Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2007 - 5 StR 398/07

bei uns veröffentlicht am04.12.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 398/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2007 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 13. April 2007 nach § 349
Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision gegen das genannte Urteil
wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet
verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in
drei Fällen und wegen versuchter schwerer Brandstiftung in drei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn zur Zahlung von
Schadensersatz verpflichtet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel
hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
2 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts musste der Angeklagte
am Tattag sein Wohnheim verlassen, nachdem er auf einen Mitbewohner im
Rahmen einer aus ungeklärtem Grund begonnenen Auseinandersetzung mit
seiner Krücke eingeschlagen hatte. Der Angeklagte fühlte sich ungerecht
behandelt. Kurz darauf beschädigte er drei Kraftfahrzeuge ihm unbekannter
Eigentümer, indem er mit Steinen die Autoscheiben einwarf.
3 Etwa vier Stunden später begab er sich in den Vorraum eines in der
Spandauer Innenstadt gelegenen Reisebüros und zündete das dort in einer
Tonne gelagerte Papier und die auf einem Tisch ausgelegten Werbeprospekte
an. In dem Vorraum, dessen Fußboden und Decke aus Holz bestanden,
entwickelten sich 30 bis 40 Zentimeter hohe Flammen, die jedoch gelöscht
werden konnten, ohne dass es zu einer weiteren Ausbreitung des Brandes
kam. Unmittelbar darauf ging er in ein in der Nähe gelegenes Kaufhaus und
suchte mit Kleidungsstücken aus den Auslagen die Umkleidekabine auf. Dort
zündete er die Bekleidung an und legte sie auf die Sitzbank, die in Brand geriet
, welcher sich auf die hölzernen Kabinenwände ausbreitete. Ein Übergreifen
auf in der Nähe stehende Warenträger mit Textilien und auf den Holzfußboden
wurde durch Löscharbeiten der Kaufhausangestellten verhindert. Kurze
Zeit darauf wiederholte der Angeklagte diese Vorgehensweise in einem
anderen Kaufhaus in der Spandauer Innenstadt. Dort hing er die in Brand
gesetzten Bademäntel an die Kabinenwand, an der es zu Einbrennungen
kam. Ein in der Kabine befindlicher Hocker geriet in Brand. Dieser wurde von
Kunden bemerkt, die den Brand löschten und eine Ausbreitung auf in unmittelbarer
Nähe befindliche leicht brennbare Materialien und den hölzernen
Fußboden verhinderten. In allen drei Fällen beabsichtigte der Angeklagte
eine Brandausbreitung auf größere Teile des Geschäfts und der Haussubstanz
; bei ungehindertem Brandverlauf wäre es wegen der vielen brennbaren
und leicht entzündlichen Materialien hierzu auch gekommen.
4 2. Der Schuldspruch zeigt keine Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten
auf. Soweit allerdings die sachverständig beratene Strafkammer eine
relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit verneint hat, kann das Urteil
keinen Bestand haben.
5 Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht hierzu
festgestellt, dass bei dem Angeklagten, der auf Affekte nicht anspreche und
keine Gefühle empfinde, eine antisoziale Persönlichkeitsstörung bestehe, die
aber nicht die Qualität einer krankhaften seelischen Störung habe. Das lang
hingezogene Tatgeschehen und die komplexen Handlungsabläufe ergäben
keine Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit, der Angeklagte führe vielmehr
gezielt und koordiniert einen bewussten Rachefeldzug durch.
6 Diese Erwägungen sind nicht ausreichend, um angesichts der festgestellten
Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, ihren Auswirkungen
auf sein Vorleben und das Tat- und Nachtatgeschehen eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB nachvollziehbar auszuschließen.
Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass die Diagnose
einer Persönlichkeitsstörung nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit ist (BGHSt 49, 347). Für diese Annahme
und die Bewertung der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung
der Steuerungsfähigkeit bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen
beim Täter sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen
belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGH
NStZ 2006, 154).
