Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - 1 StR 428/12

bei uns veröffentlicht am20.11.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 428/12
vom
20. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 10. Mai 2012 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Tat 1; B. 1. der Urteilsgründe) und Vergewaltigung (Tat 2; B. 2. der Urteilsgründe) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist nur noch auf die Sachrüge gestützt, nachdem eine zudem erhobene Verfahrensrüge nicht mehr weiterverfolgt wird. Es hat Erfolg.
2
1. a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatten sich der Angeklagte und die spätere Geschädigte R. etwa im April 2010 kennengelernt. Im Rahmen einer sexuellen Beziehung war es Anfang Juli 2011 ein- mal zum Geschlechtsverkehr gekommen. Obwohl R. dem Ange- klagten anschließend „deutlich gemacht hatte, dass sie mit ihm keine Beziehung eingehen möchte, versuchte“ dieser sie „in der Folgezeit mehrmals zum Geschlechtsverkehr zu überreden“ (UA S. 9). Beider Begehung der beiden Taten war der Angeklagte etwa 19 ½ Jahre alt, R. 16 Jahre:
3
In der Nacht zum 11. September 2011 hatten sich beide im Auto des Angeklagten getroffen und etwa eine halbe Stunde „über unverfängliche Dinge unterhalten“. Plötzlich stieg der Angeklagte auf den Beifahrersitz, setzte sich rittlings auf R. , versuchte sie zu küssen, zog trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben, öffnete den BH, fasste an ihre Brust und schob seine Hand unter den Leggings in den Scheidenbereich. Nach etwa 20 Minuten ließ er aufgrund der lauten Schreie R. s von ihr ab (Tat 1).
4
Ohne dass es bis dahin zu einem weiteren Kontakt zwischen beiden gekommen war, kündigte der Angeklagte am 1. Oktober 2011 R. , die allein zuhause war, per SMS sein Erscheinen im Laufe des Abends an. Dabei sicherte er ihr mehrmals zu, dass sich ein Vorfall wie die Tat 1 nicht wiederholen würde. Nachdem der Angeklagte gegen 23.00 Uhr in R. s Elternhaus eingetroffen war und beide ca. eine halbe Stunde ferngesehen und sich unterhalten hatten, setzte sich der Angeklagte breitbeinig auf R. , schob trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben und riss den BH mittig auseinander, so dass er ihre Brust küssen und mit seiner Hand berühren konnte. Vom Sessel auf den Boden gerutscht, zog er ihr Hose und Unterhose aus, führte mehrere Finger in die Scheide ein und sagte, sie solle dies zulassen, „da sie ansonsten noch größere Schmerzen verspüren würde“. Da- nach entkleidete sich der Angeklagte, übte den vaginalen Geschlechtsverkehr aus, ohne zum Samenerguss zu gelangen, und versuchte im Anschluss vergeblich , der ihre Lippen zusammenpressenden R. seinen Penis in den Mund zu drücken. Nachdem der Angeklagte gleichwohl zum Samener- guss gelangt war, sagte er: „Was war denn daran jetzt so schlimm?“ und ver- ließ nach einiger Zeit das Haus. Noch in der Nacht forderte er R. per SMS auf, über die Geschehnisse Stillschweigen zu bewahren (Tat 2).
5
b) Das Landgericht hat die Höhe der allein wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe auch deshalb als „gerade noch angemessen“ angesehen (UA S. 24), weil der bereits durch sexuell motivierte Straftaten in Erscheinung getretene Angeklagte sich bereit erklärt hat, „sich einer entspre- chenden sexualtherapeutischen Maßnahme zu unterziehen“ (UA S. 20). Eine zwischen zwei und drei Jahren betragende Jugendstrafe wäre zwar „im Hin- blick auf einen Schuld- und Unrechtsausgleich gegebenenfalls noch vertretbar gewesen“, kam aber „schon aus erzieherischen Gründen … nicht in Betracht“. Hierfür bestimmend war die Annahme, dass die wegen des „erhöhten Rückfallrisikos des Angeklagten“ gebotene „mindestens zwei Jahre lang dauernde Sexualtherapie im geschützten Umfeld einer JVA“bei dieser Strafhöhe nicht abgeschlossen werden könne und aus diesem Grund nicht begonnen werde (UA S. 24). Die Verhängung einer noch höheren Jugendstrafe sei unverhältnismäßig.
6
2. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das Landgericht habe die zur Begrenzung der Jugendstrafe auf zwei Jahre herangezogenen „erzieherischen Gründe“ nicht hinreichend belegt. Soweit dem Angeklagten ei- ne günstige Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG gestellt worden ist, stehe dies schon im Widerspruch zu dem vom Landgericht angenommenen „erhöhten Rückfallrisiko“.
7
3. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen ent- und be- lastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen , wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).
8
Hieran gemessen erweist sich die landgerichtliche Strafzumessung als rechtsfehlerhaft; die Jugendstrafe kann aus folgenden Gründen keinen Bestand haben:
9
