Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2017 - 1 StR 63/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:090817U1STR63.17.0
bei uns veröffentlicht am09.08.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 63/17
vom
9. August 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:090817U1STR63.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. August 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. September 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Urteil mit Ausnahme der Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrunde liegenden rechtswidrigen Taten auf die Sachrüge hin aufzuheben. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der zum Urteilszeitpunkt 44 Jahre alte Beschuldigte erkrankte vor etwa 20 Jahren an paranoider Schizophrenie. Schon vor der ersten Diagnose dieser Krankheit wurde er u.a. wegen eines im November 1991 begangenen vorsätzlichen Vollrauschs zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der alkoholisierte Beschuldigte seinem Vermieter nachts mit einem eigens präparierten Messer einen Stich in die Brust versetzte, nachdem dieser ihm wegen Lärmbelästigung den Strom abgedreht hatte.
4
Akustische Halluzinationen traten bei ihm erstmals 1996 oder 1997 auf. Im Juli 2000 war bereits einmal die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Dem lagen als Diebstahl in zwei Fällen, vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertete Anlasstaten zu Grunde. Im Oktober 2007 ist diese Maßregel zur Bewährung ausgesetzt und fünf Jahre später für erledigt erklärt worden. Im Rahmen der Unterbringung war der Beschuldigte medikamentös eingestellt worden; während der Bewährungszeit ließ er sich mit Depotpräparaten behandeln. Nach der Erledigung der Unterbringung bezog er 2013 eine eigene Wohnung. Ende des Jahres 2014 begann er, entgegen ärztlichem Rat seine Medikamente nach und nach abzusetzen. Im Verlauf des Jahres 2015 trank er auch wieder verstärkt Alkohol. Er wurde mehrmals von der Polizei betrunken in hilfloser Lage aufgefunden; zudem kam es zu Vorfällen im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten. Im August 2015 fiel er nach einem Ladendiebstahl durch unangemessenes Verhalten, u.a. Wein- und Lachanfälle, auf.
5
1. Erste Anlasstat:
6
Am 7. November 2015 übergab der Beschuldigte seinem Nachbarn A. einen neu gekauften MP3-Player mit der Bitte, darauf Musikdateien aufzuspielen. Da der Nachbar sich vor dem Beschuldigten fürchtete - er hatte ihn seit seinem Einzug im April 2015 als psychisch auffällig erlebt - und den Be- schuldigten nicht zu verärgern wünschte, wollte er dem Anliegen nachkommen. Das Aufspielen gelang ihm jedoch nicht, sodass er den MP3-Player an den Be- schuldigten zurückgab und dabei bemerkte, dieser sei kaputt. „Infolge der be- stehenden paranoiden Schizophrenie gelangte der Beschuldigte zu der Über- zeugung“, seinNachbar sei für den angeblichen Defekt des MP3-Players verantwortlich und sei ihm deshalb zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Er forderte deswegen erfolglos die Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 35 € von seinem Nachbarn. Dessen Anregung, gemeinsam zum Verkäufer zu gehen und auf einen Umtausch des Geräts zu bestehen, lehnte der Beschuldigte ab.
7
Gegen 3.30 Uhr am frühen Morgen des 10. November 2015 klopfte und klingelte der Beschuldigte an der Wohnungstür seines Nachbarn, um von diesem die Zahlung von Schadensersatz zu verlangen. Der Nachbar A. wachte zwar auf, öffnete aber aus Angst vor dem Beschuldigten nicht. Der Beschuldigte trat nun mit zwei kräftigen Tritten die Türe ein, ging zum Bett des Nachbarn und riss den daneben befindlichen WLAN-Router aus der Wand. Sodann zerrte er seinen Nachbarn an der Schulter aus dem Bett, schrie ihn an und forderte Geld für den defekten MP3-Player. Der verängstigte Nachbar bot dem Be- schuldigten 30 € in Scheinen an. Der Beschuldigte riss ihm das Geld aus der Hand und äußerte „Willst du mich verarschen?“. Er versetzte seinem Nachbarn, der den Angriff geahnt und sich abgewandt hatte, einen schmerzenden Faustschlag auf den Rücken und verließ die Wohnung. Noch vor dem Eintreffen der Polizei gegen 5.00 Uhr klebte der Beschuldigte ein von ihm mit den Worten „UNEHREN-HaFt entlassen! FRC“ beschriebenes DIN A4-Blatt an die Woh- nungstür des Nachbarn.
8
Nach dieser Tat zog der Beschuldigte um. Im Laufe des Jahres 2016 befand er sich mehrmals in psychiatrischer Behandlung. Bei jedem Aufenthalt stellten die Ärzte eine ausgeprägte Verlorenheit bzw. Zerfahrenheit des Denkens fest; Anfang Januar 2016 wurden Verfolgungsgedanken und akustische Halluzinationen diagnostiziert, nachdem der Beschuldigte angegeben hatte, er höre das Herz der aufnehmenden Ärztin schlagen und sein Nachbar breche bei ihm ein und stehle. Am 11. April 2016 begab er sich aus eigenem Antrieb zur ambulanten Behandlung, dort wurde bei ihm das Vorliegen von psychotischen Symptomen festgestellt. Die orale Einnahme eines Medikaments wurde verordnet. Am 26. Mai 2016 wurde der Beschuldigte mit einer Blutalkoholkonzentration von zwei Promille in einer Klinik aufgenommen, zuvor befand er sich vom 12. bis zum 16. Mai 2016 stationär in Behandlung. Bei seiner Aufnahme hatte er angegeben, er sehe „quadratisch in 3D“ und komme allein nicht mehr zu- recht. Es wurde eine paranoide Schizophrenie und eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert und ihm ein Neuroleptikum verabreicht.
9
2. Zweite Anlasstat:
10
Am 21. Mai 2016 wollte der alkoholisierte Beschuldigte in einem Lebensmittelmarkt eine Literdose Bier stehlen. Dazu nahm er eine solche Bierdose aus dem Regal und steckte sie in die mitgeführte Stofftasche. Eine kleinere und preiswerte Bierdose nahm er ebenfalls aus dem Regal und begab sich damit zur Kasse, um lediglich diese zu bezahlen. Bei dem Einstecken der größeren Dose war er jedoch von einem Angestellten beobachtet worden, der ihn an der Kasse nach weiteren zu bezahlenden Produkten fragte. Das Ansinnen des Angestellten, in die Stofftasche des Beschuldigten sehen zu wollen, lehnte er ab. Daraufhin konfrontierte ihn der Angestellte mit seiner Beobachtung und griff nach der Stofftasche. Der Beschuldigte entschloss sich, nunmehr körper- lich gegen den Angestellten vorzugehen, um mit der Bierdose entkommen zu können. Er zog deswegen an der Stofftasche. Als der Angestellte aber nicht losließ, packte er ihn kräftig mit einer Hand seitlich am Hals und versuchte, ihn wegzudrücken. Dennoch ließ der Angestellte die Tasche nicht los. Deswegen schlug ihn der Beschuldigte mit der von ihm als Straßenmusikanten mitgeführten Gitarre mehrmals kräftig auf den rechten Unterarm. Der Angestellte ließ immer noch nicht los. Beide zogen nun an der Stofftasche. Der Beschuldigte trat den Angestellten mit dem beschuhten Fuß kräftig gegen den Bauch, wodurch er selbst das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Den Zug der von beiden gehaltenen Tasche nutzte der Beschuldigte aus, um sogleich wieder aufzustehen und mit zunehmender Intensität viermal mit der Gitarre auf den Arm des Angestellten zu schlagen und dabei zu rufen: „Lass los“. Nunmehr ließ der Angestellte die Stofftasche los und der Beschuldigte flüchtete mit der Beute , konnte aber kurz darauf festgenommen werden.
11
3. Das Landgericht hat für beide Anlasstaten sicher erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen, aber auch eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit jeweils nicht ausschließen können. Grundlage für diese Bewertung des Landgerichts ist die unter das Eingangsmerkmal des § 20 StGB krankhafte seelische Störung gefasste paranoide Schizophrenie des Beschuldigten. Auf dieser Grundlage hat es die Voraussetzungen des § 63 StGB bejaht. Beide Anlasstaten seien auf die überdauernde paranoide Schizophrenie zurückzuführen. Die entsprechende Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht auf die Gefahr der Begehung erheblicher Körperverletzungshandlungen unter Verwendung von gefährlichen Werkzeugen gegründet. Es hat ebenfalls geprüft, ob eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in Betracht kommt, dies aber im Hinblick auf die fehlende Erfolgsaussicht infolge der kognitiven Überforderung des Beschuldigten abgelehnt.

II.


