Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12

bei uns veröffentlicht am21.06.2012
vorgehend
Landgericht Münster, 2 O 736/09, 28.10.2010
Oberlandesgericht Hamm, 27 U 145/10, 03.05.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 2/12
vom
21. Juni 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EuInsVO Art. 3 Abs. 1
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren
(ABl. Nr. L 160, S. 1) folgende Frage vorgelegt:
Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über
das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage
gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen
Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?
BGH, Beschluss vom 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12 - OLG Hamm
LG Münster
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter
Dr. Fischer und Dr. Pape
am 21. Juni 2012

beschlossen:
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. Nr. L 160, S. 1; im Folgenden: EuInsVO) folgende Frage vorgelegt: Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?

Gründe:


I.


1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 4. Mai 2007 in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Zi. (Schuldnerin ). Die Beklagte, die Stiefmutter der Schuldnerin, ist schweizer Staatsangehörige und lebt in der Schweiz. Der Kläger nimmt sie im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr eines Betrages von 8.015,08 € nebst Zinsen in Anspruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen worden. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anfechtungsanspruch weiter.

II.


2
Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der im Beschlusstenor gestellten Frage einzuholen (Art. 267 Abs. 1 Buchst. B, Abs. 3 AEUV). Die Sachentscheidung ist abhängig von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.
3
1. Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist eröffnet. Unmittelbar regelt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zwar nur die Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren selbst. Eine Insolvenzanfechtungsklage gehört jedoch zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als Annexverfahren ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Gemäß Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Februar 2009 (Rs C-339/07, ZIP 2009, 427 Rn. 21, Deko Marty Belgium) sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig , der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
4
2. Bisher ungeklärt ist die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch dann eingreift, wenn das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet worden ist, der Anfechtungsgegner aber seinen allgemeinen Gerichtsstand (einen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz) nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat hat.
5
a) Seinem Wortlaut nach lässt es Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausreichen, dass der Mittelpunkt der sachlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat liegt. Dazu, ob der den Anwendungsbereich der Verordnung eröffnende grenzüberschreitende Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat oder zu einem Drittstaat bestehen muss, trifft er keine Aussage. Hieraus könnte geschlossen werden, dass der Bezug zu einem Drittstaat ausreicht (Huber in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 19 ff; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 138 f; Haubold, IPrax 2003, 34, 35 f; iE ebenso High Court of Justice London, ZIP 2003, 813; High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2. Aufl., Art. 1 VO (EG) Nr. 1346/2000 Rn. 16; FK-InsO/Wenner/Schuster, 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 9; GrafSchlicker /Kebekus/Sabel/Schlegel, InsO, 2. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 7; Gruber in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Art. 1 EuInsVO Rn. 49; Gottwald /Kolmann, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl., § 130 Rn. 10 f; Rauscher /Mäsch, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 1 EG-InsVO Rn. 15; Geimer/Schütze, EuZVR, 3. Aufl., A.5, Art. 1 Rn. 39; Adam, Zuständigkeitsfragen bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen, S. 28 f; Herchen, ZInsO 2003, 742, 745 f; Sabel/Schlegel, EWiR 2003, 367, 368; Hergenröder, DZWiR 2009, 309, 312).
6
b) Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. In der deutschsprachigen Literatur wird vielfach die Ansicht vertreten, dass nur ein "qualifizierter" Auslandsbezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat den Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet (Kemper in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, Art. 1 EuInsVO Rn. 15; MünchKomm-BGB/Kindler, VO (EG) Nr. 1346/2000, 5. Aufl., Art. 1 Rn. 28; Duursma-Kepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzordnung, Art. 1 Rn. 3, 8 f, 53; HK-InsO/Stephan, 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 11, 13; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 2; Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 120; Braun/Tashiro, InsO, 5. Aufl., vor §§ 335, 358 Rn. 17; HmbKomm-InsO/Undritz, 4. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 6 f; Smid, Internationales Insolvenzrecht, § 2 Rn. 43 f; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht , S. 32 ff; Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzordnung und die Auswirkungen auf das deutsche Insolvenzrecht, S. 108 ff; Westphal/Goether/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rn. 86 f; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 538 ff; Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87; Smid, DZWiR 2003, 397, 402 f; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646,

651).


