Bundesgerichtshof Urteil, 8. März 2023 - 1 StR 188/22
Bundesgerichtshof
Richter
Eingereicht durch
Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner
BUNDESGERICHTSHOF
URTEIL
BGH, Urteil vom 08.03.2023 - 1 StR 188/22
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 14. Januar 2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es gegen den Angeklagten eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 € verhängt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 118.850,58 € angeordnet, "soweit nicht eine Verrechnung mit den freiwillig geleisteten Krankenversicherungs-/Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt". Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg erzielt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten, zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Strafausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat ebenfalls Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt und gewertet:
Der seit 1982 als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte beschäftigte über ein von ihm praktiziertes "Modell der freien Mitarbeiterschaft" in seiner Kanzlei im verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum von 2013 bis 2017 als alleiniger Kanzleiinhaber zwölf Rechtsanwälte zum Schein als selbständige freie Mitarbeiter, die tatsächlich bei ihm abhängig beschäftigt waren. Vor Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei schloss der Angeklagte mit den Rechtsanwälten einen im Wesentlichen gleichlautenden schriftlichen Vertrag ("Freier Mitarbeitervertrag") über eine zeitlich nicht befristete Zusammenarbeit sowie - in zehn dieser Fälle - eine im Wesentlichen gleichlautende weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Während der Mitarbeitervertrag insbesondere regelte, dass der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter für die Kanzlei tätig war, seine Sozialabgaben selbst abführte, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte sowie berechtigt war, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen, sah die Zusatzvereinbarung namentlich vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Die vorgefertigten Vertragsentwürfe legte der Angeklagte den Rechtsanwälten zur Unterschrift vor, die sie ohne weiteres Aushandeln unterzeichneten.
Während ihrer Beschäftigung waren die Rechtsanwälte nur für den Angeklagten tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies. Sofern sie keine auswärtigen Termine wahrzunehmen hatten, erbrachten sie ihre Tätigkeit, wie vom Angeklagten erwartet und eingefordert, zu den Kanzleizeiten nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten; hierfür stellte ihnen der Angeklagte, ohne sie an den Kosten zu beteiligen, neben einem eigenen Büro das geschulte kanzleiinterne Personal sowie die gesamte sonstige Infrastruktur seiner Kanzlei zur Verfügung. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte regelmäßig einmal pro Monat anteilig, also in Höhe eines Zwölftels, per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.
Insgesamt enthielt der Angeklagte den vier zuständigen Einzugsstellen von Februar 2013 bis Dezember 2017 in 189 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 118.850,58 € vor.
2. In rechtlicher Hinsicht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der zwölf näher bezeichneten Anwälte im Tatzeitraum als abhängige Beschäftigung einzustufen sei und damit der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe.
Zur Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsabgaben hat es die jeweils festgestellte und an die Rechtsanwälte gezahlte monatliche Nettovergütung anhand - nicht konkret mitgeteilter - individueller Merkmale im Wege des "Abtastverfahrens" auf eine monatliche Bruttovergütung hochgerechnet, die dem 1,35- bis zu 2,33-fachen der Nettovergütung entsprach, und - unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenzen - die Höhe der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge berechnet. Soweit die beschäftigten Rechtsanwälte Mitglieder im Versorgungswerk für Rechtsanwälte und im Einzelfall von der Rentenversicherungspflicht befreit waren, hat das Landgericht Rentenversicherungsbeiträge bei der Beitragsermittlung nicht in Ansatz gebracht. Entsprechendes gilt für die Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge, soweit die hochgerechneten Bruttovergütungen die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V überschritten. Nur in Bezug auf die Beiträge zur Arbeitsförderung hat es angenommen, dass der Angeklagte diese in allen festgestellten Fällen vorenthielt (UA S. 18 ff. und 213 f.).
Den so ermittelten vorenthaltenen Sozialversicherungsbeitrag mit einer Gesamthöhe von 118.850,58 € hat das Landgericht seiner Strafzumessung zwar zugrunde gelegt, allerdings hat es mit Blick auf die teilweise freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälte und die insoweit geleisteten Beiträge der "(eigentlichen strafrechtlichen) Berechnung" eine "alternative Berechnung mit ‚herausgerechneten‘ freiwilligen Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen an gesetzliche Krankenversicherungen" (UA S. 228) gegenübergestellt. Hierfür hat es die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge auf der Grundlage einer weiteren Hochrechnung unter Herausnahme der Arbeitnehmerbeiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung für jeden Monat neu bestimmt und insgesamt einen geringeren Gesamtbetrag von 100.284,24 € errechnet. In die Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht sodann eingestellt, dass der entstandene Gesamtschaden im Falle einer Verrechnung mit den von den freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälten erbrachten Beiträgen nur in einer Höhe von 100.284,24 € anzusetzen sei (UA S. 288).
II. Revision des Angeklagten
Der Schuldspruch des Landgerichts ist frei von Rechtsfehlern. Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt hat.
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Angeklagte Arbeitgeber der zwölf Rechtsanwälte war und für diese der Sozialversicherungspflicht unterliegenden (abhängig) Beschäftigten Beiträge zur Sozialversicherung vorenthielt.
a) Einen autonomen Arbeitgeberbegriff enthält das StGB nicht. Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das weitgehend auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2015 - 1 StR 76/15 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 5 Rn. 10 und vom 23. März 2022 - 1 StR 511/21, Rn. 15). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung - als Gegenstück zum Begriff des Arbeitgebers - die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis; Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine solche Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl. nur BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 - B 12 R 4/20 R Rn. 17; verfassungsrechtlich unbedenklich, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - namentlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (statt vieler: BSG, Urteile vom 29. März 2022 - B 12 R 2/20 R, BSGE 134, 84 Rn. 31 [vorgesehen] und vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183 Rn. 16). Entscheidend für die Abgrenzung von unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sind - ausgehend vom Vertragsverhältnis der Beteiligten - die tatsächlichen Gegebenheiten der "gelebten Beziehung", die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 24 mwN).
Aus dem Berufsbild des Rechtsanwalts und den Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung ergibt sich für diese Abgrenzung nichts wesentlich anderes. Zwar kann die Eigenart der Anwaltstätigkeit als einer Dienstleistung höherer Art mit einer sachlichen Weisungsfreiheit einerseits und einem weitgehend durch Sachzwänge bestimmten zeitlichen und örtlichen Arbeitsablauf es mit sich bringen, dass sich das Abgrenzungsmerkmal der äußeren Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer des Arbeitseinsatzes so reduzieren kann, dass es eine sichere Unterscheidung zwischen abhängiger und selbständiger Ausübung nicht mehr erlaubt; auch kann die Eingliederung wegen der Eigenart der Berufsausübung eines Rechtsanwalts sowohl bei abhängiger Beschäftigung als auch bei freier Mitarbeit in erster Linie durch die Sachgegebenheiten bedingt sein, weil auch der freie Mitarbeiter sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können muss (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 - 12 RK 11/80 Rn. 43; siehe auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 - B 12 R 4/20 R). Sofern allerdings im Einzelfall die Weisungsgebundenheit eines Rechtsanwalts deutlich über das sich aus Sachzwängen ergebende Maß hinausgeht, kann dies ein deutliches Zeichen sein, dass eine solche Tätigkeit als eine abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist. Entsprechendes gilt für die Eingliederung in die Kanzlei, falls diese über die durch Sachgegebenheiten bedingte hinausgeht oder losgelöst von diesen festzustellen sein sollte.
Maßgebend bleibt stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteile vom 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R, BSGE 128, 191 Rn. 14 und vom 29. Juli 2015 - B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216 Rn. 16; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2018 - 5 StR 275/18 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 6 Rn. 25; vom 24. Juni 2015 - 1 StR 76/15 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 5 Rn. 10 und vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 4 Rn. 11; BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 9 AZR 851/16 Rn. 17). Soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, weil die konkreten Umstände sowohl bei einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbständigen Tätigkeit festzustellen sein können, muss im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden. In diesen Fällen ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit ist vor allem entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem - gegebenenfalls pauschalierten - Verlustrisiko belastet ist und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 - 12 RK 11/80 Rn. 43; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Juli 2019 - 5 StR 649/18 Rn. 26).
b) Nach diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen die Wertung des Landgerichts, dass zwischen dem Angeklagten und den zwölf im Urteil näher bezeichneten Rechtsanwälte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bestanden. Die vertraglichen Vereinbarungen, insbesondere aber die tatsächlichen Gegebenheiten der "gelebten Beziehung" und das Fehlen jedweden unternehmerischen Risikos belegen, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht als selbständige freie Mitarbeiter, sondern als abhängig Beschäftigte ausübten; einer weiteren Abgrenzung zu den in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI geregelten arbeitnehmerähnlichen Personen bedurfte es nicht.