12
1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
13
a) Die Revision macht die Verletzung des § 258 Abs. 2 und 3 StPO gel- tend. Nach ihrem Vortrag habe der Beschuldigte „im Rahmen des letzten Wortes“ zunächst die umfassende Gelegenheit gehabt, sich abschließend zu äußern. „Noch bevor der Vorsitzende die Beweisaufnahme geschlossen hatte“, habe eine sich im Publikum befindende Person, die sich als „Bezugspfleger“ des Beschuldigten vorgestellt habe, ungefragt Ausführungen gemacht. Der Vorsitzende habe sinngemäß geäußert, dass eine Zeugenvernehmung nicht erforderlich sei, man glaube dieser Person auch so. Erst danach sei die Haupt- verhandlung zum Zweck der Urteilsfindung „geschlossen“ worden.
14
Die Rüge ist bereits unzulässig. Denn der Revisionsvortrag ist unzutreffend. Aus dem Protokoll ergibt sich abweichend zum Revisionsvortrag, dass die Beweisaufnahme vor den Schlussvorträgen und vor der Gelegenheit zum letzten Wort - wie es § 258 StPO vorsieht - geschlossen wurde.
15
Die Rüge wäre auf dieser Tatsachengrundlage aber auch unbegründet. In die Beweisaufnahme ist nicht erneut eingetreten worden, was auch die Revision nicht behauptet. Von daher bestand keine Veranlassung der erneuten Gewährung des letzten Wortes, da der Beschuldigte als letzter Verfahrensbeteiligter vor Beginn der Beratung das Wort hatte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. März 2016 - 4 StR 63/16; Urteil vom 20. März 1959 - 4 StR 416/58, BGHSt 13, 53, 59 f.). Die im Saal anwesende Person war nicht verfahrensbeteiligt. Verfahrensbeteiligt ist nur derjenige, der nach dem Gesetz eine Prozessrolle ausübt, d.h. durch eigene Willenserklärungen im prozessualen Sinne gestal- tend als Prozesssubjekt mitwirken muss oder darf (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., Einl. Rn. 70).
16
Eine Verfahrensbeteiligung der sich zu Wort meldenden Person wird auch in dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht als unklar eingeordnetem Vortrag der Revision, nicht behauptet. Darin ist zwar ver- einzelt vom „Zeugen“ die Rede, an anderer Stelle wird aber ausgeführt, diese Person sei „eigentlich nicht Verfahrensbeteiligter“ und von einer Zeugenver- nehmung sei abgesehen worden.
17
b) Auch unter dem Aspekt § 261 StPO versagt die Rüge. Ihr lässt sich schon nicht mit hinreichender Klarheit die Beanstandung entnehmen, dass die Ausführungen der verfahrensunbeteiligten Person außerhalb der Beweisaufnahme Eingang in die Überzeugungsbildung gefunden hätten. Eine solche Rüge wäre jedenfalls aber unbegründet, da die Angaben dieser Person im Urteil keine Rolle spielen.
18
2. Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge hin veranlasste materiellrechtliche Prüfung zeigt ebenfalls keinen Fehler auf. Das Vorliegen der Voraussetzungen der angeordneten Maßregel ist rechtsfehlerfrei belegt.
19
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infol- ge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16 Rn. 3, NStZ-RR 2017, 76; vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rn. 13 ff., StV 2017, 585 und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 9).
20
Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.
21
a) Jedenfalls die Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei Begehung der beiden Anlasstaten werden in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist insoweit auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16 Rn. 5, NStZRR 2017, 76; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017,74 und vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306). Diese Anforderungen gelten auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfä- higkeit (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98 und vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239). Das sachverständig beratene Landgericht hat das beim Beschuldigten vorliegende dauerhafte Störungsbild und dessen Symptome sorgfältig aufgeklärt und plausibel dargestellt.
22
aa) Für die erste Tat begründet das Landgericht den Schluss, dass die psychotische Erkrankung des Beschuldigten seine Schuldfähigkeit bei der Tat sicher erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben habe, damit, dass der Beschuldigte wahnbedingt davon ausgegangen sei, ihm stünde ein Schadensersatzanspruch gegen den Nachbarn zu. Ausreichende Anhaltspunkte für eine solche wahnhafte Realitätsverkennung sieht das Landgericht im Einklang mit dem Sachverständigen in der auch in der Hauptverhandlung geäußerten realitätsfremden Vorstellung des Beschuldigten, sein Nachbar habe sein Unglück auf ihn übertragen, sei auch für andere negative Ereignisse in seinem Leben verantwortlich und sei ein französischer Agent. Die psychotisch bedingte Handlungsintention zeige sich auch in dem der Durchsetzung einer Forderung vollkommen unangemessenen Verhalten des Beschuldigten bei der Tat. Der beschriebene Zettel an der Wohnungstür, der darauf hindeute, dass der Beschuldigte wahnbedingt der Überzeugung gewesen sei, der Geschädigte gehöre dem französischen Geheimdienst an, sei ein weiteres Indiz für eine wahnbedingte Veranlassung der Tat. Die Annahme einer akuten psychotischen Symptomatik werde auch dadurch belegt, dass der Beschuldigte in seiner Vernehmung am Tag nach der Tat sehr verworren im Denken und Verhalten gewesen sei. Dies entspreche seinem Verhalten in den ersten Tagen seines Aufenthalts in der Psychiatrie, für die eine akute psychotische Symptomatik beschrieben werde.
23
bb) Für die zweite Tat stützt das Landgericht sich vor allem auf die tatzeitnahen psychiatrischen Befunde. So sei der Beschuldigte bis zum 16. Mai 2016 - mithin fünf Tage vor der Tat - in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen. Er habe hierbei schwere psychotische Beeinträchtigungen geschildert. Die anlässlich des Aufenthalts nur kurzfristig verabreichte Medikation sei - im Anschluss an den Sachverständigen - nicht geeignet, auf das psychotische Erleben des Beschuldigten in so kurzer Zeit Einfluss zu nehmen. Nachdem er noch am Tattag festgenommen worden sei, sei er am 2. Juni 2016 in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt worden, wo eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden sei. Daher sei trotz zielgerichtet anmutenden Vorgehens des Beschuldigten, nämlich das Einstecken der wertvolleren und das Vorzeigen der günstigeren Ware, davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Tat nicht nur aufgrund seiner Alkoholisierung, sondern auch aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie begangen habe. Dies werde belegt durch den Umstand, dass der Beschuldigte seine Gitarre als Schlagwerkzeug eingesetzt habe. Auf diese sei er als Straßenmusiker angewiesen, sie habe einen erheblichen Vermögenswert für ihn dargestellt. Dass er sie dennoch als Schlagwerkzeug mit dem Risiko der Beschädigung eingesetzt habe, sei ein Indiz für die krankheitsbedingte Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit.
24
cc) Diese Ausführungen belegen für beide Taten noch hinreichend konkret und nachvollziehbar, dass die festgestellte schizophrene Erkrankung des Beschuldigten zu einer jedenfalls sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei den Taten geführt hat. Für die erste Tat ist die wahnbedingte Motivation des Beschuldigten festgestellt und tragfähig begründet. Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts sind diese Voraussetzungen auch für die zweite Anlasstat noch ausreichend belegt.
25
Die Feststellungen zu dem gut dokumentierten Verhalten des Beschuldigten wenige Tage vor und nach der Tat und den dabei zu Tage getretenen produktivpsychotischen Symptomen tragen den Schluss, dass auch die inmitten dieser Phase gelegene Tat unter der Wirkung eines akuten Schubs der Erkrankung - die nicht tageweise zwischen akut und nicht akut schwankt, sondern deren akuter Zustand sich über längere Phasen anbahnt - begangen worden ist. Soweit der Generalbundesanwalt die Darstellung der Befindlichkeit des Beschuldigten unmittelbar nach der Festnahme vermisst, ist von der Revision eine zulässige Aufklärungsrüge nicht erhoben. Auch die Auswirkungen dieser akuten Psychose auf die Begehung der Tat sind noch ausreichend dargestellt. Auf der Grundlage, dass der Beschuldigte im Tatzeitraum unter schweren psychotischen Beeinträchtigungen gelitten hat, deren Symptome sich bei ihm vor allem durch verworrenes Denken und Verhalten gezeigt haben und diese auch im Tatbild Ausdruck gefunden haben, ist der Schluss auf eine durch krankheitsbedingte kognitive Einbußen sicher erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit tragfähig (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145 mwN). Dies bringt das Landgericht auch durch die Bezugnahme auf den, aus Sicht des Beschuldigten als unvernünftig beurteilten Einsatz der Gitarre zum Ausdruck. Eine durch kognitive Verzerrungen hervorgerufene relevante Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit setzt auch nicht zwingend wahnhaftes Erleben voraus.
26
dd) Selbst wenn diese Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit durch Alkohol mitverursacht worden wäre, hinderte dies nicht die Annahme einer dauerhaften Störung im Sinne des § 63 StGB. Denn tragender Grund für den Zustand im Sinne des § 63 StGB ist die Psychose des Beschuldigten. Dann kommt es nicht darauf an, ob die Schwelle zur verminderten Steuerungsfähigkeit durch ein alltägliches Ereignis, nämlich den Alkoholkonsum überschritten wurde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017, 203 mwN; Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 375). Dies gilt zumal, da der Beschuldigte mit der zunehmenden Symptomatik seiner Psychose vermehrt Alkohol trank.
27
ee) Soweit das Landgericht zudem eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen vermochte, wirkt sich dies nicht zum Nachteil des Beschuldigten aus. Hier führt es nur dazu, dass der Beschuldigte keine zusätzliche Freiheitsstrafe erhält. Bleiben aber nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf die Art und den Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen, ist zugunsten des Täters zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - 4 StR 497/14, NStZ-RR 2015, 71 mwN). Zu Lasten des Beschuldigten wirkende Folgen aus der Annahme der nicht ausschließbar aufgehobenen Einsichtsfähigkeit sind nicht erkennbar.
28
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht zu beanstanden. Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017, 203 mwN). Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, seines Vorlebens und der Anlasstaten belegt (vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rn. 13 ff., StV 2017, 585 und vom 3. Juni 2015 - 4 StR 167/15, StV 2016, 724). Diese Prognose erstreckt sich auch darauf, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31; BGH aaO). Hierzu stellt das Landgericht im Wesentlichen darauf ab, dass bei dem Beschuldigten trotz adäquater und streng überwachter Medikation in der einstweiligen Unterbringung bisher kein vollständiges Abklingen der psychotischen Symptomatik zu verzeichnen sei. Zudem bestehe keine tiefergehende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Dies finde Beleg in dem Verhalten des Beschuldigten in der Hauptverhandlung, in der er ersichtlich von Wahnvorstellungen geprägte Schilderungen abgegeben habe. Deswegen sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte bei einer Entlassung die Medikamente sofort absetzen und wieder tiefer in ein psychotisches Erleben abgleiten würde. Dies wiederum lasse den Anlasstaten gleichartige Taten erwarten, insbesondere weil er in Situationen, in denen er krankheitsbedingt überfordert sei oder sich im Recht fühle, Gewalt gegen Personen einsetze, um seine Ziele durchzusetzen. Graf Jäger Bellay Cirener Radtke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 63/16 vom 30. März 2016 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: versuchter besonders schwerer Brandstiftung u.a. zu 2.: Anstiftung zur Brandstiftung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:300316B4STR63.16.0 Der 4. Strafse

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15

bei uns veröffentlicht am 03.06.2015

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2014 - 4 StR 497/14

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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2014 - 3 StR 171/14

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Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Mai 2018 - 1 StR 33/18

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 580/17 vom 4. Juli 2018 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR580.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 20

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2019 - 4 StR 140/19

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 140/19 vom 22. Mai 2019 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2019:220519B4STR140.19.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. M

Referenzen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 63/16
vom
30. März 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: versuchter besonders schwerer Brandstiftung u.a.
zu 2.: Anstiftung zur Brandstiftung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:300316B4STR63.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 30. März 2016 gemäß § 46, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten F. , ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren (Schriftsatz des Rechtsanwalts Ko. vom 20. Januar 2016), wird als unzulässig verworfen. 2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 20. Oktober 2015, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die Revision des Angeklagten F. gegen das vorbezeichnete Urteil wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen , dass der Angeklagte der Anstiftung zur Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug und zur versuchten schweren Brandstiftung schuldig ist. Der Angeklagte F. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Brandstiftung in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Strafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten und wegen Betrugs zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten F. hat es wegen „tateinheitlich begangener Anstiftung zu einer in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung begangenen Brandstiftung und zu einer Beihilfe zum Betrug“ zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Den Mitangeklagten Ra. hat das Schwurgericht wegen tateinheitlich begangener Anstiftung zur Brandstiftung und Beihilfe zum Betrug zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, den Mitangeklagten W. wegen tateinheitlich begangener Brandstiftung und Beihilfe zum Betrug zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten Ra. und W. hat der Senat mit gesondertem Beschluss vom heutigen Tage als unbegründet verworfen.
2
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten A. hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das ebenfalls auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten F. führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs.

