Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2015 - IX ZR 156/14

bei uns veröffentlicht am22.06.2015
vorgehend
Landgericht Kassel, 5 O 3114/04, 30.05.2005
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 15 U 132/05, 22.06.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR156/14
vom
22. Juni 2015
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape
und die Richterin Möhring
am 22. Juni 2015

beschlossen:
Die Anhörungsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 12. Februar 2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Gründe:


1
Die nach § 321a ZPO zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieser Verpflichtung ist der Senat nachgekommen. Er hat in der Beratung am 12. Februar 2015 den von der Anhörungsrüge umfassten Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers in vollem Umfang darauf geprüft, ob sich aus ihm die Zulässigkeit des Rechtsmittels ergibt. Er hat unter diesem Gesichtspunkt dieAusführungen sämtlich für nicht durchgreifend erachtet und hat seinen die Beschwerde verwerfenden Beschluss begründet. Insbesondere hat der Senat seiner Entscheidung auch den Vortrag des Klägers zugrunde gelegt, das Berufungsgericht habe in der Verhandlung geäußert, eine endgültige Entscheidung bedürfe weiterer Aufklärung des Sachverhalts, doch hat der Senat aus diesem zur Kenntnis genommenen Vortrag rechtlich andere Schlüsse gezogen als der Kläger, indem er diesen darauf verwiesen hat, er habe dennoch mit einer Endentscheidung rechnen müssen, nachdem das Berufungsgericht einen "Termin zur Verkün- dung einer Entscheidung" anberaumt hat. Es mag sein, dass das Berufungsgericht nicht ohne Erteilung eines weiteren Hinweises von seiner einmal geäußerten Rechtsansicht hätte abweichen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, BPatGE 52, 296; vom 3. Juli 2014 - IX ZR 285/13, ZInsO 2014, 1679 Rn. 7). Das ändert aber nichts daran, dass es am 22. Juni 2006 ein wirksames Urteil verkündet hat, das der Kläger nicht innerhalb der Fristen des § 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO angefochten hat.
2
Der Senat hat auch den Vortrag des Klägers zu den erfolglosen Sachstandsanfragen des Beklagtenvertreters zur Kenntnis genommen. Der Kläger stellt in der Anhörungsrüge aber nicht in Abrede, dass er selbst sich erstmals am 3. April 2009 darum gekümmert hat, den Inhalt der am 22. Juni 2006 verkündeten Entscheidung in Erfahrung zu bringen, mithin fast drei Jahre nach dem Verkündungstermin. Weiter hat der Senat seiner Entscheidung den Vortrag des Klägers zu seinen weiteren erfolglosen Akteneinsichtsersuchen und Sachstandsanfragen zugrunde gelegt. Er hat nur auch hier andere Schlüsse aus diesem Sachverhalt gezogen als der Kläger. Dieser ist nämlich nicht innerhalb der Fristen des § 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO tätig geworden. Weder hat er beim Richter oder der Geschäftsstelle angerufen, um den Inhalt der Entscheidung zu ermitteln, noch hat er das Gericht aufgesucht und Akteneinsicht genommen noch das Rechtsmittel in Unkenntnis der eingelegten Entscheidung eingelegt. Auch die einfache Bitte um Überlassung der verkündeten Entscheidung innerhalb der genannten Fristen hätte ihm gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO eröffnet. Damit hat er nicht alles Zumutbare unternommen, um den Inhalt der verkündeten Entscheidung in Erfahrung zu bringen, weswegen auch sein Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutz nicht verletzt ist.
Kayser Vill Lohmann
Pape Möhring
Vorinstanzen:
LG Kassel, Entscheidung vom 30.05.2005 - 5 O 3114/04 -
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 22.06.2006 - 15 U 132/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2015 - IX ZR 156/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2015 - IX ZR 156/14

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 321a Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn1.ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2.das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches G
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2015 - IX ZR 156/14 zitiert 4 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 321a Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn1.ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2.das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches G

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2015 - IX ZR 156/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juni 2011 - X ZB 3/10

bei uns veröffentlicht am 16.06.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 3/10 vom 16. Juni 2011 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend das Gebrauchsmuster 201 22 563 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Werkstück GebrMG § 18 Abs. 4; PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3 Von ein