a) Zur Berücksichtigung „erzieherischer Gründe“ bei der Bemessung der Jugendstrafe war das Landgericht durch § 18 Abs. 2 JGG verpflichtet. Insofern war es ihm auch erlaubt, die von ihm - sachverständig beraten - für „erziehe- risch geboten“ erachtete Durchführung einer mindestens zwei Jahre dauernden Sexualtherapie als maßgeblichen Gesichtspunkt heranzuziehen.
10
Das Landgericht hat es aber versäumt, die für die Annahme der Notwendigkeit einer derartigen Therapie bestimmenden Anknüpfungstatsachen mitzuteilen (zu den besonderen Darlegungsanforderungen des § 54 Abs. 1 JGG s. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1992 - 3 StR 521/92, StV 1993, 531; Urteil vom 23. März 2010 - 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290; jeweils mwN). Insofern bleibt vor allem offen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Untersuchungen des Sachverständigen es beim Angeklagten ein erhöhtes Rückfallrisiko bejaht hat. Den Urteilsgründen lassen sich als insofern relevante, nicht unbedingt miteinander vereinbare Umstände lediglich die sexuell gepräg- ten Vorbelastungen (UA S. 7 f.) sowie die Bereitschaft des Angeklagten, „sich einer sexualtherapeutischen Maßnahme“ (UA S. 20) bzw. „einer Sexualtherapie zu unterziehen“ (UA S. 25), einerseits und die bei der Prüfung der Schuldfähig- keit erfolgte Mitteilung, es liege keines der medizinischen Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB - namentlich keine Störung der Sexualpräferenz (UA S. 17) - vor, andererseits entnehmen. Dem Revisionsgericht ist daher die Nachprüfung nicht möglich, ob das Landgericht die Therapiebedürftigkeit des Angeklagten überhaupt zu Recht bejaht und Art, Ausgestaltung sowie Dauer der Therapie zutreffend bestimmt hat.
11
b) Nach dem Vorstehenden kommt es nicht mehr darauf an, dass es erstens widersprüchlich erscheint, wenn das Landgericht eine zweijährige Jugend- strafe als „gerade noch angemessen“, eine ggf. auch nur knapp darüber liegende Strafhöhe dagegen als nur „gegebenenfalls noch vertretbar“ einstuft, und der Senat zweitens vorliegend eine unzulässige Vermischung des Vorgangs der Festsetzung der Jugendstrafe und der grundsätzlich nachrangigen Frage, ob deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, besorgt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11 mwN).
12
c) Das neue Tatgericht wird - entsprechend dem Hinweis des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 12. Oktober 2012 - Gelegenheit haben, im Rahmen der seiner Entscheidung zugrundeliegenden Gesamtwürdigung die Frage des Vorliegens schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG) zu prüfen. Sofern erneut „erhebliche, derzeit noch nicht absehbare psychische Folgen“ für die Geschädigte „erheblich zu Lasten des Angeklagten“ gewertet werden sollen (UA S. 22), würde es notwendig sein, diese in den Urteilsgründen konkret darzulegen. Hierfür erscheinen die Wiedergabe der Angaben eines Polizeibeamten, „die Geschädigte sei“ nach seinem Eintreffen in ihrem Elternhaus „weinerlich gewesen, habe in sich gekehrt gewirkt und habe ersichtlich unter Schock gestanden“ (UA S. 14), sowie die Angst der Geschädigten vor der Reaktion ihrer Eltern (UA S. 15) als nicht ausreichend (§ 301 StPO).
13
4. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, ist auch für sich genommen nicht rechtsfehler- frei begründet worden. Denn es bleibt offen, weshalb das angenommene „erhöhte Rückfallrisiko“ der dem Angeklagten günstigen Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG nicht entgegensteht. Zwar durften in diesem Zusammenhang „enge Bewährungsauflagen und Weisungen“ (UA S. 25) als für die Prognose grundsätzlich relevante sog. flankierende Maßnahmen berücksichtigt werden (vgl. BGH StV 1987, 63; 1992, 230; BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 19, 20 und 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 5. Aufl. Rn. 216). Da jedoch - wie zu 3. a) dargelegt - weder das Rückfallrisiko spezifiziert noch die Bewährungsauflagen und -weisungen in den Urteilsgründen konkretisiert werden, ist dem Senat die Prüfung der landgerichtlichen Einschätzung , dass mit den Bewährungsentscheidungen „diesem Rückfallrisiko … Rechnung getragen werden kann“, verwehrt.
14
Im Übrigen hat das Landgericht als für eine zukünftige Straffreiheit des Angeklagten sprechende Umstände vor allem solche herangezogen, die bereits vor der Begehung der Taten vorlagen (UA S. 25). Es hätte deshalb näherer Erörterung bedurft, weshalb ihnen dennoch für eine günstige Prognose maßgebliche Bedeutung zukommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren aaO Rn. 214).
Nack Wahl Jäger Sander Radtke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - 1 StR 428/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - 1 StR 428/12

