Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2012 - 5 StR 313/12

bei uns veröffentlicht am03.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 313/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Juli 2012

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 19. März 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) in den Aussprüchen über die drei Einzelfreiheitsstrafen (Fälle 1.1, 4 und 6) und über die Gesamtstrafe,
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit davon abgesehen worden ist, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Computerbetrugs, Bedrohung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des An- geklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Urteil begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist.
3
Das Absehen von der Maßregel hat das Landgericht lediglich damit begründet, dass der Angeklagte nicht bereit sei, sich therapieren zu lassen (UA S. 16). Dabei hat es aber auch festgestellt, dass sich der seit März 2009 Heroin und Crystal konsumierende Angeklagte selbst als früher drogenabhängig eingeschätzt habe; durch die zwischenzeitlich erlittene Haftzeit fühle er sich indes nicht mehr behandlungsbedürftig und lehne eine stationäre Langzeitentwöhnungstherapie ab (UA S. 3). Die von der Strafkammer hinzugezogene Sachverständige, die bei dem Angeklagten eine Methamphetaminabhängigkeit diagnostiziert hat, schätzt den Angeklagten als behandlungsbedürftig und -fähig ein und befürwortet die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
4
Die vom Landgericht gegebene Begründung für das Absehen von der Anordnung kann das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 2 StGB nicht tragen. Zwar kann die Therapieunwilligkeit des Täters ein gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel sprechender Umstand sein. In diesem Fall sind jedoch die Gründe und Wurzeln eines etwaigen Motivationsmangels festzustellen; es ist zu überprüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 – 5 StR 413/09, NStZ-RR 2010, 42, 43, und vom 22. September 2010 – 2 StR 268/10, NStZ-RR 2011, 203). Diesen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil nicht. Das Landgericht hat keine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2010 – 2 StR 268/10 aaO) vorgenommen undhat die Gründe der fehlenden The- rapiebereitschaft nicht hinterfragt. Ein Erörterungsbedarf hat sich aber bereits deshalb aufgedrängt, weil angesichts einer in den Urteilsgründen anklingenden (subjektiven) Besserung der Drogenproblematik unter Haftbedingungen die Erfolgsaussichten der Maßregel und auch eine damit verbundene Motivierung des Angeklagten nicht fernliegend erscheinen.
5
Die Sache bedarf insoweit unter Hinzuziehung der Sachverständigen nach § 246a StPO neuer tatrichterlicher Prüfung. Das Verbot der Schlechterstellung steht einer möglichen Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
6
2. Der Senat hebt darüber hinaus auch den Strafausspruch auf, soweit Einzelfreiheitsstrafen verhängt worden sind, und im Gesamtstrafausspruch, um dem neuen Tatgericht gegebenenfalls eine sachgerechte Abstimmung von Strafen und Maßregel zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12). In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung neu zu treffen; es ist nicht auszuschließen , dass eine erneute ergänzende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, darüber hinaus der Umstand mittlerweile erlittenen erheblichen Freiheitsentzugs, nunmehr auch die Prognoseentscheidung in einem anderen Licht erscheinen lässt.
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Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2012 - 5 StR 313/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2012 - 5 StR 313/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange
Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2012 - 5 StR 313/12 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

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(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