7 Eine solche Gesamtschau (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
4, 9, 16, 24, 29) hat das Landgericht aber nicht angestellt, sondern eine entsprechende
Beeinträchtigung der Gesamtheit des Lebens des Angeklagten
ohne weitere Begründung abgelehnt. Dies ist rechtsfehlerhaft, da der im Urteil
festgestellte Werdegang des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen
lässt, der von einem intakten Sozialverhalten geprägt ist. Daher ist der
Schluss des Landgerichts, dass eine schwerwiegende allgemeine Einschränkung
seiner Handlungskompetenz, wie sie die Feststellung eines
überdauernden Zustands vom Schweregrad des § 21 StGB voraussetzt
(BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 4 StR 603/06), nicht gegeben ist,
hier eher fernliegend. In diesem Zusammenhang wäre nämlich zu erörtern
gewesen, dass der Angeklagte, der seit seiner Kindheit an einer chronischen
Muskelentzündung der Beine leidet, aufgrund dessen zu 30 Prozent schwerbehindert
und auf Gehhilfen angewiesen ist, von seinen Eltern wegen seiner
Behinderung abgelehnt wurde und seine Kindheit überwiegend in Heimen
verbrachte. Aufgrund seiner lebensfremden Einstellung entschied er sich
schon früh, keinen Beruf erlernen zu wollen, und lebt seit 1982 von Sozialhilfe.
Er hat nie gearbeitet. Für die Bewertung der Beeinträchtigung des bisherigen
Lebens des Angeklagten durch die psychische Störung ist auch von
Bedeutung, dass er zu keiner Zeit Freunde oder eine Intimpartnerin hatte.
Zudem wäre der Umstand, dass er seit etwa einem Jahr in einem Übergangswohnheim
für Obdachlose wohnte, welches er schließlich aufgrund
eines aggressiven Übergriffs verlassen musste, einzubeziehen gewesen.
8 Vor allem der Charakter der Taten als „Rachefeldzug“ gegenüber einer
Vielzahl von Menschen, die an vermeintlichen Kränkungen oder Zurücksetzungen
des Angeklagten nicht mitgewirkt haben, wäre als Indiz für die
Bewertung des Ausprägungsgrades der psychischen Störung zu erörtern
gewesen. Auch wäre zu prüfen gewesen, ob die Umsetzung der Rachepläne
vor allem durch Brandlegung, was auf eine gewisse Affinität zu Feuer schließen
lässt, im Zusammenhang mit der diagnostizierten Störung zu sehen ist.
Schließlich wäre im Rahmen der Gesamtschau auch das Verhalten des Angeklagten
nach seiner Festnahme zu berücksichtigen gewesen, bei dem er
erklärte, dass alles erst der Anfang sei, alle würden für das ihm angetane
Unrecht bezahlen, er werde Menschen töten, es sei ihm gleichgültig, wen es
erwische. Gleiches gilt für die dem Sachverständigen berichteten Drohungen.
9 Soweit das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
aufgrund der Persönlichkeitsstörung im Hinblick auf das gezielte
und koordinierte Handeln des Angeklagten ausgeschlossen hat, ist
diese Begründung ebenfalls nicht tragfähig (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
10, 14, 23). Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen
kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten
Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach
seinen Willensentschluss zu bilden (BGH StraFo 2001, 249).
10 Dass eine umfassende Beurteilung aller Kriterien zur Schuldunfähigkeit
führt, lässt sich nach den Feststellungen ausschließen, nicht indes die
Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Dies
hat die Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe, die für sich genommen
nicht überhöht sind, jedenfalls deshalb zur Folge, weil der Angeklagte
bei Annahme des § 21 StGB zugleich mit der Anordnung einer Maßregel
nach § 63 StGB rechnen muss. Sollte das neue Tatgericht nämlich,
naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, zu dem
Ergebnis kommen, dass der Angeklagte bei den Taten in seiner Steuerungsfähigkeit
mit Sicherheit erheblich vermindert war, was ungeachtet der bisherigen
Begutachtung keineswegs fernliegt, wird es auch über die Verhängung
einer Maßregel nach § 63 StGB zu entscheiden haben (§ 358 Abs. 2
Satz 3 StPO).