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - 1 StR 428/12 zitiert 9 §§.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 18 Dauer der Jugendstrafe


(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so is

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 21 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch oh

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 54 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, so wird in den Urteilsgründen auch ausgeführt, welche Umstände für seine Bestrafung, für die angeordneten Maßnahmen, für die Überlassung ihrer Auswahl und Anordnung an das Familiengericht oder für das Abse

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(1) Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Strafe auch dann zur Bewährung aus, wenn die in Satz 1 genannte Erwartung erst dadurch begründet wird, dass neben der Jugendstrafe ein Jugendarrest nach § 16a verhängt wird.

(2) Das Gericht setzt unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Jugendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist.

(3) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Jugendstrafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.

(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

(1) Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, so wird in den Urteilsgründen auch ausgeführt, welche Umstände für seine Bestrafung, für die angeordneten Maßnahmen, für die Überlassung ihrer Auswahl und Anordnung an das Familiengericht oder für das Absehen von Zuchtmitteln und Strafe bestimmend waren. Dabei soll namentlich die seelische, geistige und körperliche Eigenart des Angeklagten berücksichtigt werden.

(2) Die Urteilsgründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind.

5 StR 556/09

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 23. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
23. März 2010, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Brause als Vorsitzender,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 15. September 2009 wird verworfen.
2. Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen wird abgesehen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Aussetzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Der mit der Sachrüge geführten Revision der Angeklagten bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Näherer Betrachtung bedarf nur der Ausspruch über die Höhe der verhängten Jugendstrafe.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts liefen die zur Tatzeit 14 Jahre alte, stark alkoholisierte Angeklagte und die Geschädigte zusammen mit mehreren Freunden an einem kalten Abend des Januar 2009 eine Bundesstraße entlang. In der Nähe einer Bushaltestelle führte die Angeklagte die Gruppe auf einen kleinen Feldweg, der an ein großes brach liegendes Feld grenzte.
3
Die Angeklagte begann die Geschädigte, ihre ehemals beste Freundin J. , von den anderen wegzudrängen und machte ihr Vorwürfe, sie habe Lügengeschichten, vor allem, was ihr Verhältnis zu Jungen angeht, verbreitet. J. bestritt dies. Im weiteren Verlauf schubste die Angeklagte die Geschädigte, brachte sie zu Fall, schlug und trat nach ihr und warf ihr schließlich Schnee ins Gesicht. J. wehrte sich zunächst nicht und hielt alles für einen groben Spaß. Als die Geschädigte aufstand, brachte die Angeklagte sie erneut zu Fall und setzte sich rittlings auf sie.
4
Während die Angeklagte massiv auf J. einschlug, verließen zwei Personen die Gruppe; lediglich die bereits rechtskräftig verurteilten L. und K. blieben etwa 10 Meter entfernt stehen und unterhielten sich. Obwohl die Geschädigte vor Schmerzen schrie und die beiden Jungen um Hilfe bat, schritten sie nicht ein. Vielmehr ging K. mehrmals zur Angeklagten , um ihr während des fortdauernden Schlagens und Tretens eine Flasche Bier zum Trinken zu bringen. Die Angeklagte schüttete einen Teil des Bieres der Geschädigten ins Gesicht und schlug ihr dann mit der leeren Flasche mehrfach auf Kopf und Körper. Nachdem es J. gelungen war, kurzzeitig aufzustehen und in Richtung der beiden Jungen zu laufen, um noch einmal um Hilfe zu bitten, riss die Angeklagte sie an den Haaren zurück , warf sie erneut zu Boden und misshandelte sie weiter.
5
Nach etwa einer halben Stunde zwang die Angeklagte die Geschädigte sich nackt auszuziehen, um sie in Gegenwart der Jungen weiter zu demütigen. Jedes einzelne Kleidungsstück, das J. ihr gab, warf sie weit von sich auf das Feld. Anschließend trat und schlug, wiederum mit einer Bierflasche, die Angeklagte erneut auf die – bei einer Lufttemperatur von minus zwei Grad Celsius und starkem Wind – nackt auf dem Boden liegende Geschädigte ein. Auf erneute Hilferufe reagierte die Angeklagte mit den Worten : „Hier wird Dir keiner helfen“ (UA S. 16). Als L. gehen wollte, um noch etwas zum Trinken zu kaufen, sagte die Angeklagte, dass sie das hier in Ruhe zu Ende bringen wolle und noch fünf Minuten brauche.
6
Gegen 21.40 Uhr forderte sie L. auf, mit seinem Handy einen früheren Freund anzurufen, und erkundigte sich sodann bei diesem, ob J. sie bei ihm schlecht gemacht habe, was dieser Freund jedoch verneinte. Während des folgenden zwanzig Minuten dauernden Telefonats wurde das Telefon mehrfach hin- und hergereicht, und L. berichtete dem Angerufenen über die weitere Entwicklung des Geschehens; er sagte unter anderem, dass er eigentlich noch Durst habe, aber die Angeklagte nicht mitkommen wolle und sie deshalb noch dableiben müssten. Die Angeklagte schrie dabei: „Du hast meine Beziehungen alle kaputt gemacht. Dafür musst Du jetzt büßen“ (UA S. 17).
7
Als die Angeklagte genug hatte und dem Drängen der beiden Jungen nachgab, den Ort zu verlassen, rechneten alle drei mit der nahe liegenden Möglichkeit, dass J. nicht mehr in der Lage sein würde, selbständig Hilfe zu holen. Dennoch entschieden sie sich, die Geschädigte alleine auf dem Feld zurückzulassen und gemeinsam zur Bushaltestelle zu gehen. Kurz vor Erreichen der Haltestelle kehrte die Gruppe auf Veranlassung der Angeklagten um, weil sie noch einmal nach der Geschädigten sehen wollten. Die Angeklagte setzte um 22.38 Uhr einen Notruf ab und kauerte sich hinter J. , um sie wieder aufzuwärmen.
8
Als die Geschädigte gegen 22.50 Uhr aufgefunden wurde, war sie nicht mehr ansprechbar. An ihrem Körper gab es keine Stelle, die nicht verletzt war. Im Krankenhaus wurde um 0.20 Uhr eine Körperkerntemperatur von 23,8 Grad Celsius gemessen. Die Überlebenschance der Geschädigten betrug weniger als zehn Prozent. Sie wurde noch drei Wochen im Krankenhaus behandelt.
9