A.


3
Die Revision des Angeklagten A. hat mit der Rüge Erfolg, ihm sei das letzte Wort nicht erteilt worden (§ 258 Abs. 2, 3 StPO).

I.


4
Dem liegt Folgendes zugrunde:
5
Nach Schluss der Beweisaufnahme gestaltete sich der weitere Verfahrensgang ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 20. Oktober 2015 wie folgt:
6
„Die Staatsanwaltschaft und sodann die Verteidiger erhielten zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Die Hauptverhandlung wurde auf Anordnung des Vorsitzenden um 10:31 Uhr während des Schlussvortrages des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft unterbrochen und nach erneutem Aufruf der Sache um 10:52 Uhr fortgesetzt. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft setzte seinen Schlussvortrag fort. Er beantragte Folgendes:
7
betreffend A. für die Brandstiftung sechs Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe, für den Betrug unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts Essen vom 29.01.2014 drei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe.
8
betreffend F. : fünf Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe,
9
betreffend Ra. : fünf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe,
10
betreffend W. : fünf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe.
11
Ferner beantragte der Vertreter der Staatsanwaltschaft Haftfortdauer betreffend alle Angeklagten. …
12
Sodann erhielten die Verteidiger zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Rechtsanwältin Dr. L. beantragte: Freispruch und für den Fall einer Verurteilung den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Verteidiger Rechtsanwalt E. beantragte: Freispruch. Der Angeklagte A. hatte das letzte Wort. Der Angeklagte wurde befragt, ob er selbst noch etwas zur Verteidigung anzuführen habe. Er erklärte: Ich schließe mich den Ausführungen meiner Anwälte an.
13
Rechtsanwalt R. beantragte, den Angeklagten F. freizusprechen und den Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum aufzuheben. Rechtsanwalt K. erklärte: Ich schließe mich den Ausführungen meines Kollegen Rechtsanwalt R. an. Der Angeklagte F. hatte das letzte Wort. Der Angeklagte wurde befragt, ob er selbst noch etwas zur Verteidigung anzuführen habe. Er erklärte: Ich schließe mich den Ausführungen meiner Anwälte an.
14
(Rechtsanwalt) T. beantragte, den Angeklagten Ra. freizusprechen. Rechtsanwalt Dr. K. beantragte, den Angeklagten Ra. freizusprechen. Im Zuge seines Schlussvortrages las Rechtsanwalt Dr. K. einen Antrag vor, den er sodann in Schriftform überreichte und welcher als Anlage I zum Tagesprotokoll genommen wurde. Der Angeklagte Ra. hatte das letzte Wort. Der Angeklagte wurde befragt, ob er selbst noch etwas zur Verteidigung anzuführen habe. Er erklärte: Derjenige, welcher eine Straftat begeht, soll seine Strafe erhalten. Ich bin unschuldig. …
15
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft replizierte auf den heute von Rechtsanwalt Dr. K. gestellten Antrag.
16
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. R. beantragte, den Angeklagten W. wegen Brandstiftung und wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe deutlich unter 5 Jahren zu verurteilen und den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Rechtsanwalt S. schloss sich den Ausführungen von Rechtsanwalt Dr. R. an und beantragte, den Haftbefehl aufzuheben , hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Der Angeklagte W. hatte das letzte Wort. Der Angeklagte wurde befragt, ob er selbst noch etwas zur Verteidigung anzuführen habe. Er erklärte: Ich bereue, was ich getan habe. Was hätte alles passieren können. Bitte geben Sie mir eine Chance, zurück zu meiner Familie zu gelangen.“
17
Anschließend wurde nach einer Unterbrechung das Urteil verkündet.

II.


18
1. Die Rüge ist – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – zulässig erhoben.
19
Der Beschwerdeführer hat gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgegangenen Verfahrenshandlungen in seiner Revisionsbegründung im Einzelnen geschildert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. August 1989 – 3 StR 158/89, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 letztes Wort 1, und vom 12. Juli 1994 – 4 StR 306/94, StV 1995, 176). Einer Darlegung des Inhalts dessen, was der Vertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger im Einzelnen ausgeführt haben, bedarf es zur Prüfung des behaupteten Verfahrensverstoßes nicht. Das Gleiche gilt für den Inhalt des von Rechtsanwalt Dr. K. gestellten Antrags und die Erwiderung des Vertreters der Staatsanwaltschaft.
20
Es bedurfte auch keiner Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO, da der Beschwerdeführer die Verletzung einer zwingenden Verfahrensvorschrift rügt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 238 Rn. 22 mwN).
21
2. Die Verfahrensbeschwerde ist begründet, weil der gerügte Verstoß gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO vorliegt.
22
Aus dem geschilderten und durch die Sitzungsniederschriftbewiesenen Verfahrensablauf ergibt sich, dass der Angeklagte A. nicht als letzter Verfahrensbeteiligter vor dem Beginn der Beratung gesprochen und somit nicht das letzte Wort hatte. Die Verpflichtung zur – ggf. erneuten – Erteilung des letzten Wortes gilt zwar der Natur der Sache nach nicht im Verhältnis zu den Mitangeklagten , wohl aber, wenn die Verteidiger der Mitangeklagten Ausführungen gemacht haben (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2003 – 2 StR 443/02, BGHSt 48, 181, 182; KK-StPO/Ott, 7. Aufl., § 258 Rn. 19); eine vorhergehende Prozesshandlung des Gerichts ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 185/14, StV 2015, 474). Sinn der Regelung des Äußerungsrechts in § 258 StPO ist die Wahrung des rechtlichen Gehörs. Wird dem Verteidiger und dem Angeklagten nach dem Schlussvortrag des Staatsanwalts das Recht zum Schlussvortrag eingeräumt und hatte der Angeklagte vor der Urteilsberatung als letzter Verfahrensbeteiligter Gelegenheit zur Äußerung (vgl. BGH, Urteile vom 20. März 1959 – 4 StR 416/58, BGHSt 13, 53, 59 f., und vom 13. Mai 1993 – 4 StR 169/93, NStZ 1993, 551), so ist das rechtliche Gehör umfassend gewährt worden, weil der Angeklagte unmittelbar vor der Beratung zu dem gesamten entscheidungserheblichen Prozessstoff Stellung nehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2001 – 4 StR 414/00, NJW 2001, 2109; MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 258 Rn. 14, 18).
23
Nach der hier gewählten Verfahrensgestaltung hatte der Angeklagte A. , nachdem er das „letzte Wort“ hatte, keine Gelegenheit mehr, zu dem jeweiligen Sachvortrag der Verteidiger der anderen Angeklagten Stellung zu nehmen, obwohl diesen die Mitwirkung an demselben strafbaren Geschehen vorgeworfen worden war. Das genügt nicht.
24
Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten A. auf dem aufgezeigten Verfahrensverstoß beruht.

B.


25
Die Revision des Angeklagten F. führt lediglich zu einer Änderung des gegen ihn ergangenen Schuldspruchs.

I.


26
Der Antrag des Angeklagten F. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen (Schriftsatz des Rechtsanwalts Ko. vom 20. Januar 2016) ist unzulässig. Hierzu hat der Generalbundesanwalt Folgendes ausgeführt: „Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vori- gen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinen Verteidigern mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensrügen fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7). Auch die Rüge fehlerhafter Gerichtsbesetzung ist nicht verspätet, sondern lediglich nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben worden. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch Revisionsgegenerklärung oder die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschluss vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07; Meyer-Goßner, StPO 58. Auflage § 44 Rn. 7 f.; anders für die unvollständige Übermittlung eines Faxes BGH, Beschluss vom 25. Januar 2002 - 2 StR 511/01). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
Das Wiedereinsetzungsgesuch ist ohnehin gegenstandslos, da bereits mit Revisionsbegründungsschrift von Rechtsanwalt K. vom 18. Dezember 2015 für den Angeklagten form- und fristgerecht die Besetzungs- rüge erhoben wurde …“.
27
Dem tritt der Senat bei. Die Rüge (§ 338 Nr. 1 StPO) bliebe darüber hinaus aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zu der von Rechtsanwalt K. ausgeführten Besetzungsrüge ohne Erfolg.

II.