aa) Ausgehend von den vertraglichen Vereinbarungen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler zunächst als Beleg für eine abhängige Beschäftigung herangezogen, dass die Rechtsanwälte dem Angeklagten nach dem "Mitarbeitervertrag" als Gegenleistung für ein fest vereinbartes Jahreshonorar ihre ganze Arbeitskraft (etwa bei voller Arbeitsleistung 40 bis 60 Stunden/Woche) zur Verfügung stellen mussten. Zudem hat es insoweit berücksichtigt, dass die Möglichkeit der Beschäftigung eigenen Personals, der Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei und der Werbung in eigener Sache - als für eine Selbständigkeit sprechende Umstände von Gewicht - durch die in fast allen Fällen geschlossene Zusatzvereinbarung und die vereinbarten dort Zustimmungserfordernisse faktisch wieder ausgehebelt wurden (UA S. 245 f.).
bb) Auch die tatsächlichen Gegebenheiten, auf die das Landgericht im Rahmen seiner Gesamtbewertung maßgeblich abstellt, erlauben die Bewertung, dass die Tätigkeit der zwölf Rechtsanwälte als abhängige Beschäftigung einzuordnen ist. Die festgestellte Weisungsgebundenheit der Rechtsanwälte ging deutlich über das sich aus Sachgegebenheiten und -zwängen ergebende Maß hinaus. Zutreffend hat das Landgericht insoweit in seine Wertung eingestellt, dass dem Angeklagten hinsichtlich aller zwölf Rechtsanwälte ein von ihm ausgeübtes Weisungsrecht zustand, mit dem er Arbeitszeiten, Ort sowie Art und Inhalt der Tätigkeit der Rechtsanwälte bestimmen konnte. Etwa legte der Angeklagte konkret fest, dass die Rechtsanwälte, sofern nicht durch Gerichts- oder Mandantentermine verhindert, während des Kanzleibetriebs vor Ort sein mussten, sie ihre Abwesenheiten einzutragen hatten und ihre Urlaubszeiten mit ihm abstimmen mussten. Er entschied zudem, wer welche Termine wahrzunehmen hatte (UA S. 250 ff.). Zutreffend hat das Landgericht auch in den Blick genommen, dass der Angeklagte nicht nur Erwartungen äußerte, sondern an die Einhaltung der Anwesenheitspflicht anlassbezogen erinnerte und Fehlzeiten beanstandete (UA S. 250) und mithin im Ergebnis Weisungen erteilte (vgl. BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 9 AZR 851/16 Rn. 31).
Weitergehend konnte das Landgericht seine Wertung im Ergebnis auch auf die Eingliederung der zwölf Rechtsanwälte in den Kanzleibetrieb stützen und insoweit auf die Vorgaben des Angeklagten abstellen, nach der diese während der regulären Bürozeiten grundsätzlich anwesend zu sein hatten (UA S. 256). Entgegen der Wertung des Landgerichts indiziert zwar der Umstand, dass die Rechtsanwälte ohne Kostenbeteiligung in den Kanzleiräumlichkeiten ein eigenes Büro gestellt bekamen, die bereits aufgebaute Kanzleiinfrastruktur nutzen und sich namentlich des kanzleieigenen Personals bedienen konnten (UA S. 256 f.), für sich genommen nicht eine Eingliederung in die Kanzlei. Denn auch freie Mitarbeiter müssen sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können, ohne dabei, wie in der in § 59q BRAO geregelte Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten üblich, an den Kosten beteiligt zu werden. Auch soweit das Landgericht ergänzend darauf abgestellt hat, dass sich eine Eingliederung aus der Zuteilung der Mandate über das Sekretariat nach den Fachgebieten der Rechtsanwälte ergebe (UA S. 256), ist darin kein zwingendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung zu sehen; denn die Zuweisung eines bestimmten Auftrags durch den Auftraggeber kann gleichfalls Teil der selbständigen Berufsausübung sein. Jedoch hat das Landgericht die vorgenannten Aspekte nicht isoliert bewertet, sondern zu den Gesamtumständen in Beziehung gesetzt. Insbesondere unter ergänzender Berücksichtigung der vom Landgericht festgestellten und vom Angeklagten eingeforderten Anwesenheitszeiten begegnet die tatrichterliche Gesamtabwägung nach alledem keinen durchgreifenden Bedenken.
cc) Vor allem durfte das Landgericht seine Wertung rechtsfehlerfrei mit dem für die höheren Dienste zentralen Kriterium des Unternehmerrisikos, das hier fehlte, und der Art der Vergütung begründen. Es hat zutreffend insoweit darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Rechtsanwälten für ihre volle Arbeitskraft faktisch ein festes Jahresgehalt auszahlte, dessen Höhe gänzlich unabhängig vom Gewinn und Verlust der Kanzlei und - insbesondere - der von ihnen erbrachten Arbeitsleistung war (UA S. 259 ff.). Weder hatten die Rechtsanwälte eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einzusetzen, so dass es an den maßgeblichen Kriterien für ein unternehmerisches Risiko fehlte (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R Rn. 27). Dass das Landgericht aus dem Fehlen eigenen Unternehmerrisikos und der fest vereinbarten Vergütung mögliche Rückschlüsse auf die rechtliche Natur des Arbeitseinsatzes als abhängige Beschäftigung gezogen hat, ist rechtlich zutreffend und auch geboten, zumal es den Rechtsanwälten nach den Feststellungen zeitlich nicht möglich war, für andere Auftraggeber tätig zu sein (UA S. 264). Die bloße Möglichkeit der Kündigung der geschlossenen Verträge durch den Angeklagten führt - genauso wenig wie bei anderen Arbeitnehmern - nicht dazu, dass diese ein unternehmerisches Risiko tragen.
dd) Angesichts der klaren Einordnung der Rechtsanwälte als abhängig Beschäftigte bedurfte es einer weiteren Abgrenzung zu den in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI geregelten arbeitnehmerähnlichen Personen nicht. Der Umstand, dass die Rechtsanwälte dem Angeklagten Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis stellten, ändert nichts; denn insoweit wollte der Angeklagte Vorsteuern geltend machen.
2. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand. Die Berechnung der nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Urteil insoweit den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt.
a) Im Grundsatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht nur die Beiträge zur Arbeitsförderung, sondern auch zur Kranken- und Pflege- sowie Rentenversicherung vorenthielt, soweit nicht bei den beschäftigten Rechtsanwälten im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfüllt waren.
aa) Ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat das Landgericht in den Fällen 31 bis 37, 86 bis 95 sowie 144 bis 154 der Urteilsgründe angenommen, dass die Rechtsanwälte F. , M. und W. kranken- und pflegeversicherungspflichtig waren, soweit deren nach § 14 Abs. 2 SGB IV hochgerechnete Jahresentgelte (nach der allerdings rechtsfehlerhaften Berechnung des Landgerichts) im nach § 6 Abs. 4 SGB V maßgeblichen Zeitraum auch die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V nicht überstiegen, und diese Beiträge bei der Schadensermittlung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Hiergegen ist im Grundsatz nichts zu erinnern. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI) der Versicherungspflicht. Nur Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 oder 7 SGB V übersteigt, sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V krankenversicherungsfrei; in diesen Fällen besteht auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung keine Versicherungspflicht (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Die vom Angeklagten jeweils gezahlte Nettovergütung war nach § 14 Abs. 2 SGB IV hochzurechnen. Dass die Rechtsanwälte selbst Steuern und teilweise über eine freiwillige Mitgliedschaft Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zahlten, ist für die Anwendbarkeit der Vorschrift - entgegen der Ansicht der Revision - ohne Belang.
Auch soweit das Landgericht spiegelbildlich hierzu angenommen hat, dass der Angeklagte hinsichtlich der übrigen Rechtsanwälte, die wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze kranken- und pflegeversicherungsfrei waren, insoweit keine Sozialversicherungsbeiträge vorenthielt, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Übersteigt die gezahlte Vergütung die maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze, endet die Versicherungspflicht am Ende des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird (§ 6 Abs. 4 SGB V). Die nach Ende der Versicherungspflicht auf die Kranken- und Pflegeversicherung entfallenen Beiträge sind vom - sozialrechtsakzessorisch ausgestalteten - Tatbestand des § 266a Abs. 1 und 2 StGB nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2023 - 1 StR 361/22 Rn. 12; vgl. auch Müller-Gugenberger/Thul, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., § 38 Rn. 107; a.A. wohl BeckOGK/Zieglmeier, Stand: 1. Mai 2022, SGB IV § 14 Rn. 175). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 14). Das durch § 266a Abs. 1 und 2 StGB geschützte Rechtsgut, das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherungen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - 1 StR 501/09 Rn. 20), ist insoweit nicht betroffen, da dieses Aufkommen aufgrund der Versicherungsfreiheit nicht gefährdet ist. Ob die von der Versicherungspflicht befreiten Rechtsanwälte freiwillig gesetzlich oder privat kranken- und pflegeversichert waren, ist unerheblich; auch die Beiträge freiwillig gesetzlich versicherter Beschäftigter sind nicht von § 266a Abs. 1 und 2 StGB erfasst, zumal diese im Verhältnis zur Krankenversicherung nach § 250 Abs. 2 SGB V ihre Beiträge vollständig selbst erbringen (vgl. MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 266a Rn. 45; NK-StGB/Tag, 5. Aufl., § 266a Rn. 45).