2. Die Jugendkammer hat die Grundlagen für die Verhängung von Jugendstrafe – in der Tat zum Ausdruck gekommene schädliche Neigungen und die Schwere der Schuld der Angeklagten (§ 17 Abs. 2 JGG) – rechtsfeh- lerfrei angenommen. Auch die Bemessung der – freilich hohen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 JGG) – Jugendstrafe hält revisionsgerichtlicher Prüfung noch stand.
10
a) Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Jugendstrafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Erziehungswirksamkeit als einziger Gesichtspunkt bei der Strafzumessung heranzuziehen ist. Vielmehr sind daneben auch andere Strafzwecke, bei Kapitalverbrechen namentlich das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs, zu beachten. Das Gewicht des Tatunrechts muss auch gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Verurteilten abgewogen werden. Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen regelmäßig nicht im Widerspruch. Zumeist – und so auch hier – stehen sie miteinander im Einklang, da die charakterliche Haltung und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, nicht nur für das Erziehungsbedürfnis , sondern auch für die Bewertung der Schuld von Bedeutung sind (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 120; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 486/97).
11
Das Landgericht hat hiernach rechtlich zutreffend erzieherischen Gesichtspunkten den Vorrang vor dem Schuldausgleich eingeräumt (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 4 und Schwere der Schuld 1; § 18 Abs. 2 Tatumstände 2; Eisenberg, JGG 13. Aufl. § 18 Rdn. 13, 22).
12
b) Nach der Urteilsbegründung ist die Angeklagte schon im strafunmündigen Alter mehrfach wegen Verdachts des Diebstahls und der Körperverletzung polizeilich in Erscheinung getreten. In den letzten fünf Monaten vor der Tat kam es zu einer vollständigen Schulverweigerung. Sie verbrachte „die Werktage meist zu Hause, schlief bis 10 oder 11 Uhr und beschäftigte sich dann etwa vier bis fünf Stunden täglich mit Computerspielen oder Internetaktivitäten. In den frühen Abendstunden traf sie sich dann mit Bekannten … Ebenso verliefen die Wochenenden, wobei es hier verstärkt zum Alkoholkonsum kam.“ In den letzten beiden Monaten vor der Tat wurde sie vier- mal in alkoholisiertem Zustand (Atemalkoholkonzentration zwischen 1,0 und 1,56 ‰) von der Polizei aufgegriffen und nach Hause gebracht. Bemühungen des Jugendamtes, sie in verschiedene Präventionsprojekte zu integrieren, blieben ebenso erfolglos wie der Einsatz einer Familienhelferin. Nach der Tat befand sie sich zunächst für rund fünf Wochen in Untersuchungshaft. Anschließend wurde sie nach § 71 Abs. 2 JGG in einer Einrichtung zur Untersuchungshaftvermeidung untergebracht, musste aber nach zwei Monaten, weil sie sich der pädagogischen Einzelbetreuung entzog und zunehmend die Regel- und Rahmenbedingungen verletzte, in einem Kinder- und Jugendheim untergebracht werden. Nachdem sie dort dreimal entwichen war, wurde sie erneut in Untersuchungshaft genommen.
13
Die Jugendkammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, dass bei der Angeklagten zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar kein krankhafter psychischer Zustand vorliege. Allerdings gebe es deutliche Merkmale in der Persönlichkeit der Angeklagten, die, wenn nicht entsprechend konsequent und nachhaltig erzieherisch entgegengewirkt werde, die Entwicklung zu einer dissozialen Persönlichkeit befürchten ließen. Grenzen sowie die Notwendigkeit der Einhaltung gewisser Regeln und Normen seien ihr bislang ebenso wenig vermittelt worden wie das Bestehen von Pflichten. Diese Erziehungsversäumnisse seien letztlich mitursächlich für die Tat. Die Aggressionsschwelle sei bei der Angeklagten sehr niedrig. Prognostisch erschwerend seien auch die kaum wahrnehmbare Reue der Angeklagten und ihre emotionale Unberührtheit.
14
Bei der Strafzumessung sind zugunsten der Angeklagten gewertet worden ihr umfassendes Geständnis, ihr Versuch, sich bei der Geschädigten zu entschuldigen, dass sie den Notruf abgesetzt und versucht hat, die Geschädigte warm zu halten, erst 14 Jahre alt war und durch Alkohol ihre Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Straferschwerend wurden die erheblichen Verletzungen und die Demütigung der Geschädigten gewertet.
15
Entscheidendes Gewicht hat die Jugendkammer dem erheblichen Erziehungsbedarf beigemessen. Das Landgericht folgt der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, dass die Angeklagte in ein System von hoher Strukturierung und strikten Regeln überführt werden müsse. Sie benötige daneben unbedingt psychotherapeutische Behandlung, um eine „Mentalisierung und ein Interesse an anderen Mitmenschen bei ihr zu initialisieren“ (UA S. 51). Dies alles könne auch mittelfristig nicht unter ambulanten oder Heimbedingungen erreicht werden. Nach Überzeugung der Jugendkammer bestehe – auch belegt durch die fehlende Bereitschaft der Angeklagten, sich den Bedingungen von zwei Einrichtungen zur Vermeidung von Untersuchungshaft zu unterwerfen – ein erheblicher langjähriger Erziehungsbedarf unter Jugendhaftbedingungen. Es werde bereits geraume Zeit in Anspruch nehmen, bis die Angeklagte begreife, dass sie an sich arbeiten müsse und Regeln einzuhalten habe. Erst wenn sie dazu bereit sei, könne mit der eigentlichen Aufarbeitung ihrer Defizite begonnen werden. Auch müsse ein langfristiger Schulbesuch gewährleistet werden.
16
c) Der Senat entnimmt diesen Darlegungen eine noch ausreichende, den Anforderungen des § 54 JGG entsprechende Gesamtwürdigung der Angeklagten (vgl. BGH StV 1993, 531 [3 StR 591/92]; Schoreit in Diemer /Schoreit/Sonnen, JGG 5. Aufl. § 54 Rdn. 25; Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 7a).
17
Der Senat besorgt ferner nicht, dass in dem hier vorliegenden Fall der sogar zunächst nicht gegebenen Erziehungsfähigkeit der Angeklagten die festgesetzte hohe Jugendstrafe den Zeitraum sinnvoll anzuwendender pädagogischer Mittel des Jugendstrafvollzugs überschreiten könnte (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 258, 259).
18
d) Die in der Tat deutlich gewordene Fehlentwicklung der Persönlichkeit der Angeklagten begründet offensichtlich hohen Therapie- und damit einhergehend hohen Erziehungsbedarf. Der Jugendstrafvollzug wird gefor- dert sein, wirksame therapeutische Maßnahmen zur Beeinflussung der Persönlichkeit der Angeklagten zu finden und anzuwenden, um möglichst zeitnah die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 88 Abs. 1 JGG zu schaffen.
Brause Raum Schaal Schneider Bellay