28
1. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten F. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit dieser (tateinheitlich) wegen Anstiftung zur versuchten schweren Brandstiftung verurteilt worden ist.
29
a) Nach den Feststellungen betrieben der Angeklagte A. undseine Ehefrau seit September 2013 einen Imbiss in Wi. . Die Ehefrau des Angeklagten hatte eine sogenannte „Geschäftsinhaltsversicherung“ betreffend die Ausstattung des Imbiss-Betriebes und das Inventar, eine Glasversicherung und eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen; dies war dem Angeklagten bekannt. Der Imbiss wurde im Erdgeschoss eines dreieinhalbgeschossigen Wohn- und Geschäftshauses betrieben; in den drei über dem Imbiss befindlichen , vermieteten Wohnungen hielten sich zur Tatzeit insgesamt elf Personen auf. Spätestens Anfang Dezember 2013 entschloss sich A. in Absprache mit seiner Ehefrau dazu, einen Versicherungsfall vorzutäuschen. Er wollte sich und ihr durch eine vorsätzliche Inbrandsetzung Leistungen aus den für den Imbiss abgeschlossenen Versicherungen verschaffen. Da er den Brand nicht eigenhändig legen wollte, sprach er den Angeklagten F. an, ob dieser jemanden kenne, der für ein entsprechendes Entgelt die geplante Brandlegung ausführen könne. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob sich F. eine Gegenleistung versprechen ließ, oder ob er aus Gefälligkeit gegenüber seinem guten Bekannten und Freund A. tätig wurde. Er wandte sich, um dessen Bitte nachzukommen, wenig später an den Mitangeklagten Ra. . Da auch dieser den Brand nicht eigenhändig legen wollte, sprach er, Ra. , den Mitangeklagten W. an. Dieser führte gegen ein Entgelt von 2.000 Euro die von A. gewünschte Brandlegung in den frühen Morgenstunden des 14. Dezember 2013 aus. Er schlug eine Schaufensterscheibe des Imbisses ein; sodann goss er durch das entstandene Loch Petroleum oder Dieselkraftstoff in das Ladeninnere und entzündete die Flüssigkeit. Wie vonW. beabsichtigt, gerieten das innenliegende Fensterbrett, ein Fensterrahmen sowie der mit Laminat belegte Boden in Brand. Zu Brandzehrungen und Rußaufschlägen kam es auch am Inventar, an den Wänden und an der gesamten Decke. Da die rasch herbeigerufene Feuerwehr den Brand alsbald löschen konnte, griff das Feuer nicht – wie ansonsten zu erwarten – auf das gesamte Gebäude und das unmittelbar benachbarte Gebäude über. Insbesondere angesichts der „massiven Ausbreitung von Pyrolyse- und Verbrennungsgasen“ binnen spätestens 20 Minuten bestand eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der über dem Grill wohnenden Personen. Diese konnten sich allerdings, rasch gewarnt, rechtzeitig in Sicherheit bringen. Die räumlichen Verhältnisse einschließlich der Wohnverhältnisse waren A. und F. bekannt. Der mögliche Brandverlauf einschließlich der dabei herbeigeführten Gefährdung der Bewohner des Hauses entsprach ihren Vorstellungen; das Schwurgericht konnte sich hingegen nicht davon überzeugen, dass auch Ra. und W. von der Existenz der Wohnungen über dem Grill Kenntnis hatten.
30
Auf die von A. beabsichtigte Schadensmeldung seiner Ehefrau zahlte die Versicherung pauschal eine Entschädigung von 10.000 Euro.
31
b) Nach den Ausführungen des Landgerichts in der rechtlichen Würdigung (UA 97 f.) ist der eingangs zitierte Schuldspruch neben der Beihilfe zum Betrug des A. nach § 263 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB dahin zu verstehen, dass der Angeklagte F. die Mitangeklagten Ra. und (mittelbar ) W. „zu dem von W. verwirklichten Straftatbestand des § 306 StGB und zu dem von W. – allerdings nur in objektiver Hinsicht – verwirklichten Straftatbestand der §§ 306a Abs. 1, 22 StGB“ angestiftet hat. Dies trifft auf eine Anstiftung zur versuchten schweren Brandstiftung des W. nicht zu; das Landgericht führt selbst aus, dass insoweit keine vorsätzliche Haupttat vorliegt (§ 26 StGB).
32
c) Das strafbare Verhalten des F. stellt sich daher als Beihilfe(§ 27 StGB) zum Betrug (§ 263 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 5 StGB) und zur versuchten schweren Brandstiftung (§§ 306a, 22, 23 Abs. 1 StGB) des A. in Tateinheit mit Anstiftung zur Brandstiftung des W. dar (§§ 26, 306 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Der Umstand, dass A. den Qualifikationstatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 StGB verwirklicht hat, kann dem Angeklagten F. nicht zugerechnet werden (§ 28 Abs. 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2011 – 4 StR 659/10, NJW 2011, 2148, 2149).
33
2. In diesem Sinne hat der Senat den Schuldspruch gegen den Angeklagten F. abgeändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da nicht ersichtlich ist, wie sich F. gegen den geänderten Schuldspruch anders als geschehen hätte verteidigen können.
34
Bei der gegen ihn erkannten Strafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe hat es zu verbleiben. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei einen minder schweren Fall ausgeschlossen und die gegen ihn erkannte Strafe dem nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB gemilderten Strafrahmen des § 306a Abs. 1 StGB entnommen. Dieser reicht in der Obergrenze bis elf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe. Nunmehr steht wegen der – auch vom Landgericht erkannten – Anstiftung zur Brandstiftung des W. ein Strafrahmen von einem Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung (§§ 26, 306 Abs. 1 StGB); der Senat schließt aus, dass das Landgericht aufgrund des geänderten Schuldspruchs auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
RiBGH Dr. Franke ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 – 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 – 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR171/14
vom
17. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Juni 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 7. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit bei Begehung der Taten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
2
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

I.


3
1. Nach den Feststellungen kam es in einem Zeitraum von vier Jahren bis zum Tattag, dem 6. Januar 2013, zwischen dem u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, vorbestraften Angeklagten und der Geschädigten, seiner Wohnungsnachbarin in einem Zweifamilienhaus in P. , regelmäßig zu Spannungen. Am Tattag schlug er der Geschädigten im Treppenhaus zunächst zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht, brachte sie danach durch einen Stoß mit seinen Händen so zu Fall, dass sie die Treppe zunächst bis zur Hälfte und dann – infolge erneuten Schubsens und Schlagens – die restlichen Stufen der Treppe hinunterfiel, wo sie vor ihrer Wohnungstür liegen blieb. Dort versetzte ihr der Angeklagte noch einen Fußtritt gegen die Rippen. Die Geschädigte erlitt durch den Vorfall eine Teilruptur des vorderen Kreuzbandes an ihrem rechten Knie sowie multiple Prellungen. Beim Einschreiten der daraufhin herbeigerufenen Polizeibeamten schlug der Angeklagte mehrfach um sich und versuchte, sich aus den Haltegriffen der Beamten zu befreien. Zum Tatzeitpunkt betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,2 ‰.
4
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat nach Auswertung der Akten und Anwesenheit in der Hauptverhandlung , jedoch – mangels Einwilligung – ohne Exploration des Angeklagten, ausweislich der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
5
Der „ursprünglich intelligent“(e) Angeklagte habe um das Jahr 2000 einen „Leistungsknick“ erlebt. 2002 sei bei ihm zunächst ein „sensitiver Bezie- hungswahn“ diagnostiziert worden, später sei man „ziemlich sicher“ von einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ausgegangen. Die häufigen Umzüge seien aus medizinischer Sicht als paranoide Symptomatik gedeutet worden; der Angeklagte habe dadurch versucht, sich den wahnhaft empfundenen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Er leide gegenwärtig unter einer zunehmenden Unfähigkeit zur Fortsetzung seiner Ausbildung; die auftretenden Verwahrlosungstendenzen sowie psychosozialen Defizite „sprä- chen für eine Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie“ mit „möglicherweise“ bereits eingetretener Chronifizierung und einer Neigung zu akuten Exazerbationen. Es „spreche viel dafür“, dass das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten aus einer krankheitsbedingten paranoiden Symptomatik resultiere; jedenfalls sei es „am ehesten“ mit dem Vorliegen einer solchen Symptomatik erklärbar. Für ein anderes Eingangsmerkmal des § 20 StGB hätten sich keine Hinweise ergeben; eine isolierte Alkoholproblematik liege beim Angeklagten nicht vor. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei „mit allerhöchster Sicherheit“ eingeschränkt gewesen. Deren vollständige Aufhe- bung sei nicht sicher festzustellen, zumal beim Angeklagten statt eines Wahns auch psychotisch bedingter Ärger „ernsthaft in Betracht komme“. „Allgemein“ gelte, dass an Schuldunfähigkeit in einem akuten psychotischen Schub „kaum je“ ein Zweifel bestehe.

II.