5 StR 413/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in drei Fällen, schweren Raubes in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung in weiterer Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge geführte Revision des Angeklagten, die sich insbesondere gegen das Unterlassen der Anordnung einer Maßregel nach §§ 63 oder 64 StGB richtet, hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen beging der 29 Jahre alte heroinabhängige Angeklagte zwischen dem 7. April und dem 9. Juni 2008 insgesamt zehn Überfälle auf Geschäfte und Tankstellen, bei denen er teilweise ein Messer, teilweise eine geladene oder ungeladene PTB-Waffe Walter P 22 einsetzte und Bargeld, Zigaretten und Mobiltelefone erbeutete. Diese Taten waren „motiviert aus der Angst vor Entzugserscheinungen“ (UA S. 21). Darüber hinaus brach der Angeklagte am 27. April 2008 einen Opel Kadett auf, den er bis zum Abend des Folgetages nutzte und dann an einer anderen Stelle unverschlossen abstellte. Am 9. Juni 2008, kurz vor Begehung des letzten Überfalls auf einen Drogeriemarkt, zwang er die Fahrerin eines Opel Vectra unter Vorzeigen einer ungeladenen PTB-Waffe dazu, ihm den Pkw zu überlassen , mit dem er sich entfernte. Unmittelbar vor diesen beiden Taten hatte der Angeklagte Heroin konsumiert und stand unter dem Einfluss dieser Droge , die bei ihm einen „Heroinrausch“ verursachte (UA S. 21).
3
2. Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge erfolgreich. Die Ablehnung der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB ist in der Begründung rechtsfehlerhaft.
4
In Anlehnung an die Ausführungen des Sachverständigen vertritt das Landgericht die Auffassung, dass die Unterbringung keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg verspreche. Diese Einschätzung wird zum einen darauf gestützt, dass es dem Angeklagten an einem ernsthaften Therapiewillen fehle, da seine „Änderungsmotivation eher ungerichtet“ sei und er seine Ablehnung in der Hauptverhandlung unter anderem damit begründet habe, er brauche etwas „längeres anderes“. Zwar kann – was das Landgericht im Ansatz zutreffend erkennt – die Therapieunwilligkeit des Täters ein gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel sprechender Umstand sein. In diesem Fall sind jedoch die Gründe und Wurzeln eines etwaigen Motivationsmangels festzustellen und es ist zu überprüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 263; DAR 1999, 196). Das Landgericht setzt sich insoweit nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass die vom Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen und in der Hauptverhandlung geäußerte Ablehnung einer Entziehungsbehandlung von dem Motiv getragen sein kann, stattdessen die von dem Angeklagten selbst in erster Linie ausdrücklich erstrebte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erreichen.
5
Soweit das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, darauf abstellt , dass zunächst eine Sozialtherapie vorgenommen werden sollte, um eine Erfolg versprechende Entziehungsbehandlung zu gewährleisten, trägt auch das die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB nicht. Dabei bleibt nämlich unbeachtet, dass der Angeklagte zunächst nach der Regelvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB einen Teil seiner Freiheitsstrafe von nicht unerheblicher Dauer vor der Vollstreckung der Maßregel zu verbüßen haben wird, der für eine sozialtherapeutische Behandlung genutzt werden kann. Sollte diese zum Zeitpunkt des regulären Übergangs des Angeklagten in die Vollstreckung der Maßregel noch nicht abgeschlossen sein, so kommt grundsätzlich auch die nachträgliche Anordnung des Vollzugs eines weiteren Teils der Strafe in Frage (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StGB).
6
Der Verzicht auf die Unterbringung lässt sich auch nicht mit der von dem Sachverständigen übernommenen Auffassung begründen, „in der Fachwelt sei anerkannt, dass bei der Verhängung von Freiheitsstrafen über drei Jahren die Erfolgsaussichten mit jedem Jahr Freiheitsstrafe über drei Jahren erheblich abnähmen, da gerade bei einer Suchtbehandlung Therapiebemühungen nur Erfolg versprächen, wenn sie nicht nur im Strafvollzug, sondern zumindest auch teilweise ‚im täglichen Leben in Freiheit’ erprobt werden könnten“ (UA S. 48). Gerade diesem Umstand hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB, der bei langen Freiheitsstrafen den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vorsieht, Rechnung getragen (vgl. BT-Drucks. 16/1110 S. 11, 14).