bb) Zudem begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht in den Fällen 31 bis 37, 40 bis 42 sowie 86 bis 143 der Urteilsgründe davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte Beiträge zur Rentenversicherung für die Rechtsanwälte F. , L. und M. vorenthielt, weil insoweit die Voraussetzungen für eine Befreiung von der grundsätzlich bestehenden Rentenversicherungspflicht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht oder nicht ab Beginn ihrer Tätigkeit für den Angeklagten erfüllt waren. Zwar sind Rechtsanwälte kraft gesetzlicher Verpflichtung (vgl. § 12 Abs. 3 BRAO) Mitglied in der Rechtsanwaltskammer als berufsständische Kammer im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und im Regelfall auch Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung; von der Versicherungspflicht werden sie jedoch nur auf Antrag befreit (§ 6 Abs. 2 SGB VI). Nach den Feststellungen hatten die Rechtsanwältinnen M. und, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, F. in den vorgenannten Fällen keinen Antrag gestellt, der Rechtsanwalt L. beantragte die Befreiung erst im Juli 2016 (UA S. 216 f.). Dass das Landgericht eine Befreiung von der Rentenversicherung auch in den Fällen nicht angenommen hat, in denen ein Befreiungsantrag zwar in der Vergangenheit für eine andere Beschäftigung gestellt wurde, die Befreiung jedoch nach dem Eintritt in die Kanzlei des Angeklagten nicht erneut beantragt wurde (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 - B 12 R 3/11 R, BSGE 112, 108 Rn. 16 ff.), begegnet keinen Bedenken, sondern folgt vielmehr aus der - sozialrechtsakzessorischen - Bestimmung des Umfangs der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge, die sich grundsätzlich nach dem materiellen Sozialversicherungsrecht richtet, das zur Tatzeit gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2021 - 1 StR 114/21).
cc) Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die von den vermeintlich freiwillig gesetzlich versicherten Rechtsanwälten gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 StGB ausschließen, sondern erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Bei § 266a Abs. 1 StGB handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt; das tatbestandsmäßige Verhalten erschöpft sich in der bloßen Nichterfüllung eines Handlungsgebots bei Handlungsfähigkeit, ohne dass ein darüberhinausgehender Erfolg eintreten muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2019 - 1 StR 58/19 BGHSt 65, 136 Rn. 11 f.). Das Vorenthalten im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB ist mit der schlichten Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11 BGHR StGB § 266a Abs. 2 Leistungsfähigkeit 1). Den Eintritt eines Schadens verlangt der Wortlaut der Norm nicht. Zwar können Beitragszahlungen, die ein Dritter aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung leistet, den Tatbestand entfallen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 - 3 StR 126/01 Rn. 9; Beschluss vom 21. September 2005 - 5 StR 263/05 Rn. 9; vgl. auch MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 266a Rn. 49 mwN; a.A. Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl., § 266a Rn. 7). Jedoch sind Schwarzarbeiter und illegal Beschäftigte keine Dritten im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung. Schwarzlohn- oder vergleichbare Abreden weichen zum Nachteil der beschäftigten Arbeitnehmer von den sozialrechtlichen Vorschriften ab und sind nach § 32 Abs. 1 SGB I nichtig. Zahlungen auf der Grundlage einer solchen - verbotenen - Vereinbarung lassen den Tatbestand deshalb nicht entfallen. Aus der Schutzrichtung des § 266a Abs. 1 StGB folgt nichts anderes. Das Beitragsaufkommen wird weder durch den Abschluss einer nichtigen Vereinbarung noch durch - letztlich zufällige - Zahlungen der illegal Beschäftigten gesichert, die sich freiwillig für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung entscheiden.
b) Die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge als des maßgeblich den Schuldumfang und die Höhe der Einziehung bestimmenden Umstands ist jedoch rechtsfehlerhaft, weil die vom Landgericht nach § 14 Abs. 2 SGB IV vorgenommene Hochrechnung der Netto- auf die Bruttovergütung nicht nachprüfbar ist.
aa) Bei der Strafvorschrift des § 266a StGB obliegt es dem Tatgericht grundsätzlich, die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge für die Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 - 1 StR 511/21 Rn. 23). Wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer im konkreten Fall bekannt sind, muss der Umfang vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge anhand der Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 - 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 36 f.; vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 185/16 Rn. 24; vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12 und vom 8. Februar 2011 - 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 Rn. 19).
Die Urteilsgründe müssen auch die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16 Rn. 6 mwN und vom 6. Juli 2018 - 1 StR 234/18 BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 13), die nicht nur für den Schuldumfang entscheidend sind, sondern auch für die Einziehungsentscheidung. Bei bekannten Arbeitnehmern ist das Tatgericht aus rechtlichen Gründen jedoch nicht gehalten, in jedem Einzelfall nachzuzeichnen, wie sich der individuelle, der Hochrechnung zugrundeliegende Faktor im Einzelnen errechnet. Insbesondere in Fällen, in denen eine Vielzahl - bekannter - Schwarzarbeiter beschäftigt werden, würde dies die Darlegungsanforderungen überspannen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, dass die tatrichterlich ermittelten Ergebnisse anhand repräsentativer Fälle belegt werden, die eine Nachprüfung der Hochrechnung ermöglichen. Hierzu gehört, dass alle den Hochrechnungsfaktor beeinflussende Größen - auch der Höhe nach - benannt werden, soweit diese nicht durch Gesetz oder Rechtsverordnung geregelt oder allgemeinbekannt sind.
bb) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil bei den hier im konkreten Fall bekannten Beschäftigten nicht gerecht. Zwar hat das Landgericht im Ansatz zutreffend die einem jeden Rechtsanwalt jeweils monatlich gezahlte Nettovergütung nach dem Abtastverfahren auf eine Bruttovergütung hochgerechnet, um die jeweiligen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge festzustellen (UA S. 213 ff.). Jedoch fehlt eine revisionsrechtlich nachvollziehbare Darstellung der Hochrechnung der Nettovergütung auf die Bruttovergütung. Den Urteilsausführungen lässt sich insoweit lediglich entnehmen, dass das Landgericht die vom als Zeugen vernommenen Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung ermittelten Netto- und Bruttovergütungen überprüft und nachvollzogen habe, und in die Berechnungen "- bei Vorliegen - weitere Informationen etwa hinsichtlich Steuerklasse, Kinderfreibetrag oder Kirchensteuer nachvollziehbar eingeflossen" seien (vgl. UA S. 238). Ob und in welcher Höhe diese Faktoren in die Berechnung Eingang gefunden haben, teilt das Landgericht indes in keinem Fall mit, auch nicht bei der Darstellung der Zeugenaussage des Betriebsprüfers (UA S. 213 ff.). Soweit es in der Darstellung von dessen Zeugenaussage ergänzend auf die "im Selbstleseverfahren ‚1‘ V. eingeführten Berechnungsgrundlagen (Ausgangsberechnung)" (UA S. 213) verweist, ist dies unbehelflich (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2021 - 4 StR 457/20 Rn. 8). Die gebotenen eigenen Urteilsfeststellungen oder Würdigungen können durch Bezugnahmen nicht ersetzt werden, weil es sachlich-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 - 2 StR 242/20 Rn. 19 mwN).
cc) Zu weiteren Ausführungen hätte sich das Landgericht allerdings auch deshalb gedrängt sehen müssen, weil die von ihm in Ansatz gebrachten Hochrechnungsfaktoren, also das Verhältnis der festgestellten Netto- und Bruttovergütung, auch in den Fällen einer ähnlichen Nettovergütung stark variieren und die Werte sich insgesamt in der breiten Spanne von 1,35 bis 2,33 bewegen. Zwar liegen die Hochrechnungsfaktoren nur im Fall der Berechnung mit dem Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI bei Werten zwischen 1,5 und 1,6 (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 18 f.), so dass bei einer individuellen Berechnung ein Abweichen von diesen Werten für sich genommen noch nicht besorgen lässt, dass das Landgericht unrichtige Hochrechnungsfaktoren ermittelt hat; rein rechnerisch ist auch ein deutliches Abweichen von den "Standard"-Hochrechnungsfaktoren durchaus möglich, etwa bei einem sehr geringen oder hohen Einkommen, mit dem in der Regel ein entsprechend geringer bzw. hoher (Durchschnitts-)Steuersatz einhergeht. Diese unterschiedlichen Einkommensverhältnisse hat das Landgericht etwa in den Fällen der Rechtsanwältin F. mit einem monatlichen Verdienst von 1.200 € im Jahr 2016 und des Rechtsanwalts K. mit einem Monatsverdienst von 1.300 € im Juli 2016 aber gerade nicht festgestellt, jedoch seiner Hochrechnung im ersten Fall einen Faktor von 2,33 und im zweiten Fall von 1,35 zugrunde gelegt. Dass sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass das Landgericht für bestimmte Rechtsanwälte eine Befreiung von der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung angenommen hat, vermag diese Erörterungslücke nicht zu schließen.
c) Da der Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt worden ist, hält der am Sozialversicherungsschaden anknüpfende Strafausspruch sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Dasselbe gilt für den Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Umfang der für die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ersparten Aufwendungen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB). Der Senat hebt auch die dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insoweit widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
d) Der aufgezeigte Rechtsfehler beim Schuldumfang lässt hingegen den Schuldspruch selbst unberührt; die fehlerhafte Berechnung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge wirkt sich nicht dergestalt auf die jeweilige Verwirklichung des Tatbestands aus, dass dieser entfällt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 - 1 StR 86/21 Rn. 9 und vom 24. September 2019 - 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 43 mwN).