6
Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt.
7
1. Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 mwN). Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; Beschluss vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte – wie im vorliegenden Fall – eine Exploration abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1997 – 2 StR 668/96, BGHR StGB § 63 Zustand 21).
8
2. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Dabei kann dahinstehen, ob die im Allgemeinen verbleibende, zusammenfassende Darlegung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen schon nicht hinreichend deutlich macht, ob die Einschränkung der Schuld- fähigkeit auf dem für die Anordnung der Maßregel erforderlichen, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Defekt beruht hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. November 1987 – 5 StR 575/87, BGHR StGB § 63 Zustand 6 mwN), weil der Sachverständige eine Chronifizierung der in Betracht gezogenen Erkrankung lediglich für möglich gehalten hat. Jedenfalls fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation. Die Urteilsgründe teilen auch insoweit lediglich das Ergebnis der medizinischen Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen mit, wonach das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten und den Polizeibeamten die Annahme einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit paranoider Symptomatik nahelege. Als Anknüpfungspunkte für diese Diagnose werden Umstände herangezogen, die zum einen in der früheren Krankengeschichte des Ange- klagten liegen, so etwa sein vor über zehn Jahren eingetretener „Leistungsknick“ , zum anderen Umstände von nur begrenzter und nicht näher erläuterter Aussagekraft, wie etwa häufige Umzüge, durch die der Angeklagte versucht habe, sich wahnhaft empfundenen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Demgegenüber wird das Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs – im Rahmen der Erörterung einer möglicherweise vollständig aufgehobenen Schuldfähigkeit – lediglich abstrakt als Möglichkeit in Betracht gezogen und mit der Erwägung, es komme auch psychotisch bedingter Ärger ernsthaft in Betracht, wieder relativiert. Eine situationsbezogene Erörterung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten unter dem Einfluss der psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Taten fehlt. So wird auch nicht erkennbar erwogen, dass der Angeklagte vor den Widerstandshandlungen gegenüber den Polizeibeamten freiwillig in den Streifenwagen stieg, sich mithin situationsangepasst verhielt.
10
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die vom Landgericht zur ersten Anlasstat getroffenen Feststellungen auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in seiner Auslegung durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31) grundsätzlich geeignet sind, die Anordnung der Maßregel zu tragen. Der neue Tatrichter wird jedoch bei der Gefährlichkeitsprognose das bislang nicht näher erläuterte spannungsgeladene Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnenden Geschädigten in einem Zeitraum von vier Jahren vor der hier verfahrensgegenständlichen Tat eingehender in den Blick nehmen müssen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 7 1 / 1 4
vom
29. April 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. April 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 9. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts misshandelte der Beschuldigte im März 2013 gemeinsam mit drei anderen Personen einen jungen Mann, weil dieser wenige Tage zuvor angeblich eine Frau aus dem Bekanntenkreis vergewaltigt hatte.
3
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychologischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten, der seit 2003 an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20), einem schizophrenen Residuum (ICD-10 F20.5) sowie an einer psychischen Störung durch multiplen Substanzgebrauch (ICD-10 F19.1) leidet, bei der Tatbegehung aufgehoben war. Von der erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer "hinreichenden" Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte zukünftig gleichartige Taten erneut begehen wird.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13, juris mwN). All dies gilt uneingeschränkt auch dann, wenn die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wird; insbesondere sind auch in diesem Fall an die vorausgesetzte Gefährlichkeit des Täters keine geringeren Anforderungen zu stellen. Der Tatrichter muss die die Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 juris).
6
b) Durch die Urteilsgründe werden weder die vom Landgericht angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tat hinreichend belegt.
7
Die Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Für seine Annahme, der Zeitraum um die Tat sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit mit psychotischen Zuständen zusammengefallen", benennt das Landgericht lediglich das Gefühl des Beschuldigten, er sei während der Tat "Gabriel der Friedensengel" gewesen und habe "Angst vor den beiden Mittätern" gehabt. Mit dieser im Allgemeinen verbleibenden Darlegung ist - auch unter Berücksichtigung des in Einzelheiten ungeklärt gebliebenen, vorangegangenen Konsums von Alkohol und Drogen - nicht genügend belegt, dass sich der Beschuldigte im Zeitpunkt der Tat in einem Zustand gesichert erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit befand. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen die Tat bereits bei einem vorangegangenen gemeinsamen Treffen verabredet worden war, bei dem Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte akut psychotisch gewesen wäre, nicht festgestellt sind.
9
c) Auch eine zukünftige Gefährlichkeit des Beschuldigten ist nicht ausreichend dargetan. Das Landgericht hat - auch insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - in den Vordergrund seiner Darlegung die Tatsache gestellt, der Beschuldigte sei unter dem Eindruck des letzten, zeitlich nach der Tat gelegenen Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik krankheitseinsichtig, stehe unter dauerhafter Behandlung mit einem Depot-Neuroleptikum, besuche eine Tagesstätte und halte sich häufig in einer Selbsthilfegruppe für schizophrene Erkrankte auf; es könne deshalb derzeit von einer "eher niedrigen Wahrscheinlichkeit" neuer gleichartiger Taten ausgegangen werden; die Prognose verschlechtere sich indes, sobald der Beschuldigte die medikamentöse Behandlung abbreche und sich der fachpsychiatrischen Betreuung entziehe. Die Begründung des Landgerichts für eine vorhandene, die Unterbringung im Grundsatz rechtfertigende Gefährlichkeit des Beschuldigten beschränkt sich auf den Hinweis, dass es bei fehlender Medikation "hinreichend wahrscheinlich" zu Straftaten komme, die der Anlasstat sowie früheren Taten vergleichbar seien.
10
Somit fehlt die notwendige umfassende Erörterung der Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Beschuldigten. Seit dem Ausbruch der Erkrankung im Jahr 2003 wurde dieser zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, die er nach Widerruf der zunächst angeordneten Bewährung ebenso verbüßte wie eine danach verhängte zehnmonatige Freiheitsstrafe.
Was den Verurteilungen im Einzelnen zugrunde lag, ist dem Urteil ebenso wenig zu entnehmen, wie Anlass und Auswirkungen einer Aggressionstat innerhalb der Familie im Jahr 2008 und der Grund für eine zwangsweise Unterbringung des Beschuldigten in der Psychiatrie wegen "Fremdgefährdung" im Jahr 2009. Eine genaue Darlegung dieser zum Teil lange zurück liegenden Umstände wäre indes erforderlich gewesen, um die Prognose nachvollziehbar zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338), zumal der Beschuldigte seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug Anfang 2008 nur noch zweimal zu geringen Geldstrafen verurteilt wurde, denen keine Aggressionstaten zugrunde lagen.
11
Daneben lässt das Urteil eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen, die darin bestehen, dass der Beschuldigte zwar an der Verabredung zu der Tat teilgenommen hatte und das Opfer zu Beginn mit zwei Faustschlägen und einem Fußtritt und gegen Ende mit einem weiteren Schlag misshandelte , sich indes an den nachhaltigen Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen , die der Tatdas Gepräge einer schweren Gewalttat geben, nicht beteiligte und sogar teilweise vom Tatort abwesend war.
12
3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
13
a) Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
14
b) Nachdem es sich bei der Erkrankung des Beschuldigten um eine Psychose handelt, wird sich für die erneut notwendige sachverständige Beratung die Hinzuziehung eines Psychiaters empfehlen (vgl. KG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 2 Ws 762/07, R&P 2008, 166, 167 mwN).
15
c) Die detailgetreue Wiedergabe des BZR-Auszugs in den Urteilsgründen ist untunlich (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13, NStZ-RR 2013, 287). Sie liefert eine unübersichtliche Ansammlung von überwiegend nutzlosen Daten. Auf die Zeitpunkte der jeweils letzten Tat, des Urteils und der Rechtskraft kommt es nur an, wenn die formellen Voraussetzungen von Gesamtstrafenbildung , Anordnung der Sicherungsverwahrung, Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe o.ä. zu belegen sind. Die notwendige Darlegung dessen , was einzelne Verurteilungen über die Lebensentwicklung des Täters aussagen , kann dadurch ohnehin - wie vorliegend ersichtlich - nicht ersetzt werden.
Becker Pfister RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/12
vom
23. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 19. März 2012 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte dreimal mit Betäubungsmitteln Handel getrieben und einmal seine Freundin massiv misshandelt und dabei lebensgefährlich verletzt hat, weil sie - statt ihn nach Hause zu fahren - ihren minderjährigen Sohn am Bahnhof abholen wollte. Deshalb wurde er zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (Einsatzstrafe: drei Jahre und sechs Monate wegen gefährlicher Körperverletzung) und es wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Außerdem muss er der Geschädigten 10.000 € Schmerzensgeld zahlen und ihre künftigen Schäden ersetzen.
2
Die Kammer folgt dem Sachverständigen in seinem Befund, soweit er eine paranoide Schizophrenie und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung des Angeklagten diagnostiziert hat. Sie referiert darüber hinaus die Bewertung des Sachverständigen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten nicht beeinträchtigt gewesen sei. Die psychische Erkrankung wirke sich jedoch auf die Steuerungsfähigkeit aus und beeinträchtige die Impulskontrolle; die Reizschwelle des Angeklagten sei herabgesetzt; das Maß der Gewalt und die Brutalität der Handlungen seien aber nicht einzig auf die psychiatrische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen. Die Kammer folgt dem Sachverständigen auch insoweit, als dieser auch beim Körperverletzungsdelikt kein akutes psychotisches Erleben festgestellt hat. Aufgrund dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Körperverletzungshandlung zwar erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben war.
3
Seine Revision ist auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützt. Die diesbezüglichen Ausführungen betreffen die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung und - im Blick auf § 827 BGB - die Adhäsionsentscheidung. Er sei bei der Tat schuldunfähig gewesen. Dies habe der Sachverständige auch in der Hauptverhandlung vertreten, wie bereits schon in seinem schriftlichen Gutachten. Daher habe auch die Staatsanwaltschaft in diesem Punkt Freispruch wegen Schuldunfähigkeit beantragt. Soweit das Urteil sich zur Begründung der Annahme (nur) erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf die Ausführungen des Sachverständigen berufe, gebe es diese falsch wieder. Daher sei es rechtsfehlerhaft , dass nicht die Schuldunfähigkeit des Angeklagten festgestellt worden sei.
4
Selbst wenn die Strafkammer aber den Sachverständigen so wie im Urteil dargelegt verstanden habe, hätte sie auf die dadurch entstehende Abwei- chung vom schriftlichen Gutachten hinweisen, einen weiteren Gutachter hinzuziehen und/oder die für die Änderung des schriftlichen Gutachtens maßgeblichen Gründe im Urteil behandeln müssen.
5
In der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft heißt es, die Verfahrensabläufe seien richtig und vollständig wiedergegeben.
6
Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

7
Soweit es die sachlich-rechtliche Überprüfung betrifft, ergibt sich aus den oben wiedergegebenen Urteilsausführungen nicht, dass der Sachverständige die Auffassung vertreten hat, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig gewesen. Ob die Voraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen haben, hat die Kammer rechtsfehlerfrei entschieden. Ihre Bewertung, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nur erheblich eingeschränkt gewesen, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Schizophrenie für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Aufhebung der Schuldfähigkeit führt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12; BGH NStZ-RR 2008, 39).

II.

8
Zu der verfahrensrechtlichen Beanstandung, das Urteil gebe die Bewertung des Sachverständigen zur Frage des § 20 StGB unzutreffend wieder, bemerkt der Senat:
9
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind behauptete Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten oder dem Verlauf der Hauptverhandlung, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen selbst ergeben, für sich allein regelmäßig revisionsrechtlich unerheblich (vgl. BGHSt 17, 351; BGH NStZ 1992, 506 f.; 1995, 27, 29; 1997, 294; 2008, 55). Eine Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht widerspricht - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - der Ordnung des Revisionsverfahrens (vgl. BGH NStZ 1992, 506, 507; 1997, 296; 2008, 55).

III.