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 525/11
vom
7. Februar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung „in Millionenhöhe“
(Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR
416/08, BGHSt 53, 71).
BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung -
als Verteidigerin des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 8. April 2011 im gesamten Strafausspruch aufgehoben, soweit es den Angeklagten G. betrifft. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft sachlich-rechtliche Fehler bei der Strafzumessung zum Vorteil des Angeklagten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Den Urteilsfeststellungen liegen zwei Taten zugrunde: Die Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2002 und von Lohnsteuer für den Mo- nat Oktober 2006. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
3
a) Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2002
4
Der Angeklagte war im Jahr 2001 Gesellschafter und Geschäftsführer der von ihm mitgegründeten P. (im Folgenden: P. GmbH). Am Stammkapital der Gesellschaft war der Angeklagte mit 25% beteiligt. DieP. GmbH hielt wiederum 49% der Anteile der P B. GmbH.
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Die Geschäftsanteile an beiden Gesellschaften veräußerte der Angeklagte in den Jahren 2001 und 2002 für einen Kaufpreis von 80 Mio. DM an die in Luxemburg ansässige T. AG, wobei die Anteile auf deren Veranlassung auf zwei andere in Luxemburg und in der Schweiz ansässige Aktiengesellschaften übertragen wurden. Aus diesem Veräußerungsgeschäft erhielt der Angeklagte von der T. AG und von Mitgesellschaftern der P. GmbH im Jahr 2002 folgende Zuwendungen: Für seine eigenen Gesellschaftsanteile erhielt er von der T. AG einen Kaufpreis von 28,8 Mio. DM. Daneben zahlten ihm zwei Mitgesellschafter der P. GmbH je 300.000 DM als „Auskehrung Kaufpreis“. Zusätzlich zum Kaufpreis wurden ihm vom „verantwortlichen“ Gesellschafter der T. AG Aktien dieser Ge- sellschaft im Wert von 7,2 Mio. DM als Gegenleistung dafür zugewendet, dass er der T. AG den Kauf auch der übrigen Gesellschaftsanteile der P. GmbH sowie der P. B. GmbH ermöglicht hatte; diese Gegenleistung liegt der ersten Tat zugrunde.
6
Um „in den Vorzugder Versteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren zu gelangen“, bezeichneteder Angeklagte im Februar 2004 in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 das ihm zugewendete Aktienpaket der T. AG als weiteres Kaufpreiselement für die Veräußerung der Geschäftsanteile neben dem „eigentlichen“ Veräußerungserlös und den Zuwendungen der Mitgesellschafter. Dabei unterließ er es bewusst, dem Finanzamt die der Übertragung des Aktienpakets zugrunde liegende Vereinbarung vom 24. Januar 2001 über die „Zahlung“ von 7,2 Mio. DM vorzulegen, um die Fi- nanzbehörden hierüber in Unkenntnis zu lassen. Die unrichtige Bezeichnung der Einkünfte als Teil des Veräußerungserlöses hatte zur Folge, dass auch diese Einkünfte (gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG aF i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG) dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren unterworfen wurden. Tatsächlich handelte es sich bei der Übertragung der Aktien aber nicht um einen Veräußerungserlös gemäß § 17 EStG, sondern um Provisionszahlungen, die als Einkünfte aus sonstigen Leistungen gemäß § 22 Nr. 3 EStG in vollem Umfang zu versteuern gewesen wären. Aufgrund der unrichtigen Qualifizierung der Einkünfte als Veräußerungserlöse wurde die Einkommensteuer in dem im April 2004 erlassenen Einkommensteuerbescheid 2002 um einen Betrag von 892.715 € zu niedrig festgesetzt, der hierdurch verkürzt wurde.
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b) Hinterziehung von Lohnsteuer für den Monat Oktober 2006
8
Auch nach der Veräußerung seiner Geschäftsanteile war der Angeklagte noch im Jahr 2006 Geschäftsführer der P. GmbH. Ihm standen aus seinem Geschäftsführeranstellungsvertrag Tantiemenzahlungen zu. Diese Zahlungen hatte er in die Lohnsteueranmeldungen gemäß § 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG aufzunehmen, für deren Richtigkeit er als Geschäftsführer verantwortlich war.
9
Um der P. GmbH Lohnsteuer und sich selbst später Einkom- mensteuer „zu ersparen“, kam der Angeklagte auf die Idee, die Auszahlung dieser Tantiemen nicht direkt an sich vorzunehmen, sondern als angebliche Schenkungen der Gesellschaft an seine Söhne bzw. seine Ehefrau „zu kaschie- ren“. Hierzu ließ er sich von seinem- hierfür mittlerweile wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilten - Steuerberater beraten. Dieser stellte dem Angeklagten eine Übersicht über Freibeträge und Steuersätze bei der Schenkungsteuer zur Verfügung, woraus sich der Angeklagte eine Steuerbelastung von nur etwa 21,9% errechnete.
10
In der Folgezeit verhandelte der Angeklagte mit Vertretern der neuen Gesellschafterin der P. GmbH, der R. AG mit Sitz in Luxemburg, über „gesplittete Zahlungen“ an seine Ehefrau und seine beiden Söhne im Gegenzug zur Abgabe einer formalen Verzichtserklärung im Hinblick auf die Tantiemenansprüche. Nach einem Hinweis, dass die Verzichtserklärung „auf Januar 2005 zurückdatiert werden müsse“, legte der Steuerberater eine unzutreffend auf Januar 2005 datierte Verzichtserklärung vor. Gleichzeitig machte er in Absprache mit dem Angeklagten die Gegenzeichnung der Verzichtserklärung davon abhängig, dass der Geldeingang an die Söhne bzw. die Ehefrau erfolgte. Tatsächlich wurde die Verzichtserklärung erst im November 2006 unterzeichnet. Bereits im Oktober 2006 erhielten die Söhne des Angeklagten von der R. AG vereinbarungsgemäß Überweisungen von jeweils 260.000 € und die Ehefrau des Angeklagten eine solche in Höhe von 53.500 €. Sowohl die Söhne als auch die Ehefrau erklärten die ihnen zu- gewendeten Beträge als Schenkungen der R. AG, für die - später berichtigte - Schenkungsteuer von insgesamt 125.356 € entrichtet wurde.
11
Demgegenüber unterließ der Angeklagte in der Lohnsteueranmeldung für den Monat Oktober 2006, die ihm zugewendeten Tantiemenzahlungen in Höhe von 573.500 € zu erklären. Hierdurch wurde – mit der Absicht einer Hinterziehung auf Dauer – Lohnsteuer in Höhe von 240.870 € verkürzt. Der steuerlich beratene Angeklagte wusste hierbei, dass die Verzichtserklärung und die Gestaltung der Tantiemenzahlungen über das Konstrukt von Schenkungen lediglich dazu dienten, die mit der Tantiemenzahlung verbundene Steuerbelastung zu verringern und Steuern in entsprechender Höhe zu hinterziehen.
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2. Das Landgericht hat gegen den geständigen Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen Einzelstrafen von einem Jahr und neun Monaten (Einkommensteuerhinterziehung 2002) sowie von zehn Monaten (Lohnsteuerhinterziehung Oktober 2006) verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren festgesetzt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil der Anspruch des Angeklagten auf Behandlung der Strafsache binnen angemessener Frist aus Art. 6 Abs.1 MRK dadurch verletzt worden sei, dass das Verfahren nach Eingang der Anklage und schriftlicher Stellungnahme des Angeklagten im Zeitraum zwischen November 2009 und Anfang Januar 2011 nicht gefördert worden sei.
13
Das Landgericht hat in beiden Fällen einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung angenommen, weil mit Verkürzungsbeträgen von 892.715 € und 240.870 € jeweils im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO Steuern in großem Ausmaß verkürzt worden seien, und hat deshalb die Einzelstrafen jeweils dem erhöhten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe entnommen.
14
Im Rahmen der Zumessung der Einzelstrafen hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten die hohen Steuerschäden und im Fall der Lohnsteuerhinterziehung die Vertuschung durch eine falsch datierte Verzichtserklärung gewertet. Zu seinen Gunsten hat es sein Geständnis, die von ihm ausgesprochene Entschuldigung, die vollständige Schadenswiedergutmachung, vorhandene psychische Belastungen des Angeklagten einschließlich der ihn belasten- den Verfahrensdauer von dreieinhalb Jahren und den Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist. Bei der Einkommensteuerhinterziehung hat das Landgericht darüber hinaus strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte „durch einen Steuerberater begleitet wurde und insofern nur von bedingtem Vorsatz auszugehen“ sei. Zu Gunsten des Angeklagten hat die Strafkammer auch gewertet, dass er die erhaltene Provision der steuerlichen Veranlagung nicht gänzlich entzogen hat und sie sich nicht geheim (z.B. im Ausland) hat auszahlen lassen. Bei der Lohnsteuerhinterziehung hat sie zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die geleisteten Zahlungen bei seinen Angehörigen der Schenkungsteuer unterworfen wurden.
15
Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Landgericht insbesondere die „deutlich erkennbare Reue“ des Angeklagtenund den Umstand berücksichtigt, dass er durch das Verfahren „weit überdurchschnittlich beeindruckt und beeinflusst“ gewesen sei. Die „trotz des fehlenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs“ noch verhängte Bewährungsstrafe begründet das Landgerichtdamit , „dass eine höhere als die erkannte Gesamtfreiheitstrafe bei positiver Aus- setzungsprognose nicht mehr hätte ausgesetzt werden können“.