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der Strafausspruch unterliegt schon aus den vorstehend unter II. 2. ausgeführten Gründen der Aufhebung. Der Senat vermag angesichts der rechtsfehlerhaften Darstellung der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeträge nicht auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler sich auch zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.
2. Die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge weist zudem weitere, den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler auf.
a) Das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten als maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze die (niedrigere) besondere Entgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V und nicht die allgemeine Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 SGB V zugrunde gelegt (UA S. 214). Die besondere Entgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V gilt allerdings nur für Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 2002 die damalige Jahresarbeitsentgeltgrenze von 40.500 € erreicht hatten. Die - vom Landgericht auch nicht weiter belegte - Annahme der Geltung dieser Grenze steht jedoch im Widerspruch zu den Urteilsausführungen, nach denen ein Teil der Rechtsanwälte Berufsanfänger und im Jahr 2002 noch nicht berufstätig war (vgl. etwa UA S. 50, 69, 73, 84 und 246). Unabhängig davon erschließt sich ohne nähere Ausführungen nicht, aus welchem Grund das Landgericht keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Ansatz gebracht hat, soweit die hochgerechneten Bruttovergütungen nach den Feststellungen (auch) unter der (besonderen) Jahresarbeitsentgeltgrenze lagen, was über die vom Landgericht berücksichtigten Fälle hinaus etwa in Bezug auf die Rechtsanwälte D. , K. und (ab 2014) M. der Fall war (UA S. 214 und 218 ff.).
Zudem hat das Landgericht nicht erkennbar beachtet, dass eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nur dann nicht besteht, wenn der nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochgerechnete Bruttolohn diese Grenze nach Abzug des Arbeitnehmeranteils des Krankenversicherungs- und des Pflegeversicherungsbeitrages überschreitet; der Arbeitnehmeranteil des Krankenversicherungs- und des Pflegeversicherungsbeitrages ist nicht auf die Jahresarbeitsentgeltgrenze anzurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 1995 - 12 RK 39/94, BSGE 77, 181 Rn. 15 ff.; siehe auch Figge/Sieben, Sozialversicherungs-Handbuch Beitragsrecht, S. 171).
b) Die zum Zwecke der Strafzumessung vom Landgericht vorgenommene alternative Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge mit einem reduzierten Gesamtschadensbetrag von 100.284,24 € begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die von den freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälten gezahlten Beiträge nicht durch eine Hochrechnung zu bestimmen waren; die Höhe dieser Beiträge richtete sich vielmehr nach den beitragspflichtigen Einnahmen - dies dürften insbesondere die vom Angeklagten gezahlten (Netto-)Honorare sein - und den jeweiligen Beitragssätzen, §§ 240 ff. SGB V. Ungeachtet dessen kommt eine rechnerische Ermittlung der Beiträge ohnehin nur in Betracht, wenn die tatsächlich gezahlten Beträge nicht anderweitig (etwa durch entsprechende Auskünfte der Krankenkassen oder Rechtsanwälte) ermittelt werden können.
IV.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Soweit - was nach den landgerichtlichen Urteilsausführungen naheliegt - die Rechtsanwälte, die trotz ihrer Mitgliedschaft im Versorgungswerk aufgrund eines fehlenden (erneuten) Befreiungsantrags rentenversicherungspflichtig waren, Beiträge an das anwaltliche Versorgungswerk abgeführt haben, kann dieser Umstand - ähnlich wie bei den Beiträgen freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherter Beschäftigten - bei der Strafzumessung jedenfalls dann zu berücksichtigen sein, wenn die Deutsche Rentenversicherung auf eine Nachforderung der nicht gezahlten Beiträge verzichtet hat.
2. Sollte das neue Tatgericht wiederum die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe (§ 41 StGB) erwägen, wird es zu bedenken haben, dass diese Strafe vornehmlich auf Fälle zugeschnitten ist, in denen es nach der Art von Tat und Täter zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, diesen nicht nur an der Freiheit, sondern darüber hinaus auch am Vermögen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1976 - 3 StR 8/76, BGHSt 26, 325, 328). Jedenfalls ist in den Fällen, in denen zur Abschöpfung des aus der Tat erlangten Vermögens eine Einziehungsentscheidung getroffen wird, zu erörtern, ob die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen im Sinne des § 41 StGB angebracht ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 - 5 StR 603/19 Rn. 8 mwN).
3. Bei der neu zu treffenden Einziehungsentscheidung wird das neue Tatgericht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu beachten haben, da der Senat das angefochtene Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft nur im Strafausspruch aufgehoben hat. Anders als vom Landgericht, das die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet hat, "soweit nicht eine Verrechnung mit den freiwillig geleisteten Krankenversicherungs-/Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt", zugrunde gelegt, ist die Einziehung nach § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB im Übrigen erst ausgeschlossen, soweit der Anspruch des Sozialversicherungsträgers tatsächlich erloschen ist; insoweit kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Einziehung an. Nach den Feststellungen des Landgerichts war noch offen, ob es zu einer Verrechnung kommt (UA S. 294).
Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 8. März 2023 - 1 StR 188/22
Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 8. März 2023 - 1 StR 188/22
(1) Das Gericht kann auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen; § 25 Abs. 3 gilt entsprechend. Die Anordnung darf nur getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten entsprechend, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur durch die nach der Strafprozessordnung dazu berufenen Behörden durchgeführt werden.
(3) Durch Absatz 1 wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
(1) Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Die Beschlagnahme nach § 97 Abs. 5 Satz 2 in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt darf nur durch das Gericht angeordnet werden.
(2) Der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen. Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich nach § 162. Der Betroffene kann den Antrag auch bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat; dieses leitet den Antrag dem zuständigen Gericht zu. Der Betroffene ist über seine Rechte zu belehren.
(3) Ist nach erhobener öffentlicher Klage die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder eine ihrer Ermittlungspersonen erfolgt, so ist binnen drei Tagen dem Gericht von der Beschlagnahme Anzeige zu machen; die beschlagnahmten Gegenstände sind ihm zur Verfügung zu stellen.
(4) Wird eine Beschlagnahme in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Beschlagnahme in Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.
(1) Für die Statthaftigkeit, Form und Frist der Beschwerde gelten die §§ 146 und 147 der Verwaltungsgerichtsordnung.
(2) Gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts, durch die nach § 59 Abs. 1 über eine Disziplinarklage entschieden wird, kann die Beschwerde nur auf das Fehlen der Zustimmung der Beteiligten gestützt werden.
(3) Für das Beschwerdeverfahren gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts über eine Aussetzung nach § 63 gilt § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend.
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
Die Aufgaben der Disziplinargerichtsbarkeit nach diesem Gesetz nehmen die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit wahr. Hierzu werden bei den Verwaltungsgerichten Kammern und bei den Oberverwaltungsgerichten Senate für Disziplinarsachen gebildet. Die Landesgesetzgebung kann die Zuweisung der in Satz 1 genannten Aufgaben an ein Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte anordnen. Soweit nach Landesrecht für Verfahren nach dem Landesdisziplinargesetz ein Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte zuständig ist, ist dieses Gericht, wenn nichts anderes bestimmt wird, auch für die in Satz 1 genannten Aufgaben zuständig. § 50 Abs. 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.
(1) Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Der höhere Dienstvorgesetzte und die oberste Dienstbehörde stellen im Rahmen ihrer Aufsicht die Erfüllung dieser Pflicht sicher; sie können das Disziplinarverfahren jederzeit an sich ziehen. Die Einleitung ist aktenkundig zu machen.
(2) Ist zu erwarten, dass nach den §§ 14 und 15 eine Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht kommt, wird ein Disziplinarverfahren nicht eingeleitet. Die Gründe sind aktenkundig zu machen und dem Beamten bekannt zu geben.
(3) Hat ein Beamter zwei oder mehrere Ämter inne, die nicht im Verhältnis von Haupt- zu Nebenamt stehen, und beabsichtigt der Dienstvorgesetzte, zu dessen Geschäftsbereich eines dieser Ämter gehört, ein Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten, teilt er dies den Dienstvorgesetzten mit, die für die anderen Ämter zuständig sind. Ein weiteres Disziplinarverfahren kann gegen den Beamten wegen desselben Sachverhalts nicht eingeleitet werden. Hat ein Beamter zwei oder mehrere Ämter inne, die im Verhältnis von Haupt- zu Nebenamt stehen, kann nur der Dienstvorgesetzte ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten, der für das Hauptamt zuständig ist.
(4) Die Zuständigkeiten nach den Absätzen 1 bis 3 werden durch eine Beurlaubung, eine Abordnung oder eine Zuweisung nicht berührt. Bei einer Abordnung geht die aus Absatz 1 sich ergebende Pflicht hinsichtlich der während der Abordnung begangenen Dienstvergehen auf den neuen Dienstvorgesetzten über, soweit dieser nicht ihre Ausübung den anderen Dienstvorgesetzten überlässt oder soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
Tenor
Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beteiligten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2008 - DB 10 K 2464/08 - werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und die Beteiligte tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
Gründe
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(1) Das Gericht kann auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen; § 25 Abs. 3 gilt entsprechend. Die Anordnung darf nur getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten entsprechend, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur durch die nach der Strafprozessordnung dazu berufenen Behörden durchgeführt werden.