10
Mit den Verfahrensrügen wird der Sache nach geltend gemacht, das Urteil sei auch auf der Grundlage der dort niedergelegten Ausführungen des Sachverständigen aufzuheben, also auch dann, wenn dies nicht schon Folge der für geboten erachteten Rekonstruktion der Beweisaufnahme sei. Dem steht aber bereits entgegen, dass nur für den Fall der Erfolglosigkeit anderen Vorbringens , also hilfsweise angebrachte Verfahrensrügen, nicht zulässig sind (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 mwN).
11
Die Rügen blieben aber auch erfolglos, wenn sie nicht nur hilfsweise angebracht wären.
12
1. Vorliegend wurde kein Sicherungs-, sondern ein Strafverfahren durchgeführt. Die zugelassene Anklage ist demgemäß von (sei es auch erheblich verminderter) Schuldfähigkeit ausgegangen. Auf die Möglichkeit eines anklagegemäßen Urteils muss nicht hingewiesen werden, unabhängig davon, ob Ver- fahrensbeteiligte - sei es auch die Staatsanwaltschaft - wegen ihrer Bewertung der Beweisaufnahme ein von der Anklage abweichendes Urteil beantragen.
13
2. Allerdings entsprechen die im Urteil mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht dem Ergebnis seines vorbereitenden schriftlichen Gutachtens. Dieses kann aber nicht Urteilsgrundlage sein, sondern allein das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR 649/07). Für dessen Würdigung kann es jedoch bedeutsam sein, wenn der Sachverständige im Laufe des Verfahrens seine Meinung geändert hat (BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Ohne dass damit notwendig jeder denkbare Einzelfall - dessen Umstände stets maßgeblich sind - erfasst wäre, lassen sich jedenfalls die folgenden Fallgestaltungen unterscheiden:
14
a) Sind in ihrer Bedeutung klar erkennbare neue Erkenntnisse angefallen (etwa wenn sich für die Beurteilung seines innerpsychischen Zustands wichtige Angaben des Angeklagten als falsch erwiesen haben [vgl. z.B. BGH, Urteile vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 und 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04]), bedürfte eine hierauf beruhende Änderung der Auffassung des Sachverständigen keiner besonderen Erklärung.
15
b) Beruhte die Änderung auf für die übrigen Verfahrensbeteiligten weniger offenkundigen Erkenntnissen (etwa wenn der Sachverständige wegen Unterschieden des Aussageverhaltens in der Hauptverhandlung und bei der Exploration die Glaubwürdigkeit des Zeugen nunmehr anders einschätzt [vgl. z.B. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 - 1 StR 580/95]), müssten sich allein daraus - ebenfalls - noch keine Bedenken gegen das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten ergeben. Die für die Änderung maßgeblichen Gesichtspunkte wären aber eingehender als die für jedermann erkennbare Änderung von Erkennt- nissen zu erläutern und sollten zweckmäßigerweise - zumindest knapp - auch in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. schon BGHSt 8, 113, 116 mwN).
16
c) In einem - nach forensischer Erfahrung allenfalls seltenen - Fall, in dem ein Sachverständiger überhaupt keinen (nachvollziehbaren) Grund für die Änderung seiner Auffassung nennen könnte, würde dies allerdings Zweifel an seiner Sachkunde wecken und die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen nahelegen. Jedenfalls könnten danach die Ausführungen dieses Sachverständigen allein schwerlich maßgebliche Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung sein.
17
3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
18
a) Die Entscheidung über Verfahrensrügen, die auf Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten gestützt sind (vgl. BGHSt aaO), erfordert regelmäßig einen inhaltlichen Vergleich zwischen den beiden Gutachten. Nur so ist zuverlässig feststellbar , ob beide Gutachten auf identischer tatsächlicher Grundlage erstattet sind, oder ob sich die Differenzen aus unterschiedlichen tatsächlichen Grundlagen ohne weiteres von selbst erklären. Während sich jedoch die Grundlagen des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens regelmäßig aus den Urteilsgründen ergeben, ist dies hinsichtlich einer durch den weiteren Verfahrensablauf überholten Grundlage eines früheren Gutachtens nicht stets notwendig der Fall.
19
Dementsprechend hat der Revisionsführer in einem solchen Fall regelmäßig jedenfalls den wesentlichen Kern des ursprünglichen Gutachtens vorzutragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und kann sich nicht auf die Mitteilung beschränken , das ursprüngliche Gutachten sei zu einem anderen Ergebnis gekommen.
20
b) So verhält es sich aber hier. Es ist lediglich ein Satz aus dem schriftlichen Gutachten mitgeteilt ("Damit gehe ich ... von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aus"), ohne dass Weiteres dargelegt wird. Dieses Vorbringen genügt aus den genannten Gründen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Daran ändert sich auch nichts durch den Vortrag, "aus Sicht der Verteidigung (sei) keine Abweichung zum schriftlichen Vorgutachten festzustellen." Die Feststellung, dass keine wesentliche Abweichung vorliegt, kann zwar Ergebnis einer Überprüfung des schriftlichen Gutachtens einerseits und der Urteilsgründe andererseits durch das Revisionsgericht sein. Eine entsprechende Bewertung durch den Verteidiger kann jedoch den Vortrag konkreter, ohne Bezugnahme auf den Akteninhalt aus sich heraus verständlicher Tatsachen, die zu diesem Ergebnis führen sollen, nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 503/06 mwN).
21
Die genannten Rügen sind daher (auch noch aus diesem Grunde) nicht ordnungsgemäß angebracht. Nack Wahl Graf Jäger Sander
5 StR 150/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. November 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Vergewaltigung , der versuchten Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, der sexuellen Nötigung, der Sachbeschädigung und des Diebstahls mit Waffen freigesprochen. Es hat jedoch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist im Wesentlichen begründet.
2
1. Frei von Rechtsfehlern sind allerdings die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen; diese (Abschnitt II der Urteilsgründe) können demgemäß aufrechterhalten bleiben.
3
2. Der Freispruch des Angeklagten und die Anordnung, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, haben dagegen keinen Bestand , da die Voraussetzungen der §§ 20, 63 StGB im angefochtenen Urteil nicht hinlänglich dargelegt sind.
4
a) Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Angeklagte leide seit mehreren Jahren an einer schizophrenen Psychose (ICD 10: F 20). Er unterliege einem religiösen Wahn. Daneben leide er seit vielen Jahren auch an einem Missbrauch von Cannabinoiden (ICD 10: F 13.1). Der Angeklagte habe die Taten jeweils unter dem Einfluss der schizophrenen Psychose begangen, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, dass seine Steuerungsfähigkeit bei Begehung der jeweiligen Taten aufgehoben im Sinne des § 20 StGB gewesen sei; mit Sicherheit sei sie jedoch erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewesen. Der Cannabisgebrauch habe für die Begehung der Taten eine allenfalls untergeordnete Bedeutung gehabt. Das Landgericht ist dabei, ohne die diagnostische Bewertung näher zu erläutern, den von ihm als überzeugend angesehenen Ausführungen der Sachverständigen gefolgt.
5
b) Die bloße Wiedergabe der Befundanalyse eines Sachverständigen reicht als Grundlage für die eine Unterbringung nach § 63 StGB tragenden tatrichterlichen Feststellungen nicht aus. Denn sie ermöglicht nicht eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend die Voraussetzungen dieser den Angeklagten besonders schwer belastenden Maßregel angenommen hat. Die Urteilsgründe erlauben dem Senat auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs nicht die Nachprüfung, ob das Landgericht eine erhebliche Verminderung oder einen Ausschluss der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der abgeurteilten Taten, wie für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderlich (BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26), rechtsfehlerfrei positiv festgestellt hat. Die Diagnose einer Schizophrenie führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 und vom 31. August 2010 – 3 StR 260/10). Ob sich der Angeklagte bei Begehung der längere Zeit zurückliegenden Taten jeweils in einem akuten Schub seiner Krankheit befand, zu deren Beginn, Entwicklung und sonstigen Auswirkungen auf das Leben des Angeklagten zudem nichts Genaueres festgestellt ist, ist im Urteil ebenso wenig belegt wie ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Psychose und den einzelnen Taten, insbesondere den für die Maßregelanordnung maßgeblichen Sexualverbrechen.
6
3. Zur Vorbereitung der erforderlichen erneuten im Rahmen der einstweiligen Unterbringung nunmehr leichter möglichen gründlichen Exploration des Angeklagten wird das neue Tatgericht angesichts dessen, dass im Urteil jeder Hinweis auf den Versuch einer bei den gegenständlichen Taten unerlässlichen Sexualanamnese fehlt, die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
7
Bei gleichzeitiger Aufhebung des Freispruchs ist das neue Tatgericht nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gehindert, den Angeklagten zu bestrafen , soweit sich nunmehr eine Schuldunfähigkeit sicher ausschließen lassen sollte.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 417/12