II.

16
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
17
Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich , wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320 mwN). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verlet- zung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGH, GS, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 – 5 StR 301/04).
18
Solche Rechtsfehler liegen hier indes vor; sowohl die Einzelfreiheitsstrafen als auch die Gesamtfreiheitsstrafe können keinen Bestand haben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen können demgegenüber bestehen bleiben , da hier lediglich Wertungsfehler vorliegen.
19
1. Das Landgericht hat bereits bei der Zumessung der Einzelstrafen unzutreffende Maßstäbe angelegt; auch unter Zugrundelegung des dargelegten eingeschränkten Prüfungsmaßstabes halten die Einzelstrafaussprüche daher rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
20
a) Soweit das Landgericht hinsichtlich der Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2002 (der ersten Tat) zugunsten des Angeklagten gewertet hat, dass er seine Vermittlungsprovision der steuerlichen Veranlagung nicht gänzlich entzogen und sie sich nicht geheim (z.B. im Ausland) hat auszahlen lassen, zeigt es keinen Strafmilderungsgrund auf. Wäre der Angeklagte so wie vom Landgericht beschrieben vorgegangen, wäre der Steuerschaden deutlich höher gewesen. Bei der Bemessung der Strafe, der das Landgericht zutref- fend nur den tatsächlich angerichteten Steuerschaden zugrunde gelegt hat, kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, dass nicht mit noch höherer krimineller Energie ein noch höherer Schaden angerichtet wurde.
21
Die strafmildernde Wertung, der Angeklagte habe lediglich mit bedingtem Tatvorsatz gehandelt, steht - unbeschadet der Frage der generellen Eignung der Vorsatzform für die Strafzumessung (vgl. hierzu Schäfer/Sander/van Gemmeren, 4. Aufl. Rn. 338) - im Widerspruch mit den Urteilsfeststellungen. Aus diesen ergibt sich, dass der Angeklagte mit der Angabe, es handele sich bei den Zahlungen um einen Teil des Veräußerungserlöses, dem Finanzamt bewusst einen unrichtigen Grund für die Übertragung des Aktienpaketes an ihn genannt hat, um in den Genuss des Halbeinkünfteverfahrens als für ihn steuerlich vorteilhafte Regelung zu gelangen, die auf Provisionen nicht anwendbar war. Sein Handeln zielte also darauf ab, die Provision in Höhe von 7,2 Mio. DM nur zur Hälfte der Besteuerung zu unterwerfen. Damit belegen die Urteilsgründe , dass der Angeklagte mit Hinterziehungsabsicht (dolus directus 1. Grades) handelte.
22
b) Es liegt nahe, dass bereits die aufgezeigten Mängel bei der Zumessung der Einzelstrafe für die Einkommensteuerhinterziehung auch die Aufhebung der weiteren Einzelstrafe für die Tat der Lohnsteuerhinterziehung bedingen.
23
Bei Tatmehrheit kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Aufhebung eines Einzelstrafausspruchs dann zur Aufhebung weiterer, für sich genommen sogar rechtsfehlerfreier Strafaussprüche führen, wenn nicht auszuschließen ist, dass diese durch den Rechtsfehler im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1995 – 1 StR 117/95 mwN). Dies kann insbesondere dann zu bejahen sein, wenn es sich bei der rechtsfehlerhaft festgesetzten Einzelstrafe um die höchste Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) handelt oder wenn die abgeurteilten Taten in einem engen inneren Zusammenhang stehen. Die rechtsfehlerhaft festgesetzte Strafe für die Einkommensteuerhinterziehung ist wesentlich höher als diejenige für die Lohnsteuerhinterziehung. Für einen inneren Zusammenhang der Taten spricht, dass sie demselben Motiv entsprangen und jeweils Einkünfte betrafen, die der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit bei der P. GmbH erzielt hatte.
24
c) Unabhängig davon ist die Strafe für die (zweite) Tat der Lohnsteuerhinterziehung aber auch für sich genommen nicht rechtsfehlerfrei zugemessen. Der Angeklagte hat nicht nur seinen Steuerberater zur „Steuerhinterziehungsberatung“ veranlasst, sondern auchseine Angehörigen als Empfänger von Zu- wendungen der P. GmbH vorgeschoben. Dies deutet darauf hin, dass der Angeklagte andere - sei es auch in unterschiedlicher Form - in seine Straftat hineingezogen hat; seinen Steuerberater hat er sogar in die Tatbegehung verstrickt. Diesen gewichtigen Gesichtspunkt hat das Landgericht nicht erkennbar erwogen; insbesondere ist er in der im Zusammenhang mit den Angehörigen allein angestellten Erwägung, dass bei diesen die „kaschierten“ Tantiemenzahlungen der Schenkungsteuer unterworfen wurden, nicht enthalten.
25
2. Mit der Aufhebung der Einzelstrafen entfällt auch die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Diese hält zudem schon deswegen revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sie sich angesichts der vom Landgericht festgestellten Umstände nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Das Landgericht hat die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Hinterziehung in Millionenhöhe geltenden Maßstäbe für die Strafzumessung nicht zutreffend angewandt.
26
a) Für die Strafzumessung in Fällen der Steuerhinterziehung in großem Ausmaß gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Folgendes:
27
Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung sieht in § 370 Abs. 3 Satz 1 AO für besonders schwere Fälle einen erhöhten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Ein besonders schwerer Fall liegt gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der Regel vor, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. In Fällen, in denen – wie hier – noch die vorherige Gesetzesfassung dieser Vorschrift Anwendung findet, weil die Tat vor dem 1. Januar 2008 begangen wurde , ist das Regelbeispiel nur dann erfüllt, wenn der Täter zudem aus grobem Eigennutz gehandelt hat.
28
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die der Senat seit der Grundsatzentscheidung vom 2. Dezember 2008 (im Verfahren 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 84 ff.) mehrfach bestätigt und fortgeschrieben hat (vgl. zusammenfassend BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – 1 StR 579/11), ist das nach objektiven Maßstäben zu bestimmende Merkmal des Regelbei- spiels „in großem Ausmaß“ dann erfüllt, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt. Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, liegt die Wertgrenze zum „großen Ausmaß“ bei 100.000 € (BGHSt 53, 71, 85).
29
Der in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung ist bei besonders hohen Hinterziehungsbeträgen dadurch Rechnung zu tragen, dass bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein kann. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (BGHSt 53, 71, 86 mwN).
30
b) Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in den Beratungen zu dem am 3. Mai 2011 (BGBl. I, 676) in Kraft getretenen Schwarzgeldbekämpfungsgesetz aufgegriffen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages heißt es dazu unter Bezugnahme auf das in BGHSt 53, 71 abgedruckte Senatsurteil (BT-Drucks. 17/5067 neu, S. 18): „Bei den Beratungen der geplanten Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerhinterziehung waren sich alle Fraktionen in der Bewertung einig, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt sei und entsprechend bekämpft werden müsse. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben dabei betont, … Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung bei Hinterzie- hung in Millionenhöhe sei nach einer Entscheidung des BGH nicht mehr mög- lich.“ Damit hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung gebilligt (vgl. dazube- reits BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 – 1 StR 116/11 Rn. 14, wistra 2011,

347).

