Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2018 - 4 StR 529/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:070218B4STR529.17.0
bei uns veröffentlicht am07.02.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 529/17
vom
7. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:070218B4STR529.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Februar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Juli 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Insbesondere kann der Senat ausschließen, dass sich der Angeklagte bei Begehung der Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befand.
3
2. Hingegen hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung ein zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet.
4
a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, er habe den Geschädigten mit einem Messer verletzt, dabei allerdings in Notwehr gehandelt, weil dieser ihn gewürgt habe. Das Landgericht hat sich die Überzeugung verschafft, dass das Handeln des Angeklagten nicht durch Notwehr gerechtfertigt war, da schon keine Notwehrlage bestand. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat es strafschärfend berücksichtigt, dass der Ange- klagte „das Opfer zu Unrecht eines Angriffs auf sein eigenes Leben und damit einer Straftat bezichtigt“ habe (UA 12). Dies ist rechtsfehlerhaft.
5
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einem Angeklagten grundsätzlich nicht verwehrt, sich mit der Behauptung zu verteidigen , er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen eine andere Person verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2013 – 4 StR 532/12, NStZ-RR 2013, 170, 171; vom 6. Juli 2010 – 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692; vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463; vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; vom 27. April 1989 – 1 StR 10/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4); solche Umstände sind hier indes nicht ersichtlich.
6
c) Der Senat kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich die fehlerhafte Strafzumessungserwägung bereits bei der Strafrahmenwahl zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Über die Strafe ist deshalb insgesamt neu zu befinden.
7
3. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat demgegenüber Bestand. Die sachverständig beratene Strafkammer hat jedenfalls das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB mit rechtlich vertretbarer Begründung abgelehnt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2018 - 4 StR 529/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2018 - 4 StR 529/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2018 - 4 StR 529/17 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 532/12
vom
29. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Juli 2012 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Nach den Feststellungen stach der Angeklagte am 5. Oktober 2010 dem Zeugen H. ohne nachvollziehbaren äußeren Anlass ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm in den Bereich des linken Brustkorbs. Der Zeuge erlitt eine ca. 7 cm tiefe Stichwunde, die mit einem Faden genäht werden musste. Da weder die Lunge, noch die innere Schicht des Brustkorbs verletzt wurden , bestand keine konkrete Lebensgefahr (Fall II. 2a der Urteilsgründe). Am 20. Oktober 2011 packte der Angeklagte in den Räumlichkeiten einer Buchhandlung seine ehemalige Lebensgefährtin, die Zeugin B. , von hinten an den Haaren und schlug mehrfach mit der Faust auf sie ein. Als die Zeugin am Boden lag, hielt er sie mit der linken Hand fest und fügte ihr mit einem CutterMesser Verletzungen im oberen linken Brustbereich und im Nacken zu. Die Stichverletzung im Brustbereich musste genäht werden. Es ist eine sichtbare Narbe zurückgeblieben. Die Zeugin leidet auch weiterhin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (Fall II. 2b der Urteilsgründe).
3
Das Landgericht hat den Angeklagten in beiden Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gesprochen und gegen ihn Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall II. 2a) und drei Jahren und neun Monaten (Fall II. 2b) verhängt. Aus diesen Einzelfreiheitsstrafen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten gebildet.

II.