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2014 - IX ZR 285/13

bei uns veröffentlicht am 03.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR285/13 vom 3. Juli 2014 in dem Rechtsstreit Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring

Referenzen

(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 3/10
vom
16. Juni 2011
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend das Gebrauchsmuster 201 22 563
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Werkstück
Von einer in einem gerichtlichen Hinweis geäußerten Rechtsauffassung darf
das Gericht in der Endentscheidung nur abweichen, wenn für die Verfahrensbeteiligten
- sei es durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung, sei es durch
einen ausdrücklichen weiteren Hinweis des Gerichts - erkennbar wird, dass sich
entweder die Grundlage verändert hat, auf der das Gericht den ursprünglichen
Hinweis erteilt hat, oder dass das Gericht bei unveränderter Entscheidungsgrundlage
nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung in Erwägung zieht als
den Beteiligten angekündigt.
BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens, die Richter
Gröning und Dr. Bacher sowie die Richterin Schuster

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der am 27. April 2010 verkündete Beschluss des 35. Senats (Gebrauchsmuster -Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 125.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters 201 22 563, das am 11. Mai 2006 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Gebrauchsmusterregister eingetragen worden ist. Es betrifft ein Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften und umfasst zehn Schutzansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 3 nebengeordnet und die Schutzansprüche 4 bis 10 in unterschiedlichem Umfang auf die Nebenansprüche 1 bis 3 rückbezogen sind. Schutzanspruch 1 lautet wie folgt: "Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, bestehend aus einem mit einer intermetallischen Legierungsverbindung beschichteten, tiefgezogenen Blechzuschnitt, der durch Zuschneiden eines gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblechs entstanden ist, wobei das Bandstahlblech mit einem Metall oder einer metallischen Legierung beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, die intermetallische Legierungsverbindung aus einer Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung vor oder nach dem Tiefziehen hervorgegangen ist, die intermetallische Legierungsverbindung an der Oberfläche durch die durch eine Temperaturerhöhung über 700° C realisierte Transformation gebildet ist und einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt sowie eine Schmierfunktion bewirkt, wobei das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink ist."
2
Auf den Löschungsantrag der Antragstellerin hat die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts das Streitgebrauchsmuster gelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag vom 12. Juni 2008 hinausgeht. Gegen diesen Beschluss haben sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragsgegnerin das Gebrauchsmuster hauptsächlich im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 10, hilfsweise im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 9 vom 21. Januar 2010 und weiter hilfsweise mit den Schutzansprüchen 1 bis 9 vom 12. Juni 2008 verteidigt.
3
Das Patentgericht hat mit Verfügung vom 11. Februar 2010 Verhandlungstermin auf den 27. April 2010 bestimmt. Die Ladung enthält folgenden Zusatz : "Auf Anordnung des Vorsitzenden werden die Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Senat aufgrund des bisherigen schriftsätzlichen Vorbringens dazu neigt, den von beiden Seiten angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts im Ergebnis zu bestätigen, d.h. derzeit ist mit einer Zurückweisung beider Beschwerden zu rechnen."
4
Das Patentgericht hat das Streitgebrauchsmuster in vollem Umfang gelöscht. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat es zurückgewiesen.
5
Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin , der die Antragstellerin entgegentritt.
6
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da mit ihr der Beschwerdegrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 18 Abs. 4 GebrMG i.V.m. § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG) geltend gemacht wird, und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, da der geltend gemachte Beschwerdegrund vorliegt.
7
1. Das Patentgericht hat ausgeführt, dass die Gegenstände der Schutzansprüche 1 bis 3 nach Hauptantrag sowie der Schutzansprüche 1 bis 3 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 mit Blick auf die europäische Patentanmeldung 971 044 (Anlage D1) und die japanische Patentanmeldung Sho 62-23975 (An- lage DJ, deutsche Übersetzung) nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhten und deshalb nicht schutzfähig seien.
8
2. Die Rechtsbeschwerde sieht durch die Löschung des Gebrauchsmusters den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör verletzt. Aufgrund des schriftlichen Hinweises in der Terminsladung vom 11. Februar 2010 habe der Antragsgegnervertreter davon abgesehen, sechs bereits vorbereitete weitere Hilfsanträge und zusätzliche Unterlagen bei Gericht einzureichen. Der Vorsitzende des Gebrauchsmustersenats habe darüber hinaus in zwei Telefonaten mit dem Antragsgegnervertreter - eines der Telefongespräche habe einen Tag vor der mündlichen Verhandlung stattgefunden - und auch zu Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Senat die Zurückweisung beider Beschwerden beabsichtige. Eine sachliche Begründung dieser Sichtweise sei bei keinem der Gespräche und auch nicht zu Beginn der Verhandlung gegeben worden. Die Antragsgegnerin meint, sie sei durch diese Verfahrensweise gehindert gewesen, die vorbereiteten Hilfsanträge zur Verteidigung des Gebrauchsmusters zu stellen. Die auf die Verhandlung ergangene Entscheidung sei eine Überraschungsentscheidung und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, da die Vorlage und Berücksichtigung der weiteren Hilfsanträge gegebenenfalls zu einer anderen Beurteilung der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters geführt hätte.