7
Schließlich vermag auch die Berufung der Strafkammer darauf, dass „die Ausgangsbedingungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sehr ungünstig“ seien (unter Hinweis auf BGH StV 2008, 138), den Verzicht auf die Unterbringung des Angeklagten nicht zu rechtfertigen. Die Entlastung des Maßregelvollzugs von Tätern mit sehr ungünstigen Ausgangsbedingungen war zwar ein Ziel der Umgestaltung des § 64 StGB in eine Sollvorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl 2007 I 1327; vgl. BT-Drucks. 16/5137 S. 1 und 10 und 16/1344 S. 12 f.). Auf der Grundlage dieser Ermessensvorschrift kommt ein Absehen von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt indes nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07; Schneider NStZ 2008, 68, 70). Es ist nicht ersichtlich, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt.
8
3. Der Senat hält die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs für angezeigt, um eine umfassende Neubeurteilung der Frage der Anordnung von Maßregeln gemäß §§ 64 oder 63 StGB nach neuer Begutachtung und der damit zusammenhängenden Bemessung der Strafen zu ermöglichen, zumal bereits die Ausführungen des Urteils zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten und – darauf beruhend – zur Prüfung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht frei von Bedenken sind.
9
a) Die Ausführungen des Landgerichts zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB – mit einer Ausnahme lediglich unter Anwendung des Zweifelssatzes – sind insgesamt wenig stringent. Insbesondere erschließt sich nicht ohne weiteres, weshalb es für die Frage der sicheren oder lediglich auf der Grundlage des Zweifelssatzes beruhenden Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Leistungsverhalten des Angeklagten in der Tatsituation ankommen soll. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb eine akute Heroinintoxikation zwar bei dem vorletzten Raub am 9. Juni 2008 um 10.00 Uhr eine Rolle gespielt haben soll, nicht aber bei dem letzten am selben Tag um 11.45 Uhr begangenen Überfall.
10
b) Mit dem Sachverständigen geht das Landgericht davon aus, dass bei dem Angeklagten eine „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ vorliege, die jedoch keinen Einfluss auf seine Einsichtsfähigkeit gehabt habe und auch seine Steuerungsfähigkeit während der Begehung der Taten nicht erheblich eingeschränkt habe. Das Urteil lässt dabei indes nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen der Sachverständige diese Diagnose gestellt hat. Eine fundierte Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang wäre deshalb erforderlich gewesen, weil dem Angeklagten in der Vergangenheit bereits forensisch -psychiatrische Diagnosen gestellt wurden, die von der Diagnose des Sachverständigen in dem hiesigen Verfahren abweichen. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund der – vom Sachverständigen zudem erst spät – gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang früherer Unterbringungen des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (vgl. hierzu UA S. 27 bis 29).
11
c) Das angefochtene Urteil trifft auch keine Festlegung dahingehend, ob die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung bereits nicht das Kriterium der „schweren anderen seelische Abartigkeit“ erfüllt oder – bei Erfüllung dieses Eingangskriteriums der §§ 20, 21 StGB – lediglich die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht oder etwa nur nicht erheblich beeinträchtigt hat. Die Diagnose selbst einer schweren Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB.
12
d) Gelangt auch das neue Tatgericht rechtsfehlerfrei zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, wird es zu prüfen haben, ob Symptome vorliegen , die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 77, 78; BGHR StGB § 63 Zustand 34). Wenn danach eine schwere seelische Abartigkeit festzustellen ist und ein motivischer Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Tatgeschehen besteht, liegt es dann aber nahe, dass sie sich in einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat; auch die Pla- nung der Taten, wie sie das Landgericht mit dem Sachverständigen „bis auf wenige Ausnahmen“ feststellt (UA S. 26), spricht dann nicht ohne weiteres dagegen (vgl. BGH StraFo 2001, 249).
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(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