(3) Durch Absatz 1 wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.
Der Beamte hat Schriftstücke, Zeichnungen, bildliche Darstellungen und Aufzeichnungen einschließlich technischer Aufzeichnungen, die einen dienstlichen Bezug aufweisen, auf Verlangen für das Disziplinarverfahren zur Verfügung zu stellen. Das Gericht kann die Herausgabe auf Antrag durch Beschluss anordnen und sie durch die Festsetzung von Zwangsgeld erzwingen; für den Antrag gilt § 25 Abs. 3 entsprechend. Der Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.
(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.
(3) Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, an Maßnahmen der dienstlichen Qualifizierung zur Erhaltung oder Fortentwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten teilzunehmen.
(1) Das Gericht kann auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen; § 25 Abs. 3 gilt entsprechend. Die Anordnung darf nur getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten entsprechend, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur durch die nach der Strafprozessordnung dazu berufenen Behörden durchgeführt werden.
(3) Durch Absatz 1 wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
Tenor
Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beteiligten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2008 - DB 10 K 2464/08 - werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und die Beteiligte tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
Gründe
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Tatbestand
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Das Truppendienstgericht hatte festgestellt, dass der frühere Soldat vor seinem Dienstzeitende in einen Landesvorstand der NPD gewählt worden war und für diese weitere herausgehobene Funktionen wahrgenommen hatte. Diese Funktionen habe er bis zum Dienstzeitende inne gehabt. Die NPD sei im gesamten von den Vorwürfen erfassten Zeitraum von einer verfassungsfeindlichen Zielrichtung getragen. Damit habe er eine verfassungsfeindliche Partei aktiv unterstützt und gefördert und so seine Dienstpflicht aus § 8 SG verletzt. Dabei habe er die Verfassungsfeindlichkeit der NPD erkennen können und müssen und damit fahrlässig gehandelt. Nach seinem Dienstzeitende habe er seine Funktionärstätigkeit fortgesetzt und ausgeweitet. Dadurch habe er die NPD und ihre verfassungsfeindlichen Ziele aktiv gefördert und unterstützt und sich damit im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG objektiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt. Dies sei anfangs fahrlässig, später aber bedingt vorsätzlich geschehen. Die Truppendienstkammer hat daher wegen eines Dienstvergehens und eines als Dienstvergehen geltenden Verhaltens eine Dienstgradherabsetzung verhängt.
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Die auf die Maßnahmebemessung beschränkte Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
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(...)
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2. a) Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleiben die Prüfung der Prozessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse (Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 116 Rn. 20). Ein Verfahrenshindernis liegt hier nicht in der den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht mehr genügenden Länge des Verfahrens:
- 35
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aa) Das Wehrdisziplinarverfahren steht nicht außerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 6 Abs. 1 EMRK (so bereits EGMR, Urteil vom 8. Juni 1976 - Engel u.a. - EuGRZ 1976, 221 <232>). Die EMRK gilt in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes und ist bei der Interpretation des nationalen Rechts - auch der Grundrechte und rechtsstaatlichen Garantien - zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BVR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 <315 f.> und juris Rn. 30). Selbst wenn ein auf die Verhängung der Höchstmaßnahme gerichtetes Disziplinarverfahren keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage darstellt, gilt dort Art. 6 EMRK jedenfalls unter seinem zivilrechtlichen Aspekt und gibt Betroffenen einen Anspruch darauf, dass über die Streitigkeit innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 (Bayer/Deutschland) - NVwZ 2010, 1015 <1016>).
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bb) Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N.).
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Hiernach rechtfertigen weder die hohe Komplexität der Vorfrage nach der Verfassungsfeindlichkeit der NPD noch die Vorgreiflichkeit des teilweise sachgleichen Strafverfahrens die Gesamtdauer des vorliegenden Verfahrens. Schon das Strafverfahren ist nicht mit der gebotenen Beschleunigung bearbeitet worden. Die Anfang August 2003 beim Amtsgericht ... eingegangene Anklageschrift konnte dort erst Ende Mai 2005 in Bearbeitung genommen werden. Über die Berufung gegen das erstinstanzliche Strafurteil vom Juli 2005 konnte wegen der hohen Belastung der zuständigen Kammer erst im März 2007 verhandelt und entschieden werden. Auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist es zu nicht mehr durch einen normalen Geschäftsablauf veranlassten Verzögerungen gekommen. Obwohl seit Ende Mai 2007 bekannt war, dass mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens der Grund für die Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entfallen war, ist erst Mitte März 2009 eine Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht eingereicht worden. Diese Verzögerung ist nicht in voller Länge durch die Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfrage, den notwendigen Umfang der Anschuldigungsschrift und die Notwendigkeit der Gewährung von Schlussgehör gerechtfertigt. Nicht durch den früheren Soldaten zu verantworten waren auch die Verzögerungen, die sich durch die durch Versäumnisse der Wehrdisziplinaranwaltschaft im Ermittlungsverfahren und bei der Formulierung der Anschuldigungsschrift veranlasste Aussetzung des Verfahrens durch das Truppendienstgericht im Mai 2009 ergaben. In der Zeit zwischen dem Eingang der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 24. Juli 2009 und der Verzögerungsrüge des früheren Soldaten Ende Januar 2011 ist das Verfahren beim Truppendienstgericht nicht erkennbar gefördert worden. Auch die Dauer des Berufungsverfahrens war wesentlich nicht durch den früheren Soldaten zu verantworten, vielmehr der Belastung des Senats mit noch älteren Verfahren geschuldet.
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cc) Dass die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegend nicht gewahrt wurden, verlangt aber keine Einstellung des Verfahrens.
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Eine Einstellung entsprechend § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO kann geboten sein, wenn wegen eines Dienstvergehens eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme im Raum steht. Denn bei solchen Maßnahmen bildet eine unangemessen lange Verfahrensdauer einen Milderungsgrund (vgl. Urteile vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn. 18; vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD 6.07 - juris Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - BVerwG 2 WD 1.08 - juris Rn. 122 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 47, vgl. auch Beschluss vom 11. Mai 2010 - BVerwG 2 B 5.10 - juris Rn. 3 für das Disziplinarrecht der Beamten m.w.N.).
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In extrem gelagerten Fällen kann wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses eine Einstellung in Betracht kommen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 1089/09 - juris Rn. 6 für das Strafverfahren). Eine Verfahrenseinstellung kommt jedenfalls bei einem außergewöhnlich großen Ausmaß an Verfahrensverzögerung und damit verbundenen besonders schweren Belastungen des Beschuldigten in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2009 - StbSt (R) 2/09 - NJW 2010, 1155 <1156> = juris Rn. 15 für das berufsrechtliche Verfahren gegen Steuerberater).
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Anders ist dies aber, wenn - wie hier - die Verhängung der Höchstmaßnahme geboten ist. Diese hat keinen pflichtenmahnenden Charakter. Sie zieht vielmehr die Konsequenz aus dem Verlust des Vertrauens des Dienstherrn in die Integrität und Zuverlässigkeit des Soldaten und dem Entfallen der Grundlage für die Fortsetzung des gegenseitigen Dienst- und Treueverhältnisses. Der Zweck der Verhängung der Höchstmaßnahme kann nicht durch eine besonders intensiv wirkende Belastung durch das Verfahren als solches erreicht werden. Ihre Verhängung kann daher auch nicht neben der pflichtenmahnenden Wirkung des Verfahrens unverhältnismäßig sein. Hinzu kommt noch, dass hier weder die Überschreitung der im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK angemessenen Verfahrensdauer extrem hoch ist noch damit besonders schwere Belastungen für den früheren Soldaten, der bis Ende September 2006 Übergangsgebührnisse bezogen und das Ende seiner Dienstzeit ohnehin erreicht hatte, verbunden sind.
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b) Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (so Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 2 WD 64.87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Beachtlich sind allerdings Aufklärungs- und Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten - erschüttern (vgl. Beschlüsse vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1 = juris Rn. 12, 17 - und vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris Rn. 12, 15, 17). Ein derartiger Verfahrensmangel liegt nicht in der Besetzung der Richterbank in der Vorinstanz:
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Da einem Soldaten nach der Wehrdisziplinarordnung das Recht zusteht, dass seine Sache in zwei ordnungsgemäß besetzten Instanzen verhandelt und entschieden wird, würde die Verletzung des § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO zwar einen schweren Verfahrensmangel darstellen (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. September 1991 - BVerwG 2 WD 17.91 - BVerwGE 93, 161 f. zur Vorgängerregelung § 69 Abs. 3 Satz 3 WDO a.F. - und vom 11. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 13). Das Truppendienstgericht hat aber zu Recht keinen Reservisten als ehrenamtlichen Richter herangezogen.