9
3. Die Rüge ist begründet.
10
a) Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine Erkenntnisse verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (st. Rspr., BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; Beschluss vom 10. Februar 1995 - 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschluss vom 2. Mai 1995 - 1 BvR 2174/94, 1 BvR 2220/94, NJW 1995, 2095, 2096; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 27. Februar 2008 - X ZB 10/07, GRUR RR 2008, 456 - Installiereinrichtung; Beschluss vom 22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 - Schwingungsdämpfer; Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 - Walzenformgebungsmaschine ; Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10, zur Veröffentlichung vorgesehen - Modularer Fernseher). Das Gericht muss aber den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird (Senatsbeschluss vom 16. September 2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 - Antennenhalter).
11
b) Das Patentgericht ist von seiner vor der Entscheidung schriftlich und mündlich geäußerten vorläufigen Meinung ohne erneuten Hinweis abgewichen. Darin liegt unter den Umständen des Streitfalls eine Verletzung des Anspruchs der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör.
12
aa) Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 15. August 1996 - 2 BvR 2600/95, NJW 1996, 3202) hat eine Verletzung rechtlichen Gehörs an- genommen, wenn das Gericht einen rechtlichen Hinweis zu einer entscheidungserheblichen Frage erteilt und im Urteil entgegengesetzt entscheidet, ohne die Verfahrensbeteiligten auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben. In dem so entschiedenen Fall war für den Ausgang einer Zahlungsklage entscheidend, ob ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden konnte. Nach dem vom Amtsgericht schriftlich erteilten Hinweis durfte der Kläger davon ausgehen, dass das Gericht die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch den Beklagten als nicht zulässig ansehen würde. Das Amtsgericht hat jedoch seiner Entscheidung ohne erneuten Hinweis die entgegengesetzte Rechtsauffassung zugrunde gelegt. In einem weiteren vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall konnte der Beschwerdeführer im Hinblick auf eindeutig formulierte Ausführungen in einem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts auf die Zulassung der Revision vertrauen (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341).
13
bb) In diesen Fällen war der gerichtliche Hinweis mit einer sachlichen Begründung versehen, die den Parteien die Ansicht des Gerichts zu einer konkreten Rechtsfrage vermittelt hat. Im Streitfall enthielten der schriftliche Ladungszusatz und - nach unangegriffenem Vorbringen der Rechtsbeschwerde - auch die (fern)mündlichen Hinweise keine inhaltlichen Ausführungen etwa dahingehend , welche Entgegenhaltungen in welchem Umfang der Schutzfähigkeit der Erfindung entgegenstünden und aus welchen Gründen dies der Fall sei. Beiden Beteiligten wurde lediglich mehrfach die Erfolglosigkeit des jeweiligen Rechtsmittels in Aussicht gestellt. Gleichwohl vermittelte der Hinweis, die Zurückweisung beider Beschwerden sei beabsichtigt, den Beteiligten die Meinung des Gerichts, die Vorinstanz habe jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden und es sei nicht mit einer Beurteilung des Streitstoffs zu rechnen, nach der sich der Löschungsantrag als in vollem Umfang begründet oder insgesamt unbegründet darstellte. Die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters war deshalb aus Sicht der Antragsgegnerin überraschend. Daran ändert nichts, dass das Patentgericht durch die sprachlich einschränkende Formulierung des Hinweises nur seine vorläufige Meinung kundgetan und nicht ausdrücklich einen bestimmten Prozessausgang als sicher dargestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2003 - I ZB 36/00, GRUR 2003, 901 - MAZ).
14
cc) Von einer in einem gerichtlichen Hinweis geäußerten Rechtsauffassung , die - will sich das Gericht nicht dem Vorwurf der Voreingenommenheit aussetzen - stets eine vorläufige sein wird, darf das Gericht in der Endentscheidung nur abweichen, wenn für die Verfahrensbeteiligten - sei es durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung, sei es durch einen ausdrücklichen weiteren Hinweis des Gerichts - erkennbar wird, dass sich entweder die Grundlage verändert hat, auf der das Gericht den ursprünglichen Hinweis erteilt hat, oder dass das Gericht bei unveränderter Entscheidungsgrundlage nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung in Erwägung zieht als den Beteiligten angekündigt. Hinweise des Gerichts sollen einem fairen Verfahren und der Gewinnung des richtigen Prozessergebnisses dienen. Sie sind von den Verfahrensbeteiligten zu beachten, die die ihnen darin auferlegten Verpflichtungen oder Vorgaben erfüllen sollen, und von denen das Gericht erwartet, dass sie in der mündlichen Verhandlung keinen Vortrag halten, dessen es nach dem Hinweis des Gerichts nicht bedarf, um das nach der vorläufigen Auffassung des Gerichts erwartbare Verfahrensergebnis herbeizuführen. Die Verfahrensbeteiligten dürfen sich ihrerseits aber auch auf den gerichtlichen Hinweis verlassen, gleichgültig, ob er einmal oder mehrmals erteilt wird, ob er sachlich-rechtlichen Inhalts ist oder eine verfahrensrechtliche Vorgehensweise betrifft. Andernfalls wäre der Hinweis funktionslos oder gar irreführend.

