Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 5 StR 464/14

bei uns veröffentlicht am04.11.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 464/14
vom
4. November 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls mit Waffen u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2014 beschlossen
:
1. Die Revision des Angeklagten B. gegen das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 25. Juni 2014 wird nach
§ 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das genannte
Urteil im Ausspruch über die Unterbringung dieses Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Diebstahls mit Waffen, Diebstahls in acht Fällen, versuchten Diebstahls in zwei Fällen und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Bedrohung und mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Den Angeklagten K. hat es wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Ent- ziehungsanstalt angeordnet. Während die Revision des Angeklagten B. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. September 2014 unbegründet ist (§ 349 Abs. 2 StPO), hat die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten K. , der sein Rechtsmittel allein auf den Maßregelausspruch zulässig beschränkt hat, Erfolg.
2
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges sind, ohne dass es auf die urteilsfremden Ausführungen des Revisionsführers ankäme, vom Landgericht nicht rechtsfehlerfrei dargetan, da es eine solche nicht positiv festgestellt hat. Es hat vielmehr zunächst (grundsätzlich zutreffend vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 2 StR 87/00, NStZ-RR 2001, 12 mwN) mitgeteilt, dass erfolglose Therapieversuche oder eine längerfristige Substitutionsbehandlung der Erfolgsaussicht nicht zwingend entgegenstehen. Aber auch aus den sehr knapp zitierten Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, ist nicht erkennbar, dass das Landgericht eine eigene und ausreichende Würdigung hinsichtlich einer hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolgs, insbesondere mit Blick auf die Frage der Therapierbarkeit vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters des Angeklagten , vorgenommen hat. Ohne nähere Erörterung kann nicht nachvollzogen werden, warum angesichts festgestellten Beigebrauchs von Heroin, Kokain und LSD während der in der Vergangenheit erfolgten Substitution eine „Kontrollierbarkeit der Drogensucht“ angenommen worden ist. Angesichts der langjährigen Drogenabhängigkeit des zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 41-jährigen Angeklagten , der bereits im Alter von 14 Jahren mit dem Konsum von Heroin, Ko- kain und LSD begonnen hatte, hätten die für und gegen eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft. Dies gilt umso mehr angesichts der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von lediglich zwei Jahren. Soweit sich die Urteilsgründe zudem nicht zur Therapiedauer verhalten, kann schließlich nicht beurteilt werden, ob schon vor diesem Hintergrund keine tragfähige Basis für die konkrete Therapieerfolgsaussicht besteht (BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14 mwN).
4
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb insgesamt der erneuten Prüfung und Entscheidung.
Schneider Dölp König
Berger Bellay

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 5 StR 464/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 5 StR 464/14

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 5 StR 464/14 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

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Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 5 StR 464/14 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 87/00
vom
5. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 5. Juli 2000 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. September 1999 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten A. in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in zwei Fällen und wegen Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechtes gerügt wird. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 StPO). Die Sachrüge hat Erfolg, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Im übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Das Landgericht hat unter anderem folgende Feststellungen getroffen : Der Angeklagte kam im Alter von 14 Jahren in der Schule in Kontakt mit Haschisch und Alkohol. Seit dem 16. Lebensjahr konsumierte er Amphetamine und gelegentlich Kokain, bevor er etwa seit dem 18./19. Lebensjahr Heroin nahm, das er zunächst rauchte, dann aber nach kurzer Zeit bereits injizierte. Begleitend konsumierte er gelegentlich Amphetamin, Kokain und Ecstasy. Seit Anfang 1996 bis zu seiner Festnahme in vorliegender Sache nahm er am Methadon-Programm teil. Die Einnahme des Ersatzstoffs führte zu einer vollständigen Aufhebung des Suchtgefühls. Nachdem er aber nach etwa sechs bis sieben Monaten erneut in die "Szene" geriet, erfolgte ein Beikonsum von etwa 1/2 g Heroin täglich und - gelegentlich - Kokain sowie Haschisch. Die vier Raubüberfälle beging der Angeklagte, um sich Geld für den Drogenerwerb zu verschaffen. Jeweils vor den Taten hatte der Angeklagte seine ärztlich verordnete Ration Methadon erhalten und zusätzlich etwas Heroin oder Kokain oder Haschisch zu sich genommen. 2. Nach diesen Urteilsfeststellungen drängte sich für den Tatrichter eine Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Dem steht nicht entgegen, daß beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Zeit der Taten rechtsfehlerfrei verneint wurden (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1). Ein Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, liegt hier nahe. Es kann dahinstehen, ob der Konsum an Heroin, Ko-
kain und Haschisch allein ausreichen würde, das Übermaß bejahen zu können. Diese Betäubungsmittel waren nur der Beikonsum zu Methadon, welches seinerseits ein berauschendes Mittel im Sinne des § 64 StGB darstellt (vgl. Körner , BtMG 4. Aufl. Anh. C 1 Teil 15). Da eine Suchtmittelabhängigkeit zur Aufnahme in das Methadonprogramm nicht ausreicht, sondern hierfür eine Opiatabhängigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ 98, 414), spricht insoweit bereits viel für einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Jedenfalls der vom Angeklagten für unerläßlich gehaltene erhebliche Beikonsum belegt einen entsprechenden Hang. Die Taten gehen auf diesen Hang zurück, da sie in der Absicht der Erlangung weiterer Drogen begangen wurden. Das Landgericht hätte daher darlegen müssen, warum es gleichwohl von der Unterbringungsanordnung abgesehen hat. Daß bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Teilnahme an einer - wenn auch mehrjährigen - Substitutionsbehandlung belegt nicht, daß Drogenfreiheit nicht zu erreichen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 12. August 1999 - 3 StR 303/99). Die Sache bedarf danach insoweit neuerlicher tatrichterlicher Prüfung. Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Der Strafausspruch wird von der Teilaufhebung nicht berührt. Der Senat schließt aus, daß der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung geringere Strafen verhängt hätte. Eine Erstreckung der erforderlichen teilweisen Aufhebung des Urteils auf den Mitangeklagten M. , der keine Revision eingelegt hat, kommt nicht in Betracht (vgl. BGHR StPO § 357 Erstreckung 4). Jähnke Niemöller Detter Bode Rothfuß
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Therapiedauer und konkrete Erfolgsaussicht.
BGH, Urteil vom 10. April 2014 5 StR 37/14
LG Braunschweig
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 37/14
vom
10. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 2. September 2013 dahin abgeändert, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen einer Reihe von Vergehen nach dem Betäubungsmittel- und dem Arzneimittelgesetz sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie Wertersatzverfall angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt im Ergebnis vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den Maßregelausspruch. Das Rechtsmittel ist begründet und führt zum Wegfall der Maßregel.

