Um dies auszugleichen, stellt der Senat fest, dass zwei Monate der erkannten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Einer höheren Kompensation bedarf es nicht, weil eine besondere Belastung des nicht inhaftierten Angeklagten nicht ersichtlich ist.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović Franke Mutzbauer

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.