4
Der Strafausspruch hält aus mehreren Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
1. Die beiden verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht jeweils sowohl im Rahmen der Prüfung eines minderschweren Falls gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB, als auch bei der konkreten Strafzumessung ein zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet hat.
6
a) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf im Fall II. 2a erklärt, den Zeugen H. geschlagen zu haben, als dieser nach einer zunächst verbal geführten Auseinandersetzung eine Teleskopstange mit einem kleinen Ball an der Spitze in die Hand nehmen wollte (UA 16). Im Fall II. 2b habe ihn die Zeugin B. mit einer Handtasche geschlagen. Er habe gesehen, dass er an der rechten Hand geblutet habe und ein Messer in der linken Hand der Zeugin wahrgenommen. Dieses Messer habe er ihr wegnehmen wollen. Schließlich habe er sie an der linken Schulter ergriffen und „herumgewirbelt“. Auch glaube er um sich geschlagen zu haben, weil er das Gefühl hatte, sich wehren zu müssen (UA 17). Das Landgericht hat in diesen Einlassungen einen schulderhöhenden Umstand gesehen, weil der Angeklagte den Zeugen H. und die Zeugin B. verdächtigt habe, sich ihm gegenüber der versuchten bzw. der vollendeten Körperverletzung schuldig gemacht zu haben (UA 31). Dies ist rechtsfehlerhaft.
7
b) Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692; MükoStGB/Miebach, 2. Aufl., § 46 Rn. 129). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463; Beschluss vom 27. April 1989 – 1 StR 10/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4; SSWStGB /Eschelbach, § 46 Rn. 124). Dies ist hier nicht der Fall. Der Angeklagte hat sich auf die wahrheitswidrige Behauptung eines drohenden (Fall II. 2a der Urteilsgründe ) bzw. eines bereits eingeleiteten Angriffs (Fall II. 2b der Urteilsgründe ) der Zeugen beschränkt. Darüber hinausgehende Verleumdungen oder Herabwürdigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; Beschluss vom 11. Mai 1989 – 1 StR 184/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 5), die eine straferschwerende Bewertung rechtfertigen könnten, sind in seinem Vorbringen nicht enthalten. Auch hat der Angeklagte die Zeugen nicht einer besonders verwerflichen Handlung bezichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 1990 – 3 StR 160/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10), sodass nicht angenommen werden kann, dass es ihm darum ging, ihr Ansehen über das verfolgte Verteidigungsziel hinaus zu beschädigen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 1994 – 1 StR 71/94, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten

13).


8
2. Die Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2b der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Zeugin B. ) ist auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht straferschwerend berücksichtigt hat, dass es zum Einsatz eines Messers kam (UA 31). Hierin liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, da die Verwendung des Messers bereits zur Begründung der Strafbarkeit des Angeklagten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB herangezogen worden ist. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abgehoben hat, dass es mit dem Messereinsatz zu einer Steigerung der Übergriffe des Angeklagten auf die Zeugin gekommen ist, wird damit nicht lediglich das Vortatverhalten des Angeklagten gewürdigt, sondern auch die Verwendung des Messers mit negativem Vorzeichen in die Bewertung einbezogen.
9
3. Durch die Aufhebung der Einzelstrafen verliert auch die Bestimmung der Gesamtstrafe ihre Grundlage.
10
Da es sich bei den aufgezeigten Fehlern um bloße Wertungsfehler handelt, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch bestehen bleiben. Ergänzende – hierzu nicht in Widerspruch tretende – Feststellungen sind möglich (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 – 5 StR 453/12).