15
dd) Weder die Entscheidung des Patentgerichts noch die Niederschrift über die mündliche Verhandlung lassen erkennen, dass für die Antragsgegnerin erkennbar geworden ist, dass das Patentgericht an seiner vorläufigen Rechtsauffassung nicht festhalten wollte. Hierfür bringt auch die Antragstellerin nichts vor.
16
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin aufgrund des Hinweises von der Vorlage weiterer, bereits vorbereiteter Hilfsanträge abgesehen hat, die sie vorgelegt hätte, wenn ihr deutlich geworden wäre, dass das Patentgericht nunmehr die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters erwog. Auch wenn sie gehalten war, ihren Vortrag auf alle relevanten sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte auszurichten, durfte sie damit rechnen , dass das Patentgericht - jedenfalls mangels Erteilung eines anderslautenden Hinweises - die Entscheidung wie angekündigt treffen würde.
17
4. Die angefochtene Entscheidung ist in vollem Umfang aufzuheben, da die endgültige Fassung des Gebrauchsmusters erst feststeht bzw. seine vollständige oder teilweise Löschung erst ausgesprochen werden kann, wenn die Antragsgegnerin Gelegenheit erhalten hat, das Schutzrecht weiter eingeschränkt zu verteidigen und die (hilfsweise) verteidigten Fassungen der Schutzansprüche vom Patentgericht überprüft worden sind.

18
III. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 51 Abs. 1GKG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Mühlens Gröning Bacher Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.04.2010 - 35 W(pat) 458/08 -
7
a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Es hat in einem solchen Fall auf seine (geänderte) Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 5; vom 16. Mai 2013 - VII ZR 63/11, NJW-RR 2013, 969 Rn. 8). Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, jedenfalls dann, wenn er die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt. Erweist sich, dass die Partei einen Hinweis falsch aufgenommen hat, so muss das Gericht diesen präzisieren und der Partei erneut Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen. Dies gilt entsprechend auch dann, wenn das Gericht von seiner in einer gerichtlichen Verfügung geäußerten Auffassung später abweichen will (BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317, 3320). Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht nicht dadurch, dass es allgemeine und pauschale Hinweise erteilt; es muss vielmehr die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen damit die Möglichkeit eröffnen, dieses Vorbringen zu ergänzen (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624). Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret den einzelnen Mangel anspricht (BGH, Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12, MDR 2013, 1424 Rn. 33).

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.