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Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2007 - 5 StR 398/07

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2007 - 5 StR 398/07 zitiert 6 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 603/06
vom
30. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. Januar 2007 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. September 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stendal zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 30. Juli 2004 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall und wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; ferner hatte es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat durch Beschluss vom 4. Januar 2005 - 4 StR 529/04 - das angefochtene Urteil unter Verwerfung der Revision im Übrigen im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit den Feststellungen auf und verwies die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Nunmehr hat das Landgericht erneut die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit der Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensbeschwerde nicht bedarf.
2
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB hält wiederum der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht sich - durch einen weiteren psychiatrischen Sachverständigen beraten – erneut davon überzeugt, dass der Angeklagte, wie dies auch schon der Gutachter in der ersten Hauptverhandlung angenommen hatte, an einer "massiven paranoiden Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Anteilen mit Krankheitswert" leidet , auf Grund derer er die abgeurteilten Straftaten zum Nachteil seiner Ehefrau begangen hat und die "bis heute unvermindert" vorliegt. Das Landgericht hat dazu nachvollziehbar dargelegt, daß sich die Gedankenwelt des Angeklagten vor dem Hintergrund des Ehekonflikts immer mehr im Sinne eines „zwanghaften Dranges“ darauf ausrichtete, seine Ehefrau für das ihr angelastete Auseinanderleben zu „bestrafen“, so dass er in seiner Freizeit schließlich weder auf sich selbst noch auf seine Töchter oder mögliche Zeugen seiner Angriffe Rücksicht nahm. Solche Umstände können regelmäßig die Erhaltung voller Schuldfähigkeit in Frage stellen (zur „fixen Idee“ vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 25). Gleichwohl genügen die Ausführungen der Strafkammer zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und der das Gutachten des Sachverständigen tragenden fachlichen Begründung nach wie vor nicht den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an die Feststellung eines die Anordnung der zeitlich unbefristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigenden überdauernden Zustands zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zu stellen sind (vgl. zur Maßregelanordnung nach § 63 StGB in einem Fall von „stalking“ BGH StraFo 2004, 390 f.), wie sie der Senat in seinem Aufhebungsbeschluss vom 4. Januar 2005 im vorliegenden Fall noch einmal näher dargelegt und damit für das weitere Verfahren gemäß § 358 Abs. 1 StPO bindend vorgegeben hat.
3
Zu Recht beanstandet die Revision insbesondere, dass das Urteil es bei der Annahme der Krankheitswertigkeit der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung an Feststellungen fehlen lässt, die belegen, dass es auf Grund des Zustandes des Angeklagten auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Im Gegenteil haben Freunde, Bekannte und Kollegen den Angeklagten – „an sich glaubhaft“ – als stets zuverlässig und ruhig beschrieben, den sie nie als gewalttätig oder aggressiv erlebt haben, sondern vielmehr als einen Menschen , der auch als geselliger Mensch beliebt war, der sich intensiv um seine Familie kümmerte und bis zuletzt auch seine beruflichen Anforderungen erfüllte. Auch später, als die Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten im Vorfeld der Taten zunahmen, bekam niemand aus dem Bekannten- und Freundeskreis des Angeklagten, auch nicht seine Kollegin und „zwischenzeitliche Partnerin“, Frau K. , etwas von den Nachstellungen und Übergriffen gegenüber seiner Ehefrau mit. Seinen Kollegen fiel nicht einmal eine Wesensveränderung bei dem Angeklagten auf. Soweit das Landgericht - mit dem Sachverständigen – darin lediglich eine „Fassade“ und einen Beleg für die aufrecht erhaltende Fähigkeit des Angeklagten zu „oberflächlichem Zweckverhalten“ sieht und annimmt , gleichwohl sei die diagnostizierte paranoide Persönlichkeitsstörung, die später nach dem Auseinanderleben der Eheleute "zu einem bestimmenden Faktor für die Gedankenwelt" des Angeklagten geworden sei, von überdauernder Natur und „müsse“ schon vor dem Jahr 2000, als der Angeklagte noch in einer intakten Familie gelebt habe, vorhanden gewesen sein, ist dies nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Soweit das Landgericht - auch hier dem Sachverständigen folgend - zur Begründung anführt, der Angeklagte habe schon immer die Neigung gehabt, seine Ehefrau für eigene Fehlleistungen verantwortlich zu machen und als Begründung darauf verweist, "dass der Angeklagte auch während der intakten Ehe beispielsweise regelmäßig seiner Frau die Schuld gegeben habe, wenn sich die Familie im Urlaub verfahren habe", vermag dies ersichtlich einen irgendwie gearteten "krankhaften" Zustand nicht zu begründen.