Mutzbauer Cierniak Franke Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 219/10
vom
6. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 6. Juli
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 4. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über
a) die Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung sowie
b) die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , Diebstahls in drei Fällen und wegen Hehlerei zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision , mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Zwar hat das Landgericht auch aus dem Umstand, dass er sich in der Hauptverhandlung erst eingelassen und eine Notwehrsituation behauptet hat, nachdem wesentliche Teile der Beweisaufnahme bereits durchgeführt worden waren, rechtsfehlerhaft (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 261 Rdn. 16) für den Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen (UA S. 24 f.). Der Senat kann jedoch im Hinblick auf die übrigen Teile der ausführlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung auf diesem Rechtsfehler beruht.
4
2. Die für die gefährliche Körperverletzung verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten kann jedoch nicht bestehen bleiben. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Gesamtstrafenausspruch.
5
Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minderschweren Falles und bei der konkreten Strafzumessung strafschärfend gewertet, der Angeklagte habe durch die wahrheitswidrige Behauptung, er sei vom Geschädigten grundlos mit einem Messer angegriffen worden und dessen Verletzungen seien bei seinen Abwehrbemühungen entstanden, diesen in unzulässiger Weise in Misskredit gebracht und damit die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil unter den gegebenen Umständen in einem solchen Verteidigungsverhalten weder eine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers noch eine rechtsfeindliche Gesinnung gesehen werden kann (BGH StV 1999, 536 f.).
Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 60/07
vom
22. März 2007
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. Oktober 2006 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Einziehung des sichergestellten Haschischs sowie des Erlöses aus der Notveräußerung des bei der Tat benutzten Fahrzeugs angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum Ausspruch über die Einziehung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. Februar 2007.
3
2. Dagegen hält der Strafausspruch der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Recht beanstandet die Revision, dass das Landgericht dem Angeklagten rechtsfehlerhaft sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat.
4
a) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf durchgehend in Abrede gestellt und sich dahin eingelassen, das in dem Mercedes Cabriolet CLK 320 aufgefundene Haschisch gehöre ihm nicht. Er habe das Fahrzeug zuvor an seinen Bekannten Abdelkarim E. A. verkauft und es diesem durch Aushändigung der Fahrzeug- und Garagenschlüssel auch bereits übertragen. Diese Einlassung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei widerlegt. Dies rechtfertigte es jedoch nicht, strafschärfend zu werten, dass der Angeklagte "den Tatverdacht wider besseres Wissen gezielt auf den nicht mehr in Deutschland aufhältigen Monaim B. gelenkt hat“ (UA 37), bei dem es sich um den von dem Angeklagten benannten, unter falscher Identität in die Bundesrepublik eingereisten „E. A. “ handelt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einem eine Straftat leugnenden Angeklagten unbenommen, sich damit zu verteidigen, dass er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt; auch dann, wenn sich diese Anschuldigungen als haltlos erweisen, darf eine belastende Zurechnung bei der Strafzumessung grundsätzlich nicht erfolgen (vgl. Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 50 ff.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4, 5, 10). Anders kann es sich allerdings verhalten - und dann eine Strafschärfung rechtfertigen - wenn Umstände im Rahmen einer Falschbelastung hinzukommen , nach denen sich das Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH aaO). Ein solcher Umstand kann - wovon ersichtlich die Strafkammer ausgegangen ist - auch darin gesehen werden , dass der die Tat leugnende Angeklagte einen völlig Unschuldigen der Tatbegehung bezichtigt (vgl. BGH StV 1995, 633, 634). Auch wenn dem Tatrichter bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein Verteidigungsvorbringen die Grenzen angemessener Verteidigung überschreitet, ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (vgl. BGH aaO), rechtfertigt dies hier die strafschärfende Wertung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten schon deshalb nicht, weil er - insoweit entgegen der Annahme des Landgerichts – Monaim B. alias Abdelkarim E. A. nicht etwa "gezielt" (UA 37) des Handeltreibens mit der sichergestellten Haschischmenge bezichtigt hat, sondern sich lediglich damit verteidigt hat, er habe das Fahrzeug an ihn verkauft. Angesichts dieser - fraglos zulässigen - Verteidigungsstrategie musste er, wenn er nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wollte (vgl. BGHR aaO Verteidigungsverhalten 5), den Käufer auch namhaft machen, denn es wäre von vornherein klar gewesen, dass ihm eine Einlassung, er kenne den Namen des Käufers nicht, schon angesichts des Wertes des Fahrzeugs nicht geglaubt würde. Der Angeklagte hat auch nicht etwa definitiv behauptet, das Haschisch gehöre dem von ihm benannten Käufer des Pkw bzw. es sei von diesem in dem Pkw gebunkert worden. Vielmehr hat er insoweit lediglich eine Vermutung geäußert (UA 13 a.E.). Dass sich eine solche Vermutung - ausgehend von der Verteidigungsstrategie des Angeklagten - aufdrängen konnte, liegt unabhängig davon auf der Hand, dass der Hinweis des Angeklagten, "E. A. " sei bereits einmal im Zusammenhang mit einem Haschischgeschäft festgenommen worden, zutraf. Jedenfalls kann in der Einlassung eine besonders herabwürdigende Verleumdung des von dem Angeklagten als Käufer benannten "E. A. " nicht gesehen werden, die im Rahmen eines sonst zulässigen Verteidigungsverhaltens strafschärfend gewertet werden könnte (vgl. BGH aaO). Schließlich hat das Landgericht selbst gesehen, dass die Gefahr einer Strafverfolgung für den nicht mehr in Deutschland aufhältigen Monaim B. von vornherein "denkbar gering“ war (UA 37). Auch unter dem Gesichtspunkt der Folgen, die ihm aus der Einlassung des Angeklagten erwachsen konnten (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 54), kann deshalb daraus schwerlich eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten hergeleitet werden.
5
b) Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt allerdings nicht die Strafrahmenwahl. Denn schon angesichts der "enorm großen Drogenmenge" hat das Landgericht rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines minder schweren Falles des § 29 a Abs. 2 BtMG verneint und die Strafe dem Regelstrafrahmen des § 29 a Abs. 1 BtMG entnommen. Der Senat kann jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die verhängte Strafe zum Nachteil des Angeklagten durch die rechtsfehlerhafte Strafzumessungserwägung beeinflusst worden ist.
6
Über die Strafe ist deshalb neu zu befinden. Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht, weil der Aufhebungsgrund lediglich in einem Wertungsfehler liegt (BGH, Urteil vom 1. September 1993 - 2 StR 263/93). Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.