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Nach § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO soll in Verfahren vor der Truppendienstkammer gegen frühere Soldaten wegen eines Verhaltens, das als Dienstvergehen gilt, ein ehrenamtlicher Richter Angehöriger der Reserve sein; er muss der Dienstgradgruppe des früheren Soldaten angehören. Diese Norm ist trotz der im Gesetzeswortlaut gewählten Formulierung ("soll") nicht als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehen, deren Verletzung grundsätzlich ohne Folgen für den Bestand der Entscheidung bliebe (Beschluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. - juris Rn. 7). § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO stellt für die Bestimmung der Zugehörigkeit eines angeschuldigten früheren Soldaten zur Gruppe der Angehörigen der Reserve und damit auch derjenigen des betreffenden ehrenamtlichen Richters auf den Tatzeitpunkt ab (Beschluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. - juris Rn. 8). Die Norm kommt nicht nur zur Anwendung, wenn sich die Truppendienstkammer in der Hauptverhandlung ausschließlich mit einem Verhalten des früheren Soldaten auseinandersetzen muss, "das als Dienstvergehen gilt". Vielmehr ist bei einer Anschuldigungsschrift, in der sowohl Dienstpflichtverletzungen während des Wehrdienstverhältnisses als auch Verstöße gegen über das Dienstverhältnis hinauswirkende Pflichten zur Last gelegt werden, darauf abzustellen, worin der Schwerpunkt der Tatvorwürfe zu sehen ist (Beschluss vom 11. Mai 2006 - a.a.O. - juris Rn. 10; so auch Lingens, in: NZWehrr 1988, 59 <61>).
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Hiernach hat die Truppendienstkammer für die Entscheidung über die Besetzungsrüge zutreffend darauf abgestellt, dass nach der Anschuldigungsschrift die größere Zahl der vorgeworfenen einzelnen Dienstpflichtverletzungen in die aktive Dienstzeit des früheren Soldaten fiel. Eine andere Bestimmung des Schwerpunktes ist im konkreten Fall weder wegen der Art der einzelnen vorgeworfenen Pflichtverletzungen noch der in der Anschuldigungsschrift bzw. den Nachtragsanschuldigungsschriften jeweils erhobenen Verschuldensvorwürfe geboten. Den Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bildet die Anschuldigungsschrift. Von ihr ausgehend ist daher auch die Frage nach der Besetzung der Richterbank des Truppendienstgerichts zu entscheiden.
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In der Berufungsinstanz gilt nur deswegen für die Anwendung von § 75 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 WDO etwas anderes, weil es sich um eine maßnahmebeschränkte Berufung handelt. Ist die Berufung auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Damit ist Verfahrensgegenstand nur noch die Bemessung der Maßnahme für die durch die Vorinstanz festgestellten und das einheitliche Dienstvergehen bildenden Dienstpflichtverletzungen. Hiernach bildet vorliegend sowohl im Hinblick auf das schwerer wiegende Maß der Schuld für einen Teilzeitraum als auch wegen des insgesamt längeren Zeitraumes der Dienstpflichtverletzung das Verhalten den Schwerpunkt des Verfahrens, das von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG erfasst wird.
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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Dem früheren Soldaten ist hiernach wegen eines Dienstvergehens und eines als Dienstvergehen geltenden Verhaltens das Ruhegehalt abzuerkennen (§ 58 Abs. 2 Nr. 4, § 67 Abs. 4 WDO). Da ihm die Übergangsbeihilfe noch nicht ausgezahlt wurde und er damit als Soldat im Ruhestand gilt (§ 1 Abs. 3 WDO i.V.m. § 3 Abs. 4 Nr. 3 SVG), wird der Rahmen der zulässigen Maßnahmen durch § 58 Abs. 2 WDO bestimmt.
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a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen sehr schwer.
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Wer als Staatsdiener in einem besonderen Treueverhältnis zu diesem Staat steht und geschworen hat, Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, zerstört die für eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses unabdingbare Vertrauensgrundlage, wenn er vorsätzlich Bestrebungen unterstützt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren sind (Urteil vom 20. Mai 1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <154>). Die Bundeswehr als Organ der Exekutive der Bundesrepublik Deutschland kann erwarten und muss davon ausgehen, dass sich die Soldaten zu den rechtsstaatlichen Anforderungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, insbesondere zu den Grundrechten, bekennen und für ihre Verwirklichung einsetzen (Urteile vom 22. Januar 1997 - BVerwG 2 WD 24.96 - BVerwGE 113, 58 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 12 = NZWehrr 1997, 161 und vom 20. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 9.99 - BVerwGE 111, 25 <27> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 32). Die politische Treuepflicht fordert von jedem Angehörigen des öffentlichen Dienstes, dass er nicht nur die Grundordnung des Staates anerkennt, sondern auch die Bereitschaft zeigt, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten. Da diese Pflicht zu den absolut elementaren soldatischen Pflichten gehört, ist ihre Verletzung eine der schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten (Urteil vom 7. November 2000 - BVerwG 2 WD 18.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 40 = juris Rn. 4 und 8 m.w.N.).
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Dies gilt vor allem für Soldaten in Vorgesetzteneigenschaft, die in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben haben (§ 10 Abs. 1 SG), also auch für den früheren Soldaten, der aufgrund seines Dienstgrades als Oberfeldwebel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr.2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - m.w.N., vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 30).
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bb) Diese Erwägungen beanspruchen aber ebenso Geltung für das als Dienstvergehen geltende Verhalten nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG, jedenfalls wenn eine vorsätzliche Verletzung in Rede steht:
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Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG für Offiziere und Unteroffiziere die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Dienstvergehen gleichgestellt. Damit hat er aus dem für aktive Soldaten geltenden Pflichtenkreis des § 8 SG einen Teilbereich auch für die Zeit nach dem Dienstzeitende mit einer Sanktionsdrohung versehen. Diese richtet sich nur gegen den nach § 10 Abs. 1 SG besonders verpflichteten Personenkreis und betrifft auch nur aktive Handlungen, die in besonders intensiver Weise gegen die politische Treuepflicht verstoßen. Der Gesetzgeber greift mithin aus der Summe des Pflichtenkreises gem. § 8 SG nur die besonders schwer wiegenden Pflichtverletzungen heraus und sanktioniert nur sie über das Dienstzeitende hinaus. Damit macht er deutlich, dass er der Erfüllung dieser Pflicht für den betroffenen Personenkreis auch über das Dienstzeitende hinaus hohe Bedeutung beimisst. Er trägt damit dem schützenswerten Interesse Rechnung, dass auch Reservisten für die Bundeswehr untragbar werden können, wenn sie elementare Pflichten verletzen und so die Grundlage des Vertrauens in ihre Integrität und Zuverlässigkeit als Grundlage ihrer Wiederverwendung schwer beeinträchtigen oder gar zerstören. Wer vorsätzlich durch aktives Tun Bestrebungen unterstützt, die sich gegen Kernelemente der Verfassungsordnung richten, die er als Soldat - und auch als Reservist im Falle einer Heranziehung zu Dienstleistungen - zu verteidigen hätte, zerstört das hierfür erforderliche Vertrauen in ihn. Eine Verletzung auch der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch einen Reservisten wiegt damit ebenfalls besonders schwer.
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b) Das Dienstvergehen hat nachteilige Auswirkungen für das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, weil der frühere Soldat auf seiner eigenen in der Berufungshauptverhandlung auszugsweise verlesenen Internetseite neben seiner parteipolitischen Betätigung und seiner Position innerhalb der Partei auch auf seinen Wehrdienst und den dort erreichten Dienstgrad hinwies. Damit wird er in der Öffentlichkeit als einflussreicher Funktionär der NPD und zugleich als Reserveunteroffizier wahrgenommen. Diese Kombination ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte zu gefährden, weil dieses Vertrauen darauf gründet, dass die Angehörigen der Streitkräfte ohne Einschränkungen auf dem Boden der Verfassungsordnung stehen, die sie nach außen verteidigen sollen. Diese Vertrauensgrundlage wird beschädigt, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, es bestehe eine gerade von den Führungskräften der Bundeswehr ausgehende Affinität zwischen den Streitkräften und verfassungsfeindlichen Parteien.
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c) Die Beweggründe des früheren Soldaten wirken sich für die Bemessung der Maßnahme nicht zu seinem Nachteil aus:
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Die Bereitschaft, staatsbürgerliche Verantwortung durch parteipolitische Arbeit wahrzunehmen, spricht grundsätzlich für einen (früheren) Soldaten. Dass er sich für die parteipolitische Arbeit als Repräsentant in herausgehobener Stellung einer als verfassungsfeindlich bewerteten Partei entschieden hat, ist Teil der Dienstpflichtverletzung und damit nicht zugleich ein ihr Gewicht erschwerender Umstand.
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d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er jedenfalls einen Teil der Dienstpflichtverletzungen während eines Teilzeitraumes vorsätzlich begangen hat. Für eine verminderte Schuldfähigkeit oder Milderungsgründe in den Umständen der Tat spricht nichts, solche Milderungsgründe sind vom früheren Soldaten auch nicht behauptet worden.