31
c) Nach diesen Maßstäben stellt die vom Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar. Sie kann daher keinen Bestand haben.
32
aa) Zwar trifft die Feststellung des Landgerichts zu, dass sich im Rah- men der Gesamtstrafenbildung eine „schematische Betrachtung“ verbietet. Dies bedeutet aber nicht, dass das Tatgericht die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Strafzumessungsmaßstäben zusammengefassten Wertungen des Gesetzgebers übergehen dürfte, wenn sich damit nicht die vom Tatgericht für angemessen erachtete Strafe begründen lässt.
33
Das Tatgericht hat zwar bei der Strafzumessung einen Spielraum für die Festsetzung der schuldangemessenen Strafe. Ob es dabei von zutreffenden Maßstäben ausgegangen ist, obliegt aber der uneingeschränkten Rechtsüberprüfung durch das Revisionsgericht. In Fällen der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe , bei denen das Tatgericht – wie hier – gleichwohl keine höhere Freiheitsstrafe als zwei Jahre verhängt hat, prüft das Revisionsgericht daher auch, ob die hierfür vom Tatgericht angeführten schuldmindernden Umstände solche von besonderem Gewicht sind.
34
bb) Milderungsgründe von besonderem Gewicht hat das Landgericht nicht genannt; ihr Vorliegen ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.
35
(1) Zwar durfte das Landgericht der Unbestraftheit des Angeklagten, seiner Entschuldigung, der Verfahrensdauer und den psychischen Belastungen , denen der Angeklagte angesichts einer drohenden Haftstrafe ausgesetzt war, strafmildernde Bedeutung beimessen. Auch stellen – ungeachtet der hier bestehenden Beweislage – das in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis sowie die vollständige Nachzahlung der von dem Angeklagten hinterzogenen Steuern bestimmende Strafmilderungsgründe dar.
36
(2) Allerdings sind diese Umstände hier keine besonders gewichtigen Milderungsgründe. Dies gilt auch für die Nachzahlung der geschuldeten und hinterzogenen Steuern. Durch die Nachentrichtung hat der Angeklagte diejenigen Steuern abgeführt, die von ihm nach dem Gesetz geschuldet waren und zu deren Zahlung er auch als ehrlicher Steuerpflichtiger ohnehin verpflichtet gewesen wäre. Das Gewicht dieser Schadenswiedergutmachung verliert hier dadurch an Gewicht, dass der Angeklagte diese angesichts seiner komfortablen Vermögensverhältnisse ohne erkennbare Einbuße seiner Lebensführung erbringen konnte. Hinzu kommt, dass sie – unbeschadet der naheliegenden Vollstreckungsmöglichkeiten der Finanzbehörden – offensichtlich keinen besonderen persönlichen Verzicht darstellte.
37
Die Gesamtverfahrensdauer von dreieinhalb Jahren bis zum erstinstanzlichen Urteil ist in einer Wirtschaftsstrafsache wie der hier vorliegenden ebenfalls regelmäßig kein besonders gewichtiger Milderungsgrund. Soweit das Landgericht auf die „erheblichen psychischen Belastungen“ angesichts einer drohenden Haftstrafe abstellt, die sich in einer „sehr angespannten emotionalen Verfassung des Angeklagten“ ausgedrückt habe, kommen darin keine beson- deren Umstände zum Ausdruck, die sich wesentlich von der Situation unterscheiden , in der sich jeder Beschuldigte befindet, dem eine nicht mehr zur Bewährung aussetzbare Freiheitsstrafe droht.
38
cc) Den festgestellten Milderungsgründen stehen zudem gewichtige Strafschärfungsgründe gegenüber.
39
Der Angeklagte täuschte die Finanzverwaltung in zwei Fällen durch falschen Tatsachenvortrag bewusst, ohne dass die eine Tat auf der anderen aufgebaut hätte oder deren Folge gewesen wäre. Bei der zweiten Tat verwendete er dabei ein nicht nur - worauf die Strafkammer abstellt - rückdatiertes, sondern insbesondere auch inhaltlich unrichtiges Schriftstück, das der Steuerberater eigens für die Verschleierungszwecke des Angeklagten erstellt hatte.
40
3. Das Landgericht hat darüber hinaus die Zumessung der Strafhöhe unzulässig mit Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung vermengt. Dies verstößt gegen die Grundsätze der Strafzumessung.
41
a) Der Tatrichter hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden; erst wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind (BGH, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 321; BGH, Urteil vom 24. August 1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60, 65).
42
Zwar begründet der Umstand, dass die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Findung schuldangemessener Sanktionen mitberücksichtigt worden ist, für sich allein noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2001 – 4 StR 363/01, wistra 2002, 137). Denn das Gericht hat auch die Wirkungen, die von einer Strafe ausgehen, in den Blick zu nehmen (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Liegt daher die - schuldangemessene - Strafe in einem Spielraum, in dem grundsätzlich noch eine aussetzungsfähige Strafe in Betracht kommt, dürfen bereits bei der Strafzumessung die Wirkungen einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe berücksichtigt werden (sog. Spielraumtheorie; vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 10. November 1954 – 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 32 sowie Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. Rn. 461 ff. mwN).
43
Rechtsfehlerhaft sind solche Erwägungen bei der Strafzumessung aber dann, wenn - wie hier - eine zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe nicht mehr innerhalb des Spielraums für eine schuldangemessene Strafe liegt. Denn die Grenzen dieses Spielraums dürfen nicht überschritten werden. Von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten lösen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1954 – 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 32; BGH, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320). Das Gericht darf auch nicht deshalb eine nicht mehr schuldangemessene Strafe festsetzen, um den Täter noch eine Strafaussetzung zu ermöglichen. Ebenso wenig wie die Anordnung einer Maßregel zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen darf, darf das Bestreben, dem Täter die Rechtswohltat der Strafaussetzung zur Bewährung zu verschaffen , dazu führen, dass die Strafe das Schuldmaß unterschreitet (BGH, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 321 f.).
44
b) So verhält es sich aber hier. Das Landgericht hat eine zur Bewährung aussetzungsfähige Gesamtstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe gerade des- halb verhängt, weil „eine höhereals die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe bei po- sitiver Aussetzungsprognose nicht mehr zur Bewährung hätte ausgesetzt wer- den können“.
45
Das Landgericht hat damit Gesichtspunkte im Sinne der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) unzulässig vermengt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1992 – 4 StR 154/92, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; Urteil vom 14. Juli 1993 – 3 StR 251/93, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 19; Urteil vom 19. Dezember 2000 – 5 StR 490/00, NStZ 2001, 311; Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248, 2254 f.; Urteil vom 5. April 2007 – 4 StR 5/07, wistra 2007, 341; Beschluss vom 19. August 2008 – 5 StR 244/08, NStZ-RR 2008, 369). Es ist dabei auch zu besorgen, dass das Landgericht nicht nur die Bemessung der Gesamtstrafe, sondern auch bereits der Einzelstrafen so vorgenommen hat, dass die Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Bei der für die zweite Tat verhängten Einzelstrafe wird dies schon daraus deutlich, dass das Landgericht für diese Wiederholungstat , eine Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall, für die ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren eröffnet war (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO), lediglich eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt hat, obwohl es selbst die bei dieser Tat mittels der Verzichtserklärung begangene Vertuschung strafschärfend berücksichtigt hat.