5 StR 87/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 12. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2012

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 9. Dezember 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist,
b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen 1, 7 und 10 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung in drei Fällen sowie wegen Sachbeschädigung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verurteilung wegen Brandstiftung in drei Fällen beschränkten Revision. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts legte der Angeklagte neben den sieben rechtskräftig als Sachbeschädigungen ausgeurteilten Brandlegungen zwischen Februar 2009 und Juni 2011 drei Brände, indem er einen Papierstapel in einem Kellerverschlag des auch von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses (Fall 1), den in einem an der Rückwand eines Restaurants stehenden Müllcontainer befindlichen Abfall (Fall 7) und im Eigentum anderer Mieter stehende Gegenstände in einem Kellerverschlag eines wiederum auch von ihm selbst bewohnten Mehrfamilienhauses (Fall 10) entzündete. In allen Fällen entstand aufgrund der vom Angeklagten billigend in Kauf genommenen Flammen- und Rauchentwicklung erheblicher Gebäudeschaden. Bei Begehung der Taten befand sich der an einer Alkoholabhängigkeit leidende Angeklagte jeweils – zumindest nicht ausschließbar – in erheblich alkoholisiertem Zustand, weshalb die Strafkammer eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB angenommen hat.
3
Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das sachverständig beratene Landgericht mit der Begründung abgelehnt, bei dem Angeklagten bestehe zwar eine Alkoholabhängigkeit, ein Hang im Sinne des § 64 StGB liege jedoch nicht vor. Der Angeklagte sei stets in der Lage gewesen, seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Sein erhöhter Alkoholkonsum sei nicht Ursache, sondern Folge von Antriebsmangel und Strukturverlust im Alltag. Er habe zu keinem Zeitpunkt an Entzugserscheinungen gelitten und sei in der Lage gewesen, seinen Konsum aufzuschieben.
4
2. Die Erwägungen der Strafkammer zur Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Ihnen liegt ein zu enges Verständnis des Begriffs des Hanges zu übermäßigem Rauschmittelkonsum zugrunde. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB setzt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung voraus, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen, wobei auch das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz dem nicht entgegenstehen (BGH, Beschlüsse vom 9. November2011 – 2StR 427/11 – und vom 30. März 2010 – 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 64 Rn. 9 mwN).
5
Danach lässt sich die Verneinung eines Hanges nicht mit dem vom Sachverständigen festgestellten Alkoholabhängigkeitssyndrom in Einklang bringen: Der Sachverständige hat hierzu weiter ausgeführt, dass sich der Tagesablauf des Angeklagten jedenfalls zum Teil nach seinem Alkoholkonsum gerichtet habe, die gemessenen Alkoholwerte auf eine erhebliche Alkoholgewöhnung hindeuteten, eine gewisse Verwahrlosung des Angeklagten eingetreten sei und dieser bisher nicht mit dem Trinken aufgehört habe, obwohl dies seit längerem sein Wunsch sei. Das seitens der Strafkammer herangezogene Fehlen einer erheblichen Einschränkung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit hindert die Annahme eines Hanges nicht (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 – 2 StR 427/11). Gleiches gilt für die Fähigkeit, den Konsum „aufzuschieben“. Es ist nicht Voraussetzungdes Hanges, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht ; vielmehr ist es auch ausreichend, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 – 5 StR 586/08, NStZ-RR 2009,

137).


6
3. Neben der Beanstandung der unterbliebenen Maßregelanordnung hebt der Senat auch die Aussprüche über die Einzelfreiheitsstrafen in den von der Revision erfassten Fällen – die wegen der Sachbeschädigungen verhängten, nicht angefochtenen Einzelgeldstrafen bleiben bestehen – sowie den Gesamtstrafausspruch auf, da nicht auszuschließen ist, dass das Land- gericht im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Auf diese Weise wird eine sachgerechte Abstimmung von Maßregel und Strafe ermöglicht. Der Senat kann zudem nicht ausschließen, dass sich die fehlerhafte Beurteilung des Hanges auf die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 21, 49 StGB, insbesondere auf die Versagung der Strafrahmenverschiebung ausgewirkt hat. Das neue Tatgericht wird deshalb unter Befragung eines Sachverständigen zu prüfen haben, ob dem Angeklagten die bei Tatbegehung vorhandene Trunkenheit trotz seiner Alkoholabhängigkeit uneingeschränkt vorwerfbar ist und inwieweit er in allen Fällen mit vergleichbaren Straftaten rechnen musste (BGH, Beschlüsse vom 20. April 2005 – 5 StR 147/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 38, und vom 27. Januar2004 – 3 StR 479/03, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 33).
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