7
Annexverfahren, insbesondere die hier in Frage stehenden Insolvenzanfechtungsklagen werden in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht ausdrücklich geregelt, so dass aus dem Schweigen der Vorschrift keine Schlussfolgerungen hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs gezogen werden können. Die Grün- de, welche den Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 12. Februar 2009 (aaO) bewogen haben, Insolvenzanfechtungsklagen der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu unterstellen, lassen sich auf entsprechende Klagen gegen Anfechtungsgegner außerhalb des Gebiets der Europäischen Union zudem nur teilweise übertragen. Die Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaats entspricht dem im zweiten und im achten Erwägungsgrund der EuInsVO genannten Zweck der Verbesserung der Effizienz und der Beschleunigung der Insolvenzverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 22). Der vierte Erwägungsgrund, welcher der Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten entgegenwirken soll, nimmt demgegenüber nur auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts Bezug (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 23 f). Insolvenzanfechtungsprozesse mit Bezügen allein zu Drittstaaten lassen sich nicht unter diesen Erwägungsgrund subsumieren. Schließlich stellt sich das Problem der Anerkennung des aufgrund einer Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ergangenen Urteils (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 25 ff). Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuInsVO, der die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in Annexverfahren regelt, gilt im Verhältnis zu Drittstaaten nicht.
8
3. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte lässt sich nur aus Art. 3 Abs. 1 EGInsVO herleiten. Der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters (§ 19a ZPO) gilt für Klagen gegen den Insolvenzverwalter, nicht allgemein für Klagen des Insolvenzverwalters (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1990 - IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246, 247). Art. 102 § 1 EGInsO und § 3 InsO regeln die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Prozessgerichte (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419, 1420; vom 19. Mai 2009 - IX ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 Rn. 15).

9
4. Die Vorlagefrage lässt sich nicht unter Heranziehung anderer europäischer Rechtsquellen, die Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit enthalten, beantworten. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO; ABl. 2001, L 12, S. 1) findet im vorliegenden Fall keine Anwendung. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO ist sie auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anwendbar. Dies schließt Insolvenzanfechtungsprozesse ein. Der Europäische Gerichtshof hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ; ABl. 1972, L 299, S. 32) entschieden, dass eine Konkursanfechtungsklage sich auf ein Konkursverfahren bezieht, weil sie unmittelbar aus diesem hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens hält (EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979 - Rs 133/78, EuGHE 1979, 733, Rn. 4 - Gourdain). Das gilt auch im Rahmen von Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO (vgl. das eingangs zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Februar 2009 - Rs C-339/07, Rn. 19) und für Art. 1 des Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstre- ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (ABl. 1988 Nr. L 319, S. 9) in der revidierten Fassung vom 30. Oktober 2007 (ABl. 2009 Nr. L 147, S. 5).
Kayser Vill Lohmann
Fischer Pape

Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 28.10.2010 - 2 O 736/09 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 03.05.2011 - I-27 U 145/10 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12

Referenzen - Gesetze

Insolvenzordnung - InsO | § 3 Örtliche Zuständigkeit


(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist aussc

Zivilprozessordnung - ZPO | § 19a Allgemeiner Gerichtsstand des Insolvenzverwalters


Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12 zitiert 6 §§.

Insolvenzordnung - InsO | § 3 Örtliche Zuständigkeit


(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist aussc

Zivilprozessordnung - ZPO | § 19a Allgemeiner Gerichtsstand des Insolvenzverwalters


Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02

bei uns veröffentlicht am 27.05.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 203/02 Verkündet am: 27. Mai 2003 Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein ZPO § 545 Abs. 2 Die Revision kann auch nac
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. März 2014 - IX ZR 2/12

bei uns veröffentlicht am 27.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Versäumnisurteil IX ZR 2/12 Verkündet am: 27. März 2014 Kluckow Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja EUInsVO Art.

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2014 - II ZR 34/13

bei uns veröffentlicht am 03.06.2014

Tenor Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswi

Referenzen

Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.