4
Ebenso wenig hat das Landgericht für den Senat nachvollziehbar dargelegt , dass eine überdauernde krankheitswertige Persönlichkeitsstörung des Angeklagten darin zu finden sei, dass der Angeklagte unverrückbar seiner früheren Ehefrau allein die Schuld an seiner Situation zuweist und sie auch weiterhin letztlich für das hier abgeurteilte Tatgeschehen verantwortlich macht. Dabei kann dahinstehen, ob der Angeklagte, wie der Sachverständige Prof. Dr. B. nach der Nachexploration des Angeklagten in seinem ergänzenden Gutachten von August 2006 zunächst in Übereinstimmung mit dazu von der Strafkammer gehörten Freunden und Bekannten des Angeklagten meinte, sich doch mit seiner Tat auseinandergesetzt und dabei "eigene schuldhafte Anteile beim Zustandekommen seiner Tat formuliert" hat, oder ob er sich letztlich - wie der Sachverständige nach Anhörung des Anstaltspsychologen und der Sozialpädagogin der JVA über das Verhalten des Angeklagten im Rahmen des in der Haft durchgeführten Anti-Gewalt-Trainings und des Deliktsaufarbeitungskurses in Abweichung von seinem Ergänzungsgutachten äußerte - doch nicht schuldeinsichtig zeigt und nie von der Gewalttat distanziert hat, sondern weiterhin der Geschädigten die jedenfalls überwiegende Verantwortung für diese Tat und seine eigene als unbefriedigend empfundene Lebenssituation zuweist. Denn auch wenn letzteres zutrifft, mag dies zwar dafür sprechen, dass der Angeklagte seinen eigenen Anteil an dem Auseinanderleben in der Ehe nicht sehen will oder verharmlost. Zum einen hat das Landgericht dabei aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Angeklagte sich anfänglich zu Unrecht von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit seiner Kollegin K. der ehelichen Untreue verdächtigt fühlte. Im Übrigen ist eine Abwehr eines Schuldeingeständnisses, selbst wenn damit der Täter letztlich Ursache und Wirkung vertauscht, nicht ungewöhnlich , sondern eher eine normalpsychologisch erklärbare Reaktion, durch die sich ein Täter, der sich der Verantwortung für seine Tat nicht stellt, entlasten will.
5
Vor diesem Hintergrund musste das Landgericht auch den Hass, mit dem der Angeklagte seine Ehefrau verfolgte, bewerten. Nicht zu Unrecht macht die Revision geltend, dass es sich auch bei Hass grundsätzlich - nicht anders als bei dem gegenteiligen Gefühl der Liebe - um ein Gefühl aus der normalen Bandbreite menschlichen Empfindens handelt. Dass die Intensität, mit der der Angeklagte seine Ehefrau verfolgte, und die Übergriffe des Angeklagten schon im Vorfeld des abgeurteilten Tatgeschehens ebenso wie das Tatgeschehen selbst maßlos waren, genügt für sich für eine andere Bewertung noch nicht. Insbesondere belegt dies für sich genommen angesichts des nach den bisherigen Feststellungen außerhalb des ehelichen Konflikts ersichtlich völlig intakten Sozialverhaltens des Angeklagten auch nicht eine derartig schwerwiegende allgemeine Einschränkung seiner Handlungskompetenz, wie sie die positive Feststellung eines überdauernden Zustands vom Schweregrad des § 21 StGB voraussetzt.
6
Auch wenn das Landgericht den Angeklagten in Übereinstimmung sowohl mit dem jetzigen und dem früheren Sachverständigen als auch mit dem gehörten JVA-Personal nach wie vor für gefährlich gegenüber seiner früheren Ehefrau hält, bedarf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB mit Blick auf den Zustand des Angeklagten gleichwohl erneuter Prüfung und Entscheidung.
7
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Stendal zurück.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.