2
1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der 34-jährige Angeklagte konsumiert seit dem 14. Lebensjahr Cannabis sowie seit dem 17. Lebensjahr Kokain und ist in diesem Zusammenhang vielfach unter anderem mit Raubdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten. Erstmals 2005 nahm er eine stationäre Therapie auf, aus der er jedoch wegen eines Drogenrückfalls entlassen werden musste. Eine kurze Zeit später begonnene erneute stationäre Behandlung brach er ab. Aus zwei ambulanten Therapien im November 2005 und im August 2006 wurde er wegen Drogenrückfällen entlassen. Im Frühjahr 2007 scheiterte eine weitere Behandlung in einer Therapieeinrichtung , da sich Mitarbeiter und Patienten von ihm bedroht fühlten. Erstmals im Februar 2008 schloss er eine rund viermonatige ambulante Therapie regulär ab; im selben Jahr kam es jedoch wieder zu einem Rückfall. Nach einer erneuten ambulanten Therapie war er von Ende 2010 bis Anfang 2012 abstinent. Wegen des Verlusts seines Arbeitsplatzes begann er dann jedoch abermals mit dem täglichen Konsum von Kokain und Cannabis. Auch seine Festnahme im vorliegenden Verfahren und die spätere Außervollzugsetzung des Haftbefehls hielten ihn nicht davon ab, weiterhin Betäubungsmittel zu konsumieren und zu deren Beschaffung wiederum Straftaten zu begehen (UA S. 29).
4
b) Sachverständig beraten hat die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB bejaht. Auch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) sei gegeben. Der Angeklagte sei therapiemotiviert. Er sehe für sich selber das Erfordernis professioneller Unterstützung und habe als Therapieaufträge die Bearbeitung seiner Biografie und das Erreichen von Langzeit- lebenszielen wie das Fortführen seiner Ehe und das Erlangen eines Arbeitsplatzes formuliert. Trotz der Schwere einer bei ihm bestehenden dissozialen Persönlichkeitsstörung erscheine der Aufbau einer therapeutischen Beziehung „noch möglich“. Polytoxikomanie sowie hirnorganische Folgen des Drogen- missbrauchs seien nicht feststellbar. Die vom Sachverständigen prognostizierte Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren“ stehe der Annahme hinreichend konkreter Erfolgsaussicht nicht entgegen, weil dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass Therapien von über zwei Jahren generell als aussichtslos einzustufen seien (UA S. 36 ff.).
5
2. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Anhaltspunkte dafür, dass die Strafe von der Maßregelanordnung beeinflusst sein könnte, ergeben sich nicht.
6
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen nicht die Annahme des Landgerichts, es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zumindest eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in seinen Hang zu bewahren und von der Begehung auf seinen Hang zurückgehender erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten (§ 64 Satz 2 StGB).
7
a) Bei dem seit frühester Jugend Betäubungsmittel konsumierenden Angeklagten ist eine Vielzahl von Therapieabbrüchen bzw. Rückfällen nach Absolvierung von Therapien zu verzeichnen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 1996 – 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131, 132; vom 21. Januar 2014 – 2 StR 650/13). Neben anderen Risikofaktoren (vgl. Schalast in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 341) kommt als weiterer sehr ungünstiger Umstand hinzu, dass bei dem An- geklagten „primär“ eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und (nur) „sekundär“ eine Abhängigkeit von Kokain und Cannabis besteht (UA S. 30), was die Erfolgsaussichten einer Entwöhnungsbehandlung weiter vermindert (vgl. Nedopil /Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 158; Querengässer u.a., RuP 2014, 21). Jedenfalls bei derart ungünstigen Ausgangsbedingungen besteht bei einer durch den Sachverständigen und ihm folgend die Strafkammer prognostizierten Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren, einschließlich einer Adaptationsphase“ (UA S. 36) keine tragfähige Basis für die erforderliche konkrete Therapieaussicht, deren Unsicherheit sich im Übrigen aus den Urteilsausführungen selbst (UA S. 37) erschließt. Einzig die Therapiemotivation des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung lässt unter solchen Vorzeichen nicht hinreichend sicher (§ 64 Satz 2 StGB) auf einen erfolgreichen Verlauf im Sinne des Gesetzes schließen. Hinzu kommt, dass es angesichts der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Dauer der anzurechnenden Untersuchungshaft kaum möglich wäre, die Therapie innerhalb der verlängerten Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu beenden (vgl. zu deren Berechnung van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 64 Rn. 9). Hierzu haben die Prozessbeteiligten in der Revisionshauptverhandlung Stellung genommen; der Vertreter der Bundesanwaltschaft hat hierauf seinen Antrag maßgeblich gestützt.
8
b) Da eine Bejahung der Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB auf der Grundlage der Feststellungen sicher ausscheidet, führt die – gegen eine zusätzliche Belastung des Angeklagten gerichtete, ihn mithin aus Rechtsgründen begünstigende (§ 296 Abs. 2 StPO) – Revision der Staatsanwaltschaft zum Wegfall der Maßregel (vgl. zur Kostenfolge § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 473 Rn. 16).

9
4. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob es an einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB im vorliegenden Fall bereits allein deshalb fehlt, weil die prognostizierte Therapiedauer zwei Jahre überschreitet (in diesem Sinne BGH, Urteile vom 11. März 2010 – 3 StR 538/09, JR 2010, 500; vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 377/12, StV 2013, 698; vom 27. März 2013 – 2 StR 384/12, StV 2013, 698; vom 16. Januar 2014 – 4 StR 496/13; Beschlüsse vom 17. April 2012 – 3StR 65/12, BGHR StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1; vom 17. Juli 2012 – 4 StR 223/12, StraFo 2012, 413; vom 8. August 2012 – 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7). Der Senat hält jedoch an seiner gegenteiligen Auffassung (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1996 – 5 StR 16/96) fest; danach steht eine Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren einer konkreten Erfolgsaussicht jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Eine strikte Begrenzung der Unterbringungsdauer auf zwei Jahre mit der Folge der generellen Aussichtslosigkeit bei absehbar eine längere Dauer erfordernden Unterbringungen lässt sich dem Gesetzwortlaut nicht entnehmen (vgl. van Gemmeren aaO Rn. 73 mwN). § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB enthält gerade keine starre Beschränkung der Unterbringungsdauer; die Vorschrift ist vielmehr im Zusammenhang mit § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu sehen, der ausdrücklich eine Verlängerung der Zweijahresfrist vorsieht. Eine solche Begrenzung lässt sich auch nicht mit systematischen Erwägungen begründen, findet in den Gesetzesmaterialien keinen Niederschlag (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 218, siehe auch BT-Drucks. V/4095, S. 33) und widerstreitet dem Gesetzeszweck, die Allgemeinheit bei Bedarf auch durch im Einzelfall zwei Jahre übersteigende Therapie vor gefährlichen Tätern zu schützen (vgl. dazu auch Trenckmann, JR 2010, 501). Insbesondere ergäben sich im Vorfeld und in Konkurrenz zu schwereren freiheitsentziehenden Maßregeln (§§ 63, 66 StGB) prinzipielle Sperren gegen unter Umständen konkret aussichtsreiche längere Entzugstherapien. Diese wären – gerade auch im Blick auf § 72 StGB – mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schwerlich vereinbar und widersprächen in Fällen der Sicherungsverwahrung dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) initiierten gesetzlichen Konzept, Sicherungsverwahrung durch individuelle und intensive Therapie vermeidbar zu machen (vgl. § 66c Abs. 2 StGB).
Basdorf Sander Schneider
Dölp König