vom
19. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte leidet an einer schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entwickelt hat und seit dem Jahr 2009 ausgeprägt vorliegt. Neben formalen und inhaltlichen Denkstörungen treten massive Affektstörungen und paranoide Symptome auf. Die Persönlichkeit des Angeklagten weist dar- über hinaus autistische Züge auf. Auf Grund eines sog. „Liebeswahns“nimmt er die Beziehung zu einer Frau vollkommen irreal wahr. Deren für jedermann ersichtliche Abwehrhaltung deutet er als ein Zeichen von Zuneigung. Die paranoide Symptomatik kommt darin zum Ausdruck, dass er sich sehr leicht angegriffen fühlt und dann aggressiv reagiert. Im Affekt zeigen sich Auffälligkeiten im Sinne einer situativ auslösbaren Aggressivität und Explosivität. Es kommt zu unangemessenen affektiven Reaktionen. Kritikfähigkeit, Realitätsprüfung und Empathiefähigkeit fehlen völlig. Insgesamt bietet er das Bild eines hochgradig verschrobenen, bizarr wirkenden, autistischen und chronischen Schizophrenen (UA S. 23). Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB ist erfüllt. Nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Angeklagte bei Begehung der verfahrensgegenständli- chen Taten „bei abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ in seiner Steuerungs- fähigkeit erheblich vermindert. Bei den Taten zum Nachteil der Zeugin V. (Nebenklägerin) beruhe dies auf dem stark ausgeprägten Liebeswahn, hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin B. und der Polizeibeamten auf paranoidem Erleben und Störungen des Affekts.
4
Taten im Zusammenhang mit der Nebenklägerin (Fälle III. 1 a und b)
5
a) Tatzeitraum vom 20. Mai 2009 bis 3. März 2011
6
In einer Vielzahl von Fällen parkte der Angeklagte seinen Pkw in der Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und beobachtete diese. Als die Nebenklägerin an einem Tag zur Bank fahren wollte, verfolgte sie der Angeklagte mit seinem Pkw über einen Zeitraum von ca. einer Stunde, wobei er immer wieder dicht und bedrängend auffuhr. In dem Tatzeitraum warf der Angeklagte mindestens 22 Briefe persönlich in den Briefkasten der Nebenklägerin ein, in denen er in konfuser und zum Teil bedrohlicher Art zum Ausdruck brachte, dass die Zeugin und er füreinander bestimmt seien. Sie habe sich seinem Willen unterzuordnen. Er habe ein moralisches Recht auf die Nebenklägerin, die sein Lebenselixier sei. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 untersagte das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung, sich der Nebenklägerin, ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Der Angeklagte empfand den Antrag auf Anordnung eines Näherungsverbotes nicht als Ablehnung seiner Person, sondern reagierte erfreut , weil ihm dies aus seiner Sicht zeigte, dass die Nebenklägerin sich mit ihm beschäftigte. Fortan war er nahezu ständig präsent. Unter anderem wartete er am Bahnsteig, als die Nebenklägerin von einer Geschäftsreise zurückkehrte. Anlässlich einer Fahrradfahrt, die die Nebenklägerin unternahm, stellte sich der Angeklagte auf einsamer Strecke plötzlich und unerwartet in den Weg. Ab Februar 2011 begann der Angeklagte, auch den Bereich der Arbeitsstelle der Ne- benklägerin aufzusuchen, schrieb einen Brief an deren Arbeitgeber und beobachtete stundenlang das Firmengebäude.
7
Am 9. Oktober 2010 trafen die Polizeibeamten K. und D. den Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Nebenklägerin an und wollten eine Personalienfeststellung durchführen. Als der Polizeibeamte K. den eine ablehnende Haltung einnehmenden Angeklagten am Arm fasste, drehte sich dieser abrupt um und holte mit dem Arm zum Schlag aus. Er wurde daraufhin fixiert und zur Wache verbracht. Als die Polizeibeamtin D. versuchte , dem Angeklagten die Schuhe auszuziehen, trat er ihr gegen den linken Unterarm. Dabei erlitt die Beamtin Hautabschürfungen.
8
b) Tatzeitraum vom 11. August 2011 bis 27. November 2011
9
Wegen Zuwiderhandlung gegen das mit Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 28. Oktober 2010 angeordnete Näherungsverbot wurde gegen den Angeklagten am 1. März 2011 Ordnungshaft verhängt, die er in dem Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 7. August 2011 verbüßte. Nach Vollzug der Ordnungshaft intensivierte er seine Annäherungshandlungen gegenüber der Nebenklägerin. Bis zu der am 2. Dezember 2011 beginnenden erneuten Ordnungshaft erhielt sie nahezu täglich Briefe des Angeklagten, deren Inhalte zunehmend bizarrer wurden. Am 15. August 2011 verfolgte er die Nebenklägerin mit dem Fahrrad, als diese einen Bekannten aufsuchte. Am 16. und 18. August 2011 stand er gut sichtbar vor ihrem Wohnhaus und am 24. August 2011 hielt er sich auf dem Gelände des Arbeitgebers der Nebenklägerin auf, so dass diese ihn wahrnehmen musste. Mit Briefen vom 31. August und 4. September 2011 übersandte er eine Damenquarzuhr bzw. drei Musik-CDs als Geschenke. Ebenfalls am 4. September 2011 warf er einen ausführlichen Brief, dem Glüh- birnen für die Kfz-Beleuchtung beigefügt waren, in den Briefkasten der Arbeitsstelle der Nebenklägerin. In einem Brief vom 7. September 2011 pries er – wie häufig – das Aussehen der Nebenklägerin und entwickelte eine abstruse For- mel, in der er den „Schönheitsfinanzierungsidealwert“ ihrer „Emanzipationsfeminisierungsautoselbstfahrfreizeitlichkeitsrealitätsperson“ zu dem Gesamtge- wicht der Erde in „imaginären 1039 DM-Scheinen“ in Relation setzte. Ferner teilte er mit, dass er „das Recht“ habe,sie und ihren Sohn J. „entlästigend umsonst zu erhalten“ (UA S. 17).
10
Am 10. September 2011 begab sich der Angeklagte wiederum zum Wohnhaus der Nebenklägerin, die daraufhin die Polizei benachrichtigte. Die Polizeibeamten Kl. und S. trafen den Angeklagten ca. 150 Meter von der Wohnung der Nebenklägerin entfernt an und forderten ihn auf, sich zu entfernen. Dies verweigerte der Angeklagte. Er wurde aggressiv und fing zu schreien an, wobei er den Polizeibeamten S. als „dämlich“ bezeichnete. Nach Ingewahrsamnahme des Angeklagten weigerte er sich, in den Zellentrakt zu gehen und sperrte sich dagegen, indem er sich wegdrehte und stehen blieb. Die Polizeibeamten brachten ihn schließlich „gegen seinen Widerstand“ in eine Zelle und zogen dem sich sträubenden Angeklagten die Schuhe aus. Am 21. September 2011 trafen ihn die Polizeibeamten Kl. und D. beim Einwerfen eines Briefes in den Hausbriefkasten der Nebenklägerin an. Zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises wurde der aggressiv reagierende Angeklagte auf die Polizeiwache Wanne-Eickel verbracht. Dort spuckte er auf das Hemd des Polizeibeamten Kl. .
11
Zu den Tatfolgen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
12
Die Nebenklägerin ist durch die Handlungen des Angeklagten psychisch und physisch erheblich beeinträchtigt (Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhezustände , Atemnot, schwere Magen-Darmprobleme, Tinnitus). Sie nimmt seit ca. Oktober 2009 in akuten Phasen Anti-Depressiva ein und hat sich in therapeutische Behandlung begeben. Auf Grund psychosomatischer Beschwerden entwickelte sie Essstörungen, die zu einer Gewichtsabnahme führten. Zeitweise konnte sie auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und war in drei Fällen für mehrere Tage arbeitsunfähig. Bevor sie abends nach Hause zurückkehrte, erkundigte sie sich zunächst telefonisch bei Nachbarn, ob der Angeklagte ihr in seinem Pkw in Wohnungsnähe auflauerte. Aus Angst vor dem Angeklagten konnte sie nicht mehr allein spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Sie hat das Grundvertrauen, sicher zu sein, wenn sie ihre Wohnung verlässt, verloren (UA S. 13 und S. 20). Dieser Zustand hat sich nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten am 3. Dezember 2011 nur eingeschränkt gebessert. Bei Fortsetzung seines Tuns ist davon auszugehen , dass die Nebenklägerin an einer schweren Depression erkranken werde (UA S. 21).
13
Taten zum Nachteil der Zeugin B. (Fälle III. 2 a und b)
14
Als die Nachbarin B. am 17. Juni 2011 gegen 23.25 Uhr in den Kellerräumen des Wohnanwesens des Angeklagten diesen höflich fragte, ob er seine Wohnung wegen der austretenden Gerüche künftig gelegentlich lüften könnte, nahm er dies auf Grund „seiner paranoiden Vorstellungswelt und seiner Affektstörungen“ zum Anlass, die Zeugin gegen eine Wand des Kellerraums zu sto- ßen (schmerzhafte Prellung am linken Arm).
15
Bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Zeugin B. am 30. Juni 2011 gegen 23.00 Uhr wiederholte diese ihre Bitte um bessere Lüftung der Wohnung. Der Angeklagte drückte die Zeugin daraufhin mit der flachen Hand gegen eine Wand (starke Schwellung und Hämatom am Unterarm).
16
2. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der keine Krankheitseinsicht zeigende Angeklagte werde in Freiheit mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ähnliche Handlungen, insbesondere Nachstellungen und Körperverletzungen, begehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er auch Straftaten von höherem Gewicht begehen könnte. Erheblichere Körperverletzungen seien möglich. Sollte er sich künftig von der Nebenklägerin fernhalten, sei ein Wechsel des Stalkingopfers zu erwarten (UA S. 24).