46
4. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall die Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung schon deshalb nicht mehr in Betracht gekommen wäre, weil die Verteidigung der Rechtsordnung deren Vollstreckung geboten hätte (vgl. § 56 Abs. 3 StGB). Der Senat sieht jedoch Anlass, nochmals darauf hinzuweisen, dass es bei Steuerhinterziehungen beträchtlichen Umfangs von Gewicht ist, die Rechtstreue der Bevölkerung auch auf dem Gebiet des Steuerrechts zu erhalten. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann sich daher zur Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen, wenn die Tat Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen erheblichen Unrechtsgehalt gekennzeichnete Norm nicht ernst nimmt und von vornherein auf die Strafaussetzung vertraut (BGH, Urteil vom 30. April 2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311, 320 mwN).
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5. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass das Recht des Angeklag- ten „auf Behandlung der Strafsache binnen angemessener Frist aus Art. 6 Abs. 1 MRK verletzt“ worden sei, ist dem Senat mangels erhobener Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 1 StR 445/03, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 19, und BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 2 StR 356/07, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 36) eine Überprüfung verwehrt. Die Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung geben dem Senat jedoch Anlass, erneut (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07, BGHR StPO § 213 Terminierung 1) auf die Besonderhei- ten beim Ablauf des gerichtlichen Verfahrens in Wirtschaftsstrafsachen hinzuweisen :
48
a) Die Annahme des Landgerichts, das Verfahren sei von November 2009 bis Anfang Januar 2011, also während des gesamten Zeitraums zwischen dem Eingang der Stellungnahme des Angeklagten nach Anklageerhebung und der Eröffnung des Hauptverfahrens und Terminierung der Hauptverhandlung rechtsstaatswidrig verzögert worden, ist nicht tragfähig.
49
Solches wäre allenfalls dann der Fall, wenn das Landgericht, wovon der Senat nicht ausgeht, die Eröffnung des Hauptverfahrens nur unzureichend vorbereitet hätte. Die zur sorgfältigen Vorbereitung und Terminierung – zumal einer Wirtschaftsstrafsache – erforderliche Zeit ist selbst dann nicht als Zeitraum einer (rechtsstaatswidrigen) Verfahrensverzögerung anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08, wistra 2009, 147), wenn nicht näher belegt ist, wie dieser Zeitraum vom Gericht genutzt wurde. Denn das gebotene gründliche Aktenstudium der Berufsrichter vor Eröffnung des Hauptverfahrens und Terminierung der Hauptverhandlung schlägt sich regelmäßig nicht in den Akten nieder (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07, BGHR StPO § 213 Terminierung 1). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn – wie hier – dem Angeklagten vom Gericht eine Verständigung gemäß § 257c StPO über eine Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung und die Zahlung von einer Mio. € als Bewährungsauflage vorgeschlagen wird. Die – auch hier zutreffende – Erwartung, der Angeklagte werde einer solchen Verständigung zustimmen, kann die hinreichende Befassung mit dem Verfahrensstoff nicht ersetzen, selbst wenn – anders als hier – auch mit der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu rechnen ist.
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b) Beim gerichtlichen Verfahren in Wirtschaftsstrafsachen bestehen Besonderheiten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07, BGHR StPO § 213 Terminierung 1), die regelmäßig einen Vorrang der Gründlichkeit vor der Schnelligkeit gebieten:
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Der Eingang einer Anklageschrift ist auch bei Wirtschaftsstrafkammern nicht vorhersehbar. Denn die Zuteilung an die einzelnen Strafkammern muss so erfolgen, dass auch nur der Eindruck der Möglichkeit einer Manipulation des gesetzlichen Richters ausgeschlossen ist. Jede Strafkammer ist dann – und sollte dies auch sein – zunächst mit anderen Sachen ausgelastet. Bei komplexen und umfangreichen Strafsachen ist es unter diesen Umständen nicht möglich , dass sich der Vorsitzende und der Berichterstatter sofort mit der neu eingegangenen Anklageschrift intensiv befassen. In aller Regel ist das dann nur parallel zu bereits laufenden – oder anstehenden – Verhandlungen möglich, die im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot bei vorausschauender, auch größere Zeiträume umfassender Hauptverhandlungsplanung (vgl. BVerfG - KammerBeschlüsse vom 19. September 2007 – 2 BvR 1847/07 – und vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07) langfristig im Voraus zu terminieren waren. In diesem frühen Stadium des gerichtlichen Verfahrens ist ein Ausblenden anderweitiger Belastungen der Strafkammer bei der Prüfung, ob der Pflicht zur Erledigung des Verfahrens in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) genügt wurde , nicht möglich und deshalb auch nicht geboten.
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Dem Zwischenverfahren kommt im Hinblick auf den Schutz des Angeklagten große Bedeutung zu. Zur Vorbereitung der Eröffnungsberatung bedarf es schon deshalb einer intensiven Einarbeitung des Vorsitzenden und des Berichterstatters in die Sache - parallel zur Förderung und Verhandlung anderer Verfahren. Diese Vorarbeit schlägt sich hinsichtlich des Umfangs naturgemäß nicht als verfahrensfördernd in den Akten nieder, wie auch andere Vorgänge der meist gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Verfahrensstoff in der Regel nicht. Am Ende einer intensiven Vorbereitung und der Eröffnungsberatung steht häufig nur ein Eröffnungsbeschluss, der aus einem Satz besteht (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07, BGHR StPO § 213 Terminierung

1).


III.

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Durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, die gemäß § 301 StPO eine Urteilsaufhebung auch zugunsten des Angeklagten nach sich ziehen würden, sind nicht vorhanden. Zwar erwähnt das Landgericht bei der Strafzumessung das zu den Tatzeitpunkten für die Annahme des Regelbeispiels gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF jeweils noch erforderliche Handeln aus grobem Eigennutz nicht ausdrücklich. Bei dem vorliegenden Tatbild war dieses Merkmal aber erkennbar erfüllt. Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Strafe auch dann zur Bewährung aus, wenn die in Satz 1 genannte Erwartung erst dadurch begründet wird, dass neben der Jugendstrafe ein Jugendarrest nach § 16a verhängt wird.

(2) Das Gericht setzt unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Jugendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist.

(3) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Jugendstrafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.