(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.

(2) Hat der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gemäß § 29 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes in Anspruch genommen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.

(3) Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 203/02
Verkündet am:
27. Mai 2003
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Die Revision kann auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform
des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887) darauf gestützt werden,
daß das Gericht des ersten Rechtszuges seine internationale Zuständigkeit
zu Unrecht verneint habe (im Anschluß an BGH, Urt. v. 28. November 2002
- III ZR 102/02, ZIP 2003, 685, 686 f).
ZPO § 19a; EGInsO Art. 102; EuInsVO Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2
§ 19a ZPO begründet weder eine örtliche noch eine deutsche internationale
Zuständigkeit für Klagen des Insolvenzverwalters am Sitz des Insolvenzgerichts.
BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Kirchhof, Dr. Fischer, Raebel und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Juli 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Juni 1999 vom Amtsgericht Pforzheim eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des H. H. und nimmt die in Thailand wohnende Beklagte aufgrund folgenden Vorbringens in Anspruch: Der Insolvenzschuldner - ihr Schwager - habe ihr am 7. April 1999 zwei ihm gehörende, bebaute Grundstücke in Spanien mit einem Wert von 2,5 bis 3 Mio. DM veräußert. Der vereinbarte Kaufpreis von nur 500.000 DM sei nicht gezahlt, sondern gegen eine angebliche Darlehensforderung der Beklagten verrechnet worden. Die Übertragung sei gemäß §§ 129 ff InsO anfechtbar.
Die auf Rückübereignung der Grundstücke gerichtete Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:


Das Rechtsmittel ist nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht begründet und deshalb entsprechend § 539 Abs. 2 Satz 2 ZPO zurückzuweisen , obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht nicht vertreten war.

I.


Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Deutsche Gerichte seien nicht zuständig. Ein zwischenstaatlicher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand oder ein internationales Abkommen, das die internationale Zuständigkeit vorrangig regele, bestehe nicht. Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates der Europäischen Union über Insolvenzverfahren vom 29. Mai 2000 sei erst am 31. Mai 2002 in Kraft getreten und finde nach Art. 43 nur auf solche Insolvenzverfahren Anwendung, die nach ihrem Inkrafttreten eröffnet wurden.
Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts folge auch nicht aus den innerstaatlichen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Insbesondere erstrecke sich § 19a ZPO - demzufolge der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt wird - ausschließlich auf massebezogene Passivprozesse des Insolvenzverwalters, während es für dessen Aktivprozesse bei den allgemeinen Vorschriften verbleibe. Schon dem Wortlaut nach kennzeichne der "allgemeine Gerichtsstand" einer Person nach der Systematik der Zivilprozeßordnung das Gericht, das für alle gegen sie ge-
richteten Klagen zuständig ist (§ 12 ZPO). Der Regierungsentwurf zum Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung habe die Einführung eines § 31a ZPO mit folgendem Wortlaut vorgesehen: "Für Klagen gegen den Insolvenzverwalter, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Insolvenzgericht seinen Sitz hat" (BT-Drucks. 12/3803, S. 17). Nach der Begründung habe die neue Norm nur klarstellen sollen, daß sich der Gerichtsstand für derartige Klagen nicht nach dem Wohnsitz des Verwalters bestimme (aaO S. 67). Auf den ergänzenden Vorschlag des Bundesrates, dieses Ziel durch einen ausdrücklichen Ausschluß des § 13 ZPO klarzustellen (aaO S. 122), sei § 19a ZPO in der später Gesetz gewordenen Fassung entworfen worden (aaO S. 133). Der Rechtsausschuß des Bundestages habe diesem Vorschlag zugestimmt, weil er dem Anliegen Rechnung trage, den allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Insolvenzverwalters für Klagen auszuschließen , die sich auf die Insolvenzmasse beziehen (BT-Drucks. 12/7303, S. 108).
Diese Entscheidung des Gesetzgebers könne nicht durch die vom Kläger angeführten Belange des Insolvenzverwalters und der Insolvenzgläubiger, die auf eine Erleichterung der Rechtsverfolgung zielen, entkräftet werden, zumal ihnen ebenso schutzwürdige Belange des in Anspruch Genommenen entgegenstünden.