II.


17
Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
18
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung in zwei Fällen erfüllt ist.
19
Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295, 296). Die Handlungen des Angeklagten erfüllen in beiden Tatzeiträumen die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Da der Tatbestand vom Gesetzgeber jedoch als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden ist, muss die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drucks. 16/575 S. 7). Sie wird beeinträchtigt, wenn durch die Handlung des Täters eine Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen wird. Die Beeinträchtigung muss zudem schwerwiegend sein (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 22 ff.).
20
Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Angeklagten eingetreten ist. Denn das Landgericht stellt im Rahmen des Grundtatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft in erster Linie auf die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin und deren psychosomatische Auswirkungen ab. Zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Nebenklägerin zu gravierenden, nicht mehr hinzunehmenden Modifikationen ihrer äußeren Lebensgestaltung gezwungen war (z.B. Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, Treffen besonderer Schutzvorkehrungen beim Verlassen der Wohnung bzw. in den Nachtstunden, Aufgeben erheblicher Teile von Freizeitaktivitäten), werden ohne jede zeitliche Einordnung nur knappe und pauschale Feststellungen getroffen, die sich konkreten Nachstellungs- handlungen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer sukzessiven Tatbegehung einzelne Handlungen des Täters erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen können – nicht zuordnen lassen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen jeweils zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensgestaltung geführt haben, ist somit nicht möglich.
21
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt hat, fehlt jegliche rechtliche Subsumtion. Angesichts der Vielzahl von möglicherweise strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten , die in dem Urteil geschildert werden (UA S. 9 – 22), ist unklar, welche Handlungen des Angeklagten – über die beiden Taten zum Nachteil der Nachbarin B. hinaus – das Landgericht als tatbestandsmäßig im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gewertet hat. Gleiches gilt, soweit das Landgericht von einer tateinheitlich verwirklichten Beleidigung ausgegangen ist. Auch hier ist unklar, welche Verhaltensweise des Angeklagten dem Schuldspruch zu Grunde liegt.
22
3. Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (§ 113 Abs. 1, § 53 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
Hinsichtlich der Tat vom 9. Oktober 2010 sind die Feststellungen widersprüchlich und tragen die Verurteilung nicht. Auf UA S. 14 wird ausgeführt, dass dem Angeklagten der „Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Herne-Wanne“ bekannt gewesen sei und er gewusst habe, „dass die Beamten zur Durchsetzung des Beschlusses berechtigt waren“. Demgegenüber stellt das Landgericht auf UA S. 11 fest, dass das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten erst mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 verboten hat, sich der Nebenklägerin bzw. ihrer Wohnung oder Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Danach ist ausgeschossen, dass die Polizeibeamten zur Durchsetzung dieses Näherungsverbots tätig geworden sind.
24
Bei der Tat vom 10. September 2011 ist die Tathandlung des „Widerstandleistens“ nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Indem der Angeklagte sich weigerte, in den Zellentrakt zu gehen, und sich lediglich wegdrehte, hat er noch nicht „mit Gewalt“ Widerstand geleistet. Es fehlt an einem auf körperlicher Kraftentfaltung beruhenden, tätigen Handeln gegen die Polizeibeamten (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 23). Soweit die Polizeibeamten den Angeklagten „gegen seinen Widerstand“ in die Zelle brachten und „dem sich sträu- benden Angeklagten“ die Schuhe auszogen, lassen sich dem Urteil keine kon- kreten Feststellungen zur Art und Weise der Tathandlung entnehmen.
25
Zur Tat vom 21. September 2011 teilt das Landgericht lediglich mit, dass der „aggressiver werdende Angeklagte“ zur Durchsetzung des Platzverweises auf die Polizeiwache verbracht wurde. Ein im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Widerstandleisten ist nicht ersichtlich.
26
4. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft.
27
Die Strafkammer kommt nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis , der Angeklagte sei bei der Tatbegehung, wenn auch erheblich vermin- dert, schuldfähig gewesen; bei „abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Woraus sich die (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt, ist jedoch nicht dargelegt. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer unbehandelten schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), wobei es zu massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie zu erheblichen Affektstörungen und paranoidem Erleben kommt. Seit dem Jahr 2009 ist eine stetige Steigerung seines krankhaften Verhaltens zu beobachten. Er wirkte hochgradig verschroben und bizarr. Dieses schizophrene Krankheitsbild war auch während der Hauptverhandlung offen erkennbar (UA S. 27/28). Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer konkret darlegen müssen, woraus sich (nach der von ihr geteilten Meinung des Sachverständigen) trotz der chronischen Schizophrenie des Angeklagten seine (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt. Jedenfalls bei akuten Schüben einer Schizophrenie und in der „Endphase“ einer Schizophrenie – die Erkrankung des Angeklagten besteht seit geraumer Zeit – ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist. Häufig wird bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95, MDR 1995, 1090; Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 531/02, bei Theune NStZ-RR 2004, 161, 166; Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Der Tatrichter wäre daher gehalten gewesen , unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen , ob der Angeklagte die Taten während akuter Schübe (oder während eines lang dauernden Schubes) begangen hat. Nach dem mitgeteilten Ergebnis der Beweisaufnahme liegen deutliche Anzeichen dafür vor, dass die Taten während akuter Schübe begangen wurden. Denn der Angeklagte wurde ab dem Jahr 2009 zunehmend aggressiver und steigerte sich immer weiter in seine wahnhafte Vorstellung hinein, die Nebenklägerin und er seien auf ewige Zeiten füreinander bestimmt.
28
§ 20 StGB setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „bei Begehung der Tat“ aufgehoben sind. Die Schuldfähigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 47). Dies verkennt die Straf- kammer, indem sie – dem Sachverständigen folgend – allein auf die „abstrakt bestehende Einsichtsfähigkeit“ abstellt.
29
Nach alledem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Hiervon unberührt bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin (§ 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. . Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

III.


30
Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
31
1. Da das Landgericht die Voraussetzungen von § 20 StGB oder § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bedarf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12). Eine Unterbringungsanordnung kann nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/05, MDR 1995, 1090).
32
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
33
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Dies muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt regelmäßig voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Die gebotene Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Die bislang getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten belegen die wegen des gravierenden Eingriffs in die persönliche Freiheit erforderliche Tatschwere nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als sich die Kammer bei der Feststellung der Tatfolgen der Nachstellungen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10). Wesentliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts zu § 63 StGB ist zudem die Prognose, dass erheblichere Körper- verletzungen lediglich „möglich“ seien und Straftaten von höherem Gewicht „nicht ausgeschlossen“ werden könnten (UA S. 24). Damit fehlen Feststellun- gen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades.
34
Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Zur Vorbereitung der erforderlichen umfassenden und gründlichen Exploration des Angeklagten, die bislang unterblieben ist, wird das Tatgericht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

11
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Un- terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73; Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt aber – entsprechend obiger Rechtsprechung – auch dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, Rn. 11; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f., Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls.], jew. mwN), wenn tragender Grund seines Zustandes mithin die länger andauernde krankhafte geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR497/14
vom
19. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. November 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 27. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung , wegen Körperverletzung in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte ist in ungünstigen Verhältnissen aufgewachsen und leidet an einer mittelgradigen Intelligenzminderung mit deutlichen Verhaltensstörungen gemäß ICD 10 – F 71.1. Ab dem 15. Juli 2013 war er in einer Wohneinrichtung der Lebenshilfe in H. untergebracht. Zum Schutz der Mitbewohner und des Personals war er zuletzt auf einer eigenen Etage isoliert und wurde von einem Sicherheitsdienst rund um die Uhr bewacht.
4
In der Zeit zwischen dem 26. September 2013 und dem 16. Januar 2014 kam es zu neun Angriffen des Angeklagten auf Mitarbeiter der Wohneinrichtung und des Sicherheitsdienstes. In sieben Fällen (Fälle 1 bis 7 der Urteilsgründe) misshandelte und verletzte er dabei eine oder mehrere Personen (Schläge, Tritte , kurzzeitiges Würgen, Verdrehen eines Fingers). In den Fällen 5 und 7 der Urteilsgründe bedrohte der Angeklagte die von ihm körperlich angegangenen Geschädigten zusätzlich mit dem Tod. Die Drohungen wurden ernst genommen. Bei der Auseinandersetzung mit zwei Mitarbeitern der Einrichtung am 14. Dezember 2013 ergriff der Angeklagte eine etwa 20 cm lange spitze Glasscherbe und stach damit in Richtung des Zeugen R. . Dieser konnte eine Verletzung nur durch ein rechtzeitiges Ausweichen vermeiden (Fall 6 der Urteilsgründe , UA 10). In einem weiteren Fall ging der Angeklagte in Angriffsabsicht mit einem in Hüfthöhe gehaltenen Tafelmesser auf den Sicherheitsdienst- mitarbeiter F. zu, der ihn jedoch entwaffnen konnte (Fall 8 der Urteilsgründe ). Ein weiterer Versuch des Angeklagten, den Zeugen F. zu verletzten , wurde ebenfalls abgewehrt (Fall 9 der Urteilsgründe). Außerdem beleidigte der Angeklagte in zwei Fällen seine Opfer (Fälle 7 und 9 der Urteilsgründe).
5
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung erheblich vermindert gewesen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen, weil die psychopathologische Disposition des Angeklagten auch in alltäglichen Situationen geeignet sei, eigen- und fremdaggressives Verhalten auszulösen. Weitere Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besorgen.

II.


6
Die Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
7
1. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Strafkammer bei der Entscheidung der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB vollständig aufgehoben war, gegen den Zweifelsgrundsatz verstoßen hat.
9
aa) Bleiben nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf die Art und den Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen, ist zugunsten des Täters zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 26. August 1999 – 4 StR 329/99, NStZ 2000, 24, 25; Urteil vom 18. Mai 1995 – 4 StR 698/94, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13; Urteil vom 26. April 1955 – 5 StR 86/55, BGHSt 8, 113, 124).
10
bb) Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. , denen sich die Strafkammer ohne Einschränkung angeschlossen hat, war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der bei ihm festgestellten erheblichen Verhaltensstörung und der erkennbar herabgesetzten Intelligenzleistung im Sinne von § 21 StGB deutlich vermindert. „Eindeutige Hinweise darauf, dass die Steuerungsfähigkeit sogar im Sinne von § 20 StGB aufgehoben gewesen sei, hätten sich nicht gefunden“ (UA 11). Diese Wendung deutet darauf hin, dass durchaus tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sachverhalts gegeben waren, der zu einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt haben kann, das Landgericht aber eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten schon deshalb für ausgeschlossen erachtet hat, weil dafür kein eindeutiger Nachweis erbracht werden konnte.
11
b) Die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit begründet hat, weisen nicht die für eine revisionsgerichtliche Nachprüfung erforderliche Begründungstiefe auf.
12
aa) Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund der festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter unter Darlegung der fachwissenschaftlichen Beurteilung durch den Sachverständigen, aber letztlich ohne Bindung an des- sen Äußerungen, in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2010 – 5 StR 171/10, NStZ-RR 2011, 4 mwN). Schließt er sich dabei der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 mwN).
13
bb) Daran fehlt es hier. Das Landgericht beschränkt sich darauf, die knappe Beurteilung des Sachverständigen zu übernehmen, wonach die „Erkrankung“ des Angeklagten in sozialen Situationen geeignet sei, eigen- und fremdaggressives Verhalten zu forcieren und sich bei den Tathandlungen dahingehend ausgewirkt habe, dass die Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB deutlich vermindert gewesen sei (UA 11). Soweit in der rechtlichen Würdigung davon die Rede ist, dass die Verminderung der Steuerungsfähigkeit „aufgrund der hohen Intensität der Verhaltensstörung, namentlich der aggressi- ven Impulsivität des Angeklagten, im normativen Sinne erheblich sei“ (UA 13), fehlt es an den dafür erforderlichen Belegen. Denn die Urteilsgründe legen nicht näher dar, welcher Art die diagnostizierten Verhaltensstörungen sind und welchen Einfluss das Störungsbild auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen hatte. Der Senat kann daher nicht überprüfen , ob die Annahme einer sicher gegebenen erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf einer tragfähigen Grundlage beruht.
14
2. Da in Betracht kommt, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war, bedarf die Sache schon aus diesem Grund neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten bleiben hiervon unberührt und können deshalb bestehen bleiben. Die Maßregelanordnung war aufzuheben, weil sie zu der Schuldfähigkeitsbeurteilung in einem untrennbaren Zusammenhang steht.
15
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie sie bei dem Angeklagten festgestellt worden ist, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfällt und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 1996 – 1 StR 416/96, NStZ 1997, 199; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 20 Rn. 35; Schöch in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 150 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

11
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Un- terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73; Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt aber – entsprechend obiger Rechtsprechung – auch dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, Rn. 11; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f., Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls.], jew. mwN), wenn tragender Grund seines Zustandes mithin die länger andauernde krankhafte geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374).
13
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin