Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16

bei uns veröffentlicht am01.03.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 7/16
vom
1. März 2016
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:010316B5STR7.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. September 2015 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Darüber hinaus hat die Strafkammer bestimmt, dass vor der Unterbringung im Maßregelvollzug drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe zu vollstrecken sind. Die mit der Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht und sachlichem Recht geführte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält wegen unzureichend begründeter hinreichend konkreter Erfolgsaussicht nicht stand.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts besteht bei dem Angeklagten schon über viele Jahre eine schwere Abhängigkeitserkrankung infolge multiplen Substanzgebrauchs, insbesondere seit 2004 wegen des Konsums von Heroin. Substitutionsbehandlungen, in deren Rahmen der Angeklagte weiterhin Heroin konsumierte, und Langzeittherapien haben sich in der Vergangenheit als erfolglos erwiesen. Die dem Angeklagten gewährte Zurückstellung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen musste mehrfach widerrufen werden.
4
Angesichts dieser außerordentlich ungünstigen Umstände hätten die für eine gleichwohl gegebene hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechende Gesichtspunkte einer eingehenderen Darlegung und Abwägung bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 – 5 StR 454/14). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, wenn es lediglich auf den vom Angeklagten geäußerten Wunsch, ein Leben ohne Drogen zu führen, und auf seine intellektuellen Fähigkeiten verweist, die ihn in die Lage versetzen können, sich „zumindest einige Jahre“ (UA S. 46) drogen- und damit straffrei zu halten. Die Maßregelfrage bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
5
Mit der Aufhebung der Unterbringungsanordnung entfällt auch die Entscheidung über die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB.
Sander Dölp König
Berger Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol
Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol

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Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2014 - 5 StR 454/14

bei uns veröffentlicht am 27.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 454/14 vom 27. November 2014 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2014 beschlossen : Auf die Revision des Angeklagten wird das
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2016 - 5 StR 7/16.

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2016 - 5 StR 26/16

bei uns veröffentlicht am 15.03.2016

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 454/14
vom
27. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Zwickau vom 15. Mai 2014 nach § 349 Abs. 4 StPO mit
den zugehörigen Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, bei einem Vorwegvollzug von zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Dass der Angeklagte nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts verurteilt wordenist, beschwert diesen nicht.
3
2. Auch gegen den Strafausspruch bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass die Schwurgerichtskammer einen minder schweren Fall nach § 227 Abs. 2 StGB allenfalls unter den Voraussetzungen des – im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneinten – Vorliegens der 1. Alternative des § 213 StGB für erörterungsbedürftig gehalten hat. Hiergegen ist schon angesichts der Schwere der vom Angeklagten verübten Tat nichts zu erinnern.
4
3. Hingegen hält die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) wegen unzureichend begründeter hinreichend konkreter Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer konsumiert der polytoxikomane Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr psychotrope Substanzen. Mehrere Entgiftungen und Behandlungen blieben erfolglos. Aus der letzten Entwöhnungsbehandlung in einer Klinik in Leipzig wurde er im Mai 2010 aus disziplinarischen Gründen entlassen. Die mit Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 20. Januar 2011 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste nach knapp fünf Monaten wegen mangelnder Motivation des Angeklagten für erledigt erklärt werden. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft im September 2012 scheiterten ab Februar 2013 begonnene Wiedereingliederungsmaßnahmen nach jeweils rund sechs Wochen aus durch den Angeklagten zu vertretenden Umständen. Nach Abbruch der Maßnahmen nahm dieser Kontakt mit einer Suchtberatung auf. Eine Behandlung scheiterte daran, dass der Angeklagte meinte, vorrangig seinen Hund versorgen zu müssen.
6
b) Angesichts dieser außerordentlich ungünstigen Umstände hätten die für eine gleichwohl gegebene hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte einer eingehenden Darlegung unter Mitteilung der diesbezüglichen Ausführungen des von der Schwurgerichtskammer hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – 5 StR 464/14; siehe auch BGH, Beschluss vom 13. August 2013 – 4 StR 249/13 Rn. 4). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, wenn es lediglich knapp darauf verweist, der Angeklagte habe „glaubhaft seine nunmehr nachhaltige Therapiewilligkeit versichert“ (UA S. 35). Die Maßregelfrage bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
7
c) Die Aufhebung der Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB entzieht der Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB die Grundlage.
Sander Dölp König
Berger Bellay

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.