II.


Demgegenüber rügt die Revision: Der Wortlaut des § 19a ZPO lasse es zu, die Vorschrift auch auf Aktivprozesse zu beziehen. Das sei mindestens für die internationale Zuständigkeit geboten, weil sonst keine Zuständigkeit in dem
Staat zu begründen sei, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Interessenlagen bei der internationalen Zuständigkeit sei wesentlich vielschichtiger als diejenige bei der örtlichen. Das ausländische Verfahrensrecht könne erhebliche Erschwerungen für die Prozeßführung mit sich bringen. Zudem entscheide die internationale Zuständigkeit mittelbar über das anzuwendende Kollisionsrecht und über das anzuwendende materielle Recht. Ferner führten gerade Auslandsprozesse des Insolvenzverwalters nicht nur zu einer erheblichen Zeitverzögerung, sondern auch zu erhöhten Kosten, so daß die Interessen der Gläubiger hierdurch nicht hinreichend gewahrt werden könnten.

III.


Diesen Erwägungen vermag der Senat nicht zu folgen.
1. Er ist allerdings nicht durch § 545 Abs. 2 ZPO n.F. gehindert, die deutsche internationale Zuständigkeit zu überprüfen (ebenso BGH, Urt. v. 28. November 2002 - III ZR 102/02, ZIP 2003, 685, 686 f m.w.N.; Leible NJW 2003, 407, 408 f; a.M. Emde EWiR 2003, 495, 496). Der uneingeschränkte Wortlaut der Vorschrift allein ergibt nicht hinreichend, daß nicht nur die örtliche und sachliche (nationale), sondern auch die internationale Zuständigkeit nicht mehr revisibel sein soll. Denn auf diese trifft die nur auf eine Vereinfachung abstellende Begründung des Gesetzgebers nicht zu, die eine Gleichwertigkeit der angerufenen erstinstanzlichen Gerichte voraussetzt. Gerichte aller anderen Staaten können nicht ohne weiteres in diesem Sinne als gleichwertig angesehen werden. Insbesondere ist gegenüber der beantragten Anerkennung eines ausländischen Urteils die Rüge der fehlenden Zuständigkeit (§ 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oft die einzige wirksame Verteidigungsmöglichkeit. Wäre sie nicht mehr
revisibel, so wären deutsche Beklagte in wesentlich höherem Maße als bisher gehalten, sich auf Klagen im Ausland vor an sich international unzuständigen Gerichten einzulassen und auch die daraus folgenden prozessualen und sachlich -rechtlichen Nachteile hinzunehmen.
2. Mit dem Berufungsgericht geht der Senat davon aus, daß § 19a ZPO eine örtliche Zuständigkeit des (deutschen) Gerichts am Sitz des Insolvenzgerichts - als Anknüpfungspunkt für eine internationale Zuständigkeit - nur für Klagen gegen einen Insolvenzverwalter bestimmt. Die Begründung des Berufungsgerichts hierfür trifft zu; der Senat macht sie sich zu eigen. Die mögliche Arbeitserleichterung für den Insolvenzverwalter, die mit der gegenteiligen Auslegung verbunden wäre, hat der Gesetzgeber zum Schutz der möglichen Beklagten gerade nicht ausreichen lassen (vgl. auch Gerhardt, in Festschrift für Brandner, 1996, S. 605, 614).
3. Für die deutsche internationale Zuständigkeit gilt nichts anderes. Die von der Revision vorgebrachten Zweckmäßigkeitserwägungen vermögen keine weitergehende Zuständigkeit für Klagen eines Insolvenzverwalters am Sitz des Insolvenzgerichts zu begründen. Sie berücksichtigen nicht, daß eine einseitige Zuständigkeitserweiterung im internationalen Rechtsverkehr zu Spannungen führen und die Anerkennungsfähigkeit deutscher Urteile im Ausland gefährden kann.