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Nach den Ausführungen des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung glaubt der Senat ihm, dass er einem Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns unterlegen war. Denn der frühere Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung angegeben, ein formales Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht sei für ihn eine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit seines Handelns auch als Reservist. Dies sei für ihn ein entscheidendes rechtsstaatliches Kriterium. Dies spricht dafür, dass er das Parteienprivileg grundsätzlich kannte und aus ihm die Folgerung ableitete, die Betätigung für eine nicht verbotene Partei sei deshalb auch nicht disziplinarrechtlich zu sanktionieren.
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Soweit er damit seine Einlassung aus der Vorinstanz wiederholt, er habe zu keinem Zeitpunkt den Schluss auf die Verfassungsfeindlichkeit der NPD gezogen, weil das Bundesverfassungsgericht sie nicht verboten habe, ist sein Vortrag für den Zeitraum ab 2006 unerheblich. Denn damit behauptet er einen Irrtum über ein Tatbestandselement der Dienstpflichtverletzung, das zum Ausschluss des Vorsatzes führt. Vorsatz hat das Truppendienstgericht aber für den Zeitraum ab 2006 für den Senat bindend festgestellt.
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Einem grundsätzlich für die Bemessungsentscheidung relevanten Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns auch für diesen Teilzeitraum unterlag er nur, soweit er mit seinem Vortrag sinngemäß geltend macht, er habe - trotz der vom Truppendienstgericht festgestellten Kenntnis der Verfassungsfeindlichkeit der NPD - jedenfalls geglaubt, sich als Reservist bis zu einem Verbot der Partei für diese betätigen zu dürfen, ohne dass dies disziplinarische Konsequenzen haben könne.
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Dass dieser Irrtum für den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht unvermeidbar gewesen war, steht für den Senat allerdings wegen der ihn bindenden Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts fest. Ein unvermeidbarer Irrtum hätte entsprechend § 17 Satz 1 StGB schuldausschließende Wirkung. Das Truppendienstgericht geht aber von einem schuldhaften Handeln, ab 2006 sogar von einem vorsätzlichen Handeln aus.
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Bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum kann das Wehrdienstgericht das Disziplinarmaß nach den Grundsätzen des § 17 Satz 2 StGB mildern (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <174> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 16 = juris Rn. 32 m.w.N). Von dieser Möglichkeit ist aber nicht zwingend Gebrauch zu machen. Unbeachtlich ist jedenfalls ein Verbotsirrtum, der auf Rechtsblindheit beruht (Scherer/Alff/Poretschkin, SG, § 23 Rn. 9 a.E. unter Hinweis auf das Urteil vom 28. September 1978 - BVerwG 2 WD 25.78). Ein Verbotsirrtum beruht auf Rechtsblindheit, wenn sich ein (früherer) Soldat einer naheliegenden, sich dem durchschnittlichen Angehörigen seiner Dienstgradgruppe aufdrängenden Erkenntnis aus eigennützigen Motiven verschließt.
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So liegt der Fall zur Überzeugung des Senats jedenfalls für den Zeitraum vorsätzlichen Handelns auch hier. Der frühere Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung deutlich gemacht, dass es ihm auch darauf ankam, möglichst schnell eine herausgehobene politische Position einzunehmen, um Einfluss ausüben und seine politischen Ziele verwirklichen zu können. Denn dass er dieses Ziel in der NPD eher erreichen konnte als in einer der mitgliederstärkeren etablierten Volksparteien - von deren Programminhalten zu aktuellen Fragen er auch enttäuscht war -, hat er als eines der Motive für die Wahl gerade der NPD als Betätigungsfeld für sein politisches Engagement angegeben. Damit hat sich der frühere Soldat selbst als zielstrebig und karriereorientiert charakterisiert. Dass er über eine hohe Intelligenz verfügt, weisen die in der Berufungshauptverhandlung verlesene Beurteilung wie auch die Ausführungen des letzten Disziplinarvorgesetzten als Leumundszeugen aus. Es entspricht auch dem Eindruck, den der Senat von dem früheren Soldaten nach dessen Ausführungen in der Berufungshauptverhandlung gewonnen hat. Nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts ist davon auszugehen, dass der frühere Soldat ab 2006 billigend in Kauf genommen hat, dass er sich als Funktionär einer verfassungsfeindlichen Partei betätigte. Dass eine derartige politische Betätigung nicht ohne weiteres mit der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht eines Unteroffiziers der Reserve vereinbar ist, ist eine Erkenntnis, die sich jedem früheren Unteroffizier, der wie der frühere Soldat weiß, dass er noch Anspruch auf eine Dienstzeitversorgung hat, Inhaber eines Dienstgrades ist und im Falle einer Wiederverwendung eine Vorgesetztenstellung innehat, aufdrängen muss. Denn dass hiermit fortbestehende Treuepflichten verbunden sind, liegt nahe. Ein Reservist befindet sich in einem besonderen Näheverhältnis zum Dienstherrn, das nachwirkende Dienstpflichten begründet. Dies ist für einen Unteroffizier der Reserve ebenso offensichtlich wie der Umstand, dass an ihn besondere Anforderungen gerade bezüglich der zentralen Pflicht zur Verfassungstreue zu stellen sind, weil er im Falle einer Wiederverwendung als Vorgesetzter eingesetzt würde. Damit liegt es auch nahe, zumindest während ohnehin laufender disziplinarischer Ermittlungen wegen Verstößen gegen die politische Treuepflicht, beim Dienstvorgesetzten letzte Unklarheiten über den Umfang der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch Nachfrage aufzuklären. Wer dies - wie der frühere Soldat - unterlässt, verschließt sich bewusst der Erkenntnis über die Reichweite dieser Pflichten. Dies geschah hier auch aus eigennützigen Motiven, nämlich um nicht die Konsequenz eines Verzichts auf die weitere Parteikarriere ziehen zu müssen. Vor diesem Hintergrund wird die Erklärung des früheren Soldaten, er habe geglaubt, auch eine verfassungsfeindliche Partei aktiv als Funktionär in herausgehobener Stellung ohne disziplinarische Konsequenzen unterstützen zu dürfen, solange sie noch nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten sei, zur unbeachtlichen Schutzbehauptung, die eine Milderung der durch die vorsätzliche Dienstpflichtverletzung verwirkten Sanktion nicht rechtfertigt.
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e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sprechen die durch die Beurteilungen und die förmliche Anerkennung ausgewiesenen guten Leistungen, die auch der Leumundszeuge in der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, für den früheren Soldaten.
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Für ihn spricht auch, dass er bislang weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist, auch wenn diesem Umstand kein hohes Gewicht zukommt, da der frühere Soldat damit nur die Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt und keine besonderen Leistungen erbracht hat, die ihn aus dem Kameradenkreis herausheben.
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Der Senat hält ihm auch zugute, dass er sich im streitgegenständlichen Zeitraum nach eigenen Angaben dafür eingesetzt hat, dass nationalsozialistische Tendenzen in der NPD an Einfluss verlieren und so für die Partei breitere Wählerschichten erschlossen werden können. Trotz der wenig substantiierten Angaben des früheren Soldaten zu konkreten Bemühungen in dieser Richtung war dies deshalb glaubhaft, weil es gerade wegen des Zieles, der Partei bessere Wahlchancen zu sichern, in Übereinstimmung mit dem zielstrebigen und karriereorientierten Charakter des früheren Soldaten steht. Zudem hat er sich nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts selbst nicht an solchen Äußerungen oder Aktionen beteiligt. Der Senat kann diesem Aspekt aber kein hohes Gewicht einräumen, weil diese Bemühungen jedenfalls im verfahrensgegenständlichen Zeitraum, wie der frühere Soldat einräumt, keine Erfolge gezeitigt haben.
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f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 67 Abs. 4 WDO zulässigen - Aberkennung des Ruhegehaltes erforderlich und angemessen.
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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
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aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".
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Vorliegend ist auf dieser ersten Stufe von der Truppendienstkammer zutreffend zugrunde gelegt worden, dass bei einer vorsätzlichen Verletzung der Verfassungstreuepflicht durch einen Soldaten mit Vorgesetztendienstgrad grundsätzlich die disziplinare Höchstmaßnahme zu verhängen ist, während bei einem fahrlässigen Verstoß gegen diese Pflicht die Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist (Urteil vom 20. Mai 1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 LS 5). Da wie oben ausgeführt, das als Dienstvergehen geltende Verhalten im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG nach Eigenart und Schwere ebenso zu bewerten ist wie der Verstoß gegen § 8 SG, gilt für die Verletzung der nachwirkenden Dienstpflichten des Reservisten nichts anderes.
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Da hier für den Teilzeitraum ab 2006 eine vorsätzliche Verletzung der nachwirkenden Verfassungstreuepflicht durch das Truppendienstgericht für den Senat bindend festgestellt worden ist, bildet die Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dass weitere Pflichtverletzungen hinzukommen, für die für sich genommen nur eine Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen wäre, lässt das Dienstvergehen nicht in einem milderen Licht erscheinen.
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bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Für die "Eigenart und Schwere des Dienstvergehens" kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich versagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums "Maß der Schuld" hat der Senat neben der Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu ziehen.