a) Zwar kennen einige ausländische Staaten eine Allzuständigkeit des Insolvenzgerichts für sämtliche mit einem Insolvenzverfahren zusammenhängenden Streitigkeiten (vis attractiva concursus, vgl. Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs -, Konkurs- und Vergleichsrecht Bd. II 12. Aufl. Rn. 39.46 für Italien, Rn. 39.67 für Österreich). International anerkannt ist aber weder diese noch
allgemein eine Zuständigkeit anderer Gerichte des Eröffnungsstaats für alle aus einem Insolvenzverfahren hervorgehenden Prozesse. Bedenken gegen die Anknüpfung einer umfassenden Zuständigkeit an den Sitz des Insolvenzgerichts bestehen in besonderem Maße, wenn - wie hier - dingliche Rechte an einem im Ausland belegenen Grundstück übertragen werden sollen (vgl. § 24 ZPO, Art. 16 Nr. 1 Buchst. a EuGVÜ, Art. 22 Nr. 1 EuGVVO). Auch Thailand kennt - nach den dem Senat verfügbaren Unterlagen (Wenk, Gerichtsverfassung und Zivilprozeß in Thailand, 1960, S. 22 f) - eine vorrangige Zuständigkeit des Gerichts der belegenen Sache für Klagen betreffend unbewegliches oder bewegliches Eigentum oder Rechte, die sich auf Eigentum beziehen.

b) In Spanien käme allerdings in Insolvenzverfahren, die nach dem 31. Mai 2002 in Deutschland eröffnet werden (vgl. Art. 43, 47 EuInsVO), die Anerkennung eines deutschen Anfechtungsurteils auf der Grundlage des Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO in Betracht. Danach werden auch Entscheidungen anerkannt, die unmittelbar aufgrund eines anzuerkennenden Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, sogar wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht als dem Insolvenzgericht getroffen werden. Ob diese Vorschrift auch Anfechtungsklagen erfaßt (so MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 25 EuInsVO Rn. 5; Duursma-Kepplinger, in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO Art. 25 Rn. 54, 56 m.w.N.; Haubold IPRax 2002, 157, 160; vgl. auch Kemper ZIP 2001, 1609, 1614), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO zieht nur Folgerungen für denjenigen Fall, daß ein Mitgliedstaat eine Zuständigkeit für solche Verfahren für sich in Anspruch nimmt. Die europarechtliche Norm begründet aber nicht selbst eine entsprechende internationale Zuständigkeit der Einzelstaaten (vgl. Leible/Staudinger KTS 2000, 533, 566 Fn. 230; ferner MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 25 EuInsVO Rn. 6; Lüke ZZP
111 [1998] S. 275, 291 ff und Diskussionsbeitrag S. 354 f; Lüke in Festschrift für Schütze [1999], S. 467, 481 f; Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 23. November 1995 [2000], S. 228 ff).
Eine solche Zuständigkeit hat der deutsche Gesetzgeber sogar mit dem durch Gesetz vom 14. März 2003 (BGBl. I 345) neu gefaßten Art. 102 EGInsO nicht in Anspruch genommen, der nunmehr zur Durchführung der Europäischen Insolvenzverordnung dienen soll; Art. 102 § 1 EGInsO regelt nur die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht aber von Prozeßgerichten. Im Gegenteil bestätigt die Amtliche Begründung zu § 343 InsO n.F. (BT-Drucks. 15/16, S. 21) den Gleichklang von internationaler und örtlicher Zuständigkeit der Insolvenzgerichte im deutschen Recht. Eine internationale Zuständigkeit ohne entsprechende örtliche Zuständigkeit wäre nutzlos. Zwischenstaatliche Regeln über die mögliche Anerkennung einer internationalen Zuständigkeit können allein nicht als Maßstab für die Auslegung der örtlichen Zuständigkeit in den Einzelstaaten dienen.
Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, daß die erst später in Kraft getretene Regelung des Art. 25 EuInsVO nicht rückwirkend die Auslegung des älteren § 19a ZPO bestimmen kann.
Kreft Kirchhof Fischer Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bergmann ist wegen Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen Raebel Kreft