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Hiernach sind keine mildernden Aspekte einzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach geeignet wären, von der Verhängung der Höchstmaßnahme im Einzelfall abzusehen. Die Anforderungen, die an entlastende Umstände zu stellen sind, werden durch die Schwere des Dienstvergehens bestimmt (Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 46). Von einer verwirkten Höchstmaßnahme abzusehen, erfordert deshalb mildernde Umstände von hohem Gewicht.
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Aus den oben ausgeführten Gründen macht der Senat von der Milderungsmöglichkeit entsprechend § 17 Satz 2 StGB für den Zeitraum ab 2006 keinen Gebrauch. Dass dem früheren Soldaten ein vermeidbarer Verbotsirrtum auch für den davor liegenden Zeitraum zuzubilligen ist und diesbezüglich auch eine Milderung der Sanktion zu rechtfertigen ist, kommt hier nicht mehr zum Tragen. Denn dieser Umstand mildert zwar das Gewicht der fahrlässig begangenen Dienstpflichtverletzungen. Diese kommen aber zu den vorsätzlichen Pflichtverletzungen noch hinzu, die bereits die Verhängung der Höchstmaßnahme gebieten. Auch wenn damit das Gewicht der hinzutretenden fahrlässigen Pflichtverletzungen deutlich geringer ist, werden nicht deshalb schon die vorsätzlichen Pflichtverletzungen weniger gravierend.
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Die guten Leistungen des früheren Soldaten während seiner aktiven Dienstzeit tragen ein Abgehen von einer an sich verwirkten Aberkennung des Ruhegehaltes nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht:
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Die persönliche Integrität eines Soldaten steht gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation, sodass gravierende Defizite an der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen müssen (Urteil vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 51 m.w.N), auch nicht durch fachliche Kompetenz ausgeglichen werden können (Urteil vom 16. Juni 2011 - BVerwG 2 WD 11.10 - juris Rn. 40).
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Die fehlende Vorbelastung kann ebenfalls kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Dasselbe gilt für die im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht erfolgreichen Bemühungen, nationalsozialistische Tendenzen in der NPD zu bekämpfen.
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Diesen für den früheren Soldaten sprechenden Aspekten steht bei der Gesamtabwägung nämlich der Umstand gegenüber, dass zu den die Höchstmaßnahme bereits tragenden Pflichtverletzungen ab 2006 weitere Pflichtverletzungen für den vom Urteil der Vorinstanz erfassten Vorzeitraum hinzutreten, auch wenn diese wegen der fahrlässigen Begehungsweise und wegen des insoweit eingreifenden vermeidbaren Verbotsirrtums deutlich geringeres Gewicht haben.
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§ 17 Abs. 2 bis 4 WDO steht der Verhängung der Höchstmaßnahme nicht entgegen, da die Norm für diese Maßnahme kein Verhängungsverbot durch Zeitablauf vorsieht. Diese Beschränkung des Verhängungsverbotes wegen Zeitablauf ist auch verfassungskonform. Das Verhängungsverbot beruht auf der Überlegung, dass eine disziplinare Maßregelung von leichten und mittelschweren Dienstvergehen als Erziehungszweck nach Ablauf gewisser Fristen fragwürdig ist (Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 17 Rn. 3). Damit greift diese Überlegung überhaupt nur bei Maßnahmen mit pflichtenmahnendem Charakter und nicht bei der Verhängung der Höchstmaßnahme ein, die die Folgerungen aus dem Verlust des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Integrität eines Soldaten zieht.
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Ist die Verhängung der Höchstmaßnahme geboten, ist dem früheren Soldaten die Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht maßnahmemildernd zugute zu halten (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 47 und für das Beamtendisziplinarrecht: Urteil vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 86 und Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 33, vom 14. März 2012 - BVerwG 2 B 5.12 - juris Rn. 7, vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - juris Rn. 10 - 14 und vom 1. Juni 2012 - BVerwG 2 B 123.11 - juris Rn. 9 ff.).
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Dass es hier um die Verhängung einer Maßnahme wegen eines Verhaltens geht, das im Schwerpunkt als Dienstvergehen gilt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch hier wird die Konsequenz daraus gezogen, dass ein früherer Soldat durch sein als Dienstvergehen geltendes Verhalten die Grundlage für die Fortsetzung eines fortbestehenden Treueverhältnisses zerstört hat.
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Die unangemessen lange Dauer des Verfahrens kann nichts an dem endgültigen Vertrauensverlust ändern, der durch das Fehlverhalten herbeigeführt wurde. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Der Gesetzgeber verlangt nicht, eine überlange Verfahrensdauer auch dann bei der Bemessung einer Sanktion zu berücksichtigen, wenn dies mit dem Zweck der gebotenen Sanktion nicht zu vereinbaren ist. § 198 GVG, der wegen § 91 Abs. 1 Satz 3 WDO auch für das Wehrdisziplinarverfahren Anwendung findet, sieht für Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK vielmehr grundsätzlich lediglich einen Schadensersatzanspruch als Ausgleich vor. Auch der Umstand, dass in § 17 WDO die Verhängung der Höchstmaßnahme von Verhängungsverboten wegen Zeitablaufes ausgenommen wird, indiziert, dass der Gesetzgeber von dieser Maßnahme nicht wegen der Belastungen eines langen Verfahrens absehen wollte. Da er mit § 198 GVG einen angemessenen Ausgleich geschaffen hat, ist er hierzu auch nicht aus europa- oder verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet.
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Art. 10 und 11 EMRK stehen der disziplinaren Ahndung eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht grundsätzlich nicht entgegen (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00 und 43.00 - BVerwGE 114, 258 <260, 264> = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 3).
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Der Verweis ist der schriftliche Tadel eines bestimmten Verhaltens des Beamten. Missbilligende Äußerungen (Zurechtweisungen, Ermahnungen oder Rügen), die nicht ausdrücklich als Verweis bezeichnet werden, sind keine Disziplinarmaßnahmen.
Die Geldbuße kann bis zur Höhe der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge des Beamten auferlegt werden. Hat der Beamte keine Dienst- oder Anwärterbezüge, darf die Geldbuße bis zu dem Betrag von 500 Euro auferlegt werden.
(1) Die Zurückstufung ist die Versetzung des Beamten in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. Der Beamte verliert alle Rechte aus seinem bisherigen Amt einschließlich der damit verbundenen Dienstbezüge und der Befugnis, die bisherige Amtsbezeichnung zu führen. Soweit in der Entscheidung nichts anderes bestimmt ist, enden mit der Zurückstufung auch die Ehrenämter und die Nebentätigkeiten, die der Beamte im Zusammenhang mit dem bisherigen Amt oder auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommen hat.
(2) Die Dienstbezüge aus dem neuen Amt werden von dem Kalendermonat an gezahlt, der dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt. Tritt der Beamte vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung in den Ruhestand, erhält er Versorgungsbezüge nach der in der Entscheidung bestimmten Besoldungsgruppe.
(3) Der Beamte darf frühestens fünf Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung befördert werden. Der Zeitraum kann in der Entscheidung verkürzt werden, sofern dies im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens angezeigt ist.
(4) Die Rechtsfolgen der Zurückstufung erstrecken sich auch auf ein neues Beamtenverhältnis. Hierbei steht im Hinblick auf Absatz 3 die Einstellung oder Anstellung in einem höheren Amt als dem, in welches der Beamte zurückgestuft wurde, der Beförderung gleich.
(1) Mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis endet das Dienstverhältnis. Der Beamte verliert den Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen und die Dienstkleidung zu tragen.
(2) Die Zahlung der Dienstbezüge wird mit dem Ende des Kalendermonats eingestellt, in dem die Entscheidung unanfechtbar wird. Tritt der Beamte in den Ruhestand, bevor die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unanfechtbar wird, gilt die Entscheidung als Aberkennung des Ruhegehalts.
(3) Der aus dem Beamtenverhältnis entfernte Beamte erhält für die Dauer von sechs Monaten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 Prozent der Dienstbezüge, die ihm bei Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zustehen; eine Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 38 Abs. 2 bleibt unberücksichtigt. Die Gewährung des Unterhaltsbeitrags kann in der Entscheidung ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, soweit der Beamte ihrer nicht würdig oder den erkennbaren Umständen nach nicht bedürftig ist. Sie kann in der Entscheidung über sechs Monate hinaus verlängert werden, soweit dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden; der Beamte hat die Umstände glaubhaft zu machen. Für die Zahlung des Unterhaltsbeitrags gelten die besonderen Regelungen des § 79.
(4) Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und ihre Rechtsfolgen erstrecken sich auf alle Ämter, die der Beamte bei Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung inne hat.
(5) Wird ein Beamter, der früher in einem anderen Dienstverhältnis im Bundesdienst gestanden hat, aus dem Beamtenverhältnis entfernt, verliert er auch die Ansprüche aus dem früheren Dienstverhältnis, wenn diese Disziplinarmaßnahme wegen eines Dienstvergehens ausgesprochen wird, das in dem früheren Dienstverhältnis begangen wurde.
(6) Ist ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden, darf er nicht wieder zum Beamten ernannt werden; es soll auch kein anderes Beschäftigungsverhältnis begründet werden.
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.
(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.
(3) Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, an Maßnahmen der dienstlichen Qualifizierung zur Erhaltung oder Fortentwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten teilzunehmen.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.